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Das Dschungelcamp und das Sich-Ekel-Fernsehen von „Spiegel-TV“

Es ist immer wieder ein Kulturschock, wenn im RTL-Programm „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ an das Magazin von Spiegel-TV stößt. Auf der einen Seite diese läppische Sendung mit ihren albernen Witzen und schlechten Kalauern, die fast nur von Häme lebt. Und auf der anderen Seite das Dschungelcamp.

Dabei haben sich die Spiegel-TV-Leute viel Mühe gegeben in den vergangenen beiden Wochen, von der Aufmerksamkeit für die Dschungelshow zu profitieren. Sie haben einen Bericht gemacht über Rainer Langhans und einen über „Promis in der Schuldenfalle“. Sie haben berichtet über den „Dschungel unter deutschen Dächern“, über „Neues aus der Ekel-Forschung“ und, natürlich, über Hitler. Hitler war nämlich, genau wie Sarah Dingens im Camp, Vegetarier! „Die vegetarische Fangemeinde lässt es gern unter den Tisch fallen, doch es ist wahr: Adolf Hitler aß zu Lebzeiten kaum Fleisch.“

Und nun das Finale. Keine Werbepause, kein Sponsor, unmittelbar nach der letzten Szene aus dem australischen Dschungel wird die Temperatur auf Frösteln heruntergedreht:

Maria Gresz steht da und sagt:

„Jetzt ist es also soweit: Des Deutschen liebstes Hassobjekt ist am Ende und seine Hauptdarsteller irgendwie auch. Ab morgen können wir nur hoffen, dass im Kanzlercamp wieder die Post abgeht. Dass Angela mit Guido rumknutscht. Dass Claudia rot sieht und ausplaudert, dass die Regierungsarbeit nur Show ist und dass die Abgeordneten nur mitspielen, weil sie dafür Geld vom Privaternsehen bekommne. Ich weiß, das wird nicht passieren. Wär aber lustig. Derartige Unterhaltung gibt es eben nur im Dschungel. Dort wo die Zivilisation freiwillig ihre Hüllen fallen ließ und damit Millionen Zuschauer zu glücklichen Voyeuren machte.“

In zwei Wochen im Dschungel wird den Kandidaten, den Tieren und der Menschenwürde nicht so viel Gewalt angetan wie der deutschen Sprache in einer einzigen Spiegel-TV-Anmoderation. Wer danach nicht sofort abschaltet, steckt sofort knietief in einem Metaphernschlammbad, gefüllt mit gammeligen Teekesselchen. „Die vermeintliche Machtausübung“ der abstimmenden Zuschauer, sagt der Sprecher, „sorgt für besonderes Kribbeln – auch am Körper des Altkommunarden Rainer Langhans.“ Das Bild dazu:

Später heißt es: „Ehemalige Camp-Bewohner können ein Lied davon singen“ – bitte schön: Werner Böhm tut es.

Spiegel-TV-Leute leiden unter einer schlimmen Synonymzwangsstörung. Über Rainer Langhans darf nicht berichtet werden, ohne ihn mindestens einmal den „Apo-Opa“ zu nennen. Mit der Alternative „Gleichmut-Guru“ gibt es später noch Alliterations-Bonuspunkte. Und überhaupt, was ist der Dschungel? „Das Guantanamo der Z-Prominenz.“

Auf den ersten Blick ungewöhnlich ist es, dass Spiegel-TV ausgerechnet das Berliner Rumpelblatt „B.Z.“ als Beleg dafür zeigt, dass „das deutsche Feuilleton – ganz im Geiste Brechts – eine reflektorische Metaebene beim Miteinander von Mensch und Made“ entdeckt habe. Vermutlich bringt aber der Autor des entsprechenden Beitrags selbst die fehlende behauptete Fallhöhe mit:

Ross Antony, der die Show vor drei Jahren gewann und dabei auf sympathisch-schockierend-lustige Weise seine eigenen Phobien überwand, wird im Spiegel-TV-Deutsch zum „bekennenden Homosexuellen“, der „etwas Gutes für seine Community tun wollte“.

Und fast jeder Satz trieft von Herablassung. Es ist Sich-Ekel-Fernsehen bis hin zur Anmaßung, den Teilnehmern pauschal „verunglückte Lebensentwürfe“ zu unterstellen. Dann ist der Dschungelbeitrag vorbei (oder wie Spiegel-TV sagen würde: am Ende), und die Moderatorin leitet wie folgt zum nächsten Thema über:

„Es soll in dieser Welt noch Menschen geben, die weniger scharf auf Kameras sind. Waffenhändler zum Beispiel.“

Den Beitrag auf spiegel.de ansehen

Die schlechten Menschen von „Deutschland sucht den Superstar“

Bei „Deutschland sucht den Superstar“ gibt es drei Gruppen von Menschen, deren Verhalten ich nicht verstehe.

Die erste sind die Leute, die das gucken. Siebeneinhalb Millionen haben die erste Folge der neuen Staffel gesehen – obwohl die Sendung so berechenbar, formelhaft und ausgewalzt ist wie kaum eine andere.

Das zweite sind die Leute, die da hingehen. Zigtausend Kandidaten hatten sich wieder beworben – obwohl sie wissen könnten, dass sie nur Rohmaterial für eine Maschinerie sind, die bestenfalls verspricht, nach einem absurden Aufwand und vielen Demütigungen, eine einzige erfolgreiche Single zu produzieren.

Das dritte sind die Leute, die das produzieren.

Über die ersten beiden Gruppen ist ausdauernd diskutiert worden. Über die Anziehungskraft der Show auf das Publikum und noch viel mehr über die Frage, ob man die Menschen, die dort mitmachen, vor sich selbst schützen müsste. Einige der Kandidaten, über die sich RTL ausführlich lustig macht, wirken geistig behindert. Aber erstens ist das kein klares Kriterium und zweitens keine Antwort auf die Frage, wie man mit ihnen umgehen müsste. Diese Leute dürfen, mutmaßlich, wählen, Geld ausgeben, heiraten, ihr Leben selbst bestimmen. Womöglich haben sie auch das Recht, sich vor der Nation zu Deppen zu machen.

Es ist wie beim alten Dilemma vom Zwergenweitwurf: Verstößt eine solche Veranstaltung gegen die Menschenwürde oder gehört zu dieser Menschenwürde, im Gegenteil, auch das Recht eines Zwergen, sich aus freien Stücken zum Objekt eines solchen Spektakels zu machen?

Mindestens so interessant finde ich aber eine andere Frage: Was sind das für Menschen, die mit Zwergen werfen wollen?

Auf „Deutschland sucht den Superstar“ bezogen, ist das natürlich diejenige der eingangs genannten Gruppen, deren Verhalten oberflächlich am einfachsten zu erklären ist: Leute arbeiten für „Deutschland sucht den Superstar“, weil sie damit Geld verdienen. Sie tun nur ihren Job.

Und doch verstehe ich diese Gruppe am wenigsten. Ich kann die Schadenfreude beim Gucken nachvollziehen, ich kann die Selbsttäuschung der Kandidaten erahnen, aber ich weiß nicht, wie verkommen man sein muss, um die Liebe einer todkranken Frau zu ihrem Sohn, der sie rund um die Uhr pflegt, als Mittel zu benutzen, um seine öffentliche Demütigung zu maximieren.

Der dreißigjährige Stefan hat nichts von einem Superstar, er hat nicht einmal etwas von einem RTL-„Superstar“. Er kann nicht singen; er ist, wenn er es vor der Jury versucht, eine lächerliche Figur. Andererseits bringt er eine ungewöhnlich tragische Lebensgeschichte mit sich.

Das ist eine ungewöhnliche Kombination von zwei Eigenschaften, die RTL für seine Show braucht, sonst aber streng trennt: Eigentlich sind es die Gewinner, die die persönlichen Schicksale mitbringen und dadurch noch bewundernswerter wirken.

Stefan erzählt Dieter Bohlen und den zwei Jurystatisten von seiner Liebe zur Musik und von seinem harten Leben. Nachdem er gesungen hat, bemühen sich die drei, ihm ungewöhnlich schonend beizubringen, dass er nicht in die nächste Runde kommt. Jedem Zuschauer ist klar, dass das milde Urteil nicht die wahre Leistung widerspiegelt, sonden rausschließlich Zeichen des Respekts ist vor dem persönlichen Schicksal des Kandidaten. Selbst Dieter Bohlen schafft es, eine menschliche Seite von sich zu zeigen.

Kurz.

Dann ist der Kandidat gegangen und Bohlen sagt zu der Frau neben sich: „Hätte er die kranke Mutter nicht, hätte ich ihn fertig gemacht.“

Das war den Zuschauern schon klar. Aber dass Bohlen es ausspricht und dass RTL es ausstrahlt, gibt dem ganzen eine andere Dimension. Bohlen schafft es, gleichzeitig zu betonen, dass er zu Mitleid fähig ist, und seine Mitleidslosigkeit zu demonstrieren, indem er dem Kandidaten und der Welt auf diesem Weg trotzdem noch mitteilt, dass er richtig scheiße war – nur damit da keine Missverständnisse bleiben.

Während des Auftrittes des Kandidaten hatte die Produktion ihre eigene Skrupellosigkeit bewiesen. Während er die letzten Zweifel, ob er wirklich so schlecht ist, wegsang, schnitt sie noch einmal die Aussagen seiner Mutter dazwischen, die sich wünschte, dass DSDS für ihn ein „Sprungbrett“ sein könnte, „weg von seiner kranken Mutter“. Mit billigstem Geigenkitsch und verdunkelten Zeitlupenaufnahmen hatten RTL und die Produktionsfirma Grundy die Geschichte der todkranken Frau, die im Rollstuhl sitzt und einen Sauerstoffschlauch trägt, vorher in Szene gesetzt – reiner Zynismus, wie sich herausstellte.

Während Stefan seine Talentlosigkeit zeigte, zeigte RTL noch einmal, wie seine Mutter schwärmte: „Stefan ist der neue Superstar. Und er hat das Talent.“

Diese Diskrepanz zwischen der Liebe und Hoffnung einer Mutter und der Realität wäre dem Zuschauer auch so schmerzhaft bewusst geworden, aber die Produzenten von „Deutschland sucht den Superstar“ gingen auf Nummer sicher und schnitten das direkt ineinander. Sie benutzten Stefan und seinen missratenen Auftritt, um seine kranke Mutter zu verhöhnen. Und sie nutzten die kranke Mutter und ihren verklärten Blick auf ihren Sohn, um Stefan zu verhöhnen.

Ganz unabhängig davon, wie der Kandidat das fand, der anscheinend dankbar war, dass er überhaupt teilnehmen durfte: Das muss man erst einmal tun wollen.

Das ist die Frage, die ich mehr als jede andere stelle, wenn ich „Deutschland sucht den Superstar“ gucke: Was sind das für Menschen, die an einer solch verkommenen Inszenierung mitwirken? Tom Sänger, der Unterhaltungschef von RTL, hat einmal gesagt: „Wir sind sehr darauf bedacht, die Akteure nicht zu beschädigen.“ Ich weiß nicht, ob das Zynismus ist. Oder ob man, wenn man lange genug in diesem Umfeld gearbeitet hat, abstumpft. Oder ob es doch einfach schlechte Menschen sind, die dort arbeiten.

(Den Auftritt kann man sich bei Clipfish ansehen.)

Die verspätete Fernsehkritik: Thilo Sarrazin bei Günther Jauch

Vergangene Woche war Thilo Sarrazin bei Günther Jauch, und keiner hat’s gemerkt.

Das stimmt natürlich nicht; die Sendung hatte fast vier Millionen Zuschauer, fast genau so viele wie „Anne Will“ am Sonntag zuvor. Aber während keine Ausgabe von „Anne Will“ unrezensiert bleibt, hat Sarrazins Auftritt bei „Stern TV“ fast keine mediale Resonanz gefunden. Sein Magazin werde „publizistisch kaum mehr wahrgenommen“, stellte Jauch vor einem halben Jahr fest. In diesem Fall war das vielleicht besser so.

Der Besuch von Sarrazin war ein guter Anlass, sich einmal anzusehen, wie Jauch mit einem solchen Gast und einem solchen Thema umgeht, bevor er demnächst den traditionsreichen Polit-Talk am Sonntagabend im Ersten übernimmt. Er machte keinen guten Eindruck.

Seine Redaktion auch nicht. Bevor Sarrazin im „Stern TV“-Studio sprach, sprach er, wie in dieser Sendung üblich, in einem „Stern TV“-Filmbericht und erklärte, wie Deutschland zu retten sei. Zum Beispiel: „Wer seine Kinder nicht vernünftig beschult, dem wird die Sozialhilfe teilweise gestrichen. Wenn Kinder die Schule schwänzen, gibt es Geldstafe für die Eltern.“ Sarrazin erwähnte nicht, dass Schulschwänzen bereits jetzt eine Ordnungswidrigkeit darstellt und Eltern von Schulverweigerern ein Bußgeld droht. „Stern TV“ erwähnte es auch nicht.

Jauch rollte Sarrazin einen kuscheligen roten Teppich aus. Seine erste Frage lautete: „War ihnen klar, dass Sie über eine Million Bücher verkaufen würden und dass sie im Grunde so einen Integrationsdebattentsunami über Deutschland auslösen würden?“ Kritische Fragen verpackte er in dickste Watte: „Viele sagen: ‚Der hat ja nicht ganz unrecht, aber er bringt uns nicht weiter. Durch sein Buch werden die Dinge nicht besser, der Graben zwischen Deutschen und Menschen mit Migrationshintergrund, der wird dadurch vertieft anstatt dass er zugeschüttet wird.‘ Sie würden die Probleme nicht lösen, sondern nur vertiefen. Ist da nicht was dran?“ Oder: „Wenn Sie mit Ihrem Buch gar nicht provozieren wollten, wenn man das alles, was sie schreiben, ja wohl auch noch wird sagen dürfen in diesem Land, warum haben Sie denn dann den Dienst quittiert?“ Ob der Halbsatz mit dem, was man ja wohl nach sagen dürfen wird in diesem Land, ein Zitat der entsprechenden „Bild“-Schlagzeile oder Jauchs Meinung, blieb offen.

Jauch sagte: „Es gibt Umfragen, die besagen, dass Sie mit ihren Thesen durchaus eine neue politische Partei gründen könnten, die auf Anhieb erfolgreich wäre. Die einen sagen 18 Prozent, andere sagen 20 Prozent, andere sind in ihren Schätzungen noch optimistischer.“ Die Zahlen, die Jauch nennt, sind tatsächlich durch die Medien gegangen, aber ihre Interpretation ist falsch. 18 ist – laut einer Emnid-Umfrage – nicht der Prozentsatz, den eine Sarrazin-Partei bei Wahlen erringen würde, sondern die Zahl der Menschen, die es sich „vorstellen“ können, eine solche Partei zu wählen. Ein gewaltiger Unterschied.

Jauch zitierte den Satz von Bundespräsident Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland, und fragte Sarrazin: „Sehen Sie das auch so?“ Sarrazin antwortete unter anderem:

„Was er meint und hätte sagen sollen: Wer islamischen Glaubens ist und bei uns die Gesetze einhält und sich einfügt, kann und soll bei uns leben, wenn er denn sein Brot selber verdient. Das wäre eine vernünftige Aussage.“

Was für eine bemerkenswerte Formulierung, die deutlich macht, wie Sarrazin Moslems diskriminiert. Sie müssen aufgrund ihrer Religion offenkundig Anforderungen erfüllen, die Christen, Atheisten und Agnostiker nicht erfüllen müssen. Was soll, seiner Meinung nach, mit muslimischen Deutschen passieren, die nicht ihr Brot selber verdienen? Oder meint Sarrazin hier nur muslimische Einwanderer? Das wäre aber eine erstaunliche Ungenauigkeit, wo er unmittelbar zuvor dem Bundespräsidenten, stotternd und sich verhaspelnd, vorgeworfen hat, unsauber zu formulieren.

Und was machte Jauch? Er hakte nicht nach, er sprach Sarrazin nicht darauf an, er las die nächste Frage von seiner Karte ab.

Sarrazin sagte noch mehr erstaunliche Sätze. Zum Beispiel:

„Die Wahrheit bringt immer weiter. Und die Wahrheit kann auch nie schädlich sein. Ich habe immer darauf gewartet, dass irgendwer mal kommt und sagt: ‚Das und das in dem Buch ist falsch. Das und das ist logisch falsch, hier sind falsche Zahlen.‘ Das hat es nicht gegeben. Von den Argumentationslinien meines Buches ist bis heute eigentlich keine widerlegt oder auch nur hinterfragt worden.“

Später sagte er, die „Tatsachen und Zusammenhänge“ aus seinem Buch seien „bis heute unbestritten“. Man kann sich womöglich darüber streiten, ob Aussagen und Argumentationen aus Sarrazins Buch widerlegt wurden. Aber zu behaupten, niemand hätte ihm faktisch widersprochen oder seine Argumente hinterfragt oder bestritten, ist offensichtlich unwahr. Jauch ließ es ihm durchgehen.

Die Redaktion hatte für einen weiteren Filmbericht verschiedenen Familien ausgesucht, die gelungene und misslungene Integration repräsentieren sollten. Auf der einen Seite: Arabische Großfamilien mit Menschen, die auch nach vielen Jahren in Deutschland kein deutsch sprechen. Auf der anderen Seite: Einwanderer aus Kasachstan, deren Kinder schon kein russisch mehr sprechen, dafür aber jeder ein Musik-Instrument gelernt haben. Der Kontrast zwischen dem abgeschotteten Ghetto im Hochhausviertel und der heilen Welt im Einfamilienhaus in der Kleinstadt war fast schon lächerlich maximal – und hätte zu der fruchtbaren Frage führen können, in welchem Maß der soziale Status (im Gegensatz zur Fixierung auf Herkunft und Religion) eine Rolle bei der „Integration“ spielt.

Fakten, Statistiken, Studien darüber, wie typisch die gezeigten Fälle sind, erwähnte „Stern TV“ nicht. Jauch sagte bloß, die Nicht-Integrierten, die zu sehen waren, seien ja wohl keine Einzelfälle. Es hätte dann noch eine Diskussion geben sollen, aber die scheiterte schon an der Auswahl der Gäste. Houaida Taraji, die Familien- und Frauenbeauftragte im Zentralrat der Muslime, hatte zu der Diskussion nichts beizutragen. Und der Stadtteilmanager von Bremen-Tenever, Joachim Barloschky, hätte zwar von seinen persönlichen Erfahrungen im täglichen Umgang mit vielen Nationen in einem Problemviertel berichten können – dazu hätte man ihn aber dazu befragen müssen.

Nach insgesamt über einer halben Stunde zu dem Thema bedankte sich Jauch bei den Diskussionsteilnehmern herzlich dafür, dass es „richtig Hin- und Hergegangen“ sei, denn das sei auch „Sinn der Sache“ gewesen.

Dem „Zeit“-Magazin hat Günther Jauch im vergangenen Jahr erzählt, welches Gefühl er manchmal hat, wenn er eine politische Talkshow sieht:

„Ich sitze oft vor dem Fernseher und denke: So, jetzt hat sie oder er den Politiker! Der Ball liegt vor dem leeren Tor, man muss ihn nur noch reinschieben. Aber was passiert? Die Kollegen stoppen den Ball und laufen mit ihm in die andere Richtung.“

Am vergangenen Mittwoch hatte er selbst nicht einmal Ballkontakt.

Ein Teenie-Puff als Heim für ungeliebte Kinder: Wie RTL für Lolita-Prostitution wirbt (2)

Sprecherin: Dass der achtzigjährige Rentner [Rolf Eden] immer noch so rüstig unterwegs ist, verdankt er ganz klar seinem Lebensstil.

Eden: Man sieht’s ja an meiner Person. Ich bin ja nicht mehr der Allerjüngste. Und trotzdem hab ich ein Lebenselixier von 18-, 20-, 30-Jährigen. Und das machen die jungen Damen natürlich. Sex mit jungen Frauen ist das Gesündeste, was man haben kann für den Mann.

Das ist das Fazit der RTL-Reportage „Und ewig lockt Lolita“ über „Deutschlands erstes Teeny-Bordell“ (sic!), von der gestern an dieser Stelle schon die Rede war. Die Produktion der Firma Filet Film für AZ Media zeigt nicht nur, wie sich Männer gegen Geld dieses „Lebenselixier“ beschaffen können, sondern stellt die Arbeit als Lolita-Prostituierte auch als ganz normalen und lukrativen Berufsweg für Achtzehnjährige dar, die sich mit Schule oder anderen Berufsausbildungen schwer tun.

Doch das Schulmädchen-Bordell, für das die Sendung ausführlich wirbt und das „in eine Welt der Kniestrümpfe, Zöpfchen, und der Freude an freier Sexualität“ einlädt, ist laut RTL nicht nur finanziell attraktiv, sondern bietet sich anscheinend auch als emotionale Alternative für Mädchen an, die in ihrer eigenen Familie auf Ablehnung stoßen.

Am 22. September, zwei Tage nach der spätabendlichen Ausstrahlung von „Und ewig lockt Lolita“, griff RTL in seinem Mittagsmagazin „Punkt 12“ auf die offensichtlich guten Kontakte zu dem Lolita-Bordell-Betreiber zurück. Tags zuvor hatte nämlich die „Bild“-Zeitung negativ über das von dem Sender beworbene Etablissement berichtet. Eltern eines 18-jährigen Mädchens, das dort als Prostituierte arbeitet, hätten versucht, ihre Tochter aus dem „Teenie-Puff“ zu befreien. Die Mutter behauptete in „Bild“, ihre Tochter sei labil und werde systematisch unter Drogen gesetzt. Vor Ort sei es zu einem Handgemenge gekommen, die Polizei sei mit einem Großaufgebot angerückt – aber die Tochter habe nicht mit ihrer Familie mitfahren wollen. („Bild“ titelte dennoch: „Eltern befreien Tochter (18) aus Teenie-Puff!“)


Katja Burkard, betroffen.

„Punkt 12“ sendet am nächsten Tag eine Art Gegendarstellung. Katja Burkard fragt die Zuschauer in ihrer Anmoderation zunächst rhetorsch: „Was geht in Eltern vor, wenn sie erfahren, dass ihre 18-jährige Tochter in einem Bordell arbeitet?“ Doch die „ganze Geschichte“, die sie dann ankündigt, ist eine andere als erwartet. Der Beitrag schildert das Handgemenge und den Polizeieinsatz, und dann:

Sprecher: Zu diesem Zeitpunkt denken die Beamten vermutlich noch, sie müssten eine junge Frau aus einem Bordell befreien. Aber dann trauen Sie ihren Ohren kaum. Chrissi will gar nicht weg.

Chrissi: Ich bin alt genug, um zu wissen, was gut für mich ist und was nicht gut für mich ist. Ich bin hier, weil: Mich hat das interessiert, dieses Milieu, sag ich einfach mal. Und natürlich spielt das Geld auch eine Nebenrolle.

Sprecher: Auch wenn es schwer nachzuvollziehen ist: Chrissi sagt, hier in dem Bordell, habe sie tatsächlich so eine Art Familie gefunden. Denn zuhause, das war für sie die Hölle. (…) Chrissis Job ist also auch eine Art Flucht. Aber Drogen, versichert sie, die seien hier nie im Spiel gewesen. (…) Die 18-Jährige macht eigentlich einen Job als Altenpflegerin. Und jobbt doch lieber als Hure.


Der Bordell-Betreiber und seine „Hure“.

Der RTL-Bericht schildert nicht die Position der Gegenseite, der Eltern und des Ex-Freundes. Das „Punkt 12“-Team hat die Aussagen des Mädchens aber einer Fernsehpsychologin gezeigt, die nun als eine Art lebender Lügendetektor attestiert:

Katharina Ohana: Auf mich macht sie überhaupt keinen unsicheren Eindruck, also sie scheint sich ihrer Sache ganz sicher zu sein. Sie weiß genau, was sie will. Sie wirkt weder, als würde sie unter Drogen gesetzt, noch als hätte sie irgendeinen Zweifel an dem, was sie tut. Sie hasst regelrecht ihren Stiefvater, sie erfährt von der Mutter überhaupt keine Unterstützung. Dass sie dort in dem Bordell eine Art Familie findet.

Ist das nicht schön? Dass es solche Orte in Deutschland gibt, an denen Kinder die Wärme erfahren, die ihnen ihre Familien nicht geben können? Orte, an denen diese Kinder diese Wärme dann weitergeben können an alte Männer, die dafür bezahlen, dass sie ihnen als „Lebenselixier“ dienen?


Das Bordell wirbt bei Twitter für den Fernsehauftritt.

Immerhin hat sich „Punkt 12“, anders als die im selben Programm vor zwei Tagen gelaufene Werbe-Reportage über dasselbe Bordell, als Fazit für ein bisschen Distanz entschieden. Der Sprecher knarzt moralisch:

Sprecher: Eine Art Familie im Bordell. Allein das sollte Chrissis Mutter und ihrem Stiefvater zu denken geben. Die Flucht ins Milieu, sie ist damit womöglich doch nicht so ganz freiwillig.

„Ein Mädchen, das bei uns anfängt, ist auch wirkliche Anfängerin“: Wie RTL für Lolita-Prostitution wirbt

Ältere Männer, die jüngere Mädchen begehren, machen sich gut im Fernsehen. RTL 2 versucht zur Zeit, sich als gesellschaftlich verantwortungsvoll handelnder Sender darzustellen, indem er sie bei Kontaktversuchen im Internet in eine Falle lockt und dann eindringlich fragt, was sie sich eigentlich dabei denken. Halbschwestersender RTL macht derweil Lust auf „Lolita-Sex“ und wirbt für „Deutschlands erstes Teeny-Bordell“ (sic!).

Montag vor drei Wochen. Am späten Abend läuft „30 Minuten Deutschland“, eine Sendung der Produktionsfirma AZ Media, einem vermeintlich „unabhängigen“ Anbieter, dem RTL Sendezeit abgeben muss. AZ Media ist RTL freundschaftlich-geschäftlich verbunden; der Sender nennt die Reihe „Unser Reportage-Highlight“.

Dem Thema der Prostitution junger Frauen, die noch jünger aussehen, widmet sich diese Sendung wie folgt:

Sprecherin: In Köln wurde jetzt ein Bordell eröffnet, das sich mit seinem Angebot speziell an Liebhaber von Lolitas wendet.

Kunde Heinrich: Diese Mädchen, knackiger Körper, und die sind genau so versaut wie ’ne reife Frau. Das ist ja das Geile daran.

Sprecherin: Der 60-jährige Heinrich ist Stammgast in „Teeny-Land“, einem Bordell, das sich auf Liebhaber von Lolitas spezialisiert hat.

Wir sehen Heinrich im Gespräch mit der „Hausdame“ Sonja.

Heinrich: (…) Jetzt zieht es mich wieder hin zu den Teenies.

Sonja: So ist das schön.

Heinrich: Wer ist heut alles da?

Sonja: Heute ist da, die Ariella ist da, die Lucie ist da, die Micky ist da, viele Mädchen… Ich bring dir die Mädchen mal, und dann kannst du dich entscheiden. (…)

Die Mädchen kommen einzeln ins Zimmer und stellen sich Heinrich vor.

Sprecherin: Seit dem Tod seiner Frau vor zwei Jahren kommt Heinrich mindestens zwei Mal im Monat und sucht sich ein junges Mädchen aus. Allerdings erst nach ausführlicher Betrachtung des aktuellen Angebots. Die Bestellung nimmt Hausdame Sonja entgegen.

Sonja: Was für Dich dabei?

Heinrich: Super, ja. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Die Arielle gefällt mir ziemlich gut. Die Lucy ist ne ganz süße. Und die Janine!

Sonja: Ja, die ist ganz süß. Ist ’ne ganz neue auch.

Heinrich: Ich will also ’ne Stunde. Und… französisch optimal, macht das auch die Lucy?

Sonja: Die Lucy macht das leider nicht.

Heinrich: Na, ich würde sagen, dann nehm ich die Janine.

Sonja: Okay, dann schick ich dir die Janine für ’ne Stunde. (…)

Sprecherin: Janine ist noch neu hier im „Teeny-Land“. Das Geschäft mit der bezahlten Liebe kennt die 20-jährige allerdings schon aus dem Effeff. Bis zu zehn Kunden erfüllt sich Tag für Tag fast alle Wünsche.

Janine: Hi, ist ja schön, dass du dich für mich entschieden hast.

Heinrich: Du bist ja ganz neu hier.

Janine: Ja.

Heinrich: Mir gefällt sowas. Wir werden ne geile Stunde verbringen, glaube mir.

Sprecherin: Für die Realschülerin ist der Sex mit dem 40 Jahre älteren Mann ein ganz normaler Job. (…) Mit ihren jugendlichen Körpern und einigen Tricks beim Make-up und der Kleiderwahl gelingt es Janine und ihren Kolleginnen, den zahlenden Kunden das Image der unschuldigen Lolita zu verkaufen. (…)

Janine: Die Mädchen sehen nicht aus wie über Zwanzig. (…) Jeder von uns hat noch ein bisschen die Teenie-Art.

Heinrich: Seit eh und je fühl ich mich hingezogen zu Teenie-Mädchen. (…)

Sprecherin: Der 60-jährige Kunde ist nicht der einzige Fan von jungen Mädchen. Die Idee vom „Teeny-Land“ wird von der Kundschaft honoriert. Betreiber Kaspar hat ständig neue Ideen für die Ausgestaltung seiner Räume.

Kaspar: Hier finden unsere klassischen Rollenspiele statt. Das bedeutet, Lehrer-Schüler-Geschichten, hauptsächlich. (…) Teilweise auch richtige Unterrichtsstunden.

Sprecherin: Die Klientel, die die Schulmädchen-Erotik bucht, ist bunt gemischt. Junge Männer sind die große Aufnahme, drei Viertel der Männer älter als 40.

Kaspar: (…) Im jungen Alter ist der normale Sex meistens hinreichend und ausreichend für die eigene Lustbefriedigung. Und mit zunehmendem Alter (…) experimentiert man mehr, entwickelt andere Fantasien, und irgendwann wollen die auch verwirklicht werden. (…)

Sprecherin: Die Frauen, die hier im Bordell arbeiten, sind zwischen 18 und 20 Jahre alt.

Kaspar: Ein Mädchen, das bei uns anfängt, ist in der Regel auch wirkliche Anfängerin. Ganz einfach aufgrund des Alters ist das meistens gar nicht anders möglich. Es gibt viele Mädchen, die warten gerade auf den Tag, wo sie 18 werden, um dann hier beruflich, ich sag’s jetzt einfach mal, Karriere zu machen. Wir sind im Endeffekt nichts anderes als ein anderer Betrieb auch. Es geht auch tatsächlich um viel Geld, das kann man offen so sagen, besonders für die Mädels.

Sprecherin: Im Schnitt kommen die Jungprostituierten auf mindestens 200 Euro pro Schicht. Kein schlechter Verdienst für die Mädchen, die oft weder Schulabschluss noch Ausbildung haben. Um diese kümmert sich einmal im Monat Bordellchef Kaspar persönlich.

Kaspar: (vor einer Schultafel, zu den Mädchen) Wer gut reden kann, muss weniger blasen. Ich sag auch ja immer, wer gut blasen kann, muss weniger (Wort überpiept). Aber es gilt auch andersrum: Wer gut reden kann, muss weniger blasen.

Nun ist es nicht so, dass der Film die Probleme dieser Leidenschaft für junge Mädchen völlig ausblendet. So lapidar, wie das Thema dann angeschnitten und gelöst wird, wünscht man sich allerdings, er hätte es getan.

Sprecherin: Dabei ist die Grenze zwischen der Faszination für frühreife junge Menschen und krimineller Pädophilie nicht immer leicht zu ziehen. Doch Pädophile kommen nicht in sein Bordell, da ist sich Betreiber Kaspar sicher.

Kaspar: Ich glaube, dass pädophile Gäste wir hier nicht haben. Es ist ein ganz großer Unterschied zwischen einer Lolita, einem jungen Mädchen, und einem Kind da. Die Mädels, die hier mit uns arbeiten, sind Frauen, körperlich Frauen. Das heißt, sie haben weibliche Reize, Brüste, Hüften, und so weiter und so fort. Und genau das ist es ja nicht, was einen Pädophilen reizt.

Das Bordell wirbt auf seiner Internetseite damit, die einzige Adresse Deutschlands „speziell für Teeny- mädchen und Freunde von Unbeschwertheit und Jugend“ zu sein: „Taucht ein in eine Welt der Kniestrümpfe, Zöpfchen, und der Freude an freier Sexualität. Im Teenyland legen die süssen Lolitas ihre Schulbücher beiseite und tauschen den Abiturstress gegen die wunderbare Möglichkeit ihre Sexualität zu entdecken, und Dinge auszuprobieren, die auf dem Pausenhof tabu sind. Hierfür benötigt man Lehrer, die wissen worauf es ankommt und nicht bloss Bücher wälzen können. Im Teenyland stehen Lust, Spass und Freude an der Sache im Vordergrund.“ Alle Mädchen hätten das achtzehnte Lebensjahr vollendet, „auch wenn es nicht immer so aussieht“.

Ob man als Mann, der Teenager begehrt und ihre Nähe sucht, in der RTL-Familie am Pranger landet oder in einem Werbefilm für ein „Teeny-Bordell“, ist offenbar nur eine Frage des Zufalls. Und in der Welt von AZ Media scheint die Prostitution für junge Mädchen ohne Ausbildung und mit Geldnöten eine ganz normale und sehr attraktive Möglichkeit der Berufswahl zu sein.

(via fernsehkritik.tv; Screenshots: RTL)

Lena und die Nööööööte von RTL

Von Lena Meyer-Landrut weiß man, dass sie keine privaten Fragen beantwortet. RTL aber ist ein Privatsender. Bei der ersten Pressekonferenz der deutschen Delegation in Oslo kam es zu einer Art Showdown.

RTL-Reporterin: Wer aus Ihrer Familie ist dabei, wer unterstützt Sie? Und wie wichtig ist es tatsächlich, auch jemanden aus der Family dann hier zu haben?
Lena: Nööööööt.
Stefan Raab: Man muss auch nicht jede Scheiße beantworten, Lena.
Lena: Nein, nein. Das beantworte ich nicht.
RTL-Reporterin: Familie zur Unterstützung dabei zu haben, findet Ihr scheiße?
Lena: Nein, die Frage. Also die Familienfrage an sich.
RTL-Reporterin: Okay. Also Familie ist immer Tabu?
Lena: M-h!
Stefan Raab: Joa, muss Frauke Ludowig halt mal ohne so’n Käse auskommen. Müsst ihr euch was anderes aus der Nase ziehen. Irgendwie Häuser-Versteigerungssendungen oder sowas.

Die Szene und vieles mehr — in der dritten Folge von Oslog.tv: „Sha-La-Lena“

Jürgen Hesse

Jürgen Hesse scheint sich für seine Fernsehkarriere die Haare neu gemacht zu haben. In einem Film auf der Homepage seiner Karriereberatungs-Firma ist er noch mit wirrer, leicht toupiert wirkender Mähne zu sehen. In seiner RTL-Sendung „Endlich wieder Arbeit“ trägt er nun einen seriösen, nur dezent verwuschelten Kurzhaarschnitt und grau statt blond.

Haare sind wichtig. In der ersten Folge am vergangenen Sonntag gelang es Hesse, einem verzweifelten arbeitslosen Pferdepfleger allein dadurch einen Traumjob zu verschaffen, dass er mit ihm zum Friseur ging. (Okay, neue Anziehsachen gab’s auch.) Am Ende fragte man sich, wie es sein kann, dass die Bedeutung guter Frisuren für den Arbeitsmarkt all die Jahre so unterschätzt werden konnte und ob Peter Hartz heute gefeierter Bundespräsident sein könnte, wenn er nur damals in seinen Reformen auf den richtigen Dreiklang gesetzt hätte: Fördern, Fordern, Frisieren.

Es hat etwas unfreiwillig Komisches, dabei zuzusehen, wie sehr RTL in seinen eigenen Erfolgsmustern gefangen ist. „Endlich wieder Arbeit“ (heute, 19.05 Uhr) ist natürlich ein weiterer Versuch, Peter Zwegats „Raus aus den Schulden“ zu kopieren, aber weil die Korrektur von Bewerbungsmappen dann doch kein abendfüllendes kommerzielles Fernsehprogramm ist, flüchtet sich die Show in das, was immer geht: Makeovers. Die Sendung wirkt – auch dank erbärmlich schlecht nachgespielter Szenen – so sehr wie eine Parodie auf das Genre, dass es kaum überrascht hätte, wenn Produzentin Vera Int-Veen oder Tine Wittler mittendrin mit einem Trupp Handwerker und einem Ikea-Laster aufgetaucht wären und der betreuten Familie erzählt hätten, dass eine Voraussetzung für den beruflichen Erfolg die richtigen Möbel sind. (Und gute Kurzhaarfrisuren, natürlich.)

Doch die unterschwellige Botschaft der Sendung ist gar nicht komisch, sondern perfide. „Endlich wieder Arbeit“ suggeriert, dass Arbeitslosigkeit ein individuelles Problem ist, und dass Menschen nur arbeitslos sind, weil sie sich nicht genügend anstrengen. Durch die formale Ähnlichkeit zum Schuldenberater oder der „Super-Nanny“ wird eine Parallelität angedeutet, die nicht existiert. Wenn mehr Menschen besser mit ihren Kinder umgehen, hat das tatsächlich positive Auswirkungen für die ganze Gesellschaft. Aber wir können noch so vielen Menschen beibringen, ihre Bewerbungen schön zu formatieren, und schaffen dadurch keinen einzigen Arbeitsplatz.

Hesse war lange Chef der Telefonseelsorge. Das hier aber ist die Westerwelle-Show: Wenn du keinen Job findest, liegt es an dir.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Ich notorischer Urheberrechtsverletzer

YouTube hat meinen Account gelöscht. Damit sind all die schönen Videos, die ich für das Fernsehlexikon hochgeladen habe, verschwunden. Das kam nicht ganz überraschend: Kurz zuvor hatte das Portal zum zweiten Mal ein von mir hochgeladenes Video gelöscht, weil ich damit angeblich möglicherweise gegen das Urheberrecht eines Fernsehunternehmens verstoßen hätte. Wenn das passiert, schickt YouTube eine Mail, in der es unmissverständlich heißt:

Dies ist die zweite Urheberrechtsbeschwerde zulasten deines Kontos. Eine einzige weitere Beschwerde führt zur Kündigung deines Kontos. Wenn du dies vermeiden möchtest, lösche sämtliche Videos, an denen du keine Rechte besitzt, und lade in Zukunft keine Videos mehr hoch, die die Urheberrechte anderer verletzen. Weitere Informationen zu den Urheberrechtsrichtlinien von YouTube findest du in den Tipps zum Urheberrecht.

Ich war also gewarnt. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass der Sender ProSieben (oder genauer: sein Vermarkter Seven One) kurz darauf nach über einem Jahr daran Anstoß nehmen würde, dass ich Ende 2008 einen 24-sekündigen Ausschnitt aus dem damaligen Jahresrückblick von „Switch Reloaded“ bei YouTube hochgeladen hatte. Es handelte sich um eine kurze Szene mit der Parodie, in der Elke Heidenreich Marcel Reich-Ranicki von der Bühne schlägt — mit einem leicht veränderten Exemplar des „Fernsehlexikon“, das ich mit Michael Reufsteck geschrieben habe.

Das ist ein interessanter Fall. Natürlich besitze ich keine Rechte an dieser Szene und darf sie deshalb eigentlich nicht bei irgendwelchen Videoportalen hochladen. Andererseits hatte ich das Video in einen Blogeintrag eingebettet, der sich mit dem Gezeigten beschäftigt, wodurch der Gebrauch durch das Zitatrecht gedeckt wäre. Wiederum andererseits sieht man das aber dem Video selbst nicht an, das ja ausschließlich aus dem Inhalt von ProSieben besteht. (Ob es den Sendern wirklich hilft, wenn sie jeden vermeintlich illegalen 24-Sekunden-Mitschnitt ihrer Programme auf YouTube sperren lassen, ist eine andere Frage, aber die Sender sind gerade so sensationell unentspannt, was ihr Leben in der veränderten digitalen Welt angeht, dass Prinzip im Zweifel immer vor Pragmatismus geht.)

Die beiden ersten Videos hatte RTL sperren lassen. Das erste war die Szene aus dem RTL-Mittagsmischmagazin „Punkt 12“, in der eine Reporterin live vom Amoklauf in Winnenden berichtete („hier blinken die Lichter“, „Chaos vom Feinsten“). Anfang Januar ließ RTL dann das auch das ebenso typische wie unwürdige Ende der letzten „Oliver Geißen“-Talkshow löschen. Mag sein, dass der Ausschnitt mit über dreieinhalb Minuten Länge nicht mehr wirklich als Zitat durchgeht. Aber für mich war das auch ein fernsehhistorisches Dokument — und ich würde wetten, dass RTL auch einen Ausschnitt von dreieinhalb Sekunden Länge nicht hingenommen hätte.

Komisch, davon hört man gar nichts, bei all dem Gejammer der Sender über den massenhaften „Diebstahl“ ihrer Inhalte: dass sie längst sehr effektiv und rücksichtslos jeden fremden Gebrauch ihres Materials auf den Videoplattformen verhindern, auch den legalen.

Für das Fernsehblog der FAZ habe ich vor ein paar Wochen ein Video angefertigt und (auf einem anderen YouTube-Account) hochgeladen, das demonstriert, um welchen winzigen Ausschnitt RTL eine Folge von „Deutschland sucht den Superstar“ für die Nachmittagswiederholung gekürzt hatte. Der Sender hatte behauptet, von den Jugendschützern der Landesmedienanstalten für eine Szene kritisiert worden zu sein, die am Nachmittag gar nicht zu sehen war — eine Lüge. In dem einminütigen Ausschnitt war zu sehen, dass all das, was die KJM gerügt hatte, auch in der kürzeren Version vorkam.

Nun ist es gar nicht leicht, Videos, die in irgendeiner Form Inhalte von „DSDS“ enthalten, überhaupt bei YouTube hochzuladen. Durch eine clevere Technik werden sie sofort als RTL-Inhalte identifiziert. Ich musste ausdrücklich bestätigen, dass und warum ich der Meinung bin, sie trotzdem veröffentlichen zu dürfen, und eine „Erklärung in gutem Glauben“ unterzeichnen. Das tat ich — und trotzdem blieb das Video nicht lange online. YouTube teilte mir nach ein paar Stunden mit, RTL habe mein Video „geprüft“ und seine „Ansprüche auf den gesamten Content oder Teile davon erneut bestätigt“. Mein Video sei „folglich weltweit gesperrt“.

Beim deutschen YouTube-Möchtegern-Konkurrenten Sevenload ist alles noch schlimmer. Hier hatte ich das Video hochgeladen, nachdem YouTube es gelöscht hatte. Hier musste RTL nicht einmal einschreiten — Sevenload sperrte es von sich aus. Bei Sevenload bekam ich auch keinen Hinweis per Mail, sondern musste mich einloggen, um die vage klingende und offenbar hastig formulierte Nachricht zu finden:

Hallo fernsehblog,
dein Bild/Video ‚Jugendschutz bei DSDS‘ wurde gesperrt, weil sie gegen unsere Richtlinien (Nutzungsbedingungen) verstößt. Aus diesem Grund ist diese Datei nur noch für dich sichtbar. Falls es sich um ein Missverständnis handelt oder du fragen hast, kontaktiere bitte unseren Support.
%suporterName [sic!]

Der Support ließ sich nicht überzeugen, dass die Verwendung der nachbearbeiteten RTL-Inhalte durch das Zitatrecht gedeckt sein könnte. Sevenload hat sich auch bei den Videos, mit denen das Forum call-in-tv.net die frappierenden Merkwürdigkeiten in den Abläufen von Call-TV-Sendungen dokumentiert, als dafür untaugliche Plattform erwiesen. Ein bizarrer Versuch von Sevenload vor eineinhalb Jahren, sich unter der Marke „watchblog-tv“ als unwahrscheinlicher Kämpfer für kritischen Medienjournalismus zu etablieren, verendete nach wenigen Tagen, sobald das PR-Geklingel vorbei war.

Video-Portale wie YouTube haben es Unbefugten viel leichter gemacht, das Material der Sender zu verbreiten. Aber sie haben es den Sendern auch viel leichter gemacht, die Verbreitung ihres Materials zu kontrollieren und zu unterbinden. Und es reicht offenbar, dass ein Sender behauptet, dass ein Verstoß gegen das Urheberrecht vorliege, um ein Video sperren zu lassen.

Ich versuche schon seit längerer Zeit, eine allgemeine Aussage von RTL zu bekommen, welchen Bedingungen ein Video genügen müsste, das sich mit dem RTL-Programm auseinandersetzt und den Gegenstand auch dokumentiert, um nach dem Verständnis des Senders zulässig zu sein und nicht von den Videoplattformen gelöscht zu werden. Eine wirkliche Antwort habe ich nie bekommen. Vermutlich hat der Sender gar kein Interesse, sie zu formulieren. Da sitzen irgendwo vermutlich Studenten oder Praktikanten, die routinemäßig die Videoplattformen abgrasen und alles löschen lassen, wo das RTL-Logo in der Ecke klebt. Dass das deutsches Urheberrecht keineswegs jede Verwendung und Weiterverarbeitung von RTL-Inhalten ausschließt, wird dem Sender egal sein. Zum Zitatrecht hat er ohnehin ein gespaltenes Verhältnis.

Wer keine Möglichkeit hat, ein Video auf einem eigenen Server zu veröffentlichen, dem bleibt mit etwas Glück ein Trick: Bei ihren eigenen Plattformen „Clipfish“ (RTL) und „MyVideo“ (ProSieben) nehmen es die Sender nicht so genau mit ihrem Urheberrecht. Es ist natürlich ein bisschen gewöhnungsbedürftig, sich ausgerechnet in die bunte Trashhölle eines Angebotes wie „Clipfish“ zu begeben. Aber das Video von dem RTL-Debakel in Winnenden, das der Sender vergessen machen wollte und überall sonst löschen ließ, lebt dort schon seit einem Dreivierteljahr unbehelligt vor sich hin.

Zwerge

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Als sich die UN-Menschenrechtskommission 2002 mit dem kommerziellen Zwergenweitwurf beschäftigte, ging es formal nicht um die Frage, ob diese Praxis gegen die Menschenwürde verstößt. Im Gegenteil: Es ging darum, ob durch ein Verbot des Zwergenweitwurfs in Frankreich kleine Menschen diskriminiert werden. Geklagt hatte einer kleiner Stuntman, der sich professionell in Bars und Clubs als Wurfgeschoss anbot und sich durch das Gesetz entmündigt sah: Als ob kleine Menschen nicht selbst entscheiden könnten, was sie mit sich machen lassen.

Das würde RTL gefallen. Ist es nicht auch ein Menschenrecht, sich von dem Schlager- und Fäkalienproduzenten Dieter Bohlen vor einem Millionenpublikum demütigen lassen zu dürfen? Es wird ja niemand gezwungen, sich bei „Deutschland sucht den Superstar“ zu bewerben oder den damit verbundenen Vertrag zu unterschreiben, der es den Fernsehleuten erlaubt, ungefähr alles mit den Aufnahmen anzustellen. Und nach all den Jahren könnte man wissen, wie in dieser Show mit Menschen und ihren Schwächen umgegangen wird.

Aber zum Zwergenwerfen gehören zwei: Einer, der sich werfen lässt. Und einer, der werfen will. Das muss man auch erst einmal wollen: Einen verstörten jungen Kandidaten vor der Kamera Liegestütze machen lassen, damit man hinterher Sex-Geräusche darunter legen und sein Schwärmen für Jurorin Nina Eichinger veralbern kann. Auf jedem Missgeschick, jeden körperlichen Makel eines Bewerbers herumreiten und seine Selbstüberschätzung, seine Naivität, seine Erfolgssucht ausnutzen. Einen Dieter Bohlen mit seinem asozialen Verhalten zum bewunderten Vorbild aufbauen.

Die Diskussion um „DSDS“ wird von RTL erfolgreich auf die Frage reduziert, ob man so mit Menschen umgehen darf. Verdrängt wird dadurch die Frage, ob man so mit Menschen umgehen muss. Ob für die Mitarbeiter des Senders und der sich selbst für besonders verantwortungsvoll haltenden Produktionsfirma Grundy nicht auch Grenzen gelten könnten, die durch eigene Verantwortung bestimmt und nicht durch Gesetze vorgegeben sind. Bezeichnenderweise wird die „Es wird ja niemand gezwungen“-Formel nie auf die Fernsehmacher angewandt: Es wird ja niemand gezwungen, jemanden bloßzustellen, nur weil der sich bloßstellen lässt.

Die Uno hat die Beschwerde des kleinen Stuntman übrigens abgelehnt.

Der Urin-Fleck & Frau Schäferkordts Busen

Da ist also einem Kandidaten bei „Deutschland sucht den Superstar“ ein Missgeschick passiert. Als er vor der Jury stand, hatte er einen Urin-Fleck auf der Hose. Dieter Bohlen zeigte mit dem Finger auf ihn und machte sich lustig, dass er sich „in die Hose gepisst“ hätte. RTL bearbeitete die Szene so nach, dass die peinliche Situation noch peinlicher wirkte und die Bloßstellung des 18-Jährigen maximal war, und verwendete dafür auch Sätze Bohlens, die auf einen ganz anderen Kandidaten gemünzt waren. Das hauseigene Videoportal „Clipfish“ zeigte den Ausschnitt unter dem vollen Namen des Möchtegern-Superstars und der Beschreibung als „Pipi-Kandidat“ (inzwischen geändert).

Der Sender meint nicht, dass er den Kandidaten hätte schützen müssen und die Szene weglassen sollen. „Wir zeigen, was beim Casting passiert. Wenn sich ein Kandidat mit nasser Hose vor die Jury stellt, darf er sich nicht wundern, wenn er darauf angesprochen wird“, zitiert der Branchendienst „Meedia“ RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer. „Wir sind jetzt in der siebten Staffel von DSDS. Wer sich bewirbt, sollte wissen, wie die Sendung abläuft.“

· · ·

Vor gut zwei Jahren ist RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt ein Missgeschick passiert. Nichts, was auch nur annähernd so peinlich gewesen wäre, aber sie hatte sich als Gastgeberin des Deutschen Fernsehpreises 2007 ein Kleid ausgesucht, das ihrem Dekolleté eine vermutlich eher nicht beabsichtigte Form gab, was auffiel, wenn die Kameras sie wieder einmal im Publikum einfingen. Ich habe mir die Übertragung der Sendung auf RTL angesehen und live darüber gebloggt, und als eine Kommentatorin auf den unglücklich gepressten Busen hinwies, griff ich das auf und band zur Illustration auch einen Screenshot von der Szene ein, nichts Dramatisches, wie gesagt, nur eine etwas unvorteilhafte Situation.

Christian Körner, der Pressesprecher des Senders, war darüber nicht glücklich. Er rief mich an, bat freundlich darum, das Bild zu entfernen, betonte aber, dass es auch juristische Folgen haben könne, wenn ich es nicht täte. Ich erfüllte seinen Wunsch und ersetzte den Screenshot durch einen entsprechenden Hinweis.

Als ich in der vergangenen Woche las, warum RTL es für richtig hält, das Missgeschick eines Kandidaten groß auszustellen, habe ich meine Entscheidung bereut.

Wusste Frau Schäferkordt damals etwa nicht, dass der „Deutsche Fernsehpreis“ im Fernsehen ausgestrahlt wird? Gilt für Frau Schäferkordt nicht: Wenn sich jemand mit einem unglücklich sitzenden Kleid bei einer eigenen öffentlichen Veranstaltung zeigt, darf sie sich nicht wundern, wenn andere Leute das kommentieren? Aus welchem Grund muss man Frau Schäferkordt mit einer sehr viel harmloseren Panne schützen („vor sich selbst“, wie es immer so schön heißt), einen jungen „DSDS“-Kandidaten aber nicht? Wie kann jemand, der eine Sendung wie „DSDS“ verantwortet, einen besonderen Schutz vor öffentlicher Zuschauerstellung für sich in Anspruch nehmen?

Das fragte ich mich. Und die Presseleute von RTL.

Christian Körner antwortete mir, er finde den Zusammenhang „konstruiert“. Ihm sei schleierhaft, warum ich „einzelne Casting-Auftritte einer Sendung mit der Garderobe der Geschäftsführerin der Sendergruppe/des Senders in unmittelbare Verbindung“ bringe. Es sei — auch juristisch — ein Unterschied, ob man zu einem TV-Casting gehe, „das wenig überraschend auch im TV gezeigt wird“, oder „ein Gast von vielen einer Veranstaltung im Publikum, dem vielleicht mal was verrutscht“. Er fügte hinzu: „Auch die Empörung kann ich nur bedingt nachvollziehen, weil Sie — anders als andere — vorzugsweise davon ausgehen, dass die Menschen, die zB zu einem Casting kommen, vor sich selbst und der Welt geschützt werden müssen.“

Nun wies ich darauf hin, dass Frau Schäferkordt keineswegs Gast, sondern Gastgeberin war, und fügte hinzu, dass ich — anders als er mir unterstellte — gar nicht wisse, ob die Menschen vor sich selbst und der Welt geschützt werden müssen. Ich fragte mich nur, warum Frau Schäferkordt nicht selbst aushalten muss, was sie anderen zumutet.

Es kam darauf keine wirkliche Antwort. Nur, dass die Geschäftsführerin ja „in der Regel nicht persönlich die Sendung schneidet“. Und ich doch machen solle, was ich wolle, denn: „Empörung rund um DSDS kommt sicher nicht nur in Ihrer Redaktion oder Ihrem Blog gut an — und der Beifall ist Ihnen sicher.“

Aber meine Frage ist unbeantwortet: Warum stellen die RTL-Leute andere Menschen auf eine Art und Weise bloß, die sie bei sich selbst schon in viel harmloserer Form unerträglich finden?