Schdefan, a griminelle Vereinigung

Wer Tierdokumentationen mag, kennt diesen Nervenkitzel: Man sitzt vor dem Fernseher und sieht diesen Tiger/eine Klapperschlange/eine Hornisse und beobachtet, wie sie sich langsam aber doch einem Gegner in freier Wildbahn nähert. Der Atem stockt, Aufregung: Was wird passieren, wer wird verletzt und wer frisst wen?

Noch mehr Nerven kostet eine solche eine Auseinandersetzung allerdings dann, wenn sich das jeweilige Tierchen sichtbar unbeholfen an den falschen Gegner heranwagt – und dann mit aller Konsequenz scheitert.

Ganz ähnlich verhält es sich hier. Aber es ist lustiger.

(Dank gilt Dirk, dem Hinweisgeber!)

Von sozialen Netzwerken & sozialem Kapital

Dass und wie Online-Grassroots-Aktivismus funktioniert, das kann man dieser Tage weltweit beobachten – in Berlin genauso wie in Teheran und ganz ähnlich vor einigen Wochen auf Madagaskar.

Welche Veränderungen des Mediensystems welche Konsequenzen haben und was da eigentlich genau passiert mit Sender und Adressat, das fasst der US-amerikanische Internettheoretiker und Mediendozent Clay Shirky in seinem aktuellen TED-Vortrag in knappen 17 Minuten eindrucksvoll zusammen.
Auch wenn Shirky das so nicht sagt, sind Twitter und Facebook, in Hinblick auf die Verbreitung von Informationen, letztlich die Verwirklichung von Bertolt Brechts Radiotheorie: jeder Empfänger ist ein Sender.

Einen Aspekt allerdings, der dieser Tage ja auch bei allen Nachrichten aus Teheran zu bedenken ist, den übergeht Shirky in seinem ja vollkommen zu Recht – es ist ja wirklich alles so neu und aufregend! – euphorischen Vortrag: Es ist die Frage, wer denn da kommuniziert, welche Schicht ist das, welche sozialen und finanziellen Voraussetzung notwendig sind, um sich überhaupt an diesen Diskursen zu beteiligen und inwieweit diese Einflusskanäle den Eindruck, den man von der Öffentlichkeit bekommt, letztlich verzerren.

Denn bei aller berechtigten Freude über den Grassrootscharakter solcher Kampagnen: Es sind im Iran eben nicht die verarmten Bauern der abgelegeneren Provinzen, die auf Englisch über Twitter ihr Anliegen kommunizieren – so wenig, wie es in Deutschland die Arbeiter im Niedriglohnsektor sind, die Twitter, Facebook und Onlinepetitionen zur Durchsetzung des Mindestlohns nutzen.

Das schmälert weder das Potential noch die Faszination der neuen Medienlandschaft und der neuen Einflusswege – doch sollte der alte Marx mit seinem kommunistischen Manifest Recht behalten, dann hängen derzeit diejenigen, die in diesen neuen Strukturen das soziale Kapital haben, den Rest der Gesellschaft wieder einmal ab.

Die Rum-mein-medien

Manchmal kann man an Werbebotschaften dann eben doch einen Paradigmenwechsel ablesen.

Als 1993, und das ist heute tatsächlich eine kleine und in Mediendimensionen fast drei Ewigkeiten her, der „Focus“ erstmals veröffentlicht wurde, da war das große Versprechen von Helmut Markwort und Hubert Burda: Fakten, Fakten, Fakten.
Dieses Credo, und speziell die Art mit der es Helmut Markwort in den Werbespots für das Magazin wenig eitel in den Raum stellte, entsprach zwar nicht wirklich dem Leistungsumfang des Focus, der, wäre Werbung ehrlich, wohl eher mit „Grafiken, Diagramme, Tabellen“ hätte werben müssen. Aber dieses „Fakten, Fakten, Fakten“ war sehrwohl Ausdruck eines Bedürfnisses der Leserschaft, mit Tatsachen, Informationen, Wissen beliefert zu werden.
Wenn nun also Jakob Augsteins „Freitag“ sich selbstbewusst den Untertitel „Das Meinungsmedium“ auf die Fahnen schreibt, dann ist die These, der Strukturwandel der Öffentlichkeit hätte – wieder einmal – eine neue Richtung eingeschlagen, nicht so ganz abwegig.

Ein anderes Beispiel: Während in Journalistikseminaren noch immer fein säuberlich zwischen „informierenden Darstellungsformen“ und „meinungsäußernden Darstellungsformen“ unterschieden wird, kümmert sich das vermutlich einzige wirkliche Leitmedium des deutschsprachigen Internets um solche Petitessen nicht: Auf Spiegel Online werden Hintergrund und Urteil beinahe grundsätzlich gemeinsam serviert. Das hat durchaus Vorteile: Der mühsame Prozess, sich selbst eine Meinung zu bilden wird ebenso abgekürzt wie das oft ein wenig trockene Recherchieren und Referieren von Fakten und Inhalten. Gefällt das Ergebnis dem Leser nicht, kann der ja im Forum zur Gegenrede ansetzen – auch das ist durchaus erwünscht. Vielleicht findet sich ja auch noch ein Blogger, der sich aufregt – umso besser. Und ganz nebenbei kann ein Autor in einem Kommentar stets das gesamte Arsenal seiner Rhetorik auffahren und sprachlich brillieren – statt bloß aufzuschreiben, was eben der Fall ist.

Das Phänomen betrifft selbstverständlich nicht Spiegel Online allein: Quer durch die Presse zum anstehenden „Superwahljahr“ zieht sich etwa eine Berichterstattung an der sprichwörtlichen Oberfläche. Anstatt tatsächlich politische Analysen, so schwierig diese gerade aktuell auch sein mögen, zu versuchen, begnügen sich immer mehr Beobachter mit einer Art Stilkritik der Politik – man betrachtet die Inszenierung und mutmaßt über die Auswirkungen (hier beispielsweise auf Carta). Ja, das mag eben dabei herauskommen, wenn an den Journalistenschulen der Anteil an Theater-, Film- und Fernsehwissenschaftsabsolventen höher ist als jener der VWLer – führt aber zwangsläufig dazu, dass Politik tatsächlich nur noch als das betrieben wird, was kritische Journalisten dem Politischen ohnehin seit Jahren vorwerfen zu sein: ein Kasperletheater. Substanzielle Kritik, umfassende Recherche und Erläuterungen komplexer Sachverhalte? Fehlanzeige.

Einen strukturell artverwandten, vielleicht sogar prototypischen Fall aus England beschrieb Mercedes Bunz vor Kurzem in ihrem Blog: Da hatte Arnold Schwarzenegger, der Gouverneur von Kalifornien, unlängst angesichts der extremen finanziellen Engpässe, denen sich Kalifornien ausgesetzt sieht, den Vorschlag unterbreitet, die Schulen mögen doch bitte prüfen, inwieweit sie Schulbücher durch digitale Quellen ersetzen können, um freiwerdenden Finanzmittel in Lehrkräfte zu investieren. Nun mag man von der Idee halten was man will, viel interessanter sind hier die Reaktionen der englischen Presse:
•    Daily Mail : „Rise of the machines: Arnold Schwarzenegger terminates school book and tells pupils to go digital“
•    Financial Times: „School textbooks near digital doomsday“
•    Telegraph: „California’s ban on printed textbook“

Die Boshaftigkeit mit der da vermeintlich seriöse Berichterstattung die Realität so lange dreht bis „to terminate“ und „Schwarzenegger“ in der Überschrift nebeneinander stehen können, grenzt an Vorsätzlichkeit. Ganz ähnlich aufgebaut war das, was der Tagesspiegel-Autor Joachim Huber nach den Europawahlen über die Piratenpartei schrieb. In beiden Fällen schienen die Autoren keinen Deut informiert oder auch nur im Ansatz an Tatsachen interessiert zu sein. Man mag den Fall Schwarzenegger ./. englische Presse als Tiefpunkt einer anhaltenden Tendenz betrachten oder den Fall Huber ./. Piratenpartei als Fortschreibung eines Generationskonfliktes – Ausrutscher in einem sonst einwandfreien Systems sind diese Fälle allerdings eher nicht.

Woher kommt nun und wozu dient dieses Rumgemeine? Woher die Hinwendung zum Eindruck und woher das Zurücklassen der Faktenlage? Gerade wo gemeinhin konstatiert wird, dass die Zusammenhänge der Welt durch die Globalisierung von Wirtschaft, Politik und Lebensformen einerseits und durch die Individualisierung von Lebensläufen und Werten andererseits, zunehmen komplex geworden sei, scheint es so, als würde die Berichterstattung über diese immer komplexere Welt anstatt Schritt zu halten, bevorzugt meinungsstarke, einfache, schnelle Antworten geben wollen. Wo kurzfristige Aufmerksamkeit die einzige Währung ist, ist Wissen der expliziten, undifferenzierten Meinung bloß lästig. Dass der Lauteste nicht immer der Klügste ist, ist zwar altbekannt – ändert aber leider nichts daran, dass auch dem Dümmsten die volle Aufmerksamkeit zuteil wird, so er nur laut genug ist.

Wenn nun aber die Berichterstattung, egal ob nun in Blogs oder Zeitungen, die lästige Chronistenpflicht und das Handwerk des Verstehens und Erklärens zunehmend aufgeben und sich nur noch der Gegenrede widmen – auf welcher Grundlage soll dann geurteilt werden? Auf welcher Grundlage soll und kann ich als Leser mir tatsächlich: meine Meinung bilden? Oder anders gefragt: Wenn alle nur noch Meinungen anbieten – wo kann ich mich dann bitte informieren?

Urlaubsvertretung: Daniel Erk

Ich bin schon wieder urlaubsreif.

Was sich insofern ganz gut trifft, als ich ab morgen für zwei Wochen Urlaub mache.

In der Zwischenzeit übernimmt an dieser Stelle ein Mann, der von der Stadtillustrierten „tip“ im vergangenen Jahr zu einem der „100 peinlichsten Berliner“ gewählt wurde, was schon deshalb peinlich ist, weil Sascha Lobo nicht einmal in der Liste vorkommt. Er ist der „Hitlerblogger“ der „taz“, und ich habe ihn kennengelernt, als er einen ebenso klugen wie lustigen Vortrag namens „Das (kleine) Hitler-Diplom“ hielt.

Und wenn diese Sätze nicht geeignet sind, völlig unrealistische Erwartungen an Daniel Erk und das, was er hier in meiner Abwesenheit veranstalten wird, zu wecken, weiß ich es auch nicht.

(Schafcontent-Symbolfoto: Lukas)

Super-Symbolfotos (62)

Hö, werden Sie jetzt vielleicht fragen, was ist denn daran ein Symbolfoto? Das ist doch Miley Cyrus und womöglich stammt die Aufnahme sogar vom Tag nach kleines Mädchen.

Warten Sie, bis Sie den zugehörigen Bildtext gelesen haben:

In einer Pose wie dieser ließ sich Miley Cyrus für "Vanity Fair" von der Fotografin Annie Leibovitz ablichten.

Ist das nicht fantastisch? Üblicherweise stellen Symbolfotos abstrakte oder generische Begriffe dar oder Dinge, von denen es keine Aufnahme gibt. Dieses Symbolfoto aber symbolisiert ein anderes Foto: dieses hier.

Das ist einerseits bahnbrechend, andererseits mutlos. Konsequent wäre es natürlich gewesen, wenn der diensthabende Bildergalerienbefüller von „Spiegel Online“ zugunsten einer möglichst genauen Reproduktion der Pose auf die Posierende verzichtet hätte. Vielleicht lässt sich das ja nachträglich korrigieren — ich bin sicher, Lukas würde seinen Rücken zur Verfügung stellen.

Online first, Leser last

In den vergangenen Tagen könnte hier der Eindruck entstanden sein, die Arbeit professioneller deutscher Online-Medien bestehe vorwiegend darin, ungeprüft Agenturmeldungen durchzuschleusen. Dem ist natürlich nicht so.

Die „Berliner Morgenpost“ zum Beispiel hat in der vergangenen Woche auf ihrer Internetseite als Service die Information aufbereitet, welche Schulen in der Stadt wieviel Geld aus dem Konjunkturprogramm bekommen.

Und man muss sogar nur höchstens mehrere Hundert Male klicken, um die Zahl zu finden, die einen interessiert.






etc.

[eingesandt von CB]

Rechtsfreie-Zonen-Dialektik

(…) Im Internet darf es keine rechtsfreien Zonen geben. (…) Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben. (…)

(Resolution mehrerer deutscher Großverlage, darunter Axel Springer und
Gruner+Jahr, 8. Juni 2009.)

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Beim Amoklauf am 11. März haben Petra und Uwe Schill ihre Tochter Chantal verloren. Immer noch erleben sie, wie Medien und Bilderhändler über das Bild ihrer Tochter verfügen, das ein Schulfotograf im Jahr 2008 aufgenommen hatte. Der „Stern“ hatte sich das Foto beschafft. Später tauchte es in „Emma“ auf, und die Agentur „ddp“ bietet es immer noch zahlenden Kunden zum Abdruck an. (…)

Der „Stern“ hat schon viel Verstecktes ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, aber auf welchen Kanälen er Privatfotos von Mordopfern bezieht, das hält er geheim. Ein „Stern“-Fotoredakteur verweist auf seinen Chef. Der Chef verweist auf „die Chefredaktion“, ohne eine Telefondurchwahl herauszurücken. „Die Chefredaktion“ meldet sich am Telefon und erklärt, dass Anfragen nur schriftlich beantwortet werden. „Zu Quellen, die der Stern bei seinen Recherchen benutzt, sagen wir aus grundsätzlichen Schutzgründen nichts“, schreibt dann Katharina Niu im Auftrag der Chefredaktion.

Der „Stern“ ist unter Fotografen bekannt dafür, dass er immer den Bildnachweis abdruckt, den Fotografen und die Agentur nennt. Nur diesmal will die Chefredaktion denjenigen schützen, der die Bilder besorgt hat. Wovor eigentlich? Schämt sich jemand? Ist etwas illegal an diesen Bildern? (…)

Den Handel mit Bildern von Jugendlichen, die ermordet wurden, hält niemand auf.

(„Winnender Zeitung“, 30. Mai 2009.)