Schlagwort: Jan Böhmermann

„Das kleine Ding ist ratzfatz verputzt“: Eine Romanze mit Bruschetta, Nudeln, Jan Böhmermann und Penis

Ein Sommerabend in Köln.

Mit diesem unscheinbaren Satz beginnt die Beschreibung einer großen, schicksalshaften Begegnung. Thomas Lückerath, Chefredakteur des Branchendienstes DWDL, hat den ZDF-Moderator Jan Böhmermann getroffen. Es war nicht ihr erstes Mal. Es gab eine ungerade Zahl von Bruschettas. Und das Tiramisu ging aufs Haus.

Sie sprechen scheinbar über Fernsehen, Radio, Spotify und „die Sicherstellung von unabhängiger Berichterstattung in einem Medienmarkt mit begrenzten Frequenzen und brachliegender medialer Infrastruktur“. Aber in Wahrheit geht es um mehr. Was da passiert, an diesem Sommerabend in Köln-Ehrenfeld, geht viel, viel tiefer.

Thomas Lückerath lässt uns Anteil nehmen an der Magie dieses Abends. Er schämt sich der Gefühle und der kaltwerdenden Nudeln nicht. Er hat einen kleinen, großen Schicksals-Roman verfasst, „reich an Zwischentönen“.

Ich hab ihn bloß um die unnötigen Interviewpassagen und einen überflüssigen Flirt mit der Kellnerin gekürzt. Stellen Sie sich die folgenden Passagen bitte mit dezenter Klaviermusik und vorgetragen von William Cohn vor.

1. Akt. Einmal Cola, einmal light.

Ein Sommerabend in Köln. Fünf Jahre nach unserem ersten Gespräch – damals noch lange vor „Roche & Böhmermann“, geschweige denn „Neo Magazine Royale“ – sitzen Jan Böhmermann und ich wieder auf einen Plausch zusammen. Damals war es nachmittags ein Eis in der Kölner Innenstadt. Diesmal ein Abendessen bei einem Italiener in Köln-Ehrenfeld.

Wir bestellen eine große Flasche Wasser sowie einmal Cola (Jan), einmal Cola Light (ich). Jan wusste schon aufm Weg ins Restaurant was er nimmt: Spaghetti Bolognese. Ich nehme Salat mit Krabben. „Und Bruschettas vorweg. Das können wir uns teilen“, schlägt Jan vor. Die glückliche, drollige Kellnerin holt unsere Getränke.

„Ich dreh das mal so. Das macht mich nervös. Das Mikrofon ist ja auf der anderen Seite. Nachher verstehst du gar nicht, was ich hier sage“ Jan dreht das auf dem Tisch liegende iPhone, mit dem ich aufnehme, näher zu sich.

2. Akt: Drei Bruschetta für zwei.

Die Bruschettas kommen. „Ja, hier. Einfach in die Mitte“, sagt Jan. Drei Scheiben für zwei Personen. Sehr clever. Nervenkitzel für Benimm-Fanatiker: Wer krallt sich jetzt das dritte Bruschetta? Jan redet weiter, jeder greift sich erst einmal ein Bruschetta und eine Serviette.

„Greif zu“, biete ich an. Jan guckte so sehnsüchtig auf das einsame, letzte Bruschetta auf dem Teller in der Mitte. „Du hast es Dir heute sicher verdient.“ „Nö, gar nicht“, sagt Jan. „Ich bin heute erst aus’m Urlaub zurück gekommen. Aber danke!“ Das kleine Ding ist ratzfatz verputzt.

3. Akt: Jan schluckt.

Unser Essen kommt.

Jan dreht seine Nudeln, ich picke die Krabben aus meinem Salat. Das Gespräch wird langsamer. Wir machen trotzdem, was man nicht tut: Reden mit vollem Mund weiter. Hört ja keiner. Ist ja für ein schriftliches Interview.

Der Satz bleibt erst einmal lange stehen. Wir essen. Bei unserem allerersten Gespräch vor fünf Jahren war die Karriere bei ZDFneo bzw. ZDF noch nicht absehbar. Jan war gerade einer der gelegentlichen Sidekicks von Harald Schmidt. Ich frage, wie er seine letzten fünf Jahre umschreiben würde. Als Achterbahn-Fahrt? Jan überlegt, kaut, schluckt und antwortet.

Mein Salat war ja ohnehin kalt, aber Jans Nudeln müssten es bald auch sein. Beim Interview essen ist auch schwierig.

4. Akt: Penis geht immer.

Wir sind fertig. Unsere Teller werden abgeräumt.

Unsere Kellnerin kommt plötzlich mit einer Portion Tiramisu aufs Haus an unseren Tisch. Eine Portion und zwei Löffel. „Wir sind ja in Köln, da kann man das ja so machen“, sagt sie. Was für ein Spruch. Aber das Tiramisu schmeckt – und geht auf’s Haus.

Unsere Kellnerin kam kurz darauf dann noch auf das versprochene Autogramm zurück. Es waren plötzlich sogar zwei – einmal für sie selbst und noch eins für einen Kollegen, der sich nicht traute selbst zu fragen. Jan signiert zweimal auf dem Kellnerblock. Bei dem Autogramm für den Kollegen malt er einen Penis daneben. Mir rutscht ein „Aaaahja“ heraus. Jan sagt: „Penis geht immer“.

E N D E .

Was ich durch #Varoufake gelernt habe

Folgendes ist sicher wahr: Ich habe mir zu sehr gewünscht, dass die Geschichte stimmt, dass Jan Böhmermann und sein „Neo Magazin Royale“-Team die ganze Welt verladen haben und das Video, aus dem „Bild“ und „Günther Jauch“ und alle die ganze absurde Aufregung gesaugt haben, gefälscht haben. Es passte mir zu sehr in den Kram, meine Schadenfreude war zu groß, und den ein oder anderen Tweet von letzter Nacht hätte ich im Nachhinein lieber nicht abgesetzt. (Auch wenn ich, ganz unabhängig von der Frage, was nun das „Fake“ ist, tatsächlich gern die roten Flecken in den Gesichtern bei „Bild“, ARD und Co. gesehen hätte, die hektischen Anrufe: „Das kann nicht sein, oder? Ihr habt das jetzt aber wirklich nochmal geprüft, oder?“)

Ich habe zwar immer wieder darauf hingewiesen, dass ich mir überhaupt nicht sicher bin, ob die Behauptung der Fälschung nicht die eigentliche Fälschung ist, aber tatsächlich war es so, wie ich es im Blogeintrag angedeutet habe: Im Zweifel hat der Komiker, Satiriker und Berufs-in-die-Irre-Führer Jan Böhmermann bei mir mehr Glaubwürdigkeit als die komplette Medienmeute, insbesondere wenn sie von „Bild“ und „Günther Jauch“ angeführt wird. Das war so, und das ist auch heute noch so.

Ich traue Böhmermann zu, das alles von langer Hand organisiert und orchestriert zu haben. (Auch wenn inzwischen alles dafür spricht, dass er erst im Nachhinein auf den Zug aufgesprungen ist.) Denn er hat ja, wenn auch diverse Nummern kleiner, schon bewiesen, dass er es kann.

Und ich traue es dem Medienbetrieb zu, auf ein solches Fake hereinzufallen, denn dass es jeder Unsinn schafft, von vermeintlich professionellen Journalisten weitererzählt zu werden, lässt sich nun auch fast jeden Tag beweisen. Und dass weder Günther Jauch noch „Bild“ mit dem Inhalt des Videos korrekt umgegangen sind, ist eine Tatsache, ebenso wie die, dass „Bild“ es unter grotesken Verdrehungen und Auslassungen als üble Hetze benutzt.

Böhmermanns Coup ist in vielerlei Hinsicht entlarvend. Er persifliert unsere Obsession mit unwichtigen, aber griffigen Nebensächlichkeiten (mit dem fast tragisch-ironischen Nebeneffekt, dass er die Beschäftigung mit dieser lächerlichen Geste nun noch einmal intensiviert hat); er kritisiert die Skandalisierungs-Mechanismen von Menschen und Medien, den Umgang mit vermeintlichem Beweismaterial, die Kampagne gegen einen missliebigen Politiker und eine ungewünschte Politik, die Reduzierung einer komplexen Debatte auf eine Geste. Aber er zeigt auch, wie bereitwillig wir Dinge glauben, die wir glauben wollen, und das betrifft im konkreten Fall auch: mich.

Böhmermann: Wir haben das Varoufakis-Video gefälscht

Jan Böhmermann sagt:

Liebe Redaktion von Günther Jauch. Yanis Varoufakis hat Unrecht. Ihr habt das Video nicht gefälscht. Ihr habt einfach das Video nur aus dem Zusammenhang gerissen und nen griechischen Politiker am Stinkefinger durchs Studio gezogen. Damit sich Muddi und Vaddi abends nach dem „Tatort“ nochmal schön aufregen können. „Der Ausländer! Raus aus Europa mit dem! Er ist arm und nimmt uns Deutschen das Geld weg. Das gibt’s ja wohl gar nicht. Wir sind hier die Chefs! So!“ Das habt ihr gemacht.

Und der Rest ist von uns.

Böhmermann behauptet, dass er für seine ZDF-Late-Night-Show „Neo Magazin Royale“ zusammen mit dem Subversive Festival Zagreb das inzwischen berühmte „Stinkefinger“-Video von Varoufakis gefälscht hat. Im Original habe es keine entsprechende Geste gegeben. Aber sehen Sie selbst:

Nun kann es natürlich sein, dass das das eigentliche Fake ist, also, die Behauptung, das Video gefälscht zu haben. Es ist am Ende eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Entweder man glaubt Böhmermann. Oder der ganzen deutschen Medienmeute, NDR, Günther Jauch, Ernst Elitz*, „Bild“-Zeitung.

Klare Sache.

Jan Böhmermanns Traum und Mühe: Ein Besuch beim „Neo Magazin“

Im Vorraum zum Studio hängt sie noch, die Anzeigetafel, auf der mit großen Klackerbuchstaben „ROCHE & BÖHMERMANN“ zu lesen war. Nun steht da nur noch: „BÖHMERMANN“. Auf einem alten Poster zur Sendung, an der Tür zum Besprechungszimmer, hat jemand das Gesicht von Charlotte Roche mit dem von Kermit überklebt. Haha: Frosch & Böhmermann.

Anscheinend war es doch größer, das Trauma, das die Moderatorin hinterließ, als sie sich Anfang des vergangenen Jahres sehr abrupt von der Talkshow verabschiedete. Aber etwas hat überlebt: die Zusammenarbeit von Jan Böhmermann mit der Bild- und Tonfabrik. Und das ist ein Glück. Gemeinsam produzieren sie wöchentlich das „Neo Magazin“, und die Filmhochschulstudenten von der Produktionsfirma geben mit ihrer Arbeit, mit präzisen und aufwändigen Inszenierungen, auch halbgaren und läppischen Ideen eine professionelle Brillanz.

Mittwochs am späten Nachmittag, wenn die Aufzeichnung einer neuen Folge beginnt, sieht es hinter den Kulissen aus wie bei einem Abschlussball. Lauter junge Leute, die plötzlich in Hemd, Krawatte und schwarzem Anzug dastehen: Kameraleute, Lichtarbeiter, Tonmänner, Praktikanten. Wer seine feinen Sachen nicht dabei und im Produktionsstress keine Zeit mehr hat, lässt sie sich von jemandem mitbringen. Denn wenn Böhmermann mit der Bild- und Tonfabrik eine Sendung aufzeichnet, gibt es einen Dresscode: „Abendgarderobe“.

Es ist ein dreiviertelernst gemeintes Symbol dafür, dass man hier gemeinsam etwas Besonderes zelebriert: die Herstellung von Fernsehen. Böhmermann hat die Mitarbeiter neulich gefragt, ob ihnen das lästig ist; ob sie sich von dem Konfirmanden-Ritual inzwischen lieber wieder verabschieden würden. Sie haben Nein gesagt. Sie wollen sich weiter jede Woche feinmachen fürs Fernsehenmachen.

So ernst nehmen sie es hier mit der Albernheit.

„Wir sind nicht nur eine Produktionsfirma“, sagt Böhmermann, „sondern auch eine Werbeagentur für das, was wir machen wollen.“ Noch nie habe er irgendwo gearbeitet, wo man sich gemeinsam so viel Mühe gebe. Und dieses Mühegeben, das ist, vielleicht mehr noch als irgendein besonderes Talent, was diese Show von vielen anderen deutschen TV-Produktionen unterscheidet.

„Neo Magazin“ im kleinen digitalen Kanal ZDFneo ist die vielleicht verschwenderischste Sendung im deutschen Fernsehen: die größte Mühe für das kleinste Publikum. In guten Wochen enthält sie schon in den Eröffnungsszenen mehr Ideen und Leidenschaft als anderswo ganze Programmstrecken. Opulent inszenierte Musical- oder Filmparodien.

Oder ein animiertes Riesenwimmelbild des Illustrators Christoph Hoppenbrock, das vor Anspielungen auf Inspirationsquellen für die böhmermannsche Fernsehunterhaltung aus allen Nähten platzt.

Im Vorspann reitet Böhmermann säbelschwingend auf einem Triceratops durch eine zerfallene Zeitungslandschaft, während Witold Lutosławskis anstrengende Melodie ertönt, die ältere deutsche Fernsehzuschauer als Erkennungsmelodie des „ZDF-Magazins“ mit Gerhard Löwenthal kennen. Konstantin Gropper von „Get Well Soon“ hat sie eigens für das „Neo Magazin“ remixt.

Es folgte eine halbe Stunde, die man als Late-Night-Show bezeichnen würde, wenn dieses Genre nicht in Deutschland als tot gelten würde. Was nicht sein müsste, wie Böhmermann findet: Man müsste sich nur mal richtig anstrengen und etwas einfallen lassen.

Das Studio liegt im angesagten Kölner Stadtteil Ehrenfeld inmitten einiger unansehnlicher Gewerbegrundstücke, im Hof gleich neben einer Teppichwäscherei, deren Logo so altmodisch ist, dass es in Berlin-Mitte als hippes Retro-Design durchginge. Aber das sind keine Hipster hier, es sind Nerds. Stolz führen sie die Technik vor, alles selbst konzipiert und zusammengeschraubt, die Regie, die Projektion der Hintergründe auf die wabenförmige Wand, woanders gibt es sowas angeblich gar nicht, schon gar nicht für so wenig Geld.

(Das animierte Logo in der Projektion hinter Böhmermann ist übrigens seit der zweiten Staffel kein schnödes dallidallihaftes Sechseck mehr, wie man glauben könnte, sondern ein Ikosaeder: ein aus zwanzig gleichseitigen Dreiecken bestehender platonischer Körper, der in der richtigen Draufsicht aussieht — wie ein Sechseck. Da haben Sie doch mal was, mit dem Sie beim nächsten Gucken mit Freunden angeben können.)

Vor kurzem war dies noch eine Lagerhalle für Sportgeräte. Es ist eigentlich zu schmal als Studio, aber es ist ihrs. Hier können sie bauen und experimentieren, anstatt Fertiges zu nutzen.

Philipp Käßbohrer ist einer der beiden Geschäftsführer der Bild- und Tonfabrik, 30 Jahre alt, aus Biberach an der Riß. „Keiner hier ist tätowiert“, sagt er, wie zum Beweis, dass man es hier mit grundsoliden, spießigen Leuten aus der Provinz zu tun hat. Böhmermann fügt hinzu: „Wir hatten mal eine tätowierte Mitarbeiterin, die hatte auch ein Piercing, aber die ist jetzt in Berlin.“

Er erzählt, wie wichtig Tugenden wie Disziplin und Verlässlichkeit seien, und stöhnt, wie wenig selbstverständlich die in der Branche seien. So einer ist er.

Im vergangenen Sommer sind sie zusammen nach New York gefahren, um sich anzugucken, wie in Amerika Fernsehen gemacht wird. Böhmermann war beeindruckt. „Das ist anders als hier, wo man bei Unterhaltungsproduktionen sagt: Ach komm, wir halten einfach die Kamera drauf, wird schon lustig werden.“

Eigentlich bräuchte er mehr gute Autoren, sagt Böhmermann. „Aber solche Leute haben dann eben Hauptprogramm-Preise.“ Es würde helfen, mehr als eine Sendung in der Woche zu machen, „damit du Leute binden und ihnen eine Perspektive bieten kannst.“ Und als Übung für ihn.


Foto: ZDF

Mit dem klassischen Stand-Up, den sie hier natürlich Sit-Up nennen, weil Böhmermann dabei in seinem Schreibtischsechseck sitzt, ist er regelmäßig — zu recht — unzufrieden. Das werde halt nur richtig gut, wenn man es wieder und wieder und wieder macht.

Jan Böhmermann hat einen Traum. Er will eine Late-Night-Show im ZDF moderieren, nach Mitternacht, nach Markus Lanz.

Er kann ganz unironisch ins Schwärmen geraten, wenn er müde nach einem Probentag beim Italiener sitzt und es ihn aus der Kurve trägt, während er von diesem „absoluten Wunschtraum“ erzählt …

„Nicht weil ich Schmidt beerben will, sondern weil das die beste aller Sendungen ist, die man machen kann und das Team am wenigsten unterfordern würde. Und das ist total crazy, seinen Platz zu finden, wenn man sowas glaubt zu können oder schon gut kann und bald noch besser zu können. Es wäre eine Show, in der du alles machen kannst und die du als Plattform für alles nutzen kannst: Gäste einladen, Musiker auftreten lassen. Es wäre eine tolle Startplattform für andere Inhalte, eine selbstgestaltete, das ZDF sich selbst gönnende Möglichkeit, Programm zu machen.“

Es würde für den Anfang schon helfen, das „Neo Magazin“ in der Nacht im ZDF-Hauptprogramm zu wiederholen. Allein das brächte deutlich mehr Zuschauer. „Ein größeres Publikum, das bedeutet: Mehr Reaktionen auf Aufrufe, mehr Beschwerden und Lob. Es werden ganz andere Sachen freigesetzt, und es macht mehr Spaß.“

Böhmermann hadert mit der fehlenden Perspektive. Er sehnt sich sehr nach einer größeren Bühne.

Er nutzt die Möglichkeiten, auf ZDFneo Fernsehen zu machen, das nicht auf Bedenken, Konventionen und die Erwartungen eines Massenpublikums Rücksicht nehmen muss. Gleichzeitig plagt ihn die Sorge, dass die Leute denken, dass er nur sowas könnte. Dass er nicht wüsste, dass die Sendung anders sein müsste, wenn sie in einem größeren Rahmen stattfände, und dass er das nicht auch könnte. Er sagt: „Wir machen nur Independent-Fernsehen, weil wir es müssen.“

Er ist ehrgeizig, und er misstraut manchen Verlockungen der Branche. Seine Spitzen gegen Joko und Klaas, „die Privatfernseh-Fuzzis“, „die beiden superlustigen Geldautomaten-Visagen“, mit denen er er freundschaftlich verfeindet ist und sich einen senderübergreifenden Mittelgroßkrieg liefert, haben neben dem schlichten Spaß am Spiel einen ernsten Kern: Böhmermann sieht diese ganzen lukrativen Werbeverträge kritisch. Er schwört stattdessen darauf, „den Lebensstandard niedrig zu halten — das entspannt total“. Zur Not werde er seinen Lebensunterhalt auch damit bestreiten können, auf einer Bühne in Bremen-Vegesack vor hundert Zuschauern zu stehen.

Müssen sie nicht langsam erwachsen werden, er und Olli Schulz, Joko und Klaas? „Glaube ich nicht“, sagt Böhmermann. „Wir müssen mehr Zuschauer haben. Und Vertrauen.“

Böhmermann macht sich Mut mit dem Gedanken, dass die Biologie auf ihrer Seite sei, „die Leute werden älter, und irgendwann sagt man halt: Gottschalk ist super, aber wollen wir nicht den Winterscheidt ausprobieren, der kann das doch auch. Wenn wir nicht grobe Fehler machen und weiter versuchen, konstant gute Sachen zu machen, muss sich das doch mal auszahlen.“

Am Abend des Deutschen Fernsehpreises, als die Produzenten Philipp Käßbohrer und Matthias Schulz für „Roche & Böhmermann“ ausgezeichnet wurden, aber nicht Roche und Böhmermann, hat er mir mal detailliert die verschiedenen Generationen der Möchtegern-Late-Night-Talker nach Harald Schmidt analysiert. (Leider war ich ein bisschen betrunken und habe mir keine Notizen gemacht, und obwohl Böhmermann nicht trinkt, kann er sich auch nicht mehr genau daran erinnern.) Jedenfalls gehöre er schon nicht mehr zur Generation der Niels Rufs, die Schmidt und seine ironische Uneigentlichkeit imitierten, sondern zur nächsten Generation, die von Schmidt geprägt wurde, aber eine eigene Haltung suchte: „Wenn wir selbst ins Fernsehen gehen, können wir entweder sagen, wir machen es genau so — und daran scheitern, weil diese Referenz unerreichbar ist. Oder wir nehmen es als Basis unserer Kunst und entwickeln was eigenes.“

Vielleicht sogar doch irgendwann in einer eigenen richtigen Late-Night-Show? „Das Altwerden in der eigenen Sendung“, sagt Böhmermann, „ist auf jeden Fall ein erstrebenswerter Zustand.“

(Am Freitag kommender Woche werden Böhmermann, Schulz und Käßbohrer für „Neo Magazin“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Dieser Text ist Bonus-Material zu einem Artikel, den ich für das „SZ-Magazin“ über Böhmermann geschrieben habe.)

Die schwierigen Stellen Mindestlohn und Elektroautos: Wählwerbung ohne Politik

— Ein Beitrag von Jan Böhmermann* —

Ich bin bekanntermaßen kein engagierter Power-Blogger, nicht im entferntesten ein ernstzunehmender, spitzfedriger Sonntagszeitungs-Journalist, bin weder akribisch, noch pedantisch und mein polizistensohnmäßig stark ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein tobt sich für gewöhnlich lieber im Privaten aus. Kurz: Ich neige nicht zum Niggemeiern. Da sich der verbgewordene Powermeinungsmacher und Fernsehkritiker Stefan „Flauschi“ Niggemeier seit kurzem jedoch in einem sympathischen Anflug von, vermutlich, eitelkeitsbedingter Selbstkorrumpierung in meinem Metier, dem unseriösen Fernsehquatschfach (Klick: Küppis Tagesschaum, WDR) ausprobiert, sei mir der temporäre Seitenwechsel auch mal verziehen.

Ich möchte Dir, liebes Internet, mal eine kleine Person-des-öffentlichen-Lebens-Geschichte zur Kenntnis geben, Du kannst damit machen, was Du möchtest, ich brauche sie (die Geschichte) nicht mehr. Vielleicht ist sie ja bei Dir gut aufgehoben, liebes Internet. Hier kommt sie:

Als Digitalspartensuperpromi (z.B. „NEO MAGAZIN“ ab Ende Oktober auf ZDFneo) hat mich die staatliche, aber nach meiner bisherigen Einschätzung dennoch recht freundliche Bundeszentrale für politische Bildung (BZpB) gebeten, zur Bundestagswahl (nicht vergessen: am 22. September!) ein die politikverdrossene Teenie-Community zu den Wahlkabinen peitschendes, 30-sekündiges Werbesprüchlein zur Sendung in deutschen Radiostationen aufzunehmen.

Die Grundregeln: Lustig, motivierend, politische, wenn möglich clever, aber bitte keine parteipolitische Werbung und Geld gibt es natürlich nicht — ist ja für die gute Sache: die politische Meinungsbildung der jugendlichen Hörer und der Motivation notorischer Nicht-Wähler. Diese „Promis-rufen-zur-Wahl-auf“-Spots im Hörfunk gibt es schon seit einigen Bundestagswahlen, ich habe mich — niggi-niggi-niggi, can’t you see? — vermutlich in einem Anflug eitelkeitsbedingter Selbstkorrumpierung, dazu entschlossen, bei diesem kleinen Aktiönchen mal mitzumachen. Ist ja für die gute Sache. Folgenden Mini-Hörfunkspot habe ich aufgenommen und dem für die Wahlwerbeinitiative zuständigen „Projektbüro W-On-Air“ der BZpB zugeschickt:

Ein leicht bekömmliches, lau witziges und im Abschluss nicht ganz so unoriginelles Minisprüchlein, geeignet zur Politisierung von Millionen Nichtwählern, die Wahlkabinen werden schon um 17 Uhr dichtmachen müssen am 22. September, freute ich mich: Alle Urnen voll, nix geht mehr rein. Meinem Wahlmotivationsspot sei Dank! Als auf totale Unparteilichkeit vereidigter Bezieher öffentlich-rechtlicher Gebührengelder habe ich natürlich sicherheitshalber weder CDU, noch SPD, FDP, LINKE, GRÜNE, NPD, AfD, PIRATENPARTEI, FREIE WÄHLER oder GRAUE PANTHER gesagt. Ich habe einfach nur mal halbherzig pointiert auf 30 Sekunden zusammengefasst, was bei mir als aktivem, familienorientierten Mittdreißiger so auf der persönlichen Politagenda steht und mich ins Wahllokal treibt. Am 22. September 2013, dem Tag der Bundestagswahl. Ich bin von keiner Partei vereinnahmt, betrachte mich als Westeuropas wildesten Wechselwähler und hielt darum, mein Werbesprüchlein für voll promimäßig BZpB-konform und parteipolitisch neutral bis an die Grenze zur Selbstverleugnung. So weit, so charity.

Doch nach einigen Tagen kam eine etwas überraschende Antwort von der BZpB auf meinen Werbespot, nämlich eine freundliche Ablehnung, mit der Bitte, meinen Spot in Bezug auf die „schwierigen Stellen Mindestlohn und Elektroautos“ zu entschärfen. Die nämlich seien nicht parteipolitisch neutral. Ein Vorschlag zur „Verallgemeinerung“ lag der E-Mail auch bei. Nämlich dieser hier:

„Es geht um den Verkehr — also den auf der Straße, um Ihr leckeres und gesundes Essen, um die gute Luft, die Sie zum Atmen brauchen, um die Steuern, die sie brav zahlen müssen … ja, darum geht’s. Also eigentlich um ALLES!!!“

Dass ich als „subversiver Moderator“ (Markus Lanz über Jan Böhmermann) mit meinem Charity-Spot mal ausloten wollte, wie die BZpB die Grenzen von „parteipolitischer Neutralität“ definiert, wäre eine üble Unterstellung. Aber welche Partei ich jetzt mit meinem Werbespot unterstütze, weiß ich wirklich nicht. CSU, CDU und FDP wegen meiner BMW-i3-freundlichen Unterstützung von Serienelektroautos? Grüne, Linkspartei und SPD wegen des Mindestlohnes? Oder keine der im Bundestag vertretenen Parteien wegen der geforderten aber von niemandem betriebenen, ernsthaften und durch Kompetenz fundierten Ablehnung und Bekämpfung von totaler Internetüberwachung durch ausländische Geheimdienste? Beziehungsweise alle Parteien, weil es unsere öffentlichen Kindergärten wirklich nötig haben?

Ich bin verwirrt. Auch, weil ich niemals gedacht hätte, dass wir Promis (sogar wir Promis aus der Digitalsparte!!), ginge es nach der BZpB, nicht mehr leisten müssten, um das lethargische, politikverdrossene Wahlvolk an die Urnen zu bekommen, als allgemeinen Nonsens à la „Es geht um den Verkehr — auf der Straße“ ins Mikro zu tröten. Parteipolitisch neutral? Wohl eher: unpolitisch.

Und damit genauso geeignet zur Wahlmotivation wie der Twitter-Account von Peer Steinbrück, das Gesicht von Christian Ströbele, die Frisur von Hannelore Kraft, Angela Merkel im Allgemeinen und Ronald Pofalla im Speziellen, ein witzig gemeinter Wahlsong der CDU, Rainer Brüderle, Reiswaffeln und Kölner Grüngürtelkaninchen.

Ich habe mich letztlich dagegen entschieden, einen neuen Wahlmotivationsspot einsenden, allein aus Angst davor, einen weiteren Verallgemeinerungsvorschlag der Bundeszentrale für politische Bildung zu erhalten. Mein kurzzeitig aufgeflammtes, öffentliches Gutmenschenengagement hat sich auch wieder gelegt. Für jugendaffine Hörfunkmotivationsspots „für die gute Sache“ oder ähnlichem also bitte demnächst dann wieder Ross Anthony, Hundecoach Martin Rütter oder das Taff-Team anfragen. Oder mir ganz, ganz viel Geld bezahlen, als Schmerzensgeld, für jeden Verallgemeinerungsvorschlag. Und auch nur, wenn mir die Bundeszentrale für politische Bildung vorher in einem mehrseitigen, handschriftlichen Besinnungsaufsatz darlegt, warum ihrer Meinung nach so wenige Bürger zur Wahl gehen und was wohl der Grund für deren angenommene Politikverdrossenheit sein könnte.

Bis in vier Jahren dann, Dein

Jan Niggemann

*) ursprünglich auf seiner Facebook-Seite erschienen; hier mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht, auch aus Gründen selbstkorrumpierender Eitelkeit. Foto: RBB.

Roche & Böhmermann und die Backsteintalktapete

[SPOILER-Warnung für alle, die die Sendung „Roche & Böhmermann“ vom vergangenen Wochenende noch nicht gesehen haben, das aber noch tun und sich überraschen lassen wollen.]

Ich geb’s zu: Ich war schon auf der Palme. Hab im Kopf knüwerhaft vernichtende Sätze formuliert über die Deppen von ZDF.kultur, die ihre kleine feine Talkshow „Roche & Böhmermann“ grundlos verhunzen.

Schon der Trailer für die neue Staffel ließ das Schlimmste befürchten. Und dann trat tatsächlich vor der Sendung nicht William Cohn als Retro-Ansager-Parodie auf, sondern eine übereuphorisierte Frau, die zwar auch erkennbar ironisch gemeint war, was aber die Sache ja noch nicht gut macht.

Ich hab’s dem Sender jedenfalls zugetraut, den fantastischen edlen Vorspann, der allein schon Grund genug wäre, jede Sendung einzuschalten (jedenfalls kurz), durch so eine dreiviertelironische moderne Variante zu ersetzen. Und dass über dem Namen der Sendung nun peinlicherweise „zdf.kultur’s“ stand, machte die Sache, seien wir ehrlich, nur wahrscheinlicher.

In das leere schwarze Studio hatte jemand eine Standard-Backsteintalktapete gestellt, und geraucht und getrunken werden sollte auch nicht mehr.

Ich hab’s geglaubt, dass das das „neue Studiobühnenbild und verbesserte Konzept“ der Sendung ist. Aber dann, nach langen Minuten, nörgelten Charlotte Roche und Jan Böhmermann, dass die alte Umgebung doch irgendwie besser zu ihnen gepasst hätte, und auf Kommando kamen Bauarbeiter herein und nahmen den ganzen braunen Tand mit und stellten den Whiskey wieder auf den Tisch (hier ab 7:20).

Reingefallen.

Nun kann man diesen ausgedehnten Scherz natürlich albern, sinnlos und egal finden. Mir hat er gefallen, schon weil er so aufwendig und liebevoll umgesetzt war. Und welche andere Sendung im deutschen Fernsehen hätte Mut und Muße, ihre Zuschauer so in die Irre zu führen, und sei es nur für knapp acht Minuten?

(Außerdem komm ich dann auch kurz in der Show vor, wenn endlich alles wieder alt und gut ist.)