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stern.de: Anatomie einer Attrappe

Auf den ersten Blick ist es leicht, stern.de mit dem hochwertigen journalistischen Angebot zu verwechseln, als das es sich ausgibt. Auf der Startseite verbinden Fotos aktuelle Themen zu großen Blöcken; im Inneren sprudeln rund um die Uhr die Nachrichten.

Der Verlag Gruner+Jahr nennt stern.de „eine Art ‚Antwortmaschine‘ von Menschen für Menschen. Alle Nachrichten werden auf ihre Bedeutung für den User fokussiert und mit weiterführenden multimedialen Inhalten verlinkt“. Der Werbevermarkter ems schreibt, stern.de richte sich „an alle, die aktuelle Themen nicht nur wissen, sondern deren Bedeutung für ihr Leben verstehen wollen“. Chefredakteur Frank Thomsen zählt seine Seite zur „Spitzengruppe“ der „News-Websites“.

Nun.

367 Artikel hat stern.de gestern veröffentlicht. Knapp 300 davon sind Agenturmeldungen, die vollautomatisch in den „Nachrichtenticker“ von stern.de einfließen. Es verbleiben 76 Artikel (Übersicht).

Davon sind:

  • 33 Text-Meldungen von Nachrichtenagenturen
  • 23 Videos der Nachrichtenagentur Reuters
  • 4 Promotion-Artikel für „Stern-TV“
  • 3 Übernahmen aus anderen Medien (RTL, „Finanztest“, FTD)
  • 5 Bilder-Galerien

Es verbleiben:

  • 8 Eigenberichte

Die mehr oder weniger eigenen Berichte sind:

Davon müsste man jetzt, streng genommen, noch den Artikel über die neuen Gepäckregeln bei der Lufthansa abziehen, der vor allem aus der — teils wörtlichen — Übernahme einer Lufthansa-Pressemitteilung besteht.

Die eigene journalistische Leistung von stern.de bestand gestern also im Wesentlichen aus einem Videointerview mit den Söhnen Mannheims, einem Stück über die Bundeswehrreform und einem Artikel über Kritik an Vogelruf-Apps.

Nun steckt natürlich auch in den Agenturmeldungen, die stern.de nicht bloß in den Nachrichtenticker fließen lässt, Arbeit. Die Redaktion redigiert oder kürzt sie, baut Links zu eigenen Seiten und Quellen ein und denkt sich gelegentlich originelle Überschriften aus. Die Meldung, dass sich Xavier Naidoo keinen Stadtplan auf seinen Rücken tätowieren lassen will, betitelt sie: „Xavier Naidoo: Ein Stadtplan auf dem Rücken“.

Das war an einem zufälligen Tag (gestern) das Internetangebot des „Stern“: Knapp sieben eigene Artikel und fünf Bildergalerien, angereichert mit Hunderten von Agenturen eingekauften Meldungen, die exakt oder annähernd wortgleich überall sonst stehen.

Das Online-Angebot des „Stern“ hat sich in den vergangenen Jahren von einem großen Teil seiner Mitarbeiter und ungefähr jedem inhaltlichen Anspruch verabschiedet. Als nicht mehr genug Leute da waren, um damit die acht Textressorts zu füllen, löste man die Ressorts auf. Unter den Namen „Projekt Blau“ wurde das zur strategischen Entscheidung verbrämt. Seitdem gibt es nur noch die Ressorts Nachrichten und Wissen — sowie anscheinend eine Stabsstelle, die sich überraschend Formulierungen über die Arbeitsweise der Redaktion ausdenkt, die weitestmöglich von der Realität entfernt sind. So sagte Frank Thomsen im vergangenen Jahr im Braanchendienst „Meedia“:

Wir wollen künftig mutiger auswählen, entschiedener im Umgang mit den News sein. Wir werden uns redaktionell auf die Topthemen konzentrieren und dazu mehr und vertiefende Inhalte anbieten. (…) Der Grundgedanke lautet: mehr in die Tiefe als in die Breite denken und lieber am Rand etwas weglassen. Austauschbare Nachrichten gibt es genug. (…) Wir setzen auf die großen Themen, hier wollen wir Fachkompetenzen bündeln.

Das wäre eigentlich ein treffender Werbeslogan für stern.de: „Austauschbare Nachrichten gibt es genug, und bei uns stehen sie alle!“

Dass auf stern.de praktisch keine wertvollen Inhalte stehen, ist kein Versehen, sondern Absicht. Beim „Stern“ ist man überzeugt, dass das das Schlimmste wäre, das man tun könnte: Dinge mit Wert für den Nutzer kostenlos abgeben. Deshalb finden sich praktisch keine Inhalte aus der Zeitschrift auf stern.de. Und deshalb lassen sich die meisten „Stern“-Redakteure auch nicht dazu herab, für stern.de zu schreiben.

Erstaunlicherweise nennt stern.de-Chefredakteur Frank Thomsen sein Angebot dennoch ein „modernes journalistisches Angebot, das u.a. junge Zielgruppen an die Marke stern bindet und das Geld verdienen soll“. Woher Menschen, die Medien eher im Internet als auf Papier konsumieren, ahnen sollen, dass es sich beim „Stern“ nicht um eine Illustrierte handelt, in der eine Agenturmeldung an die andere gereiht wird, bleibt bei diesem Vorgehen, das man nicht einmal euphemistsich „Strategie“ nennen möchte, natürlich offen.

Das Online-Angebot des „Stern“ ist die Antwort des Verlags Gruner+Jahr auf die Frage: Was machen wir im Internet, wenn wir nichts im Internet machen wollen? Es ist der Versuch, mit überwiegend eingekauftem Allerweltsmaterial durch geschickte Verpackung ein eigenständiges Medium zu simulieren. Relevanz ist dabei verzichtbar, solange die Reichweite stimmt.

Und tatsächlich steigen gerade die Besucherzahlen von stern.de. Es ist der Rumpfproduktion offenbar gelungen, ihren aufgemotzten Agenturticker so zu präsentieren, dass er von Google und vielen Lesern tatsächlich versehentlich für ein eigenständiges journalistisches Angebot gehalten wird. Man muss sie für diesen Erfolg bemitleiden.

Nachtrag / Korrektur 18:35 Uhr. Ich hatte einen Artikel übersehen. Eine ganz exakte Zählung ist allerdings auch deshalb schwierig, weil stern.de das Veröffentlichungsdatum teilweise nachträglich zu ändern scheint.

Observationen am offenen Herzen

Manches ethische Dilemma löst sich in der praktischen journalistischen Arbeit wie von selbst. Als der „Stern“ im Juni vergangenen Jahres die über 200 Opfer des abgestürzten Airbus 447 im Bild zeigte, konnte das Blatt nach den Worten von Chefredakteur Andreas Petzold schon deshalb nicht die Genehmigung von Angehörigen oder Urhebern einholen, weil die Zeit dafür bis zum Redaktionsschluss viel zu knapp war. Und zeigen musste der „Stern“ die ganzen Opfer im Bild, weil er seinen Lesern laut Petzold nur so das ganze Ausmaß der Tragödie deutlich machen konnte.

Es ist vermutlich ein Fortschritt, dass der „Stern“-Chefredakteur sich überhaupt zu solchen Themen äußert. Im Zusammenhang mit dem Amoklauf von Winnenden hatte das Magazin Fragen nach der Herkunft der gezeigten Opferbilder und dem Einverständnis der Angehörigen noch mit dem Hinweis abgebügelt: „Zu Redaktions-Interna erteilen wir keine Auskunft.“

Aber seit der „Stern“ im Frühjahr berichtet hat, mit welchen Methoden eine Agentur für die „Bunte“ das Privatleben von Politikern ausgespäht hat, ist das Magazin in der unwahrscheinlichen Rolle des Verteidigers journalistischer Standards. Und so ritt Petzold auf einem sehr hohen Ross in eine Diskussion über „Grenzen der Recherche im People-Journalismus — Anforderungen an eine ‚lautere‘ Recherche“, zu der der Deutsche Presserat am Mittwoch in Berlin geladen hatte.

Es war ein Gipfel der Heuchler.

Patricia Riekel erklärte noch einmal, warum es ein öffentliches Interesse daran gegeben habe, Franz Müntefering auszuspionieren. (Das Wort „ausspionieren“, das Petzold benutzt hatte, verbat sich Riekel empört. Sie hätten „recherchiert“.) Dass der SPD-Politiker mit einer vierzig Jahre jüngeren Frau zusammen sei, mache „veränderte Akzeptanzen über Partnerschaften deutlich“, das seien Fragen, die „gesellschaftspolitisch relevant“ seien. Außerdem erinnerte sie daran, dass Müntefering sich zuvor aus der Politik zurückgezogen hatte, um seine schwer kranke Frau zu pflegen. „Wenn ein Spitzenpolitiker mit einer so emotionalen Entscheidung an die Öffentlichkeit geht, öffnet er auch sein Herz, und das Publikum schaut hinein“, sagte Riekel. „Und dieses Interesse bleibt bestehen.“

Riekel forderte zu unterscheiden zwischen dem, was man recherchieren darf, und dem, was man veröffentlich darf. Sie betonte, dass die „Bunte“ die bereits vorher ausgekundschaftete Beziehung von Müntefering erst öffentlich gemacht habe, als er selbst mit der Frau öffentlich aufgetreten sei. „Es darf keine Vorzensur geben, wenn einer Redaktion ein Verdacht oder ein Gerücht bekannt wird.“

Die Richtlinien zur Ziffer 4 des Pressekodex, auf die sich Riekel berief, erlaubt die „verdeckte Recherche“ nur im Einzelfall, „wenn damit Informationen von besonderem öffentlichen Interesse beschafft werden, die auf andere Weise nicht zugänglich sind“. Aber was sind Informationen von besonderem öffentlichen Interesse? Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“ nannte als Beispiel das Thema Tiertransporte, bei dem anders als durch Undercover-Recherche die wichtigen Informationen nicht beschafft werden könnten. Riekel erwiderte, sie persönlich interessiere sich auch sehr für Tiertransporte, „aber es gibt Menschen, die interessieren sich nun mal für andere Menschen. Das sei eine Frage des Standpunktes.“

Sie blieb dabei: Eine „Vorrecherche“ bei Gerüchten müsse in jedem Fall möglich sein. (Auf spätere Nachfrage stellte sich heraus, dass sich eine „Vorrecherche“ von einer „Recherche“ dadurch unterscheidet, dass sie bei der „Bunten“ so genannt wird.)

Nicolaus Fest aus der „Bild“-Chefredaktion überraschte Riekel und Publikum mit der Aussage, sein Blatt wäre Müntefering nicht wegen seiner neuen Liebe nachgestiegen. „Ich weiß nicht, was die politische Dimension dieser Geschichte sein soll. Es gab keine Protektion, es ist reine Privatsache.“ Die Rede kam auch auf den Fall des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer: Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass es erlaubt war, seine Verhältnis zu einer Freundin, die auch ein Kind von ihm erwartete, öffentlich zu machen, weil Seehofer mit seinem intakten Familienleben Wahlkampf gemacht hatte und der Lebenswandel den Ansprüchen einer christlichen Partei widersprach. „Würden wir das auch bei einem Politiker machen, der freie Liebe propagiert“, fragte Fest und antwortete mit Nein.

Ein besonders bizarrer Nebenstrang der Diskussion beschäftigte sich mit freien Mitarbeitern. Die Diskussion um die Frage, welche Grenzen bei der Recherche des Privatlebens von Politikern im Auftrag von „Bunte“ überschritten wurden, wird nämlich dadurch erschwert, dass die Illustrierte die Recherche (oder, wie sie sagen würde: „Vorrecherche“) an eine dubiose Agentur outgesourct hatte. Deshalb ist umstritten: Was die „Bunte“ genau gewusst hat über das Vorgehen der Agenturleute, inwieweit sie dafür verantwortlich ist, aber auch, inwiefern schon die Auslagerung der Recherche ein Problem ist.

Riekel betonte, auf Outsourcing könne heute generell nicht verzichtet werden, aber die Freien müssten sorgfältig ausgesucht und kontrolliert werden. Die „Bunte“ erarbeite gerade eine Art Verhaltenskodex, in dem sich die Freien zu „korrekten Recherchemethoden“ verpflichten. Riekel hielt schon in ihrem Einführungsstatement ein ebenso flammendes wie rätselhaftes Plädoyer für die „30.000 Freelancer“, die „nicht besser oder schlechter“ arbeiteten als festangestellte Journalisten. „Der Status entscheidet nicht über die Qualität eines Journalisten“.

Beim „Stern“ sieht man das anders. „Das Kerngeschäft darf man nicht outsourcen“, forderte Petzold. In Bezug auf investigative Recherchen sagte er: „Jeder freie Mitarbeiter, den ich beschäftige, erhöht das Risiko.“

Nicolaus Fest hatte in der Diskussion neben Riekel und Petzold lange Zeit fast vernünftig und seriös gewirkt (er wies Petzold darauf hin, dass Freie vor allem bei Spezialthemen oft über Kontakte verfügten, die die Redaktion nicht habe, und formulierte in Bezug auf Recherchemethoden: „Der Zweck heiligt das Mittel, aber der Zweck muss stimmen“). Sein seinem Wesen eher entsprechende Einsatz kam erst, als es um Nicht-Prominente ging, um Menschen, deren Fotos Medien veröffentlichen, weil sie Opfer von Unglücken oder Verbrechen geworden sind. Zur „Love Parade“ sagte er: „Die Leute, die dahin gingen, sind zu einem hohen Teil von Exhibitionismus oder Voyeurismus getrieben.“ Er verstehe nicht das „merkwürdige Missverhältnis“, dass Menschen, die kein Problem haben, fotografiert zu werden, wenn sie dort ihre Brüste entblößen, andererseits nicht gezeigt werden wollen, wenn der Anlass ein „journalistischer“ ist, weil sie nämlich zum Opfer des Unglücks wurden. Er beklagte hier eine „Instrumentalisierung des Persönlichkeitsrechtes wie bei Prominenten“: Man sei mit der Veröffentlichung von Fotos einverstanden, „solange es schöne Fotos sind“.

Den Leitfaden, den der Presserat gerade zur Berichterstattung über Amokläufe vorgelegt hat [pdf], nannte Fest „außerordentlich problematisch“. Er stößt sich schon am ersten Satz in der ersten Empfehlung, wonach die Redaktion „sorgfältig zwischen dem öffentlichen Interesse an dem Geschehen und den Persönlichkeitsrechten des Täters abwägen“ müsse. Fest hält eine solche Abwägung für absurd: Der Amoklauf bringe ein öffentliches Interesse mit sich wie kein anderes Verbrechen. Über den Täter soll man teilweise nur anonymisiert berichten dürfen, auf die Nennung von persönlichen Details über die Opfer soll ganz verzichtet werden: „Das ist ein massiver Eingriff in das Berichterstattungsrecht“, sagte Fest.

Bei allen Meinungsunteschieden — die Argumentationsmuster von Riekel, Fest und Petzold ähnelten sich frappierend: Wenn ihre spezielle Form der Sensationsberichterstattung nicht erlaubt sei, könne man gar nicht berichten und der Journalismus sei insgesamt bedroht. Natürlich konnte sich auch keiner von ihnen zu einem klaren Bekenntnis dazu durchringen, auf die ungenehmigte Verwendung von Privatfotos aus sozialen Netzwerken zu verzichten. Nach zwei Stunden Diskussion blieb der Eindruck: Journalistische Ethik ist für sie nicht mehr als der nachträgliche Versuch, Entscheidungen zu rechtfertigen, die man unter dem Druck von Zeit und Konkurrenz und nach dem Kalkül der Steigerung von Auflage und Aufmerksamkeit trifft.

Zum Glück war dann da aber noch Jürgen Christ, ein freier Fotograf aus Köln und ein Mann, dem Sonntagsreden fremd zu sein scheinen. Er achte „peinlich genau“ darauf, die Gesetze einzuhalten — „aber nur aus praktischen Gründen“, um keinen Ärger mit der Justiz zu bekommen. „Jemandem mit dem Auto zu verfolgen, ist doch nichts verwerfliches“, sagte er, und auch am Anmieten einer gegenüberliegenden Wohnung zur Observation konnte er nichts verwerfliches finden — ob der Pressekodex solche „verdeckte Recherche“ nun in der Regel untersagt oder nicht. Dass die Beschatter von Müntefering einen Bewegungsmelder in die Fußmatte einbauen wollten, fände er hingegen „nicht gut“: Es gebe doch praktische Kameras mit Bewegungsmelder!

Fröhlich erzählte er, wie er versucht hatte, ein Foto von dem Chefs eines Spendenvereins mit dessen Luxuswagen zu bekommen. Als tagelanges Observieren nicht half, bat er einen Taxifahrer, ganz dicht am Wagen vorbeizufahren, dann an der Tür zu klingeln und zu sagen, er habe da vielleicht eine Schramme verursacht. Der Mann hat zwar nur seinen Assistenten nach unten geschickt. Aber er hat aus dem Fenster geguckt, und Christ hatte sein Foto.

„Für wen arbeiten Sie so“, fragte Patricia Riekel ihn und kannte die Antwort natürlich. „‚Spiegel‘, ‚Focus‘, ‚Stern‘, ‚Bunte’…“

Der „Stern“ färbt ab

Ich les den „Stern“ ohnehin eigentlich nur im Urlaub, kann aber auch das insbesondere bei schweißtreibenden Flugreisen nur sehr bedingt empfehlen.

Kurz verlinkt (48)

(…) Ich bin der Sohn eines Griechen, der während der Militärdiktatur nach Deutschland emigriert ist, und nach dem Ende der Junta in den griechischen Staatsdienst gegangen ist, weil er gelernt hat, dass Demokratie etwas ist, das man sich jeden Tag erarbeiten muss. Und ich habe in meinem ganzen Leben noch nie einen Menschen getroffen, der auch nur annähernd so viel arbeitet wie mein Vater. Heute liest er offene Briefe in der Bild-Zeitung, im Stern und wo nicht noch alles, in denen Journalisten Deutschland zur reichen Tante fantasieren, die jetzt aber streng mit ihrem frechen Neffen sein muss, weil der so unverantwortlich mit ihrem Geld herumwirft. Ich bin selbst Journalist und ich schäme mich, wenn ich daran denke, dass mein Vater das liest. (…)

Ich kann die Verachtung nicht in Worte fassen, die ich für die Kollegen mit ihren offenen Briefen empfinde, die sich ohne jede Recherche einen demütigenden Witz nach dem anderen aus den Fingern gesaugt haben, die sehenden Auges Vorurteile bis hin zum rassistischen Hass geschürt haben und die dabei nichts erreicht haben als den Zockern in den entsprechenden Investmentbanken noch ein bisschen in die Hände zu spielen. (…)

Bitte lesen Sie diesen Text von Michalis Pantelouris.

Es schnüffelt

Nur einige winzige Anmerkungen zur aktuellen Schlammschlacht zwischen „Stern“ und „Bunte“. Die Hamburger Illustrierte wirft der Münchner Illustrierten bekanntlich vor, dass sie das Privatleben von Politikern von einer Agentur mit angeschlossener Detektei systematisch und mit unlauteren Methoden ausspähen ließ. Der Burda-Verlag und die „Bunte“ reagieren darauf mit wüstem Geschrei, Klageandrohungen, einigen offenkundigen Quatschargumenten, schönen Leersätzen („Investigativer Journalismus … wird auch von allen nationalen und internationalen Publikationen betrieben“) und dem wiederholt geäußerten, vermutlich vernichtend gemeinten Hinweis, der „Stern“-Bericht über die „Bunte“ sei bloß der „Angriff auf einen erfolgreichen Mitbewerber, der zuletzt den Stern im Einzelverkauf am Kiosk überholt hat“.

Das ist ebenso kindergartenhaft wie perfide: „Bunte“-Chefredakteurin Patricia Riekel unterstellt also ungefähr, dass es beim „Stern“ eine Krisensitzung gab, in der die Verantwortlichen überlegten, was sie tun könnten, damit sie beim Kioskverkauf in Zukunft nicht mehr von der „Bunten“ überholt werden, und beschlossen, es mit einer großen Lügengeschichte über die Konkurrenz zu versuchen. Der Vorwurf wirkt gleichzeitig wie eine geschickt in die Berichterstattung geschmuggelte Werbebotschaft nach dem Motto: Ach, übrigens, wir haben den „Stern“ ein bisschen überholt.

Bevor man ein Urteil darüber abgibt, wie plausibel der „Bunte“-Vorwurf ist, sollte man sich vielleicht diese Kurve ansehen:

Die „Bunte“ hat am Kiosk nicht jetzt plötzlich oder gar zum ersten Mal den „Stern“ überholt. Die beiden Illustrierten liegen seit Jahren in dieser Kategorie ungefähr gleichauf. Beim „Stern“ sinkt dieser Teil der Auflage etwas schneller als bei der „Bunten“. Aber die „Bunte“ lag immer mal wieder vor dem „Stern“.

Aber jetzt, auf einmal, hat es dem „Stern“ gereicht und er hat deshalb eine vernichtende Geschichte über die Konkurrenz in Auftrag gegeben?

PS: Weiß eigentlich jemand, ob nur „Spitzenpolitiker“ „Vorbildfunktion“ haben, wie die „Bunte“ heuchelt, und deshalb auf Privatsphäre verzichten müssen? Oder sind Chefredakteure vielleicht auch „Leitfiguren unseres Wertesystems“, deren „privates Verhalten daher Auswirkungen auf die Moral der Gesellschaft“ hat? Wenn ja, könnte sich bitte jemand opfern und Details des Liebeslebens von Frau Riekel mit ((oder ohne, was weiß ich)) Herrn Markwort recherchieren, damit sich unsere Moral dann entsprechend darauf einstellen kann? Vielen Dank.

PPS: Was genau ist die Logik hinter der Entscheidung des „Stern“, in dem Artikel, der die Verletzung der Privatsphäre der Politiker anprangert, selbst detalliert deren Adressen und Wohnungsnummern anzugeben, die von den Detektiven erschnüffelt wurden?

Nachtrag, 15:20 Uhr. Der „Stern“ weist mich darauf hin, dass die genannten Adressen der Politiker allesamt alt und nicht mehr aktuell seien. Ich weiß trotzdem nicht, warum man das in dieser Detailfreude dokumentiert.

Kurz verlinkt (46)

In der ersten Ausgabe des Stern hat Chefredakteur Thomas Osterkorn sein „Unwort des Jahres“ bekannt gegeben: „sparen“. „Wenn Manager vom Sparen reden“, schreibt Osterkorn, „dann meinen sie meistens: die Kosten für Mensch und Material brutal zu senken, um trotz der Krise die Rendite möglichst hoch zu halten.“ Genau so hatte ich es verstanden, als der Stern letztes Jahr dem Großteil seiner Pauschalisten kündigte oder die Redakteure die Order erhielten, keine Freien mehr zu beschäftigen, um als monetäre Melkkuh auch weiterhin ein paar hundert Millionen an Bertelsmann abführen zu können. Aber getäuscht? Das waren gar keine Sparmaßnahmen? Das waren … ähm … ja … also … Oder ist Osterkorn unter die Aufmucker gegangen? Nein, lässt er auf Nachfrage verlauten, „das ist keine versteckte Kritik an Gruner + Jahr“. Das ist Kritik am Umgang mit dem Wort „sparen“.

Silke Burmester in ihrer Medienfront-Kolumne in der „taz“ (in der es nebenbei auch um Konstantin Neven DuMont geht).

18 Prozent

Es scheint einen breiten Konsens unter Journalisten zu geben, dass die 18 Prozent, die Horst Schlämmer angeblich bekommen würde, wenn er bei den Bundestagswahlen anträte, ein Armutszeugnis für die Politik seien. Dass die ganze Geschichte ein Armutszeugnis für ihren eigenen Berufsstand sein könnte, darauf kommen sie nicht.

Ausgangspunkt des Ganzen ist eine Forsa-Umfrage, die der „Stern“ in Auftrag gegeben hat, dessen Online-Ableger sie am vergangenen Mittwoch so zusammenfasste:

In einer Umfrage für den stern bejahten 18 Prozent der Bundesbürger die Frage, ob sie sich vorstellen können, die „Horst-Schlämmer-Partei“ zu wählen.

Nun könnte man sich fragen, ob das so spektakulär ist. Ich zum Beispiel, ich würde jetzt bei der Bundestagswahl die Horst-Schlämmer-Partei nicht wählen. Das hat die Horst-Schlämmer-Partei mit der FDP gemein, die ich auch nicht wählen würde. Grundsätzlich könnte ich mir aber vorstellen, die FDP zu wählen. Kann ich mir vorstellen, die Horst-Schlämmer-Partei zu wählen? Naja, vermutlich nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dem Forsa-Mann, wenn er anruft und mir die lustige Frage in netter Form stellt, zu antworten, dass ich mir durchaus vorstellen könne, die Horst-Schlämmer-Partei zu wählen.

Hey, es ist eine Meinungsumfrage! Horst Schlämmer gibt es nicht, die Horst-Schlämmer-Partei gibt es nicht. Es ist absolut folgenlos, was ich sage. Warum soll ich da ein Spielverderber sein und sagen, dass ich es mir nicht einmal vorstellen könne, die zu wählen?

Vermutlich haben sie bei stern.de selbst gemerkt, dass die teure Umfrage nicht so atemberaubend ist, und ihr Ergebnis in der Überschrift gleich einmal verfälscht: „Fast jeder Fünfte würde Schlämmer wählen“.

Der Siegeszug dieser, äh, Nachricht begann, wie üblich, mit der Nachrichtenagentur dpa („Horst-Schlämmer-Partei genießt hohe Wählergunst“ und „Horst Schlämmer — alias Hape Kerkeling — hätte am 27. September eine durchaus realistische Chance, in den Deutschen Bundestag einzuziehen“) und setzte sich mit unterschiedlichen Graden der Verfälschung, der politischen Interpretation und des allgemeinen Wahnsinns fort.

Die Münchner Boulevardzeitung „tz“ gab ihr in einem Kommentar am nächsten Tag gleich mal die nötige Fallhöhe:

Wenn es nach CDU-Vizechef Christian Wulff geht, entscheidet nach der Wahl nicht die Kompetenz der Minister-Kandidaten, ebenso kein Wahlergebnis oder der entsprechende Wählerwillen. Aber wählen, ja das dürfen und sollen wir gnädigerweise doch noch — Arroganz und Abgehobenheit in Reinkultur.

Da verwundert es überhaupt nicht, wenn laut Forsa 18 Prozent der Deutschen lieber einen Spaßpolitiker wie Hape Kerkelings Horst Schlämmer zum Kanzler wählen würden. Denn bei so traurigen Realpolitikern wie Wulff hilft nur eines: Bitteres Lachen.

„Bild“ schrieb:

Horst Schlämmer fast so stark wie die SPD!

Die „Berliner Zeitung“ analysierte mit einer Ernsthaftigkeit, die an Ottos Versuch erinnert, den Schlager „Theo, wir vier fahr’n nach Lodz“ zu interpretieren:

„Ist das nun Zufall oder ebenfalls ein Spiegel der gegenwärtigen Verhältnisse, dass diese 18 Prozent vor ein paar Jahren das Wahlziel einer Partei gewesen sind, die damals unter ihrem Vorsitzenden Guido Westerwelle als Spaßpartei in den Wahlkampf zog und in diesem Jahr nach dem 27. September als FDP gemeinsam mit CDU/CSU die Bundesregierung zu stellen wünscht?“

Die „Berliner Zeitung“ nutzte auch die Gelegenheit, Kanzleramtschef Thomas de Maizière mit der Frage zu konfrontieren:

„Das Institut Forsa hat ermittelt, dass 18 Prozent die Schlämmer-Partei wählen würden, obwohl es die gar nicht gibt. Was sagt Ihnen das?“

Und die „Welt am Sonntag“ brachte in einem Interview mit der bayerischen FDP-Vorsitzenden Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Erkundigung unter:

Die Horst-Schlämmer-Partei würde laut Umfragen 18 Prozent schaffen, gibt Ihnen das zu denken?

Der „Focus“ witzelte:

Das Programm, das Steinmeier doch noch Kanzler werden ließe, hat sich leider ein Konkurrent gekrallt: Horst Schlämmer von der HSP. Und auch wenn die CDU zugleich konservativ, liberal und links daherkommen will: Die HSP hat diese Positionen längst als ihr Glaubensbekenntnis besetzt.

Katzen würden sonst was kaufen, können sie aber nicht. Und deutsche Wähler (18 Prozent laut Umfrage) würden Horst Schlämmer wählen.

dpa raunte:

Ein brisantes Ergebnis, fanden auch die Betroffenen am roten Teppich: Denn es waren gestern Abend auch echte Politiker zur Premiere gekommen.

Der Kölner „Express“ und der „Berliner Kurier“ sprachen von einer „Ohrfeige für CDU, SPD & Konsorten“ und verrechneten sich wie folgt:

Schlämmer wäre mit seiner HSP zurzeit drittstärkste Partei. Laut der neuesten Forsa-Umfrage liegt die Union bei 38% (+1), die SPD bei 21% (+1), die FDP bei 13 (-1), die Grünen bei 12% (-1) und die Linken gleichbleibend bei 11%.

Die „Badische Zeitung“ überraschte mit der Überschrift:

Vorsprung für Schwarz-Gelb — 18 Prozent für Horst Schlämmer

Der Berliner „Tagesspiegel“ gab sich besorgt:

Die HSP würde, träte sie denn zur Wahl an, auf Anhieb auf 18 Prozent in diesem Lande kommen. (…) 18 Prozent, das ist in etwa das derzeitige realistische Wahlziel der SPD. Damit zöge die HSP locker in den Bundestag ein, wäre mit ihrem breitgefächerten Profil ein interessanter Koalitionspartner: „konservativ, links, liberal, grün“. Aus dem Stand heraus. Mit nur einem einzigen Parteimitglied. Und der, die Kröte müsste Frau Merkel, müsste Herr Steinmeier schlucken, hat selbst Machtansprüche: „Isch kandidiere“, sagt er, und „Ja, isch will Bundeskanzler werden.“ (…)

Inhalte? Wer will noch Inhalte, Pläne, Ziele? 18 Prozent der Deutschen wollen das alles nicht, schauen nicht auf Parteiprogramme, bewerten keine Taten, wollen keinen Blick nach vorne, wollen offensichtlich überhaupt nichts, was gemeinhin Politik heißt. Wahrscheinlich, weil sie beliebig ist, so beliebig, dass auch die HSP fähig erscheint. Wie gut für die Parteien, dass die HSP nicht antritt, nur fiktiv ist und ein Scherz in einem Film. Real ist alleine der Umfragewert. Das alleine kann ein bisschen Angst machen.

Der „Spiegel“ kam immerhin darauf, dass man selbst mit im Boot sitzt:

Am Donnerstag schaffte es Kerkeling auf die Titelseite der „Hamburger Morgenpost“ mit der Schlagzeile, dass 18 Prozent Horst Schlämmer zum Bundeskanzler wählen würden. Das spricht nicht für die Politik, nicht für das Volk und nicht für einen Journalismus, der politischen Klamauk allzu gern zur großen Sache macht.

„Taxi Kasupke“, seinerseits eine Art Witzfigur der „Berliner Morgenpost“, balinerte:

Kanzla-Kandidat Steinmeier hätte statt Ulla Schmidt bessa Horst Schlämmer in sein Kompetenz-Team jeholt — der is glaubwürdijer.

Und die „Hamburger Morgenpost“ fragte (leider nur rhetorisch):

Kann es wirklich sein, dass jeder Fünfte eher einen fiktiven Politiker wählt als die existierenden? Ist das nicht eine Ohrfeige für die Politik?

Mein Lieblingstext aber ist der staatstragende Kommentar von Anne-Kattrin Palmer aus dem „Berliner Kurier“ mit der ebenso mahnenden wie falschen Überschrift: „Schlämmer ist kein Witz“:

Da wählen Menschen lieber eine Kultfigur, eine Scherz-Ikone als einen „echten“ Politiker.

Denn viele Menschen identifizieren sich mit ihm. Und zwar eher als mit unseren Politikern, weil unseren Parteien leider die herausragenden Persönlichkeiten ausgehen. Viele nehmen Politik nur noch als Gemisch, als Mittelmaß wahr.

Jetzt können Politiker sagen: Ach, das ist doch nur eine Scherz-Umfrage. Da ist doch nichts dran.

Irrtum: Der schräge Schlämmer begeistert nun mal. US-Präsident Barack Obama übrigens auch. Und der ist Politiker.

Und all die Kollegen, die dies und noch viel mehr aus einer schwachsinnigen Umfrage mit unspektakulärem Ergebnis gemacht haben: Sie glauben allen Ernstes, dass es die Politik ist, um die man sich Sorgen machen muss, und die Bürger, die irgendwie fehlgeleitet sind.

Nein. Die Journalisten sind die mit dem an der Waffel.

[inspiriert durch ix, den „Postillon“ und einige Kommentare hier]

Hohe Kompetenz mit versierten Fachautoren!

Vielleicht raten Sie einfach mal mit, ob es sich bei diesem Text um eine Pressemitteilung von Gruner+Jahr oder den aktuellen Aufmacher des Online-Medien-Dienstes „Meedia“ handelt:

’stern‘-Sensationserfolg mit Jacko-Sonderheft

(…) Die Verkaufszahlen sind vor dem Hintergrund des auch für ein Sonderheft hohen Copy-Preises extrem ermutigend. (…)

Beim Thema Michael Jackson konnte der „stern“ seine hohe Kompetenz in der Verbindung anspruchvolle [sic] Redaktion plus eindrucksvolle Fotostrecken ausspielen. „Ein solches Projekt“, so [„Stern“-Chefredakteur Andreas] Petzold, „ist eine Freude für jeden Layouter“. Für den Text zeichnete unter anderem der versierte Fachautor Jochen Siemens verantwortlich.

Die Produktion des Sonderheftes war laut Petzold schnell entschieden: „Wir waren überhaupt nicht zögerlich und wussten gleich, dass dies ein Sonderheft werden muss.“ Folgerichtig sicherte sich das Hamburger Magazin für den Extra-Titel umgehend die Exklusivrechte an dem legendären Jackson-Foto von Herb Ritts und brachte dieses auf dem Cover. (…)

Okay, war leicht.

[via Swarley in den Kommentaren]

Ein „Stern“, der seinen Namen trägt…

Erst hatte ich gedacht, dass eine Wahlbroschüre von Karl-Theodor zu Guttenberg an Berliner Kiosken ausliegt, aber dann war es doch nur der aktuelle „Stern“.

Man muss, um die Haltung der Hamburger Illustrierten zum Bundeswirtschaftsminister in all ihrer Differenziertheit und Distanz zu erfahren, sich gar nicht mehr ansehen als das Cover und das Foto, das schon so merkwürdig unjournalistisch und wahlplakathaft daher kommt. Doch man verpasst etwas, wenn man nicht auch die dazugehörigen Texte im Heftinneren liest.

Am besten ist das Editorial von Chefredakteur Thomas Osterkorn. Es beginnt mit den Worten:

Guttenberg ist kein Obama, aber …

Das ist die hohe Kunst des Nicht-und-doch-Vergleichs. Osterkorn weiß, dass er ausgelacht würde, wenn er Guttenberg mit Obama vergliche. Also gibt er zu, dass der Vergleich abwegig ist, macht ihn aber doch. Man teste den Effekt mit Formulierungen wie: „Thomas Osterkorn ist nicht Gott, aber…“.

(Der vollständige Satz lautet übrigens: „Guttenberg ist kein Obama, aber der Effekt ist durchaus vergleichbar: Da tritt eine junge, unverbrauchte Figur auf die politische Bühne, gibt sich aufrichtig und unbequem, zeigt Selbstbewusstsein und Manieren, trägt gut geschnittene Anzüge und sagt ein paar ganz vernünftige Sachen – und schon sehen die Platzhirsche auf der Lichtung zwischen Bundestag und Kanzleramt verdammt alt aus.“ Man muss froh sein, dass der „Stern“ auf die Zeile „Yes, he can“ auf dem Titel verzichtet hat.)

Osterkorns Editorial trägt die Überschrift: „Dieser Freiherr ist wirklich ein freier Herr“. Das ist natürlich ein bisschen arg intellektuell für die Leserschaft des „Stern“. Deshalb macht der eigentliche Artikel mit einer Reihe von Werbefotos auf, die beweisen, dass Guttenberg in jeder Lebenslage eine gute Figur abgibt: im Hubschrauber, zwischen schönen Frauen, mit Kindern, am Klavier, mit Journalisten und beim Rockkonzert. Über jedem Foto steht ein Schlagwort:

  • Der Überflieger
  • Der Liebling
  • Die Lieben
  • Der Vorleser
  • Der Gefragte

Dann fiel den Werbeleuten, die ja auch nur „Stern“-Redakteure sind, nichts mehr ein und sie machten weiter mit den Begriffen:

  • Fingerspitzengefühl
  • Optimisten
  • Kunstfreunde
  • Glamourfaktor

(75 Seiten weiter hinten im selben Heft sieht Guttenberg nochmal gut aus, da fühlt er sich „sichtlich wohl“ in der Gesellschaft der Unternehmer, die er mit dem Deutschen Gründerpreis auszeichnen durfte — eine Veranstaltung, ach ja: des „Stern“.)

Von den 2723 Wörtern des Porträts ist ziemlich genau eines kritisch gegenüber Guttenberg. Es lautet „Schachtelsätze“. Zum Glück hat der Satz, in dem es steht, ein Happy End: „Als [Guttenberg] im Interconti seine Schachtelsätze mit einigem Erfolg aus dem grammatikalischen Niemandsland geführt hat, erheben [die Zuschauer] sich zu Standing Ovations.“

Man erfährt in diesem Text nichts über Karl-Theodor zu Guttenberg, aber viel darüber, wie toll „Stern“-Autor Axel Vornbäumen ihn findet. Wofür dieser Shooting Star steht, was er erreichen will, das hat er nicht herausgefunden oder es hat ihn nicht interessiert, denn es ist ja höchstens halb so spannend wie die Premieren-Meldungen, vor denen sein Artikel strotzt:

  • In seinen wenigen Amtswochen hat der junge Polit-Aufsteiger aus Oberfranken den Politikbetrieb in Berlin aufgemischt wie lange kein anderer mehr.
  • Ein Adliger ohne Allüren, millionenschwer, mit einer Familientradition, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht, verheiratet mit der Ururenkelin von Bismarck. Ein Aufsteiger, der von oben kommt. Das gab es noch nie.
  • So schnell war schon seit Langem niemand mehr so beliebt.
  • 61 Prozent der Deutschen haben Vertrauen in den jüngsten Wirtschaftsminister, den dieses Land je hatte (…).

Und Guttenberg ist nicht nur Wirtschaftsminister, sondern wird offenbar auch schon als Kanzlermaterial gehandelt. Schreibt Osterkorn in seinem Vorwort: „… der schon als möglicher Kanzlerkandidat gehandelt wird.“ Steht im Inhaltsverzeichnis: „Schon fragen die ersten: Kann er auch Kanzler?“ Und über dem Artikel: „Schon fragen die ersten: Kann er auch Kanzler?“

Und wer sind diese „ersten“, wer ist es, der Guttenberg als möglichen Kanzlerkandidat handelt (außer dem „Stern“ selbst natürlich)? Die Antwort, die der Artikel als Beleg liefert, ist etwas ernüchternd:

„KAY-T-Free for Bundeskanzler“ fordert einer bei Facebook im Gästebuch.

Wow, „einer bei Facebook“. Stop the press.

Man darf nun aber nicht denken, wie es Laien tun könnten, dass Deutschlands Ober-Illustrierte dem Guttenberg mit dieser Hymne einen Gefallen tut, oh nein. Der „Stern“ schreibt:

Kritisch wird beäugt, wie einer da die Leiter emporstürmt – auch ein stern-Titelbild ist da schon ein Problem.

Ja, ganz bestimmt. Nur gut, dass Guttenberg wegen der Weltwirtschaftskrise eh schon nicht schlafen kann, da kann er sich für das Drama, zwei Monate vor einer Bundestagswahl groß und positiv auf dem Titelbild einer Zeitschrift mit Millionen Lesern abgebildet zu sein, gleich mit die Haare raufen.

Natürlich darf der „Stern“ Wahlwerbung machen, für wen er will und so plump er will. Aber das muss man erst einmal wollen wollen.

Rechtsfreie-Zonen-Dialektik

(…) Im Internet darf es keine rechtsfreien Zonen geben. (…) Ungenehmigte Nutzung fremden geistigen Eigentums muss verboten bleiben. (…)

(Resolution mehrerer deutscher Großverlage, darunter Axel Springer und
Gruner+Jahr, 8. Juni 2009.)

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Beim Amoklauf am 11. März haben Petra und Uwe Schill ihre Tochter Chantal verloren. Immer noch erleben sie, wie Medien und Bilderhändler über das Bild ihrer Tochter verfügen, das ein Schulfotograf im Jahr 2008 aufgenommen hatte. Der „Stern“ hatte sich das Foto beschafft. Später tauchte es in „Emma“ auf, und die Agentur „ddp“ bietet es immer noch zahlenden Kunden zum Abdruck an. (…)

Der „Stern“ hat schon viel Verstecktes ans Licht der Öffentlichkeit gebracht, aber auf welchen Kanälen er Privatfotos von Mordopfern bezieht, das hält er geheim. Ein „Stern“-Fotoredakteur verweist auf seinen Chef. Der Chef verweist auf „die Chefredaktion“, ohne eine Telefondurchwahl herauszurücken. „Die Chefredaktion“ meldet sich am Telefon und erklärt, dass Anfragen nur schriftlich beantwortet werden. „Zu Quellen, die der Stern bei seinen Recherchen benutzt, sagen wir aus grundsätzlichen Schutzgründen nichts“, schreibt dann Katharina Niu im Auftrag der Chefredaktion.

Der „Stern“ ist unter Fotografen bekannt dafür, dass er immer den Bildnachweis abdruckt, den Fotografen und die Agentur nennt. Nur diesmal will die Chefredaktion denjenigen schützen, der die Bilder besorgt hat. Wovor eigentlich? Schämt sich jemand? Ist etwas illegal an diesen Bildern? (…)

Den Handel mit Bildern von Jugendlichen, die ermordet wurden, hält niemand auf.

(„Winnender Zeitung“, 30. Mai 2009.)