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Die Wirklichkeit ist für die „Huffington Post“ nicht geschmacklos genug

In einer Bar in Kiew haben Menschen Ende Dezember eine Party veranstaltet, bei der sie gemeinsam einen Kuchen in Form eines Babys auf einer russischen Flagge anschnitten. Das staatliche russische Fernsehen hat sich darüber ausführlich empört. Die ukrainischen Veranstalter sagen hingegen, dass die Aktion gerade die Absurdität der russischen Propaganda verspotten sollte.

Tja. Traurig, würdelos, geschmacklos, das alles. Aber noch nicht geschmacklos genug für die deutsche „Huffington Post“ aus dem Hause Burda. Um die maximale Zahl von Klicks aus der Meldung zu schlagen, ging sie bei der Präsentation eines Nachrichtenfilmchens zum Thema den entscheidenden Schritt weiter:

Ehe, Gewicht, Promis: Wie man Experte für Allesmögliche bei „bunte.de“ wird

Dieser Satz ist ja an sich schon ganz lustig:

BUNTE.de hat bei einem Experten nachgefragt.

Der Experte in diesem Fall heißt Abbas Schirmohammadi, und es gibt ihn wirklich; Bunte.de hat in einem Artikel freundlicherweise gleich einen Link gesetzt zu seiner Seite und ihn als „Münchner Heilpraktiker für Psychotherapie“ vorgestellt. Wobei das wechselt. Bunte.de spricht in jüngster Zeit öfter mit Herrn Schirmohammadi. Mal ist er Psychologe, mal Heilpraktiker, mal Personality Coach. Mal „Experte“ für Ehe, für Gefühle, Charakterwechsel, Narzissten. Und insgesamt auch, kann man wohl so sagen: „Experte“ für alles, was Prominente betrifft.

Doch welche Chancen hat die Ehe der beiden Schauspieler [Brad Pitt und Angelina Jolie]? BUNTE.de hat den Münchner Psychologen Abbas Schirmohammadi (36) gefragt.

Wir haben uns ihr Verhalten [das von Heidi Klum] von dem Münchner Heilpraktiker für Psychotherapie und Personality Coach Abbas Schirmohammadi (36) erklären lassen.

Wir fragen den Münchner Psychologen Abbas Schirmohammadi (36), wie er die Gefühlslage der schönen Blondine [Corinna Schumacher] einschätzt.

Wir haben uns ihren Charakterwechsel [den von Claudia Effenberg] von dem Münchner Heilpraktiker für Psychotherapie und Personality Coach Abbas Schirmohammadi (36) erklären lassen.

Für BUNTE.de hat der Psychologe Abbas Schirmohammadi (36) genauer hingeschaut und die Kandidaten [der Sendung „Bachelorette“] analysiert.

Auch in einem anderen Artikel taucht Herr Schirmohammadi auf, jedoch nicht auf bunte.de, sondern in der „Süddeutschen Zeitung“, wo er vor zwei Jahren Auskunft darüber gibt, weshalb Erotikpartys bei jungen Leuten so angesagt sind. Außerdem sitzt er schon mal bei „taff“ rum, auf Pro Sieben. Oder Herr Schirmohammadi kümmert sich um die „Herzensangelegenheiten“ der „Freundin“-Leserinnen. Und jetzt ist er auch noch „Experte“ für Gewicht. Denn den Redakteuren von bunte.de sind vor ein paar Tagen Fotos in die Hände gefallen, auf denen David Beckham seine dreijährige Tochter Harper trägt. Bunte.de schlussfolgert:

Während die beiden Stars [David und Victoria Beckham] rank und schlank durchs Leben gehen, zieht es Harper offenbar vor, getragen zu werden. Das zeigen aktuelle Aufnahmen.

Diese Pseudo-Investigative ist schon toll: „Das zeigen aktuelle Aufnahmen.“ Und dass sich eine Dreijährige tragen lässt! Unfassbar! Und dass sie obendrein die Frechheit besitzt, dabei, laut „Bunte“-Recherche, einen „Softdrink“ zu konsumieren und zudem wohlgenährt aussieht! Un. Fass. Bar. Deshalb titelte bunte.de:

Bunte.de Titel

Im Text spekuliert bunte.de zunächst darüber, wie viele Kalorien die Beckham-Tochter täglich wohl so zu sich nimmt und wie viele Kalorien mehr als ihre Mutter. (Der Satz ist inzwischen verschwunden.) Außerdem überlegt bunte.de, ob Harpers Eltern ihr „bedenkenlos Süßes und Fettiges im Übermaß“ geben. Um dann schließlich noch über das Gewicht der Dreijährigen abstimmen zu lassen:

Voting auf Bunte.de

Ein Voting zum Gewicht einer Dreijährigen. Erfreulicherweise bescherte das der Redaktion Zoff mit ihren Lesern; und der Konzern Dr. Oetker teilte Burda Media mit, dem Verlag der „Bunten“, man wolle nicht in einem „ethisch bedenklichen Umfeld“ werben. Laut Dr. Oetker entschuldigte sich der Verlag daraufhin rasch und gelobte Besserung. Was ebenfalls lustig ist, denn kurz zuvor hatte bunte.de noch versucht, den reißerischen Artikel zu verklären und behauptet, man habe lediglich für ein Thema sensibilisieren wollen: für „Übergewicht bei Kleinkindern“.

Und da kommt Herr Schirmohammadi ins Spiel.

Der Psychologe/Heilpraktiker/Coach ist der Kronzeuge. Weil er irgendeinen Titel trägt, irgendwas Medizinisches, was mit Psychologie, wirkt das natürlich wahnsinnig seriös, was er sagt. Schirmohammadi soll ganz fachmännisch einschätzen, ob das Kind zu dick ist. Oder eher: Er soll mal eben sagen, ob das Kind auf Fotos zu dick aussieht. Und das macht er dann auch:

Auf den aktuellen Fotos lässt sich nicht leugnen, dass die kleine Harper für die Beckhams untypisch moppeliger ist, als man erwarten dürfte.

Er weiß auch, weshalb. Jedenfalls so ungefähr.

Die Gründe dafür liegen seiner Ansicht nach auf der Hand: schlechte Ernährung, zu wenig Bewegung oder eine Wachstums- und Entwicklungsphase.

Bäm! Analyse! Und es geht noch weiter. Herr Schirmohammadi sagt, dass es einen „Zusammenhang von essgestörten Eltern zu essgestörten Kindern“ gebe und die Tochter zu dick sei, weil die Mutter zu dünn sei. Jedenfalls auf Fotos:

Posh leidet meiner Meinung nach definitiv unter einer Essstörung, die in Richtung Magersucht geht. Das zeigen Fotos, auf denen sie extrem dünn ist.

Es ist faszinierend, wie unverfroren bunte.de versucht, das als Journalismus darzustellen, was sie da machen: also in München sitzen, auf ein Paparazzo-Foto schauen, irgendeine Story stricken und dann, wenn’s Ärger gibt, so tun, als hätte man eine überfällige Debatte angestoßen. Die Berechnung, das Heuchlerische darin müsste man aus 300 Metern Entfernung erkennen; aber ich fürchte, ausreichend Leser kaufen das bunte.de ab. Dass ein Experte für Allesmögliche dem Gelaber einen Schein der Seriosität verleihen soll, indem er etwas zu Fotos meint.

Ich wollte wissen, wie das ist, wenn bunte.de anruft und einen „Experten“ sucht, also habe ich einen Experten angerufen: Herrn Schirmohammadi.

Website Abba Schirmohammadi

Bunte.de, sagt Abbas Schirmohammadi, sei „durch einen psychologischen Fachbeitrag“ auf ihm aufmerksam geworden. Und nun ruft bunte.de schon mal an, um eine „Einschätzung mit psychologischem Hintergrund“ zu bekommen. Den habe er nach diversen Ausbildungen. Acht Jahre lang, sagt Schirmohammadi, habe er Schulen und Akademien besucht, sich zum Heilpraktiker, Mediator, Personality Coach und Management-Trainer ausbilden lassen. Und weil er auch Ratgeber-Bücher und DVDs veröffentlicht hat, etwa zu „Audiovisuellem Chillout“ oder „50 bewährte Tipps gegen Liebeskummer“, melden sich immer mal Journalisten, um was zu fragen. Schirmohammadi findet das schön: „Ich freue mich, wenn bekannte und erfolgreiche Magazine mein Fachwissen hinzuziehen wollen.“

Herr Schirmohammadi kennt sich also aus mit Medien. Er sei ja auch selbst Chefredakteur eines „naturheilkundlich-psychlogischen Magazins“, sagt er; das steht auch auf seiner Seite: „Chefredakteur der Magazine ‚Paracelsus‘ und ‚Mein Tierheilpraktiker’“. Und beim Fernsehen war Schirmohammadi auch sechs Jahre lang, allerdings nur zu hören: Während seiner Ausbildungen war er Wrestling-Kommentator, unter anderem für die Sender „Premiere“ und „DSF“.

Und nun also: „Experte“.

Dass das, was er so über Leute sagt, die er von Fotos kennt, zuweilen wie eine Ferndiagnose klingt, findet Schirmohammadi nicht. Es sei eine „psychologische Einschätzung“. Außerdem beschäftige er sich mit dem konkreten Sachverhalt und gebe „keine Antworten aus dem Stegreif“. Es gebe zudem, was Victoria Beckham betreffe, „genügend Fotos und Aussagen von Victoria selbst, die auf eine Essstörung hinweisen könnten“. Woraus Schirmohammadi den Schluss zieht, dass Frau Beckham vielleicht magersüchtig sei, was aber keine Ferndiagnose sein soll.

Er bekomme viele Rückmeldungen auf das, was er bunte.de sage, zumeist positive. Bei der Harper-Geschichte habe es auch kritische Anmerkungen gegeben, „die sich aber mehr auf die Grundsatzdiskussion und das Thema des Beitrags“ bezogen hätten. Dennoch: „Unsere Gesellschaft will Gerüchte und Einschätzungen zu Skandalen hören“, sagt er. Wenn das dann so reißerisch verpackt wird wie bei bunte.de, hilft Herr Schirmohammadi also folglich dabei, auch wenn er darauf keinen Einfluss hat. Aber es zahlt sich aus: Auch wenn Schirmohammadi seine Kommentare unentgeltlich abgäbe, wozu er nichts sagen will – ein geldwerter Vorteil ist es, mit Namen und Link auf – beispielsweise – bunte.de vertreten zu sein.

Herr Schirmohammadi hat natürlich Recht: Menschen tratschen gern, schon immer. Ich finde trotzdem, dass es ein zwielichtiges Geschäft ist, aufgrund von Paparazzo-Fotos oder Gerüchten, auch mal zu spekulieren, was mit irgendwem vielleicht sein könnte. Harper Beckham ist da nur ein Beispiel, Michael Schumacher ein anderes, allerdings ein besonders krasses angesichts dessen, was da schon alles verzapft wurde. Da draußen wimmelt es von Ärzten und Halbmedizinern, die irgendwas glauben und meinen, wenn wieder irgendeine Redaktion anruft.

Ach, ja: Ich habe Herrn Schirmohammadi übrigens seine Zitate zugeschickt. Wünschte er so. Und dann hat er einiges duchaus Interessantes gestrichen. Auf die Frage, ob er das bei bunte.de auch so mache, antwortet er, dass er den Redaktionen, die anfragen, seine Einschätzungen schriftlich zukommen lasse. Was sie daraus verwenden würden, obliege den Redaktionen. Darauf habe er keinen Einfluss.

Dr. Oetker und die Frage: Ist bunte.de ein „von Ethik geprägtes redaktionelles Umfeld“?


(Verpixelung von mir.)

Bei Burdas Knallportal Bunte.de machen sie sich Sorgen um das Gewicht von Harper, der dreijährigen Tochter von Victoria und David Beckham. Unter dem Schutz der Anonymität hat dort ein redaktioneller Mitarbeiter einen Artikel verfasst, der fragt, ob das Mädchen „zu moppelig“ ist.

Während die beiden Stars rank und schlank durchs Leben gehen, zieht es Harper offenbar vor, getragen zu werden. Das zeigen aktuelle Aufnahmen. Zudem lässt es sich die kleine Prinzessin dabei noch schmecken, genießt augenscheinlich einen Softdrink. Wenn dem so ist, nimmt Harper mit einem Zug wohl mehr Kalorien zu sich als ihre Mutter in der ganzen Woche…

Können Becks und Posh ihrer Kleinen etwa keinen Wunsch abschlagen? Lassen sie bei der Erziehung die Zügel schleifen und geben ihr bedenkenlos Süßes und Fettiges im Übermaß? Die weitere Entwicklung der Dreijährigen wird es zeigen.

(Der „Wenn dem so ist“-Satz ist inzwischen ohne Erklärung verschwunden.)

Das eklige Fabulat auf der Grundlage von Paparazzi-Fotos hat der „Bunten“ viel Kritik beschert, aber offenbar auch reichlich Klicks — heute legt sie mit der Ferndiagnose eines Heilpraktikers nach.

Mathias Schindler hat das Machwerk gestern dazu bewegt, eine Mail an Dr. Oetker, einen Werbekunden von bunte.de, zu schreiben:

Sehr geehrter Herr Dr. Schillinger,

über soziale Netzwerke bin ich heute auf einen Textbeitrag auf der Website www.bunte.de hingewiesen worden, auf der — unabhängig von allen anderen Verstößen gegen Persönlichkeitsrecht und Würde der
Betroffenen — die Frage aufgeworfen wird, ob die dreijährige Tochter von zwei Prominenten zu dick sei. Neben diesem Text ist umfangreiche und entsprechend der üblichen TKPs wohl auch recht teure Werbung für Produkte Ihres Hauses (Screenshot als Referenz anbei). Sie finanzieren über Ihren Werbeetat ein solches Verhalten und ich werde Sie nicht aus der moralischen Verantwortung dafür entlassen.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Redaktion der Bunten über Nacht ihr Verhalten aus innerer Überzeugung heraus ändern wird, allerdings werde ich die nächste Kaufentscheidung an der Tiefkühltruhe meines Supermarktes davon abhängig machen, wie Sie meine Fragen beantworten:

1. Inwiefern finden sich die Grundsätze des Unternehmens Dr. Oetker GmbH im Umgang mit den Persönlichkeitsrechten von minderjährigen Kindern Prominenter durch die BUNTE im Einklang?

2. Welche Werbemaßnahmen führen Sie auf www.bunte.de durch und welche werden Sie in Zukunft durchführen?

Bitte erlauben Sie mir die Veröffentlichung Ihrer Antwort in den sozialen Medien.

Mit freundlichen Grüßen,
Mathias Schindler, Potsdam

Schillinger, Leiter der Hauptabteilung Öffentlichkeitsarbeit, antwortete:

Sehr geehrter Herr Schindler,

vielen Dank für Ihre Mail und den Hinweis auf das redaktionelle Umfeld unseres Werbebanners auf „bunte.de“.

Bei der Platzierung unserer Werbemittel in klassischen Medien wie TV, Print und Online ist uns als Familienunternehmen ein von Ethik geprägtes redaktionelles Umfeld sehr wichtig. Um diese Umfeld-Qualität zu gewährleisten, nehmen wir Preisaufschläge für Qualitäts-Umfelder gerne „in Kauf“ und akzeptieren hierfür selbst eine Verteuerung unserer Produktkampagnen. Platzierungen in „Dirty“ Talk Shows, im Dschungelcamp oder Big Brother wird es daher von unseren Produkten nicht geben, dies gilt auch für Online-Umfelder.

Die Bunte sowie der Online-Ableger „bunte.de“ sind uns bislang nicht als „problematisches“ Umfeld aufgefallen. Wir werden Ihren Hinweis jedoch zum Anlass nehmen, unsere Platzierung auf „bunte.de“ zukünftig kritisch zu begleiten und diese Erfahrungen in unsere Platzierungsstrategie einfließen zu lassen.

Einen direkten Einfluss auf die Redaktion lehnen wir jedoch ab, da wir auf der Grundlage des Grundgesetzes an den Sinn einer Trennung von Redaktion und Werbung glauben und entsprechend handeln. Wir werden gleichwohl dem Verlag unsere Position darstellen.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Schillinger

Ich kann nicht beurteilen, ob das nur eine Standardantwort ist. Aber es liest sich doch erstaunlich deutlich.

Und das wäre doch eine erfreuliche Entwicklung: Wenn besinnungslos auf Klicks und Krawall optimierte Medien wie bunte.de von (potentiellen) Werbekunden als das beurteilt werden, was sie sind. Mir würden da jetzt noch ein paar andere Ausdrücke einfallen, aber für den Anfang tut’s problematisches Umfeld auch.

Die Zeitschrift mit dem Frausrufezeichen

Ich habe eine neue Lieblingszeitschrift. Sie heißt „Viel Spaß“, hat „alles, was das Leben schöner macht“ und ist ein Qualitätsprodukt aus dem Hause Hubert Burda.

Die Welt der Prominenten, über die „Viel Spaß“ berichtet, ist angenehm übersichtlich, sowohl was das Personal, als auch die Handlung angeht. Auf dem Titelbild wechseln sich rund ein Dutzend Menschen ab: Simone Thomalla, Florian Silbereisen, Dieter Bohlen, Oliver Geißen, Yvonne Catterfeld und Veronica Ferres, jeweils mit Lebenspartner. Deren Leben ist aber auch aufregend genug.

Nehmen wir Oliver Geißen und Christina „Tini“ Plate. Die haben vielleicht ein Jahr hinter sich! Ich zeig Ihnen das mal:

(Die unbefangene Leserin denkt sich nun vielleicht: Hä? Ist das nicht dreimal dasselbe Foto? Die erfahrene „Viel Spaß“-Käuferin aber erkennt: Keineswegs. Tinis Kleid hat ja jedesmal eine andere Farbe.)

Ähnlich wild war das Jahr für Dieter Bohlen:

Mady Riehl würde hier eine geplatzte Hochzeit, eine Familien-Tragödie und zwei Bohlen-Fotos abziehen, aber bei „Viel Spaß“ sehen sie das nicht so eng.

Es gab im vergangenen Jahr auf dem Titel:

  • zwei gemeine Anfeindungen (Michael Wendler, Veronica Ferres)
  • zwei schlimme Demütigungen (Dieter Bohlen, Simone Thomalla)
  • drei Eifersuchts-Dramen (Oliver Geißen, Oliver Geißen, Yvonne Catterfeld)
  • drei geplatzte Hochzeiten (Dieter Bohlen, Dieter Bohlen, Veronica Ferres)
  • und zwei Baby-Dramen (Sylvie van der Vaart, Yvonne Catterfeld)

Florian Silbereisen machte gleich zweimal ein „Psycho-Drama“ durch:

Die Leser von „Viel Spaß“ müssen eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne haben.

Simone Thomalla und Silvio Heinevetter zeigen auf dem ersten Heft 2011 der Simone-Thomalla-Fachzeitschrift stolz „ihr großes Liebes-Glück“, obwohl sie schon Mitte 2010 das Aus verkündete:

Die Leser von „Viel Spaß“ müssen eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne haben.

Wobei: Hat die Zeitschrift damals wirklich das „Liebes-Aus“ verkündet? Oder nur die Möglichkeit eines Liebes-Auses dezent angedeutet? Das Satzzeichen hinter der Schlagzeile, das auf den ersten Blick wie ein Ausrufezeichen wirkt, hat einen dezenten Schwung, der auch eine Interpretation als Fragezeichen zulässt.

Und es handelt sich weder um ein Interrobang (‽), noch um einen Satzfehler, denn der merkwürdige Geselle taucht seit mindestens 2008 häufig in „Viel Spaß“ auf, prominent auf der Titelseite, aber auch in Schlagzeilen im Heft.

Ist das nicht toll? Der Burda-Verlag hat seiner Zeitschrift ein neues Satzzeichen geschenkt, das für die wöchentlichen Quatsch-, Null- und Lügengeschichten ungemein praktisch ist. Der flüchtige Leser hält es für ein knalliges Ausrufezeichen, und vor Gericht kann man so tun, als wäre es ein alles offen lassendes Fragezeichen. Das Frausrufezeichen.

Nachtrag, 5. Januar. „Viel Spaß“-Chefredakteurin Andrea Richartz teilt mir mit, es handele sich bei dem Satzzeichen „selbstverständlich um ein Fragezeichen“. Meine Frage, warum es so anders aussieht als die anderen Fragezeichen, ließ sie unbeantwortet.

Ein Rechtsanspruch auf Profit?

„Wir können doch redlich feststellen, dass die Zeitungen im Internet vor allem mit dem Textangebot qualitativ hochwertig und vielfältig aufgestellt sind. Für eine negative Veränderung dieser Situation gibt es keine Anzeichen. Das Gegenteil dennoch zu behaupten oder als zukünftig möglich hinzustellen ist schlichtweg unredlich.“

Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, 18.10.2008 in „Promedia“

„Das Internet ist für den Journalismus eine große Chance. Aber nur, wenn die wirtschaftliche Basis auch in den digitalen Vertriebskanälen gesichert bleibt. Das ist derzeit nicht der Fall.“

„Hamburger Erklärung“ deutscher Presseverlage, 08.06.2009

Irgendetwas muss passiert sein zwischen diesen beiden Zitaten. Zwischen dem Sommer 2008, als den Verlegern und Privaten Rundfunkanbietern nichts wichtiger war als zu betonen, dass sie es ganz wunderbar hinbekommen, in diesem Internet genau die hochwertigen Inhalte zu produzieren, die so eine Demokratie braucht, und schon die Behauptung eines möglichen zukünftigen Marktversagens als eine Art Blasphemie zu tadeln. Und der Gegenwart, in der die Verlage nicht müde werden zu betonen, dass sie unter den gegenwärtigen Umständen eigentlich wirklich nicht in der Lage sind, genau die hochwertigen Inhalte zu produzieren, die so eine Demokratie braucht.

Sicher, zwischendurch ist eine Weltwirtschaftskrise passiert und eine dramatische Werbekrise, aber das ist es nicht.

Im vergangenen Sommer ging es darum, ARD und ZDF im Internet klein zu halten. Zur Debatte stand ein neuer Rundfunkstaatsvertrag und dabei vor allem die Frage, welche Rolle dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internet zugestanden wird. Nun gibt es viele bessere und schlechtere, theoretische und praktische Argumente gegen solche gebührenfinanzierte Internetangebote, aber eines, das von den Lobbyisten der privaten Medien besonders gern benutzt wurde, weil es so anschaulich ist, lautete: Es gibt im Internet (anders als im Fernsehen) überhaupt keine Notwendigkeit, gebührenfinanzierten Journalismus zuzulassen, weil der privatwirtschaftlich finanzierte Journalismus hier doch nichts zu wünschen übrig lässt.

Tatsächlich haben sich die Verleger mit vielen ihrer Forderungen durchgesetzt — und teils groteske und dem Wesen des Mediums widersprechende Einschränkungen im Angebot der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz erreicht, was das Geldverdienen langfristig ein bisschen einfacher machen sollte.

Um nun weitere Forderungen vor allem an die Politik zu stellen, war eine klitzekleine Änderung in der Strategie nötig. Plötzlich war es den Verlagen nicht mehr ein Leichtes, für publizistische Qualität und Vielfalt im Netz zu sorgen, sondern angesichts einer Welt voller Räuber, Wegelagerer und Gebenichtse quasi unmöglich. So wird nun begründet, weshalb zum Beispiel neue Rechte und Vergünstigungen für die Verlage hermüssen.

Das gipfelt in der, sagen wir: Anregung, die Hubert Burda, Präsident der Zeitschriftenlobby VDZ, im aktuellen „Manager Magazin“ aufgreift, die Presse von der Mehrwertsteuer zu befreien. Schon jetzt gilt für Zeitungen und Zeitschriften wie für Lebensmittel und viele Kulturgüter der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent — nach der Logik, dass es sich um Dinge handelt, die lebensnotwendig oder gesellschaftlich förderungswürdig sind. Da bin ich sehr gespannt, wie die Verleger das begründen wollen, dass „privatwirtschaftlich verfasste Zeitungen und Zeitschriften“ in einer Demokratie nicht nur unverzichtbar sind, wie sie schon im vergangenen Jahr in ihrer „Münchner Erklärung“ verkündet haben, sondern sogar noch lebenswichtiger als das tägliche Brot, das ihnen gegenüber dann ja steuerlich benachteiligt würde.

Um es deutlich zu sagen: Ich habe ein großes Interesse daran, dass für die Presseverlage Rahmenbedingungen herrschen, die es ihnen ermöglichen, guten Journalismus zu machen. Das ist gut für mich und gut für uns alle (von mir aus auch in umgekehrter Reihenfolge). Aber die Art, wie die Verleger die Monstranz der Unersetzbarkeit und Gemeinnützigkeit vor sich hertragen und mit wechselnden selbstgebauten Popanzen ein Recht auf Profit unter allen Bedingungen einfordern, ist abstoßend.

Eine „Freundin“, die nur das Eine will

Die Frauenzeitschrift „Freundin“ von Burda hat sich eine tolle Art von Gewinnspiel ausgedacht. Sie zeigt ein Foto, und die Leserinnen müssen es in einer Bildergalerie wiederfinden.

Das ist natürlich nicht schwer. Zum Beispiel sucht die „Freundin“ dieses Bild:

Man klickt auf „Los“, und: Hey, da isses schon! Gleich das erste Foto ist das Gesuchte!

Super. Und wo kann ich jetzt meine Daten eingeben, um den Gewinn abzuholen? Ah, unter dem Bild steht:

Bitte bis zum Ende durchklicken – dort steht das Teilnahmeformular!

Was „zum Ende durchklicken“ bedeutet, wird der engagierten „Freundin“-Freundin erst nach und nach klar:

Erst unter dem 27. Bild steht der erlösende Link mit den Worten:

Und hier geht es zum Gewinnspielformular!

Und natürlich meldet freundin.de jeden Klick der IVW als PageImpression — und später, vermutlich, als Beweis für die Attraktivität des eigenen Angebotes. Mindestens 28 Klicks produziert jede Teilnehmerin am Gewinnspiel durch stupides Weiterklicken. Und das nicht nur bei diesem, sondern vielen nach dem gleichen Prinzip gebauten Angeboten von freundin.de.

Und über jeder Seite steht der „Freundin“-Slogan „Leben Sie Ihr bestes Leben“. Nach ungefähr dem zehnten Klick kam es mir so vor, als stünde unsichtbar dahinter: „Und hören Sie auf, sich von uns verarschen zu lassen“.

Nachtrag, 17. September. Kommentator Frederic P. hat Recht: Bild 1 ist die falsche Lösung, Bild 18 müsste richtig sein. Gesucht ist nämlich nicht das große Bild, das die „Freundin“ zeigt, bevor das eigentliche Spiel beginnt. Gesucht ist das kleine Bild (ganz unten), das die „Freundin“ zeigt, bevor sie das große Bild zeigt, bevor das eigentliche Spiel beginnt. Grrrr.

[Mit Dank an Lukas’ Mama.]

→ Mehr zum Thema im Eintrag „Klickdoping mit 16 Buchstaben“.