Schlagwort: Die Welt

Folge 3911 der Serie „Der irre Varoufakis“ ist eine Wiederholung

Es muss, um es mit dem Online-Liveticker des Nachrichtensenders n-tv zu sagen, ein wirklich denkwürdiges Treffen der Euro-Finanzminister gewesen sein am Donnerstag:

Zumindest, wenn man einem Bericht der

Die Kollegen vom Online-Liveticker des „Focus“ finden es fast schon nicht mehr denkwürdig in seiner Denkwürdigkeit:

Der Auftritt von Janis Varoufakis beim Treffen der Finanzminister scheint einem Bericht der

Und so steht es auch in der „Welt“, auf die sich „Focus Online“ und n-tv.de beziehen. Jedenfalls im Vorspann und auf der Startseite:

Athens Reformliste ist eine Sammlung von Stichworten. Mit einem Kamerateam im Schlepptau und einer 30-minütigen Rede erschien Janis Varoufakis beim Finanzministertreffen. Doch seine Vorschläge reichen den Euro-Kollegen nicht. Sie setzen ihm eine Frist.

Im Artikel selbst zeigt dann aber eine interessante Sollbruchstelle:

Der griechische Finanzminister Janis Varoufakis schätzt es, Licht in die Treffen der Amtskollegen zu bringen, die doch eigentlich hinter verschlossenen Türen stattfinden. Zu seinem ersten Treffen mit den Finanzministern der Euro-Gruppe erschien er Schilderungen zufolge mit einem Kamerateam im Schlepptau, was ihm eine Rüge von Euro-Gruppe-Chef Jeroen Dijsselbloem einbrachte. Und wie man hört, neigt er zu langen Reden in dem Gremium.

So auch am Donnerstag. …

Da steht genau genommen gar nicht, dass Varoufakis jetzt ein Kamerateam mitbrachte, sondern dass er das bei „seinem ersten Treffen mit den Finanzministern“ tat. Der „Welt“-Korrespondent hat das nur nochmal erzählt, um zu illustrieren, was für ein bizarrer Typ dieser Varoufakis ist (neigt zu langen Reden!), der Dinge gern für die Öffentlichkeit dokumentiert, wie er das auch diese Woche tat, indem er seinen Redetext „auf seinem Internetblog“ veröffentlichte.

Tatsächlich ist die Geschichte mit dem Kamerateam alt. Am 17. Februar, vor über vier Monaten also, berichtete dpa:

Der forsche Stil der neuen griechischen Regierung sorgte beim Eurogruppen-Treffen für reichlich Irritationen. Als Varoufakis erst eine halbe Stunde nach Verhandlungsbeginn den Raum betrat, sprach gerade der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Varoufakis platzte nach Angaben aus Verhandlungskreisen mit einem Kameramann im Schlepptau ins Zimmer – der dann zügig herauskomplimentiert wurde.

Oder in der Schilderung der „Stuttgarter Zeitung“ von damals:

Zu Sitzungsbeginn um 15 Uhr, berichten Diplomaten übereinstimmend, fehlte die Hauptperson. Als der griechische Kollege Giannis Varoufakis auch nach einer halben Stunde noch nicht erschienen war, weil er die Ergebnisse seiner Vorgespräche mit Premier Alexis Tsipras besprach, fing die Runde ohne ihn an. Athens Vertreter betrat erst um 15.58 Uhr den Saal, entgegen den Gepflogenheiten verfolgt von einem Kameramann. Sitzungspräsident Jeroen Dijsselbloem musste den gerade redenden Zentralbankchef Mario Draghi unterbrechen und Varoufakis darum bitten, den Fernsehmenschen abzuschütteln. „Das kam gar nicht gut an“, berichtet einer, der die Sitzung verfolgen konnte. Dann habe Varoufakis „wieder nur lange geredet, statt endlich etwas Konkretes auf den Tisch zu legen“.

Der „Welt“-Korrespondent hat gestern einfach die alte Geschichte noch einmal erzählt, und in der Redaktion haben sie nicht gemerkt, dass das eine alte Geschichte ist und sie als neue Geschichte verkauft, und in den Newsticker-Abteilungen von n-tv.de und „Focus Online“, wo man vermutlich ohnehin nicht viel merkt, wurde das gleich ein aufregender neuer Punkt.

Und bei „Focus Online“ haben sie bei der Gelegenheit noch Varoufakis‘ Äußerung, das einzige Gegenmittel gegen „Propaganda und bösartige Informationslecks“ sei Transparenz, die sich auf die Veröffentlichung des Redetextes in seinem Blog bezog, in den falschen Kontext mit dem Kamerateam gestellt.

Nur ein weiteres, winziges falsches Detail in der besinnungslosen Berichterstattung über die Griechenland-Krise. Falls es Ihnen also so vorkommt, als würde seit Monaten immer wieder dasselbe vermeldet, kann es auch daran liegen, dass es tatsächlich so ist.

Der Böse ist immer der griechische Finanzminister

Also doch! Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis hat am Wochenende zugegeben, ein als vertraulich eingestuftes Treffen mit seinen Kollegen aus der Euro-Zone aufgezeichnet zu haben. So melden es aufgeregt die Agenturen, so steht es in den deutschen Medien.

Mann, der Varoufakis. Immerhin leugnet er die Vorwürfe nicht mehr, die … von wem nochmal ursprünglich erhoben worden waren? Ach richtig, von Varoufakis.

Der Minister hatte mit dem Magazin der „New York Times“ gesprochen und dabei Berichte dementiert, dass er beim Finanzministertreffen in Riga im April von seinen Kollegen beschimpft und beleidigt worden sei. Er habe die Treffen aufgenommen, sagte er der Journalistin, könne sie aber wegen der Vertraulichkeit nicht veröffentlichen.

Wenn die deutschen Medien nun also unisono berichten, dass Varoufakis „eingeräumt“, „zugegeben“ oder gar „jetzt doch zugegeben“ habe, die Gespräche mitgeschnitten zu haben, dann meinen sie nicht, wie man als treuherziger Leser und Benutzer der deutschen Sprache denken könnte, dass er auf entsprechende Vorwürfe von irgendwelchen Gegenspielern oder Journalisten reagieren und klein beigeben musste. Sie meinen damit, dass Varoufakis noch einmal bestätigte, was er ohnehin selbst gesagt und in die Öffentlichkeit gebracht hatte.

Man würde das angesichts der Art, wie die deutschen Agenturen und Medien berichten, nicht ahnen. Die Nachrichtenagentur dpa beginnt ihre Meldung am Sonntag mit dem traurigen Satz:

Der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis sorgt wieder einmal für Aufregung: (…).

Und verbrämt die Tatsache, dass es Varoufakis selbst war, der zuerst von den Aufnahmen erzählt hatte, in der Formulierung:

Erste Informationen zu den Aufnahmen waren in der Zeitschrift „New York Magazine“ [sic!] vergangene Woche erschienen.

Bei Reuters heißt es:

Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis hat zugegeben, ein als vertraulich eingestuftes Treffen mit seinen Kollegen aus der Euro-Zone aufgezeichnet zu haben.

Und bei AFP:

Der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis hat eingestanden, vertrauliche Gespräche bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen Ende April mitgeschnitten zu haben.

Über die Frage, woher der vermeintliche Vorwurf der Aufnahme stammte, informiert AFP angestrengt indirekt:

Varoufakis bestätigte mit seinem Blogeintrag Angaben der „New York Times“. Die US-Zeitung hatte am Mittwoch in einem langen Text über den griechischen Finanzminister, der auch Interviewpassagen enthielt, über die Aufzeichnungen in Riga berichtet.

Bei „Spiegel Online“ meinen sie sogar, Varoufakis habe die „Nachricht“, dass er die Aufnahmen „eingeräumt“ habe, in einem Blog-Beitrag „versteckt“ – wie auch immer man sich das vorstellen muss.

Sie alle können oder wollen nicht anders über Yanis Varoufakis berichten. Vermutlich können sie ihn gar nicht mehr anders sehen. Er ist für sie ein eitler Idiot, der dumme Dinge tut, und alles, was er tut, bestärkt sie in dieser Wahrnehmung und Darstellung, und selbst wenn er nur bei seiner eigenen Darstellung eines Sachverhaltes bleibt, schaffen sie es, den Eindruck zu erwecken, er habe – widerwillig, womöglich auf öffentlichen Druck – einen peinlichen Fehler zugegeben.

Wenn dpa schreibt, Varoufakis sorge „wieder einmal für Aufregung“, ist das natürlich Unsinn, denn es ist die Agentur selbst, die für Aufregung sorgt. Die ganze Art, wie die deutschen Medien in den vergangenen Tagen das Mitschneiden der Gespräche skandalisiert haben, ist bezeichnend.

Nehmen wir die „Süddeutsche Zeitung“. Vom ersten Satz an trieft der Bericht des Brüsseler Korrespondenten Alexander Mühlauer von spöttischer Verachtung für Varoufakis:

Die Fotos sind wieder toll geworden, nicht ganz so toll wie jene im Penthouse seiner Frau, aber immerhin sieht Yanis Varoufakis wahrhaft blendend aus. Wie er so über den Syntagma-Platz in Athen schlendert, das Hemd offen und natürlich nicht in die Hose gesteckt, könnte man meinen, er ginge ins Kaffeehaus. Dabei ist er auf dem Weg in sein Ministerium. Dorthin hat ihn ein Fotograf des „New York Times Magazine“ begleitet.

Doch Varoufakis wäre nicht Varoufakis, hätte er es bei den Fotos belassen. Und so erzählte er dem Magazin, wie es ihm als Finanzminister so ergeht.

Kurz innegehalten: Die SZ wirft hier dem Finanzminister vor, dass er nicht nur Fotos von sich machen lässt, sondern dem „New York Times Magazine“ erzählt, wie es ihm als Finanzminsiter so ergeht? Was bildet der Mann sich ein! Der Vorwurf taucht in Variationen übrigens immer wieder in der Presse auf: Dass Varoufakis dauernd mit der Presse spricht. Man könnte das schizophren finden.

Weiter im Text:

Er erinnert sich an das Treffen der Euro-Gruppe im April in Riga, das für ihn nicht gerade optimal verlief. Ihm wurde vorgeworfen, auf Zeit zu spielen. Nun sagt Varoufakis: „All diese Berichte, dass ich beleidigt wurde, als Zeitverschwender bezeichnet wurde und all das: Lassen Sie mich sagen, dass ich das mit jeder Faser meines Körpers dementiere.“ Er könne das beweisen, behauptet er, schließlich habe er die Gespräche in der Euro-Gruppe mitgeschnitten. Doch wegen der Regeln über Vertraulichkeit könne er diese Aufnahmen nicht veröffentlichen.

Ob das stimmt, weiß nur Varoufakis selbst. Aber immerhin schafft er es mit dieser Äußerung, seine Ministerkollegen erneut zu verärgern. Aus deutschen Regierungskreisen verlautete: „Wir erwarten von der Euro-Gruppe, dass der Sachverhalt aufgeklärt wird. Die Vertraulichkeit der Gespräche muss gewahrt bleiben.“

Ist das nicht traurig? Selbst für eine Selbstverständlichkeit, eine Standard-Feststellung, dass vertrauliche Gespräche vertraulich bleiben müssen, fand sich für die SZ als Stichwortgeber nur ein anonymer Irgendwer „aus deutschen Regierungskreisen“?

Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sagte am Donnerstag: „Treffen der Euro-Gruppe sind vertraulich. Wir verlassen uns auf jede anwesende Person, diese Vertraulichkeit zu respektieren.“

Ja. Gut. Schön, das mal hingeschrieben zu haben. Bislang scheint niemand ja diese Vertraulichkeit gebrochen zu haben – ach so, Moment, außer den Gegnern von Varoufakis, die der Presse erzählt haben, dass die anderen Finanzminister ihn dort beschimpft hätten. Komischerweise handelt der Text aber gar nicht von diesem Bruch der Vertraulichkeit, sondern nur dem vermeintlich drohenden durch Varoufakis.

In Brüssel hieß es, dass es keine Regeln gebe, die das Aufnehmen verböten. Theoretisch könne das jeder Teilnehmer tun – allerdings nur für den Eigenbedarf.

Aha! Nach Ansicht von „Brüssel“ hat Varoufakis also gar nichts Verbotenes getan. Das ist aber ein bisschen enttäuschend als Fazit, und so fügt die SZ sicherheitshalber hinzu:

In Deutschland wäre ein solcher Mitschnitt strafbar. In Paragraf 201 des Strafgesetzbuches heißt es unter „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt.“

Es sei Varoufakis eine Warnung für seine nächste Konferenz in Deutschland. Die, um die es geht, fand in Riga statt.

Die „Welt“ berichtet über Varoufakis‘ Mitschnitt unter dem Zitat „Unverschämt, eine Zumutung“ und nennt ihn einen „Affront“. (Online trägt das Stück den Titel: „Dreistigkeit bewahrt Varoufakis vor dem Rauswurf“.) Der Artikel von Jan Dams und André Tauber beginnt damit, allen, die in den vergangenen Monaten womöglich keine deutschen Medien gelesen haben, daran zu erinnern, was dieser Varoufakis für eine erbärmliche Gestalt ist:

Janis Varoufakis ist inzwischen als ein Mann bekannt, der polarisiert. In Griechenland hat der Finanzminister durchaus seine kompromisslosen Fans. Es gibt Plakate, auf denen steht, V für Varoufakis – wie V für Victory eben, also Sieg. Zu seinen Auftritten kommen die Groupies, weibliche Fans jeden Alters. Politisch, unter seinen Kollegen, gilt der Mann dagegen als erledigt. Das allerdings nicht erst seit dieser Woche.

Ein Politiker, den nur ein paar radikale Griechen und sonst nur Frauen „jeden Alters“ mögen. Hahaha.

Varoufakis‘ Äußerungen gegenüber dem „New York Times Magazine“ bezeichnen die deutschen Journalistenmänner als „möglicherweise ebenso unbedacht wie eitel“ und schreiben dann:

Es ist eine Provokation, ein Affront. „Das ist absolut unüblich“, sagt ein europäischer Sitzungsteilnehmer. Das sei „unverschämt, eine Zumutung.“ Und angeblich sogar verboten.

Ein europäischer Sitzungsteilnehmer. Irgendein Unbekannter, der sich nicht einmal traut, mit seinem Namen zu seiner Einschätzung zu stehen. Dessen anonymes Zitat und Beschimpfung von Varoufakis ist für die „Welt“ gut genug, um daraus die Überschrift zu machen.

Danach zählt sie Gründe auf, warum die anderen Minister wahrscheinlich nicht gegen Varoufakis vorgehen werden:

Erstens hat der griechische Minister bislang die Vertraulichkeit nicht gebrochen, Informationen nicht an die Presse gegeben. Er wehrt sich nur gegen die Behauptung, die Kollegen hätten ihn beschimpft.

Tatsache: Varoufakis hat bislang die Vertraulichkeit gar nicht gebrochen. Man würde denken, dass angesichts dessen die Aufregung ein bisschen übertrieben ist. Aber nein.

„Möglicherweise hat er auch – anders als er jetzt behauptet – die Sitzung gar nicht aufgenommen, sondern erzählt es nur, um seine Version der Sitzung zu untermauern“, mutmaßt einer der anderen Unterhändler. Wer weiß das schon bei Janis Varoufakis?

Oho, noch ein anonymer Unterhändler. Vielleicht auch wieder der gleiche. Während Varoufakis vorgeworfen wird, ununterbrochen Interviews zu geben, scheinen die anderen Finanzminister ununterbrochen mit der Presse zu reden, aber im Hintergrund, feige, im Schutz der Anonymität. Komischerweise scheinen die deutschen Journalisten damit kein Problem zu haben.

Toll ist aber auch die Theorie der „Welt“, dass Varoufakis sich das mit den aufgezeichneten Gesprächen womöglich nur ausgedacht hat. Entweder ist der Typ also böse, weil er Gespräche mitschneidet. Oder weil er nur behauptet, Gespräche mitgeschnitten zu haben. Böse ist er in jedem Fall.

Weiter im Text:

Zweitens, heißt es in Verhandlungskreisen: Es gebe keine Bestimmungen, wonach Mitschnitte verboten wären. Und tatsächlich scheinen außer Varoufakis auch andere das Wort „Amateur“ bei dem fraglichen Treffen nicht gehört zu haben. Bleibt tatsächlich die Frage, wer das Ganze damals an die Nachrichtenagentur Bloomberg weitergegeben hat.

Na sowas, „in Verhandlungskreisen heißt es“, Mitschnitte seien gar nicht verboten. Zwei Absätze weiter oben hatte die „Welt“ noch irgendein anderes anonymes Verhandlungskreismitglied erwähnt, das behauptete, es sei verboten. Vielleicht hätte man das dann besser weggelassen? Und, noch einmal, es findet sich wirklich niemand, der nicht Varoufakis heißt, der on the record eine Aussage darüber träfe?

Und nebenbei erwähnt die „Welt“ nun, dass es selbst bei ihren Quellen Zweifel gibt, ob Varoufakis in Riga von seinen Kollegen so kritisiert wurde, wie es deutsche Medien großflächig berichtet hatten.

Wäre das nicht ein Skandal? Wenn irgendwelche Teilnehmer aus der vertraulichen Sitzung Dinge berichten? Dinge, die womöglich nicht einmal stimmen? (Außer der „Welt“ berichteten auch FAZ und „Handelsblatt“ am Freitag, dass Varoufakis‘ Kollegen ihn vermutlich doch nicht als „Spieler, Amateur und Zeitverschwender“ bezeichnet haben.)

Och jö. Die „Welt“ schreibt:

Einerseits ist überliefert: Es gibt inzwischen einige Kollegen des Griechen, die von dessen selbstgefälligen Auftritten und ausschweifenden Referaten genervt sind. Der eine oder andre könnte deshalb schon mal Dinge weitererzählen, die Varoufakis schaden. Andererseits ist allen klar, viel hat der Mann in Athen ohnehin nicht mehr zu sagen. Warum sich also über ihn aufregen?

Kein Affront, kein Skandal. Und alles, was passiert, spricht immer gegen Varoufakis. Den bösen, eitlen Mann, der die Vertraulichkeit des Finanzministertreffens nicht gebrochen hat, anders als die unzuverlässigen anonymen Teilnehmer, denen die deutsche Presse vertraut.

Was Journalisten alles Wurst ist

Für den britischen Premierminister David Cameron läuft es gerade richtig gut. In einem Monat, Anfang Mai, sind in Großbritannien Unterhauswahlen, was ganz spannend wird, weil das unter Umständen auch Bedeutung hat für die EU. Und wie immer im Wahlkampf geht es deshalb um harte Themen, um Inhalte, ist ja klar.

Vor ein paar Tagen zum Beispiel machte die Nachricht die Runde, dass Cameron nicht richtig essen kann bzw. falsch isst, weil er bei einem Gartenfest an einem Tisch saß und – halten Sie sich fest: einen Hotdog mit Messer und Gabel verzehrte. Worüber die feinen Briten dann gegackert haben. Und woraus man natürlich auch als deutschsprachiger Journalist viele tolle Überschriften basteln kann.

Screenshot "Rheinische Post" 8.3.2015(„Rheinische Post“)

Screenshot "heute.at" 8.4.2015(„Heute.at“)

Screenshot "20 Minuten" 8.4.2015(„20 Minuten“)

Jawoll, „das Volk tobt“! Und seit es sich ausgetobt hat, hält sich „das Volk“ jetzt den Bauch vor Lachen, es kugelt sich, und Journalisten schenkelklopfen dazu den Takt dieses Hohn-und-Spott-Liedes, denn, und nun halten Sie sich bitte noch mal fest: Es ist ein weiteres unheimlich krasses Foto aufgetaucht.

Süß, die Kleine, nicht? Wie sie da liegt und schläft, weil der olle Cameron ja ein so langweiliger Mensch ist, bei dem alle sofort kollektiv ins Koma plumpsen, sobald sie seiner ansichtig werden. Und diese Politik! Und der Anzug! Und wenn der dann noch aus einem Kinderbuch vorliest – schnarch! So ungefähr klingt das gerade in vielen (vor allem britischen) Medien, die über Camerons Besuch in der Sacred Heart Primary School berichten. Aber auch deutsche Journalisten stürzen sich inzwischen auf die neue vermeintliche Wahlkampf-Panne des Premiers.

Screenshot "Die Welt" 10.4.2015(„Die Welt“)

Screenshot "Rheinische Post" 10.4.2015(„Rheinische Post“)

Screenshot "t-online.de" 10.4.2015(„t-online.de“)

Das ist schon toll, was da so alles über den Premier geschrieben steht, über den „abgehobenen Snob“, den „volksfremden Snob“, den einfach nur „Snob“, der „weltfremd und langweilig“ sei, was ja nun dieses Foto wieder mal belege. „Die unfreiwillige Botschaft“ des Bildes sei, schreibt die „Rheinische Post“ freiwillig: „Cameron langweilt seine Untertanen bis in den Tiefschlaf.“

Glücklicherweise existieren etliche Fotos von der Situation, und es gibt auch Videos, die zeigen, widewidewie sich Journalisten die Welt zurechtbiegen; wie sie ein schnödes Foto, einen einzigen Augenblick hochjazzen; wie erneut eine Geste mehr zählt, als jede inhaltliche Annäherung, auch wenn es dieses Mal kein Stinkefinger ist. Manche Journalisten lernen halt nicht dazu, da können noch unendlich viele gefälschte oder verfälschende Fotos oder Videos kursieren – immer dasselbe Spiel.

Tatsächlich war es ganz vergnügt in der Klasse. Die Kinder gibbelten, der Premier machte einen eher lockeren Eindruck. Cameron las aus einem Buch vor und animierte das Mädchen, mitzulesen, laut, vor allen anderen. Als sie ein Wort partout nicht herausbekam, schlief sie nicht augenblicklich aus Langeweile ein, sondern ließ eher aus Scham und kichernd ihren Kopf auf die Tischplatte sinken.

Während es bis hierhin eher still war im Klassenzimmer, schnatterten nun, im kurzen Kopf-Tisch-Moment, die Kameras der Journalisten so wild, wie sich die Fotos jetzt im Netz verbreiten. Und als ob es nicht schon kurios genug wäre, dass sich Journalisten heutzutage nicht kurz fragen, ob das Bild tatsächlich das zeigt, was man auf den ersten Blick denken könnte – einige haben sich das wohl gefragt und wissen, dass die Story nicht so ganz stimmt, schreiben es aber trotzdem auf.

Die „Welt“ titelt groß: „Der britische Premier dilettiert im Wahlkampf: Er langweilt die Jüngsten im Kindergarten und isst Hotdog mit Messer und Gabel.“ Im Text wird das dann wieder eingeschränkt, aber so eine Überschrift ist ja auch einfach zu gut. Bei t-online.de ist es in etwa das Gleiche. Und besonders bräsig, aber erwartbar, schafft die „Huffington Post“ die gleichzeitige Rolle vor- und rückwärts.

Screenshot "Huffington Post" 10.4.2015

Das steht da so, als Überschrift. Im Text, in dem auch das Video aus der Schule eingebaut ist, steht dann wenig bis gar nichts, außer eben, dass Cameron als „Snob“ gelte, der einen Hotdog mit Messer und Gabel esse, und dass nun auch der Auftritt in der Grundschule „nach hinten los“ ging. Im letzten Absatz dann:

Dass das Bild aus dem Zusammenhang gerissen und das Mädchen den Kopf eigentlich auf den Tisch hat fallen lassen, weil ihr eine Antwort auf eine Frage Camerons nicht eingefallen ist, interessiert die Öffentlichkeit nicht.

Naja, und die „Huffington Post“ offenbar auch nur so halb.

„Welt“ und „Leipziger Volkszeitung“ fallen auf falsche Pegida-Seite herein

Die „Leipziger Volkszeitung“ fand ihren Fund so bemerkenswert, dass sie die Öffentlichkeit am Dienstagnachmittag vorab in einer Pressemitteilung darüber informierte. Im Zusammenhang mit Forderungen der Grünen-Politikerin Claudia Roth, schärfer gegen die „Vergiftung des politischen Dialogs“ im Internet vorzugehen, hieß es darin:

Als Reaktion auf die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen Bachmann hat sich eine Facebook-Gruppe „Solidarität mit Lutz Bachmann“ gebildet, die unter anderem die Todesstrafe für Kinderschänder fordert und die Grünen-Politikerin als „die schlimmste der Naturmatratzen Claudia ‚Fatima‘ Roth'“ mit angeborenem „Gehirngulasch“ bezeichnet. Unklar ist, ob Bachmann daran direkt beteiligt ist.

In ihrer Mittwochs-Ausgabe berichtete die LVZ auf Seite 5:

„Solidarität mit Lutz Bachmann“: Unterstützer machen bei Facebook mobil

Neue Internetseite für Ex-Pegida-Leitfigur / Angegriffene Bundestagsvizepräsidentin Roth verlangt schärferes Vorgehen gegen Hetze

Leipzig/Berlin. Seit einer Woche ist Lutz Bachmann nicht mehr Pegida-Leitfigur. Dem 42-Jährigen wurde offen zur Schau getragener Hass gegen Andersdenkende und Migranten zum Verhängnis. Er nannte sie in sozialen Netzwerken gern „Viehzeug“, „Dreckspack“ oder „Gelumpe“, soll auf Twitter sogar die Erschießung von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) gefordert haben. Weil solches Gebaren nicht zum aktuellen Pegida-Kurs passt, musste der Initiator gehen. Zugleich wurde eine neue Bachmann-Internetseite freigeschaltet: „Solidarität mit Lutz Bachmann“ heißt es nun bei Facebook. Mehr als 2500 User sind dabei, kondolieren dem Geschassten.

„Wir sind Lutz“ und „#jesuislutz“ lauten die Schlagworte auf dem Portal – in Anlehnung an die Solidarität mit den Terroropfern bei Charlie Hebdo. Auch eine geschwärzte HIV-Schleife ist zu sehen, die an das „Lügenpressen-Opfer Lutz Bachmann“ erinnern soll. Wie viele Pegida-Anhänger diese Schleife mindestens heimlich tragen, ist unklar. Plakate mit „Je suis Lutz“ waren zuletzt bei Pegida auf jeden Fall zu sehen.

Ums Bedauern geht es auch den meisten Nutzern des Portals. „Lutz, Du bist und bleibst das Herz von Pegida“, schreibt eine Rita M. „Die Linken dürfen alles und wenn man mal systemkritisch ist/wird, ja dann bist Du ein Nazi“, ergänzt ein Frank V. Für Daniel B. – der die Bundesrepublik für eine US-Kolonie hält – ist klar: „Ich kann nur meinen Hut davor ziehen, der Typ hat Eier“. Dem entgegnet Thomas R. allerdings „Hat er keine Eier, oder was?“ und moniert, dass Bachmann mit seinem Rücktritt eingeknickt sei. Manche Beiträge wie beispielsweise der vom „Arbeitskreis Schwule in der NPD“ lassen zumindest hoffen, dass das Solidaritätsportal nicht gänzlich ernst gemeint sein könnte. (…)

Da hat es am Ende doch tatsächlich ein winziger Zweifel geschafft, sich einen Weg in den LVZ-Artikel zu erkämpfen. Er hat alles andere nicht verhindern können, vor allem nicht den berauschend irren Gedanken, dass man die schwarzen Lutz-Bachmann-Solidaritäts-Schleifen womöglich nur deshalb nicht in der Öffentlichkeit sieht, weil die Pegida-Leute sie heimlich tragen und ihre Solidarität zum ehemaligen Chef dadurch zeigen, dass sie sie nicht zeigen. Aber immerhin steht er nun da, als einzelner Satz, und hält ein kleines „Womöglich nicht gänzlich ernst gemeint“-Warnschild in die Höhe.

Auf der Seite, die die „Leipziger Volkszeitung“ letztlich doch relativ überwiegend ziemlich fast ganz sicher für eine Unterstützerseite für Lutz Bachmann hielt, fand sich auch dieser Geburtstagsgruß:

Die „Unterstützer“ machten sich zudem Gedanken darüber, wer Bachmann nachfolgen könnte:

Nach eingehender Würdigung der Lebensleistung der verdienten Menschen, welche wir für die kommissarische Nachfolge von LUTZ im ORGA-Team vorschlagen wollen, konnten wir uns nach einem Kopf an Kopf-Rennen zwischen dem Reichskanzler des Deutschen Reiches und der Speerspitze des Widerstandes gegen die BRD-GmbH und Kämpfer gegen die andauernde Besatzung durch die alliierten Truppen in Deutschland Norbert Schittke und dem FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache für letzteren entscheiden. Norbert, gräm dich nicht, es war keine Entscheidung gegen dich, sondern für Heinz-Christian! Für diejenigen unter euch, welche HC Strache (gesprochen „Äitsch-si Strätschi“) noch nicht kennen: Hier ein kurzes Porträt des sympathischen 45-jährigen Lebemanns aus Wien. HC ist keine gewöhnliche queerdo-affine Schwesterwelle wie die anderen Sprechblaseningenieure und Bundesschwafler aus der Schwätzerkaste der Volkszertreter, sondern ein „Macher“ mit einem echten Sinn für das volksdeutsche Wahlvolk! Eben weil er sich tatsächlich für die Bürgerinteressen einsetzt, hat die Medienkrätze und LÜGENPRESSE bereits mehrmals versucht, HC mit Rechtsextremisten, von denen er und wir uns klar abgrenzen, in Verbindung zu bringen. Dabei scheuten die österreichischen Denkprothesen, von Gutmenschen als „Zeitungen“ bezeichnet, auch nicht vor gefälschten Bildern und gekauften Aussagen angeblicher ehemaliger „Kameraden“ von HC zurück. Das österreichische VOLK lässt sich, anders als der Großteil des bundesdeutschen Gutmenschen-Wahlviehs von solchen Nebelkerzen nicht verwirren, da sie anders als wir, nicht von einem von der amerikanischen Ostküstenfinanzmafia und ihren Erfüllungsgehilfen, der Lügenpresse, gepredigten Schuldkomplex an einem Krieg der 70 Jahre vorbei ist und an dem wenige Personen schuld waren, befallen sind. Dabei war damals keineswegs alles schlecht!!!

Als Reaktion auf Kommentatoren, die in der Seite Satire sahen, erschien ein Eintrag, in dem es zu den Hashtags #FürLutz! , #Bachmannvor, #LutzderErwecker und #Satireneindanke! hieß:

Liebe Freunde, aber auch an die ANTIFANTEN,
die grünrot-versiffte, sozialismusverseuchte, pädosexuelle Lügenpresse und die undeutschen Gutmenschen versuchen alles, um uns weiter zu diskreditieren. Die neue Strategie ist es jetzt, dass wir und unsere Ansichten als „Satire“ gebrandmarkt werden. Ihr KÖNNT uns mal. Wir werden noch sehen wie SATIRISCH es wird, wenn das DEUTSCHE VOLK sich erhebt und euch die Hölle heiß macht! Euch und euren Apologeten des Untergangs wie Claudia „Fatima“ Roth oder Cem „Mohammed“ Özdemir!!!!! Wir lassen uns nicht beirren. Für LUTZ, Für PEGIDA!!!! Fallt nicht auf die Kommentare der Spalter herein!!! Sie versuchen uns zu entzweien!!!!

Um es kurz zu machen: Hinter der Facebookseite stehen keine Unterstützer von Lutz Bachmann oder Pegida. Im Gegenteil. Es handelt sich um eine Satire, die die die neurechte Rhetorik in überspitzter Form persifliert. Darauf reingefallen sind wohl auch zahlreiche Pegida-Anhänger, die anfeuerten, kommentierten, „gefällt mir“ klickten und teilten.

Vor knapp 24 Stunden postete der Seitenbetreiber folgende Auflösung:

Liebe Freunde,
Nun möchte ich euch noch eine kleine Anleitung für den Fall geben, dass auch ihr demnächst eine nette, kleine Hetzseite bei Facebook oder irgendwo anders im Weltnetz aufbauen wollt.
Oder auch: Wie sammle ich 2700 Pegidioten in einer Woche:
Zunächst gilt es den passenden emotionalen Moment abzuwarten.
Anschließend ist es wichtig, dass dieser Moment zur Stärkung der Bindung bis zum Erbrechen ausgeschlachtet wird bzw. dass es eine Art Symbolfigur gibt, welche man blind und vollkommen unkritisch zusammen anbeten kann. In diesem Zusammenhang möglichst süße/ pathetische Bilder anfertigen, die den Anhängern als Götzen dienen können und sich gegebenenfalls auch als Titelbild der eigenen Facebookseite gut machen.
Zudem eine zweite Fakeseite bauen, dann rumposaunen dass diese Fake ist, um der ersten Fakeseite mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Ganz wichtig: das richtige Vokabular. Sollte mehrmals pro Post benutzt werden:
Linksgrün-versifft
Antifanten/(SA)ntifa
Pädo-/ pädophil
Lügenpresse/ Systempresse
Gesinnungsdiktatur
Ökofaschisten
Volk
Wir
Sind
Und ganz generell scheint ein analfixierter Sprachgebrauch im Pegidatrend zu liegen.
Zudem immer mal wieder einwerfen, dass man ja keine rechten/ antisemitischen/ islamophoben/ frauenfeindliche/ verschwörungstheoretischen Inhalte vertritt und keinen Hass auf Ausländer, Politiker, Presse, Schwule streut, um dann spätestens ein bis zwei Sätze danach das komplette Gegenteil zu praktizieren.
Wenn man kein Unmensch ist, baut man natürlich auch in jeden Post Hinweise auf den satirischen Charakter der Seite ein, welche aber von fast allen Beteiligten geflissentlich ignoriert/nicht verstanden werden.
Zudem möglichst glaubwürdige und seriöse Quellen heranziehen:
z. B. HC Strache, Christian Anders, Akif Pirinçci
Ach ja, und an alle Pegidioten, die vor 3 Wochen noch Charly waren. Das hier nennt sich auch Satire. Ich gehe daher davon aus, dass ihr die Sache hier auch sehr lustig findet
„grin“-Emoticon

Und kleiner Tipp am Rande. Manchmal lohnt es sich ALLES zu lesen und nicht nur die fünf Wörter, die man ansprechend und überfällig findet. (Nach „Wir sind das Volk“ geht’s meistens noch weiter) Falls ihr tatsächlich immer alles gelesen und damit übereingestimmt habt, dann seid ihr lupenreine Nazis.
Liebe Grüße!

Seit Mittwoch früh steht dieser Cartoon im Seitenkopf:

Trotzdem fiel am Mittwochnachmittag nach der „Leipziger Volkszeitung“ auch noch die „Welt“ auf die Satire herein und schrieb:

Facebook-Seite „Solidarität mit Lutz Bachmann“

Auf Facebook wurde unterdessen die Seite „Solidarität mit Lutz Bachmann“ eingerichtet. Bereits mehr als 3600 Nutzer unterstützen die ehemalige Pegida-Leitfigur. „Lasst nicht zu, dass die linksgrünen Antifanten unseren Lutz in eine rechte Ecke drängen, bloß weil er sich satirisch mit Adolf Hitler auseinandergesetzt hat“, heißt es auf der Seite.

In einem anderen Beitrag wird Bachmann wörtlich wie folgt gewürdigt: „Lutz hat es geschafft, das Meinungsmonopol der linksgrün-versifften Systempresse endlich aufzubrechen. Der Sturm, der bald losbricht, ist zu einem großen Teil sein Verdienst.“

Kolportiert werden auch Verschwörungstheorien: „Die Hinweise über einen im Hintergrund erzwungenen Führungswechsel bei Pegida mehren sich. Pedigda und unser Lutz sind der Führungsclique der BRD-GmbH zu ungemütlich und mächtig geworden. Deshalb hat man ihn schrittweise mundtot gemacht.“

Mag sein, dass gerade im Umfeld von Pegida Satire und Realität ganz besonders schwer zu unterscheiden sind. Aber Journalisten könnten vielleicht wenigstens den Versuch unternehmen.

Nachtrag, 1:25 Uhr. Die „Welt“ hat ihren Artikel korrigiert.

Nachtrag, 10:00 Uhr. Die „Leipziger Volkszeitung“ hat die Online-Version ihres Artikels um ein Update ergänzt.

Nachtrag, 10:30 Uhr. Die falsche Seite hat es auch in die gedruckte „Welt“ von heute geschafft.

Exklusiv im „Focus“: Das erstletzte Interview mit Schweinsteiger nach der WM

Na, endlich. Gut fünf Monate nach der Fußball-Weltmeisterschaft hat der „Focus“ in der aktuellen Ausgabe mal was im Blatt, worauf alle viele Fußballfans gewartet haben: „Bastian Schweinsteiger in seinem ersten Interview nach dem WM-Titel“. Das erste Interview also. Exklusiv.

"Focus" Titel 8.12.2014

Okay, gut, am 14.7.2014, einen Tag nach dem WM-Endspiel, war da schon mal so ein Interview mit Bastian Schweinsteiger in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Aber das ist ja nur die NOZ, die lesen sie beim „Focus“ wahrscheinlich nicht so oft. Naja, und dann gab es allerdings am 21.8.2014 noch so ein exklusives Interview mit Bastian Schweinsteiger in „Bild“.

Ausschnitt "Bild"-Titel 21.8.2014

Jetzt redet er: „39 Tage nach dem WM-Triumph bricht Bastian Schweinsteiger sein Schweigen“, steht da in „Bild“. Und im Innenteil, auf Seite 16, ganz oben:

"Bild" 21.8.2014

„Focus“ hat das „1. Interview nach dem WM-Triumph“ damals auch gemeldet:

Focus Online Screenshot 21.8.2014

Und ein paar Wochen nach dem ungefähr ersten Nach-WM-Interview in „Bild“ hatte die „Welt“ ein Interview mit Bastian Schweinsteiger. Und vor ein paar Tagen hatte „Bravo Sport“ noch was Exklusives im Heft und online. So ein Exklusiv-Interview mit, ähm: Bastian Schweinsteiger.

Screenshot bravo.de 7.12.2014

Und dann hat noch – das sollte man jetzt keinesfalls unterschlagen – der achtjährige Lemmy ein Interview geführt. Mit Bastian Schweinsteiger. Für den „Disney Channel“. Am 23.8.2014, kurz nach dem zweiten, dritten oder vierten ersten Interview in „Bild“.

Und dann war da wohl noch irgendein Exklusiv-Interview bei Sky, kurz vor Lemmy, und vielleicht waren da auch noch ein paar. Aber nach all diesen exklusiven ersten Nach-WM-Interviews mit Bastian Schweinsteiger hat der „Focus“ nun wirklich das erste exklusive Interview mit Bastian Schweinsteiger nach der Fußball-WM geführt. Das muss man der Münchner Illustrierten schon lassen.

Nachtrag 9.12.2014, 11:22 Uhr. Besonders peinlich scheint es den Redakteuren beim „Focus“ ja nicht zu sein, dass sie ihr aktuelles Interview mit Bastian Schweinsteiger vollmundig als „erstes Interview nach dem WM-Titel“ verkaufen, obwohl das nicht stimmt. Wenigstens online mal korrigieren? Ach, Quatsch. Dort brüstet sich die Illustrierte weiter damit. Trommelwirbel, bitte:

Über sein grandioses Spiel im Finale der WM sprach der 30-Jährige nie öffentlich. Bis jetzt. Im FOCUS-Interview sagt der neue Kapitän der Nationalelf: „Durch den WM-Titel bin ich sogar noch gieriger auf Titel geworden. Gesättigt bin ich noch lange nicht.“

Wenn man ein Zitat so hervorhebt und als Ankündiger für ein Interview nutzt, muss das ja eine Neuigkeit sein, nicht? Oder eine ganz besondere Stelle aus einem ganz besonderen Interview. Schauen wir mal in die Druckfassung:

[…] Durch den WM-Titel bin ich sogar noch gieriger auf Titel geworden. Gesättigt bin ich noch lange nicht! Ich weiß jetzt, wie man große Fußballtitel holt. Und diese Momente, den Pokal in die Höhe zu halten, will ich wieder haben. Immer und immer wieder. Ich gebe sogar zu: Große Titel machen süchtig. […]

Und nun schauen wir in das Interview, das „Bild“ mit Bastian Schweinsteiger bereits am 21.8.2014 geführt hat:

Ich bin durch den WM-Titel eher noch gieriger geworden. Etwas Großes zu gewinnen, löst bei mir kein Gefühl der Sättigung aus. Das habe ich schon nach dem Champions-League-Triumph mit Bayern gemerkt. Im Gegenteil: Ich weiß jetzt, wie man die ganz großen Fußball-Titel holt. Und ich will diese Momente, in denen man die Pokale hochhält, immer wieder haben. Solche großen Titel können süchtig machen.

Aber, wurscht, wenn der halt auch immer dasselbe redet. Als „Focus“-Redakteur haut man das halt nochmal raus und vergisst dabei einfach, dubdidu, dass das längst in „Bild“ gestanden hat. Weil die bei Springer das nämlich auch längst vergessen haben. Jetzt, mit Bezug auf das „Focus“-Interview, titelt „Bild“:

Schlagzeile "Bild" Online 7.12.2014

Red Bull verleiht Flügel und Zeitunglesen macht klug

Die spinnen doch, die Amis! Jetzt muss das österreichische Unternehmen Red Bull 13 Millionen Dollar an US-Amerikaner auszahlen, die sich die vermeintliche Energie-Limo seit Jahren eintrichtern, aber vergeblich darauf warten, dass ihnen so depperte Flügel an den Schultern wachsen, wie es Red Bull in der Werbung verspricht. Wächst aber gar nix! Echt jetzt! Und nun steht also fast überall, dass der Getränkehersteller die Trinker entschädigen muss.

Illustration von web.de

Überschrift "Passauer Neue Presse"

Überschrift bild.de

Überschrift welt.de

Überschrift n24.de

Der Hammer, oder? Verleiht gar keine Flügel, die Plörre. Und die Klage passt so gut ins europäische Bild von diesen freakigen US-Amerikanern, die andauernd alle verklagen, weil irgendwas passiert, was man nun wirklich nicht ahnen konnte: Dass zum Beispiel der zur Legende gewordene Hamster explodiert, wenn man ihn bloß mal kurz zum Trocknen in die Mikrowelle gibt, was aber so nicht in der Gebrauchsanweisung stand, weder in der für die Mikro, noch für den Hamster.

Liest sich also gut, das mit Red Bull und den Flügeln, ist aber Unsinn. Den Slogan „Red Bull verleiht Flügel“ haben die Initiatoren der Sammelklage durchaus so metaphorisch verstanden, wie er gemeint ist: als Bild für die Leistungssteigerung, die Red Bull in der Werbung und mit Hilfe von Studien suggeriert. Den Klägern geht es also um die versprochene Wirkung, um den Effekt des Getränks.

Das Unternehmen verspreche, Red Bull steigere die Leistung, Konzentration und Reaktion, argumentieren die Kläger, dabei wirke es nicht viel mehr als eine Tasse Kaffee. Als Beleg halten sie ihrerseits eine Studie dagegen. Einer der Kläger behauptet außerdem, er trinke seit zwölf Jahren den Energy-Drink, seither habe sich aber nicht viel verbessert. Die Kläger vermissen also die in der Werbung versprochene Leistungssteigerung, nicht die Flügel.

13 Millionen Euro in einen Fonds zu zahlen, ist der Vergleich, den Red Bull bereits im Sommer einging, was aber jetzt erst zu uns rüber geschwappt ist. So kann man das auf US-amerikanischen Blogs und Websites nachlesen, auf die sich auch einige Nachrichtenseiten hierzulande beziehen. Doch meistens wird die Geschichte hier verknappt dargestellt; verknappt auf den leicht übergeschnappten US-Amerikaner, der ständig klagt – und dann auch noch Recht bekommt.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat den Klägern deshalb erst mal – in dieser Logik folgerichtig – jeden Humor aberkannt: „Humorlose Kläger in Amerika“ titelt sie in ihrem Wirtschaftsteil, um dann bierernst aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus zu kommen:

So etwas gibt es auch nur in den Vereinigten Staaten: Weil der österreichische Energydrink-Hersteller Red Bull für seine angeblich leistungssteigernde Brause mit dem Slogan „Red Bull verleiht Flügel“ wirbt, haben amerikanische Verbraucher diese Losung nun wörtlich genommen. Vor einem Bundesgericht in New York strengten sie eine Sammelklage gegen Red Bull an – weil ein normaler Mensch auch nach dem Genuss einer kompletten Dose des klebrigen Süßgetränks tatsächlich immer noch nicht fliegen könne.

Genau: Nach einer Dose! Nicht fliegen! Diese Amerikaner, Mann!

In der Wirtschaftsredaktion der „Welt“ ist man auch ganz fassungslos. „Deutschland amüsiert sich“, schreibt die Zeitung gleich im Vorspann ihres länglichen Online-Textes, weil bei twitter ein paar Leute jetzt Gags über Red Bull reißen, also: ganz Deutschland. Während die „Welt“ den Amerikanern weiter unten nicht den Humor abspricht, sondern gleich die Vernunft:

Kein vernünftiger Mensch würde nach dem Genuss einer Dose des Energydrinks auf einen Felsen klettern und in die Tiefe springen, blind darauf vertrauend, dass ihm schon Flügel wachsen werden. Weiter könnte man auch argumentieren, dass kein vernünftiger Mensch auf den Gedanken käme, wegen des Ausbleibens der Flügel vor Gericht zu ziehen.

Nö, stimmt. Und kein vernünftiger Mensch käme, wenn er sich ein bisschen eingelesen hätte, auf die Idee, dass es so war. Nur eben etliche Zeitschriften und Zeitungen wie die „Welt“, die noch ein bisschen höhnt über das amerikanische Rechtssystem, wo „immer wieder Großkonzerne mit zweifelhaften Klagen“ überzogen würden, „die wider den natürlichen Menschenverstand sind“.

Kein Wunder also, dass auch das „Manager Magazin“ staunt: „Es ist einer der Fälle, die eigentlich nur in den USA passieren können“, steht dort. Und im Vorspann: „Wer seit 2002 eine Dose Red Bull in den USA gekauft und sich gewundert hat, dass ihm keine Flügel wachsen, könne nun eine Entschädigung beantragen.“

Auch schön. Richtig ist: Wer nach 2002 in den USA eine Dose gekauft hat und die suggerierte Wirkung bei sich nicht feststellen konnte, kann das (hier) beantragen und bekommt dann vielleicht etwas aus dem Fonds. Auf den Vergleich hat sich Red Bull übrigens eingelassen, um nach eigenen Angaben einen potenziell langen und teuren Prozess zu vermeiden, wie das Unternehmen der Nachrichtenagentur APA sagte. Grundsätzlich widerspricht das Unternehmen aber: „Der Red Bull Marketingansatz war immer humorvoll, wahrheitsgemäß und korrekt.“

Mit Dank an Stanz.

Nachtrag 14.10.2014, 17:48 Uhr. Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Das „Manager Magazin“ hat seinen Artikel noch mal überarbeitet. Ursprünglich stand da in der Überschrift: „Red Bull kommen seine Flügel teuer zu stehen“. Und im Vorspann:

Red Bull verleiht Flügel – diesen Spruch hätte sich der Brausevermarkter in den USA vielleicht sparen sollen. Um eine Massenklage abzuwenden, stimmte Red Bull laut einem US-Blog einem Vergleich zu: Wer seit 2002 eine Dose Red Bull in den USA gekauft und sich gewundert hat, dass ihm keine Flügel wachsen, könne nun eine Entschädigung beantragen.

Da musste man natürlich noch mal ran. Die Überschrift: okay. Der erste Satz, joah: so halbrichtig. Der zweite stimmt – bis zum Doppelpunkt. Danach, die Sache mit den Flügeln: Unsinn. Und damit zur schlechten Nachricht. Das steht da jetzt in der Überschrift: „Red Bull verleiht doch keine Flügel“. Und im Vorspann:

So etwas funktioniert nur in den USA: Wer dort eine Dose Red Bull gekauft und sich gewundert hat, dass ihm keine Flügel wachsen, kann eine Entschädigung beantragen.

Naja, gut: In der Bildunterzeile steht ja auch immer noch:

Red Bull: Achtung Achtung – man kann nach dem Trinken gar nicht fliegen

Muss man nicht verstehen. Aber vielleicht kann es das „Manager Magazin“ erklären.

Nachtrag 18.10.2014. Sven Clausen, der stellvertretende Chefredakteur des „Manager Magazins“, hat mir gestern geantwortet. Er schreibt:

Wir halten unsere Formulierungen in Überschrift und Vorspann für zulässig und nicht irreführend. Wir bleiben damit im Formulierungskosmos von Red Bull, knüpfen damit also direkt an die ironische Figur des Werbespruchs an. Im Text steigen wir dann aus dieser rhetorischen Figur aus und schildern sauber und sachlich, wie der Stand der Dinge ist. Ironie ist im Nachrichten- und Analyse-Journalismus bekanntermaßen immer gefährlich, weil die Leser und User das tendenziell nicht erwarten. Im Fall von Red Bull ging das aber aus unserer Sicht, weil der Werbespruch – und damit seine ironische Aussage – so bekannt ist. Glücklicherweise hat uns die Reaktion unserer Leser bestätigt: Der Beitrag wurde gern (hohe Leserzahl) und gut (die für mm.de übliche, sehr geringe Bounce-Rate) gelesen. Beschwerden haben mich bislang nicht erreicht.

Schweigen fürs Leistungsschutzrecht

Nachtrag, 14:40 Uhr. Okay, keine Glanzleistung, dieser Eintrag. Zwei wichtige Korrekturen unten.

Im Juni haben zwölf Verlage und die von ihnen gestützte Verwertungsgesellschaft VG Media Beschwerde beim Bundeskartellamt gegen Google eingelegt. Sie werfen dem Suchmaschinen-Unternehmen vor, im Zusammenhang mit dem neuen Presse-Leistungsschutzrecht seine Vormachtstellung am Markt zu missbrauchen.

Das Bundeskartellamt hat diese Beschwerde, wie die „Frankfurter Allgemeine“ berichtete und die Agenturen dpa, epd und Reuters meldeten, zurückgewiesen.

Über die Beschwerde berichtete die „Welt“, deren Verlag Axel Springer zu den Beschwerdeführern zählt, im Juni:

Über die abschlägige Antwort des Kartellamtes berichtete die „Welt“: nicht.

Über die Beschwerde berichtete das „Hamburger Abendblatt“, dessen Verlag Funke zu den Beschwerdeführern zählt, im Juni:

Über die abschlägige Antwort des Kartellamtes berichtete das „Hamburger Abendblatt“: nicht.

Über die Beschwerde berichtete der „Kölner Stadt-Anzeiger“, dessen Verlag DuMont Schauberg zu den Beschwerdeführern zählt, im Juni:

Über die abschlägige Antwort des Kartellamtes berichtete der „Kölner Stadt-Anzeiger“: nicht*.

Über die Beschwerde berichtete die „Hannoversche Allgemeine“, deren Verlag Madsack zu den Beschwerdeführern zählt, im Juni:

Über die abschlägige Antwort des Kartellamtes berichtete die „Hannoversche Allgemeine“: nicht*.

„Wir Verlage“, sagt Thomas Düffert, Chef der Madsack-Mediengruppe, „sind ein Garant der Meinungsbildung und damit für die Demokratie in Deutschland.“ Solche Sätze dienen offenkundig nur dazu, Forderungen an andere zu bekräftigen. Sie sind keine Verpflichtung für die eigene tägliche Arbeit.

*) Korrektur, 14:15 Uhr. Die „Hannoversche Allgemeine“ hat zwar nicht online, aber am Samstag in ihrer Print-Ausgabe berichtet. Und auch der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat zwar online keine Meldung gebracht, aber in der Zeitung.

 
Aus dem Archiv:

„Pofalla ist auf jeden Fall dabei“ und weitere Informationen aus gut informierten Kreisen

„Spiegel“-Leser waren natürlich nicht die einzigen, für die die Besetzung des neuen Kabinetts besondere Überraschungen enthielt:

„Huffington Post Deutschland“, 6. November 2013:

SPD-Parteichef Sigmar Gabriel wird nicht als Minister in eine schwarz-rote Bundesregierung eintreten. Das erfuhr die Huffington Post Deutschland am Rande der Koalitionsverhandlungen aus gut informierten Kreisen in Berlin. Gabriel soll künftig als „Supermann“ der SPD nicht nur die Partei, sondern auch die Bundestagsfraktion führen.

„Berliner Zeitung“, 28. November 2013:

Ronald Pofalla, 55, wird im Kabinett bleiben – hätte aber gern einen anderen Posten als Chef des Kanzleramtes. Er könnte Wirtschaftsminister werden.

„Welt“, 29. November 2013:

Die CSU wird auch künftig Peter Ramsauer als Bundesverkehrsminister in das neue Bundeskabinett schicken. Auch Hans-Peter Friedrich (CSU) behält sein Amt als Innenminister.

Wie die „Welt“ aus CSU-Kreisen erfuhr, ist die Entscheidung darüber gefallen.

„Focus“, 2. Dezember 2013:

Das Innenministerium soll weiterhin CSU-Mann Hans-Peter Friedrich leiten, das Ressort Justiz ginge dann an Thomas Oppermann von der SPD. Thomas de Maiziere (CDU) bleibt Verteidigungsminister. Ursula von der Leyen müsste für die CDU das ungeliebte Gesundheitsministerium übernehmen, während Manuela Schwesig von der SPD das Familienressort erhielte. Gute Chancen, Verkehrsminister zu bleiben, hat auch CSU-Mann Peter Ramsauer. Aufsteigen wird CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt; er wird als neuer Landwirtschafts- oder Forschungsminister gehandelt — wenn Amtsinhaberin Johanna Wanka einen Wechsel als Staatsministerin für Kultur akzeptiert. (…) Der jetzige Kanzleramtschef Ronald Pofalla ist auf jeden Fall dabei — ob in alter Funktion oder auf neuem Posten, etwa im Verbraucherschutzministerium.

Nachtrag, 16:50 Uhr. „Cicero Online“, undatiert:

Cicero Online enthüllt: Offiziell ist sie noch ein Geheimnis, doch tatsächlich steht die Kabinettsliste der Großen Koalition längst. Nur eine Personalentscheidung ist dem Vernehmen nach noch offen. Die nächste Bundesregierung, exklusiv für alle SPD-Mitglieder, die noch eine Entscheidungshilfe brauchen.

Frauenquote ist bei der SPD ein Gesetz. Deshalb wird Barbara Hendricks Entwicklungshilfeministerin.

Bildung und Forschung bekommen ein neues Gesicht: Julia Klöckner.

Die CSU schickt als Innenminister einen alten Bekannten ins Rennen: Hans-Peter Friedrich bleibt — mangels personeller Alternative!

Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Für Alexander Dobrindt der Lohn für treue Dienste als CSU-Generalsekretär.

Minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Peter Ramsauer bleibt, muss die PKW-Maut ausbaden.

Thomas Oppermann gilt als neuer starker Mann in der SPD und große Nachwuchshoffnung. Er wird Justizminister. Sollte er sich allerdings doch noch entschließen, Fraktionsvorsitzender zu werden, dann steht für das Kabinett schon eine alte Bekannte bereit….

….Brigitte Zypries.

Den Rest des Kabinetts kennen Sie schon: Muttis Bester Peter Atmaier bleibt Umweltminister, nur für die Energiewende wird er nicht mehr zuständig sein.

Verteidigungsminister bleibt Thomas de Maizière (CDU), trotz Drohnen-Affäre.

Der ewig junge Ronald Pofalla wäre gerne ins Arbeitsministerium gewechselt, aber da ist für ihn kein Platz. Also bleibt er Chef des Bundeskanzleramtes und Ausputzer der Kanzlerin.

Gesundheitsministerin: Ein anderer Job blieb für die Christdemokratin Ursula von der Leyen nicht übrig.

(via Henning Kornfeld, Matthias Daniel)

Was die Zahl von 47.000 digitalen „Welt“-Abonnenten wirklich aussagt

Gibt es in Deutschland genug Menschen, die bereit sind, für Journalismus im Internet zu zahlen? Die Branche wartet ungeduldig auf Indizien. Die Axel Springer AG tut so, als würde sie sie endlich liefern.

„Bereits mehr als 47.000 zahlende digitale Abonnenten“ habe die „Welt“, gab das Unternehmen gestern bekannt. Die Pressestelle nannte das einen „Meilenstein“. „Welt“-Chefredakteur Jan-Eric Peters sprach von einer „richtig guten Zahl“.

Aber das heißt ja nichts.

47.000 klingt nach einer sehr hohen Zahl — im Vergleich zu der Zahl der Abonnenten der gedruckten „Welt“, die nur doppelt so hoch liegt, und angesichts der nur sechs Monate, seit die „Welt“ ihre Online-Inhalte für häufige Benutzer kostenpflichtig gemacht hat.

Aber was bedeutet sie wirklich? Die Axel Springer AG macht keine genauen Angaben, wie sich die Zahl zusammensetzt. Man kann das natürlich als Zeichen werten, dass Details das Bild einer Erfolgsgeschichte nur unnötig trüben würden.

Interessant wäre zum Beispiel, wie viele Menschen über eines der Paket-Angebote (Bundles) mit einem iPad Mini zu „Welt“-Digital-Abonnenten wurden. Aktuell lockt das Blatt mit einem Preisvorteil von „über 800 €“, wenn man das iPad für 19,99 Euro monatlich mit einem Zwei-Jahres-Abonnement von „Welt Digital komplett“ sowie „Welt“ und „Welt am Sonntag“ als E-Paper bestellt.

Aber es geht noch besser: Anfang Mai konnte man zum Beispiel ein iPad-Mini samt „Welt Digital komplett“ für monatlich 14,99 Euro bekommen. Das entsprach über zwei Jahre Mindestlaufzeit einem Preis von gerade einmal 1,25 Euro im Monat für das „Welt“-Abo. Oder wie es ein Kommentator auf der Schnäppchen-Seite treffend formulierte:

Das ipad wird praktisch mit 0,0 % finanziert! Und man bekommt das Abo noch umsonst dazu!

Es ist natürlich legitim, mit solchen Angeboten Kunden zu locken, und womöglich ist es sogar wirtschaftlich oder wenigstens strategisch sinnvoll. Nur lassen sich Menschen, die unter solchen Bedingungen gratis ein journalistisches Produkt abonnieren, um günstig in den Besitz eines Computers zu kommen, schwerlich als Beleg dafür nehmen, dass es, wie Springer formuliert, „eine Zahlungsbereitschaft für Journalismus auch in der digitalen Welt gibt“.

Wie viele der 47.000 Digital-Abonnenten der „Welt“ solche Käufer eines subventionierten iPad-Paketes sind, verrät Springer nicht. Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin nur:

Wir freuen uns, dass wir schon drei starke Vertriebskanäle entwickeln konnten, über die wir die 47.000 digitalen Abonnenten gewonnen haben: unsere eigene Webseite, die Stores mit Apples iTunes an der Spitze und Hardware-Bündel. Die iPad-Mini-Aktion trägt einen wesentlichen Teil zum Erfolg der dritten Säule bei.

Jan-Eric Peters hauchkonkretisierte das auf seiner Facebook-Seite mit der vagen Formulierung, der „Abo-Erfolg“ sei nicht „hauptsächlich“ dem iPad-Mini-Angebot zu verdanken.

Ein weiterer erheblicher Teil der 47.000 Abonnenten wird noch in der einmonatigen Probephase sein und bloß 99 Cent gezahlt haben. Angeblich entscheiden sich drei Viertel der Nutzer nach dem Test für die teurere Fortführung des Abonnements.

Unerwähnt bleibt in den Erfolgsmeldungen zudem, dass bei den 47.000 Digital-Abonnenten auch diejenigen mitgerechnet sind, die keines der Pakete abgeschlossen haben, die es seit einem halben Jahr gibt und zwischen 4,99 Euro und 14,99 Euro monatlich kosten. Als „Abonnent“ zählt nämlich auch, wer sich nur die deutlich billigere Smartphone-App leistet (1,79 Euro im Monat oder, inklusive „Welt kompakt“-PDF, 3,59 Euro im Monat).

Nach Angaben einer Sprecherin machen diese Kunden „nur einen sehr kleinen Teil der Abonnenten aus“. Wie klein, sagt sie nicht. Die häufigsten In-App-Käufe in der Smartphone-App sind allerdings im iTunes-Store solche 1,79-Euro-Angebote.

Angesichts all dieser Einschränkungen und Unbekannten: Sind 47.000 Abonnenten eine gute Zahl?

Im Mai 2010 kam das iPad in Deutschland auf den Markt. Ein halbes Jahr später behauptete Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, dass allein die „Welt High Definition“-App schon „viele Tausende von zahlenden Abonnenten“ für 11,99 Euro im Monat habe.

Vor zwei Jahren, im August 2011, gab Springer bekannt, dass die „Welt“ täglich knapp 17.000 digitale Ausgaben verkaufe, davon mehr als die Hälfte über das iPad. Die Kategorien „digitale Ausgaben“ und „digitale Abonnements“ sind nach Ansicht von Springer nicht vergleichbar. „Die Zahl der digitalen Ausgaben wäre heute natürlich deutlich höher als die Zahl digitaler Abonnenten“, heißt es. Andererseits bedeutete die frühere Messgröße offenbar, dass sich am konkreten Tag jemand für eine digitale „Welt“-Ausgabe entschieden hat, während er heute schon zählt, wenn bloß sein Abo weiter läuft.

Es spricht einiges dafür, dass die Zahl 47.000 nicht so imposant ist, wie sie klingt. Aber sie lässt sich nicht seriös bewerten, weil die Axel Springer AG, wie es ihrer Geschäftskultur entspricht, keine detaillierten, nachvollziehbaren Angaben macht, sondern bloß eine Black Box in den Raum stellt, deren Größe eindrucksvoll, deren tatsächlicher Inhalt aber unbekannt ist. Für Pressemitteilungsabschreiber reicht das natürlich.

Seit fast zehn Jahren verschweigt das Unternehmen, wie viele Exemplare es von seiner Light-Zeitung „Welt kompakt“ verkauft und wie viele noch von der Vollfett-„Welt“, und gibt nur eine Gesamtauflage an. Es wäre abwegig, ausgerechnet von diesem Laden zu erwarten, dass er brauchbare, transparente Antworten auf die Frage liefert, in welchem Maß die Menschen in Deutschland bereit sind, für Journalismus im Netz zu bezahlen.

Neue „Tagesschau“-Melodie: „Vielleicht ein paar gesungene Koranverse?“

Vergangenen Freitag enthüllte der „Postillon“, was manche geahnt hatten:

(Der „Postillon“ gilt als Satireseite, glaubt im Gegensatz zu fast allen anderen Nachrichtenangeboten aber wenigstens nicht, was in der „Bild“-Zeitung steht.)

Jedenfalls habe ich heute Morgen aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen die Kommentare unter dem „Welt“-Artikel gelesen, der da noch die Überschrift trug: „Tagesschau bekommt eine neue Titelmelodie“ und behauptete, der deutsche Hollywood-Komponist Hans Zimmer werde sie komponieren.

Was können „Welt“-Kommentatoren aus dieser Vorlage machen? Sehen Sie folgende Auswahl meiner persönlichen Highlights:

· · ·

DerIngenieur

Das passt doch ganz gut, die Nachrichten werden ja auch nur noch aus den USA empfangen und zu einem pseudodemokratischen PC-Einheitsbrei verschwurbelt. Stilecht!

· · ·

Hans Wagner

Die Tagesschau schaue ich täglich. Seit geraumer Zeit nur noch, um zu sehen welche Propaganda uns untergeschoben werden soll, zu welchem Zweck und was weggelassen wird.

Reale News erwarte ich schon lange nicht mehr. (mehr …)