Journalisten machen Kemnader See unsicher

Vom Bloggen bin ich sehr enttäuscht. Nicht von der Möglichkeit, aber von der Qualität. (…) Die bürgereigene Berichterstattung wird den Lokaljournalisten niemals ersetzen.

Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe

Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ hat im Kemnader See südlich von Bochum ein Krokodil entdeckt. Aber es ist nicht das da oben. Es ist das hier:

Nein, nicht das Weiße; das ist bloß der Pfeil, der auf das Krokodil zeigt. Ich zeig Ihnen das Tier mal in groß:

Das, äh, beeindruckende Foto hat ein Volontär der Zeitung gemacht, der beim Inline-Skaten mit seiner Freundin um den See das Tier gesehen haben will, und die WAZ nutzt die Gelegenheit, ihm und der staunenden Öffentlichkeit zu zeigen, was dieser Qualitätsjournalismus ist, von dem man neuerdings immer so viel hört — und wie viel professionelle Journalisten aus so ein bisschen Stoff machen können.

Irgendein Amateur hätte das Handyfoto vermutlich einfach bei Twitpic hochgeladen mit der Unterschrift: „Heute am Kemnader See Baumstamm Krokodil entdeckt“. Oder als Leserfoto an „Bild“ geschickt, die nach eingehender Prüfung festgestellt hätten, dass es sich nicht um ein Krokodil handelt, sondern ein Alien.

Bei der WAZ aber wurde richtig recherchiert. Der Volontär sprach für seinen oben zu sehenden großen Artikel mit einem Mann vom Bochumer Tierpark, einer Frau vom Freizeitzentrum Kemnade, der Polizei und einer Frau, die mit ihrem Hund in der Nähe Gassi ging. Zwar hatte niemand das Tier gesehen oder gehört, dass irgendjemand anders das Tier gesehen hätte, aber aus den Spekulationen, was denn wäre, wenn es es gäbe, und der allgemeinen Ahnungslosigkeit ließen sich erstaunlich verwirrende Absätze wie dieser bauen:

Fraglich, ob es sich bei dem Krokodil um ein artengeschütztes Exemplar handelt. „Wenn es ein Kaiman ist (so sieht es nach der Beschreibung aus), dann wäre er artengeschützt“, sagt Werner. Häufig seien aber die Halter mit nichtartengeschützten Exemplaren überfordert. Er erinnert an die Mülheimer Gift-Cobra. „Leider gibt es keine Beschränkungen wie bei Hunden.“

Ein weiterer Artikel des Volontärs im Online-Angebot der WAZ stellte klar, dass Krokodile eher scheu und Menschen vor Angriffen sicher seien — verwirrenderweise stand diese Entwarnung unter Überschrift „Kaiman macht Kemnader See bei Bochum unsicher“.

Dann übernahmen zwei WAZ-Kollegen die Berichterstattung. Außer dem Volontär und seiner Freundin hatte zwar immer noch niemand das Tier gesehen, aber nun konnten sie titeln: „Ein Kaiman sorgt am Kemnader See für Aufregung“. (Treffender wäre natürlich gewesen: „WAZ sorgt am Kemnader See für Aufregung“). Die WAZ will nicht ausschließen, dass da gar kein Kaiman oder Krokodil war, warnt aber vor voreiligen Schlüssen: Wenn ich es richtig verstanden habe, wäre gerade die Tatsache, dass das Tier von niemandem mehr gesehen wurde, ein Indiz für seine Existenz, denn Kaimane sind bekannt dafür, sich zu verstecken. (Ufologen können hier noch was lernen.)

Außer mit dem Volontär und seiner Freundin sprach die WAZ nun mit einem Schäfer, dem Geschäftsführer der Kemnade GmbH, einem Kapitän, einer Anbieterin von Kanutouren, nochmal der Polizei und dem Facharzt der Münchener Auffangstation für Reptilien, von dem die Journalisten erfuhren, dass sich ausgewachsene Kaimane „von Wasserschweinen, Nagern und Affen, die am Ufer trinken“ ernähren. (Ob das Fehlen von trinkenden Affen am Ufer des Kemnader Sees ein Indiz für die Existenz des Krokodils ist, ließ der Text offen.) Niemand hatte das Tier gesehen, was die WAZ mit vielen aufgeregten Ausrufezeichen vermeldete.

Auch bei der Bochumer Polizei sind noch keine Hinweise eingegangen — bis heute nicht. Dabei gehört zum Polizeipräsidium Bochum durch einen glücklichen Zufall auch die Polizeiinspektion Witten, so dass beide Uferseiten des Sees abgedeckt sind. Oder wie Pressesprecher Volker Schütte sagt: „Der See ist fest in unserer Hand!“ Der Fall macht „immens Arbeit“, sagt er, nicht wegen tatsächlicher Polizeiarbeit, sondern wegen der Medienanfragen, die nach dem ersten WAZ-Artikel „im Minutentakt“ kamen, u.a. von „Bild“ und RTL.

Besonders groß stieg aber der WDR in die Berichterstattung ein und berichtete nicht nur in seiner „Lokalzeit Ruhr“ über das mögliche Tier im See, sondern kam auch überregional in der „Aktuellen Stunde“ seinem Informationsauftrag nach — samt Live-Schaltung zu einer Reporterin vor Ort:


Die kritisierte, dass der Gesuchte „Kai“ heißen solle und nicht „Kemni“, konnte ihn aber auch nicht selbst nach seinem Namen fragen, weil sie ihn nicht gesehen hatte. Sie äußerte sogar Zweifel, dass er überhaupt existiert, berichtete aber von vor Ort, dass die meisten Menschen dort dem Thema „keine große Aufmerksamkeit widmen“ (ganz im Gegensatz also zum WDR).

Den WAZ-Schwesterblättern „Neue Ruhr-Zeitung“ (oben) und „Westfälische Rundschau“ (rechts) war die sensationelle Geschichte sogar Platz auf den Titelseiten wert. Und auf ihrer Szene-Seite fragte die WAZ im „Quiz des Tages“:

Im Kemnader Stausee wurde ein Kaiman gesichtet. Zu welcher Familie gehören Kaimane?

a) Nilpferde
b) Haie
c) Krokodile

(Die naheliegende Antwortmöglichkeit „d) Enten“ fehlt.)

Doch im gemeinsamen Online-Angebot der WAZ-Zeitungen wussten viele Kommentatoren den aufopferungsvollen Einsatz der Journalisten nicht zu schätzen. Einer wies darauf hin, dass die Kaiman-Entdecker „zuerst seinen großen gelben Bauch, der im Wasser platscht“ gesehen haben wollen und stellte die berechtigte Frage, ob das Tier Rückenschwimmer sei. Ein anderer schrieb, er habe sich „heute zum ersten mal echt geschämt, dieses Blatt [die WAZ] auszutragen“, und schlug vor:

Die einzige Möglichkeit jetzt noch mit Anstand aus der Sache rauszukommen, sich bei den Lesern entschuldigen (wird einem ja selten so klargemacht für WIE doof man gehalten wird), oder selber ein Krokodil am See aussetzen.

Vergleichsweise konstruktiv erscheint hingegegen folgender Kommentar (der möglicherweise inzwischen gelöscht wurde, ich finde ihn jedenfalls nicht wieder):

Ich würd sagen: Kemnadersee weiträumig absperren. Drei Meter hohe Zäune aufstellen, die A43 sperren und um ganz sicher zu gehen, auch den Luftraum dicht machen.

dann das Wasser des Sees abpumpen und das Tier mit einem 1000 Mann starken Suchmanschaft in einen Hinterhalt drängen.

Doch die Kaimankarawane war schon weiter gezogen. Die WAZ berichtet in einem weiteren Artikel, das „Krokodil vom Kemnader See“ sei nun von einem Leser im Hattinger Teil der Ruhr gesehen worden, „in Höhe der Gaststätte ‚Zum Deutschen'“. Das wäre rund zwölf Kilometer flussabwärts und ein bisschen unglücklich für das Bochumer Fotostudio, das in der Zwischenzeit 250 Euro für das beste Kaiman-Foto ausgesetzt hatte, wie die WAZ meldete. Auch aus dem Zuständigkeitsbereich der Bochumer Polizei wäre das Phantomreptil damit heraus. Wobei deren Sprecher Schütte nicht vollständig ausschließen will, dass es Tier tatsächlich gibt. Nur habe sich bisher niemand bei der Polizei gemeldet, was Schütte schon bei der Erstsichtung durch den WAZ-Volontär ein bisschen erstaunlich fand: „Wenn ich was in der Form erlebe, rufe ich 110 — und warte nicht einen Tag, um es dann in die Zeitung zu schreiben.“

Der neue vermeintliche Augenzeuge jedenfalls berichtet nun:

„Da waren zwei Höcker in der Mitte des Flusses – Holz kann es nicht gewesen sein, das schwimmt am Rand.“

Doch auch von diesen überwältigenden Beweisen ließen sich einzelne Laien in den Kommentaren nicht überzeugen:

Wenn er zwei Höcker im Fluss gesehen hat, dann könnte es aber auch ein Kamel gewesen sein………..oder Pamela Anderson…….

Das ist das Elend mit diesem Qualitätsjournalismus: Die Leute wissen ihn einfach nicht zu schätzen.

Gordon Browns Moment der Wahrheit

Ein Politiker auf Wahlkampftour trifft auf der Straße eine potentielle Wählerin, die ihm kritische Fragen stellt, und weil die Presse dabei ist, setzt er sein entspanntestes Lächeln auf, bedankt sich vielmals für ihre Anmerkungen, verabschiedet sich jovial und herzlich, als würde er am liebsten noch einen Tee mit ihr trinken wollen, wenn nur die Zeit nicht so drängen würde, und setzt sich dann in seine Limousine, beschwert sich über die blöde Kuh und will wissen, welcher Idiot von seinen Mitarbeitern schuld ist, dass er mit ihr reden musste.

Ich wette, das passiert ununterbrochen. Und ich wette, die meisten anderen Menschen machen sich da ähnlich wenig Illusionen wie ich. Insofern ist es völlig banal, dass der britische Premierminister Gordon Brown heute genau dabei ertappt wurde, weil er vergessen hatte, dass er noch ein Mikrofon trug. (Mal abgesehen davon, dass es womöglich wichtigere Kriterien für die eigene Wahlentscheidung geben sollte als so ein Versehen, aber so sind die Medien, die sich jetzt auf die Sache stürzen wie ein ausgehungerter Tiger auf ein filetiertes Kaninchen — und ich fürchte: die Menschen sind auch so.)

Ich bin mir auch sicher, genau die Gordon-Brown-Szene schon einmal gesehen zu haben: In der BBC-Comedy-Serie „The Thick of It“, die im Stil einer (fiktiven) Dokumentation genau diesen Aspekt von Politik zeigt: Den krassen Kontrast zwischen der Fassade und der Wahrheit dahinter; die mühsamen Versuche, gerade dann, wenn sich gerade alles zerbröselt, der Öffentlichkeit heile Kulissen vorzuführen. (Die erste Staffel von „The Thick of It“ finde ich grandios und kann sie sehr empfehlen — obwohl ich wenig Leute gefunden habe, die die Aneinanderreihung unfassbar peinlicher Situationen aushalten können oder wollen. Die weiteren Staffeln waren mir dann aber auch zu krass.)

Doch obwohl es mir so bekannt vorkommt und so sehr der Vorstellung entspricht, die man eh hat vom Alltag von Politikern (und anderen Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen), ist es tatsächlich aufregend, das nun einmal erleben zu können — nicht lebensecht nachempfunden, sondern in echt zu hören und zu sehen. Vielleicht macht gerade das die Sache noch schockierender: Dass die Realität so exakt mit der Fiktion und der Vorstellung übereinstimmt.

Wort für Wort kann man hören oder nachlesen, was Gordon Brown über die Frau gesagt hat, die ihm erzählte, dass sie ihr ganzes Leben lang Labour gewählt habe und sich heute schäme, Labour-Anhängerin zu sein, und ihn im Zusammenhang mit Leuten, die sie auf deutsch womöglich „Sozialschmarotzer“ nennen würde, fragte, woher eigentlich diese ganzen Ausländer aus Osteuropa kämen, die plötzlich ins Land strömten. Nachdem Gordon Brown, freundlich lächelnd und sich bedankend, ins Auto gestiegen war, sagte er also:

That was a disaster. Should never have put me with that woman. Whose idea was that? (…) She’s just this sort of bigoted woman who said she used to be a Labour voter… Ridiculous.

Eine „Katastrophe“ sei das gewesen, sagte Brown, und nannte die Frau — ja, was?

  • „bigott“, schreibt dpa.
  • „eine Fanatikerin“, schreibt DAPD.
  • „kleinkariert“, schreibt AFP.
  • „borniert“, schreibt Reuters
  • „verbohrt“, schreibt dpa später.

Je nachdem, auf welcher Agenturmeldung die Nachricht beruht, werden die deutschen Leser sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Art der „Beleidigung“ haben, die Gordon Brown aussprach (und für die er sich inzwischen vielfach entschuldigt hat).

Es gibt offenbar größere Meinungsunterschiede, wie das Wort „bigoted“ zu übersetzen ist — wobei ich die AFP-Version „kleinkariert“ am abwegigsten finde, weil es nicht nur „engstirnig“, sondern auch „übergenau“ bedeutet, was hier überhaupt keinen Sinn ergibt. „Kleingeistig“ würde es eher treffen. Aber auch die Wahl des deutschen Dienstes der britischen Agentur Reuters, die es wissen müsste, finde ich merkwürdig: Mit „borniert“ verbinde ich eher jemanden, der stur, überheblich, eingebildet ist.

Am treffendsten erscheint mir die einfachste Übersetzung: bigott. Das Wort bedeutet (im Deutschen wie im Englischen) ursprünglich „scheinheilig“ im Sinne eines religiösen Eiferers, ist aber zum Synonym für „heuchlerisch“, „verlogen“ geworden — was treffend erscheint, wenn Brown den Kontrast zwischen der Beteuerung lebenslanger Labour-Treue mit ihrer Ablehnung der konkreten Politik und insbesondere von Einwanderern bezeichnen will.

In der politischen Diskussion in den letzten Wahlkampftagen in Großbritannien wird die genaue Exegese aber kaum eine Rolle spielen. Da reicht der bloße Eindruck, dass der Premierminister irgendetwas gesagt hat, das er nicht hätte sagen dürfen.

Nachtrag, 29. April.

„Welt“ entlarvt: „Dutschke“-Film ist Film!

Da ist Sven Felix Kellerhoff, der leitende Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte der „Welt“, aber einer ganz großen Sache auf die Spur gekommen.

In dem Film „Dutschke“, der heute um 20.15 Uhr läuft, habe das ZDF „historische Fakten gefälscht“. Die Filmemacher Daniel Nocke und Stefan Krohmer seien „der Manipulation überführt“. Mit „massiven Fälschungen“ erweckten sie bei den Zuschauern den Eindruck, der Hass, der Rudi Dutschke entgegenschlug, sei die Folge „einer ‚Hetze‘ der Blätter des Axel Springer Verlages“.

Der Film habe in einer rasant geschnittenen Montage Zeitungsseiten manipuliert und Fotos ausgetauscht.

Tatsache:


(Film)


(Original)


(Film)


(Original)

„Das hat mit seriöser Dokumentation nicht mehr viel zu tun“, schimpft Kellerhoff.

Dabei ist die Sache noch viel schlimmer. Das ZDF hat die Fotos nämlich nicht nur geändert, sondern sogar animiert. Die ausgetauschten Fotos verwandeln sich, während die Kamera auf sie zufährt, wie von Zauberhand zu Filmszenen mit Ton! Sehen Sie selbst:

Dieser sehr viel größere Skandal ist Kellerhoff entgangen. Denn das, was da gezeigt wird, ist historisch falsch. 1968 gab es nach gesicherten Kenntnissen von Historikern noch keine „Bild“-App und keine elektronische Zeitung, die solche Animationen in Kombination mit den Zeitungsinhalten ermöglicht hätte. Die Filmemacher haben das in ihrer Springer-Hetze-Hetze einfach erfunden!

Kellerhoff schreibt über die von ihm entdeckte „Manipulation“, sie sei, „zumal in einem Dokudrama, kein Kavaliersdelikt. Ob ZDF-Redakteurin Caroline von Senden davon weiß?“

Ich würde das mal ungeschützt bejahen. Ja, ich würde annehmen, dass die ZDF-Redakteurin erkannt hat, dass die Filmemacher da Fernsehaufnahmen mit Zeitungsschlagzeilen kombiniert haben, indem sie die bewegten Bilder nachträglich an die Stelle der Original-Fotos gesetzt haben. Ich würde sogar annehmen, dass die meisten Zehnjährigen das erkannt hätten.

Jürgen Hesse

Jürgen Hesse scheint sich für seine Fernsehkarriere die Haare neu gemacht zu haben. In einem Film auf der Homepage seiner Karriereberatungs-Firma ist er noch mit wirrer, leicht toupiert wirkender Mähne zu sehen. In seiner RTL-Sendung „Endlich wieder Arbeit“ trägt er nun einen seriösen, nur dezent verwuschelten Kurzhaarschnitt und grau statt blond.

Haare sind wichtig. In der ersten Folge am vergangenen Sonntag gelang es Hesse, einem verzweifelten arbeitslosen Pferdepfleger allein dadurch einen Traumjob zu verschaffen, dass er mit ihm zum Friseur ging. (Okay, neue Anziehsachen gab’s auch.) Am Ende fragte man sich, wie es sein kann, dass die Bedeutung guter Frisuren für den Arbeitsmarkt all die Jahre so unterschätzt werden konnte und ob Peter Hartz heute gefeierter Bundespräsident sein könnte, wenn er nur damals in seinen Reformen auf den richtigen Dreiklang gesetzt hätte: Fördern, Fordern, Frisieren.

Es hat etwas unfreiwillig Komisches, dabei zuzusehen, wie sehr RTL in seinen eigenen Erfolgsmustern gefangen ist. „Endlich wieder Arbeit“ (heute, 19.05 Uhr) ist natürlich ein weiterer Versuch, Peter Zwegats „Raus aus den Schulden“ zu kopieren, aber weil die Korrektur von Bewerbungsmappen dann doch kein abendfüllendes kommerzielles Fernsehprogramm ist, flüchtet sich die Show in das, was immer geht: Makeovers. Die Sendung wirkt – auch dank erbärmlich schlecht nachgespielter Szenen – so sehr wie eine Parodie auf das Genre, dass es kaum überrascht hätte, wenn Produzentin Vera Int-Veen oder Tine Wittler mittendrin mit einem Trupp Handwerker und einem Ikea-Laster aufgetaucht wären und der betreuten Familie erzählt hätten, dass eine Voraussetzung für den beruflichen Erfolg die richtigen Möbel sind. (Und gute Kurzhaarfrisuren, natürlich.)

Doch die unterschwellige Botschaft der Sendung ist gar nicht komisch, sondern perfide. „Endlich wieder Arbeit“ suggeriert, dass Arbeitslosigkeit ein individuelles Problem ist, und dass Menschen nur arbeitslos sind, weil sie sich nicht genügend anstrengen. Durch die formale Ähnlichkeit zum Schuldenberater oder der „Super-Nanny“ wird eine Parallelität angedeutet, die nicht existiert. Wenn mehr Menschen besser mit ihren Kinder umgehen, hat das tatsächlich positive Auswirkungen für die ganze Gesellschaft. Aber wir können noch so vielen Menschen beibringen, ihre Bewerbungen schön zu formatieren, und schaffen dadurch keinen einzigen Arbeitsplatz.

Hesse war lange Chef der Telefonseelsorge. Das hier aber ist die Westerwelle-Show: Wenn du keinen Job findest, liegt es an dir.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wie die Kirche Leute zum Schweigen bringt

„Grundsätzlich ist aber festzustellen, dass bei massiven ehrabschneidenden und rufschädigenden Falschbehauptungen immer in angemessener Weise reagiert werden muss.“

Jakob Schötz, stellvertretender Pressesprecher Bistum Regensburg

Dies ist eine Geschichte über das Schweigen. Über das Schweigen der minderjährigen Opfer eines katholischen Pfarrers, das die Kirche mit Geld erkauft haben soll (was sie bestreitet). Über das Schweigen ihrer Kritiker, das die Kirche gerichtlich erzwingen will. Und, am Ende, über das Schweigen der Kirche, wenn man sie um eine Erklärung ihres Vorgehens bittet.

Es geht um einen pädophilen Pfarrer, der sich 1999 in der niederbayerischen Stadt Viechtach während des Osterfestes an zwei Kindern vergriffen hat. Der Mann wurde später angezeigt und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Obwohl zu den Auflagen gehörte, sich von Jugendarbeit fernzuhalten, arbeitete er schon schon nach kurzer Zeit wieder mit Ministranten. 2004 wurde er in Riekenhofen zum Gemeindepfarrer ernannt — ohne dass das Bistum Regensburg den Verantwortlichen vor Ort von seiner Vorgeschichte erzählt hätte. Der Pfarrer verging sich erneut an Kindern. Vor zwei Jahren wurde er vom Landgericht Regensburg wegen sexuellen Missbrauchs eines minderjährigen Ministranten in 22 Fällen zu drei Jahren Haft und Unterbringung in einer Psychiatrie verurteilt. Dem Bistum warf der Richter vor, den Täter „in eine Versuchungssituation“ geführt zu haben.

Wie groß die Schuld des Bistums ist, ist umstritten. So gibt es widersprüchliche Angaben, wie genau die Verantwortlichen über den Inhalt eines Gutachtens aus dem Jahr 2000 informiert waren, das dem Pfarrer „eine homoerotische Kernpädophilie“ attestierte — und nicht nur ein „einmalig regressives Verhalten“, wie der Therapeut des Pfarrers behauptete. Dem Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller war es aber ein Anliegen, sich nicht persönlich bei den Opfern zu entschuldigen. „Für die Tat kann nur der Täter verantwortlich gemacht werden“, sagte sein Sprecher Jakob Schötz.

Im „Spiegel“ klagte 2007 die Mutter der Opfer von Viechtach die Kirchenoberen an: Es habe ein „Verschweigen und Vertuschen von Anfang an“ gegeben (das war, bevor Müller Bischof wurde). Als sich die Eltern 1999 beim Generalvikar darüber beschwerten, dass sich der Pfarrer an ihren Söhnen vergriffen hatte, habe sie das Ordinariat in Regensburg überredet, keine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Der „Spiegel“ weiter:

Am 25. November 1999 dann wurde ein rechtlich höchst dubioses Abkommen zwischen Familie, Täter und Bischöflichem Ordinariat geschlossen. In dem bislang der Öffentlichkeit unbekannten Vertrag heißt es: „Im wohlverstandenen Interesse der Kinder und auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern soll Stillschweigen gewahrt werden.“ Benedikt erhielt damals 4000 Mark, seine Schwester 1000 Mark, der Bruder 1500 Mark als „Schmerzensgeld“ vom Pfarrer.

Die Mutter verlangte vom Bistum aber auch noch die schriftliche Zusicherung, dass der Fummel-Priester nicht wieder in der Jugendarbeit eingesetzt werde. (…) Doch der Justitiar des Bistums verweigerte die Zusicherung, dergleichen könne „vom Bischöflichen Ordinariat nicht gutgeheißen werden“, schrieb er an die Familie zurück. Die Kirche könne nur versprechen, „dass der künftige Einsatz des Herrn K. erst aufgrund einer sorgfältigen Entscheidung erfolgen wird“.

Die von der Fummelei geschockte Familie wollte sich zumindest vorbehalten, den Priester später noch anzeigen zu dürfen. Aber auch das bügelte das Ordinariat ab: „Da der künftige seelsorgliche Einsatz von Herrn K. allein im Kompetenzbereich des Bischöflichen Ordinariates verbleiben soll, wobei bei Art und Zeitpunkt des Einsatzes die Vorfälle berücksichtigt werden, können wir es nicht akzeptieren, dass … eine Anzeige vorbehalten bleibt.“

Die Familie unterschrieb schließlich die Schweigevereinbarung.

(Monate später wurde der Priester dann doch angezeigt, von einer Bekannten des Vaters.)

Im Februar dieses Jahres griff der „Spiegel“ den Fall noch einmal auf — als Teil seiner Titelgeschichte „Die Scheinheiligen — Die katholische Kirche und der Sex“. Darin hieß es:

„Es geht Ihnen nicht um die Opfer, sondern vor allem darum, dass nichts an die Öffentlichkeit kommt“, warf zum Beispiel ein missbrauchter Jugendlicher dem Regensburger Bischof Gerhard Müller vor. Ein Kaplan hatte ihm 1999 in den Schritt gegriffen. Statt aber den Fall aufzuklären, vermittelte das bischöfliche Ordinariat der Familie eine Art Schmerzens- und Schweigegeld vom Täter.

Das Bistum Regensburg ging gegen den Artikel vor. Vor dem Landgericht Hamburg erwirkte es eine einstweilige Verfügung, die es dem „Spiegel“ verbietet, mit dieser Berichterstattung den Eindruck zu erwecken, das Bistum „habe durch die Vermittlung einer Geldzahlung bewirken wollen, dass der in Rede stehende Vorfall nicht an die Öffentlichkeit komme“.

Der „Spiegel“ hat den Artikel aus seinem Online-Archiv entfernt. Man prüfe zur Zeit, ob man gegen die Verfügung Widerspruch einlege, sagte ein „Spiegel“-Sprecher.

Zuvor schon hatte Bischof Müller die Berichterstattung von „Spiegel“ und anderen Medien als „antikatholische Kampagnen“ abgetan und dem Magazin vorgeworfen, sich der „Verletzung der Menschenwürde aller katholischen Priester und Ordensleute schuldig“ zu machen. Diese und weitere Reaktionen der katholischen Kirche in Regensburg auf verschiedene Missbrauchsfälle im Bistum kritisierte das örtliche Online-Magazin regensburg-digital.de am 7. März 2010 in einem Eintrag. Der Autor Stefan Aigner schrieb darin u.a.:

Und beim Vertuschen von Missbrauch zeigt man sich äußerst kreativ. (…) Opfer eines pädophilen Pfarrers in Riekhofen erhielten Schweigegeld. Das Bistum Regensburg hat das stets bestritten. Es habe keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Zahlung und dem vereinbarten Schweigen gegeben, behauptet das Bistum.

Das Bistum mahnte diese Formulierung ab. Aigner gab daraufhin durch seinen Rechtsanwalt eine Unterlassungserklärung ab, wonach er vorerst die Formulierung „Opfer eines pädophilen Pfarrers in Riekofen erhielten Schweigegeld“ nicht mehr verwenden werde. Seinen Text auf regensburg-digital.de änderte er wie folgt:

Ein Opfer des pädophilen Pfarrers von Riekofen erhielt eine Geldzahlung, welche nicht nur in den Augen unserer Redaktion den Beigeschmack einer Schweigegeldzahlung hat. Das Bistum Regensburg hat das stets bestritten. Es habe keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Zahlung und dem vereinbarten Schweigen gegeben, behauptet das Bistum.

Das Bistum Regensburg fand auch diese Form inakzeptabel — obwohl sie die Meinungsäußerung klar als solche deklariert und auch wieder das Dementi des Bistums in der Sache referiert. Anstatt auf den Brief von Aigners Anwalt zu antworten, gingen die Regensburger Kirchenleute erneut zum Hamburger Gericht und erwirkten dort auch gegen regensburg-digital.de eine einstweilige Verfügung, die sogar beide Formulierungen umfasst, die ursprüngliche und die geänderte.

Ich habe dem Bistum Regensburg einige Fragen zu dem Fall und dem Vorgehen gegen die Berichterstattung gestellt. Ich habe die Kirchenleute gefragt:

  • ob die Darstellung der Vorgänge in Viechtach korrekt ist, wie sie der „Spiegel“ 2007 in seinem Artikel „Schweigen mit Geld erkauft“ schilderte — das Bistum hat diesen Artikel, in dem von einer „Schweigevereinbarung“ die Rede ist, laut „Spiegel“ bis heute nicht beanstandet.
  • ob es einen Zusammenhang zwischen dem Stillschweigen und der Zahlung des Schmerzensgeldes gab.
  • ob sie gegen einen der anderen Artikel vorgegangen sind, die ähnlich wie der „Spiegel“ über den Fall berichtet und einen Zusammenhang zwischen dem Schmerzensgeld und dem Schweigen der Eltern der Opfer hergestellt haben, z.B. „Bild“ (14.3.2008), „Welt“ (1.10.2007), „taz“ (24.9.2007), „Süddeutsche Zeitung“ (17.9.2007).
  • ob das Bistum zu irgendeinem Zeitpunkt versucht hat, mit den Verantwortlichen von regensburg-digital.de ins Gespräch zu kommen.
  • warum das Bistum nicht auf den Vorschlag reagiert hat, den Vorwurf der Zahlung von „Schweigegeld“ deutlich als Meinungsäußerung zu kennzeichnen.
  • warum das Bistum versucht, diese Meinungsäußerung auf juristischem Weg zu unterbinden.

Die Antwort von Bistums-Sprecher Jakob Schötz lautet:

Zu dem von Ihnen angefragten Vorgang nehmen wir keine Stellung. Grundsätzlich ist aber festzustellen, dass bei massiven ehrabschneidenden und rufschädigenden Falschbehauptungen immer in angemessener Weise reagiert werden muss.

Der Rest ist Schweigen.

Stefan Aigner von regensburg-digital.de will sich nicht von der katholischen Kirche in Regensburg seine Meinungsäußerung verbieten lassen. Damit er sich den teuren Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung von dem für seine meinungsfreiheitsfeindlichen Urteile bekannten Hamburger Landgericht leisten kann, bittet er um Spenden. Ich schließe mich dem gerne an.

„Der Verlierer steht für immer im Schatten“: Das Weltbild von DSDS

Elf Minuten sind im Fernsehen eine lange Zeit. Elf Minuten sind eine halbe Sitcom-Episode. Oder, geschätzt, alle politischen Beiträge aus einer ganzen Woche „RTL aktuell“ zusammen genommen. Oder auch nur: ein einziger Monolog von Moderator Marco Schreyl in der Entscheidungsendung von „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS).

Um 0.04 Uhr am Sonntagmorgen bekam Schreyl den Umschlag, in dem das Ergebnis der Abstimmung über die beiden diesjährigen Finalisten stand. Um 0.15 Uhr verriet er den Sieger. Die Zeit dazwischen füllte der Sender, während die beiden Kandidaten mit hängenden Köpfen auf der Bühne standen und von der Kamera umkreist wurden, mit sphärischer Musik und einer Rede, die offenbar den Sinn hatte, den Zweitplatzierten in den Selbstmord zu treiben. Als realistische Alternative würde sich eigentlich nur ein Amoklauf noch im Studio anbieten.

Die künstliche Vergrößerung der Fallhöhe gehört von Anfang an zum Konzept von DSDS und steckt schon im Namen: Einen „Superstar“ hat „Deutschland“ in sieben Jahren noch nicht gefunden; am nächsten dran ist vermutlich Mark Medlock, der gerade zum Nachfolger von Jürgen Drews aufgebaut wird. Aber in ihrem Versuch, der natürlichen Abstumpfung des Publikums und Abnutzung der Superlative entgegenzuwirken, und die Schraube immer noch weiter anzuziehen, stoßen die Autoren der Sendung inzwischen an Grenzen. Oder genauer: Sie überschreiten sie.

Der elfminütige Monolog, den Marco Schreyl am Samstag vorlas, ist ein Beleg dafür, wie sehr bei RTL längst die Sicherungen durchgebrannt sind. Was jemand da Marco Schreyl auf die Moderationskarten geschrieben hat, ist nicht nur erschütternd in seiner Zeitschinderei, es ist nicht nur bekannt, falsch, dumm oder albern (all das ist es auch). Es feiert seinen eigenen Sadismus, einen brutalen Ausleseprozess, einen menschenverachtenden Sozialdarwinismus, auf eine Art, die man kaum anders als faschistoid nennen kann. Und die besonders zynisch wirkt, wenn man berücksichtigt, wie sehr diese Sendung und ihre Philosophie von jungen Zuschauern und feuilletonistischen Verteidigern als lehr- und hilfreiches Anschauungsmaterial dafür gesehen wird, wie unsere Gesellschaft funktioniert und was man tun muss, um in ihr etwas zu werden.

Wir dokumentieren den Abschlussmonolog von „Deutschland sucht den Superstar“ 2010 ungekürzt:

Und das also ist es: Das Ergebnis von Ihnen. Das Ergebnis der Zuschauer.

Deutschland hat entschieden. Das Ergebnis im Finale von Deutschland sucht den Superstar 2010. Was für ein dramatischer, einzigartiger Abend. Mehrzad Marashi und Menowin Fröhlich. Gleich ist eure Schlacht geschlagen.

Und ihr habt sie mit absolutem Einsatz ausgefochten, und zwar beide.

Und: Ihr habt uns ein traumhaftes Finale geschenkt. Ihr seid beide ziemlich harte Jungs und ihr kämpft hart. Und das ist gut so. Alles andere wäre eine Schande.

Dieses Duell heute ist persönlich. Jeder von euch ist für den anderen der Gegner, den ihr am meisten fürchtet. Ihr steht auf dieser Bühne so nah beieinander und seid euch doch so fern.

Kaum zu glauben, aber es ist noch gar nicht so lange her, da wart ihr Freunde. Beim Recall in der Karibik. Sogar noch in der ersten Motto-Show. Aber aus Freunden sind Feinde geworden. Mit dem absoluten Willen, den anderen zu besiegen.

Wer weiß, wenn ihr keine Kandidaten bei DSDS wärt, aus euch hätten richtig gute Kumpels werden können. Stattdessen wurdet ihr knallharte Rivalen. Und das musste so sein, wenn zwei große Talente wir ihr aufeinander treffen, zwei so starke Persönlichkeiten, und vor allem: Wenn es so unglaublich viel zu gewinnen gibt.

(Pause.)

Zwei grandiose Sänger, die mit jeder Faser ihres Körpers kämpfen, die diesen Titel dringender wollen als alles andere auf dieser Welt. Für Ausnahmetalente wie euch wurde DSDS erfunden. Ihr seid beide echte Performer, also genau das, was wir hier gesucht haben. Ihr singt und tanzt und geht aus euch heraus. An euch werden sich die künftigen Kandidaten messen müssen. Ihr zwei habt die Latte verdammt hoch gelegt.

(Pause.)

Dieser Abend wird für einen von euch ein völliger Neuanfang im Leben sein. Für den Sieger dieses Wettkampfs tut sich eine neue Welt aus. Er wird das, wovon Millionen träumen. Er – wird ein Star. Bei DSDS gibt es nicht einfach einen netten Hauptgewinn. Hier gibt es ein komplett neues Leben. Ein Leben XXL. Ein Leben in der Kategorie fünf Sterne plus.

(Pause.)

Für einen von euch wird dieses Märchen jetzt wahr. Ihr lebt beide bislang in eher bescheidenen Verhältnissen. Jetzt aber wird sich das ändern. Einer von euch wird jetzt der neue Superstar. Bekommt einen Plattenvertrag. Wird berühmt. Verdient locker Hunderttausende Euro. Kann seiner Familie ein sorgenfreies Leben bieten und als Vater seinen Kindern eine gute Zukunft ermöglichen.

Wenn sich der Sieger dieses Kampfes nicht dumm anstellt, wird er für lange Zeit ausgesorgt haben. Der Sieger bei DSDS bekommt: all das! Der Verlierer: nichts! Der Sieger steht im Licht. Der Verlierer steht für immer in seinem Schatten. Und das ist ein Schicksal, mit dem sich der Verlierer wahrscheinlich niemals versöhnen wird.

Ihr habt beide heute Abend gezeigt, dass ihr verstanden habt, um was es hier geht. Und dass es euch ernst ist. Dass ihr bereit seid, bis zur völligen Erschöpfung zu kämpfen; dass euch die Musik – dass euch eure Kunst! – heilig ist. Und: Dass ihr euer Publikum aus tiefstem Herzen verehrt.

(25 Sekunden Pause)

Das sind die Finalisten 2010. Das sind Mehrzad Marashi und Menowin Fröhlich.

(Pause.)

Mehrzad Marashi. 29 Jahre alt. Dieser Abend ist deine definitiv letzte Chance, dass aus deinem Traum von der Musik noch was wird. Seit 16 Jahren kämpfst und ackerst du, um dich als Sänger zu etablieren. Nichts hat funktioniert. Pleite, und ohne Zukunft. Als du zum Casting gekommen bist, warst du ganz unten. Aber von diesem Tag an ging’s für dich unaufhaltsam aufwärts. Mehrzad, du hast die Jury wieder und wieder begeistert. Du hast zuverlässig Top-Leistungen abgeliefert. Zuverlässig. Und. Top. Aus dem Mund eines Profis wie Dieter gibt es auf dieser Welt für einen Sänger kein größeres Kompliment. Du bist an die Spitze durchmarschiert und hast ganz nebenbei noch dein ganzes Leben umgekrempelt. Hast einen Sohn bekommen. Bist Vater geworden. Hast Deiner Denise einen Heiratsantrag gemacht. Und jetzt hast du noch einen zweiten großen Antrag gemacht. Du hast Deutschland um sein Ja-Wort gebeten. Das Ja-Wort zum Superstar. Und jetzt wartest du auf die Antwort: Liebeserklärung oder Laufpass.

Mehrzad, noch einmal tief durchatmen, in wenigen Augenblicken wirst du’s wissen.

Menowin Fröhlich, DSDS 2010 war die große zweite Chance, die du dir vom Leben gewünscht hast. Dein Weg hier bei uns war alles andere als gerade. Dein erster Anlauf bei DSDS hat hinter Gittern geendet. Aber du hast nicht aufgegeben, bist nicht abgerutscht, du hast an deinen Traum festgehalten. Hast an dir gearbeitet. Und hast einen zweiten Anlauf gemacht. Dass du ein sehr großes Talent hast, das haben wir alle schon vor vier Jahren gesehen. Diesmal haben wir erkannt: Der ist sogar noch besser. Der hat etwas, das nur ganz wenige haben. Soul im Blut. Musik in jeder Pore. Mit dem hat es der liebe Gott mal richtig gut gemeint. Zumindest, was die Musik angeht.

Dein Leben war bisher eine extreme Achterbahnfahrt. Es gab schwere Konflikte mit dem Gesetz; du warst auf der Flucht, hast während all dem drei Kinder gezeugt. Zu deiner Mutter jahrelang keinen Kontakt, manch einer würde sagen: Der packt das nicht. Aber du hast es gepackt. Bis hierher ins Finale. Und du hast dich mit deiner Mutter ausgesöhnt. Kleines Wunder. Und jetzt das nächste Wunder: Wird aus dem ehemaligen Häftling der Superstar 2010?

(Pause.)

Deutschland hat entschieden! Das sind sie, die Finalisten von DSDS 2010. Mehrzad Marashi und Menowin Fröhlich. Und die große Frage in Deutschland, wer wird Superstar 2010? Wessen Name werden wir uns merken. Welchen Namen werden wir vergessen? Wer feiert heute den größten Triumph seines Lebens?

(Pause.)

Mit 56,4 Prozent aller Anrufer.

(20 Sekunden Pause.)

Superstar 2010.

(Pause.)

Ist Mehrzad Marashi!

Soweit also Marco Schreyl. Und das hier ist in dieser Sekunde Menowin Fröhlich:

Der Sieger steht im Licht. Der Verlierer steht für immer in seinem Schatten. Und das ist ein Schicksal, mit dem sich der Verlierer wahrscheinlich niemals versöhnen wird.

Gute Nachrichten, schlechte Nachrichten

Heute lernen wir etwas über die Kriterien professioneller Medien bei der Nachrichtenauswahl. Und über als Journalismus getarnten Lobbyismus in eigener Sache.

Vor zwei Monaten hatte die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin eine Idee, wie sich die Welle der hysterischen Berichterstattung über eine geplante iPhone-Anwendung von tagesschau.de noch weiter verlängern ließ — und sie auf ihr reiten könnte: Sie stellte eine parlamentarische Anfrage an die EU-Kommission, ob sie in dieser Sache „Handlungsbedarf“ sehe.

Die Medien, von denen einige wie „Spiegel Online“ und „Bild“ ohnehin längst publizistische Kampagnen gegen die ungeliebte neue Konkurrenz im Netz führten, nahmen die Vorlage begeistert auf.

„Bild“, 18.2.2010:

FDP bringt das „Tagesschau“-App vor EU-Kommission

Brüssel – Neuer Wirbel um das geplante „Tagesschau“-App der ARD. Auf Antrag der Vizepräsidentin des Europa-Parlaments, Silvana Koch-Mehrin (FDP), prüft jetzt die EU-Kommission, ob die umstrittene Internetanwendung fürs Handy gegen EU-Recht verstößt.

In einer Beschwerde bei EU-Kommissarin Neelie Kroes moniert Koch-Mehrin, die ARD könne einen solchen Dienst „offensichtlich nur deswegen kostenlos bereitstellen, weil sie durch obligatorische Rundfunkgebühren finanziert wird“. Dagegen müssten private Anbieter „ein solches Angebot kostenpflichtig machen“.

Aus ihrer Sicht nutze „die ARD ihr staatlich garantiertes Recht auf ein hohes Gebührenaufkommen aus, um sich gegenüber privaten Konkurrenten einen nicht gerechtfertigten Vorteil zu verschaffen“, so Koch-Mehrin. (…)

ddp, 18.02.2010:

FDP bringt „Tagesschau“-App vor EU-Kommission

Brüssel/Berlin (ddp). Neuer Wirbel um die geplante «Tagesschau»-Applikation (App) der ARD. Auf Antrag der Vizepräsidentin des Europa-Parlaments, Silvana Koch-Mehrin (FDP), prüft die EU-Kommission, ob die Internetanwendung fürs Handy gegen EU-Recht verstößt, schreibt die „Bild“-Zeitung (Donnerstagausabe). (…)

dpa, 18.2.2010:

FDP kritisiert iPhone-Pläne der ARD

Brüssel (dpa) – Die FDP warnt bei einer von der ARD geplanten Anwendung für das iPhone vor Wettbewerbsverzerrungen. In einer Anfrage der FDP-Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin an EU- Medienkommissarin Neelie Kroes hieß es, die ARD wolle ein kostenloses „App“ für iPhone-Nutzer zur Verfügung stellen, für das private Anbieter Kosten erheben müssten. Kroes solle klären, ob dies gegen die EU-Wettbewerbs- und Binnenmarktregeln verstoße.

„Die ARD kann dieses Angebot offensichtlich nur deswegen kostenlos bereitstellen, weil sie durch obligatorische Rundfunkgebühren finanziert wird“, hieß es zudem in einem persönlichen Schreiben Koch-Mehrins an Kroes, das am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur dpa vorlag. Auch die „Bild“-Zeitung hatte davon berichtet.

Die EU-Kommission muss innerhalb von drei Wochen antworten, oder eine Verzögerung begründen. (…)

„Der Westen“, 18.2.2010:

FDP schwärzt ARD wegen Tagesschau-App bei der EU an

„Meedia“, 18.2.2010:

Der ARD bläst in Sachen Tagesschau-App der Wind aus allen Richtungen ins Gesicht. Jetzt schaltet sich auch die Politik in die heftig umstrittene Debatte über Online-Kompetenzen der Öffentlich-Rechtlichen ein. Nach Informationen der Bild-Zeitung hat die FDP-Politikerin und Vizepräsidentin des Europaparlaments Silvana Koch-Mehrin einen Antrag bei der EU-Kommission durchgesetzt, wonach geprüft werde, ob die mobile Online-Expansion der Nachrichtensendung mit europäischem Recht vereinbar ist. (…)

„Spiegel Online“, 18.2.2010:

FDP-Politikerin schaltet EU-Kommission ein

„Berliner Zeitung“, 19.2.2010:

Jetzt eben auch Silvana Koch-Mehrin. In der hitzigen Debatte über den Digitalisierungsdrang des gebührenfinanzierten Rundfunks hat sich gestern die Europa-Abgeordnete der FDP zu Wort gemeldet. Die Politikerin rief die EU-Kommission an, um von höchster Stelle prüfen zu lassen, ob die „Tagesschau“ mit einer eigenen Anwendung (App) auf internetfähigen Mobiltelefonen wie dem iPhone unterwegs sein darf, wie sie es von diesem Frühjahr an nach eigenem Bekunden tun will. (…)

„Tagesspiegel“, 19.2.2010:

„Tagesschau“-App fürs iPhone beschäftigt EU-Kommission

Der Streit um die geplante iPhone-Anwendung von tagesschau.de beschäftigt auch die Europäische Union. Silvana Koch-Mehrin, FDP-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, will von der Kommission prüfen lassen, ob eine Wettbewerbsverzerrung vorliegt. (…)

„RP-Online“, 21.2.2010:

(…) Verleger mit eigenen Nachrichtenangeboten im Netz warnen seit Monaten vor einer Wettbewerbsverzerrung durch einen unbeschränkt agierenden Online-Auftritt der „Tagesschau“, der sich aus Rundfunkgebühren finanziert. Mit den ARD-Vorhaben, eine kostenlose Variante von tagesschau.de speziell für das iPhone von Apple bereitzustellen, beschäftigt sich dem [„Focus“] zufolge inzwischen auch EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia. (…)

„Der Spiegel“, 22.2.2010:

(…) Die bisher nur angekündigte „Tagesschau“-App beschäftigt indes auch die Politik. Die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin hat bei der EU-Kommission eine Prüfung des ARD-Angebots gefordert. (…)

„Der Focus“, 22.2.2010:

(…) Währenddessen beschäftigt sich auch die EU-Kommission in Brüssel mit den Internet-Aktivitäten der „Tagesschau“. Dabei geht es um das ARD-Vorhaben, eine kostenlose Variante von tagesschau.de speziell für das iPhone von Apple bereitzustellen, einer sogenannten App. Die FDP-Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin hatte in einem Brief an EU-Medienkommissarin Neelie Kroes vor Wettbewerbsverzerrung durch diese App gewarnt.

Kroes‘ Behörde hat den Fall inzwischen an den neuen EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia weitergereicht, der drei Wochen Zeit für die Prüfung hat.

(„Welt Online“ kopierte übrigens einfach die Meldung aus ihrem Schwesterblatt „Bild“ fast wörtlich und ergänzte sie um den sachdienlichen Hinweis: „Die kostenpflichtigen iphone-Apps von WELT und ‚Bild‘ sind seit ihrem Start im Dezember schon von mehr als 100.000 Nutzern gekauft und herunter geladen worden. Neueinsteiger können die WELTApp für 1,59 Euro einen Monat lang testen.“ Dazu stellte „Welt Online“ eine 16-teilige Bildergalerie mit Fotos von dem eigenen Angebot und Informationen wie: „Willkommen in der WELTApp. So haben Sie noch nie mobil gesurft.“)

Vor gut einer Woche bekam Frau Koch-Mehrin Antwort auf ihre Fragen. Sie fiel vernichtend aus. Wettbewerbskommissar Almunia schrieb ihr, dass die EU-Kommission keinen Anlass sieht, gegen die geplante App vorzugehen. Grundsätzlich sei es zulässig, mithilfe von Rundfunkgebühren neue Verbreitungsplattformen wie das iPhone zu erschließen. Ob die geplanten Dienste die Bedingungen dafür erfüllen, werde vorab im Drei-Stufen-Test geprüft, der aber „nur für tatsächlich ’neue‘ und ‚relevante‘ Dienste durchgeführt“ werden müsse. Für Beschwerden, was den Ablauf dieses Verfahrens angehe, sei die EU-Kommission nicht zuständig, erklärte der Kommissar der FDP-Politikerin. Das sei Sache der Bundesländer.

Almunias Antwort trägt das Datum vom 8. April. Eine Woche später, am vergangenen Donnerstag, veröffentlichte die ARD eine Erklärung, in der sie die „Zurückweisung“ der Anfrage Koch-Mehrins begrüße. Am selben Tag berichtete die Nachrichtenagentur epd über die Antwort der EU-Kommission und die Genugtuung der ARD.

Und so haben die oben zitierten Online- und Print-Medien, Boulevardzeitungen und Nachrichtenagenturen, Fach-Medien und Nachrichtenmagazine über diesen Ausgang der Sache berichtet, deren Anfang sie so eifrig begleiteten:

 

 

 

 

 

 

 

 

(Vollständige Übersicht.)

Der sechzigste Geburtstag, oder: Der ARD geht’s wohl zu gut

Schauen Sie sich bitte vorab einmal dieses Video an. Die BBC hat es 1997 produziert, um für sich zu werben. So unterschiedliche Künstler wie David Bowie, Elton John, Heather Small, Suzanne Vega und der Baritonsänger Thomas Allen sangen mit verschiedenen Instrumentalisten, Chören und dem BBC-Sinfonieorchester „Perfect Day“ von Lou Reed. Am Ende stand die Botschaft: Die BBC hat für jeden Musikgeschmack etwas zu bieten. Und sie kann sich das leisten, weil sie durch Rundfunkgebühren finanziert wird: BBC. You make it what it is.

Natürlich ist es ungerecht, die ARD mit der BBC zu vergleichen – nicht nur wenn es um das Reservoir an Weltklasse-Künstlern geht, aus dem man für einen solchen Spot schöpfen kann. Die Bedeutung der BBC als identitätsstiftende Institution einer Nation ist ungleich größer. Aber genau deshalb muss sie sich – bei allen Anfeindungen, denen sie sich ausgesetzt sieht – auch weniger vor der Zukunft fürchten. So sehr die Briten auf die BBC schimpfen, so sehr wissen sie, was sie an ihr haben.

Wissen die Deutschen, was sie an der ARD haben? Wäre so ein runder Geburtstag, wie ihn die ARD in diesen Tagen feiert (sie feiert cirka jedes zweite Jahr ein rundes Jubiläum, weil sie sich mal auf den Gründungstag der ARD und mal auf den ersten Sendetag des gemeinsamen Fernsehprogramms bezieht), wäre ein solcher 60. Geburtstag nicht ein guter Termin, die Menschen daran zu erinnern?

Es muss ja nicht gleich eine Produktion werden, die sich die Menschen noch 13 Jahre später massenhaft auf YouTube ansehen. Aber wenn man schon einmal auf dem letzten verbliebenen Primetime-Sendeplatz im Ersten, der theoretisch zumindest gelegentlich noch für so etwas ähnliches wie Dokumentationen verwendet wird, 45 Minuten lang für sich werben kann – sollte man diese 45 Minuten nicht dafür nutzen, für sich zu werben?

Die ARD findet das nicht. Als würde da draußen nicht gerade eine durchaus existenzbedrohende Debatte toben, ob wir uns in Zukunft überhaupt noch einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk leisten müssen und wollen, verzichtete sie darauf, einen Film zu machen, der den Zuschauern und Gebührenzahlern das Einzigartige, das Unverzichtbare an der ARD in Erinnerung ruft (mal vorausgesetzt, dass jemandem im Senderverbund dafür noch Beispiele einfallen würden). Der eigene Film zum 60. Geburtstag hätte streitbar sein können, amüsiert, selbstbewusst, selbstkritisch, natürlich unterhaltsam, zur Not defensiv. Stattdessen begab sich der Gratulant Benjamin Cors ganz in die Perspektive eines staunenden kleinen Kindes: Wahnsinn, Fernsehen. Was da alles passiert! Und wir können zugucken! Ist das nicht unglaublich?

Das Fernsehen ist in weiten Teilen über die Phase der Boulevardisierung hinaus. Es geht längst um Infantilisierung. Die Sendung „Glückwunsch, ARD!“ ist ein Dokument dieses Trends, und das beunruhigendste ist, wie sehr sie es genießt, sich mal ganz blöd zu stellen.

Fünf Schauplätze hat Cors sich ausgesucht, um jeweils eine Facette der ARD zu zeigen. Er beginnt bei Dreharbeiten zu einem Kölner „Tatort“. Der Off-Sprecher erzählt mit der Stimme eines Gute-Nacht-Geschichten-Erzählers:

So viel Hektik, so viele Menschen hinter der ARD-Kommissaren. Es geht um Mord. 22 Drehtage für 90 Minuten Film. Die haben hier keine Zeit zu verschwenden. (…) Die Festnahme wurde mehrmals aus unterschiedlichen Perspektiven gedreht. Und wie auf Knopfdruck werden aus Schauspielern Kommissare!

Das muss man sich einmal vorstellen: Wie auf Knopfdruck werden aus Schauspielern Kommissare! Doch in der ARD gibt es nicht nur Schauspieler, die, nun ja: schauspielern. Hier laufen zum Beispiel auch Nachrichten.

In diesem Raum werden die „Tagesthemen“ geplant. Das klingt so spannend, da wollen wir dabei sein! Dürfen wir auch. Die ARD hat schließlich Geburtstag. Und Caren Miosga nimmt uns einfach mal mit durch ihren Tag. Erst mal redet sie über einen Bankenskandal. Das ist uns zu kompliziert. Wir reden lieber mit ihr – über ihr erstes Mal.

Die Welt ist voller Dinge, die man als ARD-Dokumentarfilmer nicht versteht. Bankenskandale sind nicht das einzige.

Es gibt hier viele Uhren und viele Zeitungen. Da kann einem schon ein bisschen wirr werden.

Uuuuh, Uhren! Buchstaben!

Das Jackett von Caren Miosga ist übrigens blau. Viele interessieren sich ja vor allem dafür.

Während der Sprecher das erklärt, ist exakt Folgendes im Bild zu sehen (Beschriftung von uns):

Die ARD hält ihre Zuschauer nicht nur für blöd, sondern auch für blind.

Manchmal fühlt man sich an die „Sendung mit der Maus“ erinnert. Aber deren Macher würden vermutlich nicht so sprechen, weil sie wüssten, dass die Kinder das als zu kindisch ablehnen würden. Zu Besuch bei der SWR-Jugendwelle Das Ding heißt es:

Der Mann mit der Mütze macht, dass es nachher laut wird im Radio.

Und wieder im „Tagesthemen“-Studio:

Caren Miosga schaut auf den Tisch – beziehungsweise: in den Tisch. Da ist nämlich ein Bildschirm eingebaut. Jan Hofer ist der Mann an Miosgas Seite. Für den hat sie aber keinen Blick übrig. Denn der nächste Einsatz wartet.

(An dieser Stelle war ich ein bisschen enttäuscht, dass nicht wenigstens erklärt wurde, was ein „Tisch“ ist.) Und ewig dieses Staunen, diese alberne Glücksangeberei, dabei sein zu dürfen, als ARD-Kamerateam hinter den Kulissen einer ARD-Fernsehsendung…

Und dann stehen wir direkt neben Ihm, während Florian Silbereisen um Beistand bittet. Florian Silbereisen – mit dem dürfen nur wir hinter die Kulissen!

…oder einer ARD-Radiosendung:

Wir sind aufgeregt. Denn: Schließlich dürfen wir umsonst ins Stadion! Mit Sabine Töpperwien. Ganz oben unters Dach! Auf die besten Plätze! Wir wollen ja auch wirklich alles mitbekommen.

Sprache und Haltung sind aber natürlich nur das eine. Das andere ist das völlige Fehlen eines Bewusstseins, dass die ARD, mehr denn je, eine Legitimation für die Milliardengebühren braucht, dass die Menschen sie für unverzichtbar halten müssen, dass es nicht reicht, irgendetwas Fluffiges zu senden, selbst wenn die Quoten stimmen. Wenn der Sprecher sagt: „Irgendwo hier müssen auch die ganzen jungen Leute sein, die Das Ding so spannend machen“, dann feiert die ARD in ihrer Jubiläums-Dokumentation allen Ernstes ein Programm als Vorzeige- und Zukunfts-Projekt, das zumindest nach dem, was man in der Sendung davon sieht, eine schlichte Kopie der privaten Dudel- und Quatschfunksender darstellt. Dass nicht auszuschließen ist, dass Das Ding seine Hörer zur Not auch informieren will, lässt sich nur aus folgendem Off-Text schließen:

Es ist kein leichter Morgen für Frederik Peters. Das Thema des Tages ist nämlich – eher unsexy: Der Tarifstreit. Bei der Bahn. Aber auch damit müssen die beiden [Moderatoren] versuchen, junge Hörer zu erreichen!

Es scheint echt ein Fluch zu sein, öffentlich-rechtliche Mindeststandards zu erfüllen. Und dann sehen wir Peters, wie er das macht, mit dem Thema, das eher unsexy ist, junge Hörer zu erreichen. Er sagt als eine Art Überleitung: „Nach dem Motto, eben war ich noch blau, und jetzt fährt keine Bahn.“

Ganz klein hat sich die ARD mit dieser Geburtstagsdokumentation gemacht. So klein, dass sie sich selbst riesig finden musste, schon wegen der vielen Leute! Und der ganzen Mikrofone! Und der blinkenden Lichter! Womöglich glaubt sie, das reicht schon, wenn das Publikum denkt: Mensch, von unseren Gebühren kaufen die aber tolle Tische mit Löchern drin. Und lassen den Silbereisen über heiße Kohlen geben. Und machen Dokumentationen, die man zusammen mit der sechsjährigen Nichte und der dementen 117-jährigen Großmutter gucken kann, und keiner fühlt sich überfordert.