„Vote to Keep Britain Great“

Angelsächsische Journalisten, erklärt Roland Tichy, sähen sich anders als deutsche weniger als „Meinungslenker“ denn als „Nachrichten-Geber“. Nun, in der Praxis sah das in den letzten Tagen vor der heutigen Unterhauswahl auf den Titelseiten der britischen Tageszeitungen so aus:

Die gelegentlich immer noch als „seriös“ und „renommiert“ beschriebene „Times“ machte vor zwei Wochen mit einer Schlagzeile auf, wonach jede Familie, deren Mitglieder arbeiten, unter einer Labour-Regierung 1000 Pfund mehr Steuern zahlen müsse. Wenige Tage später musste sie das widerrufen: Die Rechnung beruhte auf der falschen Annahme, dass die Steuererhöhungen, die Labour plant, voll von solchen Familien getragen werden müssten. In Wahrheit treffen sie zum größten Teil nur die reichsten Familien oder nur Unternehmen. Die Korrektur ihrer Schlagzeile versteckte die „Times“ unauffällig im Inneren.

Der Chefredakteur des „Daily Telegraph“ schrieb heute eine Mail an seine Leser, in der er sie warnte, dass es sich um die wichtigste Unterhauswahl seit 1979 handele, und sie drängte, unbedingt die Konservative Partei zu wählen.

[Titelseiten via Tomorrowspaperstoday]

43 Replies to “„Vote to Keep Britain Great“”

  1. Ist das jetzt ein ganz perfider Diss gegen Tichy, der auch sonst bei seinen Aussagen eher mit der Quote einer Schrotflinte zu treffen scheint?

  2. a propos: ich kannte und kenne „Roland Tichy“ nicht; ich les‘ den Namen hier zum ersten Mal. Und das trotz jahrzehntelangem Presse-Konsum und jahrelangem Nigge, fefe, etc… Hab‘ ich da was wichtiges, was lesenswertes übersehen. Oder ist das nur sowas wie Broder, Wagner, Fleischhauer, Altenbockum…?

  3. @theo
    Wie jetzt? Nur bei Einzelfeuer (10 minütige Pause zwischen zwei Schüssen und gleichbleibender Umgebungstemperatur bei 19°C sowie keine abrupten Bewegungen mit dem G36) treffsicher?

  4. Die Bildunterschrift auf Tichys Blog’s Startseite sagt eigentlich alles, was man über ihn wissen muss, damit man nicht auf seine Seite surft:
    „Wird Bargeld verboten? Die Hinweise häufen sich – aber was ist dann unsere Freiheit noch wert?“

    Bitte betrachtet dieses Posting als selbstlosen Akt, um euch vor weiterer Recherche zu bewahren.

  5. @ Max

    Ganz im Gegenteil, man muss sich Vichy ansehen. Wer ihn einmal im „Presseclub“ erlebt hat, weiß: Den Mann bringt nichts und niemand und schon gar kein Argument von seinem Marktglauben ab.

  6. @ Max
    Nachtrag: Das war wieder mal die Selbstergänzungsfunktion. Tichy heißt er natürlich.

  7. @HERDIR Achtung Achtung, Hier spricht Heckler&Koch. Unterlassen Sie jede Kritik an unseren systemrelevanten Produkten!

  8. Fun Fact: Tichy hat beim vorletzten Echo Selfies gemacht. Und sah dabei ähnlich gut aus, wie bei dieser tiefgreifenden Analyse. Frage an die Juristen ohne jegliche Verbindung zu vorbezeichnetem Sachinhalt: Wäre es justiziabel, jemanden als „arme Wurst“ zu bezeichnen?

  9. @12
    Wieso Kritik? Die BW wollte ein Paradegewehr ggf. tauglich für Wachsoldaten und hat es bekommen … Wer will schon toten Kühe, besoffene Dorfjugendliche u.ä. über den Zaun hängen haben, nur weil die auf BW-Gelände gelaufen sind? Niemand … Also besser so eine Lösung .. konnte ja keiner ahnen das wir Krieg außerhalb der Lüneburger Heide spielen wollen …

  10. Unterscheiden muß man hier erstens die Krawallpresse von dem bißchen seriösen Journalismus, der in UK noch übrig geblieben ist. Und zweitens Nachrichten- und Meinungsbeiträge, die in UK vor Wahlen traditionell in eine konkrete und ganz offen formulierte Wahlempfehlung münden. Was mir als Leser angenehmer ist, als die Agenda der Redaktion, des Chefredakteurs oder des Eigners „hintenrum“ reingedrückt zu bekommen.

  11. Mal ganz doof gefragt:
    Merkt der das eigentlich noch?
    Alleine dieser Artikel strotzt doch vor lächerlichen rechten Verschwörungstheorien des üblichen Kalibers.
    Glaubt er wirklich, das er ein „Nachrichtengeber“ sei, die anderen aber (linke) „Meinungslenker“?
    Und wenn er das nicht selbst glaubt: Wie lebt es sich mit der kognitiven Dissonanz, ständig (zielgruppengerecht) irgendwelchen Unsinn zu schreiben, vulgo zu lügen.

  12. „des üblichen Kalibers“

    Sigmund, nun isses aber gut. ;-)

    Wer wie Tichy im Berchtesgadener Land geboren wurde, kann wohl qua Herkunft nicht anders als nach links daneben schießen.
    Patrone Bavariae.

  13. Bevor wir uns mit sowas quälen,
    Lassen wir die Briten wählen.
    Dann muss man erst die Stimmen zählen
    Bevor Parteien sich vermählen
    In den ewig dunklen Sälen.
    Das treibt die Presse zu Chorälen
    In den Headlines und Kanälen,
    Die erneut die Hirne Pfählen.
    Hilfreicher ist: Kartoffeln schälen.

  14. Nun seid nicht so erbarmungslos im Urteil mit dem Tichy..

    Unter den Gräusel-Wüterichen ist Ijon schon einer der klügeren und zahmeren.

  15. Wieso ‚Keep‘? Also ‚Britain Great‘ jetzt; keep Great Britain an sich scheint sich ja so nach und nach von selber zu erledigen. Kein ‚Guardian‘ dabei. Fein.

  16. Vergleicht man z. B. The Atlantic, The Nation oder The New Statesman mit Spiegel, FAZ oder ZEIT, hat Tichy recht. Sein Vergleich der BBC mit der ARD ist da etwas wackeliger, aber imo nicht falsch. Zur Daily Mail haben Dan und Dan alles Nötige gesagt.

  17. Linus: …“ein ganz perfider Diss gegen Tichy“…
    SN: „Klar!“
    ____________

    Aber wie Rupert Murdoch Wahlkampf für das UK führt ist doch auch nicht von Pappe.

  18. Wie Rupert Murdoch Wahlkampf fürs UK betreibt kann nicht weiter erstaunen.
    Mahl sehn wie die Ergebnisse aussehen werden.

  19. […] Stefan Niggemeier hat eine schöne Titelbild-Gallerie der Presse in Großbritannien im Blog. Im Moment sieht es wohl so aus, als ob Cameron mit den Konservativen im Amt bleibt. Aber Labour ist ja so übel, dass nicht auf Anhieb klar ist, ob die besser wären. Und das Wahlsystem verhindert, dass die Liberalen eine Chance haben. Bleibt noch UKIP, die nationalkonservative Partei der Ausländerfeinde und “Euro-Skeptiker”. Alle Optionen sind schlimm. Ich vermute, dass UKIP mehr als prognostiziert einfahren wird und wir dann hier wieder endlos herumdebattieren werden, warum das so ist. Dabei liegt es doch auf der Hand. Die anderen kann man halt auch nicht wählen. […]

  20. Ich muss gestehen, dass mir der Wahlkampf so herum lieber war.
    Welche Zeitung wen empfehlen wird, weiß man gewöhnlich schon vorher. Ist doch in Deutschland nicht anders. Und uns bleiben Wahlplakate erspart. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schön es ist, durch die Straßen zu gehen, ohne all diese, ahem, „Gesichter“ sehen zu müssen. Von den dämlichen Sprüchen ganz abgesehen. ^^

  21. @HERDIR (7

    Wenn man zwischen den Schüssen auf den Lauf uriniert, sinds weniger als 10 min. Dauerfeuer bedarf dann einer kräftigen Blase!

    Hab gestern seit Langem die Tagesthemen gesehen und war erstaunt über die Propaganda, die dort abging. Weinende Kinder, gestresste Mütter, Väter, die sich mit Arbeitskollegen absprechen müssen! Kein einziges Wort von den Kita-Betreuerinnen zum Streik! Das gleiche beim Thema Bahn! Widerlich!

  22. „Und wenn er das nicht selbst glaubt: Wie lebt es sich mit der kognitiven Dissonanz, ständig (zielgruppengerecht) irgendwelchen Unsinn zu schreiben, vulgo zu lügen.“

    Nun, man lebt ständig mit der Gefahr, dass man eines Tages versehentlich über den eigenen Tellerrand hinausblickt und sich dann selbst eingestehen muss, dass man Unsinn geschrieben hat. Viele Leute haben dabei allerdings bis zu ihrem Leben geradezu unverschämtes Glück: Die eigenen kognitiven Fähigkeiten verhindern in der Regel diesen gefährlichen Blick über den Tellerrand relativ sicher. Und von innen sieht immer ja alles stimmig aus.

  23. Dafür sendet die BBC mit Regierungshilfe Flauschnachrichten… naja, für den Hausherrn vielleicht nicht so ganz.

    Während Fiona Bruce den Themenüberblick der „News at 6“ live aus der Downing Street ansagt, geht hinter ihr die Tür von No. 10 auf und die Katze spaziert heraus, um eine Weile auf der Schwelle sitzenzubleiben.

  24. Tja – nun muss er das alleine wuppen – gleich ob mit oder ohne Flausch.
    Der wird noch seine Freude haben an so einem Wahlergebnis: keine Ausreden – soll schon Maggie gemeint haben.
    Und wer ihm da alles im Nacken sitzt…^^

  25. Von Schadenfreude übrigens keine Spur btw: mal sehn, wie er sich politisch auf die „neue Lage“ einstellen wird.

  26. Genau genommen hat Stefan Niggemeier die Aussage von Tichy nicht widerlegt, trotz der illustren Auswahl an diversen Titelblättern.
    Die Behauptung lautet, dass ANGELSÄCHSISCHE Journalisten sich mehr als Nachrichtengeber und weniger als Meinungsbilder präsentieren. Ob diese Schlagzeilen aber von angelsächsischen Journalisten stammen, weiß doch keiner. Sie mögen wahrscheinlich von englischen Journalisten sein, zweifellos von britischen, aber von angelsächsischen?
    Um das zu prüfen, müsste man die Ahnentafel jedes dieser Journalisten mindestens bis zur Regierungszeit von Henry Plantagenet zurückverfolgen. Wahrscheinlich sogar bis zum Domesday Book im Jahre 1086.
    Soweit überhaupt nachprüfbar, dürften diese Schlagzeilen nämlich von normannischen Journalisten stammen.

  27. @34
    Ich bin kein Nitpicker, ich persifliere einen. Oder denken Sie, ich meine das ernst?
    Letztlich amüsiert mich lediglich immer wieder der Versuch, durch ausgefallene Formulierungen den Anstrich des Besonderen zu erreichen. Tichy hätte doch einfach von englischen oder britischen Journalisten sprechen können. Statt dessen müssen es angelsächsische sein, alles Andere wäre zu profan gewesen, das würde jeder so sagen, aber man weiß doch:
    Großer Wortschatz = Große Bildung.
    Und da macht es einfach Spaß, darauf noch etwas exaltierter herum zu reiten.

  28. Wie auch immer man diese Aussagen interpretiert, die Schlagzeilen reihen sich doch wunderbar ein in das, worüber hier sonst so geschrieben wird. Warum sollen auch die Engländer besser als die Deutschen sein?

  29. @36

    Mit „angelsächsisch“ sind eben nicht nur Briten gemeint. Genau deswegen ist die Auswahl von SN auch ziemlicher Humbug. Die Aussage von Tichy ist natürlich auch grob verallgemeinernd. Für das grüne Publikum hätte er vielleicht noch 5-6 Fußnoten mit Einschränkungen hinzufügen sollen.

  30. …“angelsächsische Briten“…
    Den könnte man sich zurnot auch noch in Goldbrokat einrahmen – obschon…

  31. Danke. Nachdem der gastblog zuletzt in unterirdische berlinisthipperalsanderswo-gefilde gestolpert ist, eine echte Wohltat, wieder was relevantes zu lesen.

  32. Mit seiner Bemerkung zur angelsächsischen Presse liegt Tichy sichtbat daneben – trotzdem habe ich (der ich ihn vorher nicht kannte) in seinem Blog doch lesrnswerte Statements gefunden, z.B. zur Berichterstattung zum Wilders-Urteil.

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