Scheint ein nützliches Buch zu sein

[Nachtrag, 13:10 Uhr: In der gedruckten Ausgabe der „Stuttgarter Zeitung“ steht in dem Artikel, um den es hier geht, ein Kasten mit dem Hinweis auf das Buch. Insofern ist meine Kritik hier im Folgenden weitgehend falsch.]

Interessanter Artikel heute in der „Stuttgarter Zeitung“:

Früher war alles besser? Von Wegen!
Ein Blick zurück auf einige Tiefpunkte und Skandale im deutschen Fernsehen

Die Qualität des Fernsehens sei heutzutage miserabel, behaupten gerade viele. Aber wie war das früher? Ariane Holzhausen hat zwanzig Beispiele gefunden, die zeigen, dass es schon damals im Programm einige Merkwürdigkeiten gab.

Nur wo sie die zwanzig Beispiele gefunden hat, das hat Frau Holzhausen irgendwie vergessen, dazu zu schreiben. Ich hab das mal bei ein paar Punkten nachgeholt:

1. Heute wird auf Importe und Adaptionen geschimpft. Auch „Was bin ich?“ wurde aus Amerika eingeführt. Die Spielshow mit Robert Lembke ging 1955 ursprünglich als „Ja oder nein“ auf Sendung – und wurde vorgestellt als „ein psychologisches Extemporale mit Robert Lembke und sieben unbekannten Größen“. Das klingt qualitativ hochwertig, war aber nur ein heiteres Beruferaten.

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 13 Fernsehstars der ersten Stunde, Seite 13)

2. „Köche! Und immer wieder Köche!“, meckerte Marcel Reich-Ranicki nach der Fernsehpreisverleihung über die Omnipräsenz von Lafer & Co. Dabei hat das Kochen vor der Kamera eine lange Tradition. Bereits 1953 servierte Clemens Wilmenrod in „Bitte in zehn Minuten zu Tisch“ telegen Menüs. Auf dem Rezeptzettel des ersten Gerichts stand „Mischgemüse aus der Dose“ — wie fein.

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 13 Fernsehstars der ersten Stunde, Seite 15)

5. Dass Hochzeitsshows wie die „Traumhochzeit“ (2008, ZDF) floppen, hätte man wissen können: „Das ideale Brautpaar“ ging 1959 auf Sendung. Der Moderator Jacques Königstein rettete schon damals nichts. Obwohl er Karnevalist war. „Ihre Vermählung geben bekannt“ war 1963 im ZDF zu sehen. Wieder eine Hochzeitsshow, wieder ein Flop. Erneut war der Moderator machtlos, obwohl er Hans-Joachim Kulenkampff hieß.

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 7 Sendungen, die ihrer Zeit weit voraus waren, Seite 38; 6 Flopps mit Hans-Joachim Kulenkampff, Seite 141)

6. Aus lauter Verzweiflung, oder weil man 1977 auch nicht wusste, was der Zuschauer eigentlich sehen will, wurde die ARD-Sendung „Wie hätten Sie’s denn gern?“ ins Leben gerufen. Das Konzept: die Menschen vor den Bildschirmen durften Anregungen zum Fernsehprogramm geben, die dann in der Sendung mit Hans-Joachim Kulenkampff umgesetzt wurden.

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 6 Flopps mit Hans-Joachim Kulenkampff, Seite 141)

7. Teure Pannen sind nichts Neues. Eine der legendärsten: Kulenkampff überzog mit „Einer wird gewinnen“ immer die Sendezeit. Nur einmal war er sechs Minuten früher fertig, und die ARD zeigte sechs Minuten lang das Senderlogo als Standbild.

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 4 überzeugende Argumente gegen Live-Sendungen, Seite 161)

10. Heute wird schamlos im Fernsehen geplaudert? In der Sendung „Auf los geht’s los“, die von 1977 an in der ARD ausgestrahlt wurde, sollten die Kandidaten tippen, wie viele aus dem Publikum schon ins Schwimmbecken gepinkelt hatten. Weil auch der Moderator auskunftsfreudig war, weiß man heute etwas, was man gar nicht wissen will: Joachim Fuchsberger war einer von ihnen.

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 19 Fernsehshows, die die Nation erregten, Seite 144)

11. Selbst eine Art Dieter Bohlen und „Deutschland sucht den Superstar“ gab es: Peter Frankenfeld war mit mehreren Talentshows im Fernsehen vertreten. Die eine hieß, wie man heute sagen würde, „TTT“ („Toi Toi Toi – Der erste Schritt ins Rampenlicht des Fernsehens“, 1954), die andere „WWDK“ („Wer will, der kann – Die große Talentprobe für jedermann“, 1964). In „TTT“ trat 1959 Carl-Dieter Heckscher auf. Der Mann geriet in Vergessenheit. Dort blieb er aber nicht. Von 1969 an moderierte er als Dieter Thomas Heck die ZDF-„Hitparade“.

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 13 Fernsehstars der ersten Stunde, Seite 13; 7 bemerkenswerte Karrieren, Seite 55)

12. Der Moderator Hugo Egon Balder träumte in diesem Jahr von einer Saufshow mit dem Titel „Der Klügere kippt nach“. Er meinte es tatsächlich als Witz. Deliriershows wie „Die fröhliche Weinrunde“ (ARD, 1964), „Der internationale Frühschoppen (ARD, 1953) oder „Zum Blauen Bock (ARD, 1957) waren ernst gemeint.

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 5 Sendungen mit Quoten im Promille-Bereich, Seite 171)

17. Thomas Gottschalk, der für seine oft taktlosen Sprüche bekannt ist, war früher nicht besser. Vor mehr als zwanzig Jahren sagte er in der ZDF-Show „Na sowas“ zu einer Rentnerin, die leicht bekleidet Akrobatik vollführte: „Passen Sie auf, in Ihrem Alter erkältet man sich schnell die Eierstöcke.“

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 19 Fernsehshows, die die Nation erregten, Seite 145)

19. Der ARD-Moderator Jörg Pilawa sagte 2008: „Wenn ich heute in eine tägliche Talkshow schaue, sehe ich ins Zahnlose. Da sitzen nur noch die ,Schlampen‘ und ,Sozialschmarotzer‘. Solche Sendungen haben wir früher nicht gemacht! Das hätten uns die Landesmedienanstalten sofort verboten! Wir waren deutlich harmloser.“ Früher war alles besser? Vor zehn Jahren moderierte Pilawa eine Talkshow bei Sat 1. Die Titel der Sendungen damals: „Lasst mich in Ruhe – Ich will nicht arbeiten“, „Wer heutzutage noch arbeitet, ist zu dumm, Sozi zu kassieren“ oder auch „Mein Busen ist mein ganzer Stolz“.

(„Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“: 12 Schlampen-Themen von Jörg Pilawa, Seite 75)

Damit wir uns nicht missverstehen: Michael Reufsteck und ich (die Autoren von „Zapp — Merkwürdigkeiten aus der Fernsehwelt“) besitzen natürlich kein Copyright auf die Fakten und haben sie selbst aus vielen, teils fremden Quellen zusammengesucht. Aber sich so offensichtlich und umfangreich zu bedienen, ohne das Buch zu nennen, auf dem der Artikel zu mindestens 90 Prozent basiert, das ist schon ein bisschen… unfreundlich.

[mit Dank an Mumu]

Ulmer „Subway“-Journalismus

Und dann war da noch die „Südwest-Presse“ in Ulm, die sich ein Beispiel an ProSieben nahm und beschloss, einfach mal auf die leckeren Sandwiches der Kette „Subway“ hinzuweisen.

Am 25. September nahm sie den Start der Basketball-Saison zum Anlass, sich mit dem Trainer der Ulmer Basketballer „über Ernährungsfragen“ zu unterhalten. Ein großes Foto über dem Artikel zeigt ihn mit einem Sandwich in der Hand. Die Bildunterzeile und der Artikel beantworten mögliche offene Fragen:


(Die PR-Agentur von „Subway“ kommt übrigens aus Ulm. Kann natürlich auch Zufall sein.)

[mit großem Dank an Benjamin Gasser!]

Die Mutter aller Wahlwerbespots

Es ist ja nicht damit getan, über die vier Millionen Dollar zu verfügen, um sich eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen eine halbe Stunde Sendezeit in der Prime-Time auf den großen amerikanischen Fernsehsendern kaufen und dort gleichzeitig auf sieben Sendern denselben Werbefilm zeigen zu können. Man muss auch etwas daraus machen können.

Barack Obama hat etwas daraus gemacht:

Nach dem Ende dieses Filmes schaltete die Werbung live zu einem Auftritt Obamas in Florida:

Es ist ein Meilenstein in der politischen Wahlwerbung und in seiner genau kalkulierten Mischung aus Krise und Hoffnung, mit all dem Kitsch und Pathos, mit der Inszenierung von Barack Obama als Erzähler statt als Redner und mit der kleinen Dosis Understatement („I will not be a perfect president“) ein Meisterwerk.

McCains Leuten blieb als Antwort nicht viel mehr, als zu erklären:

„As anyone who has bought anything from an infomercial knows, the sales-job is always better than the product. Buyer beware.“

 

Mehr zum Thema:

Teurer Online

Der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) hat eine Studie über „digitale Erlösquellen für Verlage“ veröffentlicht. Sie schätzt, dass der Anteil der Online-Umsätze der Verlage von 5,4 Prozent (2007) auf 13 Prozent (2011) steigen wird.

Man kann die Studie beim VDZ bestellen. Sie kostet analog als Buch 49 Euro. Und digital als PDF-Dokument 59 Euro.

Fragt man nun beim VDZ nach, warum es zehn Euro teurer ist, sich das Buch herunterzuladen, als es sich fertig gedruckt und gebunden zuschicken zu lassen, erhält man zur Antwort:

Dieses Preismodell entspringt einem ganz praktischen Hintergrund: Da die PDFs gerne einmal online weitergegeben werden (und uns damit natürlich Umsatz entgeht), sieht die Kalkulation bei diesen Publikationen einen höheren Verkaufspreis vor als bei der gedruckten Version.

Vermutlich sagt diese Erklärung mehr darüber aus, wie die Zeitschriftenverlage zum Internet stehen und was sie sich unter „digitalen Erlösquellen“ vorstellen, als die ganze Studie.

„Im Prinzip sitzen wir nur unsere Zeit ab“

1976 hat das ZDF für eine Langzeitdokumentation von Helmut Greulich ausprobiert, was passiert, wenn man Menschen vier Wochen den Fernseher wegnimmt.

Sowas ist natürlich heute schon als Versuchsanlage völlig unrealistisch. Nur ein Wochenende lang wollte Sat.1 für die Ausgabe seines Vorabendmagazins am vergangenen Sonntag der Berliner Familie Mantel ihre fünf Fernseher sowie Radios und Computerspiele wegnehmen.

Das hier ist die Stimmung nach nicht einmal 24 Stunden:

Am Sonntagnachmittag war Herr Mantel soweit mit den Nerven runter, dass er das Experiment vorzeitig abbrach.

Es ist ein (vor allem für das „Sat.1-Magazin“) erstaunliches kleines Stück Fernsehen, ebenso amüsant wie erschütternd. Und die Einschaltquote der Sendung am Sonntag war natürlich mies.

Auf sat1.de kann man sich den Beitrag ansehen:

Die ZDF-Witz-Nachrichten

Normen Odenthal, einschlägig bekannter Moderator der ZDF-Nachrichtensendung „heute nacht“, moderierte in der vergangenen Nacht den Bericht über Horst Seehofers Wahl zum Bayerischen Ministerpräsidenten so an:

Um Himmels Willen, wir sind führungslos! Wir haben keinen amtierenden Landwirtschaftsminister! Keinen amtierenden Verbraucherschutzminister! Keinen amtierenden Ernährungsminister! Was soll nur werden? Und wie konnte es soweit kommen? Das immerhin lässt sich sagen: Horst Seehofer hat in Berlin alles hingeworfen und ist seit heute Ministerpräsident von Bayern. Berlin war für ihn also nur ein Seitensprung, in jeder Beziehung.

[via Lukas]

Nachtrag, 29. Oktober. Holla, mit dieser Reaktion habe ich nicht gerechnet: Das ZDF hat die Sendung aus der Mediathek entfernt. Der Kölner „Express“ schreibt, die Anspielung auf Seehofers Affäre habe im Sender Ärger verursacht. Er zitiert einen ZDF-Sprecher mit den Worten: „Das war ein Lapsus, der absolut nicht in Ordnung ist und nicht passieren darf.“ Das ZDF dementiert allerdings die Behauptung des „Express“, ZDF-Intendant Markus Schächter wolle sich heute auf den Münchner Medientagen bei Seehofer entschuldigen.

„morgen bestellen wir ap ab“

Ich bin kein Fan von „Welt Kompakt“, aber diese Wortmeldungen aus der Redaktion sind eine wunderbar ungefilterte Form von Medienkritik und ein schöner Einsatz des Mikro-Blogging-Tools „Twitter“:



AP hatte um 21:23 Uhr eine Eilmeldung mit folgendem Inhalt versandt:

US-Regierung: Verschwörung zur Ermordung Obamas aufgedeckt

Washington (AP) Die US-Regierung hat nach eigenen Angaben eine Verschwörung zur Ermordung des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Barack Obama aufgedeckt.

Erst eine Stunde später, aber ungleich treffender berichtete Reuters, ganz ohne aufgeregtes „Eil“: „Eine Woche vor der Präsidentschaftswahl haben die US-Behörden offiziellen Angaben zufolge möglicherweise einen Anschlag auf den demokratischen Kandidaten Barack Obama vereitelt.“

Mehr bei Medienrauschen.

Angucken: Leiharbeit undercover

Da kommt mal sowas im Fernsehen, und ich verpasse es noch halb. Markus Breitscheidel, ein Undercover-Journalist und Schüler Günter Wallraffs, hat ein Jahr lang als Leiharbeiter gelebt und die systematischen Zumutungen und das Prinzip der Ausbeutung mit versteckter Kamera dokumentiert (und auch ein Buch darüber geschrieben).

Es ist so ein Film, der mich doppelt wütend macht. Zum einen über das politische System und wirtschaftliche Kalkül, das hinter diesem Umgang mit Menschen und „Arbeitskräften“ steht. Zum anderen darüber, wie selten es solche Berichte ins Fernsehen schaffen im Vergleich zu den vielen, ungleich billiger zu produzierenden Magazinen und Doku-Soaps, die die soziale Realität in Deutschland aus der Perspektive der Kontrolleure im Kampf gegen „Sozialschmarotzer“ betrachten.

Falls Sie „Die Story: Leiharbeit undercover“ auch gerade halb oder ganz verpasst haben — die Reportage wird (obwohl man es angesichts der Sendungshomepage der ARD nicht ahnt) wiederholt. Aufnehmen, angucken!

Heute Nacht, 3:05 Uhr, Das Erste.
Montag, 3. November, 5:30, Eins Extra.
Montag, 17. November, 22:00 Uhr, WDR.

Was Gundel Schautzer am 10.11. macht

Soeben erreicht mich die Information, dass der „Schlemmer Atlas“ in diesem Jahr erstmals die Auszeichnung „Gastronom des Jahres“ verleiht, und zwar im Rahmen einer Galaveranstaltung am 10. November mit anschließender „After Show Party und einem gesetzten Gala-Dinner im Wiesbadener Kurhaus“.

Rund 400 Gäste sind geladen, und mit erfrischender Ehrlichkeit führt die Pressemitteilung auf, was für Prominenz man da erwarten darf:

Zum Empfang auf dem roten Teppich haben sich bislang u.a. angemeldet: Hessens Ministerpräsident Roland Koch, Max Schautzer und Frau Gundel, Roberto Blanco mit Freundin Luzandra Strassburg, Marie-Luise Marjan, die Lottoikonen Heike Maurer mit Mann Ralf Immel und Karin Tietze-Ludwig, Jahrhundertkoch Eckard Witzigmann, Circus Roncalli Gründer Bernhard Paul, Marina Giori Lhota Swarovski, Heidi Klums Vater Günther Klum, Sportreporterlegende Rolf Töpperwien und der Wiesenwirt Sepp Krätz.

Der Schwippschwager von Caroline Beil scheint abgesagt zu haben.