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Jetzt wird getrennt, was zusammengehört

werben & verkaufen

Um die Zuschauer vom Umschalten abzuhalten, schaffen die Privatsender die Werbeblöcke zwischen den Sendungen ab. Mediaplaner sehen das mit gemischten Gefühlen.

Fünf Minuten vor Ende der Sendung deutet Günther Jauch mit dem Zeigefinger mahnend in Richtung Zuschauer auf der heimischen Wohnzimmer-Couch. „Sie bleiben doch dran?“, versichert er sich fragend, bevor er seinen Platz für die Werbung räumt. Der übliche Ausblick, welche Mordsbeiträge der Zuschauer verpassen würde, falls er fahrlässigerweise die Pause zu einem Senderwechsel nutzte, fehlt indes.

Das ist kein Wunder, denn ein solcher Werbeflüchter verpaßt nichts. Nach der Werbung und einigen Trailern erscheint Jauch gerade noch zum Abspann, sagt, daß Stern TV in der nächsten Woche wieder eingeschaltet werden möge, und wünscht einen schönen Abend. Sofort danach meldet sich Heiner Bremer und legt ohne weiteres Zögern mit dem RTL-Nachtjournal los.

Die Zeiten, in denen die Fernsehsender ihr Geld zwischen den Sendungen verdienten, sind so gut wie vorbei. Statt dessen verschieben sie die Werbung in die Programme und lassen die Sendungen direkt aneinanderstoßen. Der Zuschauer soll durch eine Pause nach Ende einer Sendung nicht unnötig ermuntert werden, umzuschalten und womöglich nicht zurückzukehren.

Bei Sat.1 trennt der Werbeblock, der früher das vorherige Programm von der Harald-Schmidt-Show trennte, jetzt Schmidts ersten Auftritt vom Rest der Show. Ganze drei Minuten erst läuft die Sendung, da wird sie schon zum ersten Mal unterbrochen. Der Moderator hat seine ersten Witze gemacht und die Gäste des Abends angekündigt, so daß das Interesse der Zuschauer größer ist als der Abschaltreiz durch die Reklame ± hofft jedenfalls Sat.1.

Zu den ersten, die diese Strategie in Deutschland umsetzten, gehörte die Ipa. RTL begann vor etwa zwei Jahren damit, die sogenannten Scharnierinseln durch Unterbrecher kurz davor oder danach zu ersetzen; zunächst allerdings nur bei den drei Talkshows am Nachmittag und zwischen den Krimis am Dienstagabend. Damals sah Ipa-Sprecher Andreas Kühner nur bei solchen Sendungen mit ganz ähnlichen Zielgruppen ein Potential für die Umstellung.

Inzwischen ist praktisch das ganze RTL-Programm entsprechend umgebaut. „Nur dort, wo es einen kompletten Bruch gibt, zum Beispiel vom Spielfilm auf Spiegel TV, behalten wir die Scharnierwerbung“, sagt Kühner heute. Von 1995 auf 1996 stieg der Anteil der Unterbrecherwerbung an der gesamten RTL-Werbezeit von 58 auf 76 Prozent. Doch mit Auskünften über die Umstellung und ihre Folgen, die die Ipa intern untersucht hat, hält sich der Vermarkter bedeckt. Weder gegenüber den Zuschauern noch gegenüber Kunden ließ er sich über das neue Konzept aus.

Geht’s nach der Ipa, gibt es dazu auch keinen Grund. Der Publikumsfluß von Sendung zu Sendung sei verbessert, die Reichweite der Werbeinseln erhöht worden: „Die Operation ist gelungen“, sagt Kühner. Daß eine 60-Minuten-Sendung jetzt praktisch drei- statt zweimal unterbrochen wird, sei kein Problem, meint der Ipa-Sprecher: „Die Zuschauer gehen gut damit um, sonst würden sie uns ja durch Zapping bestrafen.“

Sat.1 verabschiedete sich ebenso leise wie die Konkurrenz, aber erst zum 1. Januar 1997 von den meisten Scharnierinseln. 70 Prozent der Programmumfelder sind jetzt nach Angaben von Verkaufsschef Klaus-Peter Schulz scharnierfrei. Der Trend sei positiv: In den ersten drei Wochen nach der Umstellung habe zum Beispiel bei der Krimi-Serie Stockinger die Reichweite im Werbeblock 80 Prozent von der Sendung betragen ± im Vorjahr seien es im Schnitt nur 76 gewesen. Von 100 Zuschauern der Talkshow Kerner ließen 64 Sat.1 auch während der Werbung eingeschaltet, immerhin fünf mehr als vor der Umstellung. Genaue Zahlen zu Harald Schmidt, der sich schon seit einiger Zeit die Eingangsmoderation unterbrechen läßt, will Sat.1 nicht nennen. Bei seiner Show hänge die Zapping-Quote vor allem vom Angebot der Konkurrenz ab.

Die Umstellung ist für die Sender nicht zuletzt eine Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen. Denn Werbung in Unterbrechern kostet traditionell mehr als in Scharnierinseln, da die Sender sich die größeren Reichweiten hoch bezahlen lassen. So kommen die Zuschauer inzwischen bei RTL 2 durch das komplette Vorabend- und Abendprogramm ohne eine einzige Scharnierinsel, und auch die MediaGruppe München hat nachgezogen: ProSieben führt sein Publikum am Sonntagabend nahtlos vom Spielfilm zu Focus TV und wieder zum Spielfilm.

Doch die Mediaplaner sind skeptisch. Grundsätzlich sei die Lösung nicht schlecht, sagt Mediapolis-Chefeinkäuferin Anette Kullmann, und bei einem jungen Publikum von Sendungen wie Beverly Hills 90210 vermutlich unproblematisch. Sie aber sei von den frühen und häufigen Unterbrechungen „entnervt“, weshalb sie vermutet, daß es anderen Zuschauern ähnlich geht: „Werbekunden, die besonderen Wert auf ein gutes Image legen, würde ich nicht empfehlen, in solche Blöcke zu gehen.“

Ihr Chef Manfred Krupp hält die Praxis der Sender, Werbung gleich nach zwei Minuten oder direkt vor den Abspann zu plazieren, für „Auswüchse“ des Prinzips: „Das ist eine Unverschämtheit.“ Mit dem Abschied von der Scharnierwerbung würden die einzelnen Blöcke allerdings „sauberer“, meint der Mediapolis-Geschäftsführer. Zum Beispiel bei Spots zwischen Glücksrad und ran: Die älteren Frauen, die die Gameshow anschauten, bräuchten eine Weile, bis sie sich für die nächste Schau entschieden hätten; die älteren Männer, die auf Fußball warteten, trudelten nach und nach ein. Wanderte der Werbeblock jedoch in die Sendungen selbst, sei die Zuordnung klarer, Zielgruppen ließen sich genauer erreichen.

Daß die Werbeblöcke damit enger ans Programm angebunden werden, begrüßt Bernd Deppermann, Vize-Chef von Zenith Media, Frankfurt/M. Auch er sieht ein Problem, wenn die erste Unterbrechung zu früh kommt. „Aus qualitativer Sicht ist das ein Ärgernis“, sagt er. „Ich würde es bei einer solchen Plazierung vom Gefühl her eher vermeiden, in den ersten und eventuell auch den letzten Block zu gehen.“ Auf sein Gefühl ist der Mediaplaner mehr noch als sonst angewiesen, denn Untersuchungen über die Akzeptanz der neuen Unterbrecher gibt es nicht. „Es besteht ein echter Informationsmangel“, so Deppermann, der Analysen von den Sendern einfordern will.

Im Nachtprogramm zeigt RTL schon, wie sich das Prinzip auf die Spitze treiben läßt: Bei den Serien am frühen Morgen kommen die Werbeblöcke konsequent vor dem Abspann der einen Sendung und nach dem Vorspann der nächsten. Mit dem Ergebnis, daß zwischen zwei Sendungen ein Block entsteht, der nur aus Vor- und Abspännen, zweimal Werbung und Trailern zusammengesetzt ist — mehr als zehn Minuten ohne Handlung.

„Das ist Gewaltbefürwortung!“

Süddeutsche Zeitung

Verstoßen die „Glücksritter“ gegen die Menschenrechte?

„Ordentlich fest“ soll sie werfen, ermahnt Ulla Kock am Brink die Kandidatin, die Zielscheibe ist der Rücken des Mannes vor ihr. Wenn die Dart-Pfeile richtig in seiner Haut sitzen, hat sie gewonnen. Diese Szene aus der neuen RTL-Show Glücksritter hat die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGfM) auf den Plan gerufen. In einem Brief unter anderem an den Ausschuß für Menschenrechte im Bundestag fordert sie die Absetzung, denn: „Die Bereitstellung eines Menschen zum Zwecke der Bewerfung mit Pfeilen ist ein Anschlag auf die Menschenwürde.“ Ein Gespräch mit dem Chef Karl Hafen.

SZ: Die IGfM sorgt sich um Menschenrechte. Gehört für Sie in Zukunft neben sozialistischen und islamischen Staaten auch das Privatfernsehen zu den Brutstätten von Unterdrückung und Gewalt?

Hafen: Menschenrechtsverletzungen gehen in der Regel vom Staat aus. Aber in der Sendung Glücksritter ist das Pfeilewerfen Gegenstand eines Massenspektakels, und die natürliche Hemmung vor Gewaltanwendung wird abgebaut. Die Zuschauer wurden gezwungen, zuzusehen, und das ist eine Erniedrigung. Das geht an die Menschenwürde, ist nahe an der Menschenrechtsverletzung.

Gezwungen, zuzusehen? Aber es muß doch niemand RTL einschalten …

Der Zuschauer zu Hause kann natürlich ausschalten. Aber der, der live in der Halle sitzt, kann nicht einfach weggehen.

Was hatten Sie denn erwartet, als Sie die Glücksritter eingeschaltet haben?

Ich habe die Sendung nur zufällig gesehen. Mein Sohn ist zehn und war fürchterlich erschrocken. Er guckte weg, meine Frau auch, die wollten das nicht anschauen. Ich aber war so schockiert, ich mußte das sehen. Ich habe meinen Sohn gefragt, was er meint, wenn diese Frau Kock am Brink sagt: „Bitte nicht nachmachen, dazu gehört jahrelanges Training.“ Seine Reaktion: „Ja, warum soll ich jetzt nicht damit anfangen?“ Wenn man sich vorstellt, daß Kinder auf dem Schulhof mit Dart-Pfeilen auf andere werfen …

Sie meinen, die Sendung verrohe die Jugend. Dann müssen Sie ja dauernd protestieren: Haben Sie mal Explosiv gesehen? Oder Bärbel Schäfer?

Im Wettstreit um Quoten werden immer spektakulärere Szenen eingesetzt, und das ist häufig mit Gewalt verbunden. Und Glückritter war ein ganz konkretes Beispiel, wo ein lebender Mensch als Zielscheibe eingesetzt wird. So etwas in einer Samstagabendsendung – das kann man doch überhaupt nicht entschuldigen. Das ist Gewaltbefürwortung!

Gibt es außer der Dart-Szene Kritik?

Frau Kock am Brink bietet Leuten Tausender an, wenn sie sich spontan für eine Sache entscheiden. Wenn sie das nicht können, wird es ihnen wieder aus den Händen genommen. Da wird die Gier nach schneller Befriedigung gefördert. Das ist für Kinder nicht geeignet, das sollen sie am späten Abend bringen. Auch die Sache mit den Dart-Pfeilen. Wenn der Mann Fakir ist, soll er das in geschlossenen Klubs machen. Oder sie sollen es wie Sex-Filme nach zwölf Uhr zeigen.