Jungbrunnen B. Kerner

Johannes B. Kerner tut in dem erstaunlichen Gespräch mit der „Zeit“, als sei er eine Art Jungbrunnen für das veralterte ZDF:

Die Rezipienten von Fernsehwerbung sind ja hauptsächlich jüngere Leute, ein Publikum, das sich traditionell beim ZDF nicht gerade zuhauf versammelt. (…) Es gibt die Theorie: Solange unsere Moderatoren für Werbung interessant sind, sind sie das auch für ein jüngeres Fernsehpublikum. Und auf mich kommen Kids zu, die sagen: „Der Bonaqa-Spot, echt cool, ey!“ Insofern kann man durch Werbung auch neues Publikum finden.

Kann man vielleicht, Kerner gelingt dies aber kaum. Im September hatte das ZDF bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern einen einigermaßen erschütternden Marktanteil von 6,8 Prozent. Und Kerners tägliche Talkshow? 7,6 Prozent. Und das auch nur, weil am 5. September „Tokio Hotel“ zu Gast waren und der Show bei den jungen Zuschauern an diesem Tag den außergewöhnlichen Marktanteil von 11,1 Prozent bescherten.

Googeln als erste Journalistenpflicht

Weil so oft darüber geschimpft wird, dass Journalisten immer häufiger Googeln mit Recherchieren verwechseln — schön wär’s ja schon, wenn die Journalisten überhaupt googeln würden, bevor sie schreiben.

Die Kollegin, die für „Die Welt“ einen Artikel aus der „Frankfurter Rundschau“ wiederverwerten musste, hätte dann vielleicht gemerkt, dass die einzigen sinnvollen Treffer für die Suche nach „Rob Mobile“ die sind, die offenbar ebenfalls den Artikel aus der „Frankfurter Rundschau“ zur Grundlage hatten. Der Klingeltonanbieter, der den geschmacklosen „Natascha im Keller“-Ton anbot, heißt nämlich nicht „Rob Mobile“, wie die „FR“ einmal versehentlich schreibt, sondern „Bob Mobile“. (Und er hat keinen „rülpsenden Frosch“ im Angebot, wie die „Welt“ improvisierte, sondern „rülpsende Kröten“, aber vielleicht ist das auch egal.)

Ich weiß schon: Für solche Artikel haben die Autoren oft sehr wenig Zeit. Die Geschichten wirklich nachzurecherchieren, ist Utopie. Aber die drei Minuten, einen Namen bei Google einzugeben und sich von der Website des Anbieters, um den es geht, einen eigenen Eindruck zu verschaffen, müssen drin sein — sonst kann der professionelle Journalismus gleich einpacken.

(via ix, der auch drauf reingefallen ist)

Kerner

Wenn Johannes B. Kerner morgen bekannt gäbe, daß er gerne alten Frauen die Luft aus den Reifen ihrer Rollstühle läßt, müßte das ZDF natürlich reagieren. Die Sendeanstalt würde eine Krisensitzung einberufen und zum äußersten gehen: Sie würde öffentlich erkären, daß Kerner dieses Hobby nie im Beisein des Intendanten gepflegt habe und sich in Zukunft solche Aktivitäten vom Sender genehmigen lassen müsse. Und wenn Kerner später noch einmal auf den Vorgang zurückkäme und sagte, beim ZDF arbeiteten außer ihm doch eh nur kinderfressende Zombies, würde der Sender auf Nachfrage entspannt erwidern: Das träfe nach ZDF-Recherchen zwar nicht zu, aber natürlich könnte der Herr Kerner seine eigene Meinung…

Das ZDF ist inzwischen in einem Maße von Kerner abhängig, daß nichts (in Worten: nichts) vorstellbar ist, was den Sender zu einer Maßregelung seines Alles-Moderators veranlassen könnte oder gar zu einer Trennung. Das Gefühl, unkündbar zu sein, verändert die Menschen, und jemanden wie Kerner, der schon vorher nicht an Selbstzweifeln litt, läßt es in immer neue, ungeahnte Sphären der Selbstüberschätzung, Blasiertheit und Arroganz entschweben. Der „Zeit“ hat er in dieser Woche ein atemberaubendes Interview gegeben. Thema war seine umstrittene Werbung für den Air-Berlin-Börsengang, und seine Aussagen lassen sich ungefähr so zusammenfassen: Er hat nichts falsch gemacht, nein: nichts, er verbittet sich die Frage, er verbittet sich die Unterstellung, er wird darauf nicht antworten, oh nein, er verdankt dem ZDF nichts, das ZDF verdankt ihm alles, überhaupt: ein bißchen Dankbarkeit hätte er schon erwartet, ich bin wirklich niemandem Rechenschaft schuldig, ihr Arschlöcher.

Der Moderator, der schon vor Jahren in einem Interview aus den Unsummen Geld, die er verdient, den Schluß zog: “Ich habe alles richtig gemacht”, findet an keiner Stelle einen Fehler bei sich, und sei er noch so klitzeklein. Kerner macht keine Fehler. Wenn er trotzdem kritisiert wird, sucht (und findet) er die Ursache dafür allein bei den Kritikern, ihrem Neid, ihrer Jagdlust auf den “netten Herrn Kerner” (er sagt das wirklich). Es gibt ein altmodisches Wort für das, was dem netten Herrn Kerner vor allem fehlt, und das er offenbar nicht einmal mehr glaubt, vorgeben zu müssen: Demut.

Das Interview ist, wie so vieles an Kerner, eines öffentlich-rechtlichen Fernsehmoderators unwürdig. Ein Sender, der sich das gefallen läßt, hat jede Selbstachtung verloren.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Weshalb Weblogs im Internet stehen

Im Zukunftsmagazin „Future Trend“ lief ja, wie gesagt, vorgestern noch einmal der Beitrag über Blogs, den „Focus TV“ vor einem Jahr schon einmal ausgestrahlt hatte.

Die Anmoderation von Anja Heyde aber war anscheinend neu. Sie ging so:

„Früher führte der Kapitän ein Logbuch, das half beim Erinnern, wenn man mal wieder länger geschippert war. Das Weblog hat daher seinen Namen. Und es hilft auch beim Erinnern. Aber im Unterschied zum Logbuch darf — und soll es vor allem! — auch jeder sehen, deshalb steht es im Internet. Was man da finden kann, macht die Welt nicht unbedingt besser, aber auf jeden Fall lustiger. Und manchmal ist so ein Blog auch eine Art Therapie. Wie auch immer: Mittlerweile gibt es einige Hunderttausend Blogger in Deutschland und weltweit sind es bereits 50 Millionen.“

(via Shopblogger)

Fernsehserie mit Gedächtnis

Auf Vox beginnt heute abend „Boston Legal“, eine feine Anwaltsserie von David E. Kelley mit William Shatner.

Er spielt den Staranwalt Denny Crane, der seine beste Zeit lange hinter sich hat und nach der Arbeit gerne in diesen Sitzmöbeln auf dem Balkon der Kanzlei ausspannt:

Was doch irgendwie eine schöne Idee ist…

Mit „Future Trend“ zurück in die Zukunft

Diese Geschichte hat zwei Pointen. Eine einfache und eine komplizierte.

Die einfache zuerst:

Ein Beitrag über Weblogs, der vor fast genau einem Jahr in der ProSieben-Sendung „Focus TV“ zu sehen war, wurde gestern im RTL-Zukunftsmagazin „future TREND“ wiederholt.

Und jetzt die komplizierte:

Eine der bizarrsten Regelungen in der an bizarren Regelungen nicht armen deutschen Fernsehlandschaft ist die Sache mit den Fensterprogrammen. Der Rundfunkstaatsvertrag schreibt vor, dass Sender, die mehr als zehn Prozent Marktanteil erreichen, Programme „unabhängiger Dritter“ zeigen müssen. So soll die „Meinungsvielfalt“ gesichert werden. Konkret übernimmt diese Aufgabe meist Alexander Kluge, der dann gerne experimentiert, ob sich durch den Verzicht auf alle Möglichkeiten, die das Medium Fernsehen bietet, die Einschaltquote auch in negative Bereiche bringen lässt (er ist schon ganz nah dran).

Auch die Firma AZ Media ist ein solcher „unabhängiger Dritter“ mit festen Programmflächen bei RTL, was schon einigermaßen abwegig ist, da ihr Chef Andre Zalbertus vorher bei RTL gearbeitet hat und nach wie vor Sendungen für RTL produziert, was vielleicht etwas über die „Unabhängigkeit“ dieses Veranstalters aussagt. Die AZ Media dient der Meinungsvielfalt durch so segensreiche Sendungen wie „anders TREND“, „europa TREND“, „bosporus Trend“, „money TREND“, „natur TREND“, „single TREND“, „sommer TRE—

Sind Sie noch da?

—ND“, „glaubens TREND“ und „future TREND“.

„future TREND“ wird nun aber nicht von AZ Media produziert, sondern von Focus-TV für AZ Media. Und was produziert Focus-TV auch? Richtig: „Focus TV“. Auf Pro Sieben. Und die schönen Beiträge, die man da herstellt, wären natürlich viel zu schade, um sie nur einmal zu zeigen. Und so kommt es vor, dass bei „future TREND“ einfach Sachen wiederholt werden, die schon in „Focus TV“ zu sehen waren.

Jetzt noch einmal zum Mitdenken: Das deutsche Privatfernsehen wird von einem Duopol aus RTL und ProSiebenSat.1 beherrscht. Damit unter diesem eingeschränkten Wettbewerb der Pluralismus nicht leidet, müssen beide Anbieter „unabhängigen Dritten“ Sendezeiten einräumen. Und in diesen Fensterprogrammen, die die Meinungsvielfalt garantieren sollen, werden dann auf RTL ausgerechnet Beiträge von ProSiebenSat.1 gezeigt. Wie bizarr ist das?

BANKROTTerKLÄRUNG

Es ist nicht so, dass man „KINDerLEBEN“, das neue „Familienmagazin“ der „Süddeutschen Zeitung“, gar nicht lesen kann. Wer genau hinschaut, ahnt, dass an den dünnen hellgrauen Schlangenlinien im Text oben und unten noch was dranhängt: Das müssen „s“ sein. Im spindeldürren „e“ ist der Querstrich so weit hochgerutscht, dass es fast wie ein „c“ aussieht, aber doch nur fast. Und wenn man die Augen zusammenkneift, lassen sich manchmal mit etwas Glück sogar die Kommas von den Punkten unterscheiden — das ist doch was!

Die Buchstaben sehen aus, als hätte jemand mühsam Mohnsamen zu hauchfeinen Partikeln zerrrieben und dann in kleinsten Prisen gleichmäßig über die Seiten gestreut. Das links ist ein verkleinerter, aber sonst unbearbeiteter Scan aus einer Seite (zum Vergleich rechts das Ikeadings im gleichen Maßstab). In Kästen ist dieser graue Hauch von Schrift oft noch kleiner und steht gerne auf graubraunem Untergrund.

Aber vielleicht liest man dieses Zeitungs-Supplement ohnehin besser nicht. Einzelne Texte stammen zwar von namhaften „SZ“-Autoren. Aber gleich der erste große Artikel in der ersten Ausgabe des neuen Heftes, quasi der Aufmacher, ist gar kein Artikel, sondern eine Anzeige, die wie ein Artikel aufgemacht ist (zum Vergleich: links die Anzeige, rechts ein Artikel).

Und auch die Firma Hipp darf sich ein paar Seiten weiter in solcher Gestaltung präsentieren, dass man erst beim zweiten Hinsehen merkt, dass es sich nicht um einen redaktionellen Beitrag handelt. Wie knapp muss das Geld bei der „Süddeutschen“ sein, wenn sie diese Produktionsform nicht mehr den billigsten Frauen- und Fernsehzeitschriften überlassen will?

Ein armes Schleichwerbeblättchen ist dieses „KINDerLEBEN“, voller Produktinformationen, mit einem traurigen Cover und einem Schwachsinnstitel, der im Vorwort noch erklärt wird: „Was ein Kinderleben ausmacht, wie Kinder leben und wie Eltern ihr Kind erleben — damit beschäftigt sich unser neues Magazin.“ Gut, dass man’s eh kaum lesen kann.

Und quasi als Pointe ist ausgerechnet das Wort „Schlusskorrektur“ falsch geschrieben: ohne „l“.

„Oh“

Ich meine, hatte Friedbert Pflüger nicht genug zu leiden? Musste man ihn dann auch noch überrumpeln, als er dachte, wenn er schon um 18.52 Uhr ins ZDF-Studio geht, könnte er da bis zur „heute“-Sendung noch ein paar Minuten entspannt und unbeobachtet ein bisschen herumstehen?

Die CDU in Berlin ist wieder da!

„Die CDU in Berlin ist wieder da, nach fünf schweren Jahren, und darüber freuen wir uns, meine Damen und Herren.

Wir haben fünf schwere Jahre gehabt, wer wollte das bestreiten. Und wir haben einen geschlossenen, entschlossenen Wahlkampf geführt, auf Augenhöhe. Wir haben fabelhaft gekämpft, unsere Veranstaltungen waren voll. Ich glaube, wir können über das, was wir in den letzten Wochen erreicht haben, stolz sein.“

CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger heute um 18.30 Uhr nach Bekanntgabe von Hochrechnungen, wonach die CDU das desaströse Ergebnis von 2001 noch einmal unterbot.

Die Mär von der Wahlbeteiligung

Der Mythos ist nicht auszurotten: Wenn rechtsextreme Parteien in die Parlamente einziehen, liege das vor allem an der niedrigen Wahlbeteiligung. Der Gedanke zieht sich durch die Wahlberichterstattung fast aller Medien. Und durch die hilflosen Appelle der etablierten Parteien an das Volk, bitte wählen zu gehen.

Der Gedanke ist aber auch zu bequem. Denn dahinter steht die Logik, dass die Zahl der Menschen, die bereit sind rechtsextrem zu wählen, verschwindend gering ist. Und dass die große Zahl der Wähler ihre Stimme natürlich anständig abgibt und nur manchmal den Fehler macht, nicht zur Wahl zu gehen.

Schön wenn es so wäre. Aber die Statistik spricht dagegen.

Dass 2004 zum Beispiel die NPD in Sachsen mit 9,2 Prozent der Stimmen drittviertstärkste Partei im Landtag wurde, nur hauchdünn hinter der SPD, lässt sich durch eine niedrige Wahlbeteiligung nicht erklären: Sie lag bei 59,6 Prozent — nur knapp unter der vorherigen Landtagswahl, sogar leicht über der davor.

In Brandenburg lag die Wahlbeteiligung 1998 bei außerordentlich hohen 71,5 Prozent. Bei dieser Wahl bekam die DVU nicht weniger als 12,9 Prozent der Stimmen.

In Wahrheit müssten sich die etablierten Parteien wohl wünschen, dass möglichst wenig der frustrierten Wähler in Mecklenburg-Vorpommern und anderswo sich doch noch aufraffen und ihre Stimme abgeben. Wie der immer lesenswerte Toralf Staudt in der „Zeit“ schreibt:

Die üblichen Aufrufe zu einer hohen Wahlbeteiligung dürften nicht mehr helfen gegen einen Einzug der NPD in den Schweriner Landtag, vielleicht bewirken sie gar das Gegenteil: Unter den Politikverdrossenen wird es nämlich viele potenzielle NPD-Wähler geben, und das weiß auch die Partei. „Kopf hoch — nicht in den Sand“, heißt ein Flugblatt, mit dem sich die NPD an Nichtwähler wendet. „Ein Rentner, der sich in Wahlverweigerung übt, bettelt förmlich um eine weitere Kürzung seiner Altersbezüge, und ein Hartz-IV-Bezieher schreit regelrecht nach Hartz V.“

Dass nur genug Leute zur Wahl gehen müssen, um den Einzug der NPD zu verhindern, ist eine gefährliche Illusion. Und verschiedene Wahlforscher haben das in den letzten Tagen auch schon erklärt. Aber das ist ja kein Grund für Journalisten, nicht einfach das zu schreiben, was sie immer schon geschrieben haben: