Hadder da Gummibärchen?

Süddeutsche Zeitung

Stefan Raab und die „Bild“ streiten sich ein wenig.

So viel steht fest: Stefan Raab war in Stockholm. Mark Pittelkau, Klatsch-Nachwuchshoffnung der Bild-Zeitung, auch. Sie haben sich getroffen, um ein Foto zu machen. Doch schon über die Frage, wo genau, gehen die Aussagen auseinander. Und darüber, ob Raab dabei vor dem Schloss mit Waffengewalt abgeführt wurde, ob ihm zwei 16-Jährige mit den Worten „Hadder denn da wat, un wenn ja, was hadder da“ in den Schritt griffen und ob er zum Frühstück Gummibärchen isst – wegen der Potenz. Es ist ein absurder Streit entstanden.

Raab sagt, der Bild-Artikel, der am Tag vor dem Grand Prix erschien, sei frei erfunden. Sein Management hat protestiert, Gegendarstellung und Widerruf gefordert; die Bild bleibt bei ihrer Darstellung, ist aber intern etwas desorientiert. Unterhaltungschef Manfred Meier sagt, man habe eine Unterlassungserklärung abgegeben, das sei Routine: dass man die Fakten nicht wiederhole, heiße nicht, dass sie nicht stimmten. Chefredakteur Udo Röbel widerspricht: Es gebe keine Erklärung; die Rechtsabteilung prüfe. Die Sache ist für beide Seiten keine Petitesse, Röbel hat sich Pittelkaus Darstellung als eidesstattliche Erklärung geben lassen. Dass Details nicht stimmen, muss nichts bedeuten: „Nicht alles, was wir schreiben, ist wahr, aber wir versuchen, wie alle seriösen Zeitungen, der Wahrheit möglichst nah zu kommen“ , sagt Meier. Ach ja.

Pittelkau ist für die Bild ein wichtiger Mann. Er kennt die Schlagerszene — und es gibt nicht viele Journalisten, die bereit sind, Nächte mit Jürgen Drews zu verbringen. Am Samstag bekommt er von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager einen Preis dafür, dass er versuche, „immer das Positive am deutschen Schlager herauszustellen“ . Manche sagen ihm Allmachtsphantasien nach. Nach einem geplatzten Termin bei Raab in Stockholm soll er gesagt haben: „Die Jagd auf Raab ist eröffnet; ich werde ihn in Grund und Boden schreiben.“ Pittelkau, sagt das Raab-Lager, leide darunter, dass nicht Corinna May zum Grand Prix durfte. Raab, sagt das Bild-Lager, leide darunter, dass er nicht so groß ins Blatt kam wie Guildo Horn. Und er gehöre offenbar zu einer neuen Generation von Stars, die selbst bestimmen wollen, wer wie über sie berichte. Jedenfalls sei er nicht halb so gut im Einstecken wie im Austeilen.

„Raab macht sich gegenüber Journalisten oft rar. Wir wollen nicht zulassen, dass die dann einfach Sachen erfinden“, sagt seine Managerin Gaby Allendorf. „Auf der Höhe, auf der sich Stefan jetzt befindet, müssen wir aufpassen, dass Leute ihn nicht für ihre Zwecke einspannen.“ Auf die Spitze treiben will sie den Streit nicht: Wenn Bild nicht nachlege, werde man die Sache auf sich beruhen lassen. Raab besteht nicht einmal mehr auf der Gegendarstellung. Im Herbst will er eine eigene Programmzeitschrift TV Total herausbringen — im Springer-Verlag. Und das ist halt der, in dem Bild erscheint.

Vergesst Harald Schmidt!

Süddeutsche Zeitung

MTV-Ulmen und Viva-Schlegl scheitern an neuen Sendungen.

Jean Pütz behandelte in 25 Jahren Hobbythek nicht nur das Thema „Darm & Po – gesunde Pflege von innen und außen“, sondern auch: „Schabernack – selbst gemacht“, denn Lachen schützt vor Kreislaufstörungen. Eines seiner Rezepte lautete: Man nimmt Schokopudding, wickelt ihn in Papier, zündet das Papier an, legt es nebenan vor die Tür, klingelt und versteckt sich. Wenn der Nachbar das Feuer austritt, hat er die Schuhe voll braunem Glibber. Buhahaha!

Knapp 15 Jahre später besucht MTV-Rückkehrer Christian Ulmen den Pittiplatschweg in einer Berliner Siedlung. Er leiht sich von Herrn Kirsten ein Feuerzeug, lässt sich von der kleinen Jessica Altpapier bringen, sammelt frischen Kot von Hund Tobby auf, rollt ihn in die Zeitung, zündet sie an, legt sie vor eine Haustür, klingelt, rennt ins Auto, wartet, der Mann kommt raus, schimpft, tritt aber nicht aufs Papier. Ulmens Fahrer gibt Gas. „Experiment missglückt“, sagt Ulmen.

Sendung auch. Viele neue schräge Ideen hat er sich für die neue Show MTV unter Ulmen einfallen lassen: Drei Zuschauer als Randgruppe im Studio. Eine lebensgroße Puppe als Assistentin, der Kopf ein Monitor, auf dem der echte Kopf zu sehen ist. Ein prominenter und ein nicht-prominenter Gast und Ulmen, der tut, als unterhalte er sich mit ihnen. Wer den deutschen Fernsehnachwuchs fördern will, müsste als erstes den Jungmoderatoren verbieten, Harald Schmidt zu sehen. Alles an Ulmen und seinem Viva-Gegenüber Tobi Schlegl, dessen neue Vorabendshow Schlegl, übernehmen Sie! ebenfalls seit dieser Woche läuft, ist Schmidt – nur längst nicht so gut: Wie sie mit der flachen Hand auf den Tisch hauen. Mahnend den Zeigefinger heben. Wie sie die großen Fernseh-Gesten parodieren und gleichzeitig sich selbst. Die Möchtegerne-Schmidts sind weder radikal noch originell. Wenn sie mit „Hallo Publikum, ich liebe Euch alle“ auf die Bühne kommen, ist das keine Parodie mehr auf Gottschalk, sondern nur noch Masche. Sie tun, als würden sie die Gesetze des Fernsehens brechen, dabei sind sie damit längst zum vorhersehbaren, langweiligen Mainstream geworden.

Bei Ulmen entstehen dank seiner Schlagfertigkeit und seines Humors wenigstens noch einzelne große Momente des Schwachsinns. Etwa wenn er seinen Gast aufzählen lässt, aus welchen Filmen er sich seinen persönlichen Best-of-Porno zusammengeschnitten hat, die Redaktion das mit einem Piepston überdeckt und dazu einblendet: „Bitte Ruhe bewahren!“

Schlegl hat zwar die größere Bühne, Live-Musiker und einen so hohen Etat, dass er nicht – wie anscheinend Ulmen – die ausgemusterten Kameras vom Offenen Kanal auftragen muss. Das ist aber auch alles, was man zu Gunsten Schlegls sagen kann.

Das Thema Kiffen war übrigens ein roter Faden in beiden Sendungen. Ist das eine Erklärung?

Big Brother

Süddeutsche Zeitung

Wie es Euch gefällt. „Big Brother“ oder die Frage: Experiment außer Kontrolle?

Früher galten die Deutschen als Talkshow-untaugliches Volk. Anders als die Amerikaner wollten sie nur im Publikum sitzen. Mühsam mussten ihnen Anheizer vor der Sendung einschärfen, dass sie doch bitte ihren Teil sagen sollten. Aufstehen, urteilen. Gern auch unfundiert.

Die Deutschen haben gelernt. Heute reichen ihnen drei widersprüchliche Sätze über eine dubiose Familienfehde, um öffentlich zu urteilen. Bei Birte, Bärbel, Vera sagen täglich Zuschauer anderen Menschen, die sie nie gesehen haben, ins Gesicht, was sie von ihnen halten. Dass sie ihre Männer verlassen sollen. Dass sie zu ihren Männern zurückkehren sollen. Dass sie schlechte Mütter sind. Huren. Dumm.

Als Stefan Raab sich über Regine Zindler und ihren Maschendrahtzaun lustig machte, war sie genau so zum Abschuss frei. Jeder durfte urteilen, vor allem über den Geisteszustand der Frau. Man durfte sie vor ihrem Haus anpöbeln und Stücke aus ihrem Zaun schneiden. Das Fernsehen bescherte uns etwas Neues: Menschen, die es wirklich gibt und die wir scheinbar besser kennen als Frau Meier nebenan. Sie sind real, aber auch Kunstfiguren, weshalb wir auf sie nicht so viel Rücksicht nehmen müssen wie auf Frau Meier, sondern nur so wenig wie zum Beispiel auf Donald Duck. Es gibt keine Distanz mehr, keinen Ab- und keinen Anstand.

Und jetzt Big Brother: Noch mehr Nähe, Urteil, Anmaßung. Vor dem Container standen am Sonntag 5000 Fans, um ihren Stars zuzujubeln. Fans? Stars? Es sind ihre Stars, in jeder Hinsicht. Ohne sie, die Fans, wären sie nichts. Daraus folgt: Sie können mit ihnen machen, was sie wollen. „Manuela, du Schlampe“, stand auf einem Banner. Was für ein Spaß. 4,7 Millionen junge Leute haben Zlatkos Ausscheiden am Bildschirm verfolgt. Bei den 14- bis 29-Jährigen sah nur jeder zweite etwas anderes.

Gefährlich ist nicht, einigen Leuten beim Duschen und Pickelausdrücken zuzuschauen. Gefährlich ist, dass diese Leute zu Spielfiguren werden. Sie haben keine Kontrolle über das, was die Öffentlichkeit aus ihnen macht. Das ist gefährlich für die Kandidaten: Zlatko war vor sechs Wochen ein unbekannter arbeitsloser Schwabe. Als er am Sonntag den Container verließ, war er ein Popstar wie Frau Zindler: Bekannt bei Millionen, gleichzeitig Held und Witzfigur. Vielleicht kann er mit diesem plötzlichen Ruhm umgehen, vielleicht nicht. Es ist auch gefährlich für die Zuschauer, die anhand der Shows lernen können, dass es nur auf eins ankommt: Spaß haben. Nicht auf die, nun ja, Menschenwürde der Betroffenen. „Leb, so wie du dich fühlst“, fordert eine Zeile der Big-Brother-Titelmusik. Das ist nicht der Untergang des Abendlandes. Aber doch gespenstisch, die enthemmten Massen draußen zu sehen und die Kandidaten drinnen, die vergeblich versuchen, sich einen Reim auf das zu machen, was sie da hören. Und zu ahnen, dass die TV-Macher sich im Zweifel für Quote und gegen Deeskalation entscheiden würden. Ein Reiz von Big Brother ist es, dass das Experiment jederzeit außer Kontrolle geraten kann.

Reporterin Sophie Rosentreter war die Erste, die Zlatko mit seinem ironischen Spitznamen The Brain anredete. Moderator Percy Hoven interviewte ihn mit unglaublicher Überheblichkeit. Vielleicht erklärt das, warum sich Menschen mit solcher Begeisterung auf diese neuen Anti-Helden stürzen: Weil man sich über sie unabhängig von eigenen Schwächen lustig machen darf – wenn selbst das dümmste Moderatorenpaar im deutschen Fernsehen sich traut, so auf sie herabzuschauen.

Ernsthaft schräg

Süddeutsche Zeitung

Mit Christian Ulmen kehrt die Satire zu MTV zurück.

Christian Ulmen kehrt zu MTV zurück. Er produziert für den Musiksender in Berlin die Sendung MTV unter Ulmen, die voraussichtlich von Mai an montags und mittwochs um 19 Uhr ausgestrahlt wird. Über den Moderator wollen sich weder Ulmen noch der Sender äußern – seine Identität soll im Rahmen eines Gewinnspiels nach und nach gelüftet werden. Nach SZ-Informationen handelt es sich um einen jungen, schlagfertigen Mann mit Moderationserfahrung und schrägem Humor.

Ulmen, 24 Jahre jung, hat bereits mit 12 Jahren zum ersten Mal im Offenen Kanal Hamburg moderiert; mit seiner Schlagfertigkeit und seinem schrägem Humor gilt er als eines der deutschen Moderationstalente. Bis er vor einem Jahr kündigte, war Ulmen der heimliche Star von MTV und ein Symbol für den Anarchismus, für den der Sender einmal stand. Von April 1998 an moderierte er Alarm, eine Sendung, in der er so intelligent wie sinnfrei mit Prominenten vor einer Schrankwand plauderte. Sie war ein Geheimtipp in der Medienbranche, brachte MTV viel Aufmerksamkeit und Lob ein – aber wenig Zuschauer. MTV-Chefin Christiane zu Salm sagte, Alarm habe praktisch „unter Ausschluss der Öffentlichkeit” stattgefunden; sie warf die Sendung aus dem Programm. In der kreuzbraven Nachmittags-Teenie-Show Live aus Berlin, in der Ulmen dann auftauchte, war er unglücklich. Er verließ den offensichtlich auf Mainstream getrimmten Sender mit einer ironietriefenden Pressemitteilung.

Jetzt, sagt er, habe sich der Kurs geändert. Der neue Programmchef Elmar Giglinger „personifiziert für mich, dass es wieder aufwärts geht und MTV es wirklich ernst meint, wieder schräger zu werden”. Giglinger war vorher Programmchef des kleinen Konkurrenten Viva 2 und hatte mit Ulmen schon damals über eine Sendung verhandelt. In MTV unter Ulmen wird der – noch anonyme – Moderator in einer Art Schaltzentrale sitzen und mit Kameras bekannten und unbekannten Menschen in ihren Wohnungen zusehen. „Voyeurismus halt”, sagt Ulmen.

Satirisch und ironisch sollen das Leben von Stars beleuchtet und das Pop-Geschehen der Woche auf- und abgearbeitet werden. Dafür wird Ulmen die Moderation der Nachmittagssendung Fritzbee des Jugendradios Fritz! aufgeben; stattdessen soll er eine Abendsendung oder die Morningshow moderieren. Weitere Fernsehprojekte auf anderen Sendern sind in Planung – im vergangenen Jahr hat Ulmen mit der Produktionsfirma von Harald Schmidt, Bonito, eine Pilotsendung für eine halbstündige Comedyserie gedreht.

Die Welt versteht uns

Süddeutsche Zeitung

Der Grand Prix – eine kleine, kollektive Wochenendpsychose.

Und so wird also im Mai ein finnischer Fernsehkommentator vor der Herausforderung stehen, seinen Zuschauern erklären zu müssen, was Wadde hadde dudde da heißt, wo da Sinn und Witz drin liegen, und was die Deutschen der Welt damit sagen wollen. Das ist nicht das Schlechteste. Hätte der Schlagersänger Marcel gewonnen, hätten die ausländischen Fernsehkommentatoren ihren Zuschauern übersetzen dürfen, was der nette junge Mann, der in drei Minuten nur zufällig mal den richtigen Ton traf, in Adios mit der Zeile meinte: „Nie war so tief jemand bei mir.“

Stefan Raab also fährt nach Stockholm: der Mann, der das Nicht-Ernstnehmen des Grand Prix ernst nimmt wie kein anderer. Mit einem albernen Lied, einer albernen Riesenbrille, albernen Riesenplateausohlen und einer albernen goldenen Uniform. Von über 1,5 Millionen Anrufern stimmten am Freitag bei der deutschen Vorausscheidung 57 Prozent für ihn. Das ist ein so riesiger Vorsprung, dass gleich die Diskussion wieder begonnen hat, ob man mit Handy, dessen Besitz besonders Raab-Fans zugesprochen wird, leichter durchkam als übers Festnetz. Aber er ist so riesig, dass solche Diskussionen unsinnig sind. Interessanter ist da schon die Frage, ob Wadde hadde dudde da nicht nach Say You’ll Be There von den Spice Girls klingt. Natürlich klingt es frappierend nach den Spice Girls. Man würde sich nicht wundern, wenn Raab eine Plagiatsaufregung einfach mal mit eingeplant hat.

Freitag abend also. Natürlich war es schrecklich. Da stehen diese traurigen hoffnungsvollen Figuren, üben sich in großen Posen und versuchen mit dünnen Stofffetzen von noch dünneren Stimmen abzulenken, vom grausamen Reglement zum Live-Gesang gezwungen. In einem Heim-Video treffen wir Marcel in seinem Wohnzimmer, wo er mit Vater und Mutter Reise nach Jerusalem um ein braunes Ledersofa spielt, (das wir bestimmt bald in TV total bei Raab wiedersehen). Die Lieder decken zwar mehr Musikstile ab als je zuvor, aber in jedem ihrer Heimatsegmente sind sie, wenn es sehr hoch kommt, Mittelmaß. Das meiste ist musikalisch so originell wie eine deutsche Version eines Cher-Hits von Mary Roos. Und am Ende stehen alle zusammen auf der Bühne, singen Thank you for the music von Abba und bei soviel Wir-sind-Konkurrenten-aber-haben-uns-trotzdem-lieb möchte man die Titelzeile schon aus Trotz für Ironie halten. Furchtbar.

Einerseits. Andererseits, mal angenommen, es müsse so etwas geben wie einen europäischen Schlagerwettbewerb. Wie sollte eine Vorentscheidung dann aussehen? Doch so: Mit einem Star, der die Menschen polarisiert und vor den Bildschirm treibt. Mit Verrückten, die ihr Plüsch-Keyboard zertrümmern und sich auf der Bühne wälzen, von einer durch genmanipuliertes Fleisch hervorgerufenen Verwandlung in ein Schwein singend (Knorkator, Platz vier!). Mit anderen Verrückten, die glauben, dieser Wettbewerb sei nachgerade dazu verpflichtet, junge Frauen gewinnen zu lassen, die in schwülstigen Arrangements von etwas Frieden oder ganz viel Gott singen (Corinna May, traf den Ton leider auch nur selten, aber das bombastisch, Platz zwei).

Mit vielen Interpreten, von denen man weiß, dass man nie mehr von ihnen hören wird, und wenn doch, dann nur, bis man den Knopf zum Umschalten gefunden hat (ein Gruseleffekt, der traditionell einer der Hauptgründe war, sich diese Vorentscheidung überhaupt anzusehen). Mit ein, zwei Newcomerbands von den Tausenden, die über die Dörfer ziehen und sehr ordentliche Musik machen, für die der Grand Prix die Chance ist, groß rauszukommen – wie in diesem Jahr für die Hamburger Band Kind of Blue, die den dritten Platz für ihr wirklich sehr schönes Lied Bitter Blue feierte, als wäre es ein erster. Mit einer perfekten Inszenierung. Und mit einem Medienhype, für den der ganze Zirkus überhaupt da ist. So gesehen: eine tolle Veranstaltung.

Das mit dem Keyboard-Zertrümmern fand die Bild am Sonntag in offenbar sehr verzweifelter Suche nach einem Aufmacher an einem stinklangweiligen Wochenende ganz, ganz schlimm. Und auch, dass da einer auf der Bühne geraucht hat. Grand-Prix-Senior Ralph Siegel hat – schon wieder – angekündigt, nie mehr teilnehmen zu wollen. „Ich fürchte, das Ausland lacht sich über uns kaputt“, kommentiert einer, der es wirklich wissen muss: Tony Marshall. Die deutsche Frage, was denn die Welt wieder von uns denken soll.

Ach, Tony: Die Welt, die versteht das schon! Am Freitag erzählte der britische Independent seinen Lesern die ganze Geschichte vom Maschendrahtzaun und bezeichnete Stefan Raab als den Mann, der den Deutschen ihren Sinn für Humor wiedergegeben habe. Womöglich wird Raab im Ausland gar nicht unter-, sondern sogar überschätzt. Aber wenn er doch beim Finale ganz hinten landen sollte, wie Siegel – der dort hinten schon war – prognostiziert, dann wäre das auch nett: Mal gucken, was er dann wieder daraus macht.

Gaga? Nur äußerlich!

Süddeutsche Zeitung

Hinter ihrer Prolo- und Fäkalfassade ist die Grand Prix Vorauswahl betrüblich bürgerlich.

Fußball ist unser Leben, und der Grand Prix auch. Nicht für dieselben Leute, klar, auch nicht für ganz so viele, aber doch. Der europäische Schlagerwettbewerb ist genau so unendlich wichtig wie eine Europameisterschaft. Und natürlich genau so unendlich egal. Aber erheben sich vor dem Endspiel oder nach einem 0:3 gegen Kroatien mahnende Stimmen, die sagen: „Regt Euch ab, ist doch nur Fußball?“ Also.

Der Grand Prix ist eine ernste Sache. Er ist wichtig, für ein paar Tage wenigstens, viel länger hält die Aufregung beim Fußball auch nicht an. Danach bleiben von der Schande nur noch geseufzte Kurzverweise, wie „Cordoba 1978!“ (Fußballpleite gegen die Ösis) oder „Berti 1998!“ (Fußballpleite bei den Franzosen) oder „Dublin 1995!“ (Grand Prix-Pleite bei den Iren). So ist das. Es mag ganz großartig sein, wenn Stefan Raab „für Deutschland“ singt. Oder ganz furchtbar. Nur egal ist es nicht, was heute abend so beim deutschen Countdown (20.15 Uhr, ARD) passiert. „Die Politik stellt sich selbst eine Bankrott-Erklärung aus, und wir schicken dann zu allem Überfluss womöglich noch Herrn Raab nach Stockholm“, schreibt einer vorab im Internet ins Gästebuch des Grand-Prix-Fanclubs, sowie den bemerkenswerten Satz: „Als ob die Deutschen in ihrer Geschichte nicht schon genug Schlimmes erlebt hätten . . .“

So schlimm wie dieses Jahr war’s noch nie. Aber das war schon immer so. 1995 wegen Stone & Stone, die später exakt einen Punkt bekamen. 1998 wegen Guildo Horn. 1999 wegen nicht mal Guildo Horn. Seit der MDR 1994 drei Babyhupfdohlen namens Mekado nominierte, die „Wir geben ’ne Party“ trällerten, ist es für Deutschland und den Grand Prix überhaupt schwer geworden, so schlimm zu sein wie noch nie. Bild aber hat die diesjährige Vorentscheidung schon zum „Gaga-Grand-Prix“ erklärt. Also ist es, wenn schon nicht schlechter, wenigstens anders als je zuvor. Stimmt, sagt Jürgen Meier-Beer, Leiter der TV-Unterhaltung beim NDR und Grand-Prix-Beauftragter der ARD. Anders, weil die Titel bis vor einer Woche nicht gespielt werden durften. Deshalb habe niemand über die Musik schreiben können, sondern alle nur über das Image der Beteiligten.

Auftritt Knorkator, fäkalverliebtes Trio mit tätowierter Haut. Auftritt Lotto King Karl, angeblicher Hamburger Aufsteiger Vom-Gabelstaplermonteur-zum-Millionär mit eigentlich unerklärlicher Mediendauerpräsenz. Auftritt Stefan Raab, Profi-Provokateur und Komponist von „Guildo hat Euch lieb“. Auftritt Fancy, aus den 80er Jahren gefallener „King of Disco-Fox“. Auftritt E-Rotic, großbusige Blondinentruppe („Greatest Tits“). Gaga? Keine Frage. Äußerlich.

Dann singen sie, und man wünschte sich, sie wären wirklich Gaga. Aber Fancy hat jemand ein Stück geschrieben, das sich anhört, als sänge die Fußballnationalmannschaft „Go West“. Lotto King Karl erinnert daran, dass man für Geld nicht alles kaufen kann, besonders keine Stimme. Stefan Raab beherrscht als viel beschäftigter Medienprofi das Gesetz der Aufwandsminimierung und hat sich mit einem durchschnittlichen Ritt auf der aktuellen Earth-Wind-and-Fire-leben-doch-noch-Welle beschränkt. Und bei Knorkators „Ick werd‘ zun Schwein“ wollte einer ein bisschen auf Ramstein machen, nun klingt das Ganze noch dümmer als das Original. Dass Bernd Meinunger und Ralph Siegel („Ein bisschen Frieden“) ihnen Talent und Können bescheinigen, muss dazu kein Widerspruch sein. Die Lieder sind furchtbar peinlich oder furchtbar eingängig, meist aber furchtbar belanglos. Und das ist doch eigentlich das, was man von einer deutschen Vorentscheidung zum Grand Prix erwartet – neben Meldungen wie der in der Schlager-Prawda Bild, dass Siegel den Proben in Bremen zeitweise wegen einer Diarrhö fern bleiben musste.

Allerdings ist nur ein echter deutscher Schlager dabei: Marcel, der tapfer versucht, bei seinem Refrain „A-a-a-adios, u-u-u-mon-amour“ ernst zu bleiben. Meier-Beer ist stolz: „Endlich bilden wir das Spektrum der Musik einigermaßen ab.“ Mit Ausnahme des Hip Hop. Eingereicht werden die Titel von den Plattenfirmen. Die meisten Beiträge sprechen dafür, dass dort ein Praktikant mal eben das Demotape seines besten Freundes weiter geleitet hat. Das ist aber gar nicht so. „Das ist in jeder Firma Chefsache“, sagt Meier-Beer: „Wenn ein Titel floppt, sind die blamiert.“ Und dass die Künstler, äh, Teilnehmer in diesem Jahr versuchen, sich mit zur Schau gestellter Gleichgültigkeit zu überbieten, sollte man ihnen nicht abnehmen: „Die haben alle Riesenschiss, nicht zu gewinnen.“ Was wiederum unnötig wäre, weil doch vor zwei Jahren Rosenstolz und Die drei Tenöre nur zweite und dritte wurden, aber hinterher viel mehr Platten verkauften als der große Sieger Guildo Horn.

Knorkator haben übrigens gestreut, sie würden bei ihrem Auftritt in Bremen auf der Bühne onanieren – aber so ein Gerücht reicht inzwischen auch nicht mehr für eine Meldung auf der ersten Seite im Boulevard. Wer heute abend einschaltet, um einen Skandal zu sehen, diesen oder einen anderen, wird enttäuscht.

Kann Spannung Sünde sein?

Süddeutsche Zeitung

„Wer wird Millionär?“ ist ein Erfolg und hat es verdient.

Die gute Nachricht zuerst: Wegen Wer wird Millionär? muss kein Mensch in der Hölle schmoren. Günther Jauch nicht, die Kandidaten nicht und die Zuschauer auch nicht. Denn das Erfolgsgeheimnis der Sendung ist nicht, wie der Spiegel vermutet, Gier. Es ist die Spannung. Und Spannung ist keine Todsünde. Glück gehabt.

Ein Kandidat bekommt 15 Fragen mit je vier Antwortmöglichkeiten. Jede richtige Antwort verdoppelt seinen Gewinn. Bei einer falschen verliert er fast alles. Er kann jederzeit aussteigen. Simples Konzept. Wollte kein Sender haben. Deshalb packte Paul Smith, Chef der britischen Produktionsfirma Celador, die es sich ausgedacht hatte, zum x-ten Termin bei einem Senderchef vier Briefumschläge ein. Mit 250, 500, 1000 und 2000 Pfund und je einer Frage. Die erste: Was machen Aborigines mit Wurleys? Essen? Damit jagen? Damit spielen? Darin leben? Der Senderchef stieg schon bei 500 Pfund aus: Gier trieb ihn nicht. Aber die Spannung hatte ihn sofort gepackt. Er nahm die Show.

In England ist sie der Renner. In den USA (wo sie schon zwei Millionäre schuf) schlägt sie die beliebteste Sitcom Frasier. Sie läuft in Südafrika, Russland und fast ganz Europa. Bei RTL haben am Montag über zwölf Millionen Menschen die bis zum Frühsommer letzte Folge gesehen. Das ist phänomenal.

Wer wird Millionär? funktioniert wie ein klassischer Filmthriller. Es geht um Dramaturgie, Suspense: Die meisten Zuschauer werden einen erhöhten Puls gehabt haben. Musik mit Herzschlag. Lichteffekte, aber im entscheidenden Moment ist alles dunkel bis auf die Gesichter der Protagonisten. Ein Held, mit dem man sich identifizieren kann. Wie beim Thriller wollen die Zuschauer ihm zurufen: Geh‘ nicht da lang! Weil sie wissen, dass am Ende des Gangs die Gefahr droht. Oder es auch nur vermuten. Der Gang aber hat eine Wendung mehr, als wir vermuten; vor der erlösenden Entscheidung liegt immer noch ein Umweg. Genauso zögert Jauch die Auflösung immer weiter hinaus.

Und natürlich geht es bei dem Helden im Thriller nicht um Zweimarkfuffzig oder eine Schürfwunde, sondern um Alles oder Nichts. Deshalb muss es auch bei dieser Show um ganz viel Geld gehen, also am besten gleich um eine ganze Million.

Es gibt wenige Erfolge, die man RTL uneingeschränkt gönnen kann. Dieser gehört dazu. Am Ende der vorläufig letzten Folge sagte Jauch, in den Gesichtern der Kandidaten habe man „menschliche Leidenschaften gesehen, Abgründe, die sich offenbaren, Hoffnung, Glück, Dramatik, Trauer, Zuversicht, alles, was das Leben zu bieten hat“. Das ist ein Werbesatz und doch wahr, denn natürlich geht es auch um Voyeurismus. Andere Shows bedienen ihn mit 100 Tagen in Quarantäne und lebensgefährlichen Stunts. Es funktioniert auch mit 15 Fragen. Allein für diesen Beweis muss man Wer wird Millionär? mögen.

Die schlechte Nachricht zum Schluss: Die Nachahmer, die jetzt kommen, werden sich nicht auf Spannung allein verlassen. In den USA gibt es schon den verschärften Nachfolger, der auch an die Instinkte des Menschen appelliert, aber vor allem an niedere. Der Nachfolger heißt Gier.

P.S.: Wurleys heißen die Hütten der Aborigines.

„Scheitern ist meine Welt“

Süddeutsche Zeitung

Herbert Feuerstein über sein „Morgengrauen“ an Silvester.

„Genug gefeiert, jetzt folgen tausend Jahre Kater“, sagt Herbert Feuerstein am Neujahrsmorgen. Von 0.30 bis 6 Uhr ernüchtert er die Menschheit: live im WDR-Fernsehen unter dem durchaus programmatisch zu verstehenden Titel „Feuersteins Morgengrauen“.

SZ: Herr Feuerstein, Sie haben keine Chance.

Feuerstein: Wieso?

Während Sie granteln und grübeln, läuft im MDR „Musik zum Tanzen“, auf N3 „Disco Inferno“ und auf Sat.1 „Jetzt geht die Party richtig los – das Beste aus Elmis witziger Oldie-Show“!

Ach, ich bin es gewohnt, für mich und ein paar Tiere zu senden. Andererseits glaube ich nicht, dass ich alleine bin mit meinem Mangel an Glücksgenen. Es ist ja nicht so, dass ich sauertöpfisch ins neue Jahrtausend gehen und Leute mit runterziehen will. Aber für mich ist das Normalität: Ich grüble jeden Morgen über Existenz und Sinn des Daseins nach. Andere offenbar auch: Massenhaft werden Millenniums-Reisen abgesagt, im Supermarkt sieht man mehr und mehr Leute, die Einkaufswagen voller Nudeln und Orangensäften schieben, weil sie mit dem Weltende rechnen. Die werden da sein, um halb zwölf nach Hause gehen und warten. Und dann werden sie erleichtert sein, wenn nichts passiert ist.

Und um halb eins, wenn Sie anfangen, liegen sie im Bett oder sind besoffen.

Nichts dagegen, solange sie nur zuschauen. Man macht und hofft, dass es einer guckt. Wenn niemand guckt, kann man auch nichts machen. Ich sehe mich ein bisschen als Hüter einer aussterbenden Gattung: der Live- Sendung. Ich finde es spannend, nicht zu wissen, wo es hingeht. Nach einer Stunde verlierst du den Boden — dann wird’s interessant.

Und der WDR war sofort begeistert von der Idee?

Sie glauben nicht, wie hart wir dafür gekämpft haben. Die wenigen Sachen, die mir Spaß machen, unterzubringen, war und ist immer eine Heidenarbeit. Als wir das Konzept Anfang des Jahres vorlegten, wurde es abgeschmettert. Ende des Jahres haben die dann gemerkt, dass in all der Feierei vielleicht eine Farbe fehlen könnte. Als ich mich dann vorsichtig wieder meldete, hieß es: Ja, toll, wir haben eh kein Geld, dann können wir so was ja machen. Deshalb sitze ich die ganze Sendung im Büro von Intendant Fritz Pleitgen. Jeder andere Ort hätte werweißwas gekostet, für Umbau und so. Und Pleitgen hat eben Vertrauen in mich — naja, in wen sonst? Das Einzige, was er gemacht hat: Er hat an der Wand ein ganz teures Bild — ich glaube, das ist die Grundlage, dass der WDR Kredite kriegt, — das wird abgehängt, aus Versicherungsgründen.

Und er ahnt nicht, dass Sie sein Büro verwüsten könnten?

Das mit dem Verwüsten dürfen Sie nicht mal andeuten, sonst rückt er den Schlüssel nicht raus … Ich werde das Büro pfleglich behandeln. Er wird es mir selbst übergeben. Um halb eins schließ ich mich da oben ein. Auf dem Dach ist ein klassischer Gitarrist. Ich stelle mir das einfach schön vor: wie er da oben steht. Vor dem Kölner Dom. Bei minus vier Grad. Und die Finger nicht bewegen kann. Das ist Kunst. Kunst kommt nicht von Können. Kunst ist Versuchen und Scheitern. Das ist meine Welt. Wir machen Verbindungen mit Bild-Telefon und gucken in fremde Fenster; die Leute können faxen, anrufen und mailen. Wir schalten zu Korrespondenten, Zukunftsforschern und Philosophen. Wir haben eine Feng-Shui-Frau, die uns sagt, wie wir das neue WDR-Gebäude umbauen müssen, damit das Programm besser wird.

Und Ihr Fernseh-Hund Billy?

Der kann wie viele Hunde die Knallerei nicht ab. Ich hab mich nach Ohrstöpseln erkundigt, aber das mögen die Hunde nicht so gern. Als Alternative hatte ich gefragt, ob Fritz Pleitgen seinen Hund hergibt, aber der will auch nicht. Ich werde also zu Billy eine Bildtelefonschaltung machen und ihm einen Geruchsbrief schicken.

Einen Geruchsbrief.

Ja. Man kann ein Papier einen Tag lang in die Unterwäsche schieben und dem Hund schicken. Der wird verrückt vor Freude und frisst den Brief.

Hm.

Sie brauchen da gar nicht zu muffeln, Sie kriegen den Brief ja nicht! Wenn Sie dem Hund regelmäßig so was schicken, wartet der schon am Briefschlitz. Frauen machen so was nicht.

Jedenfalls wird Feuersteins Morgengrauen ganz schön schräg, oder?

Ich habe noch nie was Schräges gemacht, sondern immer das, was mir ein Bedürfnis ist. Naja, meistens wenigstens. Ich möchte Sachen machen, die nicht langweilig sind, neu sind, Anstöße geben. Ich versuche, den kleinen Vorteil, den man als Älterer hat, zu nutzen, und bohre, dass man den Versuch nicht aufgibt, im Fernsehen ein paar neue Nischen zu öffnen. Das ist so selten geworden!

Was haben Sie in anderen Jahren an Silvester gemacht?

Ich habe mich eingeschlossen und die Steuern gemacht.

Ernsthaft?

Ja, ich bin ganz ungeeignet zum Feiern. Ich bin zu depressiv. Ich spüre den allgemeinen Freudendruck, der auf der Menschheit lastet. Dieser Freudenschleim dringt dann durch Tür und Schlüsselloch und erstickt mich und macht mich ganz traurig, weil ich merke: Ich bin ein Außenseiter, ich kann da nicht mitmachen. Nur das Steuernzahlen tröstet mich.

Und nun das Wetter

Süddeutsche Zeitung

Es wird wärmer und menschlicher zwischen Azorenhoch und Blumenkohlwolken: Wie die Vorhersage durch das Privatfernsehen erst verständlich und dann Show wurde.

Die Geschichte des Deutschen Fernsehens lässt sich einteilen in Zeiten mit und ohne Frontensysteme. Deshalb können junge Menschen heute mit so vielen Begriffen nichts mehr anfangen. Subpolare Luftmassen. Ausläufer eines Azorenhochs, die in den nächsten Tagen wetterbestimmend wirken. Nordflanken, auf denen der Zustrom milder Meeresluft nach Mitteleuropa anhält. Oder das Wort „örtlich“, dessen Rolle in der deutschen Sprache sich weitgehend darauf beschränkte, die „Nebelfelder“ zu begleiten, mit denen zu rechnen war. Bis in die 90-er Jahre hielt der Zustrom endloser Sätze mit Substantivmassen an und wirkte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wetterberichtsbestimmend. Dann kam das Privatfernsehen und machte aus Frontensystemen eine aussterbende Art.

Dabei taugte schon die öffentlich-rechtliche Wetter-Geschichte für Revolutionen. 1977 hörte die ARD auf, das Wetter für Deutschland in den Grenzen von 1937 vorauszusagen. Bereits 1969 durfte Dr. Karla Wege im ZDF zunächst vor Pappen auf einer Stafette und später drei drehbaren Tetraedern den Wetterbericht präsentieren – zwei Jahre vor der ersten Nachrichtensprecherin.

Die Vorhersagen entsprachen den Prototypen öffentlich-rechtlicher Informationsvermittlung: Als staatstragender, höchst korrekter, überaus unverständlicher Bericht im Ersten. Oder als didaktischer Vortrag im Zweiten. Dr. Karla Wege und Dr. Uwe Wesp standen noch mit Zeige-Stöcken vor den Karten. Dass sie Wolken und Luftdrucklinien nicht erst in der Sendung aufmalten wie ein Lehrer, lag nur daran, dass die Kreide zu sehr gequietscht hätte, sagt Wesp.

Auch bei den Privaten spiegelt sich im Wetterbericht ihr grundsätzliches Prinzip: Entweder ganz schnell und knapp. Oder ausführlich, aber dann als Show. Bei Sat 1 turnte zeitweise ein glatzköpfiger Komiker namens Manfred Erwe, der heute für Lockenwickler wirbt, auf einer dreidimensionalen Karte herum. Dass er schneller in Vergessenheit geriet als alle wetterbestimmend wirkenden Tiefausläufer in der ARD, lag nach Meinung von Jörg Kachelmann aber eher daran, dass die Prognose so selten stimmte.

Uwe Wesp ist heute Sprecher des Deutschen Wetterdienstes, der auch Privatsender mit maßgeschneiderten Vorhersagen beliefert. „Bei den Öffentlich-Rechtlichen wird der Wetterbericht immer noch meist als Nachricht verpackt“, sagt er, und dafür gebe es gute Gründe. Mit einer Show komme man schnell in Schwierigkeiten: Wenn nämlich die Wetterlage, über die der Präsentator am Vortag Faxen gemacht hat, zu bösen Schäden führt, vielleicht Menschenleben kostet. Wetter ist eine ernste Sache.

Dass der Wetterbericht heute verständlicher ist, liegt nach Ansicht von Wesp vor allem an der Technik: Satellitenfilme, bunte Temperaturverläufe, computeranimierte Regenfälle. Die private Konkurrenz, die das Wetter als attraktives Zugpferd entdeckte, habe die Sache nur beschleunigt. Auch wenn es den Wettermann schmerzt, der den Menschen gern etwas beibringen würde: „Ob Hoch oder Tief ist den Leuten völlig schnurz, die wollen wissen, wie das Wetter wird.“

Kollege Kachelmann, Martin Luther der Wetterkarte im Ersten, sieht seine Arbeit überhaupt nicht durch die Privaten angestoßen. Aber ohne sie hätte er es vor fünf Jahren nicht — gegen den Widerstand des Jahrzehnte langen Wetterverwalters Hessischer Rundfunk — bis vor die „Tagesschau“ geschafft mit seiner flapsigen Form. „Das war die Revolution, aber wir haben`s nicht gewusst“, sagt er. Kalkuliert war nichts. Er brachte einfach seine „gesunde Grundvulgarität“ mit. Wobei revolutionär weniger die vielzitierten „Blumenkohlwolken“ waren. Kachelmann sprach erstmals davon, dass es „kälter“ wird, und nicht von einem „Temperaturrückgang“. Und er schaffte die Niederschläge ab. Niederschläge! „Geregnet“ hat’s früher nie.

Heute wird sogar geflogen im Ersten. Mal von Erfurt nach Stuttgart, mal von Rostock nach Nürnberg führt ein Trickfilm unter Wolken oder Hagel hindurch. „Grotesk“ findet Kachelmann das, weil es nicht aussieht, wie ein Flug aussehen würde, und der Nutzen für den Zuschauer im Neblig-Trüben bleibt.

Aber es ist bunt und unterhaltsam und gelegentlich fliegt die Animation da vorbei, wo der Zuschauer zu Hause ist. Auch beim Wetter bedeutet „Quote“ nicht mehr nur die Trefferwahrscheinlichkeit bei der Vorhersage.

Bastian Pastewka

Süddeutsche Zeitung

Der Große mit dem warmen Bruder.
Deutschland lacht – Bastian Pastewka, ein stiller Star in einem lauten Gewerbe. Heute startet „Brisko’s Jahrhundert-Show“.

Wenn einer, so lange er denken kann, das Fernsehen als besten Freund hatte, weil es „immer das Beste war, was es gab“, er mittwochs nicht schlafen konnte aus Sorge, donnerstags Sindbad der Seefahrer zu verpassen, er heimlich bei der Oma Aktenzeichen XY guckte und sich an die ARD-Kindersendung Spaß am Montag erinnert, wenn einer vier Videorekorder hat, um das Nachtprogramm zu konservieren, dann ist es für einen erst 27-Jährigen ein großer Tag – wenn Wetten dass . . .? anruft!

Zum Glück passierte das bei Bastian Pastewka erst kurz vor der Sendung, so dass er nicht viel Zeit hatte, Freunde und Kollegen vor Aufregung in den Wahnsinn zu treiben. Aber da für Leute wie ihn eine Unterhaltungssendung nicht nur eine wichtige, sondern auch eine ernste Sache ist, hüpfte Pastewka, längst mehr als ein Nachwuchs-Komiker aus der Sat 1-Wochenshow, natürlich nicht einfach aufgeregt neben Gottschalk aufs Sofa. Es sollte unterhaltsam und überraschend und passend sein. Eine eigene Wette vom Wettpaten, das hatte es noch nie gegeben. Gemeinsam mit der Redaktion überlegte er, wie man das so machen könnte, dass es nicht aussehen würde wie ein Fake.

Er wettet also, dass er 40 Titel der Kinderkrimis Die drei ??? auswendig kann – und gewinnt. Nicht nur die Wette. Gottschalk fragt eingangs: „Hat der junge Mann schon Wetten-dass-Größe?“ Später titelt die B.Z: „Wenn Gottschalk ehrlich ist, dann hat ihm dieser junge Mann die Show gestohlen“. Das findet Pastewka nicht korrekt, weil es eine unzulässige Zuspitzung sei, um Aufmerksamkeit auf einen Artikel zu lenken. Ein Gefühl für Gerechtigkeit hat er auch noch.

Die Leute von Wetten dass . . .? wollten, dass er den Brisko Schneider gibt, seine populärste Figur. Das hat er abgelehnt. Weil ein Auftritt als Kunstfigur „rätselhaft“ sei. Weil Brisko als Zugabe lustiger sei. Und weil Brisko neben realen Menschen verpuffe. Pastewka ist einer, der ganz viel reflektiert. Die Fernsehbranche handelt ihn als eines der größten Talente der letzten Jahre. Oberflächlich besteht dieses Talent aus einem unerschöpflichen Repertoire unglaublich dämlicher Gesichtsausdrücke. Weniger oberflächlich aus der Fähigkeit, verschiedensten Figuren in der Wochenshow in drei Minuten gleichzeitig Tiefe, Glaubwürdigkeit und Witz zu geben. Es ist keine Parodie; es ist, wie Pastewka sagt, „eher der Mensch, den man erkennt, ohne ihn zu kennen“. Ein Stereotyp, dem er das Gefühl nimmt, es schon zu oft gesehen zu haben. Wie Ottmar Zittlau, ein unangenehmer, aber harmloser Typ im Trainingsanzug, scheinbar einem Daily Talk entsprungen, mit sonnigem Gemüt. Oder Brisko Schneider. Brisko ist nicht seine beste Rolle. Aber was wäre Pastewka ohne ihn? Noch nicht der neben Anke Engelke beliebteste TV-Komiker.

Eigentlich gibt es Brisko nur wegen Ingolf Lücks großen Füßen. Der wollte eine Lilo-Wanders-Parodie machen, was daran scheiterte, dass es keine Stöckelschuhe in 47 gibt. Das ist Lücks Erklärung, die Pastewka diplomatisch, wie es seine Art ist, die „inoffizielle Version“ nennt. Tatsächlich sei bei den Wanders-Proben deutlich geworden, dass die Rolle anders besetzt werden müsse. Und weil die Wochenshow gerade auf eine Stunde verlängert worden war, habe man entschieden, stattdessen eine ganze Erotik-Sendung-Parodie namens Sex-TV einzuführen. Moderiert wird sie von einem Mann mit festgegelter Playmobil-Männchen-Frisur in zu enger Kleidung, die seine Arme wie Strohhalme erscheinen lassen, die an den Gelenken nur im 90-Grad-Winkel abknicken können und deshalb ausladend herumwirbeln. Brisko kann eine einzige Silbe über drei Oktaven ziehen. Eine siedende Mischung aus Verklemmtheit und Erotik.

Und ein Phänomen. Er sagt „Hallo, liebe Liebenden“, und das Volk tobt. Brisko ist eine Variante des uralten Tunten-Klischees aus Warmbadetag- und Mikrofon-Ständer-Witzen, erweitert um innovative Elemente wie große Tollpatschigkeit und röchelndes „Hähähä“-Lachen. Das führt erstaunlicherweise dazu, dass die Massen nicht nur über ihn lachen, sondern sogar mit ihm. Pastewka sagt nüchtern: „Briskos kindliche Naivität und seine Lust am Ausprobieren, mit der er scheitert, sind ein System, das viele Figuren sympathisch macht.“

Jetzt bekommt er auf Sat 1 eine Serie. Brisko’s Jahrhundert-Show, ab heute Abend sechsmal. Pastewka dementiert schon im Voraus den Verdacht, der Sender könnte ihn zum Einsatz seiner Kultfigur zwangsverpflichtet haben: „Mich hat niemand überredet.“ Und nein, er habe Brisko nicht über. Und grundsätzlich: „Es zieht mich keiner in eine Richtung, in die ich nicht will.“ Sat 1 fragte: Was machen wir mit Pastewka? Antwort: die Parodie eines Jahrhundertrückblicks. Pastewka sagte: Das ist was für Brisko. Weil noch so schöne Elemente nicht funktionieren ohne einen dramaturgischen Rahmen. Um den zu spannen, sei Brisko die optimale Figur. Soweit der Theoretiker. In der Praxis ist es eine große Last für eine Figur, die Pastewka zwar atemberaubend perfekt verkörpert, deren Tiefe aber bislang aus kaum mehr als einem Schwulenwitz bestand und nur für Fünf-Minuten-Sketche reichen musste.

Singend treibt Pastewka diesen Brisko in der Jahrhundert-Show dennoch zu neuen Höhen, mit einer Version von Queens „Bohemian Rhapsody“ etwa. In Filmen verwandelt er sich in Christo, Peter Alexander und Freud, parodiert Dalli Dalli und den Internationalen Frühschoppen. Opulent, mit Liebe fürs Detail. Nur die Drehbücher, die sind mau. Ein hungriger Hitler, der Deutschländerwürstchen braucht? Puh!

Die Serie ist Pastewkas Chance zu zeigen, was er kann. Auf den Titel der Hörzu hat sie ihn schon gebracht. Der ersten Zeitschrift, die er in seinem Leben gelesen hat! Er ist da, wo er immer hin wollte: „Ich sage nicht: Was für ein Zufall, dass es mich getroffen hat. Ich habe dieses Ziel viel zu kompromisslos verfolgt!“ Seine ersten Komik-Versuche unternahm er mit Bonner Freunden. Sie spielten vor 20 Leuten; der Sprit war teurer als die Gage. Er studierte Geschichte und Pädagogik, mit der vagen Aussicht, Museumspädagoge zu werden – aber damit lege man sich ja mehr fest als mit drei Jahren Brisko. Er war Komiker in der WDR-Jugendsendung Lollo Rosso, was seine Bewerbung für die Wochenshow wurde. Heute hat er im Ensemble die bequemste Position: Weder von Boulevard-Hysterie überrollt wie Anke Engelke. Noch ungnädig übersehen wie Ingolf Lück und Markus Maria Profitlich.

Einer wie Pastewka ist in solchen Zeiten zufrieden, aber nicht euphorisch. Auch nicht, wenn er erfährt, dass er eine eigene Show bekommt: „Ich bin keiner, der sofort ausrastet. Ich bin ein ewiger Skeptiker. Bevor die Kiste nicht durch ist, glaub ich nicht, dass sie läuft.“ Kollegen erzählen, dass sich Pastewka manchmal lange, lange in sein Büro zurückzieht, kaum ansprechbar. Er ist 1,90 Meter groß, aber er wirkt nicht so. Nicht dass er sich duckt. Aber selbst als Mittelpunkt steht er da wie eine Nebenperson. Sympathisch, aber distanziert, vorsichtig. Im Gespräch kein kritischer Halbsatz über Sat 1, seinen Arbeitgeber Brainpool oder die Last mit Brisko.

Parallel zur Wochenshow hat Pastewka die neue Reihe entwickelt, gedreht und promotet. Das schlaucht, das ist nicht das entspannte Leben eines Promis, das man sich so vorstellt. „Stimmt“, sagt Pastewka: „Aber ich bin jemand, der es schön findet, jeden Tag mit geregelten Arbeitszeiten irgendwo hin fahren zu müssen.“ Die große Samstagabend-Show, für die er eingeflogen wird, sei nicht sein Traum: „Ich wünsche mir lieber ein schönes kleines Projekt, das lange währt, an dem man basteln kann. Ich bin Ausbesserer, Sachbearbeiter.“

Das mit dem „Promi“ will ihm nicht in den Kopf. Rückblickend findet er keinen Moment, an dem ihm klar wurde, dass mit Wochenshow plötzlich die Post abging: „Es gab nie einen Punkt, wo man sagen konnte: Jetzt bist du berühmt. Das möchte ich mir auch so lange wie möglich erhalten. Weil ich in erster Linie für eine Sendung arbeiten und nicht ein öffentliches Interesse wecken oder befriedigen will.“ Sagt er, und fügt statt des üblichen „ein Stück weit“, das seine Sätze sonst immer relativiert, ein „ganz ehrlich“ hinzu.