Was sich alles nicht vom Privatfernsehen auf ARD und ZDF übertragen lässt

Der „Spiegel“ berichtet in seiner aktuellen Ausgabe darüber, wie die einbrechenden Werbeerlöse dazu führen, dass die privaten Fernsehsender ihre Ausgaben zurückfahren müssen. Für ARD und ZDF seien das gute Zeiten, heißt es:

Weil sie sichere Gebührenmilliarden einnehmen, sind sie für Produzenten so attraktiv wie selten. Die würden ihm fast die Türen einrennen, sagt ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut. Aber manche Hoffnung, bei den Privaten abgelehnte Formate bei den Öffentlich-Rechtlichen unterzubringen, dürfte sich zerschlagen. Das wenigste lasse sich einfach von einem Privatsender auf öffentlich-rechtliches Fernsehen übertragen, meint Bellut.

Recht hat er. Welche Formate lassen sich schon einfach so vom privaten aufs öffentlich-rechtliche Fernsehen übertragen?

Die Daily Soap ist eine Ausnahme, wie „Marienhof“ und „Verbotene Liebe“ in der ARD beweisen (und der ZDF-Versuch, mit „Jede Menge Leben“ eine eigene Variante von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ im Programm zu etablieren, brachte es auch immerhin auf 313 Folgen).

Ach ja, und die Telenovela ist im Grund natürlich auch ein privates Format, macht sich aber gerade als „Sturm der Liebe“ (ARD), „Rote Rosen“ (ARD) und „Alisa – Folge deinem Herzen“ (ZDF) im öffentlich-rechtlichen Nachmittagsprogramm breit.

Sicher, die tägliche Quizshow wäre noch ein Gegenbeispiel, ein gewisser Jörg Pilawa hatte sie vor ein paar Jahren bei Sat.1 etabliert, kam aber dann damit ins Erste.

Logisch, die große Prime-Time-Quizshow mit Riesengewinnen muss man auch ausnehmen, wenn man die Show „CA$H – Das eine Million Mark Quiz“ kennt, mit der das ZDF 2001 auf den Erfolg von „Wer wird Millionär“ im ZDF reagierte.

Klar, das Konzept eines Boulevardmagazins ließ sich auch relativ mühelos von „Explosiv“ (RTL) auf „Brisant“ (ARD) und „Hallo Deutschland“ (ZDF) übertragen.

Und Castingshows natürlich, aus „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL, 2002) wurde ruckzuck „Die deutsche Stimme“ (ZDF, 2003).

Okay, und Doku-Soaps sind auch eine Ausnahme: Die RTL-Reihe „Papa gesucht“ läuft im ZDF unter dem Titel „Kleine Familie sucht große Liebe“, die RTL-Reihe „Unser neues Zuhause“ heißt in den Dritten Programmen von WDR und NDR „Frau Dr. Haus“ und das Konzept der RTL-Reihe „Rach der Restauranttester“ findet sich im NDR-Fernsehen unter dem Namen „Retten Sie unser Hotel!“

Richtig, Test-Shows müsste man noch nennen: Nachdem bei RTL von 2001 an „Der große IQ-Test“ lief, machte die ARD 2003 aus der Idee unter anderem „Pisa“ mit Jörg Pilawa und das ZDF 2007 „Wie schlau ist Deutschland“ mit Johannes B. Kerner.

Hach, und die Familientauschformate sind natürlich auch Ausnahmen, wie die ZDF-Sendung „Gottschalk zieht ein“ und die ARD-Variante „Hausbesuch“ bewiesen.

Und die Idee, im Talk am Sonntagabend so gegen zehn mit Politikern Woche für Woche die gleichen Themen durchzunudeln, die ließ sich auch ganz leicht vom privaten („Talk im Turm“, Sat.1, ab 1990) ins öffentlich-rechtliche („Sabine Christiansen“, ARD, ab 1998) Fernsehen übertragen.

Gut, und das Format der B-Promi-vor-Filmausschnitt-Shows, in denen unbekannte Menschen Dinge und Ereignisse kommentieren, möglichst verbunden mit irgendeinem Ranking, musste von den Vorbildern wie der „Ultimativen Chart-Show“ oder der „80er Show“ (beide RTL) auch nicht verändert werden, um endlos vervielfacht in den Dritten Programmen wie dem HR-Fernsehen Platz zu finden.

Aber von diesen wenigen Ausnahmen abgesehen, da hat Herr Bellut schon Recht, lassen sich wirklich die wenigsten Formate einfach vom Privatfernsehen auf öffentlich-rechtliches Fernsehen übertragen.

Charlie Brooker über Winnenden-TV

Gerade erst gesehen, dass sich auch der britische Fernsehkritiker Charlie Brooker in seiner BBC-Show „Newswipe“ der Berichterstattung über den Amoklauf von Winnenden vorgenommen hat.

Er zeigt unter anderem ein Interview mit dem Psychologen und Kriminologen Park Dietz, in dem der erzählt:

Seit 20 Jahren habe ich zu CNN und den anderen Medien immer wieder gesagt: Wenn ihr nicht dazu beitragen wollt, dass es weiterer Massenmorde gibt, fangt Eure Geschichten nicht mit dem Geheul der Sirenen an, zeigt keine Fotos des Mörders, macht daraus keine 24-Stunden-Live-Berichterstattung, vermeidet es soweit wie möglich, mit der Zahl der Toten aufzumachen, stellt den Mörder nicht als eine Art Anti-Helden dar, macht stattdessen aus der Berichterstattung eine lokale Geschichte für die betroffenen Gemeinden und macht den Fall so langweilig wie möglich für alle anderen Märkte. Denn jedesmal, wenn wir ausufernde, intensive Berichterstattung über einen Massenmord haben, erwarten wir ein oder zwei Nachahmungstäter innerhalb einer Woche.

So, wie Brooker die Sätze geschnitten hat, werden sie allerdings ungleich eindrucksvoller:

Ist es nicht erstaunlich, wie ein ganzer Berufsstand es kollektiv und grenzüberschreitend abzulehnen scheint, Verantwortung für die Folgen seiner Arbeit zu übernehmen?

[via Mind Hacks]

Faces In Places: New York

Es gibt im Internet diese schöne Tradition namens „Faces In Places“ mit Fotos von Gegenständen mit Gesichtern, zum Beispiel dem staunenden Türgriff, einem überraschten Gullideckel, einer sympathischen Steckdose oder zwei zurückhaltenden Lautsprecher-Zwillingen.

Andy und Carolyn London haben die Idee jetzt weiter gedreht und New Yorker Stadtmöbel zu Interviews mit New Yorkern animiert:


The Lost Tribes of New York City from Carolyn London on Vimeo.

Das ist schon sehr schön. Aber an die legendären Knetfiguren von „Creature Comforts“ kommt es natürlich nicht heran:

[via Andrew Sullivan]

Oliver Pocher

In der leider sehr erfolglosen Sitcom „LiebesLeben“ hatte Oliver Pocher vor ein paar Jahren einen Gastauftritt. Er spiele einen ebenso ehrgeizigen wie schlechten Stand-up-Komiker, der die beiden einzigen Gäste im Saal anfleht, nicht zu gehen. Das war auch deshalb lustig, weil man Pocher abnahm, dass ihm diese Rolle nicht ganz fremd war. Er war ein junger blasser Versicherungskaufmann, der bei „Hans Meiser“ eine Moderation bei Viva gewonnen hatte, und wild entschlossen war, so lange aufzufallen (und sei es unangenehm), bis er ein richtiger Fernsehstar sein würde.

Das hat er nun geschafft — auch wenn nicht ganz klar ist, wie aus dem polarisierenden, prolligen Nachwuchskomiker plötzlich der begehrteste Fernsehmoderator wurde — und es ist ein Problem. Denn Pochers Provokationen und sein respektloser Witz funktionierten, solange er der Underdog war, der vorlaute kleine Störer. Sein Bühnenprogramm hieß „Aus dem Leben eines B-Promis“, und auch neben Harald Schmidt konnte er ganz die Rolle des Lehrlings einnehmen, der dort eigentlich gar nichts zu suchen hatte.

Es ist ein Unterschied, ob man als kleine Wurst oder als großer Star auf den Satz, dass die ARD-Chefs einen ja halten wollten, blitzschnell antwortet: „Zu Recht!“ Und wenn eine kleine Nummer über Mario Barth ätzt, ist das so anmaßend, dass es lustig ist. Wenn es ein gleichrangiger Konkurrent tut, hat es einen unangenehmen Beigeschmack. Als Oliver Pocher in dieser Woche bei Kerner sagte: „Mario Barth hat Sprechverbot — das macht sein Programm auch nicht schlechter“ und Kerner nachfragte, ob da Neid auf den Erfolg des Kollegen mitschwinge, sagte Pocher ernsthaft, dass es dafür keinen Grund gebe — schließlich fülle er ja auch die großen Hallen.

Man muss den Auftritt bei Kerner gesehen haben, um zu ahnen, wie sehr Pocher die Rolle eines der Großen im Geschäft schon angenommen hat — und wie schlecht sie ihm steht. Er prahlte und klagte, was für einen Medienauflauf das gegeben hätte, wenn es in Erlangen zu einer öffentlichen Verhandlung gegen ihn wegen einer heftigen Geschwindigkeitsübertretung gekommen wäre. Und plötzlich klang es ganz eklig herablassend, wie er sich über die österreichischen Polizisten lustig machte, die ihn aus einem ähnlichen Grund angehalten hatten, aber erstens nicht so lustig waren wie er und zweitens Österreicher.

Es war leicht zu erkennen, bei wem sich Pocher die halbironische Über-Arroganz abgeguckt hat, mit der er jetzt alle von oben herab abwatscht (statt ihnen von unten gegen das Schienbein zu treten): Harald Schmidt. Vielleicht erklärt der ihm noch, dass die Pose nicht bei jedem funktioniert.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

RTL lässt Winnenden-Video löschen

RTL möchte lieber nicht, dass die Menschen sich ein Bild von der journalistischen Kompetenz des Senders machen können, und hat einen Ausschnitt aus „Punkt 12“ bei YouTube entfernen lassen. Er zeigte einen Teil der Live-Berichterstattung vom Amoklauf in Winnenden: Eine hoffnungslos überforderte Reporterin vor Ort plapperte aufgeregt von den vielen „blinkenden Lichtern“ und dem „Chaos vom Feinsten“.

YouTube teilte mir am Dienstagabend mit, man habe den Zugriff auf das Video deaktiviert, „da uns von RTL interactive GmbH gemeldet wurde, dass dieses Material eine Urheberrechtsverletzung darstellt“. Das war insofern überraschend, als RTL zuvor auch auf wiederholte Nachfrage beteuert hatte, man habe nichts damit zu tun, dass bereits eine frühere Fassung dieses Videos bei YouTube entfernt wurde. Das entsprach nicht der Wahrheit.

RTL-Sprecher Matthias Bolhöfer erklärte mir nun auf die neue Sperrung bezogen:

Es ist richtig, dass wir den Beitrag auf You Tube haben löschen lassen, um so die Urheber- und Nutzungsrechte zu schützen. Das ist ein ganz normales Prozedere — in diesem Fall auch vor dem Hintergrund, dass sich die „Panorama“-Redaktion in der vergangenen Woche offensichtlich via You Tube den Beitrag besorgt hat, um die Reporterin noch einmal öffentlich vorzuführen.

Natürlich geht es RTL nicht um die Urheber- und Nutzungsrechte (auf die der Sender ohnehin scheipfeift, wenn es darum geht, private Fotos zum Beispiel von Verbrechens-Opfern zu zeigen). YouTube ist voller Ausschnitte aus RTL-Sendungen, auch von „Punkt 12“, auch vom Tag des Amoklaufs, die der Sender nicht entfernen lässt. Und noch eine Woche zuvor hatte Bolhöfer mir gegenüber auch genau das bestätigt: RTL lasse nur Videos von einer Handvoll Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“ systematisch löschen.

Der Verweis auf den „Panorama“-Beitrag sagt alles: Der Ausschnitt, den das ARD-Magazin von dem RTL-Debakel zeigte, ist exakt 14 Sekunden lang. RTL glaubt, „Urheber- und Nutzungsrechte“ geltend machen zu können, um zu verhindern, dass eine selbstverständlich durch das Zitatrecht gedeckte 14-Sekunden-Szene bei der Konkurrenz erscheint.

Treffend ist hingegen die Formulierung, dass „Panorama“ die RTL-Reporterin „noch einmal“ öffentlich vorführte. Denn die ersten, die dies taten, waren die Möchtegernjournalisten des RTL-Magazins „Punkt 12“, die die Entscheidung trafen, dass so ein Amoklauf ein guter Anlass wäre, eine Frau ohne jede Erfahrung live ins Programm zu nehmen — und minutenlang auf dem Sender zu lassen und auch später, als der letzte im Sender gemerkt haben müsste, wie überfordert diese „Reporterin“ war, noch mehrmals zu ihr zu schalten.

Keine Frage, dass es nicht schön ist für die junge Frau, dass so öffentlich offenbar wurde, wie falsch ihre Berufswahl war. Aber bloßgestellt wird durch den Ausschnitt vor allem der Sender — und seine behauptete Informationskompetenz.

Und ich finde, damit muss er leben:

Sevenload: „Punkt 12 in Winnenden“

Nachtrag, 7. April. Dafür, dass RTL zunächst bestritten hat, solche Videos überhaupt zu löschen, sind sie inzwischen erstaunlich fleißig: Auch Sevenload hat den Film nun nach einem Einspruch des Senders gesperrt. Ich denk mir was aus.

Nachtrag, 21. April.

A Street View Named Desire

Die Leute glauben alles.

Zuerst ging heute die Meldung um die Welt, dass eine Frau die Scheidung eingereicht habe, weil sie auf „Google Street View“ den Wagen ihres Mannes entdeckte. Der stand vor dem Haus seiner Geliebten, während er eigentlich auf Geschäftsreise sein sollte.

Die „Sun“ berichtete unter der Überschrift „Google Cheat View“ — und diverse Medien schrieben die Geschichte unter Berufung auf die notorisch unzuverlässige britische Boulevardzeitung ab: „Golem“, „20 Minuten“, „Tagesanzeiger“, „Fox News“, „Österreich“.

Dann meldete sich ein Blogger, der sich „Idiot Forever“ nennt, und behauptete, alles nur erfunden zu haben. Er habe die „Sun“ reingelegt und ihr zwei E-Mails geschrieben. Eine, in der er sich als Bekannter der betrogenen Frau ausgab, und eine, in der er sich „Mark Stephens“ nannte und ihre Geschichte bestätigte. Zufällig sei der von ihm willkürlich gewählte Name „Mark Stephens“ auch der Name eines bekannten britischen Medienanwaltes, deshalb habe die „Sun“ den Fall begeistert aufgegriffen.

Und so macht sich neben der „Wie Google Street View eine Scheidung verursachte“-Geschichte jetzt auch die „Wie ein Blogger die ‚Sun‘ reinlegte“-Geschichte auf den Weg um die Welt, letztere naturgemäß noch mit geringerer Aufmerksamkeit („Anorak News“, „Golem“), dafür aber begeistert weitererzählt von Bloggern, die wissen, dass Medien ohnehin jeden Unsinn ungeprüft abschreiben.

Der Witz ist nur: Die zweite Geschichte ist falsch. Die „Sun“ verdankt ihre Meldung nämlich nicht irgendeinem gefälschten E-Mail-Hinweis; sie hat sie aus der „Times“. Dort erschien sie schon am vergangenen Donnerstag und verfasst hat sie tatsächlich: Der Anwalt Mark Stephens von der Kanzlei „Finers Stephens Innocent“.

Seine Erzählung erscheint mir zwar auch zweifelhaft, weil unklar bleibt, woher die Ehefrau wusste, vor wessen Haus sie gucken musste und wann das Foto gemacht wurde. Aber diese Ungereimtheiten müssten all die Medien, die diesen Fall irgendwie relevant für ihre Leser fanden, mit der „Times“ und Mr. Stephens ausmachen (wenn es ihnen nicht eh völlig egal wäre). Die „Sun“ jedenfalls ist nicht von einem Blogger reingelegt worden, ihre Meldung kein Fake.

Die traurigste Rolle in dieser ganzen Geschichte aber spielen die Leute von „Golem“, die ihre Nachrichten „IT-News für Profis“ nennen und erst die „Sun“-Geschichte brachten und dann als Update hinzufügten:

Nachtrag vom 31. März 2009, 14:07 Uhr
Inzwischen ist ein Blogger namens Idiot Forever aufgetaucht, der behauptet , er habe die Geschichte erfunden, um der Sun einen Streich zu spielen. Nachprüfen lässt sich für uns weder die eine, noch die andere Version.

Diese armen Journalisten sind gezwungen, Nachrichten zu veröffentlichen, von denen sie überhaupt nicht wissen, ob sie stimmen. Denn was sollen sie tun? Recherchieren?

Nachtrag, 0:40 Uhr. Oh je. Bei „Gulli“ hat man die eigene „Ehemann erwischt“-Meldung zum Thema um den Nachtrag ergänzt:

Offenbar sind wir mit dieser Story neben Golem und vielen anderen Medien auf einen hübschen Hoax reingefallen. Ein Blogger mit dem Namen „Idiot Forever“ soll angegeben haben, die Zeitung „The Sun“ verulkt zu haben, indem er den Redakteuren der Sun zwei gefakte E-Mails schickte. (…) Tja, eigentlich ist die Geschichte, so falsch wie sie ist, noch viel älter – die Times hat sie noch früher gebracht. Und obwohl erst morgen der April beginnt, fielen zahlreiche Newsticker auf die hybsche Zeitungs-Ente rein – unsere Gratulation an den findigen Blogger! Und vielen Dank an Mario Sixtus für den Hinweis!! (via Stefan Niggemeier, thx!)

Daran ist nun alles falsch. Noch einmal zum Mitlesen: Die Meldung aus der „Sun“ ist vermutlich keine Ente. Der Blogger, der behauptet, die „Sun“ reingelegt zu haben, sagt nachweislich die Unwahrheit. Anders gesagt: Der Hoax ist die Behauptung vom Hoax.

Permanent Error

Ich habe die Pause vom Gastbloggen genutzt, um mal mein Zimmer aufzuräumen.

Wenn man monatelang nur arbeitet und nicht aufpasst, wird so ein Arbeitszimmer zur unbeherrschbaren Halde, die bei Gewitter zu eigenem Leben erwacht und wie Hulk durch die Strassen zieht…

Berge bedruckter Papiere mussten bewegt werden. Bücher landeten kistenweise bei Oxfam. Soweit alles wie immer.

Neu ist die Menge an Technikschrott, die entsorgt werden muss. Die Krise sei eine Krise der Realwirtschaft geworden, heißt es doch immer, also der Sachen. Stimmt ja auch wörtlich: Irgendwie ist das Zeug seit einigen Jahren doch immer lütter geworden. Ich will nicht klingen wie der Manufactum-Katalog, aber ich habe eine Tüte voller Dinge aussortiert, die noch vor kurzem brandneu waren.

Da ist der digitale Recorder aus London, vergangenen Dezember im Kaufhaus meines Vertrauens kurz vor einem Interview besorgt. Nahm exakt ein Gespräch auf — das im Übrigen nicht viel taugte — dann ging er nie mehr an. Batteriewechsel brachte nichts, das ganze Dings war überhaupt aus so einem leichten Plastik… fühlte sich nach einem leeren Plastikfeuerzeug an. Mit Nostalgie dachte ich an das erste Gerät derselben japanischen Marke, das sehr teuer war und schwer und wie handgefertigt.

Gleich hinzu warf ich eine Digitalkamera, die eine Weile lang Bilder machte, dann einen permanenten Linsenfehler meldete. Einschicken und Reparieren lohnten sich nicht, die neuen Modelle waren dann schon wieder derartig billig geworden. Darauf rasselte noch eine Handvoll alter Mobiltelefone, bis es aussah wie ein Technikmuseum, das sich die letzten sechs Wochen zum Gegenstand erkoren hätte.

Der Müllsack erzählte eine eigene Geschichte: Investoren kaufen sich in eine Elektronikfirma ein. Sie drücken die Kosten bei den Zulieferern so, dass die Qualität gerade mal so eben ausreicht. Gefertigt wird es bei Minilöhnen weißgottwo von Menschen mit schwerem Herzen. Denn auch der Preis muss extraniedrig sein, sonst ist er ja nicht geil. Heraus kommt das, was nun am Grund der blauen Müllsäcke ruht, für immer offline.

Die digitalisierte Welt ist alles mögliche und sicher auch toll, aber eben auch: irreparabel.

DFB zwingt Jens Weinreich in die Knie

Jens Weinreich und der Deutsche Fußball-Bund haben ihren Rechtsstreit beigelegt.

Der Sportjournalist Weinreich erklärt, dass er DFB-Präsident Theo Zwanziger nicht in die Nähe eines Volksverhetzers rücken wollte, als er ihn einen „unglaublichen Demagogen“ nannte. Der DFB erklärt, dass er Weinreich nicht in seiner Arbeit behindern wollte, als er Lügen über ihn verbreitete (das mit den Lügen erklärt der DFB natürlich nicht).

Der DFB wird sein bislang erfolgloses Unterlassungsverfahren gegen Weinreich nicht weiter verfolgen. Und Weinreich wird nicht darauf beharren, dass der DFB die Gegendarstellung veröffentlichen muss, die er gerichtlich bereits durchgesetzt hatte.

Ich verstehe sehr gut, dass Jens sich auf diesen Vergleich eingelassen hat. Aber er bedeutet aus meiner Sicht, dass der DFB, der sowohl juristisch als auch publizistisch in dieser Auseinandersetzung bislang der klare Verlierer war, nun als Sieger vom Platz geht. Dass der Verband nicht einmal dazu gebracht werden konnte, eine Gegendarstellung gegen seine verleumderische Pressemitteilung über Weinreich abzudrucken, spricht Bände.

Die Zermürbungstaktik des DFB und seines Anwaltes (dessen Kanzlei in anderen Fällen auch mich vertritt) ist voll aufgegangen. In den vier Verfahren, die das ehemalige Call-TV-Unternehmen Callactive und ihr Geschäftsführer Stephan Mayerbacher gegen mich angestrengt haben (der mir neuerdings unaufgefordert Mails mit möglicherweise brisanten Dokumenten über angebliche Mauscheleien zwischen 9Live und der Bayerischen Landesmedienanstalt schickt), habe ich erlebt, wieviel Kraft, Zeit und Geld eine solche Auseinandersetzung kostet. Während ein Mann wie Theo Zwanziger einen ganzen Stab von Juristen und PR-Leuten kommandieren kann, um mit allen Mitteln seine Ehre und seinen Stolz zu verteidigen, ist für einen Freien Journalisten wie Jens Weinreich jede Verhandlung nicht nur mit Kosten, sondern auch mit Einnahmeverlusten und einer erheblichen psychischen Belastung verbunden.

Jens Weinreichs Bitte um Spenden hat eine verdiente und, wie ich finde, sensationelle Resonanz gefunden: Rund 860 verschiedene Menschen gaben insgesamt knapp 22.000 Euro. Das ist nicht nur, aber auch ein Beweis dafür, wieviel Solidarität im regelmäßig verfluchten Internet zu finden ist und ich bin ein bisschen stolz darauf, einen kleinen Beitrag dazu geleistet zu haben.

Aber letztlich ist es mit all dem Geld nicht getan. Es geht darum, immer wieder die Kraft aufzubringen, die Zumutungen und Drohungen der Gegenseite auszuhalten. Und es geht darum, für sich die Entscheidung zu treffen, ob man wirklich einen erheblichen Teil des eigenen Lebens mit einer so unproduktiven Auseinandersetzung verschwenden will, die man letztlich nicht gewinnen kann, egal wie sie formal ausgeht: Weil jeder Sieg so teuer mit eigener Energie erkauft ist, während die Gegenseite gelassen den Einsatz immer weiter erhöhen kann.

Wie gesagt: Ich verstehe die Entscheidung von Jens sehr gut, und vermutlich ist es sogar die richtige Entscheidung. Aber machen wir uns nichts vor: Der DFB hat durch den Vergleich klar gewonnen. Jedem Kritiker, der es wagen könnte, von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen und den DFB-Präsidenten in einer Form zu kritisieren, die ihm nicht passt, wird es eine Warnung sein.

Nachtrag. Auch lesenswert: Alexander Svenssons Interpretation des Vergleichs, die sich eigentlich nicht so sehr von meiner unterscheidet, aber einen deutlich positiveren Tenor hat.

Niemandem Rechenschaft schuldig

Ich würde nie behaupten, dass Thomas Osterkorn und Andreas Petzold, die Chefredakteure des „Stern“, zynische Arschlöcher seien. Aber nett wie ich bin, wollte ich ihnen die Bezeichnung zumindest mal zur Selbsterkenntnis angeboten haben.

Der „Stern“ gehört zu den Medien, die der Überzeugung waren, dass das Leiden für die Angehörigen der Opfer von Winnenden noch nicht groß genug war. Die Illustrierte half, ihr Leben noch ein bisschen unerträglicher zu machen, indem sie die Mädchen groß im Bild zeigte — mit Fotos, die offenbar jemand einfach aus ihren Profilen in verschiedenen sozialen Netzwerken entwendet hatte.

Das ARD-Magazin „Panorama“ fragte beim „Stern“ nach, woher die gezeigten Bilder stammen, ob die Angehörigen ihrer Veröffentlichung zugestimmt haben und wenn nein, warum man sie trotzdem zeigte. Der „Stern“ antwortete:

„Zu Redaktions-Interna erteilen wir keine Auskunft.“

Der vom ebenso ehrenwerten Helmut Markwort geleitete „Focus“ hatte — genau wie die „Bild am Sonntag“ — die Idee, dass es noch lukrativer wäre, die aus SchülerVZ oder kwick.de stammenden Porträts der Opfer gleich verkaufsfördernd auf die Titelseite zu packen. Auf die Fragen von „Panorama“ nach der Herkunft der Bilder und der Zustimmung der Angehörigen antwortete der „Focus“ nicht.

Auch RTL zeigte u.a. ein Opfer groß im Bild, Quellenangabe: „SchülerVZ“. Chefredakteur Peter Kloeppel gilt unbegreiflicherweise immer noch als Guter Journalist des Privatfernsehens, aber der Sender erklärte gegenüber „Panorama“, dass man die Fragen des Magazins nicht beantworten wolle.

Vor vier Wochen bediente sich das Hamburger “Abendblatt” im Internet, um einen Bericht über einen Mann, der sich und seine Familie getötet hatte, schön mit Familienfotos illustrieren zu können. Autor Florian Büh, der als Fotograf angegeben war, wollte auf Nachfrage von Onlinejournalismus.de keine Auskunft geben und verwies an “Abendblatt”-Chefredakteur Claus Strunz. Der antwortete „trotz mehrmaliger Nachfragen“ gar nicht.

Thomas Schmid, Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, ließ einen Artikel über Winnenden mit einem Foto illustrieren, das scheinbar den Amokläufer zeigte, in Wahrheit aber einen Jungen bei der Opferfeier. Nachfragen des „Medium Magazins“ ließ Schmid unbeantwortet; in der nächsten Ausgabe der Zeitung fehlte jeder Hinweis auf den Fehler, jede Entschuldigung, jede Erklärung.

Vermutlich sind all die wichtigen Chefredakteure einfach zu beschäftigt, sich über elementare journalistische Grundsätze und antiquierte Vorstellungen von Anstand und Ethik hinwegzusetzen, als dass sie auch noch lästige Fragen dazu beantworten könnten.

Vergleichsweise vorbildlich ist da schon die „Bild“-Zeitung, die ihren Sprecher Tobias Fröhlich immerhin ein Statement abgeben ließ, das man auf den ersten Blick mit Antworten auf die gestellten Fragen verwechseln könnte. Fröhlich erlaubte sich gegenüber „Panorama“ den Witz, auf die Frage…

„Bilder von Toten dürfen — wenn nicht ein herausragendes öffentlichen Interesse besteht oder sie Personen der Zeitgeschichte sind — nur mit Genehmigung der Angehörigen veröffentlicht werden. Warum setzt sich BILD immer wieder darüber hinweg?“

…zu antworten:

„(…) entgegen Ihrer Annahme dürfen Fotos von Opfern auch ohne Genehmigung gezeigt werden, sofern es sich um Bildnisse im Zusammenhang mit wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignissen handelt.“

Weiter scherzte er:

„Der Redaktion fällt eine solche Entscheidung nicht leicht (…).

(Man darf von seiner Antwort [pdf] aber nicht, wie ich es gerade getan habe, nur einzelne Sätze zitieren. Die „Bild“-Leute kennen schließlich ihre Rechte.)

Ich bin sicher, all die oben genannten Herren schlafen gut und halten (mit Ausnahme von Fröhlich natürlich) auf Anfrage auch gerne wohlklingende Vorträge darüber, wie wichtig es ist, dass Journalismus nicht von irgendwelchen skrupellosen Amateuren betrieben wird, sondern von Menschen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, also von ihnen selbst. Redaktions-Interna bleiben von solchen ethischen Erwägungen natürlich unberührt.