Autor: Stefan Niggemeier

Diesen Absturz präsentiert Ihnen TUI

Ich war gestern Abend weder am Fernseher noch am Computer, aber Thorsten Lohmann und Hendrik Runte waren es, und sie haben freundlicherweise festgehalten, wie das aussah, als der Nachrichtensender N24 live von der Notlandung eines Passagierflugzeugs im Hudson-River berichtete:



Der eingeblendete Werbespruch lautet: „Willkommen an Bord“.

Schwieriges Auswärtsspiel für die TSG Merkel 09

Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte den Satz vervollständigen: „Wer nicht weiß, was sich hinter dem Kürzel TSG verbirgt…“ Sie hatte sogar noch den Tipp bekommen, dass es um Wiesbaden geht. Aber sie schaute von einem Interviewer zum anderen, schwieg, schaute vom anderen Interviewer zum einen, schwieg immer noch und entschied sich schließlich kurzzeitig für diesen Ausdruck völliger Ratlosigkeit:

Thorsten Schäfer-Gümbel? „TSG hab ich, ehrlich gesagt, jetzt eher für ’nen Sportverein gehalten in diesem Zusammenhang.“

Gut, andererseits hatte sie auch weder vier Alternativen zur Auswahl, noch durfte sie jemanden anrufen. Überhaupt war es ein ungewöhnlicher Abend bei ARD und ZDF. Beide Sender hatten sich in einer spektakulären konzertierten Aktion entschieden, ein Einzelgespräch mit einem nicht unbedeutenden Politiker ausnahmsweise weder von Reinhold Beckmann noch von Johannes B. Kerner führen zu lassen, sondern Nachwuchskräften eine Chance zu geben: sogenannten politischen Journalisten. Anlässlich des irgendwie historischen Konjunkturpaketes tingelte Frau Merkel durch die Hauptstadtstudios und stellte sich unter anderem den Fragen von Thomas Baumann und Ulrich Deppendorf im Ersten (Video) sowie Bettina Schausten und Peter Frey im Zweiten (Video).

Verblüfft erinnerte sich der Zuschauer, dass es tatsächlich die alten Interviewformate noch gibt, die sogar schicke moderne Vorspänne haben, allerdings nur noch selten den Beginn des öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsprogramms verschieben. 2002 lief „Was nun, …?“ noch etwa monatlich im ZDF – inzwischen sind es im Schnitt nur noch zwei Sendungen jährlich. Es ist zudem eine reine Kanzlerfragesendung geworden: Frau Merkel war jetzt das dritte Mal in Folge da. Alle anderen gehen wohl zu Kerner. Das ARD-Gegenstück „Farbe bekennen“ hatte ohnehin nie eine größere Präsenz im Programm.

Nun haben solche Programm-Entscheidungen immer zwei Seiten. Gut war, dass kein Beckmann Frau Merkel fragte, wie sich das „anfühlt“, so ein Konjunkturpaket beschlossen zu haben. Nicht so gut war, dass ARD-Chefredakteur Baumann stattdessen glaubte, das Interesse der Zuschauer am besten dadurch zu gewinnen, dass er die Monumentalität des Ereignisses in den ersten Satz gerinnen ließ: „Der zwölfte Tag des Jahres war politisch wahrscheinlich schon einer der wichtigsten.“ Von diesem Tonfall sollte sich die ganze Sendung nicht mehr berappeln, Kanzlerin und Moderatoren tauschten entschlossen bis grimmig technische Fachbegriffe und bürokratische Superwörter aus.

ZDF-Innenpolitikchefin Schausten hatte dagegen offenbar beschlossen, dass Nüchternheit und Details was für Weicheier sind, und schon mal Frank Plasberg im Fernsehen gesehen. „Sind Sie, Frau Merkel, eine Schuldenkanzlerin“, lautete ihre erste Frage, und die Angesprochene brauchte sichtlich eine Sekunde, bis ihr einfiel, dass sie die Frage natürlich nicht beantworten muss. Die ZDF-Leute hatten sogar einen Einspielfilm mit den markigen, nur wenige Monate alten Schuldenabbau-Zitaten Merkels und Peer Steinbrücks vorbereitet. Und tatsächlich sorgte ihr Wille zur Zuspitzung für das munterere und ergiebigere Gespräch – auch wenn sich die Kanzlerin vor lauter Bemühen um fluffige Volksnähe und Anschaulichkeit gleich am Anfang hübsch in ihrer eigenen Metapher verstrickte:

Peter Frey: Sie haben sich beim CDU-Parteitag als schwäbische Hausfrau präsentiert: sparsam, nur das ausgeben, was man wirklich hat. Jetzt ist es eine richtige Kehrtwende eigentlich, dieses Kulturpaket.

Angela Merkel: Ich hab das überhaupt nicht kehrtgewendet. Sondern die schwäbische Hausfrau ist das Modell für das Wirtschaften in der Welt. Und dass wir in diese Krise gekommen sind, ist der Ausdruck dessen, dass sich nicht alle wie die schwäbische Hausfrau verhalten haben. Jetzt sind wir aber in einer Ausnahmesituation. Und wenn Not am Mann ist, dann bin ich ganz überzeugt, dass auch eine kluge Hausfrau vielleicht beim Nachbarn fragt, ob man etwas tun kann, damit auch der Patient wieder aufgepäppelt werden kann.

Ob die schwäbische Hausfrau sich in diesem Bild beim Nachbarn Aspirin borgt oder ihm ihrerseits Schirme, Schals und Pakete vorbeibringt, blieb offen.

Der Schamhügel der „Tagesschau“

Zwei ARD-Berichte aus dem israelischen Grenzgebiet zum Gaza-Streifen:

„Tagesschau“,
10. Januar 2009:
„Weltspiegel“,
11. Januar 2009:

„Wir ausländischen Journalisten sind seit mehr als zwei Wochen im Süden Israels, gleich an der Grenze zum Gaza-Streifen. Israel lässt uns nicht hinein nach Gaza, …

… und so sind wir alle auf einem Hügel versammelt, von dem aus wir unsere Live-Schaltungen in die ganze Welt machen.

„Während im Gaza-Streifen die Kämpfe weitergehen, …

Wir nennen diesen Hügel mittlerweile zynisch „Hill of Shame“, Hügel der Schande, …

… kommen immer mehr Israelis zur Grenze, um den Verlauf des Krieges zu beobachten.

… weil wir uns alle schämen, von hier über etwas zu berichten, was wir gar nicht selbst sehen können, noch dazu wenn wir wissen, dass unsere Kollegen in Gaza durch dieses Bombardement, …

Dabei setzen sie sich auch der Gefahr aus, von Kassam-Raketen getötet oder verletzt zu werden.

… das wir wie Kino-Zuschauer beobachten, in Lebensgefahr sind.

Bei Raketen-Alarm legen sich die Kriegs-Touristen auf den Boden …

Doch auch wir geraten manchmal in Gefahr, dann, wenn Kassam-Raketen auf uns abgeschossen werden.

… und warten auf den Einschlag.“

Dann müssen auch wir uns in Deckung begeben, dann bricht auch bei uns Unruhe aus.“

Offenbar hat die ARD zwar weder die israelischen Schaulustigen („Tagesschau“) noch die ausgesperrten Journalisten („Weltspiegel“) erfunden. Aber diese Art der beliebigen Uminterpretation derselben Aufnahmen ist trotzdem inakzeptabel.

Moritz Günnel, der die Sache entdeckt hat, hat die Redaktion von ARD-Aktuell in einem Brief zu einer Klarstellung aufgefordert und schreibt zu Recht:

Ich halte es für unablässig in einer seriösen Berichterstattung (…), dass Bilder und Berichte übereinstimmen. (…) Sie mögen argumentieren, dass beides faktisch vorkomme — ausgesperrte Journalisten und israelische „Kriegs-Touristen“ — und die gezeigten Bilder den Bericht nur untermauern sollten. Es geht aber um das Prinzip korrekter und seriöser Berichterstattung und um Glaubwürdigkeit. Diese schrieb ich Ihrer Berichterstattung zu, sehe diese Annahme aber nun in Frage gestellt. Ich kann keinen der Berichte selbst überprüfen, ich kann so gut wie nie bestimmen, ob die gezeigten Bilder das abbilden, was vorgegeben wird. Bei meiner Meinungsbildung muss ich mich wie jeder andere normale Bürger auch, auf Berichte von Journalisten verlassen. Dies birgt eine große Verantwortung Ihrerseits, der Sie im geschilderten Fall meiner Ansicht nach nicht gerecht geworden sind.

(Hintergründe über die Arbeitsbedingungen der Reporter im „Tagesschau“-Blog, im BBC-Blog „The Editors“ und in der „Huffington Post“.)

Nachtrag, 15.10 Uhr. Die „Tagesthemen“ haben einige der Aufnahmen ebenfalls gezeigt: am 11. Januar. Diesmal hieß es wieder, die Gezeigten seien gaffende israelische Kriegstouristen.

Nachtrag, 18.30 Uhr. Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, antwortet ausführlich im „Tagesschau“-Blog: Auf den Aufnahmen seien halt sowohl Journalisten als auch Kriegstouristen zu sehen, und die Autoren hätten jeweils einmal „Journalisten“ und „Kriegstouristen“ gesagt. Das sei nicht inakzeptabel, darüber könne er sich nicht empören und das gefährde nicht die Glaubwürdigkeit der „Tagesschau“-Autoren.

Ich bin anderer Meinung. Die ARD hat dieselben Bilder in zwei völlig verschiedene Kontexte gestellt und wie Symbolfotos behandelt: So wird der Mann mit Glatze, der durch seinen Fotoapparat schaut, vom Symbol für Gaffer, die fahrlässig ihr eigenes Leben riskieren, zum Symbol für die Journalisten, die gezwungenermaßen „wie Kino-Zuschauer“ den Krieg beobachten. Er kann aber nicht beides sein, ebenso wenig wie die anderen Menschen in diesem Film. Natürlich setzt die ARD mit solchen Uminterpretationen ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel — insbesondere in einem emotional aufgeladenen Konflikt wie diesem, bei dem viele Kritiker nur darauf warten, ihre Verschwörungstheorien bestätigt zu finden und der ARD unterstellen können, dass mindestens eins der im Text behaupteten Geschehnisse gar nicht passiert sei.

Der „Weltspiegel“-Beitrag hatte ausgerechnet die Schwierigkeiten, als Journalist über diesen Krieg wahrhaftig zu berichten, zum Thema — und macht sich dabei so angreifbar?

Alternativen zur Alternativlosigkeit

Die Betriebsräte der Gruner+Jahr-Zeitschriften „Capital“, „Börse Online“ und „Impulse“, deren Redaktion gerade in einem einmaligen Hauruck-Verfahren verkleinert und mit der „Financial Times“ zusammen gelegt werden, haben an Hartmut Ostrowski, den Aufsichtsratschef von Gruner+Jahr und Vorstandsvorsitzenden von Bertelsmann, einen besorgten Brief geschrieben, in dem sie darlegen, wie verheerend der Verlag vorgehe, und um wenigstens einen Aufschub der Pläne bitten. Ostrowski hat darauf freundlich geantwortet, dass er ihnen nicht helfen wolle. Zu der beschlossenen „Maßnahme“ gebe es weiterhin „keine Alternative“.

Keine Alternative? Der Verlag Gruner+Jahr ist gezwungen, komplette Belegschaften in Köln und München mit über 100 Mitarbeitern zu entlassen, die sich dann für 50 neue Stellen zu schlechteren Konditionen in einer Zentralredaktion in Hamburg bewerben dürfen? Zu diesem unwürdigen Verfahren gibt es „keine Alternative“?

Das war also nicht nur ein Plan des zukünftigen Gruner+Jahr-Chefs Bernd Buchholz, der kurz zuvor seine Aufgabe noch mit der eines Kapitäns verglichen hatte, der „den Leuten auf dem Sonnendeck“ sagen müsse, „dass sie ihre Liegestühle und Drinks beiseite stellen müssen“, sondern das war der einzig mögliche Plan?

Vielleicht stellt man sich das als Laie ja falsch vor. Es ist also gar nicht so, dass die Manager dafür bezahlt werden, dass sie aus mehren Möglichkeiten die ihrer Meinung nach beste auswählen. In Wahrheit besteht ihr Job nur darin, das Steuer festzuhalten, während man den einzigen Weg fährt, der zum Ziel führt, was vermutlich ein Dreijähriger schaffen könnte.

Und eh jetzt jemand kommt und sagt: Das dürfe man nicht so wörtlich nehmen, der Ostrowski habe eigentlich nur gemeint, dass die beschlossene „Maßnahme“ der beste Weg sei, die Zukunft der Wirtschaftspresse von G+J sicher zu stellen — nein, ich bin mir sicher, das hat er nicht gemeint. Denn das würde bedeuten, dass man darüber streiten könnte, welche anderen Wege es noch gibt, dieses Ziel zu erreichen, und ob vielleicht sogar einer darunter ist, bei dem man vorher nicht quasi der ganzen Belegschaft kündigen muss oder hinterher keine eigenständigen Zeitschriften mehr hat. Eine solche Diskussion ist aber natürlich das letzte, was Ostrowski und Buchholz und die anderen Gruner+Jahr-Abwickler wollen, weshalb Ostrowski sicherheitshalber sogar die theoretische Möglichkeit einer solchen Diskussion ausschließt: Es gibt „keine Alternative“.

Vielleicht bilde ich es mir ein, aber ich habe das Gefühl, es gibt gerade eine Inflation dieser Form von Argumentationsverweigerung. Krisensituationen machen es leicht zu behaupten, zu bestimmten Entscheidungen gebe es keine Alternativen. So werden nicht nur die Verantwortlichen entlastet, sondern auch die Opfer ihrer „Maßnahmen“ zum Erdulden ihres Schicksals gezwungen. Zur Teilverstaatlichung der Commerzbank gab es angeblich ebenso keine Alternative wie zum Angriff Israels auf den Gaza-Streifen. „Tina-Prinzip“ heißt dieses Muster („There Is No Alternative“), und das praktische an ihm ist, dass es nicht nur jede Kritik von vornherein als weltfremd und daher zu vernachlässigend abtut, sondern die Folgen der Entscheidungen gleich mit legitimiert. Man darf Israel nicht für den Tod von Hunderten Kinder und Zivilisten verantwortlich machen, denn die Israelis hatten ja keine Wahl.

Der Rückgriff auf das „Tina-Prinzip“ in Diskussionen sollte den Sprecher ähnlich disqualifizieren wie ein Hitler-Vergleich. Aber ich fürchte, wenn man Herrn Ostrowski fragte, warum er sich auf diese Weise jeder Argumentation verweigerte, würde er nur antworten, dass es dazu keine Alternative gegeben habe.

25 Jahre RTL: Ein Fall für die Couch

Schauen Sie sich mal dieses Bild an:

Fällt Ihnen was auf? Warten Sie, hier sieht man’s noch besser:

Hammer, oder? Und hier verschwinden die letzten Zweifel:

Tatsache. Kein Sofa.

Es muss ich um eine RTL-Show handeln, der Standard-RTL-Show-Moderator steht in der Standard-RTL-Show-Kulisse, alles ist wie immer, aber es fehlt das Sofa!

Einen Augenblick lang dachte ich, RTL habe das Unvorstellbare gewagt und sich und uns zu seinem 25. Geburtstag eine Show geschenkt, die anders ist als all die Shows, die RTL sonst immer zeigt. Aber es stellte sich heraus, dass sich das Sofa nur ein bisschen verspätet hatte, aber nach dem ersten Block, im dem – wie immer – Menschen vor einer Blue-Box sitzen und mit Halbsätzen kommentieren, was sie und die Zuschauer gerade sehen…

…also danach war dann auch das Sofa da und es war fast alles wie immer:

(Später nahm dann statt Günther Jauch, Bruce Darnell und Dieter Bohlen Atze Schröder auf dem Sofa Platz, und es war exakt alles wie immer.)

Man darf das nicht klein reden, das Revolutionäre an der Entscheidung, die Sendung ohne das Sofa zu beginnen, vermutlich waren x Sondersitzungen diverser RTL-Gremien nötig, um diese Abweichung vom vorgeschriebenen RTL-Show-Standard zu genehmigen.

Prominente und Zuschauer staunten angesichts der Ausschnitte aus der RTL-Geschichte, was da früher alles im Sender gelaufen war. Nicht nur, wie unbeholfen und unfertig das oft daher kam, sondern auch welche Bandbreite von Genres es einmal im RTL-Programm gegeben hat – verglichen mit der heutigen Armut und Einfalt. Der mit Abstand erfolgreichste kommerzielle Sender und Taktangeber im deutschen Fernsehen hat fast nur noch eine einzige Art von Show im Programm: eben die, in der Prominente abwechselnd auf dem Sofa und vor der Blue-Box kurze Filmausschnitte kommentieren, in dem immer gleichen Studio, in dem höchstens zwei drei Kulissen verschoben oder die Sofabezüge ausgetauscht werden, wenn statt „25 Jahre RTL“ hier „Die ultimative Chart-Show“ produziert wird, mit der immer gleichen, hinter einem Halbkreis-Tor verborgenen Ecke für die Show-Acts. Unvorstellbar, dass RTL seinen Geburtstag in anderer Form gefeiert hätte, als große Gala, ohne die Schlafmützigkeit eines Oliver Geißen, als Dokumentation, Feature, intime Talkrunde. Es gibt diese Formen nicht im RTL-Programm, um Geschichten aus der Geschichte zu erzählen, es muss alles so sein wie immer, und die Quoten geben, wie man so schön sagt, RTL Recht.

Und es sind nicht nur die Shows: Auch für Geschichten aus dem Leben gibt es bei RTL nur noch eine einziges Genre. Ob die „Super-Nanny“ hilft oder „Rach, der Restauranttester“ kommt, ob Ausreißer gesucht oder Schulden getilgt werden: Erzählweise, Dramaturgie, Tonfall sind immer gleich.

Vielleicht ist das kein Zufall bei einem Sender, der von Anke Schäferkordt als Buchhalterin verwaltet wird. Sie hat gestern der „Süddeutschen Zeitung“ eines ihrer typischen Interviews gegeben, denen man nie anmerkt, ob sie überhaupt ein einziges Programm ihres Senders jemals gesehen hat, geschweige denn so etwas wie Leidenschaft dafür entwickelt hätte. „Was uns auszeichnet, ist unsere Vielfalt“, sagt sie, und auf die Frage, was das kommerzielle Fernsehen der Gesellschaft gebracht habe, antwortet sie: „Vielfalt, Qualität und Wettbewerb, der wach hält.“

Natürlich sagt sie auch den Satz, den alle Fernsehmanager als Mantra gewählt haben: „Wir haben die vielfältigste und qualitativ stärkste Fernsehlandschaft weltweit.“ Leider werden die Schäferkordts nie dazu aufgefordert, diese Behauptung zu begründen und zu erklären, inwiefern zum Beispiel das britische oder amerikanische Fernsehen eintöniger und schlechter wäre. In der „Süddeutschen“ konnte die RTL-Chefin sogar sagen: „Wir haben ein Vollprogramm und bieten in großem Umfang Informationsformate an“, ohne dass der Interviewer sie darauf hinwies, dass ihr Sender die Zuschauer zwischen 19.05 Uhr und 22.15 Uhr an keinem Tag der Woche mit auch nur einem einzigen Informationsprogramm behelligt.

Dabei wäre es so leicht: Oliver Geißen könnte in der Prime-Time die „Ultimative News-Show“ präsentieren, in der Günther Jauch, Rosi Mittermaier, Atze Schröder und Aleksandra Bechtel kurze Clips von aktuellen Neuigkeiten launig kommentieren und Peter Kloeppel als regelmäßiger Gast gelegentlich Faktenbroken einwirft. Vom Sofa aus, klar.

Dschungeltagebuch: Die Kakerlaken sind optional

Am Ende wird’s dann wieder auf die armen Kakerlaken geschoben. Als könnten sich die Bewohner des RTL-Dschungelcamps mehr zum Deppen machen als mit den lächerlichen Posen, die sie – ganz ohne das Zutun von Krabbeltieren – gleich im Vorspann eingenommen haben:



Man möchte sich gar nicht ausmalen, ob es grausame Produzenten sind, die dem Eisläufer Norbert Schramm dann vom Regieplatz zurufen: „Herr Schramm? Können Sie nicht mal die Schlittschuhe so seitlich hochhalten und dabei ganz… äh… offensiv in die Kamera gucken?“ – oder ob Norbert Schramm die Schlittschuhe gleich selbst mitgebracht hat, um vorzuschlagen, dass das doch eine tolle Idee wäre, wenn er sie für die Film- und Fotoproduktion so lustig hochhalten könnte.

Man kann sie in den Augen der Kandidaten sehen, die verzweifelte Hoffnung, dass sich die Teilnahme an dieser Sendung lohnen möge, finanziell, aber vor allem in Form von Aufmerksamkeit, dass es hinterher wieder Kameraleute und Produzenten gebe, für die man sich in alberne Posen werfen darf, für die sie alles tun würden, nur um nicht vergessen zu werden. Was für ein abwegiger Gedanke, dass es ekliger ist, dafür in den Dschungel zu gehen und noch lebendes Getier zu essen, als der geifernden Meute von „Bunte“ & Co. abwegige Privatgeschichten zu liefern oder sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Kopfschmerzen von den Augen wegoperieren zu lassen. Das Schöne an dieser Show ist aber auch, dass man den Teilnehmern, wenn die Zeit doch lang wird im Dschungel und die Zumutungen härter, dann anders als bei ihren sonstigen PR-Bemühungen dann ansehen kann, wie sie an ihrer eigenen Rechnung zweifeln und sich fragen, ob es das wert war.

Irgendwie schaffen es die Produzenten von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, dass die Teilnehmer, die sonst auch nicht zögern, sich in irgendeiner Hinsicht öffentlich auszuziehen, jetzt schon nackter dastehen als je zuvor – dafür braucht es weder einen Paul Sahner noch Kakerlaken: Noch im Luxushotel verlor Giulia Siegel die Fassung, weil ihr Papi ihr einen riesengroßen Blumenstrauß geschickt hatte. Ihr Papi! Einen riesengroßen! Blumenstrauß! Später fügte sie den ganz anders, aber genauso entlarvenden Satz hinzu: „Auch wenn ich einen Müllsack anhabe, ist es irgendwo sexy“, während Peter Bond seiner Frau eine einmalige Liebeserklärung machte:

„Ich bin ja verliebt. Und für mich ist meine Frau momentan die Schönste. Das heißt aber nicht, dass es nicht zu einer Situation kommen könnte im Camp, wenn jemand dabei ist, der einem gefällt, gar keine Frage, das kann durchaus passieren.“

Norbert Schramm übte sich in der Kunst der Selbstanalyse: „Normalerweise bin ich Einzelkämpfer. Auch als Eiskunstläufer war ich Einzelläufer.“ Der Preis für die rührendste Realitätsverleugnung aber ging in der ersten Folge an Günther Kaufmann, der nach überraschend frühen erste Zickereien zwischen den Kandidaten scheinbar ehrlich besorgt in die Kamera sprach: Lästern? „Dafür haben wir im Dschungel keine Zeit!“

Was die Produzenten auch schaffen: dass der Qualitätsabstand der Sendung selbst und der Berichterstattung über sie immer größer wird. Während sich ungefähr alle anderen an einem gewaltigen Feldversuch beteiligen, ob es irgendwann einen Punkt gibt, an dem niemand mehr kichert, wenn jemand einen naheliegenden Witz über den Nachnamen des Models Nico Schwanz macht, haben die Gagschreiber der Sendung die, jawohl, Latte gleich höher gelegt und Dirk Bach mit einem Schlechten-Wortspiel-Straf-Sparschwein ausgestattet. (Was seine Moderationspartnerin Sonja Zietlow natürlich mit den Worten kommentierte: „Hätten wir doch lieber Hans Eichel mitnehmen sollen.“)

Die Werbekunden meiden die Show offenkundig noch immer, aber Presse und Online-Medien haben die Empörungsberichterstattung der vergangenen Jahre längst durch eine hemmungslose flächendeckende Dokumentation der Ereignisse im Haus ersetzt, mit Bildergalerien, schlichtesten Nacherzählungen des Geschehens und plumpsten Kandidatenbeschimpfungen, was die kommenden zwei Wochen vermutlich für viele Dschungelmuffel hier im Land zu einer größeren Tortur machen wird als für die im australischen Urwald bei Reis und Bohnen ausharrenden Kandidaten.

Aber der Gedanke, dass das Eklige an dieser Show die Kakerlaken seien, ist nun wirklich abwegig.

Die Winterkatastrophe der ARD

Es gibt Tage, da ist die Nachrichtenlage so krass, dass nur eine Organisation wie die ARD mit ihrer föderalen Struktur und ihrer Informationskompetenz ihr angemessen Herr werden kann.

Gestern war so ein Tag, wo einiges zusammen kam. Gestern war es nämlich ganz schön kalt in Deutschland, weshalb das Erste sein Programm änderte und um 20.15 Uhr, nach der „Tagesschau“, einen „Brennpunkt“ sendete. Es war aber auch in Hessen ganz schön kalt, weshalb das Hessen-Fernsehen sein Programm änderte und um 20.15 Uhr, nach der „Tagesschau“, ein „Hessen-Extra“ sendete. Und zu allem Überfluss war es auch in Nordrhein-Westfalen ganz schön kalt, weshalb der WDR sein Programm änderte und um 20.15 Uhr, nach der „Tagesschau“, ein „WDR-Extra“ sendete. (In Berlin und Brandenburg war es zwar auch ganz schön kalt, aber der RBB ließ sich aus irgendwelchen Gründen Zeit bis 21 Uhr, bis er sein Programm änderte und ein „RBB-Spezial“ sendete.)

Der „Brennpunkt“ im Ersten kam vom MDR. Wahrscheinlich weil in seinem Sendegebiet der Ort Oderwitz liegt, in dem es noch kälter war als an all den anderen schon ganz schön kalten Orten. Eventuell aber auch nur, weil der ehemalige ZDF- und Sat.1-Nachrichtenmann Thomas Kausch endlich auch mal einen „Brennpunkt“ moderieren wollte. (Womöglich gab es sogar einen ARD-internen Losentscheid oder eine Kampfabstimmung und der WDR und der HR haben einfach bockig ihre eigenen Sendungen ausgestrahlt, obwohl sie unterlegen waren.)

Eigentlich müsste Radio Bremen noch gute Karten gehabt haben müssen, den „Brennpunkt“ veranstalten zu dürfen, denn die dortige Müllabfuhr meldete, dass der Müll in den Tonnen festfriere, was sich als die dramatischste Nachricht dieser Sondersendung herausstellte.

Aus Dippoldiswalde, wo es auch ganz schön kalt war, vermeldete ein Reporter: „Auch der Bürgermeister war überrascht, dass ausgerechnet seine Stadt vergangene Nacht zu den kältesten gehörte.“ Es gebe aber, erklärte besagter Bürgermeister, keine Probleme mit irgendwelchen Leitungen. In einem Ort namens Langewiesen fiel das Gas aus, weshalb es keine Brötchen gab, was einige seiner Kunden, wie der Bäcker berichtete, nicht so gut fanden.

ARD-Reporter berichteten vom Hamburger Flughafen, dass hier routinemäßig Flugzeuge enteist würden, und vom Frankfurter Flughafen, dass es kaum Verspätungen gebe. Der Kapitän eines Eisbrechers auf der Elbe murmelte unbeeindruckt an der Kamera vorbei: „Ja, es ist schon mehr Eis als in den letzten Jahren.“ Moderator Thomas Kausch selbst konnte immerhin beisteuern, dass sein Zug von Berlin nach Leipzig auf freier Stecke stehen geblieben sei, weil der Lokführer die Scheibe freikratzen musste.

Die ARD schaltete schließlich live an die Raststätte Osterfeld an der A9 für einen Lagebericht. „Die Situation ist relativ gut“, meldete der Reporter. „Der Verkehr rollt.“ Die Brummi-Fahrer hätten ihm erzählt, dass er sich keine Sorgen um sie machen müsse („Standheizung!“), und ein Polizist, den der Reporter noch ins Bild zog, vermutlich in der Hoffnung, dass er von einem schlimmen Chaos wusste, das ihm bislang entgangen war, erklärte punktum, es habe „recht wenig“ Unfälle gegeben und es würden auch nicht mehr werden, wenn es kälter wäre.

Der WDR hingegen hatte – wie sich herausstellte – sein Programm offenbar deshalb kurzfristig geändert, um seine Zuschauer über die Möglichkeiten zu informieren, dass man auf diesem Eis, das man jetzt überall findet, Dinge tun kann. Schlittschuhlaufen zum Beispiel. Die Außenreporterin machte das auf einer sogenannten Eisbahn einmal vor und ließ sich dabei gründlich von einem Mann beraten, der diese Betätigung offenbar schon mehrmals erfolgreich durchgeführt hatte: Leicht vornüber beugen müsse man sich, war sein Tipp, weil: Man fällt besser nach vorne, auf alle Viere, als nach hinten. Als Alternative bietet sich offenbar sogenanntes Eisstockschießen an. Aber „die Königsdiziplin“, meldeten die Nachrichtenleute des Westdeutschen Rundfunks, „bleibt das Schlittenfahren.“ Es handelt sich, wie man vielen Aufnahmen entnehmen konnte, um einen Spaß für Jung und Alt, vor allem aber für Jung, was der Reporter mit den Worten kommentierte: „Wenn sie groß sind, können diese Kinder sagen: Damals, da gab es noch richtige Winter.“

Die Kollegen aus Hessen hatten richtige Opfer der kalten Witterung gefunden. Einen Mann zum Beispiel, der nur dachte, dass seine Autobatterie leer wäre, in Wahrheit aber vergessen hatte, beim Anlassen, wie durch die Automatik vorgeschrieben, das Bremspedal zu treten! Eine Art Grinsekater moderierte die Sondersendung, auf die der HR schon während der „Tagesschau“ mit einer Laufschrift hingewiesen hatte – vermutlich, damit niemand auf die Idee kam, sich diesen blöden „Brennpunkt“ im Ersten über das kalte Wetter anzusehe. Jedenfalls begann der Grinsekater die Sendung mit den Worten: „Was ist das kalt draußen! Und selbst im Haus muss man die Heizung voll aufdrehen, wenn man es kuschlig warm haben will.“ Ja.

Die Nachrichtenlage war auch hier unüberschaubar. Ein Mann ist irgendwo gestürzt und hat sich den Oberschenkel gebrochen. Irgendwo anders sind Wasserrohre eingefroren. „Zahlreiche Pendler kamen heute zu spät zur Arbeit.“ Bei Autounfällen kam es zu „Blechschäden“. Der HR fragte bei einem KFZ-Mechaniker nach, was eigentlich die Ursache für solche Unfälle ist. Er antwortete: „Meist, weil die Leute nicht vorsichtig fahren.“ Ein Meteorologe des HR sagte versehentlich, dass es gestern teilweise bis minus 23 Grad kalt war und der historische Rekord bei minus 27 Grad liege (die Sendung hieß: „Kälterekord in Hessen“). Und dann schaltete das HR-Fernsehen live in die Rhein-Main-Therme, wo ein Außenreporter berichtete, dass es auch dort ganz schön kalt sei, aber warmes Wasser gebe. Für eine zweite Schaltung war er sogar in die Sauna gegangen (die ganze Sendung verzögerte sich, bis er endlich angekommen war), um von dort zwischen halbnackten Körpern den Zuschauern zu sagen: „Schauen Sie sich das mal an, was Sie machen können, in den nächsten Tagen, wenn Ihnen warm werden soll.“

Vorteil dieser Live-Aufnahmen war immerhin, dass sie nicht gerade vorher schon zu sehen waren, in der „Hessenschau“, wie Teile der Straßenumfrage, die der HR durchgeführt hatte und zum Ergebnis kam, dass es die Menschen ganz schön kalt fanden.

Der RBB recylete dafür in seinem „RBB-Spezial“ die Reportage von dem „Kältebus“, der durch Berlin fährt und Obdachlosen hilft und im „Brennpunkt“ schon gewürdigt worden war. „Eiskalt erwischt – Berlin und Brandenburg im Dauerfrost“, hieß die Sendung hier, die mit der Standardklage aller Neurodermitis-Geplagten aufwartete: „Ohne Kratzen ging heute gar nichts.“ Die Nachrichtenlage sonst: Die Zahl der Unfälle ging deutlich zurück, der Braunkohletagebau verläuft „noch“ „problemlos“. Eine Straßenumfrage ergab, dass ein Mann fast ausgerutscht wäre und ein anderer sicherheitshalber das Auto hat stehen lassen.

Ein Außenreporter und eine Meteorologin berichteten live von der Lage an der Friedrichstraße, wo die Temperatur innerhalb der letzten Stunde von minus drei auf minus vier Grad gefallen sei. Die Moderatorin sagte, man werde später, in der regulären Nachrichtensendung, noch einmal zu den beiden schalten.

In der Sauna ist es wärmer als draußen

Drei Sondersendungen gleichzeitig hat die ARD gestern nach der „Tagesschau“ zum kalten Wetter ausgestrahlt. Der ARD-„Brennpunkt“ schaltete live zur Autobahnraststätte Osterfeld, wo ein Reporter berichtete, dass es keine Probleme gebe:

Das „Hessen Extra“ (Video) schaltete live in eine Sauna, wo ein Reporter herausfand, dass es dort viel wärmer sei als draußen:

Und ein „WDR-Extra“ schaltete live zu einer Eisbahn, wo eine Reporterin ausprobierte, was es mit diesem Schlittschuhlaufen auf sich hat, von dem man jetzt so viel hört:

(Der RBB schaltete erst, als die anderen fertig waren, in seinem „RBB-Spezial“ live zur Friedrichstraße, wo der Reporter meldete, dass die Temperaturen von minus drei auf minus vier Grad gesunken seien, die Bevölkerung auf diese Entwicklung aber erstaunlich gelassen reagiert habe.)

Das muss sie sein, die berühmte Informationskompetenz der ARD: an einem Abend gleich vier Programme kurzfristig ändern, um um die Wette Straßenumfragen zu machen und mit dem Aufwand, der einem Terrorangriff angemessen wäre, zu melden, dass es ein unspektakulärer kalter Tag war in Deutschland.

Die ganze Geschichte habe ich im Fernsehblog auf FAZ.net aufgeschrieben. (Und wo ich schon bei Werbung in eigener Sache bin, würde ich Ihnen da auch noch Peers Beobachtungen, wie die Kälte ins ZDF- und RTL-Programm einzog, ans Herz legen und meine Bildergeschichte über den sympathischen Raben, der sich von Uri Geller nicht verbiegen ließ.)