E-Mail von Stefan Kornelius

[dies ist die Antwort auf diese E-Mail von mir]

Lieber Herr Niggemeier,

eigentlich hatte ich Sie als akkuraten Rechercheur und ernstzunehmenden Menschen in Erinnerung. Wenn Sie aber die Dinger derart undifferenziert aus dem Zusammenhang reißen und offenbar nicht ohne Profilierungsdrang öffentlich Häme verbreiten, dann haben Sie sich wohl verändert.

Mein Kommentar analysiert die Folgen der Filmaufnahmen von der Hinrichtung Saddam Husseins. Ein nicht unwichtiger Aspekt ist, dass die Bilder verbreitet wurden. dadurch erzielen sie eine große politische Wirkung – beabsichtigt oder nicht. Die „Seuche Internet“ beschreibt in diesem Zusammenhang genau das: Die extrem negativen Seiten des Mediums. Oder wollen Sie es etwa als Errungenschaft der Menschheit bezeichnen, dass ich eine Hinrichtung weltweit anschauen kann? Halten Sie es für einen moralischen Gewinn, dass mit Lynch-Bilder Politik gemacht wird? Ist es für Sie ethisch zwingend, dass all dies nun für Kinder zugänglich ist? Entschuldigung: Ich veröffentliche diese Bilder nicht auf Seite 1, so weit reicht die Differenzierungsgabe. Ich hatte auch einmal ein VHS-Gerät und habe trotzdem keine Kinderpornos gekauft.

Sorry, lieber Herr Niggemeier, Ihr Zynismus ist reichlich platt. Aber vielleicht nutzen Sie ja die Gelegeneit, um sich einzugestehen, dass auch das Internet, so sehr ich es selbst mag, das eine oder andere Problem aufwirft. Und übrigens: Sie bieten großzügig an, die Anwort auf Ihre mail zu veröffentlichen. Da Sie bereits die Mail selbst veröffentlicht haben und offenbar auf eine normale Kommunikation keinen Wert legen: Machen Sie doch damit, was Sie wollen.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan Kornelius

E-Mail an Stefan Kornelius

Sehr geehrter Herr Kornelius,

Sie schreiben in Ihrem heutigen „SZ“-Kommentar im Zusammenhang mit dem Video von Saddam Husseins Hinrichtung von der „Seuche Internet“. Ich frage mich, ob das ein Tipp- oder Übermittlungsfehler war, ob beim Kürzen irgendeine ironische Distanzierung verloren gegangen ist — oder ob Sie das wirklich so meinen: Dass das Internet eine Art ansteckende Krankheit ist, eine Seuche, die Pest.

Würden Sie im Zusammenhang mit CDs mit rechtsextremen Texten, die Neonazis vor Schulen verteilen, auch von der „Seuche Musik“ sprechen? Muss man angesichts der antisemitischen Fernsehserien u.a. auf den Hisbollah-Sendern von der „Seuche Fernsehen“ reden? Finde ich in irgendeinem Archiv einen Artikel von Ihnen, in dem Sie wegen der Verbreitung von Kinderpornos die „Seuche VHS-Kassette“ anprangern?

Und ist es nicht interessant, dass im Internet ein Video wie jenes von Saddam Hussein zwar immer nur zwei Klicks entfernt ist, dass es aber immerhin zwei Klicks entfernt ist, während eine Zeitung wie „Bild“ ihren Lesern die besten Fotos daraus gleich auf Seite 1 zeigt und die Leser keine Wahl haben, ob sie die eigentlich sehen und vielleicht mit ihren Kindern angucken wollen oder nicht? (Ich würde deshalb trotzdem nicht von der „Seuche Zeitung“ reden.)

Mit freundlichen Grüßen
Stefan Niggemeier

[die Antwort auf diese E-Mail steht hier.]

Das Internet, diese Pest

Stefan Kornelius, Außenpolitik-Chef der „Süddeutschen Zeitung“ und einer der Gründer des „Medium Magazin“, kommentiert die Umstände der Hinrichtung Saddam Husseins und ihre fatalen Folgen. Einen der schärfsten Begriffe hat er erstaunlicherweise weder für das Chaos bei der Hinrichtung, noch für die Videoaufnahmen selber reserviert, sondern für das Medium, über das sie nun verbreitet werden:

„Die Seuche Internet garantiert, dass die Bilder auf immer abrufbar sein … werden.“

Und Kornelius konnte nicht einmal verhindern, dass sein Artikel nun auch Teil dieser ansteckenden Krankheit geworden ist.

Interaktions-Attrappen

Der konkrete Fall ist eine Kleinigkeit, aber ich fürchte, er steht für ein größeres Missverständnis: Klassische Medien glauben, es sei damit getan, den Lesern die Möglichkeit zu geben, unter den Artikeln einen Kommentar zu hinterlassen, und schon sei man in der interaktiven, digitalen, Web2.0-igen Zukunft Gegenwart angekommen.

Nein, liebe „Rheinische Post“, man muss diese Kommentare auch lesen. Und auf sie reagieren. Viel peinlicher als ein blöder Flüchtigkeitsfehler in der Überschrift…

Stefan Raab steigt gegen wieder Regina Halmich in den Ring

…ist es nämlich, wenn unter dem Artikel seit über einer Woche zwei Leserkommentare stehen, die die Redaktion auf ihren blöden Flüchtigkeitsfehler hinweisen. Und einer davon auch auf einen traurigen sachlichen Fehler, den man aus der „Bild“-Zeitung abgeschrieben hat. (Sowohl der Chefredakteur der „Rheinischen Post“ als auch der Chef der Online-Redaktion kommen von „Bild“.)

Es ist ein langer Weg. Irgendwann werden die Medien vielleicht begreifen, dass es nicht darum geht, bestimmte Formalien zu erfüllen („Wir müssen eine Kommentarfunktion haben“), sondern die Leser und ihre Reaktionen ernst zu nehmen. Und dass das nicht nur in deren Interesse ist, sondern vor allem im eigenen.

Olli Dittrich

Die erfolgreichste Kochshow gerade ist eine, in der Menschen für andere kochen, die aus gutem Grund ihren Lebensunterhalt nicht damit verdienen, für andere zu kochen. RTL und ProSieben lassen in Eislaufarenen fachfremde Prominente (an deren eigentliche Talente man sich schon kaum erinnern kann) gegeneinander antreten – um zu zeigen, wie in ein paar Wochen mit viel hartem Training aus Menschen, die kaum gerade auf dem Eis fahren können, Menschen werden, die kaum eine Pirouette auf dem Eis fahren können. Nachmittags spielen Richter, Staatsanwälte und Polizisten Schauspieler, die Richter, Staatsanwälte und Polizisten spielen. Die langlebigsten Serien sind von jungen Leuten bevölkert, die die Darstellerei offenbar als Durchgangsstation zum Job als „Moderator“, „Sänger“ oder „Gast“ verstehen. Selbst die Show „Let’s Dance“ „You Can Dance“, in der Tanztalente gesucht werden, besteht daraus, HipHopper zum Wiener Walzer zu zwingen und Jazztanzer zum Rap.

Man muß sich diesen Kult des Amateurhaften, Halbfertigen, Dilettantischen vergegenwärtigen, um die Leistung von Olli Dittrich wirklich würdigen zu können. Jemand wie er wäre mit seinem fast beunruhigenden Perfektionismus und Ehrgeiz vermutlich in jeder Form von Fernsehkultur eine Ausnahmeerscheinung. Aber in dieser, in unserer ist er ein Wunder.

Am Donnerstag verkörperte er in einem „Harald Schmidt“-Special Franz Beckenbauer, und schon die ersten Sekunden, während Schmidt ihn ankündigte, waren ein erstaunliches Schauspiel. Die Art, wie Dittrich in seinem Stuhl saß und Schmidts Worte wortlos kommentierte, einmal mit einem Wangenzucken, einmal indem er den Daumen leicht bewegte – er war mit jeder Faser Der Kaiser. Jemand, der die Rituale dieses Millionsten Interviews erträgt, mit Würde, Routine und mildem Desinteresse – das Gefühl, daß diese Huldigungen sehr angemessen, aber auch sehr langweilig sind, goß Dittrich in kleinste Regungen. Er schuf ein Beckenbauer-Konzentrat – keine Parodie, eine Imitation, bei der alles noch einen Tick beckenbaueresker war als bei Beckenbauer (was schon als Möglichkeit schwer vorstellbar war, bevor man Dittrich gesehen hatte).

Er zeigte die ganze Vielfalt beckenbauerschen Lachens: das zeitgewinnende Öhöhö, das routiniert-amüsierte in Worten wie „FC Ba-ha-hayern“, das eine eigene Pointe ankündigende Hähä, das irritierte Ä-ä-ä-ä, wenn eine Frage ihn tatsächlich amüsierte. Auf die Eingangsfrage, ob in Kitzbühl Schnee liegt, antwortete er: „Der Willi Bogner, es ist ein Freund von mir, hat jetzt ein, zwei Schneekanonen in Position gebracht, die große Freude in diesem Jahr, es wird auch unter dem Weihnachtsbaum immer eine Rolle spielen, die Weltmeisterschaft, die wir gehabt haben, die uns einfach in den nächsten hundert, achtzig, fuchzig, zwanzig, dreißig, ja: drei, bis vier Jahren wahrscheinlich nicht mehr ins Haus schneien wird.“ Von seiner Audienz beim Papst berichtete er mit den Worten: „Er hat gesagt, Sie sind eine Lichtgestalt, ich hab gesagt: Sie aber auch. Da ham wir beide gelacht.“ Und als Schmidt ihn auf Rudolf Nurejew ansprach, hatte Dittrich-Beckenbauer noch vor dem Ende des Nachnamens „der Rudi!“ eingeworfen (und dann vom Ein-Zimmer-Appartment erzählt, das sie sich in New York teilten: „im Big Apple, wie man heutzutage sagt“).

Anstatt nach Sollbruchstellen zu suchen, an denen die Imitation vom Original abweicht, ließ Dittrich einen viele Abgründe des Beckenbauerschen Mediendaseins überhaupt erst bewußt werden. Und daß die Gedankengänge und Formulierungen des Franz an manchen Stellen ein bißchen so klangen wie die eines gewissen Dittsche, kann nur damit zu tun haben, daß es da bisher unerforschte Parallelen gibt. An Dittrich lag es nicht.

Beckenbauer hätte noch am Donnerstagabend zurücktreten müssen. So gut wie Olli Dittrich ist er als Beckenbauer einfach nicht.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Eine Gedenkminute für Sat.1

Aber wir sollten in diesen Tagen des Kaufens, Schenkens und Fressens die Menschen nicht vergessen, denen es nicht so gut geht. Menschen, die sich höchstens mal an einer Pressemitteilung wärmen können, aber deren Alltag ein trübes Grau ist, ohne Anspruch, ohne Ehrgeiz, ohne Etat, ohne Hoffnung.

Menschen, die in der Redaktion „Aktuelle Magazine“ von Sat.1 arbeiten.

Bei „Blitz“, dem Magazin, das laut Eigen-PR „für topaktuelle Informationen und Reportagen aus der Welt der Schönen und Reichen“ steht, haben sie heute einen schönen Bericht über ein Konzert von Marc Terenzi gezeigt, das Ende August stattgefunden haben muss.

Bei „Sat.1 am Mittag“, dem Magazin, das laut Eigen-PR „alles bietet, was Fernsehen spannend macht: live, tagesaktuell“, haben sie am Dienstag einen schönen Beitrag über Weihnachtseinkäufe mit Kindern gezeigt, der aus dem Jahr 2002 stammen muss und wegen einem heulenden Kind („weil der Weihnachtsmann immer denkt, eine große Sache reicht“), damals schon ausgiebig bei „TV Total“ recycelt wurde [zip].

Gut gefallen hatte mir auch, wie „Sat.1 am Mittag“ im März 2006 einen Beitrag zeigte, in dem Stromkontrolleure bei der Arbeit begleitet wurden. Und wenn sich das Alter dieses „tagesaktuellen“ Berichts nicht schon an der hochsommerlichen Vegetation im Hintergrund hätte erahnen lassen, dann wäre die Tatsache, dass die Kontrolleure von der „Bewag“ waren, die zu diesem Zeitpunkt längt „Vattenfall“ hieß, ein guter Hinweis gewesen.

Da fällt mir ein: Ich hab dieses Jahr gar keine Weihnachtskarte von Sat.1 bekommen. Ob ich mir Sorgen machen sollte?

Fernsehaufsicht in Deutschland

Am 1. Dezember 2004 schickt „Big Brother“ die Container-Bewohnerin Franziska für zehn Stunden in ein „Bestrafungszimmer“ und spielt ihr immer wieder dasselbe Lied vor.

Am 20. Dezember 2006 entscheidet der Vorstand der Hamburgischen Anstalt für Neue Medien, die Übertragung dieser Aktion im Tagesprogramm des (seit über einem Jahr nicht mehr existierenden) Senders MTV2Pop förmlich zu beantstanden.

Und diesen Witzfiguren ist es nicht einmal zu peinlich, dazu noch eine Pressemitteilung herauszugeben.

Wie gesagt.

(via Popkulturjunkie)

Nachtrag. Gerade erst gesehen: Die arbeiten sich ja in einen richtigen Rausch, bei der Hamburgischen Landesmedienanstalt. Vor gut zwei Wochen erst, am 5. Dezember 2006, rügten sie eine MTV2Pop-Sendung vom September 2004.

„Spiegel Online“ in die Psycho-Klinik

„Spiegel Online“-Chef Mathias Müller von Blumencron hat gegenüber der „taz“ die Entscheidung verteidigt, die „Bild“-Unterhaltungschefin Patricia Dreyer im nächsten April zur neuen Leiterin des „Panorama“-Ressorts zu machen — obwohl deren Name u.a. über dem Artikel stand, mit dem die „Bild“-Zeitung 2004 ihre Schmutzkampagne gegen Sibel Kekilli begann:

Dreyer sei für diese Geschichte und ihre Aufmachung nicht zuständig gewesen. „Man kann sich auch fragen: Muss man jemanden sein Leben lang für eine solche Geschichte verantwortlich machen?“

Ja, das kann man sich auch fragen. Man müsste es vielleicht nicht so formulieren, dass es klingt, als hätte Dreyer den Artikel in den frühen 60er Jahren geschrieben oder in der Pubertät und nicht im Februar 2004. Aber natürlich sollte man niemanden auf einen einzigen Artikel reduzieren, den er geschrieben hat.

Patricia Dreyer hat ja auch andere Sachen geschrieben.

Im März 2005 eine „Bild“-Serie über Sarah Connor, über der grotesk irreführende Überschriften standen wie: „Ich sollte mein Baby abtreiben … nur für die Karriere“ oder: „Mit meiner Freundin übte ich Zungenküsse“ — aber vermutlich war sie auch da für die Geschichte und ihre Aufmachung nicht „zuständig“ gewesen.

Und im Oktober 2003 einen „Bild“-Artikel, der mit den Worten begann:

Jetzt ist die zweite, zensierte Fassung von Dieter Bohlens Enthüllungsbuch im Handel. Viele pikante Stellen mussten geschwärzt oder gestrichen werden. Lesen Sie exklusiv in BILD die Enthüllungen, die Prominente verbieten ließen.

Und natürlich war sie für die Beleidigungen und Unterstellungen, die dann folgten, nicht „zuständig“, die waren ja von Bohlen.

Patricia Dreyer schrieb Artikel wie..

  • Ingrid Steeger in der Psycho-Klinik
  • „Sie muss weg von der Familie! Weg von den Freunden! Rettet meine Frau!“ — TV-Star Bernd Herzsprung (61) will, dass seine kranke Frau Barbara (50) wieder in die Psycho-Klinik geht.
  • Jetzt gehe ich erst mal in die Nerven-Klinik. Jimmy Hartwig – Abschied vom Dschungel-Camp
  • Yvonne Wussow Brustkrebs-Drama
  • Arme Jutta Speidel! / Warum fällt sie immer auf die falschen Männer rein?
  • Jetzt redet Michelle Hunziker über ihren Ehekrieg: Eros lügt und will mich fertigmachen!
  • Nackt-Eva triumphiert in der Lippenschlacht
  • Michael Jackson: Was trieb er mit diesem Hamburger Jungen
  • Macht Dschungel-TV dumm?
  • Fleißig büffelt Naddel für den Idioten-Test
  • Rod Stewart größter Pop(p)-Star aller Zeiten.

Und womöglich sind all diese Artikel sogar journalistisch unangreifbar. Aber man kann sich auch fragen, was es bedeutet, wenn der „Spiegel Online“-Chef sagt: „Wir wollen die Berichterstattung im Panorama-Ressort verstärken und originärer machen“, und dafür die Autorin dieser Texte einstellt.