Eckart von Hirschhausens Hybris

Schade, dass die „Süddeutsche Zeitung“ ihre schöne Seite-3-Geschichte über den unheimlichen Aufstieg des neuen ARD-Alles-Moderators Eckart von Hirschhausen und seine Hybris nicht online gestellt hat. Dies ist sein darin dokumentierter Versuch, Journalisten vorzuschreiben, was sie über ihn schreiben:

Schon die Anbahnung des Treffens war dann schwierig verlaufen, weil Hirschhausen zunächst — anders als zum Beispiel Hollywoodstars, Nobelpreisträger oder die Kanzlerin — auf Monate keinen Termin finden konnte. Aber er ist wahrscheinlich wirklich viel beschäftigt, und als sich dann doch eine Lücke im Terminkalender auf getan hatte, schien einem Treffen nichts mehr im Wege zu stehen.

Dann schickte Frau H., seit mehr als zehn Jahren seine Managerin („die unermüdliche Strategin hinter meinem Erfolg“, wie er schreibt), die Bedingungen (…).

Managerin Frau H. schreibt der SZ also: „Ich möchte meinerseits gerne noch einmal folgende Punkte festhalten, die wir mit allen Journalisten vereinbaren und die ich Sie unbedingt bitte zu respektieren. Verstehen Sie dies bitte als Voraussetzung für die Zusage zum Interview.

1. Wir gehen davon aus, dass Sie KEINE privaten Fragen stellen und auch keine privaten Informationen über Eckart von Hirschhausen in Ihrem Beitrag verarbeiten. Wir legen auf eine strikte Trennung von Berufs- und Privatleben wert; Eckart von Hirschhausen ist einer der Künstler, der sich ausschließlich über sein berufliches Wirken definiert.

2. Sie legen uns Ihren Beitrag in vollem Umfang vor dem Druck zur Autorisierung vor; bitte nicht nur die Hirschhausen-Zitate, sondern den gesamten Beitrag, damit wir den Zitatezusammenhang auch erkennen können.

3. Eckart von Hirschhausen bzw. das Management haben das Recht, Einwände zu äußern und eine Textänderung zu bewirken, wenn die Person ‚Eckart von Hirschhausen‘ nicht korrekt dargestellt wurde.

Eine Frage: Haben Sie einen Fotografen dabei? Wenn ja, dann bringen Sie doch bitte auch eine Maske mit.“

Die SZ hat den Interviewtermin daraufhin abgesagt.

Von Unschulds- und anderen Vermutungen

In viele Berichte über die Vorwürfe gegen Jörg Kachelmann mischt sich ein merkwürdiges Bedauern: Ja, es sei nicht auszuschließen, dass der Mann unschuldig ist, aber man müsse wohl davon ausgehen, dass seine Karriere in jedem Fall erledigt ist, auch wenn er freigesprochen wird oder es gar nicht zur Anklage kommen sollte, leider, die Welt ist da nicht gerecht.

Wie verlogen ist das, bitte?

Wenn das stimmt, wenn also schon die Berichterstattung über einen Verdacht gegen einen Prominenten sein Leben zwangsläufig zerstört, dann kann es daraus doch nur eine einzige Konsequenz geben: nicht über diesen Verdacht zu berichten. Die Abwägung zwischen den Interessen der Öffentlichkeit und denen des Betroffenen fiele in diesem Fall leicht. Wenn über jemanden nicht berichtet wird, der sich später als schuldig herausstellt, wäre das Opfer der Öffentlichkeit nur, spät davon erfahren zu haben. Wenn über jemanden berichtet wird, der sich später als unschuldig herausstellt, wäre sein Opfer seine ganze Karriere.

Die Medien tun so, als müssten sie über den Fall berichten, auch um den Preis, einen Unschuldigen zu ruinieren. Das ist wieder die alte Diskussion, ob Journalisten nur für den Inhalt dessen, was sie schreiben, verantwortlich sind, oder auch die Folgen. Zum Berufsethos von Journalisten gehört es, die Verantwortung für die Folgen ihrer Berichterstattung abzulehnen.

An einigen Stellen wird jetzt sogar nicht mehr darüber diskutiert, ob es erlaubt ist, über den Fall zu berichten, sondern ob es erlaubt ist, nicht über den Fall zu berichten. Stefan Winterbauer macht auf „Meedia“ der „Tagesschau“-Redaktion Vorwürfe, weil sie (aus guten Gründen, wie ich finde) den Fall nicht in der Sendung behandelte. „Spätestens, als Kachelmanns Anwalt sich öffentlich zur Sache geäußert hat, war der Fall ein Thema für jedes Medium“, schreibt er, und er meint damit offenbar, dass nicht nur jedes Medium berichten durfte (was auch zweifelhaft ist), sondern musste. Eine Informationspflicht hat, wenn ich ihn richtig verstehe, schon deshalb bestanden, weil sich Zuschauer, die die Dienstpläne von Meteomedia kennen, sich hätten wundern können, warum Kachelmann nicht den Wetterbericht macht. Ja, klar, dafür kann man natürlich schon mal die Karriere eines Menschen aufs Spiel setzen.

Als mahnendes Beispiel dafür, wie gefährlich genau das ist, was die Medien gerade tun, nennen dieselben Medien dann den Namen Andreas Türck. Das ist vermutlich gut gemeint, denn der Fall ist tatsächlich ein mahnendes Beispiel. Aber dadurch, dass man es erwähnt, macht man eigene Berichterstattung in Sachen Kachelmann noch nicht besser. Und womöglich geschieht auch der Hinweis, dass Kachelmanns Karriere vor der Kamera nun bestimmt ebenso zuende ist, wie sie es bei Türck trotz seines Freispruchs damals war, in bester Absicht. Aber der Effekt könnte der gegenteilige sein: Solche Sätze haben den Hang zur self-fulfilling prophecy. Wenn alle sich einig sind, dass es das ja wohl war mit Kachelmann als Wettermann, dann ist es das schnell tatsächlich gewesen mit Kachelmann als Wettermann.

Auf die Gefahr hin, dass meine Haltung paradox klingt: Ich bin nicht der Meinung, dass die Medien über den Fall Kachelmann hätten berichten sollen geschweige denn müssen, denn der tatsächliche und potentielle Schaden für den möglicherweise Unschuldigen ist riesig. Aber ich bin auch nicht der Meinung, dass jetzt schon fest steht, dass Kachelmanns Karriere damit beendet ist. Bei aller Misanthropie, die mir nicht fremd ist: Das wäre schon sehr erschütternd, wenn die Mahnung „irgendwas bleibt immer hängen“ zwingend eine so unausweichliche, folgenreiche Tatsache wäre.

Bei Andreas Türck übrigens war es nicht irgendein Naturgesetz, das dazu führte, dass er bis zu seinem Freispruch und auch noch danach wie ein Schuldiger behandelt wurde. Es war die Folge einer verachtenswerten Kampagne vor allem von „Bild“ und „Bild am Sonntag“, auf deren Höhepunkt ein Mann namens Stefan Hauck, der auch heute noch für „Bild am Sonntag“ arbeitet, über Türcks Leben richten und es als „erbärmlich“ abtun durfte. (Nicht zu vergessen die lustige Kolumnistin Evelyn Holst, die den Moderator nach seinem Freispruch noch zur „peinlichen Person“ erklärte.)

Der von vielen Medien häufig mit einem Experten verwechselte In-Mikrofone-Sprecher Jo Groebel hat laut dpa im Radio gesagt, es gebe „einen schweren Imageschaden“ für Kachelmann, und wie zum Beiweis hinzugefügt: Auch bei Roman Polanski werde nach 30 Jahren immer noch darüber geredet. Irgendwie scheint Groebel vergessen zu haben, dass Polanski damals unbestritten Geschlechtsverkehr mit einem 13-jährigen Mädchen hatte, dass er vor dem Urteilsspruch aus den USA geflohen ist und dass über die Sache deshalb gerade wieder geredet wird, weil er erst vor kurzem aufgrund eines internationalen Haftbefehls verhaftet wurde.

Aber wenn er Kachelmann nicht gerade mit Polanski vergleicht, ist sicher auch Jo Groebel total dafür, niemanden vorzuverurteilen.

Lesenswert zum Thema:

Kommt’n Meteorologe in’n Knast…

Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob Twitter die Menschen doof macht oder nur ohnehin vorhandene Doofheit sichtbar. Aber als heute bekannt wurde, dass der Fernseh-Wettermann Jörg Kachelmann unter dem Verdacht verhaftet wurde, eine Frau vergewaltigt zu haben, scheint das der Startschuss zu einem Twitter-Witzewettbewerb zu den lustigen Themen „Wetter“ und „Vergewaltigung“ gewesen zu sein, frei nach dem alten „Der Preis ist heiß“-Motto: aber nicht überbieten.

Und als wäre es nicht genug, dass das Thema so witzuntauglich, das Identifizieren des Verdächtigen durch sämtliche Medien so zweifelhaft und die Unschuldsvermutung so vergessen scheint — die Sprüche, an denen sich die Westentaschen-Harald-Schmidts aufgeilen, sind auch noch von erbärmlicher Unlustigkeit:










Dieser Idiot hier konnte gar nicht wieder aufhören:


Das hier ist ARD-Moderator Dennis Wilms („W wie witzig Wissen“):

Und das hier der erfrischende Humor der Koblenzer „Rhein-Zeitung“:

Den Sonderpreis für den dümmsten Tweet zum Thema könnte allerdings diese Frau gewonnen haben:

[Nachtrag/Offenlegung: Jörg Kachelmann hat für mein Blog schon einmal einen Gastbeitrag veröffentlicht, ebenso für BILDblog.]

Nachtrag, 20.49 Uhr: Dennis Wilms twittert:

#Niggemeier macht auf Moralist und bekämpft die Dynamik, der er seine Brötchen verdankt. Wer Twitter journalistisch betrachtet amüsiert mich

Sicherheitshalber hat er aber seinen ursprünglichen Tweet gelöscht.

Anwalt Schertz verliert gegen „Stalker“ (2)

[Vorbemerkung: Die Kanzlei von Christian Schertz hat mich in mehreren rechtlichen Auseinandersetzungen vertreten; er hat mich und BILDblog unterstützt. Ich habe mich jedoch vor einiger Zeit aus Gründen entschlossen, seine Dienste nicht mehr in Anspruch zu nehmen. 2. Vorbemerkung: Ich bin freier Mitarbeiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Dieser Eintrag gibt nur meine persönliche Meinung wieder.]

Es sieht nicht so aus, als ob der klagefreudige Medienanwalt Christian Schertz gegen meinen Blog-Eintrag über ihn und seine Niederlage vor dem Landgericht Berlin vorgehen würde. Er tut es aber gegen einen kurzen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum gleichen Thema. Der Kollege Joachim Jahn schrieb darin:

Kein „Cyberstalking“
Niederlage für Berliner Anwalt

Der Prominentenanwalt Christian Schertz ist mit dem Versuch gescheitert, einen Kritiker mit den Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes außer Gefecht zu setzen. Das Landgericht Berlin lehnte eine Berufung von Schertz gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg ab, das eine von ihm beantragte Verfügung gegen den Internetpublizisten Rolf Schälike aufgehoben hatte. (…) Das Landgericht hielt die Berufung von Schertz für verspätet und damit unzulässig. Auch räumte die Mitarbeiterin, die er zur Verhandlung geschickt hatte, einen Fehler in ihrem Schriftsatz ein. Die Vorsitzende Richterin machte deutlich, dass Schertz sein Anliegen im Hauptsacheverfahren klären solle. Schälike bestreitet den Vorwurf, er sei ein „Cyberstalker“.

Schertz fordert nun von der FAZ und ihrem Online-Ableger FAZ.net Unterlassung, Widerruf und Gegendarstellung. Er stört sich im Grunde an einem einzigen Wort: der Formulierung, das Landgericht habe seine Berufung für „verspätet“ gehalten. Er stellt fest: Die Berufung sei fristgerecht eingelegt worden, und das Landgericht habe das in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich betont.

Das stimmt. Aber das, was die „FAZ“ schrieb, stimmt auch.

In Jahns Artikel ist nicht die Rede davon, ob die Berufung „fristgerecht eingelegt“ wurde. Verspätet war Schertz‘ Berufung nach Ansicht des Gerichtes insofern, als der Zeitraum längst abgelaufen ist, in dem die Einstweilige Verfügung gegen den vermeintlichen „Stalker“ gegolten hätte, die Schertz wieder in Kraft gesetzt sehen wollte. Die Richterin sagte es im Juristendeutsch: „Die Beschwer ist weggefallen, die Zeit ist abgelaufen.“ In diesem Sinne hielt das Gericht Schertz‘ Berufung zweifellos für verspätet. Es erklärte seiner Anwältin in der mündlichen Verhandlung (bei der ich Zuhörer war), er müsse, wenn er in dieser Sache weiter gegen Schälike vorgehen wolle, in der Hauptsache klagen.

(Auch von dem Internetdienst „Meedia“, der die Formulierung aus der FAZ übernommen hatte, fordert Schertz Unterlassung. Der entsprechende Artikel ist deshalb nicht mehr online. Nachtrag, 22. März: Jetzt ist er wieder online; nur die beanstandete Formulierung fehlt.)

Es geht also in der Auseinandersetzung scheinbar um komplizierte juristische Verfahrensdetails oder, wenn man mag, schlicht um Wortklauberei. Deshalb liegt die Frage nah, warum Schertz so viel daran liegt, dieses seiner Meinung nach falsche Detail zu korrigieren, und warum er dabei sofort mit einer gewaltigen Keule angerannt kommt.

Meine Frage an Schertz, warum ein solches juristischen Vorgehen notwendig ist, beantwortete er nicht. Andere Antworten von ihm auf meine Fragen darf ich nicht zitieren.

Aber angesichts der Häufigkeit und Heftigkeit, mit der Schertz immer wieder auch in eigener Sache vorgeht, liegt der Verdacht nahe, dass dahinter eine Abschreckungsstrategie steht. Die Botschaft an die Journalisten scheint zu lauten: Überlegt euch zweimal, ob ihr wirklich über mich und meine Fälle schreiben wollt. Denn auch wenn Schertz eine solche juristische Auseinandersetzung um ein Wort oder einen Satz am Ende nicht gewinnen sollte: Der Kampf ist für den betroffenen Journalisten ungemein zeitaufreibend.

Entsprechend verführerisch ist es, ihn dadurch zu vermeiden, dass man gar nicht erst etwas schreibt, was Herrn Dr. Schertz nicht gefallen könnte. Zum Glück gibt es auch den gegenteiligen journalistischen Reflex: sich gerade wegen dieser unterstellten Abschreckungsstrategie nicht einschüchtern zu lassen.

Die FAZ hat die von Schertz geforderte Unterlassungserklärung abgegeben. Schertz interpretiert das fälschlicherweise als Beweis dafür, dass die Meldung falsch war. In Wahrheit ist es wohl eher Folge der verhängnisvollen „Stolpe-Enscheidung“ des Bundesverfassungsgerichtes: Danach kann ein Unterlassungsanspruch schon dann begründet sein, wenn man eine Formulierung auf mehrere Arten deuten kann, von denen eine unzulässig ist.

Schertz‘ Forderung nach Gegendarstellung und Widerruf hat die FAZ hingegen noch nicht nachgegeben.

Anwalt Schertz verliert gegen „Stalker“

[Vorbemerkung: Die Kanzlei von Christian Schertz hat mich in mehreren rechtlichen Auseinandersetzungen vertreten; er hat mich und BILDblog unterstützt. Ich habe mich jedoch vor einiger Zeit entschlossen, seine Dienste nicht mehr in Anspruch zu nehmen.]

Der prominente Berliner Medienanwalt Christian Schertz ist gestern vorläufig mit dem Versuch gescheitert, einen hartnäckigen kritischen Berichterstatter gerichtlich zum „Stalker“ erklären zu lassen und dadurch mundtot zu machen.

Es ist eine in vielfacher Hinsicht bizarre und beunruhigende Auseinandersetzung. Schertz fühlt sich von Rolf Schälike verfolgt, einem Mann, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Verhandlungen der Hamburger und Berliner Pressekammern zu dokumentieren, in deren Rechtsprechung er regelmäßig eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sieht und die er „Zensurkammern“ nennt. Die Kanzlei Schertz Bergmann und andere nennt er entsprechend „Zensurkanzleien“, Schertz selbst einen „Zensurguru“.

Schertz hat Schälike, der im Gerichtssaal bei den Verhandlungen mitprotokolliert und meist schwer verständliche Texte auf seiner Seite „Buskeismus“ veröffentlicht, mit einer Flut von Klagen überzogen. Es geht dabei nicht nur um (angebliche oder tatsächliche) Beleidigungen, sondern auch um die Frage, ob es ein so einflussreicher Anwalt hinnehmen muss, dass sein Vorgehen vor Gericht dokumentiert und somit einer kritischen Bewertung durch die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Nachdem Schälike dann natürlich auch über die Prozesse berichtet hat, die diese Frage verhandeln, ist Schertz auch dagegen vorgegangen. Im Klartext: Er versucht Schälike nicht nur zu untersagen, über ihn zu berichten; er versucht auch, ihm zu untersagen, darüber zu berichten, dass er versucht, ihm zu untersagen, über ihn zu berichten.

Der 71-jährige Rolf Schälike ist ein anstrengender Mensch, der sich mit einem gewissen Wahn dem Thema widmet und dabei zweifellos häufiger über das Ziel hinaus schießt. Aber auch das Verhalten von Christian Schertz lässt sich rational kaum noch erklären. Er aber geht nicht nur gegen Schälike vor, sondern nach meiner Überzeugung auch gegen die Meinungsfreiheit. (Er hat sogar versucht, gegen einen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ über Schälike vorzugehen, in dem er namentlich nicht einmal genannt wird, weil er meinte, dass Leser glauben könnten, er stecke hinter dem anonymen Zitat eines anderen Anwaltes.)

Anfang 2009 griff Schertz, offensichtlich beeindruckt von der Renitenz Schälikes, der sich auch durch horrende Rechtskosten nicht einschüchtern ließ, zu einem neuen, originellen und drastischen Mittel: das Gewaltschutzgesetz. Es ist erst vor wenigen Jahren verabschiedet worden, um Opfer von häuslicher Gewalt und Stalkern besser zu schützen. Der mächtige Anwalt Christian Schertz erklärte sich zum Stalking-Opfer des Bloggers Rolf Schälike und forderte den Schutz des Staates. Er berief sich dabei auf die Gesetzes-Formulierung, wonach ein Gericht ermächtigt ist, gegen jemanden vorzugehen, der „eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt“. Belästigt fühlte sich Schertz unter anderem durch eine E-Mail Schälikes und eine merkwürdige Weihnachtskarte.

Das Amtsgericht Charlottenburg lehnte die von Schertz beantragte einstweilige Verfügung gegen Schälike ab, das Landgericht Berlin gab sie ihm, allerdings mit einer Befristung auf sechs Monate. Es verbot Schälike unter anderem, in dieser Zeit „in irgend einer Form Kontakt zu dem Antragsteller aufzunehmen, etwa durch persönliche Ansprache, Telefonat, Fax, SMS, Email, Grußkarten oder Briefsendungen“ sowie sich Schertz „auf weniger als 50 m zu nähern; bei zufälligen Begegnungen ist der Abstand von 50 m durch den Antragsgegner unverzüglich wieder herzustellen“. Damit durfte sich Schälike auch nicht mehr im Gerichtssaal aufhalten, wenn Schertz anwesend war.

Diese Verfügung wurde sechs Wochen später, am 28. April 2009, nun wieder vom Amtsgericht Charlottenburg gekippt, wogegen Schertz Berufung einlegte.

Schertz Berufungsantrag wurde nun gestern vom Landgericht Berlin als unzulässig abgelehnt.

Es scheint, als wären Schertz dabei seine eigenen juristischen Kniffe zum Verhängnis geworden. Die Richterin machte deutlich, dass sie das Vorgehen seiner Kanzlei höchst zweifelhaft fand. Schertz forderte im Grunde, eine einstweilige Verfügung wieder in Kraft zu setzen, die aber ohnehin nicht mehr gelten würde, weil ihre sechsmonatige Befristung längst abgelaufen ist. Seine Rechtsvertreterin (Schertz war selbst nicht anwesend) verwickelte sich beim Versuch, ihren Berufungsantrag nachträglich so umzuformulieren, dass sie vom Gericht nicht sofort aus formalen Gründen abgewiesen wird, in heillose Widersprüche. Ursprünglich hatte sie gefordert, dass die Stalking-Vorgaben für Schälike unbefristet gelten sollen. Dann sprach sie davon, dass sechs Monate, wie sie das Landgericht vorgegeben hatte, ausreichten: In dieser Zeit der Zwangstrennung könne Schälike ja vielleicht vernünftig werden. Diese sechs Monate müssten aber natürlich ab jetzt erst gelten, nicht vom Zeitpunkt im vergangenen Jahr, zu dem die einstweilige Verfügung erlassen wurde.

Ihre Argumentation war außerordentlich perfide: Wie notwendig und positiv die einstweilige Verfügung sei, zeige sich daran, dass sie auf Schälike offenbar „starke Wirkung“ gehabt habe, sagte sie. — Als könnte die „starke Wirkung“, nämlich die gewaltige Empörung des Gegners, nicht auch damit zu tun haben, dass sich jemand, der sich bloß als radikaler Kämpfer für Transparenz und Meinungsfreiheit sieht, plötzlich vorwerfen lassen muss, er sei ein „Stalker“. Oder damit, dass Rolf Schälike mangels Meinungsfreiheit in der DDR zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde und zehn Monate im Stasi-Gefängnis saß, und es einfach nicht fassen kann, dass ihm in der Bundesrepublik sein Recht auf freie Meinungsäußerung in solcher Form genommen werden soll.

Bemerkenswert ist auch, dass die ganze Sache nach weit über einem Jahr immer noch im einstweiligen Verfahren verhandelt wird, das eigentlich nur dafür da ist, Entscheidungen vorläufig und auf die Schnelle zu treffen. Eberhard Reinecke, der Anwalt von Rolf Schälike, sah darin den Versuch, eine „ordnungsgemäße Beweisaufnahme zu verhindern“. Zu einer solchen Verhandlung, in der zum Beispiel anhand von Zeugenaussagen geklärt würde, was an den Stalking-Vorwürfen von Schertz gegen Schälike dran ist, käme es erst in einer Hauptverhandlung. Dazu müsste Schertz in der Hauptsache klagen, was ihm auch das Gericht nahelegte. „Sie können nur gewinnen, wenn Sie überfallartig arbeiten“, warf Anwalt Reinecke der Vertreterin von Schertz vor, weil dessen Kanzlei nach Monaten der Funkstille einen Tag vor der Verhandlung plötzlich einen gewaltigen Schriftsatz produziert hatte.

Am Ende hätte sich Schertz‘ Kanzlei diese Papierverschwendung sparen können: Das Landgericht urteilte gar nicht in der Sache, ob das Verhalten von Schälike Schertz gegenüber als „Stalking“ im Sinne des Gesetzes gewertet werden kann (was die Vorinstanz für mich überzeugend verneint hat). Es lehnte die Berufung schon aus formalen Gründen ab. Im Gerichtssaal in Berlin-Mitte erschien das wie eine besonders peinliche Form der Niederlage für die vermeintlichen Rechtsprofis der Kanzlei Schertz Bergmann.

 

PS: Christian Schertz hat mir gegenüber gestern nicht nur angekündigt, jeden Satz in diesem Text auf sachliche Fehler zu prüfen und gegebenenfalls dagegen juristisch vorzugehen. Der bekannte Anwalt glaubt außerdem, dass sein Geschäftsgebaren nicht öffentlich erörtert werden dürfe. Er behielt sich ausdrücklich vor, gegen diesen Eintrag rechtlich vorzugehen, wenn ich ihn nicht anonymisiere.

Ich bin überzeugt, dass es legitim ist, seinen Namen zu nennen. Schertz tritt regelmäßig als Experte für Medienrecht öffentlich auf. Der Versuch, das Gewaltschutzgesetz zu nutzen, um gegen wiederholte Äußerungen von Kritikern vorzugehen, ist, neutral formuliert, innovativ — eine Tatsache, auf die Schertz selbst stolz ist. Und wenn Schertz sich mit seinem Vorgehen durchsetzt, wonach es zum Glück gerade nicht aussieht, stellt das eine ernste Bedrohung der Meinungsfreiheit dar.

Immerhin hat das Landgericht Berlin Anfang des Jahres in einer anderen Sache Schertz ./. Schälike geurteilt, dass der Anwalt kritische Berichterstattung akzeptieren müsse: Ein Gewerbetreibender habe eine der Wahrheit entsprechende Kritik an seinen Leistungen grundsätzlich hinzunehmen. Für Anwälte gelte nichts anderes.

Nachtrag, 14:20 Uhr. Janus hat ein schönes, altes Zitat von Schertz zum Thema ausgegraben. Im April 2005 berichtete die Nachrichtenagentur ddp:

Der Berliner Medienanwalt Christian Schertz hat den am Freitag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) vorgestellten Entwurf für ein Stalking-Gesetz kritisiert. Das Gesetz sei handwerklich unsauber, sagte Schertz der „Berliner Zeitung“ (Samstagausgabe) laut Vorabbericht. Es enthalte Formulierungen, die zu wenig präzise seien.

„Im Strafrecht muss der Bürger genau wissen, wann er eine Straftat begeht“, sagte Schertz. Der Entwurf von Zypries sieht vor, für andauernde Belästigungen wie ständige Anrufe oder das Auflauern vor der Haustür eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zu verhängen. Dafür müsse das Stalking-Opfer „schwerwiegend und unzumutbar“ in seiner Lebensgestaltung beeinträchtigt sein. „Wann beginnt da der Tatbestand?“ kritisierte Schertz die Formulierung.

Lena

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ich sag das nicht oft, aber Sie hätten mich sehen sollen, am Freitagabend, auf meinem Fernsehsofa, als Lena „Love Me“ sang, einen ungemein gut gelaunten Popsong, den ihr Stefan Raab geschrieben hatte und den sie mit einer unbändigen Lust präsentierte: Ich saß da mit einem drei Minuten anhaltenden, breiten, sinnlosen Grinsen.

Das Publikum hat sich dann für ein anderes Lied entschieden, mit dem Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Song Contest antreten soll, aber das nimmt dem Moment nachträglich nichts von seinem Zauber.

Momente zu schaffen, das ist das, was Unterhaltungsfernsehen am besten kann. Wie die erste Begegnung mit dieser 18-jährigen Kandidatin, ihrem Auftritt in der Premierenshow vor Wochen mit „My Same“ von Adele, mit dem sie allen innerhalb von Sekunden den Kopf verdrehte. (Und das sie übrigens gegen den Rat von Raabs Band durchsetzte, indem sie schlicht mit Abreise drohte.) Oder ihr Satz „Mein ganzer Körper ist voll mit kleinen guten Sachen“ am Anfang der Finalshow. Oder auch nur die Szene, in der sie erklärte, wie sie sich aus zwei Lippenstiften mit Fanta- und Cola-Geschmack ihre Lieblingssorte Mezzo-Mix zusammenschminkt. Lena ist Momentezaubermeisterin. „Hussa, das wird ein Spaß“, sagte sie.

„Unser Star für Oslo“ sollte „nachhaltiger“ werden als Dieter Bohlens Demütigungs- und Kandidatenverbrennshow „Deutschland sucht den Superstar“, hieß es. Dabei wurde in Raabs Sendung viel seltener behauptet, es gehe darum, durch einen Sieg die Erfüllung eines Lebenstraumes und eine dauerhafte Karriere zu gewinnen (was ohnehin nicht einmal mehr das RTL-Publikum glaubt). Es ging eigentlich immer nur um zwei Momente: Den einen, hier, jetzt, auf der Bühne, bei dem der Funke überspringen muss. Und einem Moment Ende Mai in Oslo, wenn in einem absurd großen Rahmen zig Millionen Zuschauern verzaubert werden wollen.

Was dann passiert und danach, weiß niemand. Genau so wenig, ob diese erstaunliche, polarisierende junge Frau, für die man das Wort „keck“ mal vom Sechziger-Jahre-Muff befreien müsste, das Zeug hat, auf Dauer die Menschen für sich und ihre verquer-lässige Art, Musik zu machen, zu begeistern.

Dafür ist dann aber das Fernsehen nicht mehr zuständig. Dort muss sie nur ein paar Europäern für einem Moment ein ähnliches Glücksgefühl verschaffen, sie entdeckt zu haben, wie es ihr in Deutschland gelang. Das ist schon alles.