„Ehrwürdige Institutionen müssen sich unterstützen“

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Deshalb unterstützt „Bild“ den Papst. Chefredakteur Kai Diekmann über den erstaunlichen neuen Katholizismus einer Boulevardzeitung.

Im November vergangenen Jahres reist eine Delegation der „Bild“-Zeitung nach Rom. Chefredakteur Kai Diekmann überreicht Papst Johannes Paul II. im Rahmen einer Privataudienz eine Bibel — ein Exemplar der sogenannten „Volksbibel“, die das Blatt zusammen mit dem Weltbild-Verlag eine Viertelmillion Mal verkaufen wird. Diekmann verspricht dem Oberhaupt der katholischen Kirche: „Mit über zwölf Millionen Lesern täglich ist uns auch die Verbreitung der christlichen Glaubensbotschaft ein ernstes Anliegen.“

Ungefähr seit diesem Tag versucht „Bild“, sich als papsttreueste Zeitung der Welt zu positionieren. Sie feiert Worte und Werke Johannes Pauls II., sie hängt an seinen Lippen, sie berichtet in großer Detailtreue (wenn auch nicht immer zutreffend) über jede neue Wendung in seiner Krankengeschichte. Als andere davon ausgehen, daß der Papst vorübergehend nicht sprechen kann, befürchtet sie, er sei für immer stumm. Als er dann doch wieder ein paar Worte sagen kann, nennt sie es ein Wunder. Wer die Politik des Vatikans kritisiert, zum Beispiel das strikte Verbot, im Kampf gegen Aids auch Kondome benutzen zu dürfen, wird von „Bild“ als durchgeknallt dargestellt und in der Rubrik „Verlierer des Tages“ oder der Kolumne von Franz Josef Wagner abgewatscht.

Die „Bild“-Zeitung hat einen Mitarbeiter in Rom, der eine Biographie über den Papst verfaßt hat und den sie ihren „Vatikan-Korrespondenten“ nennt. Wenn er schreibt, zeigt sie häufig ein Bild von ihm, in dem er vor dem Papst kniet. Als der Papst stirbt, tritt dieser Vatikan-Korrespondent in verschiedenen Fernsehsendungen auf und weint mehrfach. Auch noch Tage nach dem Tod des Papstes übermannen ihn seine Gefühle. Seine Zeitung führt unterdessen die „Wunder“ auf, die Papst Johannes Paul II. angeblich bewirkt habe, und fordert quasi seine sofortige Heiligsprechung.

Als Kardinal Ratzinger gewählt wird, titelt „Bild“: „Wir sind Papst“. Die Zeitung berichtet, daß Ratzingers Eltern Joseph und Maria „waren“. Sie kritisiert, daß der neue Papst „in keinem Land der Welt so unerbittlich kritisiert“ werde wie in Deutschland und daß britische Zeitungen übel gegen ihn „hetzten“, die seine Jugend im Dritten Reich unangemessen groß in den Mittelpunkt rücken. Daß diese Blätter über die Mitgliedschaft Ratzingers in der Hitler-Jugend berichten, nennt „Bild“ einerseits eine „Beleidigung“, betont aber andererseits, niemand müsse sich dafür „schämen“, Hitler-Junge gewesen zu sein. In ihrem Eifer verleugnet „Bild“ sogar die Existenz eines KZ in der Nähe von Ratzingers Heimat Traunstein.

Der strenge Katholizismus wirkt sich auch auf die Berichterstattung jenseits des Vatikans aus. Massiv kämpft „Bild“ gegen den Beschluß der Berliner SPD, konfessionsungebundenen Werteunterricht an den Schulen einzuführen, und veröffentlicht „Zehn ‚Bild‘-Gebote für alle Politiker“, in denen es unter anderem heißt: „Du sollst deinen Amtseid auf Gott schwören“ und: „Du sollst das Gottvertrauen, das Kinder haben, nicht aus ihren Seelen vertreiben.“ Sie kommentiert eine Demonstration von deutschen Moslems gegen Gewalt mit den Worten: „Schön, daß das auch andere, die in unserer freiheitlichen Gesellschaft mit uns leben, genau so sehen.“ Sie illustriert Überlegungen, einen islamischen Feiertag in Deutschland einzuführen, mit einer Fotomontage, in der Tausende Moslems vor dem Reichstag beten.

Nicht verändert hat sich die Position von „Bild“ in anderen Fragen. Gegner der „Bild“-Zeitung werden weiter mit heiligem Zorn und nicht selten falschen Anschuldigungen verfolgt, Unschuldige zu Tätern gemacht und Schwache zu Witzfiguren, und weder die sexsüchtigen halbnackten Frauen von Seite eins noch die Prostituiertenanzeigen hinten im Blatt traf bisher ein Bannstrahl.

Über die neue Religiosität von „Bild“ wollten wir mit Chefredakteur Kai Diekmann reden. Ein persönliches oder telefonisches Interview lehnte er „aus Zeitgründen“ ab. Möglich war nur, ihm Fragen zu schicken, die er schriftlich beantwortete. Nachfragen konnten nicht gestellt werden.

Die „Süddeutsche“ nannte „Bild“ am Freitag einen „Osservatore Tedesco“. Fühlen Sie sich wohl oder unwohl mit dieser Beschreibung?

Das ist ein Kompliment: Der „Osservatore Romano“, die Zeitung des Vatikans, hat in seiner Heimat eine Reichweite von einhundert Prozent. So weit sind wir leider noch nicht.

„Wir sind Papst“, hat „Bild“ am Mittwoch getitelt. Wer sind „wir“? Wir Deutschen? Wir deutschen Katholiken? Die „Bild“-Redaktion?

Wir alle. Und ich bin mir ganz sicher: Sie von der „Sonntagszeitung“ doch hoffentlich auch?

Wem ist diese Schlagzeile eingefallen?

Meinem Kollegen Georg Streiter. Er ist Politikchef bei „Bild“.

Die „Bild“-Zeitung hat sich in den vergangenen Monaten als besonders papsttreue Zeitung positioniert. Warum?

Weil ehrwürdige Institutionen sich unterstützen müssen.

Welche Bedeutung hatte die Audienz der „Bild“-Führungsriege beim Papst für Sie?

Eine große Ehre, eine sehr bewegende Begegnung.

Glauben Sie an Gott? Sind Sie katholisch?

Ja.

In den Grundsätzen und Leitlinien von Axel Springer fehlt ein Bezug auf das Christentum. Glauben Sie, daß eine Ergänzung sinnvoll wäre? Oder versteht es sich ohnehin von selbst, daß die Medien der Axel Springer AG sich den abendländisch-christlichen Werten verpflichtet fühlen?

Anima naturaliter Christiana*.

Die „Bild“-Zeitung berichtet seit einigen Monaten viel stärker als früher über kirchliche Themen, betrachtet auch gesellschaftliche Fragen häufiger aus religiöser, insbesondere katholischer Sicht. Nehmen Sie damit eine Stimmung in der Bevölkerung auf? Oder versuchen Sie umgekehrt, die Bevölkerung zu beeinflussen, quasi zu missionieren?

Jeden Montag heißt unsere Mission „Bundesliga“, im Sommer sind wir auf der Mission „Bikini“, und 365 Tage im Jahr missionieren wir für besseres Wetter. Im Ernst: Wir missionieren nicht, wir berichten, was ist.

Ist der „Bild“-Leser katholisch?

Die „Bild“-Leser sind Katholiken, Protestanten, Moslems, Juden, Atheisten und so weiter. Frei nach dem Neuen Testament: In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen.

Sie haben sich im vergangenen Jahr ausdrücklich zu Kampagnen als legitimem und positivem Mittel einer Boulevardzeitung bekannt. Ist der Katholizismus nur die aktuelle Kampagne der „Bild“-Zeitung, die in wenigen Monaten durch eine andere abgelöst wird?

Große Ereignisse verdienen große Schlagzeilen, wie nach der erfolgreichen Landung von Apollo 11: „Der Mond ist jetzt ein Ami“.

Im ersten Quartal 2005, das schon von vielen Berichten über Johannes Paul II. geprägt war, ist die Auflage der „Bild“-Zeitung weiter gefallen. Läßt sich mit dem Papst und Themen der katholischen Kirche womöglich gar keine Auflage machen? Würden Sie das in Kauf nehmen als Preis dafür, eine im Sinne der katholischen Kirche und ihrer Werte bessere Zeitung zu machen?

Ich kann Ihre Frage nur mit einem eindeutigen „je nachdem“ beantworten.

Ihr Kolumnist Franz Josef Wagner hat in seiner Kolumne in dieser Woche gemutmaßt, Gott habe den Deutschen „diesen Papst geschenkt, damit wir endlich aufhören, an falsche Götter zu glauben“. Glauben Sie das auch?

Jeder Kolumnist soll nach seiner Fasson selig werden.

Für die Kirche, nicht nur die katholische, ist Keuschheit eine Tugend. Für die „Bild“-Zeitung offensichtlich nicht. Müßte eine Zeitung, die nicht nur in ihrer Berichterstattung über den Papst, sondern auch in der Bewertung aktueller politischer Streitfragen die Prinzipien der Kirche und des christlichen Glaubens als Maßstab anlegt, aufhören, jede versehentlich herausgerutschte weibliche Brustwarze überlebensgroß abzubilden und zu feiern?

Ich glaube, wir müssen uns mal zusammen in der Sixtinischen Kapelle Michelangelos Deckenfresko anschauen. Nackt kommst du auf Erden, nackt wirst du von ihr gehen.

Wie christlich kann eine Boulevardzeitung überhaupt sein? Sehen Sie nicht die Gefahr, je mehr Sie sich als papsttreueste Zeitung positionieren, desto pharisäerhafter zu erscheinen?

Wir alle sind Sünder, ausgenommen natürlich die Kollegen von der Sonntagspresse: Wer am Tag des Herrn das Wort verkündet, tut dies natürlich mit reiner Seele.

Glauben Sie, daß sich Kritik am (neuen) Papst per se verbietet?

Ach, Bruder Niggemeier . . .

Mißbraucht „Bild“ das Pathos der katholischen Kirche und letztlich den Glauben nicht, um in einer Zeit, in der alles beliebig erscheint, sich mit scheinbarer Bedeutung aufzuladen?

Jetzt werden Sie mir etwas zu protestantisch.

Welches ist Ihr Lieblings-Gebot?

Bei dieser Frage möchte ich das Beichtgeheimnis in Anspruch nehmen.

Welches christliche Gebot ist für eine Boulevardzeitung am schwierigsten in der Praxis zu beherzigen?

Du sollst nicht stehlen. Eine alte Journalistenweisheit besagt nämlich: Besser gut geklaut, als schlecht erfunden . . .

Welche christlichen Werte sind Ihrer Meinung nach heute besonders wichtig?

Glaube, Liebe, Hoffnung.

Was antworten Sie gläubigen Christen, die sich daran stoßen, daß „Bild“ Anzeigen von Prostituierten veröffentlicht?

„Bild“-Volksbibel, Seite 1046. Für alle anderen: Johannes-Evangelium, Kapitel 8, Vers 7.**

*) „Die Seele ist natürlicherweise christlich“, mit anderen Worten: das Christentum ist genau das, was der Mensch im Innersten sucht. Wort des Kirchenführers Tertullian, 197 nach Christus.

**) „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“

Günther Jauch

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Müssen Sie eigentlich alles machen, Herr Jauch? Der Fernsehmoderator über Geld, Werbung, Ehrgeiz und den Luxus, sich nicht alles leisten zu müssen, was man sich leisten kann.

· · ·

Herr Jauch, warum locken die Lotterien und Fernsehshows mit immer höheren Jackpots, die immer weniger Menschen gewinnen?

Aber das ist doch das sinnvolle Prinzip einer jeden Lotterie. Wenn Sie früher auf die Kirmes gegangen sind, hätten alle einen Plastikkugelschreiber gewinnen können oder einer den zwei Quadratmeter großen rosa Bären. Und Sie wollten, obwohl Ihr Kinderzimmer schon voll war, doch unbedingt den bescheuerten Bären haben, oder?

Aber können Sie erklären, warum mit immer größeren Summen gelockt wird, aber die Menschen, die sie gewinnen, schwärmen hinterher, daß sich nichts in ihrem Leben verändert hat?

Na ja, verändert hat sich, daß sie finanziell sorgenfrei sind. Die Abwesenheit von Angst ist ein Riesenwert. Unterschätzen Sie auch nicht die Erleichterung vieler Spieler, erstmals nach Jahrzehnten mal wieder auf plus/minus Null zu kommen. Man sollte sich keine Illusion machen, wie viele Leute richtig tief im Schuldensumpf stecken oder durch Hypothekenzinsen immer kurz vorm Tremens sind. Wenn die schuldenfrei sind, fällt von ihnen erst mal alles ab.

Dafür müßten es ja keine fünf Millionen Euro sein. Ist es vielleicht wichtiger, Millionen zu gewinnen, als Millionen zu haben?

Nein, es ist einfach eine Frage der Perspektive. Es gibt eine Erwartungshaltung gegenüber Menschen, die viel Geld haben oder gewinnen. Ich werde auch damit konfrontiert: Wenn ich mit meinem Opel zur Waschanlage fahre, wird immer gefragt: „Den Porsche haben Sie aber heute zu Hause gelassen, was?“ Daß ich in meinem Auftreten und Konsumverhalten nicht meinem möglichen Kontostand entspreche, irritiert viele Leute. Mir persönlich geht es schlicht um die Unabhängigkeit, monatelang auf Kreuzfahrt zu sein oder es mir zu leisten, gerade das nicht zu tun. Ich erlaube mir die Freiheit, ein Leben zu führen, das nicht den Erwartungen anderer und schon gar nicht meinen eigentlichen materiellen Möglichkeiten entsprechen muß.

Sie haben die Wahl.

Richtig. Interessanterweise geht es „Neureichen“ gelegentlich ganz genauso. Vor kurzem habe ich einem Gewinner einen Scheck über eine Million Euro überreicht. Der lebt mit seiner Frau in einem Plattenbau in Berlin-Hellersdorf. Drei Zimmer, siebzig Quadratmeter. Er ist bei der Stadtreinigung und fährt jeden Morgen um vier mit einem dieser Bürstenautos raus. Die Frau war arbeitslos. Er sagt: Selbstverständlich wird er seine Arbeit weitermachen. Die Frau sucht weiter nach Arbeit. Sie wollen in der Plattenbauwohnung bleiben, weil es die Kinder nur zehn Meter bis zum Spielplatz und achtzig bis zur Schule haben. Ein bißchen Geld wollen sie in ihre kleine Datsche in Schweden stecken, da können sie jetzt den Balkon endlich reparieren. So eine Reaktion auf Millionengewinne begegnet mir ganz oft.

Sie sind ja dann der ideale Moderator für solche Shows. Sie sind, vermute ich mal, Millionär. Aber Sie arbeiten, als müßten Sie einen Schuldenberg abarbeiten und endlich mal sehen, daß Sie ein bißchen bekannt werden.

Ich arbeite sicher nicht mehr, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Was wiederum nicht heißt, daß ich gratis tätig bin. Was und wer speziell beim Fernsehen nichts kostet, ist da auch ganz schnell nichts mehr wert. Und kommen Sie mir bitte nicht mit der Mallorca-Variante: Alles hinschmeißen und morgens um zehn den ersten Rotwein auf der Luxus-Finca entkorken. Das ist vier Wochen schön, danach öde und langfristig tödlich.

Wenn man so viel verdient hat wie Sie, funktionieren dann noch so Mechanismen wie bei Normalverdienern? Kann man Sie mit Geld überreden zu Dingen, die Sie eigentlich nicht machen wollen?

Sie können mich nicht mehr zu allem überreden. Etwas arrogant formuliert: Weil ich nicht billig bin, bin ich nicht käuflich.

Was meinen Sie damit?

Ich differenziere einfach rechtzeitig, was ich will. Inhaltlich und dann auch finanziell. Wem das nicht zusagt, dem bin ich nicht gram. Dabei verstehe ich, wenn jemand fragt: „Hast du es eigentlich nötig, Werbung zu machen?“ Dann sage ich wahrheitsgemäß: Nein, das habe ich finanziell nicht nötig. Aber das hat von den Leuten, denen Sie da häufiger im Fernsehen begegnen, vermutlich keiner. Es geht da zum Teil auch schlichtweg um die Fragen: Habe ich Lust dazu? Schmeichelt einem die Tatsache, überhaupt gefragt zu werden? Zeigt sich nicht auch auf eine gewisse Weise die gesellschaftliche und ökonomische Wertschätzung, die einem mit einem Werbevertrag entgegengebracht wird? Nehmen Sie die Bundesbank. Die haben in einem halben Jahrhundert nur einmal mit einem Menschen anläßlich des Wechsels zum Euro eine Kampagne gemacht. Ich habe mich gefreut, als die mich gefragt haben. Außerdem sah ich auf dem Schlafmünzenfoto endlich mal halbwegs vernünftig aus.

Aber ist die Werbung nicht eine ständige Bedrohung der eigenen Glaubwürdigkeit?

Ach, Werbung ist Werbung ist Werbung. Manchmal wird ja so geraunt: Meinen Sie nicht, daß es da Vermischungen gibt? Daß man durcheinanderbringt, ob Sie in der Rolle des Moderators oder einer Werbefigur agieren? Ich bin der Meinung, daß die Leute das sehr genau unterscheiden können. Wenn Harald Schmidt für Hexal Werbung macht und sagt, daß ihm das Kreuz weh tut, dann realisieren die Leute, daß Harald Schmidt gerade erzählt, daß ihm das Kreuz weh tut, weil er Werbung für Hexal macht. Das merkt und weiß nun mittlerweile wirklich jeder.

Anfangs haben Sie besondere Werbung gemacht. Mit Krombacher für den Regenwald, mit der Beton-Industrie für das Potsdamer Stadtschloß. Das war clever.

Das war aber auch ganz normale Werbung.

Aber der gute Zweck war schon eingebaut. Das ist er bei der Werbung, die Sie heute machen, nicht.

Das stimmt deshalb nicht, weil ich das Geld, das ich mit der Werbung verdiene, sowieso komplett nicht behalte.

Wonach entscheiden Sie, für welches Unternehmen Sie werben?

Es sollten Firmen oder Institutionen sein, die eine gewisse Größe haben. T-Com ist ein Weltkonzern, Quelle ein angesehenes Traditionsunternehmen und die SKL eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, für die sich fünf süddeutsche Bundesländer verbürgen.

Entscheiden Sie auch danach, wie genau die Werbeidee aussieht?

Ich rede mit und habe immer ein Vetorecht.

Finden Sie es nicht selbst nervig, wenn Sie durch Deutschland fahren, daß Sie sich selbst an jeder Ecke aus einer riesigen magentafarbenen Null anlachen?

Das passiert mir doch aber schon morgens beim Rasieren, daß mich eine Null anlacht . . .

Gucken Sie bei der Werbung mit sich selbst gar nicht hin?

Doch, aber da gibt’s wirklich größere Strafen. Es gibt ja auch diese Umfragen, welche bekannten Gesichter in der Werbung nerven und welche nicht. Mein Ergebnis ist da ziemlich eindeutig.

Lassen Sie mich raten.

Genau. Da habe ich noch einen fünfzigprozentigen Vorsprung vor dem Kollegen Gottschalk auf Platz zwei. Also, damit kann ich leben.

Entscheiden Sie so was wie die Frage, wieviel und für wen Sie werben, selber? Oder haben Sie eine Armada von Beratern?

Nein, hab‘ ich nicht, brauch‘ ich nicht. Mein persönlicher Eindruck: Neunzig Prozent der sogenannten Berater sind echte Landplagen und halten einfach nur den Betrieb auf. Sich auch um Details zu kümmern kann nervig sein, aber dafür weiß ich dann wenigstens selbst, worum es überhaupt geht. Die Leute sind überrascht, daß sie mich am Telefon haben, wenn ich irgendwo zu- oder absage. Aber es geht einfach viel schneller.

Das ist ein Geheimnis Ihres Erfolges: Daß Sie bei „Wer wird Millionär?“ sitzen und jeder ahnt, was Sie verdienen, aber Sie sind in der Lage, mit Kandidaten darüber zu reden, was eine Tiefkühlpizza kostet. Daß Sie ausstrahlen, in der gleichen Lebenswelt zu leben wie die Leute vor dem Bildschirm.

Zum Teil ist die Lebenswelt identisch, zum Teil zugegebenermaßen nicht. Aber wenn Sie dieser Lebenswelt komplett entrückt wären, würde das auffallen. Wenn Sie sich ersparen, zumindest alle paar Wochen mal durch den Baumarkt zu gehen, „Autobild“ zu lesen, oder wenn Sie sich weigern, beim Aldi an der Kasse anzustehen und lieber den „Käfer-Service“ nach Hause liefern lassen – dann haben Sie in meinem Beruf ganz schnell ein richtiges Problem.

Machen Sie das gezielt: Ich muß mal wieder in den Baumarkt wegen der Zuschauernähe? Oder gehen Sie eh lieber in den Supermarkt, als bei Käfer zu bestellen?

Letzteres, wobei das eine das andere nicht ausschließt. Ich habe zum Beispiel eine kleine Automeise. Im Klartext: Ich habe ein großes und schönes Auto. Aber zum normalen Rumfahren habe ich einen Opel. Der ist praktisch. Variable Sitze, übersichtliche Karosserie, Automatikgetriebe. Kann auch das Au-Pair-Mädchen fahren. Ich bin, ich gebe es zu, da etwas konventionell und vielleicht auch ein bißchen sehr deutsch. Mit positiven und negativen Begleiterscheinungen. Aber es wäre mir wirklich zu anstrengend, krampfhaft darauf bedacht zu sein, einen möglichst volksnahen Eindruck zu machen.

Stellen Sie sich eigentlich nie bei einem Fernseh- oder Werbeangebot die Frage: Muß ich das jetzt auch noch machen?

Es ist ja gar nicht so viel. Ich habe zweieinhalb Werbeverträge. Ich mache „Stern TV“ seit 15 Jahren. Na schön, und natürlich „Wer wird Millionär“, das gebe ich noch zu.

Und die „SKL-Show“.

Ja.

Und Skispringen.

Das wächst sich ja zu einer medienpolitischen Betriebsprüfung mit Verhörcharakter aus. Also bitte: Ja, ich bekenne, auch Skispringen seit fünf Jahren gerne zu moderieren.

Und den Jahresrückblick und die Uri-Geller-Show und alles.

Wenn Sie jetzt nicht aufhören, übernehme ich in diesem Jahr noch ein paar Formate, nur, um Sie noch besorgter zu machen. Und überhaupt: Johannes B. Kerner ist viel öfter im Fernsehen!

Das Fernsehen ist eine Branche, wo alles plötzlich zu Ende sein kann. Sind Sie da frei von Angst?

Ich habe festgestellt, daß speziell Leute, die sehr gut verdienen, nicht angstfrei sind, im Gegenteil. Die leben auf einem materiell hohen Niveau und haben immer mehr Angst, weil sie viel mehr zu verlieren haben. Andere fürchten im wahrsten Sinne des Wortes den Ansehensverlust, wenn sie nicht mehr auf dem Schirm sind. Da muß ich sagen, daß ich mit mir meinen Frieden gemacht habe. Ich habe in dieser Richtung absolut keine Ängste. Das empfinde ich als sehr befreiend. Es ändert allerdings nichts an Gefühlen wie Ehrgeiz oder Lust am Wettbewerb. Es könnte ja theoretisch sein, daß man viele Dinge nicht mehr so konzentriert angeht, wie man es vor fünfzehn Jahren gemacht hat. Aber da habe ich das Michael-Schumacher-Syndrom. Sich anzustrengen und sich immer wieder mit anderen zu messen ist das eigentlich reizvolle. Es gibt aber etwas, das sich im Vergleich zu früher geändert hat. Ich war bis vor vier Jahren im Grunde nur für meine Familie und mich verantwortlich. Seit ich eine eigene Produktionsfirma habe, hängen viele Existenzen, direkt oder indirekt, vom Wohl und Wehe des Betriebes ab. Das ist eine gewisse Belastung.

Warum haben Sie die Firma gegründet?

Vorher war die programmliche Flexibilität nicht mehr vollständig gesichert. Die Redaktion geriet durch wirtschaftliche Vorgaben inhaltlich so unter Druck, daß insbesondere „Stern TV“ unter Umständen ein Qualitätsproblem bekommen hätte. Das wollte ich nicht und strebte nach einer Konstruktion, die uns sogar die Möglichkeit gibt, Geld in Projekte zu stecken, die sich vielleicht nicht sofort rechnen, die aber entweder Spaß machen oder uns aus anderen Gründen wichtig sind. Diese Freiheit haben wir jetzt.

Aber damit sind Sie eine große Ausnahme im Fernsehen.

Es gibt eine Entwicklung, der zumindest ARD, ZDF, RTL, Sat.1 und Pro Sieben nicht folgen sollten. Es funktioniert so: „Wir holen eine alte Krimiserie aus dem Keller oder produzieren zu absoluten Billigpreisen irgendein neues Schrottprogramm nach amerikanischem Vorbild. Selbst wenn wir damit nur eine schwache Quote schaffen, bleibt letztlich mehr in der Kasse, als wenn wir ein Qualitätsprogramm mit Quote produzieren.“ Dann wäre die Quote sogar im kommerziellen Fernsehen nicht mehr so wichtig. An ihre Stelle tritt die Rendite — oder bei den Öffentlich-Rechtlichen die möglichst billige Produktion. Wenn keiner mehr den Ehrgeiz hat, Qualität zu machen, oder Quote — oder Qualität mit Quote zu verbinden, was durchaus geht –, dann krieg‘ ich als Journalist und Moderator, aber auch als Produzent ein Problem. Denn dann wird das Fernsehen richtig freudlos. Bisher war alles ganz einfach: „Mach ’ne schöne Quote“, das war das wichtigste, „und ’ne schöne Sendung haste auch noch gemacht, prima.“ Danach wurde man bewertet. Da droht gerade ein Paradigmenwechsel, der für Leute, die auf Quote und Qualität setzen, zum Problem werden kann. Aber wissen Sie, was mich hoffen läßt? Ich kenne einen Senderchef, der das inzwischen erkannt und mir versprochen hat: „Da halten wir dagegen!“ Mit dem werde ich mich jetzt öfter unterhalten.

Super, Sie wollen keinen Namen nennen. Kennen wir den Herrn?

Aber sicher.

Eject

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Sterben für die Tagesdurchschnittsquote: Charlotte Roche über die Einstellung ihrer Viva-Sendung „Fast Forward“.

Zum Ende des Jahres stellt der Musiksender Viva seine beiden letzten musikjournalistischen Sendungen ein. „Mixery Raw Deluxe“ war die einzige redaktionell betreute Hip-Hop-Sendung im deutschen Fernsehen, „Fast Forward“ eine einzigartige Plattform für Musik, die sonst nirgends läuft, weil sie nicht kommerziell genug ist. „Fast Forward“, ein Überbleibsel des vor drei Jahren eingestellten ambitionierten Senders Viva 2, wurde von wenigen gesehen, aber von vielen geliebt. Charlotte Roche, die die Sendung seit fünf Jahren machte und moderierte, wurde durch sie zu einer Art Schutzheiligen der Independent-Szene. „Queen of German Pop Television“ nannte Harald Schmidt die 26jährige, die in diesem Jahr den Grimme-Preis erhielt.

Wie haben Sie vom Ende von „Fast Forward“ erfahren?

Letzte Woche wurde im Haus das Programmschema für alle Musiksender Deutschlands vorgestellt. Einmal, once in a lifetime, haben sie aus Freundlichkeit den Mitarbeitern etwas über die Zukunft gesagt, bevor sie an die Presse gegangen sind. Ich war nicht im Haus. Mir haben sie nach der Veröffentlichung gesagt: Charlotte, nur daß du das weißt, „Fast Forward“ ist ab Ende Dezember nicht mehr vorgesehen.

Gab es vorher keine Gespräche mit Ihnen: Wie sollen wir weitermachen?

Nein, gar nicht. Aber das ist für mich kein großer Schock. Ich führe seit letztem Jahr diesen Kampf mit den Viva-Chefs und anderen, die dahingesetzt wurden. Solange es noch den Kampf zwischen MTV und Viva gab, ging es ständig um diesen bekloppten Tagesquotendurchschnitt. MTV war jeden Tag Sieger. Die Verantwortlichen bei Viva haben mir dann immer erzählt, wie die eine Stunde „Fast Forward“ jeden Tag die Durchschnittsquote in den Keller haut. Anfang des Jahres kamen Mitarbeiter von mir plötzlich mit der Nachricht an: Bald gibt es „Fast Forward“ nur noch eine Viertelstunde lang! Ich war ständig bei den Viva-Chefs, immer am Kämpfen, habe immer gedroht, zu kündigen: Das ist ja wohl der Witz des Jahrhunderts, man kann doch keine Stundensendung auf eine Viertelstunde kürzen! Jetzt ist es vorbei.

Eine Stunde lang war „Fast Forward“ in diesem Jahr nur selten.

Ja, das wurde immer heimlich gegen meinen und aller Willen gekürzt, einfach so. Ich hab‘ schon „Fast Forward“-Sendungen mitgestoppt, die achtzehn Minuten lang waren, und die Verantwortlichen behaupteten immer noch, es sei eine Stunde gewesen.

Nicht im Ernst.

Das ist wirklich wahr. Es geht um jede Minute für ihre bescheuerte Durchschnittsquote für den Tag.

Gab es Versuche, etwas am Konzept zu ändern?

Ich bin da sehr bockig, weil ich sage: Ihr habt mich eingestellt, und „Fast Forward“ ist dazu da, daß die Leute, die daran arbeiten, machen, was sie wollen. „Fast Forward“ ist ganz klar nicht dazu da, das „Interaktiv“-Publikum glücklich zu machen und eine Superquote zu haben. Ich habe gesagt, auf keinen Fall fangt ihr jetzt an, bei „Fast Forward“ rumzupfuschen, weil ihr denkt, dann kann man mehr Quote machen. So funktioniert es nicht.

Es heißt, Sie wollten jetzt eh verstärkt als Schauspielerin arbeiten, vermutlich ist es Ihnen also gar nicht so unrecht, daß die Sendung eingestellt wird.

Das ist überhaupt nicht so. Alles, was in „Fast Forward“ steckt, ist das, was ich mir gerade ausdenke. Deshalb werde ich der Sendung nicht müde, weil sie sich ganz natürlich mitentwickelt mit mir. Was allerdings wirklich stimmt, ist, daß ich Kraft verloren habe. Dieses Kämpfen dafür, daß es die Sendung weiter gibt, das war sehr ermüdend die letzten Monate. Jeder im Haus sagt dir: Das soll weg. Und man selber steht alleine da und denkt: Nee, das soll nicht weg. Aber ich habe immer großen, großen Spaß an der Sendung gehabt, auch aus der Bockigkeit heraus, daß die die absetzen wollten. Aber jetzt habe ich verloren.

Gibt es bei den Verantwortlichen nicht das Gefühl, daß es für einen Sender wie Viva wichtig sein könnte, sich ein Programm wie „Fast Forward“ zu leisten?

Die Viacoms dieser Welt verstehen nicht, warum man eine kulturelle Sendung haben soll oder irgendwas, das kommerziell scheinbar unerfolgreich ist. Es wird immer schwerer, Leuten das zu erklären. Wenn man diesen ganzen Chefs gegenübersitzt, guckt man in blanke Gesichter. Man muß ihnen erklären, warum das Sinn hat, wenigstens in einer von vierundzwanzig Stunden etwas Spezielles zu zeigen, etwas Unbekanntes, auch wenn man damit nicht die Massen erreicht. Die sitzen dann da und sagen: Ja, aber da könnten wir doch Geld verdienen in der Zeit. Gegen solche Argumente ist man machtlos.

Vielleicht war „Fast Forward“ zu teuer?

Wir sind zu dritt. Die anderen beiden sind gleichzeitig die Kameramänner. Produziert wird ohne Beleuchtung und alles. Da ist einfach nur eine Kamera, in die ein Mikrophon reingesteckt wird. So wie zu Hause, wenn man ein Familienvideo dreht.

Und wie ging das, als Sie jetzt die Hauptrolle in „Eden“ gespielt haben, einen Film von Michael Hofmann, der 2005 ins Kino kommt?

Ich habe neun Wochen gedreht und wollte nicht, daß die Sendung neun Wochen lang ausfällt. Ich habe dann halt in Bad Herrenalb im Park gestanden und dort die Sendung gemacht. Ich bekomme die Videos zugeschickt. Ich kann „Fast Forward“ überall drehen und dann die Bänder nach Köln schicken, und die schneiden das dann.

Was für Auswirkungen, meinen Sie, wird das Ende von „Fast Forward“ für die Musikbranche haben?

„Fast Forward“ stand schon immer dafür, eine Plattform für kaum oder gar nicht gespielte Videos zu sein, vor allem für deutsche Sachen. Leute wie Rocko Schamoni oder Thees Uhlmann zum Beispiel rufen mich an und sagen, Charlotte, zu diesem Song haben wir diese Idee, lohnt es sich, 2000 Euro in die Produktion eines Videos zu stecken, spielst du das? Und dann sage ich „Ja“ oder „Nein“, und dann drehen die das oder nicht. Wenn es „Fast Forward“ nicht mehr gibt, gibt es auch diese Videos nicht mehr.

Hat die sonst keiner gespielt?

Nein, es gibt sonst nur Markus Kavka auf MTV mit „Spin“, aber das läuft nur einmal die Woche. Die beschäftigen sich mit Independent-Sachen, die meistens schon erfolgreicher sind, spielen etwa „The Hives“. „Fast Forward“ dagegen läuft jeden Tag eine Stunde, da kann man die ganze Woche unbekanntes Zeug aus Hamburg spielen, wenn man will.

Und Sie wollten.

Genau. Um die letzten Zuschauer auch noch zu vergraulen.

Haben Sie schon Reaktionen auf die Nachricht von der Einstellung bekommen?

Ich bekomme jetzt SMS von Leuten aus dem „Spex“-Umfeld, die ganz bestürzt sind. Die sagen, „Scheiße, das darf doch nicht wegfallen! Das hat es jetzt über fünf Jahre gegeben.“

Wie geht es für Sie weiter?

Die Bedingung für „Fast Forward“ war, daß ich da machen kann, was ich will. Offensichtlich können sich die Chefs von Viva und MTV damit nicht mehr arrangieren. Die lassen das lieber wegfallen, als mich da weiter Faxen machen zu lassen. Ich will nicht um jeden Preis irgendeinen Job machen. Nachdem man „Fast Forward“ gemacht hat, geht das nicht. Aber so ist das gerade bei Viva: Fast jede Redaktion ist panisch und hat Zukunftsangst. Und wenn die Leute im Büro anrufen, um mit ihren Chefs Termine zu kriegen, bekommen sie zu hören, wartet mal, ich weiß selber nicht, ob ich noch einen Job habe. Alle warten. Deshalb kann ich jetzt keine Pläne schmieden. Ich warte erst mal. Wenn mich jemand will, soll mich jemand fragen.

Die gab es also noch nicht, die Anrufe von anderen Sendern?

Nein.

Sie klingen trotzdem ganz gefaßt.

Ach, panisch war ich schon vor Monaten. Man kann diese Panik nicht aufrechterhalten. Ich habe es, ehrlich gesagt, auch noch gar nicht richtig kapiert, daß es diese Sendung bald nicht mehr gibt. Das ist schon heftig, aber ich hab’s noch nicht richtig kapiert.

Die Dschungelkönigin

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Die Moderatorin Sonja Zietlow hat gezeigt, wie lustig sie sein kann. Sie will das aber nicht immer zeigen müssen.

Frau Zietlow, wir müssen über diese dicke weiße Made sprechen, die sich von Willi Herren erst noch mehrmals stupsen und quetschen lassen mußte, bevor er ihr dann endlich den Kopf abgebissen hat.

Ja, der Dirk Bach stand auch sehr betrübt daneben. Ich habe hinterher zu ihm gesagt: Ich finde das zwar auch nicht toll, aber letztlich kennen wir Willi, der Willi war immer nur so. Ich habe hinterher zu Dirk gesagt: Du mußt dir doch im klaren darüber sein, wenn wir diese Sendung machen, gehört auch dazu, einer Made den Kopf abzubeißen. Sie tat mir dann letztendlich auch leid, als dann die zweite Made allein auf dem Teller war, und das abgebissene Köpfchen von der ersten lag noch da, und die Made robbte sich zu diesem Köpfchen – aber dann denke ich mir, meine Güte, es ist ’ne Made, Herrgottnochmal!

Dirk Bach hatte sich in den Vertrag schreiben lassen, daß die Tiere nicht gequält werden.

Ach, wir haben schon immer aufgepaßt. In der ersten Staffel sollte der Sarg, in den sich Daniel Küblböck dann legte, eigentlich mit Ratten gefüllt sein. Und dann würde der mit Wasser gefüllt, so daß die Ratten sich auf den Menschen als Insel retten. Aber dann haben wir diese ganzen Ratten gesehen, und die taten mir wirklich leid: Die haben einen so angeguckt und mit ihren Füßchen an den Glaskasten gekratzt, und dann haben wir gesagt: Nein, das geht nicht. Das war dann meine Idee zu sagen: Laßt uns doch statt dessen ganz viele Kakerlaken nehmen!

Daniel Küblböck kann sich bei Ihnen also persönlich bedanken für die Kakerlaken.

Die Ratten können sich bei mir bedanken!

Diese Neuigkeit ist natürlich prima für Ihr Image als RTL-Domina.

Ich glaube, bei Ratten kann man sich theoretisch noch mehr Infektionen holen. Die können ganz schön heftig beißen. Man könnte also auch sagen: Ich hab‘ ihn gerettet vor den Ratten.

Kriegen Sie jetzt gezielte Angebote?

Als Domina?

Ja, in der Werbung und so was.

Ach, die ganze zweite Staffel war ich eigentlich schon nicht mehr die „Domina“, bis hinterher „Bild“ das noch mal geschrieben hat. Aber die anderen haben es, glaube ich, begriffen, von daher hab‘ ich in der Medienlandschaft nicht dieses Image. Das ist schon mal ganz gut.

Die „Bild“-Zeitung fragt: „Was hat diese Frau so hart gemacht?“

Ja, Dirk Bach ist das lustige Gummibärchen, und ich bin die Harte. Da denke ich auch manchmal: Wo haben die das her? Sicherlich, ich habe nicht soviel Furcht vor Dingen. Wenn der Tiertrainer mit einer Schlange ankommt und sie mir gibt, dann denke ich: Das wird schon nichts sein. Und wenn sie mich jetzt doch beißt, was soll denn dann passieren? Ich bin sicherlich auf manchen Gebieten tougher. Ich weiß ziemlich genau, was ich will. Ich vergleiche das immer mit einem Fußballtrainer. Wenn der seine Jungs anschreit, ist das ein Fußballtrainer, und jetzt stellen Sie sich mal vor, wenn das eine Frau machen würde! Bei den Dschungelprüfungen mit Willi zum Beispiel habe ich mir gedacht: Ich weiß, wenn er das jetzt macht, dann ist er hinterher stolz auf sich. Wenn ich ihn anschreie: „Mach es!“ Eine Domina erniedrigt Menschen, so was würde ich nie tun.

Wann wird Sonja Zietlow weich?

Gestern habe ich die Wiederholung von „The Swan“ geguckt, und als sich dann die Kandidatinnen nach den Schönheitsoperationen das erste Mal im Spiegel gesehen haben, dachte ich: Gib dir nicht die Blöße und wein!

Aber das ist doch eine schreckliche Sendung.

Also, ich bin da völlig der Otto Normalzuschauer, ich mag das sehen. Die meisten sind hinterher glücklich oder auch nicht. Aber ich denke mir, die wissen schon, was sie machen. Die machen das freiwillig. Ich verstehe nicht, wenn die Kritiker sagen: Muß man nicht die Leute vor sich selbst schützen? Die Leute leben ja auch sonst und wählen unseren Bundeskanzler und arbeiten und so weiter. Warum soll ich denn einen erwachsenen Menschen vor sich selbst schützen, das wäre ja anmaßend! Und wer schützt mich vor den Menschen, die meinen Bundeskanzler wählen? Das wäre doch das gleiche, zu sagen: Du gehst jetzt mal lieber nicht wählen, denn du weißt nicht, was du da tust.

Das Besondere an der Dschungelshow war, daß man den beiden Moderatoren anmerkte, wieviel Spaß sie dabei hatten.

Ja, wir hatten Riesenspaß, zumal die Pointen von Autoren geschrieben wurden, die einen sehr feinen Sinn für Humor haben. Manchmal waren die Witze so gut, daß ich die Pointen erst in der Sendung verstanden habe, obwohl ich sie vorher schon zweimal in den Proben gelesen hatte.

Das würde allerdings die gute Laune in der Sendung erklären.

Genau, nach dem Motto: Ha ha ha, was hab‘ ich gerade gesagt!

Sie konnten auch ganz neue Seiten von sich zeigen.

Ja, jetzt heißt es, bei mir wären neue Talente entdeckt worden, ich könnte Leute und Stimmen nachmachen. Dabei konnte ich das schon immer.

Haben Sie aber nie gezeigt.

Doch, in der Talkshow habe ich häufiger gesächselt oder so. Da kann sich nur keiner mehr dran erinnern, weil ich zwischendurch einfach nur eine seriöse Quizshowmoderatorin war, weil es das Konzept so verlangt hat. Als ich „Deutschlands klügste Kinder“ gemacht habe, hieß es zwischendurch: Ich peitsche die Kinder da durch. Da denke ich auch: Puh. Ich muß denen halt Fragen stellen, was soll ich denn machen? Soll ich sie dabei in den Arm nehmen?

Na, Sie müßten ja so eine merkwürdige Show gar nicht machen.

Aber es war toll!

Jedenfalls zwingt Sie keiner, solche Rollen zu übernehmen.

Natürlich nicht. Aber mir machen unterschiedliche Sachen Spaß. Ich möchte jetzt auch nicht immer nur das Dschungelcamp moderieren. Ich bin halt jemand, der ein Breitbandinteresse hat. Und jetzt gibt’s Angebote, etwas zu machen, was ein bißchen ins Komödiantischere geht. Aber das ist noch nicht spruchreif.

In der ersten Staffel waren Sie noch nicht so mit Parodien und Dialekten aufgefallen. Sie sind jetzt mehr aus sich herausgegangen?

Ja, ich bin niemand, der sich – das hört sich jetzt komisch an – unbedingt so in den Vordergrund spielen will.

Hört sich wirklich komisch an.

Das mit den Parodien war eigentlich auch nicht vorgesehen für mich. Ich kann ja nicht sagen: Ich kann das aber toll, und nachher ist das gar nicht toll. Man weiß das ja selber nicht, ob man Leute nachmachen kann oder nicht. Das fing eigentlich mit dem Dustin Semmelrogge an, der Kandidat in der ersten Staffel war. Die Autoren hatten in der zweiten Staffel als Regieanweisung einmal geschrieben: „Dirk gibt uns den Semmelrogge.“ Und Dirk sagte: Ich kann das überhaupt nicht. Und dann habe ich das mal vorgemacht, wie Dustin immer war, so: „Hey“ und „Voll cool“. Dann hieß es: Ja, dann mach du das doch. Und dann hab‘ ick det irgendwann auch mal mit der Désirée so gemacht, das ergab sich einfach so, als ich erzählt habe, was passiert ist, und alle haben sich kaputtgelacht.

Und vorher wußte keiner, daß Sie dieses Talent haben?

Ich habe mit der Kindersendung „Bim Bam Bino“ angefangen. Da habe ich schon ein paar Stories geschrieben, und wenn man die mal rauskramen würde, würde man sehen: Da habe ich schon verschiedene Dialekte gesprochen, mich verkleidet, habe eine Türkin gespielt mit Kopftuch und „Muß isch putzen, war isch türkische Putzfrau“ . . .

Aber irgendwie hat es keinen interessiert.

Nein.

Aber jetzt, und jetzt machen Sie was draus.

Weiß ich nicht. Weiß ich wirklich nicht!

Aber wäre Ihnen das egal?

Ob man was draus macht oder nicht? Ja. Ich glaube, daß ich lustig sein kann. Ich glaube nicht, daß ich immer lustig bin auf Abruf. Und ich hätte Angst davor, immer lustig sein zu müssen.

Also werden Sie jetzt wieder langweilige Standard-Shows wegmoderieren? Mein Arbeitstitel für diesen Artikel lautete: „Warum ist sie sonst nicht so toll?“

Eine Anke Engelke war sehr lange relativ unkomisch im Fernsehbusineß, bevor sie in der „Wochenshow“ entdeckt wurde. Da wächst man ja auch erst mal rein. Und jetzt ist sie „die Komikerin“. Stellen Sie sich mal vor, die Leute würden sagen: Die Sonja ist immer so lustig, und dann moderiere ich demnächst eine Sendung, die einfach kein komödiantisches Talent fordert, und dann sagen alle: Och, jetzt war sie aber nicht lustig. Ich fände das schon bedrückend, immer komisch sein zu müssen.

Was für Shows würden Sie gerne moderieren?

Ich habe einen Exklusiv-Vertrag mit RTL. Ich bin schon immer RTL-Gucker und -Fan gewesen. Ich kann mir unheimlich viele unterschiedliche Sachen vorstellen. Nächstes Jahr kommt eine Sendung, da kann ich noch mal ein anderes Talent zeigen, wo alle nur gestaunt haben, was ich mich alles traue, was ich aushalte und mitmache. Das war auch toll.

Ihre Texte in der Dschungelshow schrieb Ihr Mann Jens Oliver Haas. Muß man mit der Moderatorin verheiratet sein, um so gute Texte zu schreiben? Muß man mit dem Autor verheiratet sein, um so flockig moderieren zu können?

Nee, muß man nicht. Mein Mann war schon, bevor er mich geheiratet hat, ein wunderbarer Autor. Ich habe ihn bei „Der Schwächste fliegt“ kennengelernt. Er war aber selber nie auf die Idee gekommen, mir lustige Texte zu schreiben. Weil er sagt, Comedy ist sehr schwierig, da gehört viel Timing dazu. Eigentlich war für die Dschungelshow auch geplant, daß Dirk Bach der Lustige ist und ich die Seriöse, die das Heft in der Hand hält. Ich moderiere, und er hat die Pointen. So war das in der ersten Staffel ja auch eher. Diesmal habe ich gesagt: Ich fänd’s ganz schön, wenn auch mal ein Lacher bei mir wäre . . . Und so haben wir uns das getraut und haben gesehen, hey, das geht ja auch.

Und jetzt schreibt Ihnen Ihr Mann eine Sitcom.

Neee. Aber so was wie improvisierte Comedy wollte ich schon immer mal machen. Ich würde gern wissen, ob ich so was auch könnte. Ich glaube, ich habe eine relativ gute Einschätzung von mir, was ich kann und was nicht. Wobei mein Mann sagte: Oh, das ist aber ganz schwer, nach dem Motto: Übernimm dich da mal nicht. Und vielleicht hat er recht.

Ein bißchen auf den Geschmack gekommen sind Sie also.

Ich habe schon vor zwei Jahren gesagt, RTL soll mich mal für Comedy-Sendungen casten, aber es kam halt noch keine. Was soll man machen.

Aber jetzt.

Weiß man nicht.

Doch, wenn die Leute diesen Artikel gelesen haben.

Hm. Mit der Überschrift „Warum ist sie sonst nicht toll“!?

Ist es nicht schwer, nach der Dschungelshow wieder eine ganz normale Show zu moderieren? Der Unterschied muß doch riesengroß sein.

Der ist auch riesengroß. Es gibt eigentlich keine Produktion, wo wir soviel ausprobieren konnten. Ab und zu haben wir uns auch über die Merchandising-Produkte lustig gemacht. Die CD zur Sendung haben wir beim ersten Mal ins Tischaquarium geworfen. Dann kam natürlich sofort von irgendwo ein Anruf: Das könnt ihr doch nicht machen! Und wir so: Na gut, machen wir nicht.

Das nächste Mal haben Sie die CD als Bumerang benutzt.

Und beim dritten Mal haben wir sie sogar in den Kuchen gesteckt. Zum Glück hatten wir einen entspannten Redakteur von RTL, der auch mal ein Auge zugedrückt hat. Es half sehr, daß die Sendung live war. Daß es keine Zeit gab, alles mit allen bis ins letzte Detail abzustimmen. Die Beschwerden kamen dann hinterher.

Als Sie die Leute aufriefen, Carsten Spengemann in die Dschungelprüfungen zu wählen.

Genau. Den haben wir da ja eigentlich reingetextet – auch um für mehr Abwechslung bei den Prüfungen zu sorgen. Das fanden nicht alle Verantwortlichen toll. „Das darf man nicht machen“, hieß es. Da haben wir gesagt: Okay . . .

Und statt dessen eine freundliche Empfehlung für Willi abgegeben.

Stimmt.

Das war fast ein Experiment: Stimmen die Zuschauer wirklich für jemanden, wenn zwei lustige Moderatoren ihnen das ans Herz legen?

Ja, in diesem Fall hat es sogar geklappt — das hat mir fast Angst gemacht. Aber die Zuschauer wissen eben auch, was gut ist.

Mißbrauch

Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Bild“ rückt Oliver Pocher in die Nähe von Kinderschändern.

Am 8. Oktober war der Fernsehkomiker Oliver Pocher zu Gast in der Talkshow von Johannes B. Kerner. Man plauderte über dies und das, und nach gut zehn Minuten erkundigte sich Kerner, ob es auch ein Thema gebe, bei dem der Witzbold ernst wäre. Ja, sagte Pocher, beim Thema Kindesmißbrauch sei er „extrem sensibilisiert“. Der Sechsundzwanzigjährige berichtete dann von einem Fall, der sich in seiner Jugend in seinem Heimatort zugetragen habe. Was konkret passierte, ließ er offen, er habe es auch erst „viel später mitbekommen“. Man habe versucht, dem Mädchen zu helfen. Aber der Fall sei kompliziert, weil die Betroffene offensichtlich nicht bereit war, eine Aussage zu machen. „Man kann nicht einfach nur hingehen und sagen: Der macht das. Es ist schwieriger, das vor Gericht auch durchzubringen“, sagte er. Wütend mache ihn, daß der Verdächtige immer noch frei herumlaufe. Pocher sagte, auch aufgrund dieser Erfahrung engagiere er sich für ein Kinderhaus in Nepal, das ein Freund gegründet habe.

Gestern griff die „Bild“-Zeitung den Fall bundesweit auf. Sie zeigte auf ihrer ersten Seite ein Foto von Pocher mit der Schlagzeile: „Oliver Pocher – TV-Star schützt Kinder-Schänder“. Sie sprach von einem „Skandal“: „Der Komiker gab zu, von einem Kindesmißbrauch zu wissen. Den Täter zeigte er aber nicht an!“ Sein Zitat, daß man nicht einfach jemanden beschuldigen und damit vor Gericht Erfolg haben könne, wird von „Bild“ mit den Worten kommentiert: „Was denkt sich der TV-Star bloß bei solchen Aussagen – in Zeiten, wo fast täglich Kinder in Deutschland geschändet werden?“ Pocher müsse jetzt „zum Polizeiverhör“.

„Bild“ erwähnte nicht, daß es um keinen aktuellen Fall geht: Nach Angaben Pochers hat er als Vierzehnjähriger davon erfahren; der Mißbrauch liege noch weiter zurück. Der Artikel erweckt den Eindruck, Pocher decke einen Kinderschänder und verharmlose das Thema, obwohl Pochers Auftritt keinen Zweifel daran ließ, daß seine Absicht das Gegenteil war.

Pochers Managerin Nina Brkan sagte, man werde mit allen juristischen Mitteln gegen die „böswillige Verleumdung“ vorgehen. Weder Pocher noch sie seien vor der Veröffentlichung von der Zeitung angesprochen worden. Dafür habe sich gestern eine „Bild“-Redakteurin telefonisch bei ihr gemeldet und unverholen damit gedroht, weitere belastende Infos zu veröffentlichen, die sie recherchiert habe, wenn Pocher nicht bereit sei, mit „Bild“ zu reden. Tatsächlich sei Pocher von der Polizei als Zeuge vorgeladen worden, sagte Brkan. Auch das Opfer des Mißbrauchsfalls, über den Pocher berichtete, habe sich nun dazu durchgerungen, gegenüber einem Notar Angaben zu machen, um der Darstellung der Zeitung zu widersprechen. Warum „Bild“ in dieser Form gegen Pocher vorgeht, wisse sie nicht, sagte Brkan. Es gebe „keine Vorgeschichte“ – außer daß der Komiker grundsätzlich keine Boulevardgeschichten mache.

„Bild“-Sprecher Tobias Fröhlich sagte, die Zeitung habe die Fakten korrekt wiedergegeben. Daß Pocher nichts gegen den vermeintlichen Täter unternommen habe, sei ein Skandal, daß er dann noch bei Kerner darüber rede, ein weiterer. „Das ist doch nicht okay, da müssen wir doch drüber schreiben!“

Ich bin ein Nichts — bringt mich groß raus!

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Und wieder gehen Prominente in den Dschungel und lassen sich vorführen, verspotten und filmen. Aber warum?

Natürlich würde man sich wünschen, daß Nadja Abd el Farrag Freunde hätte. Daß es da jemanden gäbe, der sie in einer ruhigen Minute, vielleicht zwischen der Eröffnung von zwei Schlecker-Filialen, beiseite nähme und ihr sagte: Du, Naddel. Du hattest jetzt die Sache mit Dieter Bohlen. Du hattest die Affäre mit Ralph Siegel,der sich öffentlich Kinder von dir wünschte, bevor du mit ihm per SMS Schluß gemacht hast.

Du hast eine kostenpflichtige Naddel-SMS-Hotline gestartet. Du hast „peep!“ moderiert. Du hast im Fernsehen deine Brust wiegen lassen. Komm, Naddel, jetzt machen wir ’nen Sekt auf, gucken uns noch mal die Witze an, die über dich gerissen wurden, und überlegen, ob es wirklich so eine gute Idee ist, all dem jetzt noch folgende Bilder hinzuzufügen: Naddel schweißnaß unter einem Berg Brennholz. Naddel im Schlamm. Naddel mit Kakerlaken. Naddel mit Carsten Spengemann. Naddel?

Es gibt, andererseits, eine Denkschule, die sagt: Wer nichts zu verlieren hat, hat nichts zu verlieren. Irgendwie muß sie ja Geld verdienen, und in die RTL-Show „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ zu gehen, ist immer noch besser, als eine Bank zu überfallen — na ja, wenigstens ist es legal. Für zwei Wochen gibt es 20.000 bis 60.000 Euro, eine Business-Class-Reise für zwei Personen nach Australien, Unterkunft (vor und nach dem Camp) im besten Hotel. Die Frage, ob der „Trash“-Faktor ihrem Image schaden könnte, stellt sich nicht. Im Gegenteil: Es könnte der krönende Abschluß einer Karriere sein, die auf dem Nichts aufgebaut ist. Die Vollendung. Man könnte auch sagen: Der Todesstoß.

Warum machen Menschen da mit? Lassen sich auf fiese Krabbeltiere und demütigende Psychospiele ein, treten unausgeschlafen, ungeschminkt, ungewaschen vor die Kameras, während ein paar Hundert Meter weiter zwei Moderatoren im trockenen Witze auf ihre Kosten machen? Die zehn mehr oder weniger prominenten Menschen, die an diesem Dienstag nach Australien fliegen, um an der RTL-Dschungelshow teilzunehmen, können nicht sagen, sie wüßten nicht, worauf sie sich einlassen.

Beim ersten Schwung war das anders. Hochspringer Carlo Thränhardt zum Beispiel, der sagt, er mache gerne Dinge, „von denen man vorher nicht genau weiß, worauf man sich einläßt“. Er hatte sich eher eine Art Survival-Training vorgestellt. Er bekam dann ein Video vom britischen Original, sah diverse Kakerlakenspiele und sagte: „Das ist aber nicht so schön.“ — „Keine Sorge, es wird sportlich orientierter, weil das in Deutschland nicht so gerne gesehen wird“, lautete die Antwort.

„Ich war enttäuscht, daß es nichts mit Leistung zu tun hatte“, sagt Thränhardt. „Es war einfach langweilig und ging nur um Überwindung von Ekel.“ Er habe Brennholz geschleppt ohne Ende — was aber natürlich im Fernsehen nie gezeigt wurde. Nein, er bereue nicht, da mitgemacht zu haben haben. Obwohl er, der als Referent über „Eigenmotivation zur Spitzenleistung“ gebucht werden kann, anfangs weniger Anfragen für Seminare bekam, was schade sei, weil er doch trotz allem dort auch viele interessante Erfahrungen gemacht hat.

Für die Kabarettistin Lisa Fitz hatte die Show die sichtbarsten Folgen: Der Saarländische Rundfunk (SR) entzog ihr eine kleine Sendung, was unbedeutend wäre, wenn damit nicht die symbolische Aberkennung des Prädikats „seriöse Kabarettistin“ verbunden gewesen wäre: „Das Entreißen der Krone vom SR hat mir mehr geschadet als der Dschungel selbst“, erzählt Fitz. Die gesamten Öffentlich-Rechtlichen hätten sich verbündet und bei allen Talkshows blockiert — und statt dessen fröhlich Küblböck, Böhm, Cordalis eingeladen. Persönlich und privat würde sie wieder in den Dschungel gehen, in den sie einfach die „Abenteuerlust“ getrieben habe, „aber beruflich darf ich es leider nicht mehr. Kabarett- und andere Fans reagieren sehr mimosenhaft.“

Die Teilnahme hat ihr die Titelrolle in einer RTL-Serie eingebracht, vor allem aber Erfahrungen: „Ich habe die Niedertracht von Menschen erleben dürfen, die Häme von eitlen Kollegen und die maßlose Selbstgerechtigkeit und Schadenfreude von ‚Daheimgebliebenen‘, den sinnlos aufgequirlten Medienhype um das geballte Nichts — und die Liebe von vielen Millionen Menschen, die mich, greislig, wie wir da drin ausgesehen haben, auf den zweiten Platz wählten. Das ist doch nett. Und ich weiß jetzt, daß ich im Wald überleben kann. Das wollte ich wissen.“ Eine Forsa-Umfrage habe ihr einen großen Zuwachs an Bekanntheit und Beliebtheit vor allem bei 14- bis 29jährigen bestätigt. Ihr entspanntes Fazit: „Die Guten werden durch den Dschungel nicht schlecht, und die Schlechten werden qualitativ nicht besser. Man verliert als Kabarettistin in zwölf Tagen Dschungel weder Substanz noch Verstand.“

Bei Caroline Beil waren es die Veranstalter von Events, die sich zunächst mit Anfragen zurückhielten, ob die Moderatorin nicht diese oder jene Gala moderieren möge, nachdem sie vor Millionen Zuschauern in fiese Schlammbäder gestiegen war, sich von Emus hatte zerpicken lassen und über ihre Mitstreiterin Susan Stahnke gelästert hatte. Inzwischen aber, sagt ihre Managerin Nicole Mattig-Fabian, hätten sich die Vorbehalte „komplett gelegt“.

Beil ist vermutlich diejenige Teilnehmerin, die die genaueste Vorstellung davon hatte, was die Show ihr bringen könnte. Mattig-Fabian bestreitet zwar, daß die ganze Inszenierung als Lästerkönigin (Lisa Fitz spricht von „strategischem Mobbing“) verabredet gewesen sei. Aber Beil wußte zweifellos, was zu tun war, um aus der Gruppe herauszuragen. Und sie wußte, daß sie hinterher nicht mehr, wie über vier Jahre zuvor, jeden Abend ein Boulevardmagazin moderieren wollte — immer präsent und unsichtbar.

„Wenn sie nicht in den Dschungel gegangen wäre“, sagt Mattig-Fabian, „wäre sie in den Augen der Öffentlichkeit eine sympathische, schöne Moderationspuppe geblieben. Durch ihren Auftritt in der Show polarisiert sie — sie ist eine schillernde Persönlichkeit geworden. Sie hat jetzt einen populären Namen, und es ist nun an ihr, den mit Inhalten zu füllen.“

Mattig-Fabian hat keine Zweifel, daß sich für „Hacke-Beil“ („Bild“-Zeitung) die Teilnahme gelohnt hat: „Es ist optimal gelaufen. Hochangesehene Journalisten, die sie vorher nicht mit dem Hintern angeguckt haben, haben dann lange Interviews mit Caroline Beil geführt.“ Sie moderiert seitdem Kabel-1-Reihen, sitzt im Panel von „Kenn ich — die witzige Serienshow“, hatte einen Auftritt beim „Red Nose Day“, war Beraterin bei „Hire or Fire“ und spielte in „Beauty Queen“. Viele weitere Projekte seien in Arbeit; zehn Moderationsangebote habe Beil im Lauf des Jahres abgelehnt, weil ihr die Sendungen zu trashig waren.

Na, da haben sich die blauen Flecken doch gelohnt. Oder? Gaby Allendorf, die Künstler wie Stefan Raab und Wigald Boning vertritt, ist anderer Meinung. „Caroline Beil hat sich mit der Teilnahme an der Show keinen Gefallen getan“, sagt die PR-Expertin. Den Job bei „Hire or Fire“, das grandios gefloppt ist, habe Beil erst bekommen, nachdem die Barbara Eligmanns dieser Welt alle abgesagt hätten. Allendorf glaubt nicht, daß öffentliche Aufmerksamkeit der Art, wie sie die Dschungelshow schafft, auf Dauer zu gutbezahlten Jobs führt.

„Man kommt mit so einer Sache vielleicht ein Jahr über die Runden“, sagt sie. Für Schlagerstars wie Costa Cordalis zahle sich das aus: „Wenn man in dieser Branche einen Hit hat, kann man bei Auftritten die drei- oder vierfachen Gagen nehmen. Und Fernsehpräsenz ist wie ein Hit in den Charts.“ Allendorf würde trotzdem keinem ihrer Kunden empfehlen, an der RTL-Show teilzunehmen; es sei aber auch keiner ihrer Künstler von der Produktion angefragt worden: „Ich kenne niemanden, der ein Image zu verlieren hätte, der gefragt worden ist. Das ist wie ein Ausverkauf: Ich mache mich als Künstler billig und hänge mir noch ein Schild um: ‚Sonderangebot‘.“

Die Geschichte hat eine fast tragische psychologische Komponente. „Es gibt Leute, die werden nervös, wenn sie eine Woche lang nicht in den Medien auftauchen“, sagt Allendorf. Tatsächlich sind regelmäßige Partyberichte oder Privatgeschichten für viele Sternchen die einzige Chance, im Gespräch und im Geschäft zu bleiben — nur: die Hoffnung, durch diese Art von Präsenz morgen, spätestens nächstes Jahr ein richtig tolles Angebot zu bekommen, trügt halt meist.

Ein erfolgreicher PR-Mann erzählt von einer regelrechten Sucht nach dem Blitzlichtgewitter der Fotografen, das die eigene Bedeutung bestätigt — ganz egal, ob die entstandenen Fotos je eine Redaktion oder gar einen Leser erreichen. Für manche Promis scheint „Leben“ nur das zu sein, was von einem Publikum wahrgenommen wird. Wer beim Leben rund um die Uhr von Dutzenden Kameras beobachtet wird, glauben sie, muß doch prominent sein. Das Gegenteil ist eher der Fall.

Sandra Maischberger

Ich sehe was, was ihr nicht seht. Sandra Maischberger glaubt fest daran, daß ihre bislang eher erfolglose ARD-Talkshow noch in vielen Jahren läuft

Am einfachsten beschreibt man „Menschen bei Maischberger“ als eine endlose Serie von Niederlagen. Es sollte eine Talkshow werden, in der nicht die ewiggleichen Fernsehnasen sitzen, sondern immer mindestens ein Nicht-Prominenter mit einer spannenden Lebensgeschichte. Sandra Maischberger versprach vor einem Jahr einen „gewaltigen Anteil von nicht bekannten Gesichtern“ – am Ende verirrte sich höchstens einmal im Monat so jemand in die Sendung (die Mutter von Uwe Ochsenknecht mal nicht mitgerechnet).

Es sollte eine Talkshow werden, die all dem Abgesprochenen, dem Erwartbaren und Glatten anderer Sendungen die Möglichkeit des Unerwarteten entgegensetzt – heute muß Sandra Maischberger einräumen, daß alles, was dann tatsächlich ungeplant passierte, Kleinigkeiten waren, wie das eine Mal, als Fredi Bobic so sehr schwitzte und sie ihm den Schweiß von der Stirn tupfte.

Es sollte eine Talkshow mitten aus dem Leben werden, nicht aus einem sterilen Studio in einem Vorort von Köln oder Hamburg, weil „man in der künstlichen Atmosphäre Gespräche nicht lebendig machen kann“, wie Maischberger sagte, sondern aus dem Tränenpalast in Berlin-Mitte, einem Ort mit Geschichte, wo sich vor der Tür die Punks mit ihren Hunden treffen – doch was warm und lebendig wirken sollte, kam kalt und angestrengt herüber. Das Publikum saß unbeteiligt in der Gegend herum, und nachdem man es ganz aus dem Gebäude verdammt hatte, wurde die Atmosphäre zwar besser, der Ort aber machte gar keinen Sinn mehr – die neue Staffel wird aus einem WDR-Studio in Köln kommen.

Es sollte eine Talkshow werden, in der jeder Gast einzeln befragt wird, damit der Politiker nicht noch blöd herumsitzt, wenn der Volksmusiker kommt – dann merkte man, daß das Kommen und Gehen nicht funktioniert, und nun bildete sich auch hier im Lauf der Sendung eine aberwitzige Runde aus Menschen, die sich nichts zu sagen haben.

Ach, und überhaupt: Es sollte eine andere Talkshow werden, eine kluge, journalistische, unterhaltsame – und irgendwann saßen da die Sabine Wussows und Nino de Angelos und Sascha Hehns und Verona Feldbuschs dieser Welt und eben Uwe Ochsenknecht mit seiner Mutter, und man wußte nicht, warum die nun auch noch bei Frau Maischberger saßen, und Frau Maischberger wußte es allem Anschein nach auch nicht immer. Man mußte das nicht sehen, und die meisten Leute taten es auch nicht.

Andererseits: Es gibt sie noch, die Sendung. Die Quoten-Mindestvorgabe hieß zehn Prozent, und was hatte sie im Schnitt? „Zehn plus x“, sagt Maischberger und lacht. Übernächste Woche kommt „Menschen bei Maischberger“ aus der Sommerpause, vieles wird anders werden und alles gut. Sagt Sandra Maischberger.

Sie verbreitet bei diesem Gespräch vergangene Woche einen merkwürdigen Optimismus, der alles durchdringt und auf einem ebenso entspannten wie ausgeprägten Selbstbewußtsein zu beruhen scheint. Sie formuliert Sätze wie: „Ich glaube nicht, daß irgendein anderes Programm auf dem Sendeplatz mehr Zuschauer geholt hätte.“ Oder: „Es gibt jenseits des Erfolges wenig Loyalität im Fernsehen, dazu ist es eine zu teure Angelegenheit. Ich finde aber, daß ich gut zur ARD passe, und habe das Gefühl, daß die ARD das auch so sieht.“

Die Zuversicht sickert aus Nebensätzen, in denen sie fast beiläufig wie selbstverständlich davon ausgeht, daß ihre Sendung „ja ein Dauerbrenner wird“. Nicht, weil sie jetzt endlich den Stein der Weisen gefunden hat, sondern aus dem Glauben an eine schlichte Fernseh-Logik: Jede Sendung, die lange genug Zeit hat, sich zu finden, werde sich irgendwann finden und dann durchsetzen. Und dann habe der Zuschauer ein Grundvertrauen und schalte auch bei gewagte Sachen nicht gleich ab. Bei unbekannten Gästen zum Beispiel. „Nicht-Promis sind zunächst ein ,Quotenrisiko'“, sagt Maischberger. „Der Zuschauer bleibt beim Zappen dort hängen, wo er ein Gesicht erkennt. Noch ist die Sendung kein Klassiker wie meine Sendung bei n-tv. Irgendwann wird sie das sein, dann können Sie alles machen.“

Nun ja, bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und gelegentlich speist sich Maischbergers Optimismus auch nur aus einem tröstlichen Fatalismus: „Jetzt haben wir alle Fehler, die man so machen kann, gemacht.“ Daß „Menschen bei Maischberger“ sich noch nicht gefunden hat, steht auch für die Moderatorin außer Frage: „Im ersten Jahr haben wir natürlich sehr nach einer Linie gesucht.“ Vierzig Ausgaben gab es in dieser Zeit von „Menschen bei Maischberger“, nach vierzig Ausgaben ihrer täglichen Sendung auf n-tv waren gerade mal drei Monate rum, was im Vergleich die Evolution bei einer wöchentlichen Sendung natürlich sehr zäh wirken läßt. Viele Unstimmigkeiten hätten den Findungsprozeß außerdem verlangsamt und verhindert, daß die Sendung ein für den Zuschauer erkennbares Profil bekommen konnte, räumt Maischberger ein.

Zu den Unstimmigkeiten gehörten wohl nicht zuletzt Differenzen in der Redaktion. Michael Spreng, der frühere „Bild am Sonntag“-Chef und Stoiber-Trainer, verließ das Team bereits nach wenigen Monaten. Jetzt kommt schon der dritte Chef, aber der Neue ist ein Alter: Theo Lange, der bislang Redaktionsleiter von Maischbergers n-tv-Sendung war und den ARD-Sendeplatz am Dienstagabend von zwei Seiten kennt: Als Redakteur von „Friedman“ und von „Boulevard Bio“ – keine schlechte Voraussetzung eigentlich für den Spagat, den Maischberger immer noch machen will.

„Ich hatte schon bessere Jahre“, resümiert Sandra Maischberger und korrigiert sich: „Nein, das ist Jammern auf hohem Niveau. Ich dachte vielleicht, es würde leichter und vor allem schneller gehen, eine neue Marke zu setzen und zu etablieren. Das war manchmal ein bißchen mühsam, aber es gab auch Sendungen, die mir richtig gut gefallen haben.“

Natürlich habe das, womit Biolek über Jahre den Sendeplatz geprägt hat, bei den Zuschauern am besten funktioniert: der „gepflegte Boulevard“. „Aber auch Sendungen wie die mit Helmut Schmidt oder Gesine Schwan waren erfolgreich, vielleicht, weil diese Gespräche eben mit mir am besten funktionieren. Mein Ehrgeiz besteht schon darin, eine Sendung zu machen, die sowohl gut ist, als auch eine gute Quote hat. Anders geht es ohnehin nicht.“

Wo ihr Platz ist neben und zwischen Beckmann und Kerner mit ihren Sendungen und was ihre eigene Haltung sein kann, ist immer noch nicht ganz klar. Klar ist, daß es wenig Sinn hat, sich jemandem wie Verona Pooth, geborene Feldbusch, in der typischen Maischberger-Haltung gegenüberzusetzen: aufmerksam, lauernd, weit über den Tisch gebeugt. Für das neue Studio in Köln werden in der kommenden Woche deshalb zwei Sitzanordnungen ausprobiert: Neben dem jetzigen Riesen-Küchentisch-Ensemble eine Variante mit drei Sofas im Karree, eine Art helle Variante des legendären „Club 2“ im ORF. Zum Zurücklehnen. „Um 23 Uhr abends ist man allein schon der Tageszeit geschuldet viel mehr laid back. Penetrantes Insistieren ist da zu anstrengend.“

Überhaupt Verona Feldbusch: Maischberger betont, daß sie sich mit ihr nicht über das Brautkleid unterhalten habe, was vielleicht die Kollegen getan hätten, sondern darüber, wie das ist, wenn man einen etablierten Markennamen wie „Feldbusch“ aufgibt. Aber reicht das als Profil gegenüber Kollegen, deren Talks verläßlich zwischen locker-leichtem Boulevard und intensivem Seelenstriptease changieren? „Das Profil wird im Zweifelsfall meine Nase sein und meine Art, Menschen zu fragen“, sagt Maischberger. Sie beharrt darauf, daß sie für das ARD-Publikum ein unbeschriebenes Blatt gewesen sei. „Es ist in dieser Manege ja mein erster Auftritt. Man geht da hinein, zieht den Hut und sagt: Das bin ich, und stellt sich neu vor. Und das unter einem unglaublich starken Konkurrenzdruck, gegen den derzeitigen Marktführer.“ Sie meint Johannes B. Kerner. „Der sendet jeden Tag, fängt eine Viertelstunde früher an und ist ja einfach nett.“

Es ist leicht zu erklären, warum der neue Bundespräsident Kerner für seine Fernsehvorstellung gewählt hat. Aber das ändert nichts daran, daß es ein Problem für Maischberger ist, wenn er nicht zu ihr kommt. „Alle wollen die besten Gäste zuerst haben. Mal wird der gewinnen, mal der.“ Und wenn immer nur mal Beckmann gewinnt und mal Kerner? „Das ändert sich, keine Sorge. Wir sind die letzten, die in den Ring gestiegen sind, den Vorsprung der anderen mußten wir erst aufholen.“

Es wird also erst einmal noch weitergeschraubt an der Sendung. „Fernsehen ist nicht Konzept. Es ist learning by doing“, hat Maischberger gelernt. In Köln sind die Produktionskosten viel niedriger, das nimmt ein wenig den Druck. Jetzt wollen sie es vielleicht mit Sendungen probieren, in denen unterschiedliche Gäste – ähnlich wie bei „Bio“ – zu einem Thema ins Gespräch kommen, und sei das Thema noch so vage. Für die erste Sendung sind Hitler-Darsteller Bruno Ganz und Guido Westerwelle eingeladen.

An einer Stelle im Gespräch hat Sandra Maischberger den Satz gesagt: „Nicht jedes Experiment endet glücklich.“ Aber das ist nicht der Eindruck, der bleibt von dem Treffen mit ihr. Was bleibt, ist eine andere Stelle: „Ich habe keine Angst. Ich habe ein Bauchgefühl, und das sagt: venceremos.“ Venceremos heißt: Wir werden siegen.

Manchmal ist das Selbstbewußtsein von Sandra Maischberger ein bißchen beunruhigend.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Gisela Marx

Laien pflastern ihren Weg. Filme mit Anspruch und Trash für die Massen: Die erstaunliche Erfolgsgeschichte der Produzentin Gisela Marx.

Am Mittwoch stand eine Ärztin vor Gericht, weil sie einem Patienten Medikamente verschrieben hatte, deren Kombination lebensgefährlich ist. Im Gericht fiel dem Opfer auf, daß es die Ärztin von einer früheren Affäre kannte. Sie gestand, daß sie von ihm schwanger wurde und seit der Abtreibung unfruchtbar sei. Dann ergab sich, daß die Apothekerin die Kombination bewußt aushändigte, obwohl ihr die Gefahr klar war, weil sie in dem Patienten den Anwalt erkannte, der ihren Bruder in den Knast gebracht hatte (oder so, die Sache war kompliziert). Als die Beweisaufnahme abgeschlossen war, rief der Mann der angeklagten Ärztin, der eigentlich nicht aussagen wollte, „Halt, halt!“ und gab zu, daß er das Rezept gefälscht hatte. Aus Rache, weil er wußte, daß der Patient für die Unfruchtbarkeit seiner Frau verantwortlich war. An dieser Stelle fragte der Staatsanwalt: „Bin ich im Irrenhaus gelandet?“

Nein, hätte die Antwort gelautet, bei Richterin Barbara Salesch, aber, zugegeben, die Grenzen sind fließend. Es war eine typische Verhandlung dieser Serie: Im Getriebe des Plots knirscht es an jeder Stelle, und es wird nicht besser dadurch, daß keiner der Darsteller überhaupt weiß, wo die Kupplung ist, wenn sie laut Drehbuch einen neuen Gang einlegen sollen.

Es ist eine ganz und gar erstaunliche Erfolgsgeschichte. Die Rekordquoten von Barbara Salesch. Die Welle an Nachahmern. Die plötzliche Allgegenwart von Laiendarstellern im Nachmittagsprogramm. Das Interesse im Ausland an diesem in Deutschland erfundenen Genre. Aber das vielleicht erstaunlichste ist die Frau, die hinter diesem Erfolg steht und nun auf dem Weg zur größten unabhängigen Fernsehproduzentin Deutschlands ist: Gisela Marx.

Sie ist die ersten Jahrzehnte ihres Berufslebens als Prototyp der öffentlich-rechtlichen Medienfrau durchgegangen: WDR-Journalistin, tough, kritisch, im Zweifelsfall links. Sie hat den nordrhein-westfälischen Landesorden „für ihr politisches und gesellschaftliches Engagement“ und ihr „hohes Maß an Courage“ bekommen. Wenn sie Gäste in der legendären SFB-Talkshow „Leute“ befragte, lehnte sie sich zurück, schaute ihr Gegenüber etwas abschätzig von unten an und lockte ihn mit heiserer Stimme entspannt aus der Reserve. 1974 gründete sie die Firma Filmpool und produzierte unter anderem den „WWF-Club“ und Wolfgang Menges Serie „Motzki“.

Dann kamen die Laiendarsteller.

1997 stellte Filmpool für Sat.1 „Jetzt reicht’s“ mit Vera Int-Veen her. Ein Magazin, in dem sich Bürger, die sich von Nachbarn, Unternehmen oder Behörden „verarscht“ fühlten, mit ihren Kontrahenten zofften. In den Proben ersetzten Doubles die Kontrahenten – mit verblüffendem Effekt: „Wir fanden häufig, daß die Laiendarsteller besser waren als die eigentlichen Protagonisten“, erzählt Gisela Marx. „Die Generalproben liefen göttlich, und hinterher hakte es, weil die echten Protagonisten nicht so wollten, wie wir wollten.“

Und so wurden die Laiendarsteller, die sie ohne Ironie „wunderbare, gloriose Laiendarsteller“ nennt, zu ihrem Allzweckmittel gegen sinkende Quoten und taumelnde Konzepte. Richterin Salesch hatte anfangs über echte Menschen geurteilt, aber das konnten nach deutschem Recht nur Fälle eines Schiedsgerichts sein, entsprechend eintönig wurde die Angelegenheit. Bei der Psychologin Angelika Kallwass funktionierte der gleiche Trick, als sich herausstellte, daß die Idee, zwei Menschen bei ihren Beziehungskrisen zu beraten, nicht funktionierte, weil die Gäste und ihre Probleme geeignet waren, den Zuschauer depressiv zu machen. Mit Laiendarstellern dagegen ließen sich Themen variieren und Reaktionen dosieren, und nun wurde „Zwei bei Kallwass“ ein ähnlicher Erfolg wie Salesch und andere Filmpool-Serien: „Die Jugendrichterin“, „Das Strafgericht“ und die pseudo-dokumentarische Krimivariante „Niedrig & Kuhnt“.

Inzwischen hat Filmpool eine Datei mit 50 000 „Schauspielwilligen“. 9000 verbrauchen die Produktionen jährlich, die besten werden immer wieder eingesetzt. Das Geheimnis der guten Laiendarsteller sei es, sagt Marx, ihr eigenes Temperament, ihren Dialekt, ihre Klischees in die Geschichten zu bringen, die nur grob skizziert sind, ohne genaue Dialoge. So wie diese Leute sprechen, das könne kein Autor schreiben. Unschlagbar billig macht der Verzicht auf Profis die Sache natürlich auch.

Man kann diese Programme als „Trash“ bezeichnen oder als „Schmierentheater“. Man kann nüchtern konstatieren, daß Professionalität im klassischen Sinne und Plausibilität in jedem Sinne offenbar keine Kriterien sind, nach denen die vielen Zuschauer diese Sendungen beurteilen. Man kann sogar positiv feststellen, daß es ganz schön ist, daß die Abgründe der menschlichen Seele nun nachmittags im Privatfernsehen nicht mehr so oft am echten, lebenden Objekt gezeigt werden, das danach mit der Selbstentblößung in der Talkshow weiterleben muß. In jedem Fall ist alles weit davon entfernt, wie Gisela Marx diese Shows beschreibt: „Ich bekomme großartige Geschichten erzählt, voller Dramatik und voller Überraschungen. Das ist auf einem sehr kleinen, massenunterhaltsamen Niveau ein Fernsehspiel. Tja: Schöner kann man es nicht machen am Nachmittag.“

Sie sagt das nicht wie jemand, der resigniert, daß die Etats am Nachmittag so klein sind, daß man Fernsehen, auf das man stolz sein könnte, nicht machen kann. Sie sagt das wie jemand, der voll und ganz hinter dem steht, was er da macht. Sie mißt eine Sendung zwar an der Quote, an der Quote und an der Quote, aber wenn man sie fragt, warum sie Fernsehen macht und warum gerade diese Gerichtsshows, hat sie gute Antworten. Inhaltliche. Zum Beispiel die, daß Filmpool regelmäßig Schulklassen einlädt, Gericht nachspielen und Salesch mit ihnen über Recht und Gesetz diskutieren läßt. Oder auch diese: „Ich gucke mir äußerst gutgelaunt an, daß ich es geschafft habe, Frauen über fünfzig auf den Bildschirm am Nachmittag zu bringen. Und alle diese anderen Jugendwahnleute abzulösen. Ich sehe mich als subversive Kämpferin für die Gleichberechtigung von älteren Frauen.“

Das klingt nun wieder nach der WDR-Journalistin Marx, und ob diese Mission sie wirklich antreibt oder ob sie sich so nur ihre merkwürdigen Sendungen schönredet, weiß keiner außer ihr. Aber Filmpool produziert ja noch andere Sendungen. Nicht nur solche wie „Kämpf um deine Frau“, in der wir ab September täglich Männern in einem Camp dabei zusehen können, wie sie lernen, bessere Menschen und Partner zu werden. Sondern auch Fernsehspiele wie „Ich habe NEIN gesagt“ und „Angst“ über Gewalt in der Ehe, Filme, „die etwas wollen“, wie Marx sagt, demnächst auch die Verfilmung des Bestsellers von Wibke Bruhns‘ „Meines Vaters Land“.

Ist ihr das wichtig, neben dem nachmittäglichen Laienschauspiel auch solche Hochglanzproduktionen zu machen? „Erstens bin ich 62, zweitens war ich 30, 35 Jahre lang eine außerordentlich erfolgreiche Journalistin. Da muß ich mich nicht mehr daran messen, was andere Leute sagen.“ Okay, und wie wichtig ist es für die Firma Filmpool? „Die Prioritäten einer Produktionsfirma werden natürlich von der Chefin gesetzt, insofern ist schon wichtig, was für mich wichtig ist. So. Für mich ist wichtig, auch andere Sachen zu machen.“

So. Gisela Marx ist Filmpool. Sie hat ihre Wohnung ein paar Stockwerke über der Firmenzentrale, vielleicht ist aber auch nur die Firmenzentrale unten bei ihr im Haus. 400 Leute arbeiten für sie und erwirtschaften 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr, aber wenn Gisela Marx erzählt, kommt keiner von ihnen namentlich vor. Sie sagt „ich“, kaum einmal „wir“. „Ich sage häufig Nein. Ich mache nicht alles, was ich machen könnte.“

Manche Leute sagen, daß sie sich verändert habe im Laufe der vergangenen Jahre. Aus dem angenehmen Fehlen jeder falschen Bescheidenheit sei eine anstrengende Selbstherrlichkeit geworden. Andererseits imponiert sie, wenn sie auftritt. So wie ihre Firma und deren Bilanz imponieren. Sendermitarbeiter schwärmen davon, wie außerordentlich professionell, verläßlich und schnell die Zusammenarbeit mit Filmpool sei. Aber es ist auch von Mitarbeitern der Firma zu hören, die über ein schlechtes Arbeitsklima, extreme Quotenangst und großen Druck klagen.

Vor ein paar Jahren hatte sie noch Pläne, sich quasi zur Ruhe zu setzen. Das ist Vergangenheit. Der Ehrgeiz von Gisela Marx ist noch lange nicht gestillt: „Wir wollen Marktführer auf dem Segment unabhängiger Produzenten werden“, sagt sie. Man soll, man wird an ihr nicht mehr vorbeigehen können. Vielleicht ist das gut, denn sie spricht davon, daß Programme eine Seele brauchen. Daß Filmpool-Sendungen „immer hochklassig“ seien und daß sie nie etwas Sexistisches machen würde und die Produktion der RTL-Steinzeit-Kuppelshow „The Bachelor“ genau darum abgelehnt habe. „Ich liebe Menschen“, sagt sie, „ich möchte, daß die Programme, die wir machen, etwas von dieser Zugewandtheit dem Menschen gegenüber widerspiegeln.“

Gestern um 17 Uhr bei „Niedrig & Kuhnt“: „Todeskampf in der Sauna! Eingesperrt auf engstem Raum sterben sechs blutjunge (halbnackte) Schülerinnen einen qualvollen Hitzetod. Die Kommissare ermitteln und stoßen auf heiße Geheimnisse und erhitzte Gemüter.“

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Schafe Kurven

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Das ganze Glück der Erde auf dem Rücken einer Enduro: Neuseeland mit dem Motorrad.

Der zweitgrößte Feind des Motorradfahrers in Neuseeland ist der Kea. Im Motorradverleih haben sie gleich neben der Kasse einen Steckbrief mit seinem Bild und seinen bevorzugten Aufenthaltsorten aufgehängt und warnen dringend davor, das Fahrzeug in diesen Gegenden unbeaufsichtigt zu lassen. Der Kea ist ein großer, braungrüner Bergpapagei und entweder ein hochbegabtes Tier mit zuviel Tagesfreizeit und krimineller Energie oder einfach ein Fetischist, jedenfalls liebt er nichts so sehr wie Gummi und scheut keine Mühen, es sich zu besorgen.

Wie eine Bande Dorf-Hooligans lungern die Vögel in kleinen Gruppen auf den Parkplätzen bei den Sehenswürdigkeiten in den Südlichen Alpen herum und warten auf eine Gelegenheit, ein parkendes Auto sauber von seinen Scheibenwischer-Blättern zu befreien. An Motorrädern sollen sie ganze Sitzbänke zerschreddert haben. Ein Einheimischer erzählte uns, daß er einmal beobachtet hat, wie vier Keas vor einem Auto herumgetänzelt sind und den Fahrer mit Kunststücken unterhielten, während der fünfte sich von hinten anschlich und unbeobachtet am Wagen zu schaffen machte.

Danach gingen wir einzeln den Franz-Josef-Gletscher besichtigen, einer bewachte immer die Maschinen vor den Keas.

Und damit zum größten Feind des Motorradfahrers in Neuseeland. Wir fuhren also mit 110 Stundenkilometern auf einer dieser schönen zweispurigen neuseeländischen Straßen, als uns ein Auto überholte. Mit geschätzt 111 Stundenkilometern. Zentimeter für Zentimeter schob es sich an unseren Motorrädern vorbei. Der Fahrer hatte es wohl nicht so eilig. Auch dann nicht, als ihm ein Wagen entgegenkam. Er trat nicht aufs Gas, er bremste nicht, er riß das Steuer nicht herum, er zog einfach ganz sachte und entspannt auf die linke Spur zurück. Dort fuhr ja nur ein Motorrad.

Natürlich sind nicht alle neuseeländischen Autofahrer so. Manche rasen auch wie bekloppt und versuchen einen beim Überholen vor unübersichtlichen Kurven unauffällig von der Straße zu schubsen.

Vielleicht fahren deshalb die Einheimischen nicht Motorrad. Vielleicht fehlt den neuseeländischen Autofahrern einfach die Erfahrung mit motorisierten Zweirädern auf ihren Straßen. Vielleicht wissen sie auch nur, daß auf dem Motorrad vor oder neben ihnen ohnehin nur irgend so ein Tourist sitzt, und geben sich deshalb besonders wenig Mühe. (Uns wurde ja auch dringend eingeschärft, bloß nicht die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zu überschreiten, was uns zu einem echten Hindernis im Verkehrsstrom machte. Das einzige Auto, das lange mit der gleichen Geschwindigkeit hinter uns herfuhr, überholte dann mit 110 in der Baustelle, wo Tempo 30 galt.)

Ja, Horror. Und doch vollständig egal, weil Neuseeland bekanntermaßen zu weiten Teilen nicht von Neuseeländern bewohnt ist, sondern von Schafen, die nicht nur vom Autofahren Abstand nehmen, sondern auch vor Motorrädern einen Heidenrespekt haben. Wenn man als Motorradfahrer in eine Gruppe Schafe auf der Straße gerät, entsteht eine lustige Verwirrung, weil die erste Reihe stehenbleibt und so tut, als wollte sie gar nicht weiterlaufen, sondern das Gras am Wegesrand mal genauer in Augenschein nehmen, während die hinteren, die nicht wissen, was los ist, weiterschieben, bis schließlich alle hektisch im größtmöglichen Abstand vorbeigaloppieren.

Auf der Südinsel Neuseelands, die doppelt so groß ist wie Bayern, leben weniger als eine Million Menschen, aber mehrere Millionen Schafe, die sich dekorativ über die Hügel verteilen, bis sie aus der Ferne aussehen wie Sesamkörner auf Brötchen. Außer ihnen schauen einem beim Motorradfahren vor allem noch Rehe zu, die in erstaunlich kleinen Gattern an erstaunlich befahrenen Straßen untergebracht sind und sich von so einem direkt vor ihrer Haustür vorbeifahrenden Motorrad überhaupt nicht aus der Ruhe bringen lassen. Nervös werden die Tiere erst, wenn man anhält.

Die Frau von der Fluggesellschaft hatte vorher gesagt, wir sollten nicht allzu lange über den entsetzlich langen Flug klagen, diese mindestens 24 Stunden, je nach Anreiseweg. Erstens sei das nicht originell und zweitens: Läge Neuseeland gleich um die Ecke, sagen wir, im Mittelmeer, wäre es ja nicht Neuseeland. Da ist was dran, und doch ist das Argument beunruhigend: Heißt das, das Land ist möglicherweise nur ganz nett und alle finden es allein deshalb so großartig, weil sie vor sich und der Welt die gewaltige Anreise rechtfertigen müssen?

Wir brauchten nicht lange, die Antwort herauszufinden. Am Tag, nachdem wir in Christchurch angekommen sind, der größten Stadt der Südinsel, haben wir unsere Motorräder vom Verleih abgeholt und erst einmal einen kleinen Ausflug gemacht auf die Banks-Halbinsel, die vor den Toren der Stadt liegt. Sie ist durch einen Vulkanausbruch entstanden, eine Ansammlung zahlloser knubbeliger Hügel, von allen Seiten durch Dutzende Buchten angefressen, mal nur mit einem verfallenen Holzschuppen am Ufer, mal mit zwei, drei Booten im Wasser, mal mit einem traumhaften kleinen Hafen, von wo aus die Touristen zum Schwimmen mit den örtlichen Delphinen gebracht werden. Die Landschaft ist wild und einsam und blaß, als hätte jemand die Farbe aus dem Bild herausgedreht, was sie irreal aussehen läßt. Ein Netz von Straßen schlängelt sich in wilden Kurven und Serpentinen durch die Berge, und was wir lernen nach diesem ersten Tag ist: Ja, Neuseeland ist ganz etwas Besonderes, und: Wir brauchen bessere Karten. Es wäre schön gewesen, wenn wir vorher gewußt hätten, daß die Küstenstraße, die uns immer am Hang entlang an so einsamen Buchten wie Pigeon Bay vorbeiführte, über viele Kilometer nur eine steile, unbefestigte Schotterpiste ist.

Andererseits hatten wir ja extra Reise-Enduros ausgesucht, um auch solche Strecken zu überleben. Inzwischen sind allerdings fast alle Durchgangsstraßen in bestem Zustand, selbst die berüchtigte Crown Range Road über den 1100 Meter hohen Paß zwischen Queenstown und Wanaka, den man lange nicht mit Mietwagen befahren durfte, weil man sonst den Versicherungsschutz verlor, ist inzwischen geteert. Nur auf der „Southern Scenic Route“ gibt es noch ein längeres Stück Schotter, und auch das ist gerade in Arbeit. Es ist verblüffend, wieviel Geld und Mühe die Neuseeländer investiert haben, ein Netz von kleinen, feinen Straßen anzulegen, wo es vor allem auf der vor touristischen Highlights nur so strotzenden Südinsel offensichtlich kaum jemanden gibt, der darauf fährt.

Außer uns natürlich.

Man ist fast allein mit immer neuen Varianten atemberaubender Landschaft und hat viel Gelegenheit zu grübeln, welches nun wohl die schönste Motorradstrecke der Welt ist: Das Stück hinter Geraldine, wenn aus der Ebene sanfte grünbraune Hügel werden und dahinter die schneebedeckten Gipfel der Alpen glänzen? Die Anfahrt auf den Lake Tekapo, dessen Gletscherwasser ihn so gleißend türkis macht, als hätte ihn jemand mit einem Glitzer-Textmarker für Mädchen nachgemalt? Die schroffe Steinküste im Nordwesten hinter Greymouth, ein bizarres Panorama von immer blasser werdenden Grautönen? Oder die sanften Obstbaumtäler ganz im Norden der Südinsel, bevor man den Abel Tasman Nationalpark erreicht mit seinen dichten grünen Wäldern, die goldene Strände und klares Wasser einrahmen, als wäre es eine Südseeinselwerbung?

Selbst die größeren Orte, in denen sich die Touristenbusse vor den Hotelburgen und den Fast-Food-Ketten stauen, wie Queenstown, das sich ganz dem organisierten Abenteuerurlaub verschrieben hat, sind halbwegs erträglich, weil sie es nicht schaffen, die Magie der sie umgebenden Landschaft zu zerstören. Natürlich kann man diese Wunderwelt auch mit kleinen Blechkästen erfahren. Oder mit großen Blechkästen, in denen man gleich übernachtet. Aber das Motorrad ist das natürliche Fahrzeug, die Natur zu erleben, die Kurven und den Wind, der immer wieder versucht, einen mit unerwarteter Kraft von der Maschine zu pusten, und daran erinnert, daß dies ein wildes Land ist. Natürlich hätte es seinen Reiz gehabt, den berühmten Fjord Milford Sound in der Sonne zu erleben. Andererseits war das Unwetter, das über ihn und uns herniederging, irgendwie angemessen, der Niederschlag, der Tausende Wasserfälle entstehen ließ, und der Sturm, der sie sofort wieder nach oben blies, bis Wolken, Meer, Nebel, Wasserfälle nicht mehr zu unterscheiden waren.

Es regnete auch hinterher, als wir wieder auf den Motorrädern saßen, noch Stunden weiter, bis das Wasser sämtliche Kleidungsschichten durchdrungen und sich schließlich in den Stiefeln gesammelt hatte. Aber dann kam die Sonne und beschien eine neue majestätische Landschaft, und die netten Menschen in einem der Bed-&-Breakfast-Häuser hängten unsere Sachen auf und teilten frisch gebackene Bananenmuffins mit uns und alles war gut. Eigentlich, versicherte man uns, regnet es auch gar nicht so viel im Februar und März in Neuseeland, der vergangene Sommer war der schlechteste seit Menschengedenken. Auf der Nordinsel hatten Jahrhundertstürme schlimme Verwüstungen angerichtet. Als wir in einem kleinen Zoo in der Nähe von Mount Bruce, nördlich von Wellington, einen Kiwi sehen wollten, das Maskottchen des Landes, dessen Population mühsam in verschiedenen Programmen erhöht wird, empfing uns die Kassiererin mit einer schlechten Nachricht. Einer der beiden Kiwis sei bei den schlimmen Regenfällen in der vorigen Woche leider ertrunken.

Also regnet es sonst wirklich nicht so viel in Neuseeland. Andererseits: Ein Vogel, der nicht nur nicht fliegen, sondern auch nicht schwimmen kann? Womöglich trifft so ein Tier das Aussterben nicht ganz unverdient.

Angst essen Quote auf

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Orientierungslos dilettiert das Privatfernsehen vor sich hin – auf der Suche
nach den Zuschauern und sich selbst.

Als ob noch irgendwer die alte Leier hören wollte vom Fernsehen, das immer schlechter wird. Braucht kein Mensch.

Dies ist nicht so ein Text. Auf den nächsten knapp 300 Zeilen kommt Adorno nicht vor, wird Harald Schmidt nicht nachgeweint, werden weder die Dschungelshow noch „Big Brother 5“ als endgültiger Untergang des Abendlandes gegeißelt. Es ist nur so, daß einem gerade so wahnsinnig wenig gute Gründe zum Einschalten einfallen. Es muß ja keine mehrteilige Literaturverfilmung mit komplexer Verwebung verschiedener Zeitebenen sein, nicht einmal eine kontroverse Spielserie zu Fragen unserer Zeit. Gut gemachtes Alltagsfernsehen würde schon reichen, „gepflegte Unterhaltung“, wie man das früher nannte. Man muß nicht mit dem kulturpessimistischen Blick des Intellektuellen auf das Fernsehen hersehen, um festzustellen: Im Moment ist es besonders trostlos, und die Fehler, die gemacht werden, sind besonders unfaßbar.

Wie war das wohl bei der Sitzung, auf der RTL entschied, wer in der Jury von „Star Duell“ über die karaokesingenden Soapdarsteller urteilen soll? Nachdem die Namen „Caroline Beil“, „Daniel Küblböck“, „Nina Hagen“ und „Mike Krüger“ auf der Tafel standen, fragte vielleicht ein Teilnehmer: „Fehlt da nicht ein bißchen Kontrast?“, ein anderer fügte wortlos „Roberto Blanco“ hinzu, und die Runde nickte erleichtert. „Wir setzen die auf ein Ufo, das die ganze Zeit durch die Halle schwebt“, erläuterte ein Insider. Ah ja. Komisch, daß die Leute das nicht sehen wollten.

Ein denkwürdiges Ereignis war sicher auch die Konferenz, auf der es der Produktionsfirma Constantin Entertainment gelang, Sat.1 ein erfolgversprechendes Konzept für sechs Super-Samstagabendshows zu verkaufen: Zwölf Semiprominente buchstabieren Wörter um die Wette. B-U-C-H-S-T-. . .? Genau. Nein, sonst nichts. Gekauft. (Kandidaten, die früh ausscheiden, bleiben trotzdem auf der Bühne und also dreißig Minuten gelangweilt im Bild, und im Gegensatz zu der anderen Sendung, wo das so ist, nicht mal zwischen Robbie Williams und einem Saalkandidaten.)

Dutzendfach ließen sich Beispiele aufzählen, von unerklärlichen Sendeplatzentscheidungen, der Inflationierung ohnehin schwächelnder Formate, fahrlässigem Vergraulen treuer Serienfans bis hin zu Details wie dem, daß bei Kabel 1 offenbar jemand angeordnet hat, den Titel des laufenden Programms immer in einer Ecke einzublenden, damit der Zapper weiß, was läuft. Was mag sich der Zapper denken, wenn dort „Shooter“ steht? – Alles falsch. „Shooter“ ist kurz für „Troubleshooter“, eine 08/15-Dokureihe über Sozialarbeiter und andere Helfer und Kontrolleure. Darauf muß man erst einmal kommen.

Was dem Fernsehen im Moment fehlt, hat weniger mit Kultur und Anspruch zu tun als mit Kreativität und Handwerk. Lassen wir ARD und ZDF einmal außer acht, die nur den kommerziellen Trends hinterherhecheln; für das gegenwärtige Versagen der Privaten gibt es handfeste Gründe, und der wichtigste davon ist die Angst.

In München kursiert eine sehr knappe Erklärung dafür, warum Pro-Sieben-Geschäftsführer Nicolas Paalzow gefeuert wurde: Er habe einmal zu oft Einwände gegen von oben angeordnete Programmentscheidungen geäußert. Viele, denen ihr Job lieb ist, ziehen daraus die Lehre, Vorgaben am besten umzusetzen, ohne sie zu hinterfragen. So werden aus den „Vorschlägen“, die Haim Saban, der Besitzer von Pro-Sieben-Sat.1, aus Los Angeles macht, in München Anordnungen. Die Rede ist von der „Amerikanisierung“ der Fernsehfamilie. Dumm bloß, daß amerikanische Rezepte auf dem deutschen Markt ungefähr noch nie funktioniert haben.

Man muß schon sehr weit weg sein vom deutschen Fernsehalltag, um auf die Idee zu kommen, daß die Zukunft des braven Wiederholungs- und Plätscher-Senders Kabel 1 darin liegen könnte, so zu werden wie das junge Krawall- und Trash-Programm RTL 2, nur weil das viel mehr Gewinn abwirft. Aber auf solche Ideen kommt das neue Management von ProSieben-Sat.1, weshalb Kabel 1 so lustige Experimente machen durfte wie das „Judas-Game“ und „Opas letzter Wille“. Einmal dürfen Sie raten, wie erfolgreich das war.

Man könnte solche Entscheidungen mit Unerfahrenheit erklären. Oder damit, daß jemand nur den kurzfristigen Erfolg sucht. Oder damit, daß man nur aufs Geldverdienen achtet und nicht aufs Programm-Machen. All diese Punkte träfen ganz gut das Dilemma des Privatfernsehens. Pro Sieben hat seit Anfang Mai einen 31 Jahre alten Geschäftsführer namens Dejan Jocic, den die Pressestelle ein „außergewöhnliches Managementtalent“ nennt mit „mehr als zehn Jahren Erfahrung im Programm- und Produktionsbereich“. Böse Menschen sagen, damit sei sein Praktikum beim Deutschen Sportfernsehen gemeint. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehörte es, alle Entscheidungen seines Vorgängers vorläufig auf Eis zu legen. Das macht man so als neuer Chef.

In einer zutiefst verunsicherten Branche, in der man weder von den Chefs noch von den Zuschauern mehr weiß, was sie wollen, flüchten sich die Sender ins Nicht-Entscheiden. Da kommt also eine Produktionsfirma und bietet ein neues Format an. Kaufen? Womöglich wird es ein Flop! Nicht kaufen? Herrje, womöglich läuft es dann bei der Konkurrenz und wird ein Hit! Also: erst mal reservieren, aber nicht zusagen, verzögern, hinhalten, wird schon. Hätte die Produktionsfirma nicht noch ein paar Ideen, wie man das umsetzen könnte? Wo man das ausstrahlen sollte? Das muß aber doch billiger zu produzieren sein! Können wir nicht die Zuschauer teuer anrufen lassen, um jemanden rauszuwählen? Ach, das geht nicht, weil es gar keine Live-Sendung ist? Hm. Soso.

Tempo kommt ins Spiel, wenn dann doch eine Entscheidung gefallen ist, womöglich bei einem Konkurrenten. Fast ein Jahr lang hatten die RTL-Leute einigermaßen überzeugend erklärt, der Erfolg von „Star Search“ im vergangenen Sommer beruhe nur auf einer Ausnahmesituation und werde sich nicht wiederholen, doch als Sat.1 dann mit der zweiten Staffel begann, schoß RTL dagegen, als müsse man die Entstehung eines zweiten „Wetten daß . . .?“ verhindern: Drei Folgen der Erfolgsserie „Alarm für Cobra 11“ liefen gegen die Premiere und auf dem Schwestersender Vox noch „Titanic“. Ein absurder Overkill, nur um ganz sicherzugehen, daß „Star Search“ auch garantiert nicht vom Start wegkommt.

In den USA lief erfolgreich die Show „Simple Life“, in der sich zwei Großstadtgören auf dem Land durchschlagen müssen, RTL kündigt für den Herbst eine deutsche Variante an, aber Pro Sieben schickt schon im Juli sieben „Prominente“ auf „Die Alm“. Man kann ja die RTL-Dschungelshow als Trash bezeichnen, aber sie war langfristig geplant, geschickt gecastet, liebevoll, aufwendig, teuer produziert. Nichts spricht dafür, daß der Schnellschuß von Pro Sieben ähnlichen Kriterien genügen wird, in der Kürze der Zeit überhaupt genügen kann. Er ist – wie viele andere – nur die Antwort auf die Frage des Vorgesetzten: „Und was machen wir in dieser Richtung?“

Dahinter steckt eine tiefe Sinn- und Identitätskrise. Die sogenannten Spartensender sind längst ein Witz, weil sich mit ihrer jeweiligen Spezialität kein Geld mehr verdienen läßt. Auf den Musiksendern laufen kaum noch Musiksendungen, auf den Nachrichtensendern immer seltener Nachrichten, im Sportfernsehen DSF nur noch zufällig mal Sport. Es ist noch nicht lange her, da lehnte Pro Sieben „Big Brother“ ab, weil die billige Optik der Überwachungskameras nicht zum „Premium“-Anspruch des Spielfilm- und Seriensenders paßte. Heute kann es gar nicht grobkörnig genug sein, jeder muß auf jeden Trend aufspringen, und am Ende wundern sich alle, daß der Zuschauer keine Lieblingssendungen und -sender mehr hat, denen er treu ist. Wer kann sie auch noch unterscheiden, die Laienschauspiele, die Schnipsel mit C-Klasse-Stars, die ein paar Sätze zu den Achtzigern / den Neunzigern / „Sex and the City“ sagen, die Sendungen, in denen Oliver Geissen mit drei Kollegen auf einem halbrunden Sofa sitzt?

Bislang wußte man wenigstens bei RTL immer noch, wer man ist (Marktführer), was für Sendungen man macht (die erfolgreichen). Plötzlich bröckeln die Quoten, sämtliche Erfolgsformate haben ihren Höhepunkt überschritten, in wenigen Wochen floppten drei Shows atemberaubend („Star Duell“, „Fear Factor“, „Goxx“). Bei Sat.1 haben die Leute Erfahrung mit Niederlagen, RTL aber ist zutiefst verunsichert. Und quasi führungslos, denn Chef Gerhard Zeiler ist überwiegend in Luxemburg, um die Geschäfte der europäischen RTL-Group zu leiten, was vielleicht in Zeiten, wo alles lief, unproblematisch war. Seinem Stellvertreter Frank Berners sagt man ein gutes Gespür fürs Programm nach, nicht aber Entscheidungsfreude. Gelinde gesagt.

Der einzige Privatsender, der in der vergangenen Saison nennenswert Zuschauer gewinnen konnte, ist RTL 2. Dessen Geschäftsführer Josef Andorfer ist auch der einzige mit einer klaren Vision von dem Programm, das er machen will. Man muß die nicht mögen. Aber man darf sich über den Erfolg nicht wundern.

Es kommt so einiges zusammen. Die Geschwindigkeit, mit der die Sender Talkshows aus dem Programm warfen und durch geschriebene Gerichts- und Pseudo-Doku-Formate ersetzten, bedeutete schlicht, daß aus erfahrenen Talkshow-Redakteuren unerfahrene Drehbuchautoren wurden, Laien, wie die Darsteller. Und am anderen Ende der Hierarchie, auf den verantwortlichen Positionen, sitzen immer mehr Menschen, die das Fernsehen nicht gucken, geschweige denn lieben.

In den neunziger Jahren hieß es, daß das Privatfernsehen die Branche professionalisiert habe. Heute sorgt es für eine rasante Amateurisierung. Sat.1-Geschäftsführer Roger Schawinski bekannte diese Woche in einem Interview: „Ich sage zu mir drei Mal am Tag, daß ich den geilsten, spannendsten Job der Welt machen darf.“

Das ist doch was.