Monat: April 2011

Hans-Ulrich Jörges

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Vermutlich arbeitet die ARD schon daran, die Kritik an der Flut der Talkshows dort zu behandeln, wo sie hingehört: in den Talkshows. Das Erste könnte zum Start von „Günther Jauch“ im Herbst eine ganze Themenwoche mit täglichen Gegen-den-Talk-Talks veranstalten und dem prominenten Talkshow-Kritiker Hans-Ulrich Jörges darin einen festen Platz geben.

Jörges hatte Ende vergangenen Jahres in seiner Kolumne im „Stern“ bemängelt, dass „die Talks wie ihre Diskutanten durch kollektiven Verschleiß und Übersättigung des Publikums gefährdet sind“. Eingeladen würden, formulierte er salopp, nur noch Gäste, die salopp formulieren und „auf den Pudding hauen“. Die überdrehte Zuspitzung, der Zwang zu „noch griffigeren, populäreren, quotenbaggernden Fragestellungen“, sei dabei eine Gefahr für die Politik, weil sie dem „Gelingen keine Chance mehr gibt“, schrieb Jörges — vermutlich aus dem Taxi auf dem Weg vom „Presseclub“ zu „Anne Will“ — unter der Überschrift „Oraler Overkill“.

In dieser Woche war er wieder einmal zu Gast bei „Hart aber fair“ und sagte, dass der noch nicht einmal gewählte FDP-Vorsitzende Philipp Rösler wohl keine Chance hat. Er fragte puddingverachtend, ob „die FDP nur auf Standby ist oder sich ausgeschaltet hat“. In seinen jüngsten Kolumnen hatte er schon nüchtern resümiert: „Alles scheint sich aufzulösen.“ Dies könnte „das Ende des Parteiensystems sein, das wir kennen“. Die Stimmenthaltung Deutschlands im Weltsicherheitsrat zur Libyen-Resolution sei der „erste Schritt in den Neutralismus“ und „politische Selbstzerstörung“. Über seinem jüngsten „Stern“-Text steht: „In ihren Armen das Kind war tot“, wobei die Arme Angela Merkel gehören und das Kind die FDP ist.

Man ahnt, warum Menschen, die glauben, dass „Guido über Bord, Boygroup an Deck“ ein guter Titel für eine politische Gesprächssendung ist, auch glauben, dass Hans-Ulrich Jörges ein guter Gesprächspartner ist. Am Mittwoch erklärte er — mit dieser Aura von jemandem, der ganz genau weiß, wie der Betrieb in Berlin funktioniert — dass die Vorgänge in der FDP zeigten, wie brutal es in der Politik zugeht. Das verwunderte den ebenfalls anwesenden Generalsekretär Christian Lindner, der sich keine Minute zuvor für das vermeintlich „Kuschelige“ an dem „Putsch“ in seiner Partei rechtfertigen musste und nicht ganz zu unrecht fragte, ob man sich nicht vielleicht für einen der beiden Vorwürfe entscheiden müsse.

Die Frage brachte Jörges nicht einmal für eine Nanosekunde aus dem Konzept. Aber wer weiß, vielleicht schreibt er schon an seiner nächsten Kolumne, in der er die Betriebsblindheit deutscher Kolumnisten anprangert.

Riekelhaft

Als langjährige „Bunte“-Chefredakteurin weiß Patricia Riekel sicher, dass sie bei der Berichterstattung über den Prozess gegen Jörg Kachelmann den Wahnsinn von Alice Schwarzer nicht übertreffen kann, so sehr sie sich bemüht. Schwarzer könnte inzwischen selbst in der Farbe der Kniestrümpfe des Moderators einen Beleg für seine Frauenverachtung finden (und zwar unabhängig von der Farbe).

Diese Woche warf Schwarzer ihm vor, geheiratet zu haben. Die Eheschließung „ausgerechnet jetzt“ sei:

eine weitere Ohrfeige für die zahlreichen Frauen, die Kachelmann über Jahre miteinander betrogen hat. Und die nun auch noch öffentlich gedemütigt sind. Denn trotz alledem hatte sich die eine oder andere noch immer Hoffnungen gemacht …

So gemein ist dieser Kachelmann. Macht den Frauen nicht einmal mehr falsche Hoffnungen.

Eines, schließt Schwarzer am Ende ihrer „Bild“-Kolumne, sei klar:

Diese erneute Heirat macht den der Vergewaltigung Angeklagten noch lange nicht zum Biedermann.

Nein, noch lange nicht. Dazu müsste er mindestens noch drei, vier, fünfmal heiraten.

An Beklopptheit, weiß Patricia Riekel sicher, kann sie ihre Konkurrentin bei der Jagd auf Jörg Kachelmann nicht schlagen. Aber vielleicht an Perfidie. In ihrem Editorial in der aktuellen Ausgabe der „Bunte“ legt sie sicherheitshalber schon mal weit vor.

Ihr Text beginnt so:

Von Männern im Gefängnis weiß man, dass sie auf einen bestimmten Typus Frau eine seltsame Anziehungskraft ausüben. Psychologen erklären dieses Phänomen mit der Faszination des Bösen und einem weiblichen Helfersyndrom. Jörg Kachelmann ist nicht verurteilt, nicht in Haft, aber angeklagt, eine Freundin vergewaltigt zu haben – was er bestreitet. Überraschend viele Frauen sympathisieren mit ihm (…).

Die Abfolge dieser Sätze ist faszinierend. Ich dachte erst, das liegt daran, dass sie Kachelmann so subtil als bösen Straftäter darstellen. Aber in Wahrheit liegt die Faszination, ganz im Gegenteil, in der Effektivität und Brachialität ihrer Unlogik.

Es klingt etwa wie die unlösbare Textaufgabe einer Klassenarbeit:

Kinderschänder haben oft einen Bart. Günther ist kein Kinderschänder, hat aber einen Bart. Was können wir aus dem, was wir über Kinderschänder wissen, über Günther sagen?

Riekel weiter:

Überraschend viele Frauen sympathisieren mit ihm, obwohl im Prozess bekannt wurde, dass er über Jahre hinweg Frauen täuschte, mehrere Beziehungen gleichzeitig unterhielt, ohne dass die Betroffenen dies wussten. Das ist zwar strafrechtlich nicht relevant, lässt ihn aber auch nicht in angenehmem Licht erscheinen.

Ich weiß nicht, wie viele Frauen mit Jörg Kachelmann „sympathisieren“, und ich weiß nicht, woher Frau Riekel es weiß. Aber kann es sein, dass diese Sympathie, oder sagen wir besser: ein gewisses Mitgefühl, daher kommen könnte, dass man nicht weiß, ob dieser Mann vielleicht unschuldig ist, aber trotzdem jedes Detail seines Liebeslebens öffentlich durchleuchtet wird? Dass viele Frauen, anders als Frau Riekel, noch ein Gefühl für Anstand haben, das Mitgefühl auch mit jemandem erlaubt, der vielleicht ein menschliches Arschloch ist? Die nicht mal eben so in einer läppischen Zwar-Aber-Konstruktion einen Zusammenhang herstellen zwischen dem, was einen Mann unsympathisch macht, und dem Vorwurf, er sei ein Vergewaltiger?

Nun hat der 52-jährige Wetterexperte eine Studentin geheiratet, halb so alt wie er. Eine Hochzeit, die zu Spekulationen verleitet. Der Zeitpunkt wirkt klug gewählt, das Urteil im Vergewaltigungsprozess soll demnächst gefällt werden. Könnte es nicht sein, dass Kachelmann einen Hintergedanken hatte? Er dem Gericht beweisen wollte, dass er sich geändert hat, dass er sehr wohl einer Frau treu sein kann?

Wirklich? Deutsche Gerichte glauben: Ui, der Mann hat geheiratet, dann wird er ja wohl treu sein? Gut, ich kann das nicht ausschließen.

Als Prozessbeteiligte

Äh, nein, Verzeihung.

Als Prozessbeobachter fragt man sich auch, warum sie ihn geheiratet hat? Einen Mann, der Frauen belog und betrog. Der bizarre Sexpraktiken schätzte, wie einige seiner Geliebten vor Gericht aussagten. Dem es offenbar um Dominanz und Unterwerfung ging.

Nun mag es sein, dass die junge Frau Jörg Kachelmann mag, obwohl er bizarre Sexpraktiken schätzt. Die Möglichkeit, dass sie gerade das auch an ihm schätzt, ist in der kleinen Gedankenwelt der „Bunte“-Chefredakteurin offenbar nicht vorgesehen. Würde aber auch der beabsichtigten Dämonisierung Kachelmanns im Weg stehen, denn Riekel schreibt weiter:

Aber böse Buben haben nun mal ihren eigenen Charme. Und zu dieser Gattung Mann gehört für mich auch Kachelmann.

Das ist auf eine plumpe Art fast schon elegant. Oder wissen Sie jetzt, warum Kachelmann für Riekel ein „böser Bube“ ist? Weil er Dinge im Bett macht, die ich mir bei Frau Riekel nicht vorstellen möchte? Weil er Frauen betrogen hat? Oder weil er nach ihrer Überzeugung doch ein Vergewaltiger ist?

Gefängniswärter nennen übrigens Frauen, die sich zu Inhaftierten hingezogen fühlen, „Rotkäppchen“! Weil sie auf den „bösen Wolf“ hereinfallen und an seine Unschuld glauben. Dahinter steckt der Wunsch, „gebraucht“ zu werden, einen gefährlichen Mann „zähmen“ zu können, und der Kick der Gefahr, der von solchen Typen ausgeht.

„Hereinfallen“, „ein gefährlicher Mann“, „der Kick der Gefahr“… Spricht Riekel hier noch vom „bösen Wolf“ (der bekanntermaßen tatsächlich die Großmutter gefressen hat), von einem archetypischen inhaftierten Straftäter oder schon wieder vom nicht inhaftierten, nicht verurteilten Jörg Kachelmann? Man weiß es nicht, man soll es auch nicht wissen. Es verschwimmt alles. Und die Frage, ob der Moderator nun tatsächlich eine Frau vergewaltigt hat, wird in der üblen Melange, die Patricia Riekel anrührt, zum nebensächliches Detail: Der Mann ist unsympathisch, böse, pervers — dass so einer mit Gewalt eine Frau zum Sex zwingen würde, scheint einerseits naheliegend, andererseits aber auch fast schon egal.

Selbst wenn wir im Fall Kachelmann von wahrer Liebe ausgehen – es mag der jungen Frau Kachelmann ein gewisses Hochgefühl verliehen haben, dass unter all den Frauen, denen bisher seine Zuneigung galt, sie diejenige ist, die am Ende auserwählt wurde. Ach, ich wünsche ihr aufrichtig, dass sie von ihm nie enttäuscht wird wie einige andere, die vor Gericht unter Tränen aussagten …

… oder die, die von der „Bunten“ 50.000 Euro dafür bekam, vorher noch in einer schmierigen Illustrierten ihre Geschichte zu erzählen, möglicherweise — was vor Gericht gerade diskutiert wird, aber natürlich nicht in Patricias Riekels „Bunten“ — ein bisschen aufgepeppt für das viele Geld.

Die „Bunte“ ist ein Beleg dafür, dass Printjournalismus dem Internet überlegen ist. Man wüsste sonst nicht, wohinein man sich übergeben sollte.