Das Internet, exklusiv bei Welt.de

Am Freitag erst haben diverse Springer-Blätter „Deutschlands modernsten Newsroom“ gegründet und die Devise „Online first“ ausgegeben — heute schon feiert Welt.de einen kleinen Scoop im Zusammenhang mit dem Amokläufer von Emsdetten:

„WELT.de liegt ein Tagebuch aus den Jahren 2004/2005 vor.“

Sensationell. Und wie kamen die Kollegen daran?

„WELT.de fand das Tagebuch im Internet.“

Im Internet, na sowas.

Die Recherche war, vermutlich, nicht so schrecklich aufwendig. Es reicht, in eine Suchmaschine „resistantx“ einzugeben, den bekannten Nickname des Amokläufers. Seine Livejournal-Seiten sind dann unter den ersten Treffern.

Und sie sind noch immer da. Mit anderen Worten: Nicht nur WELT.de liegt das Tagebuch aus den Jahren 2004/2005 vor. Der ganzen Welt liegt es vor. Aber glauben Sie, der Welt.de-Artikel, der ausführlich aus diesem Tagebuch zitiert, würde irgendwo einen Link auf die Quelle setzen? Damit der Leser sich ein eigenes Bild machen kann, ungefiltert von der Auswahl des Journalisten?

Aber nein. WELT.de tut so, als sei das ein handfestes Tagebuch, das nur dieser Redaktion vorliege. Und sowas Exklusives gibt man natürlich nicht aus der Hand.

Es ist wohl auch in „Deutschlands modernstem Newsroom“ noch ein weiter Weg, bis Journalisten begreifen, wie sehr das Internet ihre Arbeit verändern wird.

Der Heinlein

Peter Heinlein ist möglicherweise der traurigste Medienjournalist der Welt. Er ist schon ziemlich was rumgekommen, hat für „Die Welt“, den „Spiegel“, die „Welt am Sonntag“, „Max“, das „Handelsblatt“, die „Bunte“ gearbeitet. Aktuell schreibt er eine Medien-Kolumne namens „Der Heinlein“, die mittwochs in der Hamburger Ausgabe von „Bild“ erscheint.

Es ist, aufgrund der vielfältigen Beteiligungen des Verlages, schon nicht leicht, Medienjournalist bei anderen Springer-Blättern zu sein. Bei „Bild“ ist es die Hölle.

Es sei denn, man macht das gerne: aus geschäftlichen Interessen der Zeitung und persönlichen Interessen des Chefredakteurs Texte formen, die unbefangen betrachtet wie „Journalismus“ aussehen.

Die „Zeit“ zum Beispiel steht auf der Liste der meistgehassten Zeitungen von „Bild“ sicher unten den Top Two. Und so schrieb Der Heinlein am 11. Oktober:

Was ist denn bei der „Zeit“ los? Elf Wochen lang hat das Wochenblatt bei seiner Auflage nicht mehr die halbe Million erreicht. Die letzte abgerechnete Ausgabe 36 lag sogar nur bei 477 000 Exemplaren. Auch die Abo-Auflage sank unter die 300 000er-Marke.

Das klingt dramatisch. Und man müsste es eine dreiste Lüge nennen, wenn es nicht stimmen würde: Die Auflage der „Zeit“ hatte tatsächlich elf Wochen lang nicht mehr die halbe Million erreicht. Und die Abo-Auflage war tatsächlich unter die 300.000er-Marke gefallen.

Was Der Heinlein verschweigt: Das Erreichen der halben Million ist für die „Zeit“ nicht die Regel, sondern ein Grund zum Feiern. In den vergangenen zehn Jahren gelang es ihr nur 13-mal. Davon sechsmal in diesem Jahr. Was eigentlich dafür spricht, dass die Auflagenkrise eher nicht so groß ist. Von den ersten 36 „Zeit“-Ausgaben dieses Jahres haben sich nur fünf schlechter verkauft als im Vorjahr. Der Schnitt lag in diesem Zeitraum bei 483.537 Exemplaren, eine Steigerung von 13.093 gegenüber dem Vorjahr. Die Abo-Auflage sank, wie fast immer, im Sommer, lag aber bei jeder einzelnen Ausgabe um mehr als 10.000 Exemplare über der des Vorjahrs.

Ich lese Den Heinlein viel zu selten (deshalb auch die Verspätung in dieser Sache). Seine Kolumne müsste Pflichtlektüre für jeden angehenden Medienjournalisten sein. Als Beispiel dafür, wie ihr Beruf missbraucht werden kann.

Wolfram Kons

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wie viele Männer mögen da zu Hause rote Flecken im Gesicht bekommen haben vor Erregung, als sie das gesehen haben: Der berühmte wehende Rock! Die Monroe! Gebaut aus Dominosteinen! Geil.

Ja, so schmerzfrei muß man als Kommentator erst mal sein, an dieser Stelle am Mikrofon tatsächlich sexuelle Ekstase zu spielen. Und Uli Potofski und Wolfram Kons, die für RTL am Freitag den „Domino Day“ kommentierten, taten pflichtbewußt so, als würden sie zu Hause sonst aus Legofiguren Pornos bauen.

Der jährliche Weltrekord im Steine-Umfallen-Lassen ist einer der bizarrsten Fernseherfolge – der achten Ausgabe sahen sieben Millionen Menschen zu. Und für Wolfram Kons ist es sichtbar ein Tag wie Weihnachten, Geburtstag und Silvester zusammen. Kons moderiert seit ungefähr 100 Jahren die Frühnachrichten auf RTL. Aber einmal im Jahr, am Domino Day, da darf er im „Domino-Rausch“ zeigen, was er nicht kann. Das Niveau des Gefrozzels, das er mit Potofski nun über mehrere Stunden veranstaltet, etabliert er früh mit dem Satz: „Uli freut sich auf die Musik der 20er Jahre, da war er gerade durch die Pubertät.“ Dann legt er los: „Sie bleiben fröhlich, sie bleiben froh, die Steine fallen sowieso.“ Zu einer Oktoberfestszene fällt ihm ein: „Hopfen und Malz / erleichtern die Balz.“ Von Xavier Naidoo läßt er sich inspirieren zu: „Dieser Weg ist dominosteinig und schwer.“ Weil ein Mädchen schweißnasse Hände hat: „An dir möcht ich ewig kleben, denn du versüßt mein Dominoleben.“ Als eine Steine-Aufbauer ein Mädchen in den Arm nimmt: „Bauer sucht Frau.“ Ganz ohne Anlaß: „Sind die Bauer fleißig schlau, interessiert das keine Sau? – Doch!“ Und was ist der Mensch, der das Spekakel organisiert? Nicht nur ein großer Motivator, sondern auch ein… na? Richtig: „Dominator“.

Abrupt brach RTL die Live-Sendung ab, vor der Verabschiedung, dem Abspann – es war noch nicht einmal die Rekord-Steinzahl vorgelesen. Entweder war das ein weiterer Teil der aktuell von den Sendern gemeinsam veranstalteten Tests der Leidensfähigkeit der Zuschauer. Oder einer der Techniker konnte das Gesabbel einfach nicht mehr ertragen.

Vielleicht hat aber auch nur jemand die Kalauerpolizei gerufen.

BILDblog ist ein „Bild“-Favorit

Im Zusammenhang mit den Merkwürdigkeiten um ein Cover der neuen „Popstars“-Band, das voreilig bei Amazon zu sehen war, zeigt Bild.de einen Screenshot von der entsprechenden Seite — inklusive der Menuleisten des Internet Explorers.

Und wenn man ganz, ganz genau hinsieht, wie es ein aufmerksamer BILDblog-Leser getan hat, kann man sogar erkennen, welche Favoriten der „Bild“- oder Bild.de-Mitarbeiter in seiner Links-Liste als Lesezeichen abgelegt hat:


…Google, Bild.de, SPIEGEL, BILDblog, Agenturen, SpringerNet, Textarchiv…

Ist ja auch egal

„Warum das zwei Jahre gedauert hat, bis das abgedruckt worden ist, kann ich Ihnen nicht sagen, halte ich aber auch für völlig unerheblich.“

Fried von Bismarck, Mitglied der Verlagsleitung des „Spiegel“ und Sprecher des Presserates über die öffentliche Rüge, die die „Bild“-Zeitung erst zwei Jahre danach, kryptisch und winzig abgedruckt hatte. „Bild“ hatte über Sibel Kekilli nach Ansicht des Presserates in entwürdigender Form berichtet und ihre Menschenwürde verletzt.

Der Presserat lässt sich in diesen Tagen für seine aufopferungsvolle Arbeit seinen Ehrgeiz seine Transparenz seine Durchsetzungskraft seine Effizienz das Erreichen des 50. Geburtstages feiern.

Schon wieder einen Stab zerspart

Hajo Schumacher, Herausgeber des „strikt fröhlichkeitsaffinen“ PDF-Medien-Magazins „V.i.S.d.P.“ schreibt in seinem heutigen Editorial über eine vermeintliche Pannenserie im Journalismus:

Fehler allerorten, ob aus Schusseligkeit, Hektik, Schlampigkeit oder Absicht. Kein Zufall. Der Druck von oben aus dem Verlag und seitlich von der Konkurrenz wächst stetig. Die Leistungen zersparter Stäbe halten kaum mehr stand angesichts unerbittlich steigender Erwartungen an Tempo, Perfektion und Exklusivität.

Als ein Beispiel für solch nicht-zufällige Fehler nennt er diesen:

Ein erfahrener freier Medienjournalist gibt als Auftraggeber für das Porträt eines einflussreichen Chefredakteurs die SZ und nicht, wahrheitsgemäß, das SZ-Magazin an.

Angenommen, jemand schrübe ein Porträt eines einflussreichen Chefredakteurs für das „SZ-Magazin“. Warum sollte er wahrheitswidrig die „SZ“ als Auftraggeber nennen?

[a] Aus Zeitmangel? („So spar ich ganze drei Silben, über die ganze Recherche kommen so locker 40 Sekunden zusammen — Zeit, die mir als erfahrener freier Medienjournalist sonst echt fehlen würde.“)

[b] Aus Geldmangel? („Seit ich die drei Silben konsequent weglasse, macht mich auch meine Telefonrechnung nicht mehr so arm.“)

[c] Aus Schusseligkeit? („Mist, schon wieder vergessen, ‚Magazin‘ dazuzusagen. Ruf ich da jetzt nochmal an? Blöd wg. [a] und [b].“)

[d] Wegen des Drucks der Konkurrenz? („Die machen mich fertig vom ‚FAZ-Magazin‘ vom ‚Zeit-Magazin‘ von der ‚Hörzu‘, wenn die erfahren, dass ich was fürs ‚SZ-Magazin‘ schreibe. Ich sag lieber erstmal einfach ‚SZ‘.“)

[e] Aus Kalkül? („Wenn ich den Leuten erzähle, dass ich fürs ‚SZ-Magazin‘ schreibe, reden die bestimmt nicht mit mir. Ich sag lieber, ich schreib für die Zeitung, der das ‚SZ-Magazin‘ freitags immer beiligt, dann plaudern die arglos drauflos.“)

[f] ……… Herr Schumacher?

PS: Ich möchte nicht wissen, wie groß der Zeit-, Konkurrenz-, Rationalisierungs- und Hajodruck in der „V.i.S.d.P.“-Redaktion diese Woche wieder war. Katharina Lukas jedenfalls scheint immer noch Chefredakteurin von „TV direkt“ zu sein und nicht, wie „V.i.S.d.P.“ schreibt, Programmchefin des Kinderkanals Ki.Ka.

PR lernen von den Profis II

Ich bin wichtig. Dieses Blog ist wichtig. Was hier steht (genauer: was hier steht) kommt sogar in die Dokumentation, die eine PR-Agentur für ihren Kunden erstellt, weshalb sie wissen will, wieviele Visits dieses Blog so hat.

Noch wichtiger würde ich mich natürlich fühlen, wenn die E-Mails an mich Chefsache wären.

Ingolf Lück

Bastian Pastewka holt schon lange nicht mehr den Brisko Schneider aus dem Schrank. Anke Engelke verwandelt sich nur noch zu besonderen Anlässen in Ricky mit ihrem Popsofa. Nur Ingolf Lück gibt immer noch den „Ingolf Lück“ aus der „Wochenshow“.

Ich bin mir nicht sicher, ob das ein gutes Zeichen ist.

„Ingolf Lück“ ist die Parodie eines Fernsehmoderators. Immer eine Spur, nein: drei zu laut, die Gesten zu groß, das Lächeln zu breit. Wenn er lacht, ist es ein demonstratives, comicartiges „Ä-hää-hä“. „Ingolf Lück“ hat das gerääuschvollste Einatmen im deutschen Fernsehen: Jedesmal, wenn er Luft holt, macht das ein heftiges Schnarren, in dem man, wenn man will, die Angst des Fernsehmoderators vor der Stille hören kann, die atemlose Panik vor jedem Zur-Ruhe-Kommen. Und dann das „äh“, das „Ingolf Lück“ fast immer direkt am vorhergehenden Wort andockt: „Herzlich Willkommen bei-äh…“. In schlechten Momenten hängt diese Silbe am Ende jedes einzelnen Wortes. Oder dehnt sich, bei Bedarf, zu scheinbar beliebiger Länge, bis das Publikum endlich lacht oder applaudiert.

Dieser „Lück“ ist natürlich eine Kunstfigur. Die übertriebene und undifferenzierte Euphorie, mit der er jeden Moment jeder noch so belanglosen Show moderiert, muss eine Satire sein. Ein Mittel zu zeigen, wie egal das hier alles ist. Wie künstlich. Und wie frei von jedem Grund, euphorisch zu sein.

Aber längst ist Ingolf Lück im Fernsehen nicht mehr von „Ingolf Lück“ zu unterscheiden. Egal, was er moderiert, ob die Pro-Sieben-Panelshow „Die 100 nervigsten irgendwas“, die ZDF-Panelshow „Nachgetreten“ oder die neue Kabel-1-Panelshow „Darf man das?“, an der das einzig Bemerkenswerte ist, daß sie letzte Woche mehr junge Zuschauer hatte als der gleichzeitig laufende Sat.1-Hochglanz-Thriller „Blackout“ — er moderiert es immer in derselben Art, die einmal eine Parodie war, und heute einfach die Art, wie Ingolf Lück eine Sendung moderiert. Kein anderer Fernsehmoderator ist in den vielen Jahren auf dem Bildschirm so sehr eins geworden mit der eigenen Karikatur wie Ingolf Lück — mit Ausnahme vielleicht von, ja, Servus, Herrschaften, Thomas Gottschalk. Aber im Zweifelsfall ist es dann vermutlich doch angenehmer, als seine eigene Karikatur Claudia Schiffer und die neue Single von Justin Timberlake anzusagen, als Lou Richter und einen gespielten Witz von Christina Plate.

Ich weiß nicht, ob es für Ingolf Lück ein Segen ist, daß die Fernsehsender ihre Sendungen offenbar immer wieder von „Ingolf Lück“ moderieren lassen wollen. Oder ein Fluch.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Videomonopol

Videos sind ja angeblich das nächste große Ding für Nachrichtenseiten im Internet. Und tatsächlich berichten fast alle großen deutschen Seiten von der Flucht des Angeklagten im sogenannten Stephanie-Prozess auch mit bewegten Bildern.

Mit exakt denselben bewegten Bildern. Die alle exakt gleich geschnitten und betextet sind. Weil alle denselben fertigen Video-Nachrichten-Beitrag von der Nachrichtenagentur Reuters übernommen haben.

Spiegel Online:

Focus Online:

Stern.de:

Bild Online:

sueddeutsche.de:

Ich weiß nicht, ob ich das zutiefst beunruhigend finden soll. Oder als Schritt zur Transparenz begrüße. Denn auch viele Artikel auf den verschiedenen Seiten beruhen ja regelmäßig auf derselben Agenturmeldung — nur fällt es bei Texten, die unterschiedlich präsentiert, gekürzt, betitelt werden, nicht so auf.