Das nenne ich Weltverbessern

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Sandra Maischberger über ihre neue Sendung und das Ding mit Schröder.

Frau Maischberger, angenommen, Sie haben Sandra Maischberger zu Gast in Ihrer Sendung. Wie bereiten Sie sich vor?

Zunächst würde ich die Frage stellen: Ist das der richtige Gast?

Sie wird demnächst Nachfolgerin von Alfred Biolek.

Für manche Sendungen wäre es dann wohl unvermeidlich, obwohl ich immer noch fragen würde: Ist das Grund genug, jemanden zu interviewen?

Sie ist kürzlich groß in den Schlagzeilen gewesen.

Klatsch macht mich für meine Sendungen noch nicht relevant. Wenn doch, wäre ich sehr schnell fertig mit der Vorbereitung. Ich werde zwar 37, aber habe noch nicht das Alter, wo man ein langes, abwechslungsreiches Leben hinter sich hat.

Genug für eine halbe Stunde Talk.

Ich habe letztens über Hildegard Hamm-Brücher gelesen, der Unterschied zwischen ihr und anderen Politikern sei, daß sie eine Biographie und nicht nur eine Karriere habe. Das fand ich extrem klug. Darum unterhalte ich mich auch lieber mit älteren Menschen als mit jüngeren, die nur berühmt sind, weil sie gerade im Fernsehen sind.

Was müßten Sie sich als Talkgast fragen? Würden Sie Ihre angebliche Affäre mit Bundeskanzler Gerhard Schröder ansprechen?

Ich wußte sofort, worauf Sie hinauswollen… Das wäre eine Sache auf der Kippe. Es könnte sein, daß wir sagen: Ihr Feld ist politischer Journalismus, deshalb wäre es interessant, wie man damit umgeht, daß man eine relativ sachorientierte Arbeit macht und plötzlich mit einem relativ unsachlichen Eimer Schmutz konfrontiert wird. Ich würde nicht fragen: „Haben Sie?“, und ich bin das damals oft gefragt worden. Ich möchte, daß jemand, der Fragen stellt, vorher abwägt und versucht, mit eigenem Verstand und Augenmaß eine Frage in einen Kontext zu betten. Dann würde sich die Frage „Haben Sie?“ verbieten, weil sie irgendwas zwischen indiskret und dumm ist: Es geht niemanden etwas an, und man ist einer Lüge aufgesessen.

Was also würden Sie fragen?

Vielleicht wie ist es, unter diesen Voraussetzungen den Job weiterzumachen.

Das wäre vermutlich trotzdem keine Einstiegsfrage.

Es wäre eine Super-Einstiegsfrage, wenn ich jemanden gleich zum Anfang des Gespräches komplett zum Verstummen bringen wollte. Es gibt allerdings Gäste, die besser sind, wenn man sie ein bißchen provoziert, Daniel Cohn-Bendit zum Beispiel. Bei so einem könnte man damit auch anfangen. Aber in meinem Fall würde ich es weit hinten im zweiten Teil tun.

Ah. Andererseits werden Sie von der Presse ja so geliebt…

Toll, ne?

…da müßten Sie sich doch knallhart interviewen, nicht kuschelig.

Wenn die gängige Meinung über mich ist, daß ich wenig falsch mache, würde ich versuchen, Fehler zu finden. Und ich würde einen Wissenstest machen, Trivial Pursuit. Um herauszufinden, daß ich wirklich nicht mehr weiß, als das, was ich frage.

Wissen Sie genug, um aus dem Stegreif etwa über die Gesundheitsreform diskutieren zu können?

Ich könnte die öffentlich diskutierten Knackpunkte referieren. Bei „Live aus dem Schlachthof“ bin ich in die Sendung gegangen: Ich weiß nichts, deswegen frage ich andere, damit ich etwas erfahre. Das war eine gute Methode. Bei „Talk im Turm“ klappte die überhaupt nicht mehr, weil alle, außer mir, schon wußten, was die anderen antworten würden. Ich habe mich ein Jahr lang angestrengt, in jedem Thema auf das Wissen meiner Gäste zu kommen, was völlig unmöglich war. Ich habe gelernt, daß ich als Journalistin mitnichten die Antworten geben können muß. Ich weiß heute genau so viel, um die richtigen Fragen zu stellen.

Zur Rolle als Fragende gehört eine gewisse Unscheinbarkeit. Sie aber werden immer mehr zum Star.

Ist das so?

Ja.

Sie glauben, daß es das natürliche Ende der Sendung sein wird, wenn ich berühmt bin?

Nein, aber mit jedem Society-Auftritt oder „Bunte“-Titel verschwinden die Interviewten mehr hinter dem Glanz der Interviewerin.

Die Gefahr, sich in sich selbst zu verlieben, ist in dem Job extrem hoch. Eine gute Strategie dagegen ist, sich nicht mit sich selbst zu beschäftigen. In dem Moment, wo Sie mir tausend Fragen über mich stellen, tue ich das aber. Das ist nicht so gut, ernsthaft! Sich selber in der Zeitung zu sehen, das Lob über sich zu lesen, das verleitet einen dazu, sich selbst nicht nur zu wichtig zu nehmen, sondern auch toll zu finden.

Sabine Christiansen ist für den Zuschauer nie nur Moderatorin, sondern auch Udo-Walz-Kundin, Wowereit-Freundin, Ex-Ehefrau…

Ich war lange Zeit sehr vorsichtig und habe kaum über mein Privatleben gesprochen. Jetzt bin ich an einen Punkt gelangt, wo ich feststelle, daß das Interesse ohnehin da ist, und wenn ich nichts erzähle, kommen erfundene Geschichten wie die mit Schröder. Da stehe ich fassungslos vor. Es gab bei der Entstehung mehrere Kolleginnen, die immer genannt wurden als potentielle Geliebte, aber es blieb an mir hängen. Viele, die sich auskennen, sagten mir, daß es daran liegt, daß man so wenig über mich weiß und so viel hineingeheimnissen kann. Also hat man mir den Rat gegeben: Mach dich etwas öffentlicher! Ich probiere jetzt, wie weit ich damit komme.

Andererseits genießen Sie ja auch die Öffentlichkeit, waren in Ihrer Dokumentation über die „Tagesschau“ dauernd selbst im Bild.

Weil es eine Mischung aus Dokumentation und Interview und auch so gewünscht war. Man kann mir den Generalvorwurf machen, ich sei eitel. Das ist völlig in Ordnung. Ich kann Ihnen auch jetzt schon sagen, was mit der neuen Sendung in der ARD passieren wird. Die Leute werden schreiben: Jetzt ist sie nicht mehr so puristisch, jetzt hat sie sich boulevardisiert. Aber ich möchte eine Sendung machen, die dicht am Leben ist. Wo man das Gefühl hat, da könnte noch was passieren, was nicht so im Drehbuch stand.

Wie entwickelt man so was?

Das Tolle an so einer Sendung ist, daß Konzeptpapiere nicht taugen. Sie müssen’s probieren. Es ist wie ein neuer Schuh: Sie kaufen ihn, schlüpfen rein, er drückt, und Sie müssen laufen. Jetzt bin ich zweimal testweise drin gelaufen, und es hat sich unglaublich selbstverständlich angefühlt.

Wie hat die ARD Sie gekriegt? Mit Geld?

Ich bin mit Geld nicht zu locken, das ist fast schon unprofessionell von mir. Ich möchte gutes Geld verdienen, aber Geld ist nicht das Wichtigste, sonst hätte ich längst eine Quizshow.

Wie viele Quiz-Angebote gab es?

Eins. Immerhin. Nein, das erste, was mich gelockt hat, war Alfred Biolek, der zu mir sagte: Ich möchte gerne aufhören, und ich hätte gerne, daß Sie das machen. Das ist eine Erbschaft, die man nicht ablehnen kann. Das zweite, was mich gereizt hat, war, daß montags Beckmann einen Unterhaltungstalk macht und mittwochs Bauer und Friedman politische Talks. Es hat mich gereizt zu sehen, ob man es schafft, am Dienstag beides zu machen, „U“ und „E“.

Ich habe gar keine Aussage von Ihnen gefunden, ob Sie „maischberger“ auf n-tv weitermachen.

Ich habe, glaube ich, immer gesagt, das ist noch nicht entschieden.

Und?

Das ist noch nicht entschieden.

Mit „maischberger“ sind Sie bei Publikum und Kritik höchst beliebt, mit früheren Sendungen aber oft gnadenlos durchgefallen. Stehen Sie gerade an einer Gabelung, wo es auf neue Höhen gehen kann, aber auch ganz runter?

Das könnte passieren. Aber wenn Sie sich diesen Zickzacklauf meiner Karriere angucken — ich habe einfach keine Angst mehr davor.

Vielleicht ist das intime Interview wie in „0137“ und „maischberger“ das einzige, was Sie gut können.

Nein. „Live aus dem Schlachthof“ war alles andere als intim, und in „0137“ war ich nicht wirklich gut.

Sie fürchten nicht, daß Sie vielleicht einmal sagen, hätten Sie nur „maischberger“ weitergemacht, Sie wären ewig erfolgreich geblieben?

Wenn ich ewig erfolgreich bleiben wollte, hätte ich schon in den letzten Jahren andere Dinge gemacht. Ich weiß gar nicht, ob das so unbedingt erstrebenswert ist. Nein, das ist nicht mein Kriterium. Ich bin unvorsichtig neugierig, muß immer wieder Sachen probieren. Warum würde man sonst „Greenpeace-TV“ machen, eine Kombination aus Umweltschutzgruppe und kommerziellem Sender? Absurd! Ich hätte natürlich auch „Talk im Turm“ nicht machen dürfen. Es würde mich sehr schmerzen, wenn die neue Sendung nicht funktionierte, und ich würde eine mittelschwere Krise bekommen. Aber es würde mich nicht umbringen.

Kann es sein, daß die vielen Leute, die Sie in der Presse hochjubeln, Sie auch deswegen toll finden, weil sie Ihre Sendung nie sehen?

Keine Ahnung. Vielleicht wird sich das mit dem Loben eh ändern, wenn die neue Sendung beginnt. Jeder Kritiker, der mich jetzt lobt, denkt vielleicht noch, er lobt einen Geheimtip, und das läßt ja auch den Lobenden gut aussehen. Das wird in dem Moment vorbei sein, wo ich in der „ersten Reihe“ sitze.

Glauben Sie, daß der Wechsel ins Erste einen ganz anderen Grad an Popularität bedeuten wird?

Natürlich. Aber ich werde damit besser umgehen können, als die, die privat mit mir sind. Und die Art von Popularität, die Olli Kahn, Boris Becker oder Günther Jauch das Leben schwermacht, das bin ich sowieso nicht.

Warum nicht?

Becker und Kahn sind Idole, Jauch ist wie Gottschalk ein Ausnahmetalent der Unterhaltung. Das bin ich einfach nicht.

Sie haben gesagt, mit Florian Illies‘ „Generation Golf“ können Sie wenig anfangen, weil Sie zu den engagierten Friedenslatschenträgerinnen gehörten, über die er sich da lustig macht. Wo ist heute Ihr Engagement?

Ich begreife meinen Job schon als Engagement. Aber das Jäger-Gefühl, diese „Spiegel“-Haltung: den jagen wir aus dem Amt, das habe ich tatsächlich nicht.

Kein Weltverbessern mehr?

Doch, das tue ich ja. Im besten Fall gebe ich jemandem eine Information, die er vorher nicht hatte. Ich sortiere ihm den Irak-Krieg, indem ich verschiedene Arten aufzeige, ihn zu sehen, so daß er sich selber eine Meinung bilden kann. Das nenne ich Weltverbessern: Bildung, Information, Wissen verbessert die Welt. Aber ich habe nicht den Ehrgeiz und meistens auch nicht die nötige Kenntnis, aktiv zu werden.

Jetzt wäre wohl der Zeitpunkt, die Schröder-Frage zu stellen…

Machen Sie bloß keinen Fehler!

Rundfunkgebühren

Gebt’s ihnen! Die Interessen der Privatsender sind nicht unsere: Warum die Rundfunkgebühr für ARD und ZDF erhöht werden muß.

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Die ARD hat etwas Schlimmes gemacht. Sie hat vergangenen Monat ihre Online-Angebote so umsortiert und zusammengefaßt, daß man sie sogar nutzen mag. Wer nach aktuellen Meldungen und Hintergrundinformationen im Internet sucht, wird unter tagesschau.de tatsächlich fündig. „Eine scharfe Attacke auf Angebots- und Meinungsvielfalt im digitalen Bereich“, nennt Spiegel Online das. „Während allerorten Premiuminhalte oder Archivrecherchen kostenpflichtig werden, gibt es bei den öffentlich-rechtlichen Adressen weiterhin alles umsonst.“ Pfui! Ein reichhaltiges Angebot zuverlässiger Informationen im Internet für jeden? Nicht nur für die Reichen, die dafür zahlen können? Was für ein Skandal! Wie kann es die ARD wagen, unsere Rundfunkgebühren einfach für etwas zu nutzen, das für uns alle so nützlich ist?

Die Empörung der Kollegen von Spiegel Online läßt sich noch erklären: Sie konkurrieren mit ihrem Nachrichtenangebot direkt mit dem Internetauftritt der „Tagesschau“. Da kann man das eigene unternehmerische Interesse schon mal mit dem der Leser verwechseln. Das wäre nicht der Erwähnung wert, entspräche es nicht exakt dem Muster, in dem jede Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und seine Finanzierung geführt wird. Die Prämisse ist immer dieselbe: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse eingedämmt werden, alles andere koste uns nur unnötig Gebühren und die Privatsender Arbeitsplätze; überhaupt sei die natürliche Form des Rundfunkveranstalters die eines privatwirtschaftlichen Unternehmens. Der Diskurs ist so fest in diesen Annahmen verankert, daß es fast tollkühn scheint, sie in Frage zu stellen. Aber ist es nicht viel abwegiger anzunehmen, daß einer Gesellschaft am besten damit gedient ist, wenn sie ihre Information, ihre Unterhaltung, fast ihr ganzes Weltbild von Firmen bekommt, deren einziger Zweck es ist, möglichst viel Geld zu verdienen?

Das Bundesverfassungsgericht ging in seinen Urteilen eher nicht davon aus, daß kommerzielle Anbieter die gleiche Qualität und Bandbreite liefern würden wie öffentlich-rechtliche Programme, und wenn doch, könnten sie es zumindest nicht auf Dauer garantieren. Die Anforderungen an das Programm der Privatsender sind nicht so hoch – das sei zu akzeptieren, entschied das Gericht 1986, solange die Öffentlich-Rechtlichen alles liefern, was eine Gesellschaft, eine Demokratie, eine Kultur an Rundfunk braucht, vom Bildungsfernsehen bis zur Unterhaltungsshow. Für dieses umfassende Angebot erfand das Gericht den Begriff der „Grundversorgung“. Damals war eindeutig, welcher Teil im „dualen Rundfunksystem“ die beste Garantie für ein gutes Programm ist und welcher der Luxus, den sich eine Gesellschaft zusätzlich leisten kann.

Heute hat sich dieses Verständnis umgekehrt: Die Bedeutung des Wortes „Grundversorgung“ ist in der öffentlichen Diskussion geschrumpft vom Anspruch der Komplettversorgung, die auch dann ausreicht, wenn die Privaten ausfallen sollten, zur Mindestversorgung. Man denkt an klassische Konzerte, Schulfernsehen, schwierige Dokumentationen, philosophische Diskussionsrunden und das Wort zum Sonntag, Sachen, die keiner wirklich sieht, aber die es natürlich schon irgendwie geben sollte, Luxus halt, den man den Privatsendern wirklich nicht zumuten kann.

Unter dieser Voraussetzung steht von vornherein fest, wie jede Diskussion um eine Gebührenerhöhung für ARD und ZDF verlaufen wird. Entsprechend wenig Mühe geben sich die beteiligten Politiker und Lobbyisten, wenigstens sprachliche und argumentative Mindeststandards zu erfüllen. Der medienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion verschickte eine Pressemitteilung, in der das Signalwort „Abzocke“ schon in der Überschrift steht (als entschieden ARD und ZDF selbst über ihre Gebühren) und in der er sich beschwert, daß die Öffentlich-Rechtlichen einen „kräftigen Schluck aus der Gebührenpulle nehmen“ wollen, was gleich mehrere Fragen aufwirft: Wo steht diese Flasche? Wem gehört sie? Wieviel ist noch drin? Und wer trinkt sie aus, wenn ARD und ZDF was drinlassen?

Voller Empörung werden die zehn Prozent Zuschlag zitiert, die ARD und ZDF bei der zuständigen Kommission KEF beantragt haben. Zehn Prozent! Nur gelegentlich steht in den Artikeln, daß die Gebührenperiode vier Jahre dauert, zehn Prozent also nicht einmal zweieinhalb Prozent jährlich entsprechen, was immer noch etwas mehr ist als ein Inflationsausgleich, aber die Massen kaum auf die Barrikaden bringen würde. Natürlich ist es skandalös, wenn ARD und ZDF das Geld dazu verwenden, absurd teuere Preise für WM- oder Bundesliga-Übertragungen zu zahlen. Natürlich ist das beste Argument gegen eine Gebührenerhöhung Johannes B. Kerner, der in einem Interview fragte: „Wissen Sie, wie viel Geld ich verdiene? Es ist unglaublich, wie viel Geld ich mit diesem Image machen kann. Besser geht’s nicht.“ (Der Mann redet von unseren Gebühren.) Natürlich ist der Soap- und Boulevard-Wahn von ARD und ZDF ein Ärgernis. Doch darum geht es nicht. Auch wenn die Forderung von Edmund Stoiber und anderen erfüllt würde, die Gebühren „einzufrieren“, sprich: netto zu senken, müßte kein Beckmann, kein Kerner um sein Auskommen bangen, leider.

Wer fordert, ARD und ZDF de facto weniger Geld zu geben, will ihren Einfluß und ihre Möglichkeiten beschneiden und sie langfristig marginalisieren. Das freut Bertelsmann, die Kirch-Nachfolger und, wenn es ums Internet geht, auch die Verlage. Ob es im Interesse der Gesellschaft und der Zuschauer ist, ist eine andere Frage.

Die Realität als Konkurrent von ARD und ZDF ist manchmal bitter und nicht immer gerecht: Als sie ihren Kinderkanal starteten und dafür beste Kabelplätze bekamen, bedeutete das das Aus für die private Konkurrenz von Nickelodeon, die ein sehenswertes und innovatives Kinderprogramm gemacht hatten. Das wurde, zu Recht, von vielen beklagt. Aber auf einen werbe- und gewaltfreien Kinderkanal würden Millionen Eltern, gerade angesichts der täglich zu betrachtenden Programmalternative namens RTL 2, nicht verzichten wollen.

Die privaten Veranstalter fordern eine Art Chancengleichheit: Weil sie unter den wegbrechenden Werbeerlösen leiden, sollen sich auch ARD und ZDF stärker einschränken. Das Gegenteil ist richtig: Gerade weil die Qualität, die die Privaten liefern, immer von Konjunkturschwankungen abhängen wird, müssen die Öffentlich-Rechtlichen davon frei sein. Damit wir auch in schlechten Zeiten gutes Fernsehen bekommen.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Mein Freund das Wort ist tot

Jörg Walberer, Noch-Chefredakteur der „Hörzu“, entblättert seine Seele.

Es ist nicht leicht, Jörg Walberer zu sein. Neulich wieder wurde er schief angesehen, nur weil er mitten in einem „ernsten Gespräch“ (Krebs? Arbeitslosigkeit? Tod?) sagte: „Das Leben ist doch schön.“ Einfach so. Grundlos. „Weil mir danach war.“ Und stimmt es nicht? „Des Frühlings wärmende Sonnenstrahlen, das morgendliche Vogelkonzert und bald der Blick auf Wiesen voller Gänseblümchen?“ Also! „Ich glaube, die meisten von uns haben, auch wenn sie weniger haben, immer noch mehr als genug.“

Seit Jörg Walberer die Fernsehzeitschrift „Hörzu“ vor einem Jahr nach seinen Wünschen umgestaltet hat, hat sie viel weniger Anzeigen. Aber es sieht nicht so aus, als ob siebzig Prozent des Vorjahres genug sind, geschweige denn mehr als das. Der Axel Springer Verlag hatte ihn als Chefredakteur von der „Gala“ geholt, um aus dem altmodischen Familiendampfer ein flottes Promiblättchen zu machen, was vielleicht ein paar der ohnehin weniger werdenden Leser verschrecken könnte, aber wenigstens bei der Werbebranche super ankommen würde.

Dachte man.

Nach Lesern und Anzeigenkunden verlassen jetzt leitende Redakteure das Blatt; womöglich ist Walberer selbst bald dran. Es wäre ein Verlust. Kein anderer Chefredakteur schreibt Editorials wie er. Früher stand vorn in der „Hörzu“ eine kommentierte Führung durchs Heft, Walberer führt die Leser durch das Labyrinth in seinem Kopf: bizarre Felsformationen, dahinter, im Nebel, die Abgründe seiner Seele. „In eigener Sache“ steht darüber.

Man ahnt, daß Walberer gefällt, wie Franz-Josef Wagner in „Bild“ schreibt. Wie er scheinbar sinnlos Satzfragmente und Wörter aneinanderreiht und trotzdem nicht als wahnsinnig gilt, sondern als genial. Walberer versucht das auch. Er schreibt: „Das Leben war immer mühsam, immer anders mühsam, so wie es immer schön war, weil es immer anders schön war.“ Walberer gefällt sein Satz, er druckt ihn fett und in Großbuchstaben. Sicher ist er überzeugt, daß das „weil“ darin kein Fehler ist, sondern Kunst.

Man muß davon ausgehen, daß er die deutsche Sprache für seinen Freund hält. Das Wort, schreibt er, „vermag wie eine Ameise das Vielfache des eigenen Gewichts zu tragen, so als sei es nichts. Wir können es anfassen, können es drehen und wenden und biegen und brechen, wie einen Wurm können wir Sätze auseinandertrennen, und jedes Ende kann weiterleben für sich. Vielleicht hat es dann sogar mehr Kraft.“ Also dreht, wendet, biegt und bricht Walberer das Wort, und niemand hindert ihn, Sätze „auseinanderzutrennen“ wie ein Sechsjähriger einen Wurm, obwohl längst kein Ende mehr lebt. „Krieg ist kein Wort“, schreibt er zum Thema Irak. „Unsere einzige wirkliche Waffe ist das Wort. Auch wenn wir nichts tun können, wir haben etwas getan. Wenn die Welt aufgehört hat zu reden, fängt es an. Egal, wie es ausgeht.“ Hier endet der Text.

Einmal erklärt er, warum es nichts bringt, Leute zu entlassen. „Menschen kosten Geld. So oder so. Vielleicht ist es ein bißchen weniger unter dem Strich, wenn sie arbeitslos sind. Aber vielleicht sparen diese Leute dafür viel mehr, als sie weniger haben. Auch schlecht für unsere Unternehmen.“ Womöglich will Walberer sagen, daß Arbeitslose auch schlecht für die Wirtschaft sind, weil sie wenig konsumieren. Aber warum einen banalen Gedanken banal formulieren, wenn man den Leser sich stundenlang in der Rechenaufgabe verlieren lassen kann, wieviel ein Arbeitsloser mehr spart, als er viel weniger hat?

„Der Unterschied zwischen Alleinsein und Einsamkeit ist etwa so wie der zwischen Besitz und Eigentum. Ich kann in einer Wohnung wohnen, auch wenn sie mir nicht gehört.“ Aber ist das nicht der Unterschied zwischen Miete und Eigentum? „Ich muß nicht einsam sein, auch wenn ich gerade allein bin.“ Ah: Also wie der Unterschied zwischen Betrunkensein und Blödsein. „Alleinsein kann man genießen, Einsamkeit muß man ertragen. Aber ertragen heißt auch sich arrangieren. Sich arrangieren heißt etwas tun.“ Sekunde: Heißt sich arrangieren nicht nichts tun? „Wir können etwas gegen die Einsamkeit tun. Wir können reden, wir können auch zu zweit oder zu dritt durch den rauschenden Wald gehen.“ Gut, dann sind wir nicht mehr allein. Aber vielleicht noch einsam? „Sich arrangieren heißt nicht unbedingt hinnehmen.“ Doch! „Mit dem Alleinsein kann man umgehen.“ Aber was ist mit der Einsamkeit? Kann man mit der umgehen? Sich arrangieren? Sie hinnehmen?

Andere Frage: Wie kann man sich mit diesem Chefredakteur arrangieren? Mit einem, der nichts weiß, nichts wissen will und nicht weiß, wie man es aufschreibt, so daß andere es verstehen?

Vor zwei Wochen schreibt Walberer uns: „Auch wenn ich mir möglicherweise ein Armutszeugnis ausstelle: Wenn ich anfange, nachzudenken, was ich wirklich genau wissen will, fällt mir nichts ein. Ich möchte nicht wissen, was ich kann und was ich nicht kann, was andere über mich denken, was sie mir zutrauen oder nicht zutrauen. Ich möchte mir diese kleine Illusion vorbehalten, ich könnte das eine oder andere eigentlich noch schaffen, wenn ich es nur wollte. Ich möchte nicht wissen, wenn es zu spät ist.“

Herr Walberer? Jetzt.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Iiiieh, eine Tunte!

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Das Fernsehen hat den Schwulenwitz wiederentdeckt und hält ihn für modern.

Gäbe es keine Schwulen, das Fernsehen müßte sie erfinden, allein für seine Comedys. Nicht nur, weil sie so faszinierend abartig sind, so schräg, lustig, lächerlich. Sie bringen auch so viel Tempo in die Handlung. Der schnellste Weg zur Pointe führt über eine Tunte. Wir sehen jemanden mit abgewinkeltem Handgelenk und wissen alles von ihm: seine Sexualität, seine Platten von Marianne Rosenberg, seine Unfähigkeit, Fußball zu spielen, sein Talent, eine Wohnung geschmackvoll einzurichten, und daß er sich nichts sehnlicher wünscht, als einen Heterosexuellen „umzudrehen“, um mit ihm ins Bett zu gehen. Das wissen schon die 16jährigen pickligen Jungs, die auf dem Schulhof zusammenstehen und sich einig sind, daß sie nichts gegen Schwule haben, „solange sie mir nicht an den Hintern gehen“, obwohl so, wie sie aussehen, kein Mädchen auf die Idee käme, sich ihnen zu nähern, aber jeder Schwule würde die Chance nutzen, wenn man nicht aufpaßt, sofort.

Und so braucht die neue Sat.1-Sitcom „Bewegte Männer“ kaum dreißig Sekunden, um den Plot einer ganzen Folge zu entwickeln: Der schwule Norbert hört durch die geschlossene Tür, wie sein heterosexueller Mitbewohner Axel dafür übt, ihm seine Liebe zu gestehen. Es ist natürlich, das weiß der Zuschauer, ein Mißverständnis. Vor allem aber weiß er, daß Norbert Axel sofort zurückliebt. Keine langwierigen Diskussionen, ob er überhaupt sein Typ ist, und daß er die sich zart anbahnende Liebesgeschichte mit einem schwulen Verehrer dafür sofort beendet, versteht sich von selbst. Klar: Der Schwule wird jeden „richtigen Mann“, also jeden heterosexuellen Mann, lieben, den er kriegen kann. Und die anderen noch viel mehr.

Schwulen-Comedys sind in. RTL hat gerade die zweite Staffel seiner Sitcom „Trautes Heim“ abgedreht, in der eine Achtzehnjährige zu ihrem schwulen Vater und dessen Freund zieht. Sat.1 zeigt seit Freitag „Bewegte Männer“, das auf dem Szenario des Kinofilms „Der bewegte Mann“ minus dessen Happy-End beruht – Axel hat sich nicht mit Ex-Freundin Doro versöhnt, sondern lebt weiter mit dem Norbert zusammen. Die Serie ist handwerklich erbärmlich, aber beim Sender ist man bis in die höchsten Etagen mächtig stolz auf sie, vermutlich, weil die Leute glauben, daß sie Modernität, Liberalität, Aufgeklärtheit ausstrahle.

Tatsächlich sind die Zeiten vorbei, als Schwule im Fernsehen nur als schrille Tunten vorkamen. Die Hauptdarsteller von „Trautes Heim“ und „Bewegte Männer“ demonstrieren „Normalität“: Sie ziehen sich männlich an, schwuchteln nur ganz wenig und unterscheiden sich von heterosexuellen Männern nur dadurch, daß sie sensibler sind und kochen können (und daß beim „Bewegten Mann“ Norbert dann doch gelegentlich die Hand abknickt und sich Familienvater Paul im „Trauten Heim“, wenn es stressig wird, exaltiert mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel greift). Sie sind, kurz gesagt, ein bißchen exotisch, aber unauffällig, durchaus vorzeigbar und so normal, daß sie nicht mal Sex haben. Norbert nicht, weil er schüchtern und erfolglos ist, Paul nicht, weil er monogam und häuslich lebt.

Ist das nicht praktisch? Ein Homosexueller ohne gelebte Sexualität ist gleich viel massentauglicher. Die 16jährigen pickligen Jungs auf dem Schulhof finden ihn nicht bedrohlich, selbst der ultra-konservative republikanische Senator Rick Santorum sagt: „Ich habe kein Problem mit Homosexualität. Ich habe ein Problem mit homosexuellen Handlungen.“ Der Schwulenfeind Santorum hätte kein Problem mit den neuen deutschen Schwulen-Comedys.

Sex haben darin nicht die sympathischen Hauptdarsteller, Sex haben ihre tuntigen Freunde. Die sind nicht mehr die einzigen Repräsentanten von Homosexualität im deutschen Fernsehen, aber sie sind immer dabei, und sie sind so häßlich wie eh und je. Im „Trauten Heim“ ist es Ulf, genannt Ulla, der Ex-Freund, der oben im Haus lebt, in den „Bewegten Männern“ der beste Freund Walter, genannt Waltraud. Sie vereinen all das, was der heterosexuelle Mann an Homosexuellen bedrohlich findet: Sie gehen abends in die Szene, haben Spaß, leben promisk, flirten offensiv mit allem, was keine Frau ist, ignorieren die Grenzen zwischen maskulinen und femininen Rollen. Sie zahlen dafür einen hohen Preis: Sie werden verachtet.

Wenn Ulla oder Waltraud die Szene betreten, reagieren alle anderen, egal ob Homo oder Hetero, gleich: Sie rollen mit den Augen. Die Tunten müssen versteckt werden, wenn Besuch kommt. Die Tunten müssen raus, wenn ernste Dinge besprochen werden. Sie sind unglücklich, besessen von Sex und ihrem Aussehen, und ihre bösen Kommentare, ihr schwuler Witz, der im Englischen einen eigenen Gattungsbegriff bekommen hat: „camp“, wirken nur bitter.

Die Tunte muß demaskiert werden, ihre Häßlichkeit und Armseligkeit unter all dem Make-up, der Verkleidung, der Haltung bloßgestellt werden. In den „Bewegten Männern“ geschieht das am drastischsten in der Folge „Die Erbtante“, in der Norbert seiner reichen Tante vorspielen will, daß er heterosexuell ist, und die tuntige Waltraud ungebeten und aufgetakelt hereinplatzt und die Rolle der Freundin spielt. Sie gibt ein erbärmliches Bild ab, aber nicht halb so erbärmlich wie das einige Minuten später, als ihre Perücke in Brand geraten ist und sie versucht, sie in der Suppenterrine zu löschen, Axel sie mit Brot bewirft, damit sie endlich abhaut, ihr Freund Norbert, statt sie zu bemitleiden, nur „ksch“ macht und sie auf einem einzelnen Pumps aus der Wohnung humpelt, das Gesicht zur Fratze verzerrt. Tosendes Gelächter vom Band. Schreibt Sat.1 in seiner Pressemappe: „Die nervtötende Klischeetunte und ähnlich billig Diskriminierendes sind in der Serie nicht willkommen.“

Solche Szenen sind nicht neu. Es sind Varianten des „Käfigs voller Narren“ vor fünfundzwanzig Jahren mit seinen männlichen Schwulen, die ihre Würde bewahren, und den tuntigen, die sie verlieren, bloßgestellt als die Freaks, die sie sind. Daß die schrille Tunte – die ja keine Erfindung von Film und Fernsehen ist, sondern Realität – auch stolz sein könnte, selbstbewußt, unabhängig, selbstironisch und beißend komisch, ist im deutschen Fernsehen immer noch undenkbar. Fast: In „Nikola“, der Hochglanz-Comedy von RTL mit Mariele Millowitsch, schafft Oliver Reinhard als ihre „beste Freundin“ Tim häufig die Balance. Ist ein Mensch, kein Freak, und hat die Lacher fast so häufig auf seiner Seite wie gegen sich.

In anderen Genres, den Krimis und den Soaps, ist das deutsche Fernsehen im unverkrampften, oft beiläufigen Umgang mit homosexuellen Rollen längst weiter. Für die Comedyautoren sind die alten Vorurteile aber viel zu bequem. Würden sie sich etwa von der Idee verabschieden, daß Schwule mit jedem Hetero sofort ins Bett hüpfen würden, müßten sie fast jedes Drehbuch wegwerfen!

Mit solchen Klischees zu leben, das sind die Schwulen seit Jahrzehnten gewohnt. Aber die alten Witze als neue Toleranz zu feiern, da hört es wirklich auf.

Seine Show, sein Publikum, seine Wahrheit

Ein Besuch in der Welt des Carsten Spengemann, in der Deutschland den Superstar schon gefunden hat.

Sie springen von ihren Sitzen, als er auftritt. Er läuft schwungvoll die Treppe herunter, und alle Menschen stehen in der Halle. Sie toben, brüllen, applaudieren. Seine Augen glänzen. „Hallo!“ ruft er. „Hallo!“ Es ist nicht nur eine Begrüßung, es ist auch ein Ausdruck des Staunens. Er rollt die Karten, die er in den Händen hält, und sagt: „Eins ist klar: Das nenn‘ ich schon mal richtig großen Applaus. Denn: Sowohl das Studiopublikum als auch Sie zu Hause haben natürlich lange — “ Er bricht ab und lacht. Keine Chance. Das Publikum hat sich noch nicht beruhigt.

Außer den tausend im Studio sehen ihn jetzt zwölf, dreizehn, vierzehn Millionen Menschen zu Hause vor ihren Fernsehgeräten. Sehen ihn, Carsten Spengemann, den Moderator von „Deutschland sucht den Superstar“: 30 Jahre jung, strahlend lächelnd, braungebrannt, haargegelt, schlank, groß, makellos.

Er bekommt Fanpost in Kisten. 800 Briefe passen in jede. Er hat vorher am Vorabend in der ARD-Soap „Verbotene Liebe“ gespielt, da schmachteten ihn die Mädchen auch an. Das war Zielgruppenfernsehen. Jetzt bittet ihn am Flughafen der Geschäftsmann im Maßanzug um Autogramme. Für Frau, Kinder, Zimmermädchen. Wie groß die Show wird, wie groß er wird, merkt er im Dezember. „Als der Pizzabote vor mir stand und den Karton fallen ließ.“ Spengemann erklärt ihm: Doch, er sei es wirklich, und sortiert den Belag wieder auf die Pizza. „Das ist ein Moment, den werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen“, sagt er.

„Ich wollte diesen Job immer machen, ich habe viel dafür getan. Ich habe das von der Pieke auf gelernt. Deshalb ist es für mich das schönste Gefühl zu wissen: morgen ist Probe. Ich freue mich wie ein kleines Kind darauf. Das ist, wie auf den Abenteuerspielplatz zu gehen.“ Er sagt, es sei bei ihm wie bei den Kandidaten: „Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen.“ Nein, diese Riesenchance spüre er nicht als Last. „Wenn ein Rennfahrer eine Testfahrt in der Formel 1 angeboten bekommt, was geht ihm durch den Kopf? Ich glaube, der denkt nicht über den Druck nach, sondern will einfach fahren, Spaß haben, das Auto ausprobieren. Genauso ist es bei mir. Natürlich ist mir klar, daß RTL mich ausgesucht hat und es da auch eine Erwartungshaltung gibt. Diese Erwartung habe ich, glaube ich, erfüllt.“

Carsten Spengemann ist über Nacht berühmt geworden. Die ganze Welt kennt ihn. Für Stefan Raab ist er „die Elster“. Die „Bild“-Zeitung nennt ihn „Pannemann“. Radiosender machen lustige Serien über ihn und wünschen sich Aufsager wie: „Hallo, ich bin Carsten Spengemann, und ich klaue nur Radios, auf denen Radio X. läuft.“ Ein Richter hat ihn verurteilt, weil er den Cartier-Ring einer flüchtigen Frauenbekanntschaft unterschlagen haben soll. Ein Kollege behauptet, Spengemann habe einen Koffer entwendet. Spengemanns Mutter soll eine uneheliche Tochter von Hans Albers sei, was diverse Hans-Albers-Fanclubs für einen Witz halten.

Tagelang diskutiert die halbe Nation, schenkelklopfend, aber detailverliebt, ob Spengemann beim Alsterradio ein Volontariat (wie er sagt) oder ein Praktikum (wie der Sender sagt) absolviert hat. Daß den meisten vorher — völlig zu Recht — die Existenz eines „Alsterradios“ gänzlich unbekannt war, tat der Ernsthaftigkeit der Diskussion und der Schwere der Anschuldigungen keinen Abbruch.

Die Welt ist verrückt geworden. Und Carsten Spengemann?

Sitzt im Eßzimmer seiner Managerin und ist glücklich. Er sieht in Natur noch perfekter schön aus als im Fernsehen, falls das überhaupt vorstellbar ist. Die Haut noch gebräunter, die Augen faszinierend hellgrau, das weiße Hemd weit genug geöffnet, den Blick auf kurzgeschorene Brusthaare freizugeben. Er raucht Kette, sagt „du“, wirkt edel, aber ungeschliffen und mit seinem Hamburger Dialekt sehr kumpelhaft. Und er freut sich darauf, wie es weitergeht mit seiner Karriere, jetzt, nach diesem unfaßbaren Erfolg, den er hat.

Er hat gute Argumente gegen das, was ihm vorgeworfen wird. Wenn man ihm zuhört, wie das abgelaufen sei, im Prozeß zum Beispiel, klingt das plausibel, und auch die ungeschickte Geschichte von seinem „Opa“ Hans Albers will er nie selber lanciert haben, sondern eine Ex-Freundin, Journalistin, die dabei war, am Totenbett der Großmutter. Es ist leicht, ihm zu glauben, daß ihm übel mitgespielt wurde. Die Managerin ruft, noch ehe man richtig in ihrem Büro ist: „Er ist ein Opfer! Carsten ist hier das Opfer!“

Carsten Spengemann hat eine These, warum er ein Opfer wurde. „Von 17.55 Uhr auf 21.15 Uhr zu wechseln — das gab es noch nie in Deutschland“, sagt er. „Es gab noch nie den Sprung, daß jemand aus einer Soap kam und die Chance hatte, ganz großes Fernsehen zu machen. Das bringt viele Leute auf den Plan, die meinen: Es kann nicht sein, daß jemand aus einer Soap kommt — zwar Schauspielerei gelernt hat und jetzt auch noch moderieren kann — plötzlich eine Quote hat, die es sonst nur bei ,Wetten, dass …?‘ gibt.“

Das wäre soweit nicht unplausibler als andere Verschwörungstheorien, gäbe es nicht einen Haken: Es beruht auf der Annahme, daß der ehemalige Hamburger Türsteher und Soap-Darsteller Carsten Spengemann gerade einen unglaublichen Erfolg feiert, den ihm die Welt neidet. Bei RTL selbst sagt man, daß das Moderatorenpaar ungefähr das Unwichtigste an der Sendung ist. Spengemann dagegen hält „Superstar“ für seine Sendung und ihren Erfolg für seinen Erfolg, etwa so, wie Susan Stahnke die „Tagesschau“ für „ihre“ Sendung hielt. Er erfindet zwar im Gespräch kluge, treffende Metaphern: „Ich bin ein Rädchen im Uhrwerk. Vielleicht, wie bei einer Glasuhr, das Rädchen im Boden, das man als erstes sieht. Ich bin ein Teamspieler.“ Aber jedesmal, wenn es um die Sendung geht, sagt er „ich“ statt „wir“ und spricht von seinen 15 Millionen Zuschauern.

Mehrmals erzählt er, daß die Medien ja alles mögliche Schlechte über ihn erzählten, aber niemand, niemand werfe ihm vor, nicht moderieren zu können oder einen schlechten Job zu machen. Vielleicht hat er die „Süddeutsche“ nicht gelesen, deren positivste Formulierung war, ihn einen „professionellen Schön-Ausseher“ zu nennen. Oder die Fernsehbeilage des Stadtmagazins „Tip“, bei der im Programmteil stand: „Moderation, falls man das überhaupt so nennen kann: Michelle Hunziker und Carsten Spengemann.“ Oder die „Berliner Zeitung“, die schrieb: „Spengemann könnte für die Kandidaten zum lebenden Beweis werden, daß man es auch ohne alle Gaben auf die Bühne schaffen kann.“

Carsten Spengemann ist bestimmt kein dummer Mensch und wahrscheinlich auch kein Dieb oder chronischer Lügner. Aber er glaubt, daß er die Riesenchance, die er bekam, voll genutzt und sich durch seine professionelle Leistung für große zukünftige Fernsehaufgaben empfohlen hat. „Sein Realitätsverlust ist dramatisch“, sagt ein RTL-Mitarbeiter.

Doch der Moderator bekommt den Erfolg ja täglich bestätigt: In der Fanpost. Von den Menschen auf der Straße, die ihm auf die Schulter klopfen und sagen: Wir glauben an dich! Vom Berliner Bürgermeister, der ihm, wie er erzählt, beim „Echo“ gesagt habe, er solle bloß nicht hinschmeißen. Von seinem Sender, der öffentlich erklärt, Spengemann „ist und bleibt“ der Moderator. So sehr er die Kritik, die Wirkung der furchtbaren Boulevardgeschichten, seinen Status als aktuelle Lachnummer der Nation ausblendet oder als eine normale „Begleiterscheinung“ des Erfolges nimmt, so sehr nimmt er jedes positive Bekenntnis, das zu so einem öffentlichen Dasein gehört, für bare Münze. Ginge man mit ihm in ein Rockkonzert, würde er wohl hinterher glücklich sagen: „Wahnsinn! Wir waren das beste Publikum, das sie je hatten.“

Wie lebt einer, der es so heftig abbekommen hat? „Muhammad Ali hat es auch mal richtig auf die Augen gekriegt und stand am nächsten Morgen auf und fragte sich: Ist es das wert? Was hat er gemacht? Er hat sich den Typen vorgenommen und Revanche genommen und gewonnen. Weil er seinen Job geliebt hat. Und genauso ist es bei mir.“

Er vergleicht sich mit Robbie Williams, der ja auch, wie er, den Sprung vom belächelten Teenie-Star in die allererste Reihe schaffte. Über den ja auch, wie über ihn, so viele schlimme und wahrscheinlich zu 99,5 Prozent erfundene Geschichten geschrieben wurden. Bei dem es ja auch, wie bei ihm, das Publikum nicht mehr interessiere, weil seine Arbeit über jeden Zweifel erhaben ist.

Er glaubt, daß alles gut wird: „Ich habe keine Leichen im Keller. Die Presse hat jetzt meinen Keller, meinen Dachboden und die Tiefkühltruhe abgesucht und dreimal den Garten umgegraben. Das Gute ist: Die Gerüchte und Trittbrettfahrer sind jetzt hoffentlich durch und langweilig.“ Auch die „Bild“-Zeitung sei zumindest schon halb umgeschwenkt. Er folgert das aus einem Interview mit der „Bild am Sonntag“ vergangene Woche, in dem jede einzelne Frage ein Witz auf seine Kosten ist.

Es ist tragisch. In der Welt von Carsten Spengemann ist Carsten Spengemann ein erfahrener Live-Moderator, weil er regelmäßig einen Pausenfüller im WDR-Werbefernsehen namens „Studio 1“ moderiert hat, wo Leute anrufen und etwas gewinnen konnten.

Vielleicht ist er wirklich ein umgänglicher Kerl, auch wenn er ein paar Mal im Beisein des Reporters ausrastet, wenn ihn seine Managerin ins Wort fällt, und er mit rollenden Augen auf den Tisch haut und ein paar Sekunden wie ein Amok-Läufer vor dem Zücken der Waffe wirkt. Aber jemand müßte ihm sagen, daß es nicht geschickt ist, einen Richter zu beschimpfen, öffentlich Witze über die Co-Moderatorin zu reißen oder sich mit Robbie Williams zu vergleichen. Jemand müßte ihm erklären, warum Oliver Geißen, ein anderer junger Hamburger Moderator, öffentlich sogar jeden Vergleich mit Thomas Gottschalk ablehnt. Jemand müßte ihm erzählen, wie Leute von RTL und der Produktionsfirma Grundy reagieren, wenn man ihnen erzählt, daß Spengemann kaum Ferien machen will, um gegebenenfalls bereitzustehen für die nächste „Superstar“-Staffel: Sie schweigen, lang und unmißverständlich.

Jemand, der es gut mit ihm meint, müßte ihm sagen, daß ein längerer Urlaub gerade wirklich nicht schaden kann.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Johannes B. Kerner

“Ich hab’ ja nicht gefragt!” Und nicht fragen wird man wohl noch dürfen: Seit einem Jahr talkt Kerner täglich — ein Blick zurück im Zorn

Kerner: Sie haben ein Kochbuch geschrieben über Suppe, ja? Wie heißt das genau?

Marianne Sägebrecht: „Meine Überlebenssuppen – Geschichte und Rezepte“.

Kerner: Also geht’s nicht nur um die Suppen, das hab‘ ich mir auch gedacht, das wäre auch ein wenig dünn gewesen, also nicht die Suppen, sondern für das Buch, und das wäre Ihrem ereignisreichen Leben auch gar nicht angemessen.

Und damit ein herzliches Willkommen zu unserem Jahresrückblick „Kerner 2002“ – vielen Dank für den freundlichen Empfang.

Es war das erste Jahr, in dem Johannes B. Kerner sich fast werktäglich hinter einen wuchtigen Schreibtisch setzte, auf Karteikarten schaute und mit Leuten redete, gern je einem Politiker, Schauspieler und Opfer, 150 Sendungen insgesamt. Und weil es die Zeit ist und Kerner heute im ZDF wieder den Rückblick „Menschen 2002“ moderieren darf, wollen auch wir zurückschauen, auf ein Jahr Kerner täglich – mit vielen bunten Ausschnitten aus seiner Show.

Kerner: Ich glaube, du bist genauso nett wie ich.

Dieter Bohlen: Das kommt nur nicht so rüber.

Kerner: Dann versuchen wir jetzt mal, den Leuten das zu beweisen.

Doch, er hat es immer noch, am Ende dieses Jahres: das Etikett „nett“. Die Journalisten haben es ihm so oft angeklebt, und er hat so oft empört gefragt, was die Leute denn von ihm erwarten: „Soll ich randalieren? Mich besaufen?“, daß er es inzwischen sicher selber glaubt. Dabei ist Johannes B. Kerner fast so nett wie ein Schaulustiger, der vorbeikommt, wenn Brandstifter einem das Haus angezündet haben, Öl ins Feuer gießt, einem dann anteilnehmend auf die Schulter klopft und kopfschüttelnd fragt, was für Leute so was nur machen.

Ein Fernsehjournalist, der die Schlagersängerin Michelle eingeladen hätte, der von einigen Blättern eine Affaire mit Oliver Kahn nachgesagt wurde, hätte sie gefragt: „Läuft da was?“ Und sie hätte antworten können: „Ja.“ Oder: „Nein.“ Oder: „Das geht Sie einen Dreck an.“ Aber so läuft das nicht bei Kerner.

Kerner: Hallo Michelle, herzlich willkommen. Ja, übrigens Oliver Kahn war eigentlich angesagt für diese Sendung. Der FC Bayern hat ihm nach den glorreichen Spielen zuletzt verboten, die Stadt zu verlassen, und deshalb konnten wir das schöne Treffen mit Ihnen . . . Hätten Sie ihn gerne mal kennengelernt?

Michelle: Das ist schade, weil man sagt ja, ich hätte ein Verhältnis mit ihm, und ich hätte ihm zumindest vorher gerne einmal die Hand geschüttelt.

Kerner: Ach, Sie haben ihn noch nie getroffen?

Michelle: Nein, ich kenne ihn leider nicht.

Kerner: Ich kannte das Gerücht. Ich hätte nicht die Frechheit besessen, Sie darauf anzusprechen. Aber er ist ja glücklich verheiratet, wird Vater, zum zweiten Mal, das müßten Sie eigentlich wissen?

In Zeitlupe: Kerner lädt Michelle und Kahn ein. Er spricht Michelle noch vor dem Hinsetzen auf Kahn an. Dann stellt er sich neben den Schlamm, in den er sie geschubst hat, und zeigt auf seine sauberen Hände. So einen kann man natürlich als „nett“ bezeichnen. Zwingend ist es nicht.

150 Sendungen, das sind für Kerner fast 150 Stunden Angst. Angst, Stellung zu beziehen. Angst, etwas zu sagen, womit er aneckt. Dabei hat ein Talkmoderator in seiner Rolle wenig Gelegenheit, das Falsche zu sagen – doch Kerner hat sogar Angst, das Falsche zu fragen. Deshalb ist er zum Meister im Nichtfragen geworden. Mit Bastian Pastewka sprach er vor der Bundestagswahl darüber, ob er Brief-, Stamm- oder Wechselwähler sei, dann passierte dieser Dialog:

Kerner: Wenn ich sozusagen jetzt die eine Frage stelle, die man natürlich geneigt ist zu stellen, dann rufen immer Menschen an und sagen: Wir haben geheime Wahl, und da muß man doch gar nicht – und dann sag‘ ich immer: Man darf ja fragen! Man muß ja nicht antworten. Ne?

Pastewka: Was ich gewählt habe?

Kerner: Ja. (Pause.) Na, ich hab‘ ja nicht gefragt.

Pastewka: Natürlich.

Kerner: Nein, ich hab‘ ja nicht gefragt.

Pastewka: Natürlich.

Kerner: Nein, ich hab‘ erklärt, warum es nicht kommt.

Pastewka: Gut.

Kerner: So, und jetzt aber . . . (wechselt das Thema).

Das macht ihm keiner nach. Niemand kann ihm vorwerfen, eine unverschämte politische Frage gestellt zu haben. Und niemand kann ihm vorwerfen, das heikle Thema nicht angesprochen zu haben. Niemand kann ihm irgend etwas vorwerfen. Außer diese seine Glitschigkeit natürlich. Aber dann antwortet er wörtlich, wie jetzt in der „Hörzu“: „Wissen Sie, wie viel Geld ich verdiene? Es ist unglaublich, wie viel Geld ich mit diesem Image machen kann. Besser geht’s nicht. Ich habe alles richtig gemacht!“

Pastewka: Der MDR ist toll.

Kerner: Ein Sender aus Leipzig, der für die umliegenden Regionen sendet.

Pastewka: Aus der Zone, seien wir ehrlich.

Kerner: Das wäre nicht meine Formulierung.

Das war auch nicht seine Formulierung — das war Pastewkas Formulierung. Kerner distanziert sich sogar von den Aussagen seiner Gäste. Besser ist das. Man weiß ja nie. Er hat nämlich schlechte Erfahrungen gemacht. Manchmal hat er Fragen gestellt, aus denen die Befragten fahrlässigerweise schlossen, daß er damit etwas sagen wollte.

Kerner: Sie erwarten, wenn ich so viel Details verraten darf, Ihr zweites Kind vom zweiten Mann. (Was er meint: Ihre Kinder haben verschiedene Väter.)

Alexa Hennig von Lange: —

Kerner: Stimmt doch, oder?

Hennig von Lange: —

Kerner: Ist doch o.k., ist doch auch bekannt, oder?

Hennig von Lange: Welches Jahrtausend haben wir denn überhaupt?

Kerner: Nee, völlig o.k. Im übrigen kann jeder, wie er möchte.

Dazu macht er mit beiden Händen eine abwehrende Bewegung, die sagt: „Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten“, aber auch: „Treten Sie mir nicht zu nahe!“ Was ihn so unwahrscheinlich massenkompatibel macht, ist, daß seine demonstrative Toleranz deutlich unterfüttert ist mit eigener Abgrenzung von allem, was Toleranz verlangt. Kathy Karrenbauer, die für ihre Rolle als klassische Klischee-Kampflesbe in „Hinter Gittern“ bekannt wurde, begrüßt er mit größtmöglichem körperlichen Abstand von jenseits des Schreibtisches und erklärt:

Kerner: Ich wahre respektvolle Distanz.

Später wird er sich hoffnungslos festbeißen an der Frage, wie das für sie war, eine Frau zu küssen, und noch lange, nachdem sie gesagt hat, daß es für sie keinen Unterschied macht, ob sie einen Kuß mit einem Kollegen oder einer Kollegin spielt, erkundigt er sich erregt nach der „Überwindung“, die sie das gekostet habe. Vielleicht beruht sein Image, „normal“ zu sein, auf dieser Haltung eines aufgeklärten Spießers, der brav sein konventionelles Leben führt und sich unschuldig interessiert nach den Verirrungen der anderen erkundigt, sich manchmal sogar bemüht, sie zu verstehen. Obwohl es ihm nicht immer gelingt: Mathieu Carrière erzählt, ein Kind könne bei getrennten Eltern auch zwei Zuhause haben, und Kerner findet das — nicht so gut.

In Kerners Sprache ist von dem Versuch seiner frühen Jahre bei Sat.1, „natürlich“ zu wirken, nichts übriggeblieben. Heute schafft er es gerade noch, die Frage „Wann haben Sie angefangen zu schreiben“ unverkrampft herauszubringen. Kompliziertere Gedankengänge klingen deutlich angestrengter. Am Jahrestag des 11. September ist er so erfüllt von Bedeutung, daß er die ZDF-Kollegin, die damals am Ground Zero war, fragt:

Kerner: Julie, Sie haben ja nicht nur über Sachverhalte berichtet, sondern in der Hauptsache auch in den Tagen und Wochen danach über Menschen, über Schicksale, auch über Helden. Das sind ja Sachen, die einem sehr nahegehen, auch als Berichterstatter — oder als Berichterstatterin. Sind daraus Kontakte geworden, haben Sie zu einigen Menschen, über die Sie damals Bericht erstattet haben, heute noch Kontakt?

Kein Journalist, der bei ihm zu Gast ist, verläßt das Studio, ohne daß Kerner ihn mehrfach mit seinem Lieblingswort „Bericht erstatten“ eingenebelt hätte. Auf das schlichte „berichten“ kommt er nur, wenn er vorher wenigstens „Sachverhalte“ sagen durfte. Vermutlich glaubt Kerner, daß „Bericht erstatten“ nicht nur wichtiger klingt, sondern auch korrekter ist, und wenn es etwas gibt, an das Kerner glaubt, dann ist es Korrektheit.

Kerner: Als Sie den Job bekommen haben, hat Herr Schröder Sie angerufen? – Also, der Herr Bundeskanzler, wir wollen ja die Form wahren.

Korrektheit ist gut gegen Angst, und das Kokettieren mit Korrektheit ein schöner Weg, ein Gespräch zu beginnen und sich in Sekunden so winzig klein zu machen, daß seine Gegenüber wissen, daß auch sie keine Angst haben müssen.

Kerner: Die Vorstandsvorsitzende der Firma Veronas Dreams AG.

Verona Feldbusch: Richtig.

Kerner: Gut, dann habe ich das ordentlich ausgesprochen.

Fernsehen besteht aus Ritualen. Es braucht Menschen, die uns Tag für Tag erzählen, daß sie sich freuen, daß wir eingeschaltet haben, und sich Tag für Tag entschuldigen, daß das leider schon alles war, wofür die Sendezeit reichte. Weil Kerner aber, wie er der „Hörzu“ verriet, „in allen Dingen der Beste sein“ will („Oberstes Drittel reicht mir nicht. Eins b reicht mir nicht. Eins b kann jeder andere sein“), hat er die üblichen Talkmaster-Floskeln auftoupiert: mit großen Adjektiven. Seit er viermal die Woche Dienst hat, sind sie ihm in dieser Form im Ritual erstarrt. Er kündigt „außerordentlich interessante“ Gäste an, bedankt sich „sehr herzlich für das sehr offene Gespräch“, und wenn er versucht, seine Standard-Beteuerungen mit individuellen Bemerkungen zu schmücken, schwurbelt es ihn vollends aus der Kurve. Der schwangeren Alexa Hennig von Lange sagt er zum Abschied nicht: „Schön daß Sie da waren, alles Gute für die Geburt.“ Sondern:

Kerner: Ich bedanke mich sehr herzlich für das offene Gespräch und freue mich, wenn wir uns alsbald wiedersehen. Wichtig ist allerdings, daß Sie unsere Wünsche entgegennehmen, nämlich daß wir Ihnen alles Gute wünschen für die bevorstehende Geburt Ihres zweiten Kindes.

Es war ein gutes Jahr für Kerner. An seinem Ende sagte er, er konkurriere mit Reinhold Beckmann um die „Talk-Krone“. Kerner hatte Kohl zu Gast und war bei Giuliani, sprach mit Bohlen und Feldbusch, lachte über Konsul Weyers Reichtum und entschuldigte sich dafür, klärte mit Hilde Knef Details ihrer Krankheit und wiederholte, als sie starb, das Krankengespräch, um sie zu „würdigen“.

Kati Witt: Ich find’s schade, daß eigentlich heutzutage alles an die Öffentlichkeit gezerrt wird und nichts mehr privat wird, was sich zwischen zwei Menschen abgespielt hat.

Kerner: Nicht in jedem Fall, in manchem.

Witt: In manchem, ja.

Kerner: Dann beenden wir das jetzt.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ein Scherz für Kinder

Der kleine Jeetham muß zurück in seinen Slum: Bei Benefizshows ist die gute Tat wichtiger als der gute Geschmack

Wenn es November wird, vergeht keine Stunde, ohne daß irgendwo auf der Welt ein Prominenter in ein deutsches Mikrofon Sätze wie diese spricht: „Alles, was man für Kinder tun kann, ist wichtig. Ich setze mich sehr dafür ein. Denn Kinder sind doch unsere Zukunft.“ In diesem Fall stammen die Worte von Halle Berry und das Mikrofon von RTL, Variationen in der Formulierung sind erlaubt. Schon im Sommer wird damit begonnen, deutsche Schauspieler mit dürren fremden Kindern zu versehen und zu filmen. Der Sender macht daraus Beiträge von dreißig Sekunden und fügt Sätze hinzu wie: „Jeetham ist traurig. Seine Mutter und Maria Furtwängler bringen ihn zurück in seine Hütte in den Slums. Es fällt ihnen schwer, doch sie hoffen auf Unterstützung.“

Geschenkt: Jeder Euro, der für einen guten Zweck gespendet wird, weil jemand sich von solchen Bildern und Worten beeindrucken läßt, ist ein Gewinn. Die übergroße Mehrheit der Kinder kommt zu kurz, fast überall – außer im weihnachtlichen Wohltätigkeitsrausch. Die Designer von RTL haben es geschafft, den Vorspann ihres „Spendenmarathons“ diese Woche so randvoll mit großen, traurigen, fremden Kinderaugen zu packen, daß nicht einmal ihre Körper, kaum ein Haar, ein Hals zu sehen sind, nur Augen, die dem Moderator über die Schulter gucken, überlebensgroß, fast größer als die Logos der Sponsoren.

Ohne Kinderaugen geht wenig, wenn das Fernsehen sich ans Spendensammeln macht. Kinder sind selbst im Elend deutlich ansehnlicher als Kranke, Behinderte, Greise. Und sie sind unschuldig – da ist man sich ja nicht bei jedem Notleidenden so sicher. So sammelt das Fernsehen, wenn nicht gerade eine Jahrtausendflut ist, für Kinder. Kai Pflaume letztens in „Charity“ (Sat.1) für „Hand in Hand for Children“, Wolfram Kons in dieser Woche für die RTL-Stiftung „Wir helfen Kindern“, Dirk Bach gestern für die Unicef (ZDF), Thomas Gottschalk bald für „Ein Herz für Kinder“ (ZDF). Lobt man den Sat.1-Unterhaltungschef Matthias Alberti dafür, daß er sich traut, statt dessen für das sperrige Thema Aids zu sammeln, sagt der erst: „Öhm“, und dann: „Es gibt ja auch wichtige HIV-Projekte für Kinder, eines aus Südafrika werden wir ganz am Anfang der Sendung vorstellen.“ Vermutlich müßte man ihm sonst auch vorwerfen, die Erlösmöglichkeiten für die Deutsche-Aids-Stiftung fahrlässig zu gefährden.

Jobst Benthues, Unterhaltungschef von Pro Sieben, sagt, er sei überhaupt nicht daran interessiert, den Bildschirm mit traurigen Kinderaugen zu füllen – fast glaubt man es ihm, beim Sender, der gerne so flippig unelternhaft daherkommt. Und für wen wird Pro Sieben sammeln, mit einer großen neuen Aktion 2003? Für drei Organisationen: Eine für Kinder, eine für Kinder und eine für Kinder.

Das ist insofern tragisch, als es an anderen unterstützenswerten Hilfsorganisationen nicht mangelt. Für die Aids-Stiftung soll die Sat.1-Gala immer fast eine Hälfte der Gesamtspenden einbringen – da werden die Begehrlichkeiten groß und die Versuche, eine eigene Show zu bekommen, entsprechend verzweifelt. Alle Sender erzählen, daß Organisationen auf sie zugekommen seien mit dem Angebot, für eine Benefizshow zu ihren Gunsten auch einen erheblichen Teil der Produktionskosten zu übernehmen. Da dadurch mehr Geld zusammenkomme, als für die Sendung ausgegeben werden müßte, gehe das schon in Ordnung. Offiziell sind dennoch alle ganz empört über den damit verbundenen Mißbrauch von Spendengeldern und sagen, für sie käme so etwas nicht in Frage. Bei den Charity-Vereinen erzählt man die Geschichte übrigens umgekehrt: Es seien die Sender, die die Ausstrahlung von Galas gelegentlich davon abhängig machten, daß die Hilfsorganisation einen Teil der Showkosten übernimmt. Der MDR etwa hat den Fluthelfern die Kosten für das Callcenter in Rechnung gestellt – dabei waren sie verpflichtet, dafür die teuren Dienste einer MDR-Tochter in Anspruch zu nehmen. Einige in der Branche glauben, es gebe nicht zuletzt deshalb so viele Benefizshows, weil das der leichteste Weg sei, viele große Stars zu bekommen, preisgünstig, weil die „natürlich“ auf ihre Gage verzichten. Der Vorwurf trifft nicht alle. Regina Ziegler zum Beispiel, die die gestrige Unicef-Gala im ZDF produziert hat, legt Wert darauf, die Künstler, denen es freisteht, die Gage zu spenden, für ihre Arbeit normal zu bezahlen.

Manchen Künstlern ist dennoch nicht wohl bei der Mischung aus Imagewerbung, lustigen Auftritten und guter Tat. Der Komiker Bastian Pastewka spendet gerne, sagt er, geht aber zu den klassischen Formen mit Elendsbildern, Auftritt und Anrufmöglichkeit nicht hin. „Über den guten Zweck vergessen leider viele, eine gute Sendung zu machen“, sagt er. Karat singt auf der MDR-Flutgala: „Über sieben Brücken mußt du gehn.“ Dieter Thomas Heck steht in einer Dekoration aus den frühen achtziger Jahren und mahnt zum Thema Krebs: „Wir alle wissen nicht, wann diese Geißel der Menschheit direkt neben uns einschlagen kann.“ Verona Feldbusch, die gerade eine große goldene Version eines Schmuckstücks aus ihrer Kollektion versteigert hat, sagt: „Wer leer ausgegangen ist, muß sich das leider in kleinem Silber morgen nachkaufen.“ Und immer Katastrophenbilder, in denen der Originalton durch Geigen (ältere Zielgruppen) oder Peter Gabriel (jüngere Zielgruppen) ersetzt wurde.

Es darf – neuerdings – gelacht werden. Die Sat.1-Aids-Gala, im vergangenen Jahr noch eine Musikrevue, wird heute von Hape Kerkeling moderiert, der dafür mit einem achtjährigen Mädchen, das er als seine Nichte ausgab, durch die Bambi-Preisverleihung zog und Kollegen bat, sie aufzuklären. „Wenn die Menschen lachen“, sagt Sat.1-Mann Alberti, „kommt man viel näher an ihre Seele ran.“ Ab nächstem Jahr will Pro Sieben das britische Konzept des „Red Nose Day“ importieren. An diesem Tag kauft die halbe Insel eine rote Nase und macht schrille, witzige Aktionen, um Geld zu sammeln. Für die Lizenz bekommen die Briten von Pro Sieben zehn Prozent der deutschen Erlöse. „Der ,Red Nose Day‘ paßt gut zu uns“, sagt Jobst Benthues. „Er entspricht unserer internationalen Comedy-Tradition – und das Marketing freut sich, weil die Nasen unsere Senderfarbe haben. Es soll nicht verkrampft-staatstragend zugehen. Wir machen eine lustige Comedy-Show, bei der Künstler für einen guten Zweck aktiv werden.“ Dazu muß man sich das Pro-Sieben-Ensemble mit Stefan Raab, Elton, Erkan & Stefan vorstellen und wissen, daß die Aktion von Prime Productions produziert wird, die auch schon an Highlights wie der „Karl Dall Show“ und „Strip!“ (Ausziehen mit Jürgen und Ramona Drews) beteiligt war.

Benthues betont, daß die Aktionen rund um den 14. März keine reine Pro-Sieben-Veranstaltung bleiben, sondern allen offenstehen sollen. Nur die große Sendung wird auf Pro Sieben laufen, denn natürlich soll das Image, das mit der guten Tat verbunden wird, seinem Sender zugute kommen.

Ist das schlimm? Oder ist es schlimmer, daß manche ARD-Anstalt grundsätzlich keine Spendenshow macht, weil die Einschaltquoten dabei zurückgehen, bei Themen wie Aids sowieso? Beim ZDF, das mit gleich acht Sammelsendungen in diesem Jahr weit vorne liegt, räumt man ein, daß das auch damit zu tun hat, daß viele dieser Wohltätigkeitsorganisationen ja im ZDF-Fernsehrat säßen . . .

Die Hilfswerke der beiden großen Kirchen teilten sich eine ZDF-Benefizshow, die wegen Überfüllung nicht mehr in die Vorweihnachtszeit paßte und schon Mitte November laufen mußte. Da es sich aber zweifellos um eine vorweihnachtlich geprägte Musiksendung handelte, hatten die Kirchenleute ein Problem: Öffentlich kritisieren sie nämlich mit Kampagnen wie „Advent ist im Dezember!“ den Trend, schon ab dem Spätsommer Straßen zu schmücken und Lebkuchen zu verkaufen. Man fand dann einen Kompromiß: In den Liedern wurden nicht die „Weihnachtsglocken“ besungen, sondern „Winterglocken“. Oder waren es „Kinderglocken“? Hauptsache rührend.

Und hat sich doch an nichts gewöhnt

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Anke Engelke könnte heute für „Ladykracher“ den „Emmy“ gewinnen, aber trotz ihres Erfolgs ist sie erstaunlich dünnhäutig geblieben.

Wenn man Anke Engelke begleitet, ist das erste, das man lernt, daß es so etwas wie Routinetermine nicht gibt. Ein paar Minuten fürs Jugendradio, mit kaum mehr Inhalt, als daß sie da war: Was soll da schiefgehen? Nun, was das letzte Mal schiefging, war dies: Moderatorin und Interviewte waren so unterschiedlicher Meinung, was eine „witzige“ Idee mit einer „spontanen“ Anke wäre, daß das Gespräch nur in einer um alle Varianten des akustischen Sich-an-den-Haaren-Ziehens gekürzten Rumpfform ausgestrahlt werden konnte. Diesmal fragt ein Kollege: „Welche Figur aus ‚Ladykracher‘ ist dir am liebsten?“ Und Anke Engelke antwortet: „Natürlich habe ich keine Lieblingsfigur, klar. Aber das wäre eine langweilige Antwort, deshalb denke ich mir immer, wenn ich das gefragt werde, einfach eine aus. Dir also antworte ich heute …“

Was für eine Zicke. Es müßte ein Traum sein, jemanden wie Anke Engelke als Gast im Studio zu haben. Jemanden, der lustig ist, jung und lange selbst Radio gemacht hat, damals bei SWF 3. Häufiger ist es ein Albtraum. Weil sie weiß, wie es geht, hat sie genaue Vorstellungen, was geht, und nicht immer den Gleichmut, den anderen das durchgehen zu lassen, was nicht geht. Einer unbedarften jungen Boulevard-Häppchen-Sammlerin, die sie bei einer Veranstaltung anspricht, ohne sich vorzustellen, flötet sie entgegen: „Ich habe Ihren Namen nicht verstanden?“ Und fügt dann fies hinzu: „Ach Sie — ich habe schon viel von Ihnen gehört.“ Das ist erstaunlich viel Gefühlswallung (und sie kann sich über solche Situationen noch Tage später in Rage reden) für eine, die so lange im Geschäft ist und doch längst einen Weg gefunden haben müßte, auch dessen lästige Seiten zu ertragen. Anke Engelke ist dünnhäutig. Gerade weil sie so professionell ist, weil die lustige Frau ihren Job so ernst nimmt, sich in Sachen reinhängt, ärgert sie sich maßlos, wenn andere in ihren Augen weniger professionell sind.

Beim Deutschen Fernsehpreis, für den sie mit zwei Sendungen nominiert war, ist sie extra zweimal über den roten Teppich gelaufen: Einmal mit Olli Dittrich von „Blind Date“, einmal mit dem Ensemble von „Ladykracher“. Hat die Kolleginnen in den Arm genommen, immer wieder die strahlende Komödiantinnen-Pose eingenommen, für den Fotografen-Pulk auf dieser Seite, jaaaa!, für den Fotografen-Pulk auf der anderen Seite, jaaaa!, endlos. Das Bild stand dann zwar in den Zeitungen, aber den Redakteuren war entgangen, mit wem sie da posierte. „Anke Engelke kam allein“, schrieben sie, „hatte sich aber ein paar Freundinnen mitgebracht.“ Klasse.

Nur: Darf man sich als erfolgreicher Star noch über so was aufregen?

„Ich fühlte mich so gezerrt von den Fotografen“, sagt Anke Engelke, „wie ein Tier, das gezähmt werden sollte. Das war so entwürdigend. Wenn Günther Jauch vorbeigekommen wäre, das wäre meine Chance gewesen, durchzuatmen. Dann wären sie alle mit einem Schritt weg gewesen. Das wäre aber auch das Tragische gewesen: Ich hätte gemerkt, daß ich denen eigentlich völlig egal bin.“ Vielleicht macht diese Empfindsamkeit gegenüber Offensichtlichem einen Teil ihrer Beliebtheit aus. Aber es klingt sehr, sehr anstrengend.

Man muß dabeigewesen sein, bei einer dieser Veranstaltungen, wo ein Dutzend Journalisten mit einem Promi in einem Konferenzraum sitzen. Vorher wird die neue Serie gezeigt, dann sagt der Pressesprecher, jetzt sei Gelegenheit, Fragen zu stellen — nur nichts Privates, das sei tabu. Die meisten Journalisten interessieren sich nicht fürs Fernsehen. Sie wollen wissen, ob die Ehe der Prominenten wirklich kaputt ist, was sie an diesem jungen Komiker findet, wer sich nun um das Kind kümmert. Sie finden immer neue Varianten, scheinbar beruflich zu fragen („Findet Herr Ruf die Serie toll?“), ernten nur Schweigen und fragen immer weiter. Wer würde aus einer solchen Veranstaltung nicht herausgehen und sie alle verfluchen, pauschal und ungerecht, das ganze elende Pack?

Sie macht nicht mehr diese Presserunden. Notfalls, wenn eine Sendung PR braucht, gibt es Telefongespräche. Jeder zehn Minuten, nichts Privates, bitte, danke. Wer sie auf Fakten anspricht, die er aus alten Interviews kennt, läuft Gefahr, als Antwort zu bekommen: „Ach, das hab‘ ich doch nur so dahingesagt, das war nicht ernst gemeint.“ Das ist vielleicht ein naheliegender Reflex auf eine Medienwelt, die von ihren Protagonisten dauernd Kommentare verlangt, und doch wirkt es wie eine Verletzung der Spielregeln. Als die Journalisten vor zwei Jahren in ihrem Privatleben wühlten, auch ganz konkret in ihrer Mülltonne, hat sie Harald Schmidt gefragt. Der sagte: „Erzähl den Leuten nicht, was du zum Frühstück ißt, sondern behaupte irgendwas.“ Er selbst sage fröhlich, er trinke Orangensaft, obwohl er Orangensaft hasse. „Ich hab‘ gesagt: ‚Das kannst du doch nicht machen!‘ Und er: ‚Du mußt das machen.‘ Er hat mich richtig gewarnt: ‚Du bist viel zu ehrlich.'“ Hat er recht? Sie macht ein nachdenkliches Mmmh. Es gibt Hunderte Interviews mit Anke Engelke, aber man hat immer weniger das Gefühl, darin etwas von einer „echten“ Anke zu finden. Sagt sie den Leuten nur noch, was sie hören wollen? „Ja. Das ist nicht zynisch gemeint. Aber bestimmt bediene ich das. Ich kann ja nicht erwarten, daß die Leute mich freitags sehen und mögen und sich samstags nicht dafür interessieren sollen, was für Kleider ich einkaufe.“

Würde man eine Aufnahme vom Verlauf ihrer Karriere machen, hörte sie sich übersteuert an; als hätte jemand den Regler zu weit aufgedreht, so daß alle Höhen und Tiefen gleich in den roten Bereich ragen. Sie war nicht einfach ein frisches Talent in der „Wochenshow“, sie wurde zum Superstar geschrieben. Heute stellt sie selbst die Frage, für die sie Journalisten früher gehaßt hat, ob der Erfolg nicht vor allem daran lag, daß sie eine Frau ist und es so wenig Frauen gab, die Comedy machten. Ihre „Ricky“ jedenfalls, sagt sie, sei so gut nicht gewesen, die Aufregung zu rechtfertigen. Der Hype war ihre Chance und ein Fluch, als den Boulevardblättern ihre Privatgeschichten nicht gefielen und die wunderbare Serie „Anke“ über eine depressive Talkshow-Moderatorin beim Publikum durchfiel und sie weiter grell malten, nur in den anderen Farben.

„Zum Glück“, sagt sie, „habe ich immer, wenn ich etwas gemacht habe, was sehr im Fokus stand, etwas zum Ausgleich gehabt.“ Anfangs, neben der „Wochenshow“, das Radio: „Das war mir ganz wichtig: Daß ich etwas mache, was sich der Öffentlichkeit ein bißchen entzieht.“ Heute übernimmt auch „Blind Date“ diese Funktion, die Improvisation mit Olli Dittrich, bei der nichts vorgegeben ist, außer der Situation: Weihnachten zeigt das ZDF die dritte Ausgabe, eine Begegnung zweier Fremder im steckengebliebenen Fahrstuhl. Man hört ihr an, daß ihr „Blind Date“ nicht nur am Herzen liegt, weil es ein seltenes, spannendes, tolles Experiment ist. Sondern auch, weil es eine Sendung in der Nische ist, so klein, daß es sich für Leute, die ihr Übles wollen, nicht lohnt, sie kaputtzumachen.

Es ist nicht so, als würde sie sich die ganze Zeit beklagen. Man hat nur das Gefühl, sie würde mehr über die Dinge nachdenken, als ihr guttut. Andererseits hat ihre Karriere gerade eine sehr angenehme Reiseflughöhe eingenommen. „Ich spüre, anders als früher, keinen Druck“, sagt sie. „Heute ist die Situation entspannt, und ich bin es auch.“ „Ladykracher“ ist ein anhaltender Erfolg; selbst gewagte Sketche, etwa auf Kosten von Kindern, werden ihr nicht übelgenommen, obwohl die „Bild“-Zeitung, wenn ihr langweilig wäre, leicht einen Strick daraus drehen könnte: Wie kann sie so was tun, als Mutter? „Ich bin ein Glückskind“, sagt sie. „Ich weiß nicht, ob man das allen Kolleginnen so verzeihen würde.“

Heute sitzt sie in New York bei der Verleihung des Fernsehpreises Emmy, für den sie mit „Ladykracher“ nominiert ist. Seit sie die anderen Kandidaten gesehen hat, ist sie überzeugt, daß sie ihn nicht gewinnen wird. Auf die heikle Journalistenfrage, was sie als nächstes macht, kann sie lässig antworten: Wir drehen wieder „Ladykracher“. Sie überlegt sich, ob sie nicht Theater spielen soll, jetzt, da sich die Anfragen nicht mehr nur auf Boulevardtheater oder schlichte Komödien beschränken.

Und natürlich geht sie am 7. Dezember wieder zu „Wetten daß“, weil sie für ihre Weihnachtsshow „Danke Anke“ werben darf. Und weil es „schon toll“ sei, da auf dem Sofa zu sitzen — sie sagt das, als sei sie ein Mädchen, das eingeladen wurde, obwohl es eigentlich nicht dazugehört. Dabei hat sie sich letztes Mal so geärgert, daß sie am Ende nur noch Staffage war und Paul McCartney die Gitarre angeben durfte. Ihr Schimpfen darüber sei im Gegensatz zu so vielen Interviews sehr echt gewesen, sagt sie: „Dann verkauf‘ ich das ein bißchen humoresk, aber eigentlich war das ganz schön intim. Ich war da richtig gekränkt. Dabei finde ich das doof, das will ich nicht sein, schon gar nicht öffentlich. Aber da konnte ich nicht an mich halten.“

Der Witz ist, daß das keiner gemerkt hat.

Bauer-Verlag

Klatsch vom Fließband. Ein Verlag mit Gespür für den Massengeschmack: Bauer paßt zum Privatfernsehen.

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Sie hätten, statt des ganzen Bieterverfahrens um die Kirch Media, einfach einen Leo-Kirch-Ähnlichkeitswettbewerb veranstalten können – Heinz Heinrich Bauer hätte bestimmt gewonnen. Der Mann ist konservativ und öffentlichkeitsscheu, Christ und Patriarch, mythenumweht, und daß es von ihm nicht wie von Kirch nur eine Handvoll unscharfe Porträtfotos gibt, sondern zwei Handvoll, liegt allein daran, daß er sich einmal im Jahr öffentlich zeigt: bei der „Goldenen Feder“. Das ist eine merkwürdige Preisverleihung, die seit 1999 so organisiert ist, daß sehr viele, sehr prominente Menschen vorbeikommen, damit wenigstens an einem Tag im Jahr so etwas wie publizistischer Glanz auf das Unternehmen fällt. Aber selbst dann sitzt der heute 62 Jahre alte Verleger vorn an seinem Tisch und schweigt und läßt die Begrüßungsworte auf der Bühne von seiner Frau sprechen.

Warum der Hamburger Heinrich Bauer Verlag eine teure Image-Veranstaltung braucht, läßt sich nachvollziehen, wenn man einmal an den Kiosk geht, sich diverse Bauer-Zeitschriften greift, kurz grübelt, ob man einem Kassierer Rechenschaft über sein Kaufverhalten schuldet, und draußen das Zeitschriftenpaket verschämt zusammenrollt. Die Illustrierte „Neue Revue“, die eigentlich seit drei Jahren in einer Liga mit „Stern“ und „Bunte“ spielen soll, macht in dieser Woche mit der Information auf, daß Prinzessin Diana ihre Rivalin Camilla mit Gift im Champagnerglas töten wollte. Im Inneren enthüllt sie, daß man sich mit Homosexualiät keineswegs abfinden müsse, wie die Tochter von Berlusconi mit ihrem neuen, ehemals schwulen Freund bewiesen habe: „Sie hat ihn umgedreht.“ Die „Neue Revue“ markiert das obere Ende des Qualitätsspektrums des Bauer Verlages. Weiter unten befinden sich „Blitz Illu“ und „Coupé“, in denen es heute mehr denn je monoton um Genitalien und Stellungen geht. Das ist in diesem Fall ein Vorteil; vorher hatten dazwischen noch mehr Horror-Geschichten Platz, die auf unsägliche Weise Vorurteile pflegten und Panik schürten. Deutlich konsequenter, und gerne mal auf dem Index, sind die Titel „Sexy“, „Sexwoche“ und „Schlüsselloch“. Abgerundet wird dieses Segment durch Angebote wie schluck-alles.de.

Fast jede zweite verkaufte Klatschzeitschrift stammt aus dem Hause Bauer. Sie bedienen unterschiedliche Niveaus, am liebsten aber jenes, auf dem es genügt, wenn Günther Jauch in der „Achtziger Jahre Show“ darüber scherzt, wie gefährlich lange er damals in der Sonne gelegen habe, um daraus ein Titelthema zu stricken: Die Angst, in der Jauchs Familie wegen des Hautkrebses lebe.

Mehr noch dominiert Bauer den Markt der Fernsehzeitschriften und verdankt ihm sein größtes Format: „TV Movie“, die zu besten Zeiten mehr als drei Millionen verkaufte und heute noch zweieinhalb Millionen Exemplare abesetzt. Ihr Konzept einer vierzehntäglichen Fernsehzeitschrift mit umfangreichen Spielfilmtips war zwar eigentlich Dirk Mantheys Idee – sein Milchstraßenverlag hatte es mit „TV Spielfilm“ erfunden. Kreativität ist nicht die Stärke des Verlags oder seines Verlegers. Beide beherrschen aber eine Umsetzung im Detail, die bei den Massen ankommt. Notfalls zögert der Verlag nicht, seine Macht durch Preiskämpfe zu verteidigen: Als ein Konkurrent ein neues Segment im Fernsehzeitschriftenmarkt eröffnete – billiger und dünner als „TV Movie“ und „TV Spielfilm“ – setzte Bauer schnell ein eigenes Heft namens „TV 14“ zusammen und verkaufte es so lange zum Schleuderpreis, bis es alle Auflagenrekorde gebrochen hatte und die kleineren Mitbewerber abgehängt hatte. Mitbewerber, die nicht über die Fließbandproduktion und das finanzielle Polster des Bauer Verlages verfügten, dessen Verleger angeblich schon persönlich nachzählt, ob in einer Druckerei nicht zu viele Lampen hängen.

„TV Movie“ war lange ein strategisch besonders wichtiges Objekt für Bauer, weil es den Weg zu Anzeigen von Markenartiklern eröffnete. In die meisten anderen Blätter traute sich kaum ein Unternehmen, das einen Ruf zu verlieren hätte. „TV Movie“ war die erste Bauer-Zeitschrift, die sich nennenswert aus Werbeerlösen finanzierte. Bauer-Blätter sind Vertriebs-Zeitschriften, und damit war viele Jahre ein Makel und ein Minderwertigkeitskomplex verbunden. Als Heinz Bauer 1999 den PR-Profi und ehemaligen Kohl-Sprecher Andreas Fritzenkötter als Verlagssprecher engagierte, der auch die „Goldene Feder“ neu erfand, ging es nicht nur darum, etwas für die Außenwirkung zu tun. Fritzenkötter nahm sich auch vor, so etwas wie ein gutes Gefühl in der Mitarbeiterschaft aufzubauen. Anders als der Hamburger Rivale Gruner + Jahr, der schöne, edle Hefte herstellte und dessen Journalisten stolz waren, dazu beitragen zu dürfen, war an den Bauer-Zeitschriften nichts schön und edel – außer der Auflage. Die Gruner + Jahr-Zeitschriften hatten Preise, Image, große Namen; die Bauer-Titel waren seelenlose Produkte, von namenlosen Menschen in industrialisierten, rationalisierten Prozessen gefüllt und von Chefredakteuren kontrolliert, die bis zu fünf Titel gleichzeitig führen mußten oder durften. Und doch hatten die Bauers ein entscheidendes Argument gegen den Hochmut der Gruner + Jahr-Leute: Sie machten die Zeitschriften, die Millionen Menschen lesen wollten.

Es ist ein Argument, das jetzt schlagend geworden ist. Mit dem Einbruch der Anzeigenmärkte stehen plötzlich jene gut da, die nie viele Anzeigen hatten. Nicht die Qualitäts-, sondern die Massenpresse. Es ist kein Zufall, daß Bauer bislang im Fernsehen an einem Sender wie RTL 2 beteiligt war. Nicht nur wegen der offensichtlichen Nähe des Verlags, der „Bravo“ herausgibt, zu einem jungen Vollprogramm und nicht etwa, weil der Verlag auf Sex und Provokation festgelegt sei, die das RTL-2-Profil jahrelang ausmachten. Sondern weil ihm die Inhalte egal sind. Während sich die Bertelsmann- und RTL-Leute wanden, wenn RTL 2 sein Heil wieder in neuen Untiefen suchte, war Bauer daran interessiert, daß am Ende das Geld stimmte. Wenn RTL-2-Geschäftsführer Josef Andorfer glaubte, mit Flachsinn am meisten Gewinn machen zu können, gut. Wenn er glaubte, durch den Verzicht darauf am meisten Gewinn machen zu können, auch gut.

Bauer hat im Print-Bereich umgesetzt, was für das Privatfernsehen längst gilt: daß so etwas wie ein verlegerischer inhaltlicher Anspruch an Medien Ballast ist und nur die Quote zählt. Er hat längst die Sparmentalität in seinem Unternehmen umgesetzt, die zumindest in den nächsten Jahren das Fernsehen prägen muß, das weitere schmerzhafte Schritte noch vor sich hat. Bauer steht dafür, dies durchzusetzen. Und schließlich gewinnt er so die Millionen Kunden zurück, die ihm in den vergangenen Jahren verlorengegangen sind, als das Fernsehen die Themen der Boulevardpresse entdeckte.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Einen links, einen rechts, das ZDF fallenlassen

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Markus Söder kämpft für die CSU gegen die Sozis im Sender und für einen konservativen Programmdirektor – uns zuliebe natürlich.

Am Freitag entscheidet der ZDF-Verwaltungsrat, wer neuer Programmdirektor werden soll. Alles spricht für Fernsehspielchef Hans Janke – außer, daß er nach der schlichten Farbenlehre als „Roter“ gilt und Intendant Markus Schächter der einzige „Schwarze“ in der vierköpfigen ZDF-Spitze wäre. In der CDU gibt es inzwischen Stimmen, die sich trotzdem für Janke aussprechen. Wortführer der Gegner ist Markus Söder, Chef der CSU-Medienkommission und Mitglied im ZDF-Fernsehrat.

Herr Söder, Sie haben das ZDF öffentlich kritisiert: Im Wahlkampf sei „in den Redaktionsstuben linke Politik gemacht“ worden. Sie haben das Thema in den Fernsehrat gebracht. Gab es Beschlüsse dazu?

Wir haben gemeinsam festgestellt, die Debatte künftig in den zuständigen Ausschüssen zu führen.

Das heißt, Sie äußern sich in Zukunft weniger und anders?

Das hängt von Fall zu Fall ab. Die Situation ist nach der Wahl mehr als schwierig. Es gibt schon sehr viele Kritikpunkte an der Berichterstattung. Ob es um die „Endspurt“-Reportage ging, die Themenauswahl in „Frontal 21“ und das dortige „Kanzlerduell“ zweier Puppen, die Zusammensetzung des Publikums bei Sendungen wie „Nachtduell“, die Auswahl der Gäste von „Berlin Mitte“, bei der es meistens ein Verhältnis von drei zu zwei für Rot-Grün gab. Diese Fälle wollen wir jetzt intern aufarbeiten. Dann sehen wir, ob sich das bessert oder sich der Trend fortsetzt.

Dem ZDF ist schon vieles vorgeworfen worden, aber selten, ein linker Sender zu sein.

Ich würde nicht pauschal sagen, das ZDF ist links. Das ist viel zu einfach und würde dem Gesamthaus nicht gerecht. Aber es gibt aus unserer Sicht eindeutige Tendenzen bei der Themensetzung in der Aktualität und bei Magazinen.

Ein Trend, daß die meisten ZDF-Journalisten links sind?

Einige schon. Das sind natürlich alles professionelle Journalisten – aber die Art, wie die Themen aufbereitet wurden, war sehr oft an die Regierungssicht angelehnt.

Deshalb drohen Sie, man müsse „an die Rundfunkgebühren ran“.

Diese Debatte ist sehr ernst und wichtig. Das ZDF ist eine Länderanstalt, da müssen sich die Menschen auch wiederfinden. Die Bayern sind treue und unglaublich viele Gebührenzahler – und bei uns hat die CSU über 58 Prozent erreicht. Diese Bürger wollen sich auch im Programm wiederfinden. Sonst stellt sich schnell die Frage: Gebühren zahlen für etwas, bei dem man sich nicht repräsentiert fühlt? Oder diese noch erhöhen?

Kann es sein, daß Sie Ihr Interesse und das Parteiinteresse mit dem Zuschauerinteresse verwechseln?

Ich verstehe mich als Anwalt der Gebührenzahler und als Kontrolleur einer öffentlich-rechtlichen Anstalt. Ein Fernsehrat ist kein Lobbyist des ZDF. Meine Aufgabe besteht darin, darauf zu achten, für was Gebühren verwendet werden.

Der Gebührenzahler hat also ein Interesse, daß der neue ZDF-Programmdirektor konservativ ist?

Das ZDF ist zur Ausgewogenheit verpflichtet. Alle gesellschaftlich relevanten Gruppen müssen sich entsprechend ihrer Stärke wiederfinden; im Programm und letztlich in der personellen Mannschaft.

Sie kämpfen nicht für die Union, sondern für die Zuschauer gegen einen Programmdirektor Hans Janke? Ist das Ihr Ernst?

Ich nehme an, Sie wollen darauf hinaus, daß es dem Zuschauer letztlich egal sein kann, wer da sitzt.

Nein, aber welcher Partei er angeblich nahesteht.

Natürlich wäre es zu kurz gegriffen, allein aufs Parteibuch zu schauen. Daß die Leute Kompetenz haben müssen, ist keine Frage. Kompetenz steht an erster Stelle, aber an zweiter, aus welchem gesellschaftlich-politischen Milieu er kommt und ob sich damit die gesellschaftlich relevanten Gruppierungen repräsentiert fühlen. Es geht nicht darum, ob die CSU glücklich ist. Es geht darum, ob das ganze komplizierte Geflecht der gesellschaftlich-relevanten Kräfte repräsentiert wird im ZDF.

Und Thomas Reitze oder Thomas Bellut wären eine gute Wahl, weil sie als konservativ gelten?

Weil sie es können und weil es im Rahmen der Intendantenwahl bezüglich des Programmdirektors eine klare Vereinbarung gab. Ich denke, es wäre sinnvoll, diese Strukturen zu erhalten.

Hatten Sie den Eindruck, daß die Art, wie die Intendantenwahl auf der Grundlage dieser Strukturen stattfand, gut war fürs ZDF?

Nicht unbedingt. Ich würde manches ändern. Ich halte es für falsch, daß nicht nach zwei Wahlgängen eine einfache statt einer Dreifünftel-Mehrheit genügt. Das hat ja zu dieser Problemlage geführt.

Das? Oder eher, daß es immer allein darum geht: Welcher Partei steht jemand nahe? Sie sprechen von „gesellschaftlich relevanten Gruppen“, aber was zählt, ist nur, daß Janke als SPD-Mann gilt, Bellut als CDU-Mann.

Völlig unbedeutend ist es nicht.

Ist das gut fürs Fernsehen? Ist das im Interesse der Gebührenzahler?

Wir haben eine repräsentative Demokratie in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, und die definiert sich über diesen pluralistischen Ansatz. Das hat sich 50 Jahre in vielen Bereichen von Gesellschaft und Politik bewährt. Das ZDF unterliegt den gleichen Prinzipien. Ich finde nicht, daß man das in Frage stellen sollte, bloß weil man mal bei einer Personalentscheidung nicht gleich die augenscheinlich „schnellste“ Lösung hat.

Viele, die sich auskennen, sagen öffentlich, sie halten Janke für die beste Wahl. Beeindruckt Sie das?

Natürlich nimmt man diese Stimmen ernst. Ich weiß allerdings nicht, ob zum Beispiel das massive Werben von Gottschalk dem Kandidaten nützt. Entscheiden müssen andere. Ich bin fest überzeugt, daß der Intendant am Freitag dem Verwaltungsrat einen Vorschlag macht, der mehrheitsfähig ist.

Sind Sie selbst mehrheitsfähig? Der Fernsehratsvorsitzende Polenz, CDU, sagt, der Einfluß der Parteien solle nicht zu groß werden, man dürfe nicht jeden Personalvorschlag politisch diskutieren.

Ich habe das so verstanden – und da stimme ich ihm auch zu -, daß man nicht jede Personalie öffentlich dauerhaft diskutieren soll.

Genau das tun Sie.

Nein, das tue ich nicht mehr.

Haben Sie aber getan.

Ich habe einen Diskussionsbeitrag zu dem Thema gegeben. Ich denke, das war wichtig und richtig. Aber ich habe Herrn Polenz so verstanden, daß wir das nicht dauerhaft fortsetzen wollen. Vor allem nicht bei jeder kleinen Personalie.

Polenz sagt: „Ich halte es nicht für sachgerecht, wenn öffentlich über Personen debattiert wird.“

Der Fernsehratsvorsitzende hat im übrigen eine andere Aufgabe als ich. Ich bin der Meinung: Ein bißchen Transparenz schadet nie. Es muß doch Kritik möglich sein, ohne daß gleich gesagt wird, „da wird jemand beschädigt“. Es nützt doch dem ZDF nur, wenn manche Sachen kritisch hinterfragt werden. Ich bin schließlich einer der jüngsten im Fernsehrat, vielleicht formuliere ich manches auch plakativer als ein Etablierter.

Etablierter als Sie kann man kaum sein: Sie halten jeden Unions-Mann für qualifiziert, jeden SPD-Mann für unqualifiziert.

Das habe ich nicht gesagt.

Darauf läuft es hinaus.

Ich habe gesagt, Qualifikation ist das erste. Aber stellen Sie sich vor, es gibt zwei Gleichqualifizierte.

Sie wollen einen Konservativen.

Halte ich insgesamt für die ausgewogenere Lösung. Aber entscheiden müssen es andere.

Sie sitzen als Vertreter der CSU im Fernsehrat. Es gibt Vertreter von CDU und SPD. Ich frage mich, ob da irgend jemand als Vertreter des Publikums oder der Interessen des ZDF sitzt.

Aber das ZDF-Programm ist doch ganz gut. Oder haben Sie den Eindruck, das ist alles schlecht?

Nein.

Dann haben wir doch gute Arbeit gemacht!

Wenn das Programm gut ist, dann trotz des Einflusses der Parteien, nicht wegen.

Das sehe ich nicht so.

Wie sehen Sie jetzt die Chancen für Janke oder für Bellut?

Ich bin optimistisch.

Inwiefern?

Ich bin optimistisch, daß wir eine gute Lösung finden.

Und Sie haben gesagt, daß Sie Reitze und Bellut für gute Lösungen halten und Janke nicht.

Ja, das habe ich gesagt.

Wäre Janke schlecht fürs ZDF oder schlecht für die Union?

Ich glaube, es würde eine schwierige Situation auslösen, die das Gesamtvertrauen zwischen ZDF und Kontrollgremien betreffen könnte.

Haben Sie überhaupt Indizien, daß Leute wie Janke oder Schächter Entscheidungen aufgrund ihrer Parteipräferenzen fällen?

Es sind ja Leitungspositionen bei der größten Fernsehanstalt in Europa. Da hat jede Aufgabe eine politische Dimension.