Schlagwort: Sylvie van der Vaart

Das „Stern“-Interview als wohldefinierte Methode zur genussreichen Onanie

Dass Leute etwas schaffen, das finden Sie toll, oder?

Ja. Das finde ich toll. Leistung finde ich toll.

Sie sind Kapitalismus pur.

Es ist mir nicht ganz leicht gefallen, mich zu entscheiden, aber ich glaube, das ist dann doch meine Lieblingsstelle. Die Moderatorin Sylvie Meis, bekannt geworden als Sylvie van der Vaart, erzählt dem „Stern“, was sie an ihrer RTL-Show „Let’s Dance“ mag. Dass das „richtiges Entertainment“ sei, „kein Trash“, sondern „tolle Shows, bei denen sich die Leute fragen: ‚Wow, wie schaffen die das?'“ Und die „Stern“-Interviewer halten ihr dann vor: „Sie sind Kapitalismus pur.“

Darauf muss man erst einmal kommen. Aber die „Stern“-Leute sind noch auf ganz viel anderes gekommen. Man erfährt in diesem Interview nicht so wahnsinnig viel über Sylvie Meis. Aber darüber, wie toll die „Stern“-Interviewer Nora Gantenbrink und Stephan Maus sich und ihre Einfälle finden. Sie sind offenkundig ganz besoffen davon.

Frau Meis, Ihre letzte Chance: Steigen Sie aus. Nie wieder Werbung für Zahnzwischenraumreiniger, nie wieder Tanzshows, nie wieder Paparazzi. Züchten Sie Schafe in Neuseeland.

Nein.

Bienen in Südfrankreich.

Nein.

Ein norwegischer Bauer. Echte Liebe. Ein Fjord. Natur gucken, knarrende Holzkojen.

Nein.

Das wahre Leben, das echte.

Nein.

Oder weiter vorne die Frage:

Es gibt drei ungelöste Rätsel in der Bundesrepublik Deutschland: Wer hat Kohl die Spenden überreicht? Wer saß neben Margot Käßmann, als sie angetrunken Auto fuhr? Und was geschah Silvester 2012 bei den van der Vaarts?

Nun könnte man da natürlich mit viel Wohlwollen annehmen, dass es sich um einen Witz oder gar etwas Ironieähnliches handeln könnte. Dagegen spricht allerdings, dass die „Stern“-Leute die Frage, was Silvester 2012 bei den van der Vaarts passierte, ja damit Sylvie van der Vaart tatsächlich stellen. Deren Antwort lautet übrigens:

Das ist etwas, das wir niemals sagen werden. Das braucht kein Mensch zu fragen. Das ist privat.

Diese Antwort könnte nun Leute überraschen, die die Titelseite des „Stern“ gesehen haben und das dortige Versprechen: „SYLVIE VAN DER VAART – So offen hat sie noch nie gesprochen“. Tatsächlich sollte man als Leser immer stutzig werden, wenn Journalisten nicht mit etwas werben, was jemand gesagt hat, sondern bloß damit, dass jemand etwas gesagt hat. (Andererseits ist es natürlich passend, weil die ganze Berichterstattung über die Van-der-Vaart-Sache im Wesentlichen aus „Bild“-Schlagzeilen wie „Jetzt spricht die Mutter!“ zu bestehen schien.)

Jedenfalls hört sich das Offen-Sprechen von Sylvie Meis im „Stern“ konkret so an:

Ich habe nichts Schlechtes über Rafael und Sabia zu sagen. (…)

Bestimmte private Sachen sollen auch privat bleiben. (…)

Ich habe alles dazu gesagt und werde mich nicht mehr wiederholen.

Und so:

Wie viele Berater schrauben am Image von Sylvie Meis?

Ich habe keinen PR-Berater und auch keine PR-Strategie.

In Ihrem Kopf auch nicht? Da ist doch ein PR-Berater? Zwei?

Jetzt schon zwei?

Mindestens. Sie haben eine ganze PR-Firma im Kopf.

Nein.

Sie sind wirklich so?

Ich habe keine PR-Firma im Kopf.

Und so:

Mattel hat eine Barbie nach Ihnen gestaltet. (…) Ist es nicht peinlich, wenn man Barbie-Vorbild ist?

Selbst Angela Merkel hat eine eigene Barbie. Liz Mohn hat eine eigene Barbie. Ganz viele Powerfrauen haben eine Barbie.

Manche Eltern verbieten ihren Töchtern, mit Barbies zu spielen.

Muss jeder selbst wissen.

Verstehen Sie, warum?

Ich werde nicht eingehen auf Barbie-Diskussionen.

(…) Was ist so schlimm an einer Barbie-Diskussion?

Ich stehe nicht für Barbie.

Sind Sie verletzt, wenn man Sie eine Barbie nennt?

Ob Barbie oder eine andere Marke: Ich bin keine Puppe. Ich bin ein Mensch.

Diese beiden letzten Sätze, ihres Kontextes entkleidet, fand der „Stern“ dann spektakulär genug, um damit die ganze Geschichte zu überschreiben.

Nein, Sylvie Meis sagt nicht viel. Muss sie aber auch nicht. Tun ja ihre Interviewer.

Kann es sein, dass sich die Welt in Ihnen täuscht: Man hält Sie für eine nette, hübsche, etwas einfältige Blondine. Dabei sind Sie eine gerissene Spielerin, die im Krieg um Aufmerksamkeit jede Woche eine Schlacht gewinnt und auf diese Weise Millionen verdient.

Und was muss ich darauf antworten?

Ob das zutrifft?

Nein.

Schön, dass wir drüber geredet haben, wobei mich schon interessieren würde, was die Interviewer dachten, was Frau Meis darauf antworten könnte.

Würden Sie manchmal lieber für Frieden und Freiheit kämpfen, statt zu moderieren?

Nein. Möchten Sie lieber für Frieden und Freiheit kämpfen, statt Artikel zu schreiben?

Würden Sie lieber für Arte arbeiten als für RTL?

Nein.

Hier war ich ein bisschen enttäuscht, dass Frau Meis nicht zurückgefragt hat: „Würden Sie lieber für eine richtige Trash-Zeitschrift arbeiten statt bloß für den ‚Stern'“, obwohl die Interviewer darauf vermutlich, wenn sie offen gesprochen hätten wie noch nie, geantwortet hätten: „Nein, wir können uns keinen anderen Arbeitsplatz vorstellen, wo man sich auf seine eigenen Interviews so gut einen runterholen kann.“

In diesem Sinne konfrontieren sie die RTL-Moderatorin dann noch mit einem 25 Jahre alten Enzensberger-Zitat:

Der Dichter Hans Magnus Enzensberger schreibt: „Das Fernsehen wird primär als eine wohldefinierte Methode zur genussreichen Gehirnwäsche eingesetzt; es dient der individuellen Hygiene, der Selbstmeditation. Das Nullmedium ist die einzige universelle und massenhaft verbreitete Form der Psychotherapie.“ Hat er recht?

Und fragen schließlich bündig:

Ist Fernsehen böse?

Sie hat darauf leider nicht geantwortet: „Nicht im Vergleich zum ‚Stern'“, aber immerhin gesagt:

(…) Ich finde es schade, dass man andere Menschen so fertigmacht, nur weil man sich selbst so intelligent findet.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Interviewer gemerkt haben, dass das gegen sie ging.