Erst hatte ich gedacht, dass eine Wahlbroschüre von Karl-Theodor zu Guttenberg an Berliner Kiosken ausliegt, aber dann war es doch nur der aktuelle „Stern“.

Man muss, um die Haltung der Hamburger Illustrierten zum Bundeswirtschaftsminister in all ihrer Differenziertheit und Distanz zu erfahren, sich gar nicht mehr ansehen als das Cover und das Foto, das schon so merkwürdig unjournalistisch und wahlplakathaft daher kommt. Doch man verpasst etwas, wenn man nicht auch die dazugehörigen Texte im Heftinneren liest.
Am besten ist das Editorial von Chefredakteur Thomas Osterkorn. Es beginnt mit den Worten:
Guttenberg ist kein Obama, aber …
Das ist die hohe Kunst des Nicht-und-doch-Vergleichs. Osterkorn weiß, dass er ausgelacht würde, wenn er Guttenberg mit Obama vergliche. Also gibt er zu, dass der Vergleich abwegig ist, macht ihn aber doch. Man teste den Effekt mit Formulierungen wie: „Thomas Osterkorn ist nicht Gott, aber…“.
(Der vollständige Satz lautet übrigens: „Guttenberg ist kein Obama, aber der Effekt ist durchaus vergleichbar: Da tritt eine junge, unverbrauchte Figur auf die politische Bühne, gibt sich aufrichtig und unbequem, zeigt Selbstbewusstsein und Manieren, trägt gut geschnittene Anzüge und sagt ein paar ganz vernünftige Sachen – und schon sehen die Platzhirsche auf der Lichtung zwischen Bundestag und Kanzleramt verdammt alt aus.“ Man muss froh sein, dass der „Stern“ auf die Zeile „Yes, he can“ auf dem Titel verzichtet hat.)
Osterkorns Editorial trägt die Überschrift: „Dieser Freiherr ist wirklich ein freier Herr“. Das ist natürlich ein bisschen arg intellektuell für die Leserschaft des „Stern“. Deshalb macht der eigentliche Artikel mit einer Reihe von Werbefotos auf, die beweisen, dass Guttenberg in jeder Lebenslage eine gute Figur abgibt: im Hubschrauber, zwischen schönen Frauen, mit Kindern, am Klavier, mit Journalisten und beim Rockkonzert. Über jedem Foto steht ein Schlagwort:
- Der Überflieger
- Der Liebling
- Die Lieben
- Der Vorleser
- Der Gefragte
Dann fiel den Werbeleuten, die ja auch nur „Stern“-Redakteure sind, nichts mehr ein und sie machten weiter mit den Begriffen:
- Fingerspitzengefühl
- Optimisten
- Kunstfreunde
- Glamourfaktor
(75 Seiten weiter hinten im selben Heft sieht Guttenberg nochmal gut aus, da fühlt er sich „sichtlich wohl“ in der Gesellschaft der Unternehmer, die er mit dem Deutschen Gründerpreis auszeichnen durfte — eine Veranstaltung, ach ja: des „Stern“.)
Von den 2723 Wörtern des Porträts ist ziemlich genau eines kritisch gegenüber Guttenberg. Es lautet „Schachtelsätze“. Zum Glück hat der Satz, in dem es steht, ein Happy End: „Als [Guttenberg] im Interconti seine Schachtelsätze mit einigem Erfolg aus dem grammatikalischen Niemandsland geführt hat, erheben [die Zuschauer] sich zu Standing Ovations.“
Man erfährt in diesem Text nichts über Karl-Theodor zu Guttenberg, aber viel darüber, wie toll „Stern“-Autor Axel Vornbäumen ihn findet. Wofür dieser Shooting Star steht, was er erreichen will, das hat er nicht herausgefunden oder es hat ihn nicht interessiert, denn es ist ja höchstens halb so spannend wie die Premieren-Meldungen, vor denen sein Artikel strotzt:
- In seinen wenigen Amtswochen hat der junge Polit-Aufsteiger aus Oberfranken den Politikbetrieb in Berlin aufgemischt wie lange kein anderer mehr.
- Ein Adliger ohne Allüren, millionenschwer, mit einer Familientradition, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, verheiratet mit der Ururenkelin von Bismarck. Ein Aufsteiger, der von oben kommt. Das gab es noch nie.
- So schnell war schon seit Langem niemand mehr so beliebt.
- 61 Prozent der Deutschen haben Vertrauen in den jüngsten Wirtschaftsminister, den dieses Land je hatte (…).
Und Guttenberg ist nicht nur Wirtschaftsminister, sondern wird offenbar auch schon als Kanzlermaterial gehandelt. Schreibt Osterkorn in seinem Vorwort: „… der schon als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt wird.“ Steht im Inhaltsverzeichnis: „Schon fragen die ersten: Kann er auch Kanzler?“ Und über dem Artikel: „Schon fragen die ersten: Kann er auch Kanzler?“
Und wer sind diese „ersten“, wer ist es, der Guttenberg als möglichen Kanzlerkandidat handelt (außer dem „Stern“ selbst natürlich)? Die Antwort, die der Artikel als Beleg liefert, ist etwas ernüchternd:
„KAY-T-Free for Bundeskanzler“ fordert einer bei Facebook im Gästebuch.
Wow, „einer bei Facebook“. Stop the press.
Man darf nun aber nicht denken, wie es Laien tun könnten, dass Deutschlands Ober-Illustrierte dem Guttenberg mit dieser Hymne einen Gefallen tut, oh nein. Der „Stern“ schreibt:
Kritisch wird beäugt, wie einer da die Leiter emporstürmt – auch ein stern-Titelbild ist da schon ein Problem.
Ja, ganz bestimmt. Nur gut, dass Guttenberg wegen der Weltwirtschaftskrise eh schon nicht schlafen kann, da kann er sich für das Drama, zwei Monate vor einer Bundestagswahl groß und positiv auf dem Titelbild einer Zeitschrift mit Millionen Lesern abgebildet zu sein, gleich mit die Haare raufen.
Natürlich darf der „Stern“ Wahlwerbung machen, für wen er will und so plump er will. Aber das muss man erst einmal wollen wollen.