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Ganz unten: Zu Besuch bei der RTL-Erfolgsshow „Das Supertalent“

Es ist heiß, der Abend zieht sich, aber es gibt einen Grund durchzuhalten: Zur Halbzeit soll es kostenlos Wasser für alle geben.

Es spricht eher nicht für eine Veranstaltung, wenn der Höhepunkt, mit dem der Anheizer das Publikum in den Umbaupausen bei Laune zu halten versucht, die Ankündigung ist, dass es nur noch fünf, vier, drei, zwei Auftritte sind, bis es endlich etwas zu trinken gibt. Ich frage mich, ob es den Etat der Produktion wirklich gesprengt hätte, den Durst der Zuschauer früher und mehrmals zu stillen. Ob es etwas anderes als das Wasser geben könnte, auf das es sich zu freuen lohnte, ein spektakulärer Akt auf der Bühne etwa, frage ich mich irgendwann nicht mehr.

Es ist Freitagabend, die zweite Aufzeichnung der RTL-Show „Das Supertalent“ im Berliner Tempodrom. Eineinhalb Stunden hat es gedauert, bis wir auf unseren Plätzen saßen. Dann beginnt das Warm-Up. Der dafür engagierte Mann lässt die Zuschauer auf Kommando für die Kameras applaudieren und vor Begeisterung beim Jubeln aufspringen. Keine Sorge, sagt er, RTL werde das später natürlich nur an die Stellen in die Sendung schneiden, wo es tatsächlich eine solche Reaktion gab. Gelächter im Publikum. (mehr …)

Die schlechten Menschen von „Deutschland sucht den Superstar“

Bei „Deutschland sucht den Superstar“ gibt es drei Gruppen von Menschen, deren Verhalten ich nicht verstehe.

Die erste sind die Leute, die das gucken. Siebeneinhalb Millionen haben die erste Folge der neuen Staffel gesehen – obwohl die Sendung so berechenbar, formelhaft und ausgewalzt ist wie kaum eine andere.

Das zweite sind die Leute, die da hingehen. Zigtausend Kandidaten hatten sich wieder beworben – obwohl sie wissen könnten, dass sie nur Rohmaterial für eine Maschinerie sind, die bestenfalls verspricht, nach einem absurden Aufwand und vielen Demütigungen, eine einzige erfolgreiche Single zu produzieren.

Das dritte sind die Leute, die das produzieren.

Über die ersten beiden Gruppen ist ausdauernd diskutiert worden. Über die Anziehungskraft der Show auf das Publikum und noch viel mehr über die Frage, ob man die Menschen, die dort mitmachen, vor sich selbst schützen müsste. Einige der Kandidaten, über die sich RTL ausführlich lustig macht, wirken geistig behindert. Aber erstens ist das kein klares Kriterium und zweitens keine Antwort auf die Frage, wie man mit ihnen umgehen müsste. Diese Leute dürfen, mutmaßlich, wählen, Geld ausgeben, heiraten, ihr Leben selbst bestimmen. Womöglich haben sie auch das Recht, sich vor der Nation zu Deppen zu machen.

Es ist wie beim alten Dilemma vom Zwergenweitwurf: Verstößt eine solche Veranstaltung gegen die Menschenwürde oder gehört zu dieser Menschenwürde, im Gegenteil, auch das Recht eines Zwergen, sich aus freien Stücken zum Objekt eines solchen Spektakels zu machen?

Mindestens so interessant finde ich aber eine andere Frage: Was sind das für Menschen, die mit Zwergen werfen wollen?

Auf „Deutschland sucht den Superstar“ bezogen, ist das natürlich diejenige der eingangs genannten Gruppen, deren Verhalten oberflächlich am einfachsten zu erklären ist: Leute arbeiten für „Deutschland sucht den Superstar“, weil sie damit Geld verdienen. Sie tun nur ihren Job.

Und doch verstehe ich diese Gruppe am wenigsten. Ich kann die Schadenfreude beim Gucken nachvollziehen, ich kann die Selbsttäuschung der Kandidaten erahnen, aber ich weiß nicht, wie verkommen man sein muss, um die Liebe einer todkranken Frau zu ihrem Sohn, der sie rund um die Uhr pflegt, als Mittel zu benutzen, um seine öffentliche Demütigung zu maximieren.

Der dreißigjährige Stefan hat nichts von einem Superstar, er hat nicht einmal etwas von einem RTL-„Superstar“. Er kann nicht singen; er ist, wenn er es vor der Jury versucht, eine lächerliche Figur. Andererseits bringt er eine ungewöhnlich tragische Lebensgeschichte mit sich.

Das ist eine ungewöhnliche Kombination von zwei Eigenschaften, die RTL für seine Show braucht, sonst aber streng trennt: Eigentlich sind es die Gewinner, die die persönlichen Schicksale mitbringen und dadurch noch bewundernswerter wirken.

Stefan erzählt Dieter Bohlen und den zwei Jurystatisten von seiner Liebe zur Musik und von seinem harten Leben. Nachdem er gesungen hat, bemühen sich die drei, ihm ungewöhnlich schonend beizubringen, dass er nicht in die nächste Runde kommt. Jedem Zuschauer ist klar, dass das milde Urteil nicht die wahre Leistung widerspiegelt, sonden rausschließlich Zeichen des Respekts ist vor dem persönlichen Schicksal des Kandidaten. Selbst Dieter Bohlen schafft es, eine menschliche Seite von sich zu zeigen.

Kurz.

Dann ist der Kandidat gegangen und Bohlen sagt zu der Frau neben sich: „Hätte er die kranke Mutter nicht, hätte ich ihn fertig gemacht.“

Das war den Zuschauern schon klar. Aber dass Bohlen es ausspricht und dass RTL es ausstrahlt, gibt dem ganzen eine andere Dimension. Bohlen schafft es, gleichzeitig zu betonen, dass er zu Mitleid fähig ist, und seine Mitleidslosigkeit zu demonstrieren, indem er dem Kandidaten und der Welt auf diesem Weg trotzdem noch mitteilt, dass er richtig scheiße war – nur damit da keine Missverständnisse bleiben.

Während des Auftrittes des Kandidaten hatte die Produktion ihre eigene Skrupellosigkeit bewiesen. Während er die letzten Zweifel, ob er wirklich so schlecht ist, wegsang, schnitt sie noch einmal die Aussagen seiner Mutter dazwischen, die sich wünschte, dass DSDS für ihn ein „Sprungbrett“ sein könnte, „weg von seiner kranken Mutter“. Mit billigstem Geigenkitsch und verdunkelten Zeitlupenaufnahmen hatten RTL und die Produktionsfirma Grundy die Geschichte der todkranken Frau, die im Rollstuhl sitzt und einen Sauerstoffschlauch trägt, vorher in Szene gesetzt – reiner Zynismus, wie sich herausstellte.

Während Stefan seine Talentlosigkeit zeigte, zeigte RTL noch einmal, wie seine Mutter schwärmte: „Stefan ist der neue Superstar. Und er hat das Talent.“

Diese Diskrepanz zwischen der Liebe und Hoffnung einer Mutter und der Realität wäre dem Zuschauer auch so schmerzhaft bewusst geworden, aber die Produzenten von „Deutschland sucht den Superstar“ gingen auf Nummer sicher und schnitten das direkt ineinander. Sie benutzten Stefan und seinen missratenen Auftritt, um seine kranke Mutter zu verhöhnen. Und sie nutzten die kranke Mutter und ihren verklärten Blick auf ihren Sohn, um Stefan zu verhöhnen.

Ganz unabhängig davon, wie der Kandidat das fand, der anscheinend dankbar war, dass er überhaupt teilnehmen durfte: Das muss man erst einmal tun wollen.

Das ist die Frage, die ich mehr als jede andere stelle, wenn ich „Deutschland sucht den Superstar“ gucke: Was sind das für Menschen, die an einer solch verkommenen Inszenierung mitwirken? Tom Sänger, der Unterhaltungschef von RTL, hat einmal gesagt: „Wir sind sehr darauf bedacht, die Akteure nicht zu beschädigen.“ Ich weiß nicht, ob das Zynismus ist. Oder ob man, wenn man lange genug in diesem Umfeld gearbeitet hat, abstumpft. Oder ob es doch einfach schlechte Menschen sind, die dort arbeiten.

(Den Auftritt kann man sich bei Clipfish ansehen.)

Zwerge

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Als sich die UN-Menschenrechtskommission 2002 mit dem kommerziellen Zwergenweitwurf beschäftigte, ging es formal nicht um die Frage, ob diese Praxis gegen die Menschenwürde verstößt. Im Gegenteil: Es ging darum, ob durch ein Verbot des Zwergenweitwurfs in Frankreich kleine Menschen diskriminiert werden. Geklagt hatte einer kleiner Stuntman, der sich professionell in Bars und Clubs als Wurfgeschoss anbot und sich durch das Gesetz entmündigt sah: Als ob kleine Menschen nicht selbst entscheiden könnten, was sie mit sich machen lassen.

Das würde RTL gefallen. Ist es nicht auch ein Menschenrecht, sich von dem Schlager- und Fäkalienproduzenten Dieter Bohlen vor einem Millionenpublikum demütigen lassen zu dürfen? Es wird ja niemand gezwungen, sich bei „Deutschland sucht den Superstar“ zu bewerben oder den damit verbundenen Vertrag zu unterschreiben, der es den Fernsehleuten erlaubt, ungefähr alles mit den Aufnahmen anzustellen. Und nach all den Jahren könnte man wissen, wie in dieser Show mit Menschen und ihren Schwächen umgegangen wird.

Aber zum Zwergenwerfen gehören zwei: Einer, der sich werfen lässt. Und einer, der werfen will. Das muss man auch erst einmal wollen: Einen verstörten jungen Kandidaten vor der Kamera Liegestütze machen lassen, damit man hinterher Sex-Geräusche darunter legen und sein Schwärmen für Jurorin Nina Eichinger veralbern kann. Auf jedem Missgeschick, jeden körperlichen Makel eines Bewerbers herumreiten und seine Selbstüberschätzung, seine Naivität, seine Erfolgssucht ausnutzen. Einen Dieter Bohlen mit seinem asozialen Verhalten zum bewunderten Vorbild aufbauen.

Die Diskussion um „DSDS“ wird von RTL erfolgreich auf die Frage reduziert, ob man so mit Menschen umgehen darf. Verdrängt wird dadurch die Frage, ob man so mit Menschen umgehen muss. Ob für die Mitarbeiter des Senders und der sich selbst für besonders verantwortungsvoll haltenden Produktionsfirma Grundy nicht auch Grenzen gelten könnten, die durch eigene Verantwortung bestimmt und nicht durch Gesetze vorgegeben sind. Bezeichnenderweise wird die „Es wird ja niemand gezwungen“-Formel nie auf die Fernsehmacher angewandt: Es wird ja niemand gezwungen, jemanden bloßzustellen, nur weil der sich bloßstellen lässt.

Die Uno hat die Beschwerde des kleinen Stuntman übrigens abgelehnt.

Dieter Bohlen guckt lieber andere Programme als RTL

Lassen Sie sich das TV-Programm vorschreiben? Dieter Bohlen nicht. „Das TV-Programm lass ich mir nicht vorschreiben“, sagt er. „Ich schau Bohlen-TV auf Save.TV!“

Bei Save.TV handelt es sich um ein Angebot, mit dem man Fernsehsendungen online aufnehmen kann, und bei Bohlens Sätzen um Werbung. Es sagt noch mehr davon:


Screenshot: gmx.net

Nun weiß ich nicht, was Dieter Bohlen unter Vollnarkose kann (außer Musik komponieren), aber ich weiß, was der Online-Rekorder von Save.TV nicht kann: Sendungen von RTL aufnehmen. RTL hat nämlich (als einziger Sender) gegen die ungenehmigte Nutzung seines Programms durch Save.TV geklagt und in zwei Instanzen vor dem Landgericht Leipzig und dem Oberlandgericht Dresden Recht bekommen. Nun liegt der Fall beim Bundesgerichtshof (BGH).

Save.TV tut alles, dieses Manko vor seinen (teils zahlenden) Kunden zu verheimlichen, wirbt sogar mit „Aufnahmetipps“ aus dem RTL-Programm für sich, gibt beim Versuch, sie doch zu programmieren, nur die kryptische Fehlermeldung „Leider ist die Aufnahme momentan nicht möglich. (705)“ aus und hat lange behauptet, es handele sich nicht um juristische, sondern technische Probleme. Dabei gilt schlicht: Save.TV darf bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des BGH die RTL-Sendungen nicht aufnehmen.

Trotzdem zeigt einem ausgerechnet RTL-Star Dieter Bohlen auf Save.TV an jeder Ecke als Werbemodel seine Zähne:


Screenshots: Save.TV

„Das ist problematisch, klar“, sagt eine Save.TV-Sprecherin, „aber es handelt sich ja um eine Kampagne für alle Sender und nicht nur RTL.“ Und bei RTL heißt es, dass Dieter Bohlen seine Werbeengagements selbst auswähle – empfohlen hätte man es ihm sicher nicht.

Wenn es aber stimmt, was Bohlen sagt, dass er mit Save.TV seine „Lieblingssendungen“ und „Bohlen-TV“ aufnimmt, wäre es interessant, um welche Programme es sich handelt. „Deutschland sucht den Superstar“, „Das Supertalent“ und ihre diversen Begleitshows können es ja nicht sein.

Der Weihnachtsskandal von 9Live (2)

Erinnern Sie sich noch an das Geschenk, das 9Live seinen Zuschauern am zweiten Weihnachtstag gemacht hat, als der Sender über 13 Stunden lang keinen Anrufer ins Programm durchstellte, aber alle halbe Stunde so tat, als sei die Sendung nun zuende? (Hier anzusehen.)

Ich hatte ja damals nicht nur 9Live um eine Stellungnahme gebeten (die für solche Fälle eigens einen Presseanfragenbeantwortungsroboter aus dem Nachlass des sowjetischen Informationsministeriums erworben zu haben scheinen), sondern auch einige, zugegeben: schlecht gelaunte Fragen an die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) geschickt.

Am vergangenen Freitag erreichten mich nach über fünf Wochen die Antworten:

1. Ist der BLM der Fall bekannt?

Ja, der BLM ist der Fall bekannt.

2. Ist die BLM in diesem Fall bereits tätig geworden?

Ja, die BLM ist bereits tätig geworden. Wir haben zu dem Fall eine schriftliche Anhörung von 9Live durchgeführt. Die Stellungnahme des Senders ist inzwischen eingegangen und wird von uns derzeit geprüft.

3. Ist dieses Vorgehen vereinbar mit den Gewinnspielregeln der Landesmedienanstalten?

Wir gehen davon aus, dass durch die Moderation selbst sowie durch die Moderation unterstützenden Crawls, insbesondere durch die mit unterschiedlicher Bedeutung belegten Begriffe „Sendungsende“, „Sendeende“, und „Spielende“, irreführende bzw. falsche Aussagen über die Spieldauer sowie über die Beendigung des Spiels getroffen wurden (Nr.5.2 Satz 1 GewinnSpielRegeln). Ferner gehen wir davon aus, dass nicht vorhandener Zeitdruck aufgebaut wurde (Nr. 5.2 Satz 5 GewinnSpielRegeln). Die GewinnSpielRegeln enthalten keine ausdrücklichen Bestimmungen darüber, innerhalb welchen Zeitraums Anrufer spätestens durchgestellt werden müssen. Ungeachtet dessen prüfen wir die Möglichkeit eines rechtlichen Vorgehens.

4. Angenommen, 9Live würde ab sofort überhaupt keinen Anrufer mehr ins Studio durchstellen: Wann schätzen Sie, würde die BLM das bemerken?

Die Programmbeobachtung der BLM mit einem erprobten System aus Stichproben, Anlass bezogenen und Routinekontrollen entspricht anerkannten Standards und führt erfahrungsgemäß zur Feststellung von Verstößen in angemessener Zeit. Die BLM verfügt aber nicht über das Personal, die Programme lückenlos zu beobachten. Dennoch würde uns das von Ihnen geschilderte Szenario schnell auffallen.

5. Und was würden Sie dann tun?

Wir würden, wie es die Verfahrenregeln vorsehen, den Sender anhören und im Anschluss ein rechtliches Vorgehen prüfen.

6. Täuscht mein Eindruck, dass die zweifelhaften Praktiken von 9Live für die BLM eine extrem niedrige Priorität haben?

Ihr Eindruck täuscht Sie in der Tat. Die BLM hat in der Vergangenheit zahlreiche Beanstandungen gegen 9Live und andere Sender, die Gewinnspiele veranstalten, ausgesprochen. Wie Sie wissen, handelt es sich bei den GewinnSpielRegeln um freiwillige Vereinbarungen zwischen den Landesmedienanstalten und den Sendern, deren Nicht-Einhaltung keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen zeitigt. Es waren die Landesmedienanstalten und im Besonderen die BLM, die bei den gesetzgebenden Ländern darauf gedrängt haben, Verstöße gegen die GewinnSpielRegeln als Ordnungswidrigkeitstatbestand in den Runkfunkstaatsvertrag aufzunehmen. Dies wurde im 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag umgesetzt, der am 1. September 2009 in Kraft treten soll.

7. Warum ist das so?

Siehe Antwort zu Frage 6.

8. Würden Sie sagen, dass es eine Medienaufsicht in Deutschland gibt, die das Programm von 9Live kontrolliert?

Die BLM als zuständige Landesmedienanstalt kontrolliert das Programm von 9Live wie alle anderen Programme, die von ihr genehmigt wurden.

Zum Vergleich: Seit 23. Januar strahlt der Sender RTL (für den die niedersächsische Landesmedienanstalt NLM zuständig ist) die aktuelle Staffel von „Deutschland sucht den Superstar“ aus. Bereits am 31. Januar gab die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) bekannt, erneut ein Prüfverfahren gegen die Sendung eingeleitet zu haben. Wolf-Dieter Ring, der Vorsitzende der KJM und Chef der BLM, nahm am selben Tag das Urteil schon vorweg: RTL habe aus der Beanstandung im Vorjahr keine Konsequenzen gezogen. Darüber sei er „schwer verärgert“. Äußerungen von Dieter Bohlen, der die Verantwortung für die Bloßstellung eines Jugendlichen durch Bohlen und RTL dessen Vater gab, nannte Ring „verlogen und scheinheilig“. Gegenüber der „Super-Illu“ sagte er zwei Wochen später: „Die Wortwahl, die Häme, das Lächerlichmachen, das Bloßstellen — ich habe den Eindruck, dass das jetzt sogar noch zugenommen hat.“ Heute entschied die KJM erwartungsgemäß, mehrere Ausstrahlungen zu beanstanden und ein Bußgeldverfahren einzuleiten.

Richtig ist: Mangels gesetzlicher Grundlage könnte die BLM 9Live momentan gar kein Bußgeld aufbrummen. Aber bin ich der einzige, der die drastischen Worte von Wolf-Dieter Ring über die an der Grenze zum Betrug angesiedelten Praktiken von 9Live in den letzten Jahren überhört hat? Liegt es daran, dass es bei 9Live, anders als bei RTL, um bayerische Arbeitsplätze geht? Oder sind Dieter Bohlens Sprüche einfach ein Thema, mit dem sich nicht nur RTL und die „Bild“-Zeitung, sondern auch vermeintliche Medienwächter wunderbar profilieren können?

Dieter Bohlen

Ist ja richtig: Die Menschen machen das freiwillig. Sie wissen, worauf sie sich einlassen. Manche kommen Jahr für Jahr wieder. Keiner zwingt sie, sich bei „Deutschland such den Superstar“ zu Deppen zu machen. Aber manchmal wünscht man sich halt doch, RTL nähme seine Verantwortung ernst und besorge ihnen, anstatt sie auf den Schirm zu lassen, lieber professionelle Hilfe. Dem Dieter Bohlen vor allem.

Denn es ist ja nicht so, dass die Vierjährige, die einem die Zunge rausstreckt, die traurige Figur ist. Oder der Zehnjährige, der einem stolz die missratene eigene Sandburg vorführt. Die traurige Figur, das ist schon der Erwachsene, der dem Mädchen zeigt, dass er seine Zunge viel weiter und viel länger rausstrecken kann, bis sie heult, und dem Jungen die Sandburg zertrampelt, nicht ohne den Schaulustigen Fotos von eigenen, viel tolleren Sandburgen zu zeigen. (Sicherheitshalber hat der Erwachsene eine Frau und einen Mann an seiner Seite, die ihm notfalls helfen können, den Zehnjährigen niederzuringen oder ein sich entwickelndes Rededuell mit der Vierjährigen zu gewinnen.)

So ist Dieter Bohlen: Schafft es nach dreißig Jahren im Geschäft mühelos, Menschen, die noch nie vor einem Mikrofon gestanden haben, wie Amateure aussehen zu lassen.

In dieser Woche stand ihm ein Möchtegernsänger gegenüber, der sich weigerte, das Nein der Jury zu akzeptieren, und als er begann, Bohlen zu erzählen, dass er wenigstens besser aussähe und nicht so viel Falten hatte, gab er eine sehr traurige Figur ab. Nicht halb so traurig aber wie die, als Bohlen antwortete. Jeder Mensch mit einem Funken Selbstachtung hätte diesen Kindergartenangriff lächelnd an sich abtropfen lassen. Bohlen aber, der sein Ego in der Vorwoche dadurch aufpumpte, dass er einen Kandidaten als „Vollschwuchtel“ abtat, hielt einen langen Vortrag darüber, dass er, jawohl, Falten habe, aber eben weil er seit dreißig Jahren hart arbeite, und dass es schon sein möge, dass die Frauen auf ihn stünden, weil er so erfolgreich sei und so viel Geld habe, aber das sei ja nun mal sein Geld, das habe er ja niemandem weggenommen, und als fertig war mit seinem Wutausbruch, sah man ihm an, dass er sich gut fühlte, weil er meinte, dass er das Duell gewonnen hätte, vielleicht auch nur, weil er wusste, dass ihn morgen, wenn der Friseur und Möchtegernsänger zurück in seinem traurigen Alltag ist, wieder Dutzende junger Mädchen erwarten würden, nichtmal halb so alt wie er, und dass er diejenigen, die ihn nicht sexuell erregten, wenigstens wieder öffentlich demütigen könnte und ein Großteil von denen ihn dafür noch bewundern würde.

Was für eine traurige Wurst.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Grund 20.817, Dieter Bohlen zu hassen

Die Art, wie er über ein trauriges Hascherl, das sich vor ihm beim Vorsingen in jeder Hinsicht zum Deppen gemacht hat, hinterher noch „Vollschwuchtel!“ sagt.

Nachtrag, 27. Januar. In der Wiederholung am Sonntagnachmittag hat RTL das Wort „Vollschwuchtel“ überpiept. Im vergangenen Jahr hatte die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) vier Ausstrahlungen von „DSDS“ am Nachmittag beanstandet:

„In einem Massenmedium wurde vorgeführt, wie Menschen herab­gesetzt, verspottet und lächerlich gemacht werden. Antisoziales Verhalten wird auf diese Weise als Normalität dargestellt.“

RTL ließ daraufhin in einer prawdaesken Pressemitteilung den Unterhaltungschef Tom Sänger den Satz sagen:

„Wir sind sehr darauf bedacht, die Akteure nicht zu beschädigen.“

So mutig wie Dieter Bohlen

Ich fürchte, Harald Staun, Medienredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, kann sich eine erfolgreiche Bewerbung bei „Deutschland sucht den Superstar“ jetzt in die Haare schmieren. Er schreibt heute in seiner Kolumne „Die lieben Kollegen“:

Am Anfang hat er sich überlegt, einen Leserbrief zu schreiben als Reaktion auf den Artikel in der F.A.S. vom 17. Dezember 2006, aber zu so einem derart drastischen Mittel wollte der sogenannte Dieter Bohlen dann doch nicht greifen. Und so hat er seiner Wut lediglich in einem Interview mit der Zeitschrift „Bunte“ Luft gemacht. „Ich bin mir sicher, dass 99 % der Redakteure der FAZ sich in meiner Lage in die Hose geschissen und gerufen hätten: ‚Mama, hilf mir!'“, schätzt Bohlen dort. Und da haben wir natürlich noch mal nachgezählt. Bisher allerdings haben wir das eine Prozent noch nicht gefunden, das von sich behaupten kann, es wäre so mutig wie Bohlen aus dem Haus geflüchtet und hätte seine Freundin in den Händen der Einbrecher zurückgelassen.