Wie „Hallo Deutschland“ Opfer rekrutiert

Der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag berichtet heute über Winnenden:

Die ersten Anfragen nach Interview-Partnern erschienen nur wenige Stunden nach dem Amoklauf. Ganz vorn dabei: das ZDF.

Für das Boulevardmagazin „Hallo Deutschland“ suchte ein ZDF-Autor nach Jugendlichen, die vor der Kamera sprechen würden. Das Interesse der Medien werde stark zunehmen, kündigte der Fernsehreporter an und empfahl den Minderjährigen, sich einem „seriösen“ Medium wie dem ZDF anzuvertrauen.

Ich habe das Unfallmagazin „Hallo Deutschland“ mit seinem sensationsgeilen Voyeurismus schon vorher für eine der schlimmsten Verirrungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehalten. Aber diese Art der Rekrutierung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ist noch widerlicher, als ich dachte.

Um es klar zu sagen: Ich würde jedem, der ein „seriöses“ Medium sucht, dringend davon abraten, sich ZDF-Sendungen wie „Hallo Deutschland“ oder „ZDF-Reporter“ anzuvertrauen.

Der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag widmet heute übrigens seine ganze Medienseite der Berichterstattung über den Amoklauf. Die wöchentlich erscheinende Seite wird von dem 24-jährigen Journalistik-Studenten Sebastian Wieschowski mit Unterstützung durch den 59-jährigen ehemaligen „Tagesspiegel“-Redakteur und Pressesprecher von Heide Simonis, Gerhard Hildenbrand, gestaltet — was nach einem ziemlich spannenden Konzept klingt. Die heutige Seite kann man sich (mit freundlicher Genehmigung des Autors) hier ansehen:

44 Replies to “Wie „Hallo Deutschland“ Opfer rekrutiert”

  1. Bitte bitte, Herr Niggemeier, Sie nicht auch noch mit diesem zur Zeit sehr modischen Adjektiv für alles & jedes:“spannend“…:
    —> „was nach einem ziemlich spannenden Konzept klingt.“

  2. Klassische Win – Win Situation, erst wie die Raben über die Opfer herfallen und nachher die übliche „wäh der hat angefangen“ Nachlese. Merke: Alles Votzen außer Mut.. ähm dem Qualitätsjournalisten der gerade den Artikel schreibt oder am Mikrofon sitzt.

    Sehr schön auch heute nach der Trauerfeier, wie die ARD Qualitätsreporterin sich genau so gestellt hat das die aus der Halle kommenden Trauergäste keine Chance hatten der Kamera zu entkommen.

  3. Habe küzlich die öff.rechtl. Boulevardnummern am Vorabend mal angschaut, nachdem ich hier so viel darüber gelesen hatte. Es is wirklich unfassbar, wie da GEZGeld verbraten wird.

    BTW: @ Klaus: ISt „spannend“ so modisch? Wenn, dann hat sich die Mode aber lange gehalten. Oder heißt spannnend einfach spannend?

  4. Wenn doch schon die hohen Politiker (Koch vs. Brender) „feststellen“, dass Nachrichtensendungen im ÖR an Zuschauern verlieren, dann fühlt sich wohl so mancher ÖR-Mitarbeiter gezwungen, sich aktiv an der „Quotenschlacht“ der Privaten zu beteiligen. Schade nur, dass damit die journalistische Qualität im ÖR (ja, die gab es wirklich mal) dem Niveau der Privaten nähert. Und dieses (Niveau) muss ich wohl nicht bewerten.

    @2: Erst den Duden in die Hand nehmen – und dann böse Sprüche schreiben!

  5. Hm. Wie hier alle so einmütig auf die Journalisten einschlagen, könnte man ja fast schon Mitleid bekommen. Also, fast.
    Aber da wir uns ja alle Niveau wünschen, können wir es damit ja gleich hier mal versuchen, bisher mangelt es da vielleicht ein bisschen.
    Ich wüsste zum Beispiel gern, ob wir glauben, dass einfach alle dominanten Medien falsch liegen und die Zuschauer (wer immer das ist) so etwas in Wirklichkeit gar nicht sehen wollen. Falls es tatsächlich diese große Nachfrage gibt – und ich denke, das ist wohl leider so -, dann können wir uns ja fragen, ob es Möglichkeiten gibt, trotzdem ein gewisses Niveau (was immer das ist) in die Berichterstattung einzuziehen. Und welche Möglichkeiten das sind: ein Kodex (den es offenbar gibt, den aber wohl keiner beachtet), ein Gesetz (das wahrscheinlich mit der Pressefreiheit in Konflik geriete), oder Zuschauerfortbildung (in der Hoffnung, uns die Freude am Leid anderer abzugewöhnen)?
    Ich hab selbst keine gute Idee, fände es aber interessant, wenn wir darüber reden könnten. Vielleicht hat Herr Niggemeier ja selbst ein paar Gedanken dazu?

  6. @ Muriel

    Ich glaube, die von Dir angesprochenen „Zuschauerfortbildung“ ist der Schlüssel.
    Medienkompetenz.
    Sowohl in die eine Richtung (ich muss mich nihct filmen lassen) als auch in die andere (das ist seriöse Berichterstattung und das nicht)

    Wir haben in der Schule Wallraff gelesen wird das heute noch gemacht?

  7. Das Medien in solchen Krisensituationen immer überreagieren liegt in der Natur des Wettbewerbs. Deutlich werden diese Grenzüberschreitungen aber besonders, wenn neue Medienformen entstehen. Beispiel ist z.B. die Gladbecker Geiselentführung und die Reaktionen der Medien. Im Fall Winnenden ist das Internet mit seinen Sozialen Netzwerken, Chaträumen und Newsseiten die neue Medienform. Lernen müssen nicht nur die Medien diese angemessen zu benutzen, sondern auch der Nutzer (private Bilder etc) muß lernen diese angemessen zu nutzen. Dabei muß ihm jedoch geholfen werden, erstens durch den Gesetzgeber aber vor allem auch durch die Anbieter der Sozialen Netzwerke. Der einfache Bilderklau bei StudiVZ ist doch nicht nur das Problem des Nutzers sondern auch des Betreibers. Diese sollten den Nutzern helfen dies wirksam juristisch zu verhindern.

  8. Mehr als eine Woche nach dem Amoklauf ist das Sammeln von Beispielen dafür, was die „etablierten Qualitätsmedien“ in solchen Situationen vom Pressekodex halten, zwar eine eher müßige Aufgabe. Trotzdem noch so ein Beispiel:
    http://fabianpingel.de/blog/2009/03/qualitatsjournalismus/
    Zumindest so ein paar unmissverständliche Grundregeln kann man doch beachten. Oder sind die Opfer schon zu Personen der Zeitgeschichte geworden, weil ihr Name „eh schon so oft genannt wurde“?

  9. Diejenigen, die TV schauen um TV zu schauen werden wohl letztendlich alles gucken was kommt. Wer bei welchem Sender hängenbleibt hängt dann vielleicht wirklich von irgendwelchen Schlüsselreizen ab.
    Ich hab mir schon lange den Tip vom Bauwagenbewohner zu Herzen genommen: „Ja, und ihr, ihr könnt jetzt, genau, abschalten.“

  10. Ich dachte immer Brisant und Hallo Deutschland seien die besten Satire-Sendungen Deutschlands, dicht gefolg – das weiß ich aber erst seit gestern durch dieses Blog – von RTL am Mittach oder wie das heißt. Sofern ich mich da tatsächlich irren sollte, hieße das nicht nur, dass Zuschauer und Redaktion das Ernst nehmen, sondern auch, dass die abischtlich nur Schülerpraktikanten ihre Texte schreiben lassen.

    Nein, das kann nicht sein, das ist nicht so. Das sind Versuche, The Onion auf Deutschland zu adoptiern … oder?!

  11. Zum Thema Medienkompetenz: Die hat hat man schon im Gebrauch, welche Sender man am ehsten sieht.Und welche man ganz hinten im Programmsuchlauf hat. So ist das mit dem Zeitungsabo. Entweder lesen oder eben nicht!

    Also was regen wir uns nun fortlaufend auf, über guten und schlechten Journalismus. Es sucht alles seine Berechtigung!

    Und ob der Mensch,über den wie in diesem Extremfall hergefallen wird.Dies dann auch mitmacht.Ich bin für Altersgerechten Medienunterricht schon ab Klasse 1. Das wäre eine Chance, bei den Infomedien sich der Spreu vom Weizen trennt.

  12. Ein sehenswertes Beispiel der „schönen neuen Medienwelt“ lieferte gestern mal wieder das RTL-Nachtjournal.
    Nach den üblichen Rührstücken über Abwrackprämie und Frühlingsbeginn (wie ich diese „Wir sagen Ihnen, wie sie das Wetter zu finden haben“-Beiträge hasse) und einem gar nicht mal so schlechten Beitrag über Internetpiraterie kommt der Knaller zur Nacht.
    Da werden mal eben nur sehr bedingt zusammenhängende Proteste und gewalttätige Ausschreitungen in Paris, Barcelona, Athen herangezogen, um die kochende Volksseele anzuheizen und da sich RTL ja als Dienstleister versteht, wird dem deutschen Mob gleich die Demo am 28.März in Berlin angepriesen. Der ganze Beitrag ergießt sich schließlich in Konjunktiven, Prognosen und Mutmaßungen, proklamiert aber schon mal den „heißen Sommer“ der Gewalt, auf dass sich das Fernsehen darauf hin über schöne Bilder brennender Autos und Tränengas erfüllter Gassen freuen darf?! Hier werden die Nachrichten zum Agent Provocateur.

    http://media.stream.fm/rtl-rtl-nachtjournal/RTL_Nachtjournal_20090320.mp4

  13. Nun, angesichts der Auseinandersetzung um den ZDF-Chefredakteur ist doch die Devise für die ÖR klar: Zukünftig zählt nicht mehr die Qualität, sondern die Quantität – sprich Quote.

    Und davon ganz abgesehen: Solange es Leute gibt, die diese Form der Berichterstattung sehen wollen, wird sich daran nichts ändern. Gucke gerade die Pro7-Nachrichten und sehe Menschen, die zum Tatort pilgern, staunen, fotografieren, filmen … So what?

  14. ich finde die seite sehr unaufgeregt gemacht, dafür aber auch sehr umfassend. was mir noch ein bisschen fehlt, ist die gegenseite (also die journalisten und medien, die sich nicht korrekt verhalten). der kommentar ist gut, auch wenn er sich wohl eher an die journalisten selbst richtet, als an die leser. im großen und ganzen ein kompliment an die macher. und ich trau mich fast gar nicht da zu sagen: vor allem, in einer regionalzeitung!
    kann mich eigentlich nicht erinnern, soetwas ähnliches im meiner region mal gesehen zu haben.

    zur berichterstattung: wir haben es bei unserer regionalzeitung auch so gehalten. kein bild vom täter, keine bilder und namen der opfer, keine identifizierbaren details aus deren leben. und auch im umfang der berichterstattung haben wir uns nach aufmacher und sonderseite am ersten tag anschließend zurück gehalten. unsere leser haben uns das sogar gedankt! ich nenne das einfach verantwortungsvoll und journalistisch wie ethisch sauber. sonst hätte ich noch schlechter deshalb geschlafen (meine Mutter ist Lehrerin, deshalb schlafe ich bei solchen Ereignissen generell immer schlecht).

    @11: medienkompetenz ist noch lange nicht, wenn bei uns ard und zdf auf der ein und zwei oder der 33 und 34 programmiert sind. solches medienverhalten ist übrigens angelernt, von den eltern. wenn kinder heutzutage lieber rtl 2, rtl und superrtl gucken, dann gucken die eltern rtl. gucken sie lieber kika und ard/zdf, dann gucken die eltern öffentlich rechtlich.
    an sich ist aber der gedanke ein sehr guter. es gibt solche angebote und projekte, nur leider viel zu wenige. und wirklich wichtig sind die im kindergartenalter, spätestens erste und zweite klasse. da erfolgt die grundprägung. womit wir aber irgendwie wieder bei der verantwortung der eltern wären

    wir haben letztens in einem seminar darüber diskutiert, ob das verhalten von bild und anderen (auch nicht-boulevard-) medien zu heftig war. unser seminarleiter meinte, das wäre noch harmlos im gegensatz zur yellowpress in GB und den fernsehsendern in den USA.
    was nicht funktioniert, denke ich, ist druck durch die politik. sowas muss von innen kommen (presseselbstkontrolle, stärkeres bewusstsein der eigenen verantwortung) und von den lesern/hörern/zuschauern. wenn den lesern einer lokalzeitung etwas dort nicht passt, dann stehen die telefone nicht mehr still. aber wer von denen ruft bitte schon bei rtl oder dem zdf an?

  15. Da kann ich nur eines erneut aus Überzeugung sagen: DAFÜR zahl‘ ich nicht!

    Aber wenn ich solchen niveaulosen Boulevard-Journalismus kritisiere, wird es ja als „blödes Scheinargument“ abgetan…

  16. georgie: Ernst gemeinte Frage: Wie haben es die Leser gedankt? Dreizehn Leserbriefe und der Rest kauft parallel Spiegel, Stern und BILD?

  17. Fernsehkritiker: AFAIK sind „Hallo Deutschland“ und „brisant“ nicht nur im üertragenen Sinne billig, sondern auch tatsächlich billigst produziert. Nur die täglichen vier Stunden Zoo-Doku im ÖR sind noch billiger.

  18. Die Seite scheint wirklich spannend zu sein. Vor allem liefert der SHZ ja massig Stoff, an dem sich die beiden abarbeiten könnten. Wieso nur habe ich das Gefühl, dass dies nicht in dieser Größe stattfinden wird?

    Erst wenn über SHZ-Reporter berichtet wird, die Angehörige schütteln, deren Existenz gerade niedergebrannt ist, ist diese Medienseite auch glaubwürdig. Warten wir ab.

  19. @torsten: mehr als das war es auf jeden fall. auch wenn unseren lesern das telefon näher ist als der briefkasten. ich arbeite in einer lokalredaktion und wurde nach winnenden mehrfach darauf angesprochen. in unserer stadt ist eine bundeswehrkaserne, einige soldaten, die hier stationiert waren, sind in afghanistan getötet worden. die menschen hier kennen sich also leider aus mit leid und trauer. es ist also nicht nur die berichterstattung über winnenden, es ist wohl auch eher ein dank für den respektvollen umgang, den wir seit jahren pflegen. im zusammenhang mit den soldaten haben die leute hier nämlich auch schon ganz andere sachen erlebt.

  20. Immer wieder schön zu sehen: die ARD und das ZDF drischen wann immer sie nur können auf die Privaten mit ihren komischen Sendungen drauf, selber kopieren sie aber den letzten Dreck und Abschaum (Hallo D oder Brisant) der nichts mit ihrem Bildungsauftrag zu tun hat.

  21. @25
    „…selber kopieren sie aber den letzten Dreck und Abschaum (Hallo D oder Brisant) der nichts mit ihrem Bildungsauftrag zu tun hat.“
    Wenn sie den Abschaum kopieren, muss die Vorlage ja bei den Privaten zu suchen sein. Ich würde ARD und ZDF nicht nachsagen, stolz vornweg zu laufen. Nein. Die kriechen hinterher und begeben sich in solche Schlammlöcher, um ihre Zuschauer weniger schnell zu verlieren. Denn der Abschaum wird nachgefragt. Das ist ja das eigentlich Schlimme.
    Dazu kommen dann Zuschauer, die nur das Wort „Bildungsauftrag“ kennen und damit unterschwellig verlangen, dass dort 24/7 Telekolleg läuft. Das ist aber schlicht falsch. Massenunterhaltung gehört genauso dazu. Wenn Boulevardmagazine und Seifenopern eatblierte und nachgefragte Formate sind, dann können die auch angeboten werden. Immerhin kann man Brisant eindeutig von der Tagesschau unterscheiden. Es gibt nicht eine private Nachrichtensendung, von der man das gleiche behaupten kann.

  22. Gibt es denn Boulevard-Sendungen die seriös sind und von denen man „gutes“ Material geliefert bekommt? Für solche Formate ist und bleibt BILD VorBILD.

    Selbst Frank Plasberg hat bei Harald Schmidt verraten, dass dessen Redaktion die BILD liest um erst einmal die Stimmungen und Themen einzufangen.

  23. @Schreiberling/26: Sehe ich auch so, insbesondere die klare Trennung im Vergl. zu den Privaten.

    Was ich darüber hinaus für meist ziemlich überflüssig halte, ist dieses oftmals zu lesende (Eigen-)lob hinsichtlich der Lokalberichterstattung. Nicht nur das Fernsehen verliert -wie wir alle wissen- Zuschauer, auch (insbesondere) Print.

    Die, die noch vor nicht allzu langer Zeit am lautesten geschimpft haben (und Lokal-/Regionalzeitungen waren da gut mit dabei), drucken heute ohne zu Zögern vollständige Namen. Um mit Vor-und Zunamen in manchen Lokalzeitungen zu erscheinen, muss man heute nichtmal Amok laufen, ein tödlicher Verkehrsunfall reicht.

    Argumentation? Wenn wir ihn nicht drucken, denken die Leser, wir wüssten ihn nicht und seien schlecht informiert (und bestellen bestimmt das Print-Abo ab…ja, bestimmt..:-o).

    Lokale Print-Volos lernen heute in Seminaren explizit Boulevardschreibe.

    Ich kenne Lokalredakteure, gegen deren Methoden, für die sie sich nicht ansatzweise schämen (in der Krise ist das erlaubt), sind die Fernsehkollegen Lämmer.

  24. @15: Wahrscheinlich, weil ich keine gültige Mail-Adresse angegeben hatte, ist mein Kommentar mit Link auf einen Agenturtext über die Beisetzung auf shz.de wohl gelöscht worden. Genauso wie dort übrigens besagter und viele weitere Winnenden-Texte vom 21.

  25. Jeder darf twittern, jeder darf die Sozialen Netzwerke bewohnen, jeder darf hemmungslos privateste Daten ins Internet stellen. Jeder darf (und will) fernsehen und jeder soll Zeitung lesen.

    Aber gleichzeitig sollen die Medien im Fall eines schrecklichen Verbreches wie dem Amoklauf von Winnenden das Twittern einstellen, keinesfalls in Sozialen Netzwerken recherchieren, die Profile aller Betroffener ignorieren, das Filmen am Tatort einstellen und rund um die Betroffenen des Verbrechens eine 50-Kilometer-Bannmeile einhalten?

    Sorry, aber das ist doch scheinheilig…

  26. @Sascha:
    Es gibt doch nicht nur schwarz und weiß!
    Natürlich haben die Medien die Pflicht, über so einen Fall zu Berichten und auch die Hintergründe aufzudecken, jedoch gibt es zwischen Jormalismus und Voyeurismus einen Unterschied. Natürlich ist es für die Öffentlichkeit eine relevante Information, dass die Tat nicht der Waffe der Eltern begangen wurde und auch, welche politischen Repräsentatnen an der Trauerfeier teilgenommen haben. Natürlich haben die Medien einen Informationsauftrag.
    Aber wo ist der Informationsgehalt bei einem über die Friedhofsmauer geschossenen Foto einer Beerdigung? Oder der Nahaufnahme eines Trauernden? Oder dem Freizeitfoto eines Opfers aus dem SchülerVZ?
    Es gibt ein Recht am eigenen Bild. Seit wann ist es scheinheilig, Gesetzesbrüche zu kritisieren? Es gibt einen Pressekodex. Warum ist es scheinheilig, Verstöße gegen diese SELBSTverpflichtung zu dokumentieren?

  27. ZAPP mit Sack und Pack vor Ort ist auch nicht scheinheilig? Nichtmal ein bisschen? Man kann da genauso argumentieren: ZAPP hat die Aufgabe zu berichten, aber muss dazu -zumal es nicht um die aktuelle Berichterstattung geht, sondern die weniger zeitkritische Berichterstattung über diese- vor Ort den kamerageplagten Anwohnern gleich nochmal ein Mikro unter die Nase gehalten werden? Ein großes Problem für die Betroffenen war nicht (nur) der ständige persönliche Kontakt mit Reportern, sondern die schiere Masse an SNGs, Kameras etc. in der verhältnismäßig kleinen Stadt.

    Die Fotografen auf dem Pick-Up kann man natürlich einfach verurteilen. Allerdings ging es den Verantwortlichen, die das Film-und Fotografierverbot auf dem Friedhof verhängt haben, m.W. primär darum, dass sich Medienvertreter nicht innerhalb des Friedhofs tummeln. Sie wollten, wenn ich es richtig verstanden habe (ansonsten sorry) nicht per se Fotos verhindern, sondern das Bild von Fotografen neben Trauernden auf dem Friedhof. Ich weiß nicht, ob es sein muss, dann auf einen Pick-Up zu klettern, aber auch ZAPP will sich Geschichten wohl nicht zu Grunde recherchieren.

    Oder wie das „Notizblog“ fragt: „Nachbrenner des Sensationsjournalismus?“: http://notes.computernotizen.de/2009/03/19/nachbrenner-des-sensationsjournalismus/#comments

    Auch stellt sich in der Debatte nicht nur die Frage, wie verkommen die Medien sind, sondern auch wie verkommen „Experten“ aller Art sind, die binnen kürzester Zeit Redaktionen zugespamt haben mit Interview-und O-Ton-Angeboten. Und: sind die Medien schuld daran, dass offenbar Mitschüler/innen noch am Tattag (von sich aus) allerlei Redaktionen Bilder und Infos gegen Cash angeboten haben? Inwiefern haben wir da ein Medienproblem und inwiefern ein eher gesellschaftliches, auch in Hinblick darauf, dass es, wie aus zuverlässiger Quelle zu erfahren ist, Kids und Eltern gleichermaßen gab, die erst keine Chance ausließen, im TV-Bild aufzutauchen und später „Presse raus“ schrieen? Mir ist klar, dass es um eine Minderheit geht und dass es schwierig ist, hier nicht die Falschen zu treffen – wenn es aber so war, gehört auch das in die Nachberichterstattung, sofern ich mir ein möglichst umfassendes, neutrales und wahrheitsgemäßes Bild machen will/soll.

    Bitte nicht falsch verstehen: Es geht mir ausdrücklich nicht darum, zweifehlhafte Aktionen von Reportern zu relativieren, ich sehe es lediglich wie Fabian/31: es gibt nicht nur schwarz und weiß ;-)

  28. Wenn Herr Plasberg sagt, dass seine Redaktion BILD liest, „um erst einmal die Stimmungen und Themen einzufangen“, dann ist das die Kapitulation vor dem Boulevard. Denn es ist ja nicht so, dass BILD die „Stimmungen und Themen“ wiedergibt – es bestimmt sie für weite Teile der Bevölkerung. Und wer der BILD das Agenda-Setting überlässt, der ist für mich nicht ernstzunehmen.

  29. @motzgurke: Leider ist der erste Griff zu den Boulevard-Postillen in nahezu jeder Redaktion üblich und da kaum genug Zeit besteht, sich auch und gerade mit anderen Zeitungen und Medien zu beschäftigen, diktiert nicht selten Springer die frühen Redaktionskonferenzen. Und viele erkenne die Gefahr nicht, glauben sie doch per Intellekt Relevantes und Boulevardeskes auseinander halten zu können und merken nicht, wie Stil und Duktus, Mentalität und Suggestion des Boulevards sich in ihr Unterbewusstsein nisten.
    Bild-Zeitung lesen zerstört Hirnmasse und vernünftige Chef-Redakteure sollten ihren Mitarbeitern die Recherche via Springer verbieten.

  30. @34:
    Die Forderung ist doch wirklich weltfremd. Mehrere Millionen Menschen lesen täglich Bild und ein Großteil davon wird sogar glauben, was dort steht und am Tag darüber sprechen. Das kann man doch nicht völlig ignorieren. Das wäre der größte Fehler, den die „seriösen“ Medien machen können. Im Gegenteil wäre es doch erfreulich, wenn andere Zeitungen nach der FalschMeldung der Bildzeitung, dass die ostdeutschen Rentner in diesem Jahr wieder mehr mehr bekommen, von anderen Zeitungen korrigiert würden mit Meldungen wie „Ost-Rentenniveau nähert sich allmhlich dem Westniveau“. Die Menschen lernen einen kritischen Umgang mit der Bild doch nicht, indem alle anderen sie ignorieren, sondern sich mit ihr auseinandersetzen.
    PS: Kleine Einschränkung: Wenn Sie „Recherche“ wirklich nur iSv „Beschaffung von zuverlässigen Informationen“ verstehen, stimme ich Ihnen natürlich zu.

  31. auf hallo deutschland läuft in diesem moment ein beitrag, der schon vor ca. einem halben jahr bei zdf.reporter lief. und zwar original genau so…

  32. Als ich am Abend des Amoklaufs bei stern.tv zwei Jugendliche sah, die ahnungs- bis hilflos von Günther Jauch zu einem Kommentar gedrängt wurden und diesen kaum abgeben konnten, war ich als Zuschauer schon peinlich berührt. Dass einer der beiden Tim K. überhaupt nicht kannte (vorher war das so angekündigt worden), machte die Sache nicht besser, im Gegenteil.
    Dass aber das „seriöse“ ZDF ebenso rücksichtslos vorgeht, habe ich erst hier erfahren. Da kann einem nur übel werden.

    Martin

  33. @ Fabian (#35): Kann man. Muss man. Die BLÖD sollte -wenn überhaupt- nur als schlechtes Beispiel Erwähnung finden, aber am besten gar nicht. Man kann auch etwas widerlegen, ohne die Fehlerquelle zu nennen. Die, die es falsch gelesen haben, werden das schon einordnen können (hoffe ich gelegentlich immer mal wieder *g*). Das mit den Millionen Menschen ist relativ; alte Sponti-Weisheit: eßt mehr Scheiße, Leute, Millionen Fliegen können nicht irren.

  34. Erinnert der Inhalt der Artikel noch jemanden sehr stark an die zapp-Folge der letzen Woche? Und das wörtlich.

  35. Liebe Leute,

    eines muß doch klar sein: das ZDF ist mittlerweile zum „BLÖD-Stil“ mutiert. In nahezu jeder Ausgabe des ZDF-Morgenmagazins zum Beispiel wird die BILD hochgehalten, teilweise dürfen sogar BILD-Redakteure im Rahmen der morgendlichen „Presseschau“ ihre Weisheiten verbreiten. Entsetzlich. Wann wird hier endlich einmal wegen Schleichwerbung eingegriffen???

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