Wer hat’s erfunden? (2)

Zu meinem Beitrag über den wenig einfallsreichen Claim von Roger Schawinskis neuem Radiosender erreicht mich die folgende Leserzuschrift von Roger Schawinski:

1. Der Name Radio 1 (oder RadioEins) ist keine Erfindung des RBB. Seit vielen Jahren sendet Radio One der BBC. Auch in anderen Städten der Welt gibt es Radios mit diesem Namen. Grund: Es ist der einfachste Namen für ein Radiosender, der keine weiteren Erklärungen mehr braucht.

2. Der Claim „Nur für Erwachsene“ hat mich tatsächlich fasziniert. Ich halte ihn für genial, unvergleichlich viel besser als die Claims der privaten Sender mit dem Hinweis auf „den besten Mix“ und ähnliches. Obwohl er für die Schweiz nicht geschützt ist, habe ich mich beim RBB erkundigt, ob ich ihn für das Gebiet der Schweiz kaufen kann. Der frühere Chef und Gründer von RadioEins, Helmut Lehnert, der diesen Claim erfunden hat, hat mir in einem Gespräch mitgeteilt, dass er sich beim RBB erkundigen werde. Anschliessend erhielt ich von ihm eine Mail, in der er mir mitteilte, dass ich ihn frei nutzen könne, und zwar – Zitat – „als Geschenk des Hauses.“ Insofern habe ich mich also absolut korrekt verhalten, finde ich. In all meinen öffentlichen Erklärungen habe ich immer darauf hingewiesen, dass ich diesen Claim nicht erfunden, sondern vom Berliner Sender übernommen habe. In keiner Phase habe ich mich mit fremden Federn geschmückt.

3. Radio 1 wird in Sachen Musik ein völlig anderes Programm anbieten also RadioEins Berlin. Das ist ein wichtiges Unterscheidungskriterium. Hingegen habe ich beider Firma Apparat die Rechte für die Popsplits erworben, die RadioEins seit Jahren ausstrahlt, und zwar für die gesamte Schweiz. Diese Rechte gehören dieser Firma und nicht RadioEins. Es ist also eine Form von Franchising, nicht ganz unüblich bei den elektronischen Medien. Dies nur als Hinweis, damit mir nicht unterstellt wird, ich habe auch in diesem Bereich abgekupfert.

4. Radio 1 ist im Gegensatz zu RadioEins ein privates Radio. Trotzdem habe ich dem RBB eine Zusammenarbeit angeboten. Es erschien mir reizvoll, das spannendste Radio von Berlin mit dem hoffentlich spannendsten Radio von Zürich in eine für beide Seiten sinnvolle Beziehung zu bringen. Der RBB hat dies jedoch abgelehnt.

5. Ich bin der Meinung, dass die privaten Radio sowohl in der Schweiz wie in Deutschland durch das Formatkonzept beschädigt worden sind, welches ihnen in den letzten Jahren durch Berater überall verordnet worden ist. Radio 1 möchte zu den alten Tugenden des Privatradios zurückfinden, welche ich als erster im deutschsprachigen Raum bereits 1979 eingeführt habe.

(Um Missverständnissen vorzubeugen: Das ist keine Gegendarstellung, und Herr Schawinski hat auch nicht von mir verlangt, dass ich diese Anmerkungen veröffentliche — es aber erlaubt.)

Kurz verlinkt (15)

Johnny Haeusler im Spreeblick über Kommentare, allgemein:

(…) obwohl ich gelernt habe, Trolls zu ignorieren, Rassisten zu löschen und auf Unterstellungen oder Lügen möglichst nicht zu reagieren, bleibt nicht nur für den oder die Betreiber eines Blogs oft ein bitterer Beigeschmack und ein Verlust an Spaß übrig, wenn auf einen längeren Artikel persönliche Anfeindungen gegen den Autor, andere Leser oder Dritte in den Kommentaren stattfinden.

(…) Der Ton mancher Kommentare, die Art der Auseinandersetzung, wie sie teilweise in Blogs geführt wird, scheint zu einem Blog-Image zu führen, das dem Medium nicht gerecht wird und das vielleicht potentielle Leser abschreckt und somit ein Wachstum der Blogosphäre verhindert.

Und Anke Gröner über die Kommentare hier, konkret.

Monster, unautorisiert

Gestern ist eine Beraterin von Barack Obama zurückgetreten, die Hillary Clinton in einem Interview ein „Monster“ genannt hatte. Samantha Power hatte unmittelbar hinzugefügt, die Bemerkung sei „off the records“, also nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Kritiker warfen der britischen Zeitung „The Scotsman“, die das Interview führte, deshalb vor, sie hätte das Zitat nicht verwenden dürfen. Der „Scotsman“ dagegen betont, es sei vereinbart gewesen, das Interview „on the record“ zu führen — was der Gesprächspartner dann sagt, dürfe auch veröffentlicht werden; ein nachträgliches Zurückziehen gebe es nicht.

In Deutschland ist es immer noch die Regel, dass alle Interviews nachträglich autorisiert werden. Wenn ein Interviewpartner (oder sein Pressesprecher) hinterher pointierte Bemerkungen und offenherzige Kommentare bereut, kann er sie in aller Regel und Ruhe nachträglich revidieren. Was Frau Power wirklich von Frau Clinton hält, hätte bei einem deutschen Printmedium vermutlich niemand je erfahren.

Andererseits kam auch die neue weiche Linie von Kurt Beck gegenüber der Linkspartei im Westen offenbar dadurch an die Öffentlichkeit, dass ein Journalist der „Neuen Presse“ gegen die Gepflogenheit aus einem Hintergrundgespräch mit dem SPD-Chef berichtete und die vereinbarte Vertraulichkeit brach.

Der „Monster“-Fall beschäftigte auch den konservativen amerikanischen Fernsehmoderator Tucker Carlson (mit dem sich der Komiker und Medienkritiker Jon Stewart vor Jahren eine denkwürdige Auseinandersetzung lieferte). In seiner MSNBC-Show „Tucker“ stellte Carlson die britische Journalistin zur Rede, die das Interview mit Samantha Power geführt hatte, und schuf einen dieser Fernsehmomente, die so schrecklich sind, dass man weder hin- noch wegsehen kann:

(„Acquiescent“ heißt übrigens „fügsam“ oder „ergeben“.)

Es lohnt, sich auf MSNBC.com auch einen längeren Ausschnitt aus der „Tucker“-Sendung anzusehen. Carson scheint ein größeres Problem mit britischen Medien zu haben — und schon den Gebrauch der Landesbezeichnung „United Kingdom“ für exzentrisch zu halten.

(via Huffington Post)

Nachtrag: Einige lesenswerte Gedanken zur „off the record“-Praxis stehen im Time-Blog von James Poniewozik.

Wer hat’s erfunden?

Seit Roger Schawinski nicht mehr Sat.1-Chef ist, kennt er sich mit dem Fernsehen aus. Kaum eine Woche vergeht, in der er seinen unfähigen Nachfolgern und ehemaligen Konkurrenten in Aufsätzen, Interviews und Büchern nicht erklärt, was sie alles falsch machen. Kurz gesagt: Sie kopieren zuviel und sind zu wenig kreativ.

Roger Schawinski ist nach seinem Abschied von Berlin zurückgegangen in die Schweiz. Dort hat er den Radiosender „Radio Tropic“ übernommen. In zehn Tagen soll er runderneuert als angeblich erstes privates Programm für 30- bis 60-Jährige in der Schweiz den Regelbetrieb aufnehmen.

Roger Schawinski hat seinen Sender „Radio 1“ genannt. Und ein guter Slogan ist ihm auch eingefallen:

[audio:http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wp-content/radio1b.mp3] [audio:http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wp-content/radio1.mp3]

Ja. Darauf muss man erst einmal kommen.

Googlelos

Ich gehöre zu den (offensichtlich zahlreichen) Leuten, bei denen Google seit rund einer Stunde nicht erreichbar ist. Und wenn ich „Google“ sage, meine ich nicht nur die Suchmaschine, bei der ich im Fall ihrer Nicht-Erreichbarkeit nach Ersatz-Suchmaschinen suchen würde. Ich meine auch den Feedreader meiner Wahl. Und, vor allem: das Mailprogramm meiner Wahl.

Gut, ich wusste immer schon, dass ich von Google abhängiger bin, als gut sein kann. Aber ich hatte immer gedacht, das würde sich in einer Form rächen, dass meine Mails oder die systematische Auswertung meiner Suchanfragen der letzten zehn Jahre an den Meistbietenden versteigert würden. Nicht, dass Google mich einfach eines Tages ausschließen würde.

Das Gefühl ist schlimm. So kündigt sich in unseren Zeiten die Apokalypse an: „Google ist down“. Der Anfang vom Ende. Beunruhigende Gedanken: …soeben ist nun auch in den südlichen Server ein Flugzeug gestürzt…

Dazu die Unfähigkeit, die Tatsache zu akzeptieren, den Computer auszumachen und, sagen wir, das Eisfach abzutauen. Nein. F5. Geht es, wenn ich google.fr eingebe? Nix. Google News? Nix. Google Reader? Nix. Hängt YouTube auch? YouTube hängt auch. Sogar die Google-Ads werden nicht angezeigt. Nochmal nach was suchen. F5. Escape. F5. Ins Postfach gucken. Geht nicht. Jetzt? Jetzt? Jetzt? Jetzt? Jetzt?

Jetzt?

Nachtrag, 17.31 Uhr: Jetzt.

Chronologie einer Falschmeldung V

Erinnern Sie sich an die Geschichte von der Falschmeldung über eine Demonstration in Rostock gegen den G8-Gipfel? Die Nachrichtenagentur dpa hatte fälschlicherweise behauptet, der Globalisierungsgegner Walden Bello hätte von der Bühne zur Gewalt aufgerufen. Viele Online- und Print-Medien übernahmen den Fehler, manche schmückten ihn aus, kaum einer korrigierte ihn (die „WAZ“ schon gar nicht) — und die „Neue Zürcher Zeitung“ verbreitet ihn trotz diverser Nachfragen und Hinweise unbeirrt bis heute.

Diese Geschichte also dreht gerade eine überraschende kleine Ehrenrunde auf der Meta-Ebene. Der „Journalist“, das Verbandsorgan des Deutschen Journalistenverbandes, berichtet in seiner aktuellen Ausgabe über Pläne, den Pressekodex auf Online-Medien auszuweiten, und über die Schwachstellen des Online-Journalismus. In dem Artikel heißt es:

Bekannt wurde [Jens] Bergers Blog www.spiegelfechter.com während des G8-Gipfels in Heilgendamm. Berger (…) wies dem reichweitenstärksten deutschen Nachrichtenportal einen dicken Patzer nach. Spiegel Online hatte bei einer Anti-G8-Demo den philippinischen Globalisierungskritiker Walden Bello nach einer Rede falsch und sinnentstellend zitiert. Das Onlineleitmedium legte ihm die Worte in den Mund: „Wir müssen den Krieg in diese Verstaltung tragen.“ Tatsächlich hatte Bello sich bei seiner Aussage auf den Irak-Krieg bezogen und sinngemäß gefordert, das Thema Irak-Krieg mit in die Veranstaltung zu bringen. Auch dpa und im Gefolge etliche andere Medien hatten die reißerische Schlagzeile verbreitet.

(…) Der Hamburger Onlineprimus musste sich später öffentlich entschuldigen.

Das trifft es nicht.

Nicht Spiegel Online hatte Bello die falschen Worte „in den Mund gelegt“, sondern dpa. Und nicht dpa hatte die reißerische Spiegel-Online-Schlagzeile weiter verbreitet, sondern umgekehrt. Der „Hamburger Onlineprimus“ hatte sich hinterher vorbildlich verhalten, den Fehler frühzeitig korrigiert, die Korrektur deutlich gemacht, seine Genese erklärt.

Im Gegensatz zu Spiegel Online bis heute nicht entschuldigt hat sich der „Spiegelfechter“ Jens Berger, von dessen ersten Darstellungen der „Journalist“ offenkundig die falschen Abläufe übernommen hat. Berger war zwar damals einer der ersten, die auf die Diskrepanz zwischen verbreitetem und tatsächlichem Zitat hinwies. Er entwickelte daraus aber eine haltlose Verschwörungstheorie gegenüber Spiegel Online:

SPON [Spiegel Online] hat sein sinistres Ziel erreicht – mit rund 2 Millionen Besuchern, die mit dieser gefälschten Meldung gefüttert werden, wird erfolgreich Meinungsmache betrieben (…).

Er ging so weit, Spiegel Online eine „absichtliche Fälschung“ zu unterstellen.

Was für eine schöne Pointe bei einem Artikel über die Fehleranfälligkeit von Online-Medien wegen des Aktualitätsdrucks, unter dem sie im Gegensatz zu Print-Medien leiden, und des Kommerzialisierungs- und Boulevardisierungsdrucks, unter dem sie im Gegensatz zu Bloggern leiden: Dass ausgerechnet eine Monatszeitschrift im Zusammenspiel mit einem Blogger so einen Fehler produziert.

Einfach mal abschalten!

Soeben erreicht mich folgende Pressemitteilung:

Schalter (Symbolfoto).
Foto: Winnie Quan.

Berlin / Hannover. Die CeBIT startet mit einem Paukenschlag. Das erfolgreiche Blog stefan-niggemeier.de/blog, bekannt als Innovationsmarktführer im Bereich der Medienbloggerei und preisgekrönt für seine nach unten offenen Kommentarspalten, hat heute bekannt gegeben, als erstes Blog weltweit eine individuell abschaltbare Kommentarfunktion einzuführen. „Auf diese Weise kommen wir den Wünschen vieler Blog-Leser nach, die sich von diesem interaktiven Moment bedroht fühlten oder das unfassbare Gesabbel unter viele Einträgen nicht mehr ertrugen“, erklärte Blog-Betreiber Stefan Niggemeier das neue Feature in dem nach ihm benannten Blog. Durch das Zu- und Abschalten der Diskussion mit den Lesern kann jeder das Niveau des Blogs mit einem einzigen Klick vervielfachen und halbieren bzw., je nach Standpunkt, halbieren und vervielfachen.

Sascha Lobo, strategischer Berater und Vermarkter von stefan-niggemeier.de/blog, sieht in der Technik einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Professionalisierung der Blogosphäre und erwartet eine Explosion der Werbeerlöse im bis zu einstelligen Prozentbereich: „Die Kommentare auf stefan-niggemeier.de/blog beweisen die intensive Mitmachability von Blogs bis tief in die unteren Zielgruppen hinein. Durch die individuelle Abschaltbarkeit wird sich die Nutzervarianz sehr stark einengen — ein klarer Vorteil für den Werbekunden, weil Kommentare nicht mehr unbeabsichtigt gelesen oder geschrieben werden dürften.“

Lobo plant darüber hinaus eine strategisch parallel aufgestellte Kommentarcommunity, oder kurz Kommmmunity, um sich als „First Mover im Bereich Individualized Commentary Annoyance Modulation“ zu positionieren. Niggemeier will mit der Erweiterung auch philosophisches Neuland erobern: „Ob der Kommentar da ist oder nicht, das bestimmt allein der Nutzer, beides ist gleichzeitig möglich.“ Das Projekt soll gleichzeitig als Hommage an das Digitale Kommentariat verstanden werden, als technisches Denk-Mal, das den Menschen zeigen soll, dass bis heute nicht in allen Ländern Kommentare möglich sind.

Das Feature beruht auf einer Technologie aus der PHP-Manufaktur Dipl.-ix.

Fakten sind uns Wurst

Wer mag es wohl unbesehen geglaubt haben und weiter verbreiten, das „Bild“-Schauermärchen von dem Jungen, der nur nett und unwissend seine Schweinefleisch-Würstchen mit den muslimischen Schulkameraden teilen wollte und böse dafür bestraft wurde — ein weiterer Schein-Beleg für unsere Kapitulation vor dem Islam, der mindestens zweifelhaft ist?

Also, mal abgesehen von den Hassbloggern von „Politically Incorrect“?

Richtig, und ich hätte darauf gewettet: die „Achse des Guten“. In diesem Fall Dirk Maxeiner.

Wir sind Gutedel!

Und als der Vorhang aufging, stand da eine Big-Band vor einem überlebensgroßen BILDblog-Logo, gebildet aus 3500 leeren Weinflaschen, Gesamtgewicht knapp 2 Tonnen.

Es war wie ein Traum.

Ich hatte, zugegeben, vorher noch nicht einmal davon gehört, dass es eine traditionsreiche Weinsorte namens Gutedel gibt. Und ich hätte das Markgräflerland auch nicht mit Sicherheit richtig in der südwestlichsten Ecke Deutschlands platziert, in Baden, zwischen Rheinebene und Schwarzwald. Aber dann kam im Januar der Brief von der Markgräfler Gutedelgesellschaft, dass wir ihren Preis gewonnen hätten. Schon die bunte Mischung aus Preisträgern war bemerkenswert, die Ausschreibung („Menschen, deren Eigensinn öffentlich und im besten Sinne kreativ wirksam wird“) klang nach einer begehrenswerten Auszeichnung — und dann war da noch das kluge Motto: „Guter Wein, in Maßen genossen, schadet auch in größeren Mengen nicht“.

Ich hatte gedacht, dass das ein schönes Wochenende wird, aber auf das, was Christoph und mich erwartete, war ich nicht vorbereitet. Nicht auf diesen Aufwand, nicht auf so viel Aufmerksamkeit und Interesse, nicht auf solche unkomplizierte, unaufdringliche, herzliche Gastfreundschaft. 500 Menschen waren ins Stadthaus von Neuenburg am Rhein gekommen, um zu feiern und den ersten Gutedel vom Müllheimer Reggenhag 2007 zu trinken, der ein sehr guter Jahrgang sein soll. Christoph Wirtz hielt eine Laudatio, die so pointiert und pointenreich war, so schonungslos und böse und gut gelaunt, wie ich sie selten gehört habe und sicher noch nie auf etwas, an dem ich beteiligt war. (Leider weigert er sich bislang hartnäckig, sie rauszugeben, aber das kriegen wir noch hin.)

Anstatt das 225-Liter-Fass, das den Preis darstellt, anzuzapfen, wie es Tradition ist, zog der Stifter Hermann Dörflinger beherzt einen Gutedel aus dem Flaschenlogo, um mit uns anzustoßen. Der Kabarettist Mathias Deutschmann, einer der Gründer der Gutedelgesellschaft, ätzte noch ein wenig, und es gab Markgräfler Suppenfleisch mit Bouillonkartoffeln und frischem Meerrettich — wie die „Badische Zeitung“ heute schreibt, „eines der ehrlichsten badischen Gerichte“, quasi als Gegensatz zur „Bild“-Zeitung.

Das aufrichtige Essen kam vom „Taberna“ in Müllheim, einem modernen Restaurant mit italienischer Küche, das wie ein Fremdkörper in der sonst (zumindest von außen) piefig wirkenden Gaststättenlandschaft in Richtung Schwarzwald wirkt. Dorthin ging es nach dem offiziellen Teil auch zum Weiterfeiern, -trinken und -essen. Die Stimmung, die dort herrschte, scheint einigermaßen typisch zu sein — oder wie der „Gault Millau“ formuliert: „Das Taberna betreibt auch einen Weinhandel, wovon seine mitunter recht trinkfeste Klientel umfassend profitiert.“ Bis halb sieben Uhr morgens sollen die letzten durchgehalten haben.

Zum Glück aber bekommt man ja vom Gutedel keinen Kopf (was, wenn ich mich recht entsinne, irgendwie mit der unfassbar niedrigen Restsüße des Weines (0,4 g/l) zusammenhängen soll, vielleicht ist mir beim Versuch, die Behauptung mit dem ausbleibenden Kater einer angemessen schweren Belastungsprobe zu unterziehen, die ein oder andere Erinnerung durcheinandergeraten — leider mir unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt ist aber, wie mir ein älterer Mann am Waschbecken in der Herrentoilette des Stadthauses eindringlich die Regel mit auf den Weg gab: „Es gibt Badische und Unsymbadische“). Allerdings gab es am Abend darauf auf Einladung von Hermann Dörflinger noch einen Vergleichstest, wie der Organismus darauf reagiert, über viele Stunden viele verschiedene gute Weine von ihm durcheinander zu trinken — nicht so gut. Wir saßen in einem kleinen Häuschen zusammen, das die Dörflingers inmitten ihrer Weinberge haben und von dem aus man wunderbare Sonnenuntergänge über den Vogesen sehen können soll (im Dunkeln sieht man vor allem das neue Gewerbegebiet Müllheim-West, was der Stimmung und Gemütlichkeit keinen Abbruch tat).

Diesmal hatte Torsten Jauch vom „Taberna“ unter anderem junge Ziege mitgebracht, die man hier „Gitzi“ nennt — und einen sensationellen Schokoladenpudding. (Das „Taberna“ hat übrigens eine Homepage, bei der sich ein Großteil der Fotos auch hervorragend als Bildschirmschoner oder -hintergrund eignet. Keine Ahnung, ob man vom Angucken schon zunimmt, ich halte das aber für wahrscheinlich.)

Für mich war diese Preisverleihung die wunderbarste überhaupt (und das nicht nur, weil man den Preis trinken kann). Ich bin eigentlich jemand, der lieber mit 4 Leuten feiert als mit 40 oder 400 — aber in der Form, in die Markgräfler die Geselligkeit pflegen, kann ich mich sehr für sie begeistern. Das Wochenende wird ein toller Motivationsschub sein — sobald der Restalkohol nicht mehr das Formulieren und Buchstabieren erschwert.

Hillary Clinton

Plädoyer für die Zicke. Die Regeln der Medien sind grausam: Warum Obama nur gewinnen und Hillary Clinton nur verlieren kann.

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Ist denn niemand für Hillary? Warten alle nur darauf, dass sie endlich aufgibt? Oder ist es fast schöner, sie noch länger verlieren zu sehen, Vorwahl um Vorwahl, noch ein bisschen zu rechnen, wie aussichtslos ihr Kampf längst ist, noch ein bisschen zu lästern, über den Einsatz ihres Mannes, noch ein bisschen zu zeigen, wie hinter ihr im Publikum immer ältere Leute stehen, während bei Barack Obama die Jugend, die Zukunft ist?

Fast möchte man schon deshalb für Hillary Clinton sein, um gerade nicht Teil dieser erstaunlichen Welle zu sein, von der Obama getragen wird. Und auch, um sich den Mechanismen der Medien zu widersetzen, die einen wesentlichen Anteil daran haben, dass alles gegen Hillary Clinton zu sprechen scheint.

Ganz einig sind sie sich noch nicht, ob der richtige Fachausdruck nun „Obamomentum“ oder „Obamentum“ ist. Aber dass man über den Siegeszug von Barack Obama nicht reden kann, ohne das Phänomen des „Momentums“ zu beschreiben, steht außer Frage. Das Faszinierende an diesem Phänomen ist, dass es schon dadurch entsteht, dass man seine Existenz behauptet.

Einen äußeren Anlass braucht es auch, und bei Barack Obama war einer der wichtigsten der Sieg bei den ersten Vorwahlen in Iowa. Zu gewinnen gab es dort zwar kaum Wahlmänner, aber eben: Momentum, und schon am Wahlabend konnte man zum Beispiel auf CNN sehen, wie der Schwung entsteht, den ein Kandidat angeblich durch eine solche symbolische Wahl bekommt: dadurch, dass Dutzende Kommentatoren, Moderatoren, Experten und Korrespondenten den ganzen Abend behaupten, dass dieser Sieg dem Kandidaten diesen Schwung bescheren werde.

Menschen sind eher bereit, sich zu Siegern zu bekennen. Diese Wirkung wird durch die Medien — insbesondere in einem Biotop wie der amerikanischen Vorwahl, in dem aus sehr begrenztem Material unendliche Mengen content produzieren werden müssen – so massiv verstärkt, dass sich ein Rückkopplungseffekt einstellt, der alles überlagert. Am Ende ist es egal, ob es ursprünglich wirklich ein Momentum gab: Wenn die Medien der Meinung sind, es gebe einen solchen Schwung, und das oft genug beteuern, wird es ihn auch geben.

Es gibt eine Reihe solcher sich selbst verstärkenden Effekte in diesem Vorwahlkampf, und fast alle funktionieren zugunsten von Obama. Da ist etwa die Frage, ob die Superdelegierten, die nicht durch das Votum in den Bundesstaaten gebunden sind, einen wachsenden Druck verspüren, massenhaft zu Obama überzulaufen – weil es den Wählern schwer zu vermitteln wäre, wenn sie anders stimmten als das Fußvolk. Vermutlich gab es tatsächlich, bevor auch nur ein einziges Medium diesen Gedanken formulierte, Superdelegierte, die diesen Druck verspürten. Aber so richtig entstand dieser Druck natürlich erst dadurch, dass die Medien die Frage breit diskutierten, ob es diesen Druck gebe. (Ohnehin wird in solchen Debatten gerne so getan, als gebe es eine faktische überwältigende Stimmenmehrheit und nicht nur eine wachsende, aber immer noch knappe Mehrheit – plus ein gewaltiges Momentum, natürlich.)

Die Erzählstruktur, die Dramaturgie und Rollenverteilung haben sich inzwischen so verfestigt, dass selbst Hillary Clintons Erfolge entsprechend umgedeutet werden. Sie bekam vorige Woche viel Applaus für eine Bemerkung am Ende einer Fernsehdebatte: Was immer geschehe, ihnen beiden, ihr und Barack Obama, werde es gutgehen – die Frage, um die es wirklich gehe, sei, ob es Amerika gutgehen werde. Das allgemeine Lob für diesen Moment wurde schnell vergiftet, als die ersten Kommentatoren fragten, ob das nicht ein guter Satz wäre, sich mit Würde aus dem Rennen zu verabschieden.

Der Aufstieg Obamas vom Außenseiter zum Favoriten beruht natürlich nicht ausschließlich darauf, dass ihn die Regeln begünstigen, nach denen Medien aus Entwicklungen Theaterstücke machen und aus Ereignissen Szenen darin. Obama reflektiert das echte Bedürfnis vieler Amerikaner nach einer anderen Art von Präsidenten. Und so wie sein sicheres Auftreten viele Beobachter überrascht hat, so katastrophal waren viele Fehler, die Clintons Kampagne machte. Dass die Dramaturgie in diesem Maße gegen sie spricht, ist auch ihre eigene Schuld. Sie hat versucht, die Rolle der unvermeidlichen Kandidatin zu spielen. Das hätte funktionieren und alle anderen Mitbewerber marginalisieren können. Aber schon ein einziges Ergebnis wie das in Iowa reichte aus, dieses Rollenbild als unrealistisch zu entlarven – und ihre Wunschdramaturgie zu vernichten. Fortan war Obama immer in der leichteren, attraktiveren Position: der des Herausforderers, des Underdogs, desjenigen, der aufholt. Obama konnte nur gewinnen, Clinton nur verlieren. Jeder Sieg für ihn war ein vernichtender Schlag gegen sie. Jeder Sieg für sie war das eigentlich normale Ergebnis, über das er sich nicht grämen musste.

Erstaunlicherweise hat sich diese Lesart bis heute erhalten – obwohl Obama jetzt in jeder Hinsicht führt. Clinton muss unbedingt Punkte machen, und er gewinnt schon, wenn sie ihn nicht vernichtend schlägt. Sie muss ackern, er nichts tun, außer gelegentlich ihre Angriffe abzuwehren – oder abtropfen zu lassen.

Ihre Behauptung, dass sie, im Gegensatz zu ihm, genug Erfahrung mitbringe, um vom ersten Tag der Amtszeit an das Land führen zu können, macht sie angreifbar. Schon der kleinste Fehler, wie das Stolpern über den Namen des nächsten russischen Präsidenten, genügt scheinbar als Beweis dafür, dass es mit dieser Behauptung nicht so weit her sein kann. Sie muss ihre behaupteten Qualitäten jederzeit beweisen. Ihm reicht es, wenn er gelegentlich kompetenter ist, als sie ihm unterstellt. (Und, keine Frage: Das gelingt ihm regelmäßig.)

Selbst wenn man all diese Regeln kennt, nach denen Medien funktionieren, und die Rollen identifiziert hat, die die Kandidaten spielen oder zugeschrieben bekommen haben (und wer wie Obama gleichermaßen mit John F. Kennedy und Ronald Reagan verglichen wird, hat fast schon gewonnen), selbst dann ist es erstaunlich, mit wie viel Häme die Kommentatoren jeden Fehler, jede Niederlage Clintons kommentieren.

Wie tragisch ist das für sie: In jedem anderen Wahlkampf hätte sie, schon weil sie eine Frau ist, als Symbol für den Wandel, für einen radikalen Wandel Amerikas gegolten. Außer natürlich im Wettbewerb mit einem Schwarzen. Wenn Clinton öffentlich davon spricht, wie sehr ihre Wahl auch bedeuten würde, dass eine Frau die „gläserne Decke“ durchbräche, erntet sie angesichts ihres Gegners und der ungleich größeren Revolution, die seine Wahl darstellen würde, vor allem Spott – was ebenso nachvollziehbar wie ungerecht ist.

Betrachtet man die Kandidatenkür der Demokraten als Wettstreit zwischen zwei Vertretern unterrepräsentierter sozialer Gruppen, ist Hillary Clinton ebenfalls im Nachteil: Jedes auch nur annähernd rassistische Argumentationsmuster ist ein starkes Tabu; sexistische Äußerungen dagegen gelten nur als nicht besonders fair – die Unzulässigkeit von solchen Sprüchen wie dem des rechten Radio-Mannes Rush Limbaugh, Amerika sei noch nicht bereit, zuzusehen, wie sein Präsident vor ihren Augen „sich in eine alte Frau verwandelt“, lässt sich verlachen.

Es muss eine besondere Genugtuung gewesen sein für Hillary Clinton, nach all den (teils selbst verschuldeten) Zumutungen durch die Medien, dass sich am vergangenen Wochenende wenigstens die traditionsreiche Comedysendung „Saturday Night Live“ auf ihre Seite schlug -– und über den merkwürdig unterschiedlichen Umgang mit den beiden Kandidaten mokierte. In einem ebenso lustigen wie offensichtlich ernst gemeinten Monolog brach Moderatorin Tina Fey eine Lanze für Clinton. Sie mokierte sich über die scheinbare Angst der Amerikaner, mit Hillary gleichzeitig einen Co-Präsidenten Bill Clinton zu wählen, und kommentierte ironisch: „Ja, das wäre furchtbar: Zwei intelligente, qualifizierte Menschen zu haben, die gemeinsam daran arbeiten, Probleme zu lösen. Warum sollte Starsky mit Hutch reden? Ich will die Show ,Starsky‘ sehen!“ Dann schwärmte sie noch davon, dass Clinton selbstverständlich eine bitch sei, eine fiese Zicke, denn Zicken erreichten etwas im Leben, und rief: „Bitch is the new black!“

Es war ein wohltuender und notwendiger Kontrast zur „Obamania“, vermutlich aber ein folgenloser. Wenn Hillary Clinton und ihre Leute nun anfangen, sich über echte und vermeintliche Benachteiligungen in der Berichterstattung zu beschweren, macht das die Sache nur noch schlimmer. Selbst berechtigte Kritik stößt auf Häme und Empörung und wird als Rundumschlag einer schlechten Verliererin gewertet. Egal, was sie tut: Es scheint unmöglich, aus ihrer Rolle herauszukommen.

James Poniewozik, der Medienkritiker von „Time“, sieht immerhin eine kleine Chance, dass es Clinton gelingen könnte, einige Wähler in den entscheidenden Vorwahlen in der kommenden Woche davon zu überzeugen, dass eine Stimme für sie eine Stimme gegen die Medien wäre und gegen die ungerechte Behandlung, die ihr zuteilwird – in schmerzhafter Erinnerung an die ungerechte Behandlung, die den Demokraten so oft zuteilwurde.

Wenn Barack Obama tatsächlich die Vorwahlen gewinnt, wird er den Gegenwind der konservativen Meinungsmacher, die es immer noch schaffen, die Tagesordnung zu bestimmen, mit voller Wucht zu spüren bekommen. Dann werden die Rollen in dem Drama neu verteilt. Obama wird nicht mehr der Underdog sein, sondern der Favorit, und anders als im innerdemokratischen Rennen werden all die Ressentiments, die sich gegen ihn und seine Herkunft wecken lassen, ins Spiel gebracht. Die ersten konservativen Radiomoderatoren laufen sich schon warm und nennen konsequent und bedeutungsschwanger Obamas zweiten Vornamen: „Hussein“!

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

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Quellen und weiterführende Links:

„Huffington Post“: „Go Hard Or Go Home? The Media Drumbeat For A Hillary Exit“

„Tuned-in“-Blog von „Time“: „Live from New York Ohio: Hillary’s SNL Defense….“

Howard Kurtz, „Washington Post“: „‚Soft‘ Press Sharpens Its Focus on Obama“

„Boston Globe“: „The Double Standard“

Tina Fey über Hillary Clinton in „Saturday Night Live“:

Hillary Clinton zu Gast in der „Daily Show“: