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Da bin ich wieder.

Mit Schafscontent kann ich diesmal nicht dienen. Dafür kann jeder, den’s interessiert, im Kinoprovinzblog nachlesen, was mein Lieblingsfilm ist. Hinter dem Blog steht ein sympathisch abwegiges Konzept, das sein Betreiber Gunnar Geller so beschreibt:

In meinem Blog veröffentliche ich stur einmal wöchentlich einen Eintrag, in dem streng subjektiv die neu anlaufenden Filme vorgestellt werden und außerdem geht es noch um dies und das, aber immer mit Kinobezug. Meine Beurteilungen der neuen Filme beruhen im wesentlichen auf Vorurteilen, da ich kein Filmjournalist bin und keinen Film zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon gesehen habe, was ich aber versuche, auch immer transparent zu machen.

Nachzutragen wäre, dass Jens Weinreich eine weitere einstweilige Verfügung gegen den Deutschen Fußball-Bund erwirkt hat: Das Landgericht Frankfurt entschied, dass der DFB auf seiner Homepage eine Gegendarstellung zu seiner mit Halb- und Unwahrheiten gespickten Pressemitteilung über Weinreich veröffentlichen muss.

Und dann war da noch die Meldung der Agentur AP von vorgestern, die berichtet, dass zwei Zeitungen in Detroit ihre Ausgaben nur noch an drei Tagen die Woche nach Hause liefern, dass andere Blätter überhaupt nur noch viermal wöchentlich oder ausschließlich im Internet erscheinen und dass die Journalistenvereinigung „American Society of Newspaper Editors“ im nächsten Jahr das „-paper“ aus ihrem Namen streichen will. So knapp, anschaulich und nüchtern ist das Sterben der Zeitungen selten zusammengefasst worden.

Das Zitat der Woche dazu stammt von Konstantin Neven DuMont („Kölner Stadtanzeiger“, „Express“, „Kölner Illustrierte“) im Interview mit „Meedia“:

Meedia: Ihr Vater, Alfred Neven DuMont, hat Verleger-Kollegen zugerufen, die Redaktions-Etats aufzustocken. In welcher Größenordnung wird der Redaktions-Etat denn bei DuMont aufgestockt?

Konstantin Neven DuMont: Wenn alle anderen Abteilungen sparen müssen und die Redaktion in einigen Teilen davon verschont bleibt, kann man das auch als investieren verstehen.

Kurze Unterbrechung

Bis kommenden Donnerstag wird sich hier weniger tun (genauer: nichts).

Zum Zeitvertreib kann ich Ihnen aber die Aktion der außerordentlich sympathischen Menschen von nom nom nom am kommenden Wochenende (13./14. Dezember) empfehlen: Ab Samstag, 18 Uhr, wollen sie sich 24 Stunden lang, geschützt nur durch ihre Laptops, dem deutschen Fernsehprogramm aussetzen und darüber bloggen.

Im BILDblog steht die erstaunliche Geschichte, wie das „Hamburger Abendblatt“ unter dem Vorwand einer „großen Bildungsinitiative“ um teure Abos buhlt (mit Claus Strunz‘ feuchtem Traum, dass seine an einer Stellwand aufgehängte Lokalzeitung bei den Schülern „heiß begehrt“ wäre).

Auf FAZ.net hält der Peer die Stellung im Fernsehblog und berichtet u.a. darüber, wie Pro Sieben es schafft, von der Werbung in Stefan Raabs Werbesendungen gleichzeitig zu profitieren und nichts damit zu tun zu haben.

Und natürlich geht auch das Bilderrätsel nebenan im „Fernsehlexikon“ weiter, das — für alle, die es fahrlässigerweise nicht verfolgt haben — sogar so herzerwärmende Videos wie diesen frühen Fernsehauftritt von Julia Biedermann bereithält („uh, mein Haar!“):

Den gewohnten Schafcontent bei meiner Rückkehr kann ich noch nicht versprechen — liegt vor allem daran, ob ich hier noch einmal nach den Wollzotteln sehe.

(Die Kommentare sind während meiner Abwesenheit geschlossen.)

Wallfahrt zum Recycling-Tempel

Vielleicht bringt der neue Vorstandsvorsitzende von Pro Sieben Sat.1, wenn er im März sein Amt antritt, auch neue Euphemismen nach Unterföhring mit. Bis dahin behält sicher noch „Optimierte Ausnutzung des Programmvermögens“ als Umschreibung für die systematische Verslumung des Programms Gültigkeit. Die Sendergruppe ist zu einem gigantischen Recycling-Unternehmen geworden. Was als „Galileo“-Beitrag auf Pro Sieben beginnt, taucht mit großer Wahrscheinlichkeit in „Abenteuer Alltag“ auf Kabel 1 wieder auf, um schließlich, am Ende der NahrungsVerwertungskette, stolz von Dieter Kronzucker auf N24 präsentiert zu werden – und umgekehrt.

Das tägliche Mittagsmagazin „Sam“ ist im internen Wettkampf um den Titel als bester Programmvermögen-Ausnutzungs-Optimierer ganz vorne dabei. „Eine tagesaktuelle Sendung zu machen, ist eine Herausforderung, der wir uns jeden Morgen wieder gerne stellen“, hat Silvia Laubenbacher vor ein paar Jahren über „Sam“ gesagt. Aber wahrscheinlich haben sie damals schon intern darüber gelacht. In dieser Woche füllt die zweistündige Sendung jeweils eine Stunde täglich damit, fünf „Prominente“ beim Pilgern auf dem Jakobsweg zu begleiten. Moderatorin Silvia Laubenbacher gibt sich Mühe, den Eindruck zu erwecken, dass die Leute – passend zur Adventszeit – in diesen Tagen für ProSieben unterwegs sind, obwohl es sich dann, nach den Bildern zu urteilen, um einen wirklich außerordentlich heißen Spätherbst in Nordspanien handeln müsste.


Screenshot: Pro Sieben

In Wahrheit liegt die Pilgerreise schon über ein Jahr zurück. Pro Sieben zeigte sie im vergangenen Herbst als „Das große Promi-Pilgern“ in der Primetime unter mäßiger Anteilnahme des Publikums. Zur Wiederverwertung hat Pro Sieben die Sendung nicht einmal neu verpackt: „Sam“ zeigt einfach täglich je eine unbearbeitete Folge „Promi-Pilgern“ als Teil von „Sam“. Und das anspruchslose Mittags-Publikum guckt gerne zu: Über 400.000 Zuschauer waren es gestern — das sind immerhin fast halb so viele, wie die Sendung in der Originalausstrahlung am Sonntagabend hatte.

Der zukünftige Chef von ProSiebenSat.1, Thomas Ebeling, hat übrigens Psychologie studiert und kommt von dem Pharma-Unternehmen Novartis. Sagt ein Sendermitarbeiter: „Der Mann ist Psychologe und hat Ahnung von Drogen. Beides können wir gerade gut gebrauchen.“

Broder stolpert über seine Sexfixiertheit

Das Gute an und für Henryk M. Broder ist, dass er wenigstens kein Amt hat, von dem er zurücktreten könnte, wenn sich herausstellt, dass er in einem Land lebt, das es verfassungsrechtlich erlaubt, ihn „Pornoverfasser“ zu nennen. Und im Moment sieht es danach aus. Das Berliner Landgericht hat Broders Klage gegen Evelyn Hecht-Galinski abgewiesen. Sie hatte in einem Brief, der im „Palästina-Portal“ veröffentlicht wurde, von

„Falschaussagen des ehemaligen ‚St. Pauli Nachrichten‘-Redakteurs, Pornoverfassers und heutigen ‚Spiegel‘-Redakteurs, Ausputzers der Israel-Lobby und Großinquisitors, Henryk M. Broder“

gesprochen. Broder, den man aufgrund seiner eigenen Rhetorik leicht mit jemandem verwechseln könnte, der für das Recht auch auf scharfe Polemik kämpft, ließ daraufhin sowohl Hecht-Galinski als auch den Betreiber der Internetseite, Erhard Arendt, abmahnen. Als sich Hecht-Galinski weigerte, eine Unterlassungserklärung abzugeben, klagte Broder — und unterlag nun in erster Instanz.

Hecht-Galinski wies auf Broders „pornografisches Vokabular“ hin und zitierte unter anderem den Satz „Jetzt wichst zusammen, was zusammen gehört“, den die „Welt“ bei ihrem Abdruck von Broders kleiner BILDblog-Beschimpfung im vergangenen Jahr sicherheitshalber gestrichen hatte.

Broder argumentierte vor Gericht, er schreibe polemisch, aber nicht pornografsch. Während seiner Tätigkeit für die „St. Pauli Nachrichten“ habe er lediglich Artikel mit politischen, gesellschaftlichen, unterhaltsamen oder wirtschaftlichen Themen verfasst. Und sein Buch „Wer hat Angst vor der Pornografie“ sei nur ein Werk über Pornographie, aber nicht selbst pornografisch.

Das Gericht widersprach:

Liest man das Vorwort zu diesem Buch, so überrascht es bereits, dass der Kläger sich durch die Bezeichnung als ‚Pornoverfasser‘ herabgesetzt und in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt fühlt, schreibt er dort doch über die gesellschaftlich befreiende Wirkung von Pornografie und tut kund, dass er Pornografie für emanzipatorisch halte. Er definiert in dem Buch Pornografie als „die optische, textliche oder akustische Vermittlung der Teilnahme am Sexualleben der dargestellten Personen“ (S. 14). Dass dies in dem Buch zumindest auch stattfindet, erscheint der Kammer unbestreitbar. In dem Buch finden sich an verschiedenen Stellen Fotos von kopulierenden Paaren (S. 14 ,29, 31, 33, 38).

Werden solche Bilder und die zugehörigen Texte aber veröffentlicht, so liegt es im Bereich der Wertung, ob der Verfasser als „Pornoverfasser“ bezeichnet wird.

Somit handle es sich bei dem Wort, das Broder verboten wissen will, nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinungsäußerung — und zwar eine zulässige. Das Gericht stellt fest:

dass der Kläger [Broder] sich in der Vergangenheit sowohl über die Beklagte als auch über andere Personen, die andere Auffassungen vertreten als er, in unflätiger und unsachlicher, z. T. auch grob verletzender Weise geäußert [hat], wie sich aus den gewechselten Schriftsätzen samt Anlagen eindrucksvoll ergibt. So hat er z. B. gesagt, die Auftritte der Beklagten seien hysterisch, ihre Leserbriefe wirr. Zeitlich nach der hier streitgegenständlichen Äußerung hat er die Beklagte als „hysterische, geltungssüchtige Hausfrau“ bezeichnet, was noch zu den harmloseren Äußerungen des Klägers über andere Menschen gehört.

Auch daran wird aber deutlich, dass der Kläger sich nicht scheut, in Auseinandersetzungen, auch wenn sie in erster Linie politische Themen betreffen, zu persönlich diffamierenden Mitteln und Bezeichnungen zu greifen. Dies schränkt seinen eigenen Persönlichkeitsschutz gegenüber potentiell unsachlichen und herabsetzenden Äußerungen deutlich herab. Wer das Recht der freien Meinungsäußerung in der Weise benutzt wie der Kläger, muss sich auch selbst deutliche Kritik an seiner Person gefallen lassen.

Lustig, die Argumentation musste sich auch schon „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann anhören. Aber weiter zu Broder:

Hinzu kommt, dass der Kläger eine besondere Vorliebe für eine Ausdrucksweise mit sexuell drastischen und dem Genitalbereich entstammenden Begriffen hat, die er auch benutzt, wenn es gar nicht um sexuelle oder verwandte Themen geht, so dass auch politische und andere Diskussionen immer wieder mit sexuellen Konnotationen aufgeladen werden.

Broder hat angekündigt, in Berufung zu gehen.

Wer gibt noch was auf PageImpressions?

Im Zusammenhang mit dem absurden Wettrennen der Online-Medien um die höchsten Klickzahlen, das sie mit immer groteskeren Klickstrecken und Klickspielen bestreiten, taucht immer wieder die Frage auf, wer denn überhaupt so doof ist, der bei diesen Medien offenkundig sinnlos gewordenen Einheit „PageImpression“ (PI) überhaupt noch irgendeine Bedeutung als Erfolgsmesser beizumessen.

Nun, zum Beispiel die Kollegen von der Werbe-Fachzeitschrift „Horizont“:

Und die Kollegen von „Deutschlands Medien-Portal“ „Meedia“:

Und die Kollegen von der Werbe-Fachzeitschrift „werben & verkaufen“:

Und die Kollegen vom Medien-Fachdienst „kress“ natürlich:

Journalisten also. Journalisten sind so doof.

Nachtrag, 20:50 Uhr (auf besonderen Wunsch und weil man den ersten Absatz womöglich missverstehen kann): Es geht mir mit diesem Eintrag ausschließlich darum, zu sagen, dass Journalisten mitschuld daran sind, wenn die gesamte Branche an einer Währung festhält, die nicht mehr taugt und die schädlich ist für Journalismus und Journalisten.

Zwanziger droht Gericht mit Rücktritt

Woher kommt eigentlich der Glaube, dass ein guter Ruf vor allem durch anderer Leute Meinungsäußerungen gefährdet wird und nicht durch das eigene Handeln? Nichts hätte der Journalist Jens Weinreich über den DFB-Präsidenten Theo Zwanziger sagen können, was diesem auch nur halb so viel geschadet hätte wie seine eigene Reaktion darauf — die Lügen seines Verbandes, die Klage gegen Weinreich, die immer neuen Demonstrationen von Unbelehrbarkeit und Starrsinn.

Was kaum möglich schien, hat Zwanziger heute geschafft: Die Auseinandersetzung noch weiter zu eskalieren. Am Rande einer DFB-Pressekonferenz drohte er mit dem Rücktritt von seinem Amt, falls er vor Gericht gegen Weinreich unterliegen sollte. Der hatte ihn bekanntlich im Sommer im Zusammenhang mit einem Auftritt einen „unglaublichen Demagogen“ genannt. Die Nachrichtenagentur dpa zitiert Zwanziger mit den Worten:

„Wenn das verfassungsrechtlich zulässig ist, werde ich sehr ernsthaft erwägen, ob ich dieses Amt weiterführe. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Es wird ein Urteil geben. Ich werde meine persönliche Ehre nicht auf dem Altar des Amtes opfern.“

Hinter dieser Aussage steht eine erneute Erhöhung des Einsatzes. Die Logik ist offensichtlich: All die vielen Leute, die ihn für den besten DFB-Präsidenten aller Zeiten halten, sollen auf Linie gebracht und gegen Weinreich eingeschworen werden. Denn der riskiert mit seiner Renitenz und dem Beharren auf das Recht der freien Meinungsäußerung, dass unser Land vielleicht auf diesen fantastischen DFB-Präsidenten verzichten müsste.

In einem Land, in dem es gesetzlich erlaubt ist, ihn unter bestimmten Umständen einen „unglaublichen Demagogen“ zu nennen, möchte Theo Zwanziger nicht DFB-Präsident sein.

Aber dass keiner der grauen Männer in seiner Umgebung es schafft, ihn beiseite zu nehmen und zu sagen: „Theo, das ist gerade ein bisschen kontraproduktiv, was Du hier machst. Wir hatten so viele andere schöne Themen auf unserer Pressekonferenz, und nun beginnt eine Meldung nach der anderen mit diesem Weinreich-Scheiß…“?!

Nachtrag, 18:25 Uhr. Die F.A.Z. kommentiert:

[Zwanziger] macht seine unversöhnliche Sicht in dieser Causa zu einer derart öffentlichen Angelegenheit, dass er damit auch Schaden für sein Amt billigend in Kauf nimmt. Denn nicht jeder muss am Ende so beinhart wie Zwanziger eine Äußerung verurteilen, die zweifellos unangemessen anmutet.

Mit ähnlichen, für Zwanziger unerträglichen Situationen werden auch andere Amts- und Würdenträger immer wieder konfrontiert. Die meisten Politiker, Wirtschaftsbosse oder Sportfunktionäre gehen damit allerdings professioneller und gelassener um. Zwanziger kann und will das nicht. Deshalb ist die Frage erlaubt, ob dieser Präsident bei all seinen Verdiensten dauerhaft für eine Aufgabe geeignet ist, in der manchmal auch die Fähigkeit gefragt ist, souverän zu bleiben, selbst wenn es persönlich weh tut.

Und die „Süddeutsche Zeitung“ urteilt:

DFB-Chef Theo Zwanziger lähmt mit seinem Vorgehen den ganzen DFB, gibt ein weiteres Beispiel für Funktionärshybris und legt ein bedenkliches Rechtsverständnis an den Tag.

Nachtrag, 19:40 Uhr. Die „Frankfurter Rundschau“ hat noch mehr Zitate von Zwanziger:

Es handele sich um eine „klassische Schmähkritik“, so der aufgebrachte Präsident, der sich auch von Medienchef Harald Stenger nicht stoppen ließ: „Demnächst heißt es, ich sei ein Massenmörder, nur hat es keine Leichen gegeben.“

Seine Rücktrittsankündigung für den Fall der Niederlage vor Gericht, ergänzte Zwanziger auf FR-Nachfrage, habe „nichts mit einer Drohung oder einer Einschüchterung“ zu tun, er sei überzeugt, dass der Richter unabhängig vom öffentlichen Scharmützel objektiv entscheiden werde.

Nachtrag, 0:52 Uhr. Das wird ein harter Tag für die Leute, die den DFB-Pressespiegel zusammenstellen. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ kommentiert:

Der Jurist Theo Zwanziger offenbart ein schräges Rechtsverständnis: Die Ankündigung des DFB-Präsidenten, von seinem Amt zurück zu treten, falls ein Gerichtsbeschluss nicht nach seinem Gusto ausfällt, ist unfassbar.

Und — nach meiner Wahrnehmung als erster — schafft es der Kommentar, eine direkte Linie von Zwanzigers Verhalten jetzt zum Ausgang des ganzen Streits zu ziehen:

Das Selbstverständnis des DFB und seines Präsidenten offenbaren sich am krassesten in dem Fall, von dem alles ausgeht. Der Verband und die Deutsche Fußball-Liga waren vom Kartellamt wegen des Verdachts auf Absprachen durchsucht worden. Der Verdacht bestätigte sich zwar nicht, aber der DFB ist bis heute zutiefst gekränkt und lässt nicht nach in seinem Bemühen, das Vorgehen des Kartellamtes zu geißeln. In diesem Zusammenhang hat Weinreich gegen Theo Zwanziger die strittige Bezeichnung „unglaublicher Demagoge“ verwendet.

Prüfungen staatlicher Organe muss jeder über sich ergehen lassen, sei es in Steuerfragen, Straßenverkehr oder sonst wo. Wer würde es wagen, sich einer PKW-Kontrolle zu entziehen mit den Worten: „Sie wissen wohl nicht, wen sie vor sich haben? Wie können Sie es wagen, mein Fahrzeug auf Verkehrstauglichkeit und meinen Atem auf Genuss von Alkohol zu untersuchen?“ Wer so etwas tut, macht sich hochgradig lächerlich und zeigt, dass er nicht verstanden hat, für wen Recht gelten muss: für jeden.

Die „Stuttgarter Zeitung“ meint:

Der Vorgang offenbart aber einmal mehr das seltsame Gebahren des Verbands, und vor allem seines Präsidenten, der viel Gutes für den Fußball getan hat, hier allerdings nach Gutsherrenmanier agiert.

Die von Zwanziger so gerne postulierte „Kommunikationsherrschaft“ hat der Verband längst verloren, und mit ihr auch die Kontrolle über einen bislang einmaligen Vorgang im deutschen Sport, der immer stärker Züge einer Posse annimmt.

Im „Tagesspiegel“ heißt es unter der Überschrift „Sein Fehler“:

Unabhängig davon, dass Zwanziger alles andere als ein Demagoge ist, wirft der juristisch-öffentliche Furor, den er in dieser nebensächlichen Frage an den Tag legt, eine viel gewichtigere Frage auf: Ist Theo Zwanziger wirklich ein guter DFB-Präsident?

Bisher fiel als Antwort ein Ja nicht schwer. Bisher.

Kann Kühn Kerner kucken?

Kollege Alexander Kühn vom „Stern“ hat sich in seiner Fernseh-Video-Kolumne „Was kuckt Kühn“ auch gefragt, welchen Jahresrückblick er denn sehen soll. Den von Günther Jauch, der in dem Sender, mit dem der „Stern“ verwandt ist, „Stern-TV“ moderiert und produziert. Oder den von Johannes B. Kerner im ZDF.

Dann hat er verglichen, wer da eingeladen ist:

„Beim Jauch sehen wir heute Mario Barth, Sarah Connor, Sarah Connor ihre Mutter und Paul Potts. Der Kerner, der hat den grantelnden Reich-Ranicki, der hat die feuchte Charlotte Roche, der hat den starken Mathias Steiner und als Special Guest den Udo Lindenberg. Deswegen — so ungern man’s auch sagt: Heut‘ entscheide ich mich mit vollem Herzen für Johannes B. Kerner, ‚Menschen 2008‘.“

Stern.de hat diese Empfehlung auf seiner Startseite und in der Video-Übersicht wie folgt bebildert:

Goldene Kamera

Wenn man sich dereinst einmal vergegenwärtigen will, wie das damals war, Anfang 2008, in der Zeit vor der Großen Krise, dann wird man einfach den Satz von Jochen Beckmann zitieren können. Der Verlagsgeschäftsführer von Axel Springer erzählte im vergangenen Februar stolz, man habe die Goldene Kamera, den Preis der Fernsehzeitschrift „Hörzu“, überarbeitet: „Sie sieht aus wie ihre Vorgängerin, aber nun ist mehr Gold dran.“ Es muss eine Zeit gewesen sein, in der innere Werte noch zählten, weshalb der Verlag nicht nur in das unsichtbare Aufpäppeln der Kameras von 600 auf 900 Gramm Gewicht investierte, sondern erstmals auch den Drei-Sterne-Koch Juan Amador für das Catering engagierte.

Im kommenden Jahr übernimmt seinen Posten ein Herr Schmalhans. Springer will morgen beschließen, alle größeren Veranstaltungen und Preisverleihungen im nächsten Jahr abzusagen – neben der Goldenen Kamera unter anderem auch das Goldene Lenkrad und den „Bild“-Preis Osgar. Selbst die Kinder müssen dran glauben und auf die große Gala verzichten, mit der die Boulevardzeitung zuletzt gestern im ZDF ihr Herz für sie feierte. „Wir wollen nicht bei unserer wichtigsten Ressource, den Mitarbeitern und dem Journalismus, sparen, sondern lieber bei Partys und Events.“ Dabei waren die Vorbereitungen für die 44. Verleihung der „Goldenen Kamera“ am 4. Februar schon weit fortgeschritten: Frank Elstner war in der Nachfolge von Thomas Gottschalk gebucht und verkündet, und die Restleser der „Hörzu“ hatten schon ihre liebsten amerikanischen Fernsehserien gewählt. Die Absage ist vermutlich teurer, als es die ganze Show gewesen wäre, was man aber als langfristige Investition verbuchen muss. Das ist auch deshalb nur konsequent, weil das Ausfallen der Sendung den Menschen vermutlich eher in Erinnerung bleiben wird als die Sendung selbst.

Was für eine merkwürdige Krise: Die radikale, bis gestern völlig undenkbare Absage all dieser Vorzeigeveranstaltungen ist ein Fanal, ein unübersehbares Symbol dafür, dass nichts mehr heilig ist und alles hinweggeschwemmt werden kann von der Werbeflaute – und gleichzeitig völlig egal. Kein Zuschauer wird sie vermissen. Und Robert de Niro, Chuck Berry, Alfred Biolek, Kylie Minogue und Tokio Hotel haben ja die letzten Kameras in diesem Jahr noch abgestaubt. Die schweren, mit der Extraportion Gold.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Die Inflation des Elends


Foto: RTL

Man tut Michael Hirte nicht unrecht, wenn man sagt, dass er kein großer Mundharmonikerspieler ist. Dass die RTL-Show, die er am vergangenen Samstag gewonnen hat, zwar „Das Supertalent“ heißt, er aber vielleicht eher nur ein So-mittel-Talent ist. Den Fernsehzuschauern, die ihn wählten, war es egal, ob es bessere Mundharmonika-Spieler gibt und größere Talente. Das Publium war sich mit überwältigender Mehrheit einig: Dieser Mann hatte es verdient zu gewinnen. Weil er so sympathisch wirkt und in seinem Leben viel Pech hatte. Es gibt Dinge, die sind wichtiger als Talent.

Bevor Michael Hirte zum ersten Mal in der Show spielte, hatte RTL den Zuschauern schon seine Geschichte erzählt: Dass der LKW-Fahrer 1991 schwer verunglückt ist, für zwei Monate Koma fiel, seitdem gehbehindert ist und auf einem Auge nicht sehen kann, zur Zeit arbeitslos ist, von Hartz-IV lebt und sich ein paar Euro als Straßenmusiker verdient. Ohne diese traurige Geschichte wäre der große Erfolg des Mundharmonika-Spielers nicht zu erklären, und das ist völlig in Ordnung so: für ihn, für das Publikum, für die Show, für alle.

Dieser Effekt ist auch nicht neu. Neu ist, dass das noch nicht genug ist: die Behinderung, die Arbeitslosigkeit, die Geldnot. Dass Michael Hirtes Schicksal gerade fast jeden Tag noch tragischer werden muss.

Inzwischen ist bekannt: Dass er von seiner Ehefrau verlassen wurde, angeblich war sie eines Tages einfach weg. Dass seine Frau ihn anzeigte, wegen Körperverletzung, und ihn als Trinker bezeichnet. Dass zwei Männer in seine Wohnung eingedrungen sein und ihn verprügelt haben sollen. Dass er einen Offenbarungseid ablegen musste.

Heute informierte „Bild“ die Öffentlichkeit darüber, dass sein „Stiefpapa“ dement sei und von Michael Hirtes Mutter betreut werde. Dass sie schweren Krebs habe, sich regelmäßig ärztlichen Behandlungen unterziehen müsse und einen künstlichen Darmausgang trage. „Was keiner weiß“, hat die Zeitung davor geschrieben. Das wird man nicht mehr so oft schreiben können im Zusammenhang mit diesem „Supertalent“.

Michael Hirte setzt gerade ungewollt Maßstäbe, wie viel ein Mensch erlitten haben muss, um sich unsere Anteilnahme zu verdienen. Es ist eine Entwertung des Elends. Aber jede weitere Veröffentlichung von traurigen Details aus seinem Privatleben lässt uns nun sogar doppelt Mitleid haben mit ihm: nicht nur, dass er das alles erleiden muss, sondern auch, dass all das nun öffentlichkeitswirksam ausgebreitet wird, verwurstet zu Schlagzeilen, Bilderstrecken, „Explosiv“-Beiträgen.

Joey Kelly, der selbst mit der Kelly-Family jahrelang als Straßenmusiker über die Dörfer zog, bevor der große Erfolg kam, hat Michael Hirte am Montag in der RTL-Sendung „Extra“ einen erstaunlich offenen Ratschlag gegeben: Er solle jetzt „alles mitnehmen, was geht und richtig Vollgas geben, die nächsten ein, zwei Jahre, weil: Das kann schneller aussein, als man denkt.“ Joey Kelly weiß, wovon er spricht, und vermutlich hat er Recht. Nur dass es so scheint, als sei Michael Hirte einer dieser neuen „Stars“, für die „alles mitnehmen, was geht“ in Wahrheit bedeutet „alles abgeben, was geht“ – von seiner Privatsphäre.