Heino Ferch

Das ist sicher immer wieder von großer Dramatik, wenn sich Sat.1 und die Produktionsfirma Teamworx zusammensetzen, um zu entscheiden, wer die männliche Hauptrolle im nächsten historischen „Event“-Zweiteiler spielen soll. Ich stelle mir das so vor, dass die für ein paar Tage alle Termine absagen und sich in ein abgelegenes Konferenzzentrum zurückziehen. Dort werden endlos Castingbänder gesichtet, Quoten ausgewertet, Honorare durchgerechnet, Grundsatzfragen erörtert, und kurz bevor es so aussieht, als müssten nicht nur Freundschaften und Karrieren, sondern das ganze Projekt begraben werden, sagt ein Serviermädchen im Hinausgehen den rettenden Satz: „Ich dachte, die nehmen eh wieder den Ferch“, und es gibt ein großes Hallo, und die Marktforscher bestätigen, dass sich ihre komplexen Zahlen auf die einfache Formel bringen lassen, dass das Sat.1-Publikum gerne Helden mag, die aussehen, sich bewegen und reden wie Heino Ferch, und verblüfft und glücklich stellen alle nach einem Anruf fest, dass Heino Ferch sich die Zeit für die Dreharbeiten schon frei gehalten hat, als hätte er es geahnt.

Die offizielle Legende lautet zwar, dass Heino Ferch selbst es war, der unbedingt den Heinrich Schliemann spielen wollte, seit er auf einem langen, langen Flug einmal ein Buch über ihn gelesen hat, aber wer weiß, ob dieses Interesse nicht auch einfach zurückdatiert wurde, wie Schliemann es mit seinem Interesse an Troja tat.

Andererseits: Vielleicht hat man sich bei Sat.1 doch sehr bewusst entschieden, gerade diese Rolle mit diesem Schauspieler zu besetzen. Denn wenn ich „Der geheimnisvolle Schatz von Troja“ (morgen und übermorgen, 20.15, Sat.1) richtig verstanden habe, geht es den Fernsehleuten darum, Schliemann als jemand zu zeigen, der nicht nur beknackt war, sondern sich auch große Mühe gegeben hat, beknackt zu wirken. Und wenn es etwas gibt, das Heino Ferch beherrscht, dann das: Einen Besessenen so zu spielen, dass es aussieht, als versuche jemand angestrengt so auszusehen, als sei er besessen. Wenn Schliemann entschlossen ist, guckt er nun wie jemand, der entschlossen aussehen will, wenn er wütend ist, wie jemand, der wütend aussehen will. Das ist womöglich die ganz große Schauspielkunst, die nur zufällig wie ihr Gegenteil erscheint.

Ich habe mir dann den zweiten Teil geschenkt. Am Ende des ersten ist Schliemann scheinbar tot, bevor er überhaupt den Schatz des Priamos entdeckt hat, und ich fand das sehr angemessen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Das Staunen hört nie auf

Okay, es ist ein bisschen absurd, wenn ich hier Cross-Promotion für BILDblog mache. Aber weil immer wieder die Kritik kommt, dass wir doch nur Tag für Tag altbekannte Dinge aufschrieben, die jeder seit 30 Jahren wisse:

Ich wusste das zum Beispiel nicht, dass die „Bild“-Zeitung praktisch den vollständigen Inhalt einer Anzeige, die ein sehr guter Kunde im Blatt gebucht hat, einen Tag zuvor als exklusive redaktionelle Informationen aufbereiten würde. Ich wusste nicht, dass sie, wenn sie dafür vom Presserat gerügt wird, das als „massiven Angriff auf das journalistische Selbstverständnis“ werten würde. (Ein massiver Angriff auf ihr journalistisches Selbstverständnis ist es natürlich schon. Aber das ist der Pressekodex per se. Das ganze Persönlichkeitsrecht ist im Grunde ein massiver Angriff auf das journalistische Selbstverständnis von „Bild“.) Ich wusste nicht, dass der „Bild“-Chefredakteur die Rüge in einer Pressemitteilung als „völlig inakzeptabel“ bezeichnen würde und das euphorische Vorabmelden einer Anzeige als „einwandfreie journalistische Arbeit“.

Okay, dass „Bild“ bei allem werblichen Überschwang dann hinterher auch noch die Zahl der Internet-Seitenabrufe mit Bestellungen verwechseln würde, das habe ich dann fast erwartet.

[Disclaimer: Dies ist nicht das BILDblogblog. Dies ist meine persönliche Meinung.]

Großer Murks

Das Schöne am Grimme-Preis ist, dass man über ihn diskutieren darf. Dass die Jury ihre Entscheidungen begründet und es nicht nur erlaubt, sondern sogar gewollt ist, den Entscheidungsprozess in Artikeln transparent zu machen.

Insofern geht es auch völlig in Ordnung, dass Jana Hensel, die mit sieben Kollegen und mir in der neu geschaffenen Jury „Unterhaltung“ saß, nun in der „Süddeutschen Zeitung“ schreibt, unsere mehrheitlich getroffene Entscheidung sei „großer Murks“. Und natürlich kann man darüber streiten, ob denn eine Sendung wie „Extreme Activity“, die nicht mehr ist als ein lustiger Kindergeburtstag (aber, bei einer guten Folge, ein sehr lustiger Kindergeburtstag) einen Preis gewinnen soll, dem man gerne Adjektive wie „renommiert“ oder auch „alterwürdig“ schenkt. Man soll sogar darüber streiten.

Ich hatte mich eher für „Schlag den Raab“ stark gemacht, weil ich das für die mutigere Sendung halte. Andererseits hat sie nicht nur unfassbare Längen, sondern ist auch in vieler Hinsicht noch unfertig, vor allem in der Premierensendung, um die es bei Grimme ging. „Extreme Activity“ ist dagegen viel risikoloser, aber perfekt produziert. Das Tempo stimmt, die Besetzung, das Studio, die Moderation, die Spielregeln; alles ist sehr kurzweilig. Ja: flüchtig auch, da gibt es keinen, aber wirklich: keinen Anspruch jenseits dessen, die Zuschauer 60 Minuten zu amüsieren. Aber das muss man ja erst einmal schaffen.

Und dafür einen Grimme-Preis? Wie gesagt: darüber darf man streiten. Aber vielleicht müsste man nicht gleich so tun, als erschüttere diese Entscheidung den Preis in seinen Grundfesten, und über den Text schreiben: „Bisher war der Grimme-Preis in der Medienbranche gleichbedeutend mit einem Ritterschlag“, als sei das nun nicht mehr der Fall.

Frau Hensel macht noch einen Exkurs in die Geschichte:

Ein kurzer Blick zurück: Beim Deutschen Fernsehpreis hat man in der Kategorie „Unterhaltung“ Erfahrung, denn in ihr hier wird die beste Unterhaltungssendung gekürt. Als 2005 Clever und 2006 Genial daneben mit Hugo Egon Balder gewann, kommentierten die Beobachter diese Entscheidung mit den betretenen Worten, im nächsten Jahr würden diese Preisträger ohnehin vergessen sein.

Taten sie? Wer? Und warum? „Genial daneben“ gewann den Preis 2004, die Sendung war eine echte Innovation und läuft immer noch.

Weiter im Text:

Tatsächlich jedoch, und das zeigt der Grimme-Preis für Extreme Activity, hat sich das Problem längst verstetigt: In Deutschland scheint niemand zu wissen oder sagen zu können, was gute Unterhaltung ist.

Niemand, außer Frau Hensel natürlich:

Dabei wären es auch hier so simple Kategorien wie Kreativität und Innovation, die man auszeichnen könnte.

Die simple Kategorie Kreativität, soso. Na dann ist es ja einfach. Man setzt sich hin, lässt sich von einem Experten (sagen wir: Jana Hensel) erklären, welche Sendung kreativ ist, welche nur mittelkreativ und welche superkreativ, und zeichnet Letzteres aus.

Die Jury jedoch, das wurde in der internen Diskussion deutlich, tappte in die Falle. Man freute sich am meisten über die Sendungen, die die meisten Lacher produzierten, die am besten sinnfrei unterhalten konnten, so, als setze die Kategorie „Unterhaltung“ die Verabschiedung von allen analytischen, benennbaren Kategorien voraus.

Nun ist aber mal gut. Soweit ich mich erinnere, hat sich niemand in der Jury von analytischen Kategorien verabschiedet. Es gab einfach unterschiedliche Meinungen, welche „analytischen Kategorien“ entscheidend sein sollten und inwieweit sie erfüllt waren. Und die Mehrheit fand, dass Kriterien wie „Tempo“, „gute Moderation“, „gelungenes Casting“ oder „funktionierendes Spielprinzip“ in einer Jury, die sich explizit und ausschließlich mit „Unterhaltung“ auseinandersetzen sollte, durchaus relevant waren. (Und was spricht eigentlich gegen die eher empirische als analytische Kategorie: „produziert die meisten Lacher“?)

Frau Hensel war anderer Meinung. Vielleicht müsste sie uns anderen dennoch nicht gleich zu Idioten erklären.

Hihi

Der Anteil der US-Amerikaner, die Vizepräsident Dick Cheney positiv beurteilen, ist auf beeindruckende 18 Prozent gesunken. Ana Marie Cox, Wonkette-Gründerin und Washington-Korrespondentin von Time.com, bloggt dazu:

If he had feelings, I’m sure they’d be hurt by this.

UPDATE: I used to joke that Cheney was so disliked he was actually less popular than torture. (…) Turns out saying that Dick Cheney is less popular than torture is like saying slugs are less popular than ice cream. (…) I could only find a 2004 poll handy, but it says sixty-three percent of Americans say torture should never be used, leaving a tantalizing 37 percent who apparently are okay with it. Cheney wishes for 37 percent!

UPDATE: Commenter „space“ makes an excellent point: „In fairness to torture, it might be more popular if Cheney wasn’t dragging down its poll numbers.

Die deutschen Anrufsender und das Gesetz

In Großbritannien und den Niederlanden wird aus unterschiedlichen Gründen gegen die Veranstalter von kostenpflichtigen Gewinnspielen und Abstimmungen im Fernsehen vorgegangen. In Großbritannien wegen Betrugs. In den Niederlanden, weil es sich möglicherweise um unerlaubtes Glücksspiel handelt.

Und in Deutschland? Müsste man gegen die Sendergruppen von ProSiebenSat.1 und MTV sowie das DSF eigentlich aus beiden Gründen vorgehen.

Betrug?

Sämtliche Veranstalter ignorieren die Empfehlungen der Landesmedienanstalten und informieren konsequent falsch über Spieldauer, Spielchancen, Spielmodus, Schwierigkeitsgrad, Lösungsweg und (im Fall von Viva/Nick/Comedy Central) sogar die Gewinnsumme. Vor allem in den Sendungen, die von der Firma Callactive für die MTV-Sender produziert werden, wird aber noch mit ganz anderen Tricks gearbeitet.

Ein Beispiel: Die Sendung „Quiz Zone“ ist täglich am späteren Abend mehrere Stunden lang auf dem Kindersender (!) Nick zu sehen. Sie läuft fast jeden Tag nach dem gleichen Schema ab. Am Anfang werden ein paar kleine Gewinne ausgespielt. Dann beginnt ein Spiel, in dem es scheinbar viel Geld zu gewinnen gibt (zum Beispiel „50 Geldpakete“ oder mehrere tausend Euro). In diesem Spiel gibt es in aller Regel bis eine Minute vor Ende der Sendung keinen Gewinner. Es werden Leitungen geöffnet und geschlossen, Countdowns gezählt, falsche Endzeiten der Sendung angegeben, die Gewinnsummen vervielfacht und wieder reduziert, Spiele ungelöst abgebrochen, aber einen Gewinner gibt es bis unmittelbar vor Ende der Sendung nicht. Und das, obwohl in der „Quiz Zone“ auch vorher immer wieder angebliche Anrufer ins Studio gestellt werden. Diese angeblichen Anrufer geben aber entweder falsche Antworten, brabbeln unverständliches Zeug oder legen einfach wieder auf.

Dieser Spielablauf ist im Prinzip jeden Abend gleich. Wenn deutlich vor Ende der Sendung bei hohem Gewinnversprechen jemand ins Studio gestellt wird, kann man sicher sein, dass er die Antwort nicht weiß. Ein Gewinner wird erst unmittelbar vor Ende der Sendung, dann meist bei deutlich reduzierter Gewinnsumme, durchgestellt.

Man kann sich in den entsprechenden Foren von call-in-tv.de Dutzende von protokollierten „Quiz Zone“-Sendungsverläufen durchlesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Sendungsverläufe zufällig ergeben, liegt ungefähr bei null. Die einzig plausible Erklärung für die Art, wie die Sendung „Quiz Zone“ Abend für Abend verläuft, ist die, dass die frühen Falschanrufer und Aufleger keine echten Anrufer sind, sondern von Callactive gefaked werden, um dem Zuschauer vorzutäuschen, er habe eine Chance, schon vor Ende der Sendung durchzukommen.

Um es deutlich zu sagen: Ich kann nicht beweisen, dass Mitarbeiter der Firma selbst bei „Quiz Zone“ anrufen und gezielt durchgestellt werden, um falsche Antworten zu geben, und die Zuschauer so — zusätzlich zu der Vielzahl von falschen oder irreführenden Einblendungen und Moderatoren-Aussagen — betrogen werden. Ich habe keine Aussage von einem Aussteiger aus der Szene und auch kein internes Callactive-Papier vorliegen. Ich habe nur die bloße Anschauung als Indiz, aber das ist sehr überzeugend. Sagen wir so: Wenn ein Poker-Spieler jeden Abend den gleichen „Royal Flush“ hinblättert, nehme ich bis zum Beweis des Gegenteils an, dass seine Karten gezinkt sind.

(Callactive ist übrigens eine Tochter von „Wer wird Millionär“-Produzent Endemol. Eine andere Tochter von Endemol ist maßgeblich in den britischen Betrugsskandal verwickelt. Die Welt ist klein.)

Verbotenes Glücksspiel?

Nach Paragraph 284 StGB wird bestraft, wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet. Erlaubt sind dagegen zum einen Geschicklichkeitsspiele, bei denen die Teilnehmer bestimmte Fähigkeiten oder Kenntnisse unter Beweis stellen müssen, um zu gewinnen, und zum anderen Preisausschreiben oder Gewinnspiele, bei denen Teilnehmer keinen erheblichen Einsatz erbringen müssen.

Geht es bei den 9Live-Spielen um Wissen, Fähigkeiten oder Geschick? Teilweise ja — wenn die Aufgabe etwa lautet, sieben Tiere zu nennen, deren dritter Buchstabe ein „U“ ist. (Wobei die eigentliche Aufgabe häufig darin besteht, die überhaupt geltenden Regeln zu erraten, was wiederum nichts mit Geschick zu tun hat.) Der Bundesgerichtshof urteilte allerdings:

Ein Glücksspiel liegt auch dann vor, wenn der Spielerfolg nicht allein vom Zufall abhängt, dem Zufallselement aber ein Übergewicht zukommt.

Bei den Telefon-Gewinnspielen von 9live und anderen entscheidet der Zufall darüber, ob man überhaupt ins Studio durchgestellt und am eigentlichen Gewinnspiel teilnehmen darf. Experten wie die Rechtsanwälte Manfred Hecker und Markus Ruttig folgern daraus, dass solche Spiele in jedem Fall als Glücksspiele einzuordnen seien — selbst wenn das „nachgelagerte Spiel“ tatsächlich eine besonderes Geschick erfordert.

Bleibt die Frage, ob der Einsatz, den der Spieler zur Teilnahme leisten muss, „erheblich“ ist. Es ist kein Zufall, dass ein Anruf bei den Abzocksendern meist 50 Cent kostet. Das entspricht ungefähr den Kosten einer Postkarte und gilt damit nach der üblichen Rechtsprechung als „unerheblich“. Durch die Einführung einer solchen „Geringfügigkeitsgrenze“ haben die Gerichte vor Jahrzehnten verhindert, dass durch das Verbot des Glücksspiels gleichzeitig auch Kreuzworträtsel oder Preisausschreiben verboten wurden. An die Wiederholtaste beim Telefon, die interaktiven Medien, das erheblich höhere Suchtpotential eines Live-Anruf-Quiz und die Möglichkeit, dass der Veranstalter an den erheblichen Einnahmen aus den Telefongebühren beteiligt werden könnte, hatte zu der Zeit, aus der diese Rechtsprechung stammt, noch niemand gedacht.

Ist der Einsatz bei 9Live & Co. also „erheblich“? Wenn man den einzelnen Anruf zu 50 Cent betrachtet: natürlich nicht. Andererseits ist die gesamte Sendekonzeption offensichtlich auf eine wiederholte Teilnahme und dadurch de-facto eine Erhöhung des Einsatzes angelegt. Rechtsanwalt Hecker meint deshalb, man müsse den Gesamteinsatz eines Teilnehmers für ein Spiel berücksichtigen. Dann wäre der Einsatz alles andere als „geringwertig“. (Zum Beispiel wurde eine Rentnerin 2005 zur Zahlung von 23.087,10 Euro verurteilt, weil sie in 44 Tagen insgesamt 47.024 mal bei 9Live angerufen hat, ähnliche Fälle sind immer wieder in 9Live-Sendungen zu hören.)

Würde man immer nur den Einzeleinsatz betrachten, müsste es konsequenterweise auch zulässig sein, so Hecker, „ohne Erlaubnis in der Öffentlichkeit einen Rouletttisch aufzustellen, an dem nur mit Jetons zu 50 Cent gespielt werden kann und jeder Mitspieler bei jedem einzelnen Lauf nur einen Jeton legen darf.“

Die meisten Gerichte haben sich dieser realistischen Bewertung der Höhe des Einsatzes jedoch noch nicht angeschlossen. Immerhin hat aber sogar das Oberlandesgericht München in seinem Urteil, in dem es die 9Live-Spiele für grundsätzlich zulässig erklärte, einschränkend hinzugefügt:

3. Eine Wettbewerbswidrigkeit ist nur dort gegeben, wo ein Moderator vortäuscht, dass keine Teilnehmer anrufen würden, obwohl dies nicht zutrefft, um Personen zur Teilnahme zu bewegen. (…)

5. Die Unerheblichkeit [des Einsatzes] kann (…) dann überschritten werden, wenn der Teilnehmer zu mehrmaligen Anrufen aufgefordert und motiviert wird.

Komisch. Wann immer ich eine Sendung von 9Live oder Callactive einschalte, muss ich nicht lange warten, bis der Moderator vortäuscht, dass keine Teilnehmer anrufen würden, oder die Zuschauer motiviert, mehrmals anzurufen.

Nobody in their right mind…

Um 40 bis 50 Prozent sind die Anrufzahlen bei den kostenpflichtigen Gewinnspielen und 9live-Varianten im britischen Fernsehen zurückgegangen, seit sich der Medienausschuss der Unterhauses eingeschaltet hat. Channel 4, Channel Five und ITV mussten wegen diverser Unregelmäßigkeiten vorübergenend sämtliche „Spiele“ dieser Art aus dem Programm nehmen. Der Vorsitzende des Parlamentsausschusses sagte:

„We lifted up a stone and since then every day has brought fresh revelations. It’s got to the stage where it’s beginning to bring the entire industry into disrepute. Their credibility has been completely destroyed. Nobody in their right mind would enter one of these things at the moment.“

Ich möchte auch in einem Land mit funktionierender Medienaufsicht leben.

Bei RTL.de ist das Grauen jetzt blau (2)

Nicht, dass jemand glaubt, RTL Interactive hätte es nach den, äh, Anfangsschwierigkeiten geschafft, aus RTL.de eine funktionierende Internetseite zu machen:






Und, mein aktueller Favorit:

Das einzige, das zuverlässig funktioniert, ist die Deklaration von Werbung als redaktioneller Inhalt.

Und welchen Sinn hatte es nochmal, Millionen für einen Werbekampagne auszugeben, um Peter Kloeppel als „Mister News“ zu verkaufen, wenn sein Gesicht nun hundertfach über traurigen Sprachruinen und unfassbar hingeschlunzten Artikeln steht, mit denen er sich eher als „Mister Grammatikfehler“, „Missther Legasthenie“ oder bestenfalls „Mister Mirdochegal“ profiliert?

Monrose

Vermutlich war es so, dass die ganzen siebzehnjährigen Mädchen, von denen jeder annahm, dass sie Monrose zum Grand Prix telefonieren würden, sich an die Gruppe einfach schon nicht mehr erinnert haben. Monrose? Die sind doch total 2006! Mann, damals war ich sechzehn!

Über vier Monate ist es her, dass aus Mandy, Senna und Bahar in der Pro-Sieben-Show „Popstars“ Monrose wurde, und Popstarsjahre sind Hundejahre, und „Popstars“-Jahre Goldhamsterjahre. Die Produzenten wussten, warum sie die größten Verrenkungen anstellten, damit die Single bereits eine Woche nach dem Finale und das Album eine weitere Woche danach auf dem Markt sein konnten. Dank kollektiver Aufmerksamkeitsdefizitstörung bedeutet jeder Tag Verzögerung, dass viele Millionen Fanzellen in den Gehirnen der Zielgruppe längst wieder unwiderruflich umprogrammiert sind.

Aber die Monrose-Produzenten waren schnell, und so haben junge Menschen im Dezember massenhaft Monrose-Platten gekauft. Dann war aber auch gut. Seit den Premieren-Siegern No Angels und Alexander Klaws hat es kein deutscher Castingshow-Gewinner geschafft, mit mehr als einer Single an die Spitze der Charts zu kommen. Man müsste all den Kandidaten sagen, dass sie den Moment genießen sollen, in dem sie das Casting gewinnen, weil es der Höhepunkt ihrer Karriere sein wird. Aber anstatt zu singen „Von nun an ging’s bergab“, grölt das ganze Umfeld natürlich „jetzt geht’s lohos“, und beim Grand-Prix-Vorentscheid wurde wieder offenbar, wie schlimm das ist. Wie sehr die frischgebackenen „Popstars“ und „Superstars“ den Versprechungen glauben. Dass diese jungen, auf Star geschminkten und geföhnten Frauen das wirklich meinen, wenn sie sagen: „Du kannst alles in deinem Leben erreichen, du musst nur dran glauben.“ Sie hatten, das sah man, ganz fest daran geglaubt, sie hatten überhaupt nicht die Möglichkeit eingeplant, diesen Vorentscheid nicht gewinnen zu können, und es ist trotzdem passiert. Natürlich haben diese Mädchen, wie sie dann heulend auf der Bühne standen, Mitleid verdient und keine Häme. Aber vielleicht tun sich all die, die auf Detlef D. Soost und Dieter Bohlen und ihre Versprechungen hereingefallen sind, irgendwann zusammen, und brüllen ihnen ins Gesicht, dass es in dieser Welt eben nicht reicht, ganz fest an sich zu glauben, nicht einmal, wenn man dazu noch ganz hart an sich arbeitet.

Und über diesen komischen Grand-Prix-Wettbewerb kann man ja sagen, was man will: Als öffentliche Entzauberungsmaschine funktioniert er gut.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Focus Online – jetzt mit Uhrzeit

Das neue „Focus Online“ ist da. Man kann alle Artikel kommentieren. Na und.

Es erhöht nicht mein Lesevergnügen und es befriedigt nicht mein Informationsbedürfnis, wenn unter einem Artikel über den aktuellen Stand der Geiselentführung im Irak ein Leserkommentar steht mit der Betreffzeile „Selbst schuld“ und dem Satz „wenn die Geiseln lokalisierbar wären, z.B. via Handy, sollte die Gegend sofort bombardiert werden ohne Rücksichten“.

Es mag ja sein, dass die Möglichkeit, unter den Artikeln von Journalisten Kommentare zu hinterlassen, inzwischen ein Standard ist, an dem kein Medium mehr vorbeikommt (außer BILDblog natürlich). Aber das ist eine theoretische Diskussion. Praktisch käme ich selten auf die Idee, auf Seiten von Massenmedien wie „Focus Online“ die Kommentare zu lesen oder selbst welche zu hinterlassen. Es ist mir auch egal, wie irgendwelche anonymen Leserscharen einen Artikel „bewerten“, was ich nun auch tun und lassen kann.

Was ich wirklich nützlich finde: „Focus Online“ gibt in der Regel schon auf der Startseite an, wann ein Artikel veröffentlicht wurde. Das ist bei einem Angebot, das sich kontinuierlich und schnell verändert, eine zentrale Information. Man muss nur einmal versuchen wollen, bei „Spiegel Online“ herauszufinden, von wieviel Uhr ein bestimmter Artikel stammt — welchen Stand aktueller Entwicklungen er wiedergibt. Es ist fast unmöglich. Es sei denn, man kennt den Trick, ganz unten auf der Seite auf „Schlagzeilen“ zu klicken, und dann zumindest für die vergangenen sieben Tage die Uhrzeit nachvollziehen zu können. Die „Netzeitung“ gibt bei jedem Artikel die Zeit der Veröffentlichung und der letzten Änderung an. Warum ist das kein Standard?

Ebenfalls interessant am neuen „Focus Online“: Vor den Videos laufen Werbespots. Das ist gewagt, solange die vermeintlichen „Focus Online“-Videos noch Reuters-Videos sind — also die, die überall laufen, auch ohne Werbung. Und ist es wirklich eine gute Idee, vor dem Reuters-Video, das nur aus einem ernsten O-Ton des Außenministers über die Geiselnahme im Irak besteht, einen Werbespot zu zeigen, in dem Opel den Zuschauern Fahrspaß garantiert? Ist das der Ort, an dem Opel werben will? Funktioniert das? Insbesondere in einem Land, wo die Menschen es von ihrem Fernsehen gewohnt sind, dass Nachrichten nicht von Werbung unterbrochen werden?

Unabhängig davon: Ich glaube, dass „Focus Online“, so aufgeräumt und Web-2.0-ig das alles sein sein mag, auch in Zukunft nicht meine erste Adresse für Nachrichten im Netz sein wird. Aber es ist noch keine zwei Jahre her, dass „Focus Online“ sich mit dramatischer Unbeholfenheit und verwegenen Boulevardschlagzeilen irgendwo unterhalb von Bild.de positionierte. Das ist schon eine beeindruckender Weg, den die Kollegen seitdem zurückgelegt haben.