Verlegerkampf für eine PC-Presse-Gebühr

Ich wüsste gerne, ob irgendwo in dem Springer-Lobbyisten Christoph Keese noch Reste von dem früheren Journalisten Christoph Keese stecken. Und ob der gelegentlich leise wimmert.

Gestern zum Beispiel, als Keese auf der Veranstaltung „Wer verdient mit welchem Recht?“ in Hamburg eine besonders originelle (und mir neue) Begründung nannte, warum ein Leistungsschutzrecht für Verleger auch im Interesse der Urheber sei: Weil die Verleger, wenn sie erst einmal ein eigenes Recht hätten, aufhören könnten, den Autoren ihre Rechte wegzunehmen.

Man muss dazu wissen, dass die deutschen Verlage seit Jahren versuchen, die Presselandschaft zu einem urheberrechtsfreien Raum für Journalisten zu machen. Die Autoren sollen möglichst sämtliche Rechte an ihren Texten an die Verlage abtreten, und zwar gerne kostenlos, rückwirkend und für alle Zeit. Die Verlage überschreiten dabei mit einer Regelmäßigkeit und Konsequenz das Gesetz, dass man fast von krimineller Energie sprechen möchte, wären die ehrwürdigen und demokratietragenden Verlage nicht über jeden solchen Verdacht erhaben.

Erst in dieser Woche untersagte das Hamburger Landgericht einstweilig eine entsprechende Vereinbarung, die der Verlag der „Zeit“ seinen Mitarbeitern diktieren wollte. Zuvor hatten sich schon der Bauer-Verlag, die Axel Springer AG und der Verlag des „Nordkurier“ mit Versuchen, die Journalisten in ähnlicher Form zu enteignen, vor Gericht blutige Nasen geholt.

Aber Christoph Keese sagt, eigentlich wollten die Verlage gar nicht die ganzen Rechte der Journalisten. Im Gegenteil: Eigentlich seien sie gegen Total-Buy-Out-Verträge. Wenn sie gesetzlich ein eigenes Recht hätten, eben das Leistungsschutzrecht, könnten sie sofort damit aufhören, den Journalisten ihre Urheberrechte wegzunehmen.

Das ist angesichts der Rechtsverletzungen, die die Verlage bei ihren Versuchen, sich auf Kosten der Journalisten zu bereichern, offenkundig begangen haben (die Urteile sind noch nicht rechtskräftig), natürlich eine besonders perfide Aussage. Und andererseits ist sie nicht ganz falsch. Durch ein Leistungsschutzrecht würde die rechtliche Position der Verlage nämlich nicht nur gegenüber vermeintlichen Bösewichten wie Google oder der mythischen Masse von Content-Dieben gestärkt, sondern auch gegenüber den Autoren. Die könnten einen Artikel dann nicht mehr einfach so zweitverwerten, weil das mit dem Leistungsschutzrecht des ersten Abnehmers kollidieren würde.

Keese, Außenminister bei Springer und die treibende Kraft auch hinter der traurigen „Hamburger Erklärung“ aus dem vergangenen Jahr, ist von außerordentlicher Geschmeidigkeit, wenn er auf dem Podium für die Sache der Verlage wirbt. Er redet mich als Mitdiskutant ebenso wie irgendwelche Fragesteller aus dem Publikum mit „mein Lieber“ an und hat extra das Urheberrechtsgesetz als dickes, 411-seitiges Buch mitgebracht — mutmaßlich um seinen Argumenten Gewicht zu geben.

Nur konkret mag er nicht werden, zum Beispiel, was die konkrete Frage der Snippets angeht, der Textausschnitte, die Suchmaschinen wie Google in ihren Trefferlisten anzeigen. Das Zitatrecht, beteuert Keese, solle vom gewünschten neuen Leistungsschutzrecht unberührt bleiben; man werde also auch in Zukunft kurze Textstellen aus den Verlagsveröffentlichungen ohne Genehmigung und kostenlos übernehmen dürfen, um sie zu bewerten, einzuordnen, in einen Kontext zu stellen: Der „Perlentaucher“ etwa könne weitermachen wie bisher.

Und was ist mit Google? Keese sieht einen Unterschied zwischen den Texten, die in der Web-Suche von Google angezeigt werden und einen quasi zufälligen Ausschnitt rund um das gesuchte Wort anzeigen, und den Textanfängen, die in der News-Suche von Google auftauchen. Das erste hält er für unproblematischer als das zweite, weil in den so zitierten Vorspännen nach Angaben von Keese oft viel redaktionelle Arbeit stecke, von der Google profitiere. Ob das bedeutet, dass Google bei einem Presse-Leistungsschutzrecht für die Ausschnitte und Verlinkungen in der News-Suche (mit der sie den Zeitungsseiten im Netz viele Leser verschaffen) eine Genehmigung brauchen und zahlen müssen, konnte ich Keeses Ausführungen nicht entnehmen.

Man kann es nicht oft genug sagen: Die Probleme, unter denen Zeitungen und Zeitschriften gerade leiden, haben nichts mit dem Fehlen eines Leistungsschutzrechtes der Verlage zu tun. Auch Google ist nicht Schuld daran. Die Verlage leiden im Print unter rückläufigen Leserzahlen und vor allem einbrechenden Werbeeinnahmen. Und sie leiden online darunter, dass die Werbeerlöse so viel niedriger sind. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es plötzlich sehr viel mehr Werbeflächen und -möglichkeiten gibt, und dass es für die Industrie oft viel attraktiver ist, zielgerichtet auf den Ergebnisseiten bestimmter (Google-)Suchen zu werben, als neben irgendeinem noch so gut geschriebenen oder viel geklickten Artikel, der von Leuten gelesen wird, deren Interessen man nicht kennt.

Die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht ist nur der leicht durchschaubare Versuch, sich subventionieren zu lassen. Deshalb tun sich Leute wie Keese auch so schwer, die juristischen Details und Notwendigkeiten eines solchen Gesetzes zu erörtern. Ihnen ist völlig egal, was in diesem Gesetz steht, solange es nur sein Ziel erreicht: Das Überleben der Verlage zu sichern. Denn die Verlage sind — nach Ansicht der Verlage — die einzigen Garanten dafür, dass die Bevölkerung gut informiert wird. So lange es ihnen gut geht (wohlgemerkt: den Verlagen; das Wohlergehen der Journalisten ist optional), ist das Funktionieren der Demokratie gesichert.

Nun ist es nicht so, dass es der Axel Springer AG schlecht ginge. Der Google-Vertreter auf dem Podium, der Jurist Arnd Haller, zitierte genussvoll aus einer Pressemitteilung des Verlages, in der ihr Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner sagt:

„Axel Springer hat einen neuen Rekord für das Ergebnis eines ersten Quartals erreicht und die Prognose für das Gesamtjahr angehoben – das beweist: Die Transformation in die digitale Welt bietet für ein Inhalte-Unternehmen viel mehr Chancen als Risiken, und die sehr hohen Gewinnmargen der Zeitungen und Zeitschriften zeigen: Der Abgesang auf das Print-Geschäft ist falsch.“

Keese erklärte, dass es nicht der Journalismus sei, mit dem man das Geld im Netz verdiene, sondern Firmen wie idealo.de oder Zanox. Und andere, vor allem regionale Verlage seien nicht so schlau gewesen, sich rechtzeitig an solchen Unternehmen zu beteiligen, um den Journalismus querfinanzieren zu können. Springer kämpft hier also offenbar, wie der Rechtsanwalt und Urheberrechtsexperte Till Kreutzer süffisant feststellte, gar nicht für sich selbst, sondern ganz uneigennützig für das Wohlergehen seiner kleineren, erfolgloseren Mitbewerber.

Und wer soll dafür zahlen, dass die Verlage überleben können? Nicht nur Google, sondern vor allem die Allgemeinheit. Die Verleger wünschen sich ein Leistungsschutzrecht, das den gewerblichen Abruf von kostenlos im Intenet verfügbaren Zeitungsartikeln vergütungspflichtig macht. Anscheinend bestellen gerade Firmenkunden in größerer Zahl Zeitungs- und Zeitschriften-Abonnements ab, weil die Inhalte ja kostenlos im Netz verfügbar sind.

Was für eine geniale Idee: Die Zeitungsverleger stellen ihre Produkte freiwillig kostenlos ins Netz, weil sie nicht glauben, dass die Leser bereit sind, dafür Geld zu zahlen, kassieren sie aber über den Umweg eines Leistungsschutzrechtes dann trotzdem dafür ab.

Bei einer früheren Veranstaltung nannte Keese das Beispiel eines Bank-Mitarbeiters, der sich auf frei zugänglichen Online-Seiten von Zeitungen auf einen Kunden vorbereitet. Dafür müsste er in Zukunft eine Vergütung an eine Verwertungsgesellschaft zahlen, die die Einnahmen dann an die Verlage (und zu einem noch mit den Gewerkschaften zu verhandelnden Teil an die Urheber) ausschüttet. Aber nicht nur Bank-Mitarbeiter nutzen Inhalte von Online-Medien gewerblich; fast jeder Berufstätige tut es, auch freie Journalisten müssten natürlich zahlen. De facto würde mit dem Leistungsschutzrecht eine Presse- oder Verlags-Subventions-Gebühr auf die zig Millionen Dienst-Computer in Deutschland eingeführt.

Hab ich gerade schon wieder „Subvention“ geschrieben? Nein, „Subvention“ ist das ganz falsche Wort, sagt Springer-Lobbyist Christoph Keese; Subventionen wollen die Verlage nicht, Subventionen sind Geld vom Staat. Aber hier kommt das Geld ja von den Bürgern. Der Staat soll nur die Rechtsgrundlage dafür schaffen.

Eva Herman über diesen, na, Dingens

Ich habe mir Eva Hermans Abrechnungsbuch „Die Wahrheit und ihr Preis — Meinung, Macht und Medien“ gekauft. Ich habe bislang nur flüchtig drin geblättert und es an einer zufälligen Stelle aufgeschlagen. Da steht:

Die Sendung, die der WDR in Köln ausstrahlte, hieß Kölner Runde, mit Bettina Böttinger als Moderatorin und einem weiteren, korpulenten und recht kahlköpfigen Kollegen, dessen Name mir inzwischen wieder entfallen ist.

Mal abgesehen davon, dass das schon erstaunlicher Wille zur Nicht-Recherche ist für eine Frau, die anderen Schlampigkeit und Unwahrhaftigkeit vorwirft …

… hieß die Sendung „Kölner Treff“ (und der „korpulente und recht kahlköpfige“ Moderator Achim Winter).

Womöglich werde ich das Buch noch lesen und auch etwas drüber schreiben. Aber bislang, muss ich sagen, hat es meine Erwartungen voll erfüllt.

Ohne Windschutz in Oslo


Zeichnung: Elias Hauck (ursprünglich für die „taz“)

Bevor hier das Alltagsgenörgel wieder losgeht, muss ich noch ein bisschen vom Oslog schwärmen. War das anstrengend! Hat das einen Spaß gemacht!

Ich hatte vorher überhaupt keine Erfahrung mit Filmen und Schneiden, Lukas hat immerhin schon diverse Familienfeste und -reisefilme gedreht und geschnitten und Beiträge für „Coffee And TV“ produziert. Aber natürlich sind es lächerlichste Anfängerfehler, zwar mit einer supermodernen Kamera nach Oslo zu reisen, aber nicht die Paareurofünfzig für einen Windschutz und ein Stativ auszugeben. Deshalb sind wir zum Beispiel einen Abend ungefähr eine Stunde lang hilflos um die Oper herumgeirrt auf der (vergeblichen) Suche nach einem Ort, wo wir die Kamera so abstellen können, dass wir vor dem fantastischen Gebäude im Bild sind. Und deshalb sieht man in der letzten Folge auch nur die Spitze des Segelschiffes hinter uns. Andererseits mag ich die schrägen Perspektiven, die sich dadurch ergeben, dass die Kamera irgendwo auf dem Boden liegt (oder, wie man am Anfang von Folge 6 sieht, auf anderen zufällig gerade verfügbaren Utensilien).

Interessant war auch die Erfahrung, vom Moderationsdreh vor dem Schloss in Oslo nach Hause zu kommen und zu bemerken, dass ein fieses Störgeräusch auf unseren ganzen Aufnahmen liegt. (In den 20 Minuten, bis wir gemerkt haben, dass es nur auf einem der beiden Tonkanäle liegt, bin ich um ca. 20 Jahre gealtert.)

Aber wir haben versucht, den Mangel an Professionalität durch Spaß an der Sache auszugleichen, und ich bin ein bisschen stolz, wie gut das funktioniert hat.

Wir hatten vorher ungefähr nichts geplant, und der Ausdruck „unvorbereitet“ ist fast ein Euphemismus für unsere Zwischenmoderationen. Erschreckenderweise (und vermutlich aufgrund der zunehmenden Müdigkeit) wurden wir auch nicht besser, sondern schlechter im Auf-den-Punkt-Kommen, weshalb das Rohmaterial Tag für Tag länger wurde. Abends setzten wir uns dann ins Hotelzimmer, lernten schmerzhaft die komplizierten orts- und zeitabhängigen Regeln für die Verfügbarkeiten von Bier in Norwegen kennen, überspielten unsere endlosen Aufnahmen, sichteten den Stoff und schnitten uns einen Wolf. Ich fürchte, man kann die Folgen, die wir nicht von 20 bis 0 Uhr, sondern von 23 bis 3 Uhr geschnitten haben, ganz gut erkennen.

Der Export der letzten Folge am Sonntag nach YouTube war ziemlich genau zehn Minuten, bevor der Zug zum Flughafen abfuhr, fertig — was angesichts von sieben Minuten Fußweg und zweieinhalb Minuten Kampfzeit mit dem Ticketautomaten unnötig aufregend war. (Und vielleicht kann ich bei dieser Gelegenheit noch darauf hinweisen, dass ich vor meiner „Satellite“-Performance vor dem Hauptbahnhof knapp vier Stunden geschlafen hatte, was man an meinen Augen ganz gut erkennen kann, und dass Lukas mit eineinhalb in die Kamera genuschelten Strophen als Einlösung meines Wetteinsatzes völlig zufrieden war.)

Vermutlich erschließt sich auch höchstens ein Bruchteil der, nun ja: Pointen. Aber uns hat es einen riesigen Spaß bereitet, die Schnipsel überraschend zu montieren und jeweils eine Szene herauszusuchen, die sich eignet, als Pre Roll noch vor den Vorspann zu kommen. Und dadurch, dass wir Oslog.tv auf eigene Faust gemacht haben und nicht an irgendeine Zielgruppe oder die Bedenken irgendwelcher Auftraggeber denken mussten, konnten wir so albern sein, wie wir wollten. Und wir konnten die virtuelle Heimat einfach von einem genialen Verrückten wie Herm gestalten lassen.

Für mich ist oslog.tv ein weiteres Beispiel für die großartigen neuen Möglichkeiten, die die Digitalisierung und das Internet bieten. Es ist heute so einfach, Dinge zu produzieren und zu publizieren, für die vor Jahren noch ein riesiger, teurer Apparat nötig war. Wir haben alles an einem einfachen MacBook geschnitten und mithilfe von YouTube und WordPress veröffentlicht. Selbst deutsche Untertitel bei der Folge mit dem finnischen Pyrotechniker lassen sich bei YouTube inzwischen ganz leicht einblenden (wie ich nach nicht viel mehr als 17 gescheiterten Versuchen herausfand).

Das Ergebnis mag (anders als das offizielle Videoblog, das die sehr geschätzten Kollegen von Freeeye.tv für den NDR produziert haben, der es tief in den Sackgassen von eurovision.de versteckte) nicht fernsehtauglich sein, aber ich glaube, es ist sehr internettauglich. Und auf die Gefahr hin, dass das arrogant klingt: Das Gefühl, das alles mehr oder weniger selbst gemacht zu haben, ist — trotz aller Pannen, Schwächen, Fehler und Anstrengungen, die das bedeutet hat — sensationell.

Lukas und ich sind immer noch ganz besoffen von der überwältigenden Resonanz unter anderem in den Kommentaren. Und falls jemand an Zahlen interessiert ist: Auf YouTube ist das Video mit unserem Lena-Interview über 50.000 mal angesehen worden; oslog.tv hatte bis jetzt rund 120.000 Besucher. Davon kamen die wenigsten über Google, und wenn doch, suchten sie meistens nach „oslog“.

Ob wir, nachdem wir und andere daran so viel Spaß hatten, auch von anderen Veranstaltungen in ähnlicher Form berichten werden, steht noch in den Sternen. Ich glaube, dass sich der Grand Prix ganz besonders gut für einen solchen Zugang zum Thema eignet und es bei anderen Anlässen schwieriger werden könnte. Als nächstes basteln wir erst einmal an einer weiteren Oslog-Folge den Outtakes (oder genauer: mit den Outtakes, die es nicht ohnehin schon in die Videos geschafft haben…).

Und dann müssen wir einen Weg finden, dass Herr Heinser diese ganzen Grand-Prix-Nummern aus dem Kopf bekommt. Gestern Nacht, sagt er, sei er mit dem estnischen Beitrag im Ohr aufgewacht. Schweißgebadet, nehme ich an.

Armenien? Und Lena auf Platz 5?

Jetzt höre ich seit über einer Woche Proben, verfolge öffentliche Auftritte, rede mit Kollegen — und bin kein bisschen schlauer, wer wohl den Eurovision Song Contest 2010 gewinnen wird. Nach wie vor glaube ich nicht an einen deutschen Sieg — allerdings fällt mir auch niemand ein, auf den es stattdessen hinauslaufen müsste. Wenn man heute Abend zum Auftakt der Show „Fairytale“ von Alexander Rybak (in einem gewagten neuen Arrangement) hört und sieht, wird wieder klar, was das Zwingende dieses Titels im vergangenen Jahr war, das kein Kandidat in diesem Jahr hat: diese Mischung aus Eingängigkeit und So-noch-nicht-Gehörtem, aus folkloristischen Elementen und schlichtem Pop, und diese Energie.

Lenas Chance ist klar: in dem Potpourri höchst durchinszenierter Auftritte, perfekt einstudierter Bewegungen, überladener Choreographien und operettenhafter Stimmen durch Natürlichkeit und Reduktion aufzufallen. Das könnte schon gelingen, aber bei der ersten Durchlaufprobe gestern hatte ich andererseits auch nicht das Gefühl, dass sie so sehr auffällt und in Erinnerung bleibt, wie es nötig wäre.

Ich tippe jetzt einfach mal, um irgendwas zu tippen, auf Platz 5.

Allen Finalisten in diesem Jahr fehlt für meinen Geschmack das gewisse Etwas. Vieles ist nett, professionell, wenig komplett misslungen — aber trotz meiner Schwäche für große Grand-Prix-Hymnen packt mich weder Irland noch Portugal noch Norwegen so richtig. Vielleicht funktionieren inmitten der ganzen Balladen die Gute-Laune-Nummern aus Griechenland und Frankreich, vielleicht reicht es, wenn ganz Ex-Jugoslawien auf diese merkwürdige Balkanpopnummer aus Serbien abfährt, vielleicht haben Armenien oder Aserbaidschan das Geheimrezept gefunden, regionale Identifikationsmöglichkeiten mit westeuropäisch kompatiblen, halbmodernen Songs zu kombinieren, und ganz möchte ich nicht einmal ausschließen, dass wir uns nächstes Jahr in Minsk wiedersehen, was auch eine sehr spezielle Erfahrung werden dürfte. (Und nichts gegen die tollen aufklappenden Schmetterlingsflügel!)

Die größte Enttäuschung für mich wäre ein Sieg für die plastikhafteste Nummer von allen: Dänemark.

Ich tippe jetzt einfach mal, um irgendwas zu tippen, auf Armenien.

In ein paar Stunden sind wir schlauer. Und das Schöne am Grand Prix ist, dass es sich mit ihm verhält wie mit Fußball: Es ist total wichtig, wer gewinnt. Und fast völlig egal.

Der kleine Grand-Prix-Führer findet sich diesmal natürlich nebenan im Oslog!

Nachtrag, 20.45 Uhr. Wir bloggen live aus dem Pressezelt.

Showhasen unter sich

Das Beunruhigende an unserem exklusiven Interview mit Lena Meyer-Landrut finde ich ja, dass diese schreckliche braune Konferenzzimmeratmosphäre und dieses lächerliche Mikrofon und meine amateurhafte Kameraführung dazu führen, dass die Szenen ästhetisch wirken, als stammten sie aus einer schwer öffentlich-rechtlichen Siebziger-Jahre-Dokumentation über das Leben in einer WG oder so.

Außerdem in der aktuellen Ausgabe von Oslog.tv: Knallharte investigative Fragen von mir an den diesjährigen deutschen Jury-Präsidenten und Punkte-Verleser Hans-Peter Wilhelm Kerkeling.

Die Ostblock-Mafia-Mär lebt!

In diesem Jahr sind die Kollegen aber besonders früh dran mit ihren zusammenfantasierten Geschichten von der Dominanz der osteuropäischen Länder beim Eurovision Song Contest. „Welt Online“ schreibt:

Osteuropa fordert Lena Meyer-Landrut heraus

Der Eurovision Song Contest findet zwar in Oslo statt, doch auch in diesem Jahr wird der Wettkampf von Osteuropa geprägt sein. Im ersten Halbfinale setzten sich vor allem ost- und südosteuropäische Vertreter durch. Neben Lena Meyer-Landrut treten nur wenige Westeuropäer auf.

Ähnlichen Unsinn verbreitet dpa.

Nun. Hier kann man sich ansehen, welche Länder bislang fürs Finale qualifiziert sind. Es sind sechs osteuropäische Länder (Albanien, Weißrussland, Bosnien-Herzegowina, Moldau, Russland, Serbien) und neun westeuropäische Länder (Belgien, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Island, Norwegen, Portugal, Spanien, Großbritannien). Und dpa titelt: „Mehr Osteuropäer im Eurovision-Finale“?

Auch die Behauptung, es hätten sich im ersten Halbfinale „vor allem ost- und südosteuropäische Vertreter durchgesetzt“, ist irreführend. Denn es sind von vornherein viel mehr ost- als westeuropäische Länder angetreten! Von den 11 Teilnehmern aus dem Osten kamen 6 ins Finale (54 Prozent); von den 6 Teilnehmern aus dem Westen kamen 4 ins Finale (66 Prozent). Und auch wenn man Griechenland zu Osteuropa zählt, haben sich die Westeuropäer in diesem Halbfinale verhältnismäßig knapp besser geschlagen.

Jetzt kann man all diese Rechnungen natürlich für frucht- bis sinnlos halten. Aber abgesehen davon, dass ich das Thema mit einer gewissen Leidenschaft verfolge, ist der Fall ein vergleichsweise harmloses, aber sehr anschauliches Beispiel dafür, wie Berichterstattung von eigenen Erwartungen, von Vorurteilen, Ressentiments und gefühlten Wissen bestimmt wird — und nicht von Tatsachen.

Das deutsche Nachrichtenpublikum glaubt an die Existenz eines Ostblocks. Also bekommt es ihn auch.

  • Besser gelaunte Videoberichte vom Grand Prix von Lukas und mir täglich unter Oslog.tv.



Lena und die Nööööööte von RTL

Von Lena Meyer-Landrut weiß man, dass sie keine privaten Fragen beantwortet. RTL aber ist ein Privatsender. Bei der ersten Pressekonferenz der deutschen Delegation in Oslo kam es zu einer Art Showdown.

RTL-Reporterin: Wer aus Ihrer Familie ist dabei, wer unterstützt Sie? Und wie wichtig ist es tatsächlich, auch jemanden aus der Family dann hier zu haben?
Lena: Nööööööt.
Stefan Raab: Man muss auch nicht jede Scheiße beantworten, Lena.
Lena: Nein, nein. Das beantworte ich nicht.
RTL-Reporterin: Familie zur Unterstützung dabei zu haben, findet Ihr scheiße?
Lena: Nein, die Frage. Also die Familienfrage an sich.
RTL-Reporterin: Okay. Also Familie ist immer Tabu?
Lena: M-h!
Stefan Raab: Joa, muss Frauke Ludowig halt mal ohne so’n Käse auskommen. Müsst ihr euch was anderes aus der Nase ziehen. Irgendwie Häuser-Versteigerungssendungen oder sowas.

Die Szene und vieles mehr — in der dritten Folge von Oslog.tv: „Sha-La-Lena“