Was man nicht mit dem Zweiten sieht

Ich habe dann noch eine Frage zu dem Fernsehpreistheater am Wochenende.

Das ZDF hat aus der Preisverleihung am Samstag größere Teile herausgeschnitten, zum Beispiel eine nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten furchterregende Sketcheinlage von Johann Lafer und Horst Lichter und eine ganze Serie von lustig nur gemeinten Einspielfilmen (ausführlicher haben das die Kollegen von DWDL festgehalten). Das war natürlich im Sinne der Fernsehzuschauer, die so eine bessere und kurzweiligere Show sahen als die Gäste im Saal und geht insoweit völlig in Ordnung. Nur bezog sich der Wutausbruch von Marcel Reich-Ranicki ja gerade auf die Zumutungen dieser Preisverleihung. Offensichtlich waren sie es, die seine Ungeduld und Empörung auslösten, nicht der allgemeine Zustand des Fernsehens. Aber einen erheblichen Teil der Längen und Peinlichkeiten, die Reich-Ranicki ertragen musste, bekam der Zuschauer gar nicht zu sehen. Das ZDF zeigte die Wirkung, aber nicht die Ursache. Ein ehrliches Urteil darüber, ob sein Wutausbruch berechtigt war, kann das Publikum zuhause nicht fällen.

Mir ist schon klar, dass das im konkreten Fall keine dramatischen Folgen hat (und, nein, ich möchte gar nicht sehen, was Lafer und Lichter da vorgeführt haben). Es ist eher eine akademische Frage, die aber vielleicht nicht ganz irrelevant ist, wenn plötzlich eine Grundsatzdebatte über die Qualität des Programmes geführt werden soll: Ist es nicht merkwürdig, mit welcher Selbstverständlichkeit wir es hinnehmen, dass uns das Fernsehen etwas vormacht und ohne Not ein falsches Bild von der Wirklichkeit zeichnet?

Pastewka widerspricht Reich-Ranicki

Elke Heidenreich ist nicht die einzige, die bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises war und sich geärgert hat. Auch Bastian Pastewka hat sich geärgert — aber über den Auftritt von Marcel Reich-Ranicki.

In einem Gastkommentar auf fernsehlexikon.de bedauert er, dass die Sender überlegen, die „Fehlleistung“ des Literaturkritikers auch noch mit einer eigenen Sendung zu belohnen.

Bastian Pastewka: Keine Sendung für Marcel Reich-Ranicki!

MRR will Fernsehquatschpreis nicht

Tja, wie mag er heißen, der Mann, der gerade anscheinend etwas Wunderbares gemacht hat: sich über den ganzen Schrott beklagt, den er sich viele Stunden lang anschauen musste, und es dann spontan abgelehnt, den Ehrenpreis des Deutschen Fernsehpreises anzunehmen? „Spiegel Online“ bietet aktuell nicht weniger als drei Varianten an:


Vielleicht müssen sich die Veranstalter doch langsam etwas ausdenken, auch wenn Hans Janke, der stellvertretende ZDF-Programmdirektor und amtierende Beiratsvorsitzende des Preises, das in der „Süddeutschen Zeitung“ am Freitag so entschieden bestritt. Im vergangenen Jahr nahm Götz George den Ehrenpreis zwar an, stöhnte aber nach der endlosen Preisverleihung voller Preisträger, die er gar nicht kannte: „Ich habe so wahnsinnig Durst und Hunger, wir müssen zum Ende kommen.“ Eventuell könnte man ja den Ehrenpreis zum Auftakt der vielstündigen Sendung überreichen, und Teil der Auszeichnung wäre die Möglichkeit, danach sofort zum Essen gehen und die restlichen 3182 Auszeichnungen schwänzen zu dürfen.

Das ZDF kann in seiner Übertragung der Sendung den von Reich-Rasnitschy ausgelösten Eklat noch nach Gusto glattbügeln. Der Sender hat am Samstag in seiner Vorberichterstattung so getan, als finde die Verleihung erst am Sonntag statt, und zeigt sie dann als Aufzeichnung. Was auch eine Bankrotterklärung des Mediums Fernsehen ist, die Show, nicht wenigstens (wenn schon nicht live) am selben Abend auszustrahlen.

[Disclosure: Ich war 2005 in der Jury des Deutschen Fernsehpreises und habe danach frustriert meinen Platz in dem Gremium geräumt.]

[Frederic Schneider ist auch über den „Spiegel Online“-Artikel gestolpert.]

Nachtrag, 12:15 Uhr. Ein ausführlicher Bericht von Ort steht bei den Kollegen von DWDL, die von einem weiteren Eklat raunen, den sie aber noch nicht verraten wollen, weil sie sich an die Sperrfrist des Senders gebunden fühlen.

Das ZDF spricht auf ZDF.de derweil nur von einem „Beinah-Eklat“:

Nachtrag, 14:40 Uhr. Die Tochter, die den Preis an Stelle des Kritikers entgegen genommen habe, war übrigens auch eine (inzwischen klammheimlich korrigierte) Fehlleistung von „Spiegel Online“.

Nachtrag, 15:40 Uhr. Unbedingt lesen! Elke Heidenreich, die dabei war, ist auf FAZ.net hemmungslos empört:

(…) Wo waren die Programmdirektoren und Intendanten in diesem Augenblick, warum kam keiner von ihnen auf die Bühne, um etwas zu sagen? Weil es verknöcherte Bürokarrieristen sind, die das Spontane längst verlernt haben, das Menschliche auch, Kultur schon sowieso.

Man schämt sich, in so einem Sender überhaupt noch zu arbeiten. Von mir aus schmeißt mich jetzt raus, ich bin des Kampfes eh müde. Ich schäme mich, ich entschuldige mich stellvertretend für alle Leidenden an diesen Zuständen, und derer sind auch in diesen verlotterten Sendern noch viele, bei Marcel Reich-Ranicki für diesen unwürdigen Abend. Ja, bitte nimm den Preis nicht an, jetzt nicht und nie. Lass dich nicht einlullen. Und rede nicht mit den Vertretern der Sender, es bringt nichts. Sie werden es nicht begreifen.

(…) die Radios meldeten schon, Reich-Ranicki habe einen Eklat verursacht. O nein, das hat er nicht. Der Eklat war diese ganze grauenvolle Veranstaltung. Reich-Ranicki war der Lichtblick.

Der Peer und ich bloggen die Aufzeichnung heute Abend „live“ auf fernsehlexikon.de.

„Everything’s drawn and super 80s“

Das hier hat nichts mit irgendwas zu tun (außer vielleicht mit der nach wie vor von den klassischen Medien viel zu wenig gestellten, geschweige denn beantworteten Frage, wie sie die grenzenlose Kreativität, die sich in so vielen YouTube- und anderen Internetprojekten zeigt, in ihr davon oft so schmerzlich freies Programm bekommen — und ich rede hier nicht von dämlichen Clip-Shows), aber die Idee und die Umsetzung sind so toll, dass ich es einfach zeigen muss.

Es ist die Wörtliche-Video-Version von „Take On Me“ von a-ha. Irgendwelche Verrückten haben es neu aufgenommen und den Originaltext durch eine Beschreibung dessen ersetzt, was man im Film sieht:

Ist das nicht ganz groß?

[via Nerdcore]

Einer geht noch, einer geht noch raus

Am heutigen Dienstagvormittag hat „RP Online“, das Internetangebot der „Rheinischen Post“, seinen sechsten Text über die „Wetten dass“-Sendung vom vergangenen Samstag veröffentlicht (die vier Bildergalerien nicht mitgerechnet). Es sind allesamt Texte, die man am besten verstehen kann, wenn man sie sich in der schnörkeligen Handschrift einer Elfjährigen vorstellt: fröhlich gedankenlos hingeschrieben, staunend, plappernd und voller Flüchtigkeits- und Rechtschreibfehler.

Es begann noch am Abend der Sendung:

Frankfurt/Main (RPO). ((Es scheint, als hätte die Düsseldorfer Zeitung einen Korrespondenten vor Ort gehabt. Also, nicht vor Ort der Sendung in Nürnberg. Sondern in Frankfurt/Main.)) Mit sanfter Stimme hauchte sie ihren Song „L’Amoureuse“ ((Richtig.)) in das Mikrofon und verzauberte die Zuschauer mit ihrer Stimme. Carla Bruni wirkte bei ihrem Auftritt bei „Wetten dass…?“ am Samstagabend ungezwungen, natürlich und sympathisch.

(…) Überraschend nahm sich Carla Bruni Zeit für einen kurzen Plausch mit dem Monderator ((sic)). Ihre Augen strahlten, als sie zwischen Karl Lagerfeld und Thomas Gottschalk auf dem „Wetten dass…?“-Sofa saß und mit französischem Akzent „Guten Abend Deutschland“ flüsterte. Spätestens in diesem Moment hatte sie die Herzen der deutschen Zuschauer entgültig ((sic)) erobert. (…)

Das Fazit des Abends: Spannende Wetten, schöne Frauen und erfreulich wenig „Küsschen-Küsschen-Szenen“ von Moderator Thomas Gottschalk.

Am Sonntagmorgen hatten die Bildergalerieproduzenten von „RP Online“ die erste Bildergalerie produziert. In insgesamt 37 Teilen informierte sie die Leser darüber, dass Carla Bruni „bei ihrem Auftritt ungezwungen, natürlich und sympathisch wirkte“. Dazu veröffentlichte „RP Online“ einen zweiten Text:

Düsseldorf (RPO). Mhh, lecker! Thomas Gottschalk musste am Samstagabend bei seiner „Wetten, dass…?“-Sendung in einem riesengroßen Topf mit Senf baden. Gottschalk konnte trotzdem noch lachen. Kein Wunder, schließlich hatte er drei wunderschöne Frauen in seiner Sendung zu Gast.

(…) Sylvie van der Vaart, die Ehefrau des niederländischen Fußballprofis Rafael van der Vaart, rauschte in einem goldenen Kleid – tiefer Ausschnitt inklusive – die Studiotreppe herunter. Thomas Gottschalk verschlug es bei ihrem Anblick kurz die Sprache. Später verlor er sogar seine Moderationskarte und vergaß den Text. Ob das an Sylvie lag? Wer weiß. Jedenfalls schlawenzelte ((sic)) er in typischer Gottschalk-Manier um das Model herum. (…)

[Carla Bruni] hauchte mit sanfter Stimme ihren Song „Comme si de rien n’était“ ((Falsch.)) („Als ob nichts gewesen wäre“) ins Mikrofon und verzauberte die Zuschauer. Bruni wirkte ungezwungen, natürlich und sympathisch. Neben der glitzernden, braungebrannten Sylvie sah sie in ihrem züchtigen Nadelstreifen-Outfit schon fast blass aus.

Angesichts dieses hohen Besuchs wahrte sogar Thomas Gottschalk höflich Distanz – keine Küsschen-Küsschen-Szene und keine schmalzigen Komplimente. Stattdessen ein züchtiges Händeschütteln und der Satz: „Wir haben uns schon mal gesehen, da habe ich Carla noch geduzt. Nun werde er die Gattin des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy aus Respekt siezen“. Brav, Herr Gottschalk. (…)

Das Fazit des Abends: Spannende Wetten, schöne Frauen und am Ende: Thomas Gottschalk in Senf.

Es wurde Nachmittag, und dieselbe Autorin veröffentlichte zu einer weiteren Bilderstrecke („So schön ist Salma im Dirndl“) einen weiteren Artikel:

Nürnberg (RPO). Ein echter Bayer würde wahrscheinlich sagen: „Die hat ordentlich Holz vor der Hütt’n“. Und damit hätte er verdammt recht. Schauspielerin Salma Hayek lag am Samstagabend bei „Wetten, dass..“ mit ihrem Tipp falsch und musste ihr „kleines Schwarzes“ gegen ein Dirndl eintauschen. Es war wie für sie gamacht ((sic)) .

(…) Sylvie van der Vaart, die Ehefrau des niederländischen Fußballprofis Rafael van der Vaart, rauschte in einem goldenen Kleid – tiefer Ausschnitt inklusive – die Studiotreppe herunter. Thomas Gottschalk verschlug es bei ihrem Anblick kurz die Sprache. Später verlor er sogar seine Moderationskarte und vergaß den Text. Ob das an Sylvie lag? Wer weiß. Jedenfalls schlawenzelte ((sic)) er in typischer Gottschalk-Manier um das Model herum. (…)

Am Ende der Sendung hieß es für Thomas Gottschalk: „Ab in den Senftopf, Herr Gottschalk“. Der Moderator hatte die Saalwette verloren und musste deshalb in einem Senftopf abtauchen. Pech für Gottschalk, lustig für die Zuschauer.

Dann war das Wochenende vorbei, aber „RP Online“ hatte seine Chronistenpflicht noch nicht erfüllt. Am Montagmorgen erschien ein neuer Artikel — der vierte:

Nürnberg (RPO). Selten war ein Dirndl so üppig gefüllt. Der Anblick von Salma Hayeks Dekolletee bei „Wetten, dass..?“ am Samstag war eine Augenweide – keine Frage. Das scheint auch die Schauspielerin selbst so zu sehen, denn sie wählte genau dieses Dirndl aus mehreren Kleidern aus.

(…) Salma ist insgesamt eine zierliche Person. Doch seit der Geburt ihrer Tochter im September 2007 trägt sie obenherum Körbchengröße 80 C. Das Kleid war für diese Maße „etwas“ zu eng und wurde hinter der Bühne für Salma passend gemacht – fast zumindest. Ein klitzekleines bisschen zu eng war es bei ihrem Auftritt noch immer. Frau Hayek gefällt es trotzdem. Sie will das original bayrische Dirndl offenbar sogar für 2600 Euro kaufen.

Vielleicht sieht man die Schauspielerin ja bald im Dirndl auf einem roten Teppich in Hollywood. Ihre Kolleginnen würde sie mit diesem Outfit jedenfalls reihenweise in den Schatten stellen.

Ja, vielleicht, reihenweise.

Am Abend desselben Tages war es dann mal wieder Zeit für eine neue Bildergalerie: „Die schönsten Dirndl auf dem Oktoberfest“ heißt sie verwirrenderweise, zeigt zunächst vor allem Frau Hayek in Nürnberg, nicht beim Oktoberfest, um dann eine scharfe Kurve zu nehmen: „Doch auf dem Oktoberfest 2008, das am Sonntag zuende ging, tummelten sich noch jede Menge anderer Dirndl-Schönheiten.“

Passend zur Bilderstrecke gab es auch einen neuen Artikel:

Düsseldorf (RPO). Seit ihrem Auftritt bei „Wetten, dass..?“ am Samstagabend steht es fest: Salma Hayek ist die unangefochtene Dirndl-Königin. Mit ihrem Super-Dekolletee können selbst eingefleischte Dirndl-Trägerinnen, wie die Wahl-Münchnerin Veronika Ferres oder Vickey ((sic)) Leandros nicht mithalten. Aber: Nicht nur Salma ist im Dirndl-Rausch.

(…) Auch Salma gefiel sich in dem Kleid und kaufte es für 2600 Euro. Ihr Outfit wurde extra auf ihre Körpermaße zugeschnitten. Ob sie damit im nächsten Jahr auf dem Münchner Oktoberfest erscheinen wird, verriet sie noch nicht.

Fest steht: Mit ihrem Auftritt bei „Wetten, dass..?“ klettert Salma an die Spitze der schönsten Dirndl-(Trägerinnen) ((Bitte beachten Sie auch die mutige Idee, das Wort „Trägerinnen“ einmal in Klammern zu setzen.)) 2008 und lässt prominente Dirndl-Trägerinnen, wie Veronika Ferres, Vickey ((sic)) Leandros und Sarah Brandner, die Freundin von Bastian Schweinsteiger, hinter sich. (…)

Heute nun haben wir Dienstag, aber es gibt ja noch so viel zu sagen zur „Wetten dass“-Sendung vom vergangenen Samstag. Und so wurde aus den bekannten Versatzstücken und Bildern eine weitere Fotostrecke gewirkt („Salma Hayek stiehlt Carla Bruni die Show“) und Artikel sechs veröffentlicht:

Düsseldorf (RPO). Vor der jüngsten Ausgabe des Erfolgsformats „Wetten, dass ..?“ wurde Carla Bruni als absoluter Stargast gehandelt. Doch über die Sängerin und Ehefrau des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy spricht nach ihrem Auftritt niemand mehr – Salma Hayek stahl ihr eindeutig die Show.

(…) Hayek stellt Carla Bruni nicht nur wegen ihrem aktuellen Engagement [für Unicef] in den Schatten. Da sie als Wettpatin verlor (ein BMX-Fahrer schaffte den Sprung über ein mit Rampen versehenes Haus nicht), musste sie in ein knappes Dirndl schlüpfen, das die Männerherzen höher schlagen ließ. Bruni zeigte sich hoch geschlossen, in dunkler Bluse und dunkler Hose.

Da bleibt ein großes Dekolletee und ein schwingender Rock doch eher im Gedächtnis. Und wenn das dafür sorgt, dass auch das Unicef-Engagement Hayeks nicht vergessen wird, können wir froh sein, dass sie die Wette verloren hat.

Nachtrag, 19:00. Soeben ist bei „RP Online“ ein neuer Artikel mit einer weiteren Bildergalerie veröffentlicht worden, diesmal nicht im Ressort „Gesellschaft“, sondern „Digitale Welt“:

Düsseldorf (RPO). Seit ihrem Auftritt bei „Wetten, dass ..?“ ist Schauspielerin Salma Hayek Gesprächsthema Nummer eins – nicht nur in Deutschland. Ihr üppiges Dekolletee, das ein Dirndl formte, geht um die Welt.

Als „Sexy Milkmaid“ wird Hayek in einem US-amerikanischen Blog genannt ((sic)) . (…)

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FUSSNOTEN („sic“ in Auswahl)