„There’ll be change“

Das ist natürlich etwas blöd, erst jetzt, nach dem amerikanischen Wahlkampf, auf die Serie von Videos hinzuweisen, die der britische „Guardian“ mit dem Komiker Marc Maron auf einer Reise quer durch die Vereinigten Staaten produziert hat. Aber ich habe das gerade erst entdeckt — genauer gesagt: das letzte Video, das gestern am Wahltag in Washington DC entstanden ist. Es ist eine feine, unterhaltsame, meinungsstarke, fürs Web wunderbar geeignete Form:

„Zeitung Süddeutsche“

Das ist schon einer der peinlicheren Fehler, die einer Zeitung wie der „Süddeutschen“ passieren können: In einem längeren Artikel über den Start von „Timm“, einem Fernsehsender für schwule Männer, den Chef des Projektes, Frank Lukas, konsequent Lukas Frank zu nennen.



Auf sueddeutsche.de steht der Name wenigstens unter dem Foto richtig (in der gedruckten Ausgabe ist der Artikel unbebildert). sueddeutsche.de versucht zwar weiterhin, mit strengen Kommentaröffnungszeiten „die Qualität der Nutzerdiskussionen“ zu „moderieren“, ignoriert die lästigen Wortmeldungen der Idiotae aber im Übrigen einfach. Seit heute früh steht dort in den Kommentaren ein folgenloser Leserhinweis auf den falschen Namen.

Bei „Focus Online“ gibt es übrigens nach den Worten von Chefredakteur Jochen Wegner seit einiger Zeit ein System, bei dem der Autor eines Artikels vom Moderator der Kommentare benachrichtigt wird, wenn ihm dort sachliche Fehler vorgeworfen werden. Der Autor werde dann solange immer wieder daran erinnert, bis er reagiert hat: entweder in Form einer Korrektur oder mit einer Antwort, warum die Darstellung richtig ist.

Aber so eine Einrichtung ist doch vielleicht eher nur etwas für Qualitätsmedien.

[via Sebastian Dietrich]

Erste Erkenntnisse am Wahlabend

Der türkische Spätkauf hat amerikanisches Mikrowellen-Popcorn!
Das amerikanische Mikrowellen-Popcorn wird in Frankreich hergestellt!
Es gibt türkische Oreos!
Ben & Jerry’s machen ein „Baked Alaska“-Eis!

22:35 Uhr. Oh Gott, ich habe die ersten Breaking News bei sueddeutsche.de verpasst:

0:15 Uhr. Dieter Kronzucker erklärt auf N24, warum Barack Obama gar nicht so negertiv auffällt:

Der ist ja in Hawaii geboren worden — das ist ja ein multikultureller Staat –, dann nach Indonesien gekommen ist, dann später zu seinen Großeltern. Und dann praktisch erst in die afro-amerikanische Gesellschaft eingetaucht ist, nämlich im Süden Chicagos. Der musste quasi erst lernen, nicht nur von der Hautfarbe, sondern auch vom Inneren her ein Schwarzer zu sein, was ihm natürlich im Wahlkampf sehr viel genützt hat. Denn Statistiken besagen, dass die meisten ihn gar nicht mehr als Schwarzen empfinden, sondern als jungen gescheiten Mann.

0:35 Uhr. N24 hat Waldorf und Statler vor Ort:


Und im Ersten hat Monika Lierhaus als Experten einen Herrn Buhrow und Wolfgang Fierek bei sich:

Für später verspricht sie noch ausführliche Berichte von der Hochzeit Fiereks:

1:25 Uhr. Wolf Blitzer von CNN verspricht uns etwas, „das Sie noch nie im Fernsehen gesehen haben“: Eine Korrespondentin, die in Chicago ist, wird ins Studio gebeamt:

Anscheinend steht sie dort in einem Zelt und wird von 30 Kameras oder so gefilmt, die ihre Position mit der der Kameras im „Situation Room“ verrechnen, um sie als „Hologramm“ zu zeigen, während Wolf Blitzer sie interviewt. Völlig absurd.

Und N24 hat folgende Breaking News:


1:40 Uhr. „Spiegel Online“ verwechselt Vermont mit New Hampshire und hat (womöglich weltexklusiv) auch schon Georgia, South Carolina und Virginia an McCain gegeben:

1:50 Uhr. „Spiegel Online“ verwechselt immer noch Vermont mit New Hampshire, hat jetzt aber einfach mal (ebenso womöglich weltexklusiv) South Carolina an Obama gegeben:

1:59 Uhr. Beim führenden deutschen Online-Portal spielt nach wie vor ein Kind an den Zahlen herum — und hat Obama jetzt alle Wahlmänner wieder weggenommen:

2004

Es gibt zwei Möglichkeiten, den Aufstieg Barack Obamas zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu beschreiben. Einerseits als eine Art Wunder oder wenigstens unglaubliches Kunststück, sich als Schwarzer, als angeblich liberalster Senator, ohne irgendeine Art von Regierungserfahrung gegen die Clintons und die Republikaner durchgesetzt zu haben. Und andererseits als das bloß etwas verfrühte Eintreffen dessen, was alle vorhergesagt haben.

Vielleicht ist es nur ein Zeichen dafür, wie sehr die Performance zum entscheidenden Kriterium amerikanischer Wahlen geworden ist, wie sehr sich alles auf das Gelingen von Auftritten konzentriert, den kleinen ebenso wie dem großen Ganzen, dass ein einziger Auftritt Barack Obamas vor vier Jahren beim demokratischen Parteitag genügte, um ihm unisono vorauszusagen, dass er gute Chancen hätte, einmal Präsident zu werden.

Der Blick ins Archiv bringt Dutzendfach Artikel zutage, die heute fast prophetisch wirken:

„Berliner Zeitung“, 27. Juli 2004:

In zehn Jahren wird Barack Obama der erste schwarze Präsident der USA. Davon sind viele Demokraten und vielleicht sogar einige Republikaner schon heute überzeugt.

„Süddeutsche Zeitung“, 28. Juli 2004:

Barack Obama: Demokratischer US-Politiker auf dem Weg nach ganz oben

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 29. Juli 2004:

Ja, er ist es. Jetzt kann man es mit Gewißheit sagen. Vor seiner Rede in der Nacht zum Mittwoch durfte man noch nicht ganz sicher sein, aber jetzt gibt es keinen Zweifel mehr: Barack Obama ist eine der größten Hoffnungen, daß der Demokratischen Partei eine Führungspersönlichkeit vom Schlage eines Bill Clinton, vielleicht sogar eines John F. Kennedy zuwachsen wird. (…)

Wenn nicht alles täuscht, hat in Boston die große Laufbahn eines schwarzen Politikers begonnen, die sehr weit, vielleicht sogar bis ganz nach oben führen dürfte.

„Süddeutsche Zeitung“, 29. Juli 2004:

Vor wenigen Tagen kannte den 42-Jährigen selbst unter den Demokraten noch kaum jemand, diesen Jungen aus Illinois, der gerade dabei ist der erste demokratische Senator mit schwarzer Hautfarbe zu werden. Inzwischen wird er als einer der Geheimkandidaten für das Präsidentenamt im nächsten Jahrzehnt gehandelt.

„Spiegel Kultur“, 19. Oktober 2004:

Barack Obama, 43, steht für die glorreiche Zukunft der USA. Vielleicht wird er ihr erster schwarzer Präsident.

„Die Welt“, 2. November 2004:

Obama hat sich bei seinen Auftritten als Redner hervorgetan und auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten im Juli die Hauptansprache neben Kerry gehalten. Er gilt als künftiger Anwärter auf das Weiße Haus.

„Tagesspiegel“, 4. November 2004:

„Ich habe harte Ellbogen“, verspricht Obama. Schafft er es, die meisten der in ihn gesetzten Hoffnungen zu erfüllen, könnte er durchaus im Weißen Haus landen. Vielleicht auch schon in vier Jahren – als Vize einer demokratischen Präsidentin Clinton.

Okay, „prophetisch“ ist vielleicht das falsche Wort.

(Lesetipp für die heutige Nacht: Mein Kollege Nils Minkmar in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ über Barack Obamas Politikstil — „Endlich ein Erwachsener“.)

2000

Vor acht Jahren war ich am Wahlabend in Lissabon. Ich hatte mit einer Freundin als Ausgleich für den verregneten Sommer eine Woche auf Madeira verbracht, und auf dem Rückweg stoppten wir noch ein paar Tage in der portugiesischen Hauptstadt. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich die ganze Nacht in meinem Hotelzimmer ferngesehen habe, weil ich nicht schlafen konnte, oder umgekehrt. Ich weiß nur noch, dass ich am nächsten Tag wie gerädert war, aber alles noch wie ein Alptraum schien, der vorbeigehen könnte. Vorbeigehen müsste.

Die Verlauf der Wahl 2000, die George W. Bush zum Präsidenten der Vereinigten Staaten machte, enthielt viele Lektionen: Einige haben mit handfesten Manipulationen im Wahlprozess selbst zu tun, andere mit der entscheidenden Rolle, die die Massenmedien in einem solchen Prozess spielen können.

Besonders eindrucksvoll zeigte sich die Macht von Rollenverteilungen, Dramaturgien und bekannten Erzählstrukturen (narratives): Nachdem die Fernsehsender George Bush voreilig zum Gewinner ausgerufen hatten, konnte er kaum noch verlieren. Von diesem Moment an war die Rollenverteilung klar: Al Gore erschien wie der Verlierer, der versucht, dem Sieger noch den Titel zu entreißen. Bushs Leute mussten in der Erzählweise der Medien nicht mehr beweisen, dass sie genügend Stimmen in Florida haben, Gores Leute mussten beweisen, dass er sie nicht hat. Mit jedem Tag manischer Berichterstattung wurde der Druck auf Gore größer, den Prozess der Regierungsbildung nicht mehr aufzuhalten.

(Mehr über die mögliche Wirkung von narratives in einem Artikel von mir über die Wirkung der Medien im Vorwahlkampf von Hillary Clinton gegen Barack Obama und einem Interview mit dem Kommunikationsberater Klaus Kocks vor der Bundestagswahl 2005.)

Und wie kam es dazu, dass Bush voreilig zum Sieger erklärt wurde? Der republikanische Fernsehsender Fox News hatte als erster erklärt, Bush habe Florida und damit die Wahl insgesamt gewonnen. Innerhalb von Minuten zogen die anderen Sender nach — obwohl die vorliegenden Daten ein solches Urteil nicht hergaben.

CNN hat nach dem Desaster einen unabhängigen Bericht in Auftrag gegeben und Anfang 2001 veröffentlicht, der den Verlauf des Abends minutiös nachzeichnet [pdf].

Die Autoren stellten an den Anfang ihres Berichtes folgendes vernichtendes und sicher über den konkreten Fall hinaus gültiges Urteil:

On Election Day 2000, television news organizations staged a collective drag race on the crowded highway of democracy, recklessly endangering the electoral process, the political life of the country, and their own credibility, all for reasons that may be conceptually flawed and commercially questionable.

Their excessive speed, combined with an overconfidence in experts and a reliance on increasingly dubious polls, produced a powerful collision between the public interest and the private competitive interests of the television news operations and the corporations that own them.

Their hyper-competition stemmed from a foolish attempt to beat their rivals to the finish line in calling state-by-state winners in the presidential election, foolish because few in the crowd knew then or know now which network got the checkered flag most often. Foolish because each network funded its competitor’s work. Foolish, too, because their haste led to two mistaken calls in the state that turned out to hold the key to the outcome of the election. All, in turn, played an important role in creating the ensuing climate of rancor and bitterness.

Those calls and their retractions constituted a news disaster that damaged democracy and journalism.

[via FiveThirtyEight.com]

Der „Economist“ empfiehlt Obama

Das ist sicher eine der unwichtigeren Wahlempfehlungen für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten, aber trotzdem schön zu lesen: Die kluge, konservative Wirtschaftszeitschrift aus Großbritannien für die Welt stimmt für Obama.

There is no getting around the fact that Mr Obama’s résumé is thin for the world’s biggest job. But the exceptionally assured way in which he has run his campaign is a considerable comfort. It is not just that he has more than held his own against Mr McCain in the debates. A man who started with no money and few supporters has out-thought, out-organised and outfought the two mightiest machines in American politics—the Clintons and the conservative right.

In den Vereinigten Staaten haben sich aktuell 234 amerikanische Zeitungen für Obama ausgesprochen, 105 für McCain. Vor vier Jahren stand es zwischen John Kerry und George W. Bush ungefähr unentschieden. Mindestens 47 Zeitungen, die damals für Bush waren, haben sich jetzt für Obama ausgesprochen; eine umgekehrte Bewegung zu McCain gab es nur in vier Fällen.

Die Empfehlungen von Zeitungen sind laut einer Studie des National Bureau of Economic Research nicht völlig wirkungslos. Einen Einfluss haben sie aber vor allem dann, wenn sie angesichts der Linie der Zeitung von den Lesern als überraschend wahrgenommen werden.