Der blanke Wahn

Levi Johnston, der uneheliche Vater des Enkelsohns der ehemaligen Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin, wird sich möglicherweise für ein amerikanisches Erotikportal ausziehen und hat einen Werbefilm für Pistazien gedreht.

Das ist die Nachricht, und die Menschen in den führenden deutschen Online-Boulevardredaktionen, also bei sueddeutsche.de, „RP-Online“ und „Spiegel Online“, die diese Information heute auf den Tisch bekommen haben mit dem Auftrag, daraus einen klickträchtigen Artikel zu machen, haben vermutlich unser Mitleid verdient. Sie haben sich bestimmt auch etwas anderes unter Journalismus vorgestellt, als das tägliche Aufplustern solcher Nichtigkeiten durch rituelles Interpretieren und Halluzinieren.

Da geht’s ihnen wie mir.

Und die Sache mit Johnston ist in der Zusammenballung von Vergangenheits- und Möglichkeitsformen nun besonders anspruchsvoll, schließlich ist er der Nicht-mehr-noch-nicht-Schwiegersohn der Nicht-mehr-Gouverneurin und Noch-nicht-Präsidentschaftskandidatin, genau genommen sind beide im Moment also ungefähr nichts.

„Spiegel Online“ vorspannt:

Neue Peinlichkeiten aus dem angeblich so sittenstrengen Palin-Clan: Der frühere Schwiegersohn-Aspirant der zurückgetretenen Gouverneurin will sich unbedingt für das Magazin „Playgirl“ entkleiden. Doch bis dahin wirbt Levi Johnston erst einmal für Nüsse.

Die dezente Andeutung eines Hodenwitzes gibt Pluspunkte in der B-Note, aber Johnston „Sittenstrenge“ zu unterstellen, ist allein der Notwendigkeit geschuldet, einen Pseudo-Kontrast zu konstruieren, ebenso wie der Gaga-Satz, mit dem der Artikel beginnt: „Besonders zurückhaltend waren die Palins ja noch nie (…).“ Nicht?

Die Fallhöhe der Geschichte schrumpft auf mikroskopische Größenordnungen, wenn man dann liest, dass Johnston sich für ein Männermagazin schon einmal halb ausgezogen hatte, was dem großen deutschen Nachrichtenportal tatsächlich auch damals schon eine Meldung wert war. Überschrift, jawohl: „Palins Beinah-Schwiegersohn posiert ohne Hemd“.

Es stellt sich weiter heraus, dass „Spiegel Online“ das Magazin „Playgirl“, das Johnston vielleicht nackt zeigen wird, für ein „Heft“ hält, dabei erscheinen die nackten Jungs längst nur noch online.

Das konnte der diensthabenden Kollegin von sueddeutsche.de nicht passieren, die offenbar „Playgirl“ bei Wikipedia nachgeschlagen hat, dort das eindrucksvolle Adjektiv „pornographisch“ fand sowie ein paar weitere Informationen über die vermutete Leserschaft, was dringend benötigtes Material zum Skandalisieren dieser ganz und gar egalen Geschichte darstellte:

Ob Johnston, Vater eines gemeinsamen Kindes mit der 18-Jährigen Bristol Palin, weiß, was mit dem Fotoshooting auf ihn zukommt? Er selbst gab zu, er habe noch nie einen Blick in das Magazin geworfen. Mit den Inhalten kenne er sich trotzdem aus: Dem Daily Telegraph sagte er, er nähme an, es gehe um Typen, die für Frauen posieren. Dass das Playgirl eine große homosexuelle Fangemeinde hat, ist ihm offenbar nicht klar.

Ui. Nicht-mehr-Gouverneurinnen-nicht-mehr-noch-nicht-Schwiegersohn posiert für Schwule! Na, das wäre ja, also, das wäre ja was. Der sueddeutsche.de-Artikel beginnt übrigens so:

Ein Glück, dass der Wahlkampf ums amerikanische Präsidentenamt längst vorbei ist – noch vor einem Jahr hätte das, was sich gerade im Palin-Clan tut, für Riesenwirbel gesorgt: Levi Johnston, der Beinahe-Schwiegersohn der konservativen Ex-Gouverneurin von Alaska, will blank ziehen.

Der erste Satz ist schön: Da erfährt man sogar, unter welchen Umständen die Nicht-Nachricht, die sueddeutsche.de als Nachricht bringt, eine Nachricht gewesen wäre. Aber wenn Sie mir bitte auf einen kleinen Exkurs folgen würden:

Ich weiß nicht, ob es eine Altersfrage ist, aber ich kriege Pickel, wenn ich die Formulierung „blank ziehen“ höre, jedenfalls außerhalb ihres natürlichen Lebensraumes gelallter Sätze wie: „Kuckma, die geile Schlampe zieht blank!“ Wie hat es dieser Begriff geschafft, erst seine alte Bedeutung vom Zücken des Schwertes zu verlieren und dann von der Prollsprache aus die Welt der seriösen Medien wie sueddeutsche.de zu erobern?

Ich glaube, was ich an der Verwendung so eklig finde, ist die merkwürdige Kombination aus Geilheit und Prüderie, die er ausdrückt, dieses völlig abwegige Erstaunen darüber, dass jemand in der Öffentlichkeit oder sogar für die Öffentlichkeit intimere Bereiche seines Körpers entblößt. Jeder dieser Akte scheint heute mit einem Staunen gefeiert zu werden, als fände die Diskussion vor 40 Jahren statt und als wäre es heute möglich, mittags Programme wie RTL oder Pro Sieben einzuschalten, ohne dass einem nackte Brüste entgegenkugelten. Aber egal, wie allgegenwärtig nackte Frauen heute sind — in der „Bild“-Redaktion kann eine prominente Brustwarze, die für den Bruchteil einer Sekunde viertelenthüllt war und dabei fotografiert wurde, immer noch ganze Orgasmuskaskaden auslösen. Ich schweife ab.

Denn da sind ja noch meine Freunde von „RP-Online“. Für die ist das mit dem Nacktausziehen nicht ganz so schockierend wie für die Kollegen, denn immerhin hat der junge Mann ja schon für Pistazien geworben:

Damit ist es aber noch nicht genug: Johnston wirbt seit einigen Tagen in einem Werbespot für Pistazien. Im vergangenen Jahr hatte der 19-Jährige seine sittenstrenge Schwiegermutter in spe im Präsidentschaftswahlkampf in Bedrängnis gebracht, als er Palins Tochter schwängerte. [Über diesen Satz und den Gebrauch des Wortes „schwängern“ könnte ich ähnlich lange und fruchtlose Exkurse schreiben wie über das „blank ziehen“, aber glauben Sie mir: Das wollen Sie nicht lesen.]

In dem kurzen Spot wird jetzt genau darauf angespielt: Während Johnston genüßlich an seinen Pistazien knuspert, und hysterische Fans nach ihm schreien, hört man aus dem Off: „Jetzt macht es Levi Johnston mit Schutz.“ Damit hat der junge Mann schon eine Schmerzgrenze überschritten. Die Nacktbilder für „Playgirl“ dürften ihm damit nicht mehr schwer fallen.

Ist die Logik nicht toll? Und dieser rührende Gedanke, dass diesem versehentlich in die Öffentlichkeit geratenen jungen Mann sonst das Ausziehen, mutmaßlich für Geld, „schwer fallen“ könnte?

(Falls Sie übrigens das mit dem „Schutz“ nicht verstehen, könnte das daran liegen, dass weder „RP-Online“ noch „Spiegel Online“ erwähnen, dass in dem Film neben Johnston ein Bodybuilderguard steht, was für das Verständnis nicht ganz unwesentlich wäre, wenn nicht alles in dieser Geschichte unwesentlich wäre.)

Aber die Doofen von „RP-Online“ haben ja nicht einmal verstanden, dass Johnston das alles nicht zuletzt tut, um Palin und ihre Familie zu ärgern, weil er sich von der Mutter seines Kindes Ende vergangenen Jahres getrennt hat. Das können sie auch nicht verstehen, weil sie von dieser Trennung, die nun wirklich eine Art Nachricht war, nicht wissen und stattdessen fantasieren:

Düsseldorf (RPO). Politisch ist von der US-Republikanerin Sarah Palin nicht mehr viel zu hören. An bunten Geschichten um die ehemalige Gouverneurin von Alaska mangelt aber dennoch nicht. Jetzt will sich ihr zukünftiger Schwiegersohn für das Magazin „Playgirl“ ausziehen.

Sollte sich Sarah Palin tatsächlich auf eine Präsidenschaftskandidatur im Jahr 2012 vorbereiten, dürften ihr diese Schlagzeilen überhaupt nicht gefallen. Ausgerechnet ihr zukünftiger Schwiegersohn, Levi Johnston, will sich für Nacktaufnahmen ausziehen, die demnächst in dem US-Magazin „Playgirl“ erscheinen könnten.

Bitte fragen Sie mich nicht, warum ich das alles aufgeschrieben habe. Irgendwie hatte sich nach dem Urlaub diese Hornhautschicht noch nicht wieder gebildet, die mich sonst gelegentlich davor schützt, mich auf den blanken Wahnsinn des deutschen Online-Journalismus einzulassen.

Nachtrag, 9. Oktober, 13:30 Uhr. „RP-Online“ hat den Text unauffällig teilkorrigiert, hält aber aus irgendwelchen Gründen an der Formulierung „Schwiegersohn in spe“ fest.

Internet-Manifest-Ping-Pong

Die Frage nach Bezahlinhalten ist vielleicht ein – wenn auch für die Qualität und Rolle der Presse in Zukunft entscheidender – Nebenschauplatz, aber manchmal erwachen dort die grauen Zellen und schicken die ersten Botenstoffe aus. Wenn sie nicht sofort durch Glaubenssätze abgebloggt werden, entstehen so die ersten Kriterien und Argumente für eine vernunftbegabte Auseinandersetzung.

„WAZ“-Geschäftsführer Bodo Hombach antwortet auf unser Manifest.

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Sie fordern neue Ideen, neues Denken. Wir auch. Denn die an Ideenlosigkeit nicht zu überbietende Hamburger Erklärung hat uns deutlich gemacht, in welch katastrophalem Zustand sich das unternehmerische Denken in Deutschlands Medienhäusern befindet, wie veränderungs- und beratungsresistent diese Unternehmen sind.

Nun könnte man sie im Sinne der Marktwirtschaft einfach Richtung Untergang wanken lassen. Nur: Damit ist auch die Zukunft des Journalismus gefährdet – und das kann nicht im Sinn einer Demokratie sein.

Thomas Knüwer antwortet Bodo Hombach.

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mit dem medium das massenhaft „opfer“ produziert meint hombach natürlich nicht etwa die bildzeitung, „wild und hund“ oder das feldtelefon, sondern das internet. mit „anarchie“ meint er offenbar newsgroups, foren, blogs, webseiten, suchmaschinen oder soziale netzwerke die sich weltweit gebildet haben und dummerweise nur in deutschand der deutschen jurisdiktion unterliegen. und wie jeder weiss, sind nur die rücksichtslosen im internet erfolgreich: google, spiegel online, netzpolitik.org, die huffington post, ebay, amazon. schlimmer noch ist das beispielsweise bei facebook, xing, studivz und dem anarcho-netzwerk twitter. auch dort sind nur die rücksichtslosesten mitglieder an der macht. das alles muss dringend reglementiert werden, jetzt kommts, weil freiheit kinderpornographie ermöglicht. freiheit, anarchie, opfer, rücksichtslosigkeit, kinderpornografie. was für eine argumentationskette!

Felix Schwenzel antwortet Bodo Hombach.

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1. Das Internet ist anders.
… aber Journalismus im Internet ist nicht notwendig gratis.

Kommunikationswissenschafter Stephan Ruß-Mohl setzt unseren 17 Thesen 17 eigene entgegen.

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Qualität – noch so ein Reizwort. Ruß-Mohl schreibt: „Das Internet ‚entlarvt‘ gar nichts. Journalismus, der aufklärt, Spin reduziert, Skandale enthüllt, Korruption eindämmt, kostet Geld und hat große, arbeitsteilige und leistungsfähige Redaktionen zur Voraussetzung.“ Das ist es wieder, das sattsam bekannte Hohelied auf den Qualitätsjournalismus, der investigativ recherchiert, Skandale noch und nöcher aufdeckt und den Mächtigen ausdauernd auf die Finger klopft. Doch darum geht es ja gar nicht. Niemand, auch nicht das Manifest oder dessen Autoren bestreiten, dass investigativer Journalismus richtig und wichtig ist, auch wenn man ihn zunehmend mit der Lupe suchen muss. Das Internet macht aber transparent, wenn beispielsweise dutzende Zeitungen tagtäglich mit der gleichen Agenturberichterstattung inkl. demselben Foto aufmachen, das Internet macht nachvollziehbar, wenn deutsche Edelfedern ohne Quellenangabe aus amerikanischen Zeitungen abschreiben. Ein Journalistik-Professor müsste doch so etwas eigentlich gut finden. Oder nicht?

Stefan Winterbauer antwortet Stephan Ruß-Mohl.

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14 Jahre sind vergangen, seitdem Joshua Quittner in seinem berühmten »Hotwired«-Text „Way New Journalism“ die Vision eines ganz anderen Journalismus im Internet entwickelt hat. Es lohnt sich, Quittners Text noch einmal auf den Bildschirm zu holen: Er nennt nicht nur die Werkzeuge, die das Netz zur Verfügung stellt, sondern beschreibt auch deren möglichen Gebrauch: Multimedialität, Vertiefung, Dynamik der Texte, Journalismus als Gespräch, Publikumskritik, die Bedeutung von Amateuren – all das findet sich dort bereits. Seither ist viel Zeit für den Realitätstest gewesen, zu dem er damals aufgefordert hat. Das Manifest lässt wenig davon erkennen, dass der Erfahrungsschatz seither größer geworden ist.

Kommunikationswissenschafter Christoph Neuberger kommentiert das Manifest.

Programmhinweis (32)

Carolin Emcke spricht am kommenden Sonntag im „Streitraum“ der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin mit dem Frankfurter Pädagogik-Professor Micha Brumlik, dem NDR-Journalisten Kuno Haberbusch, dem Chef der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger und mir über:

„Öffentlichkeit und Vertrauen — wie viel Zweifel an unseren Medien brauchen wir?“

Die Krise stellt zur Zeit alles auf den Prüfstand: unsere Vorstellung von Kapitalismus, von Bildung, von Arbeit, von Globalisierung — nur die Öffentlichkeit selbst, das Instrument, mit dem wir uns als Gesellschaft über uns selbst verständigen, mit dem wir uns über unsere Werte und Konflikte auseinandersetzen, bleibt seltsam ausgenommen. Warum? Taugen unsere Medien eigentlich noch, diese dringend anstehenden Diskussionen zu führen? Gibt es eine Glaubwürdigkeitskrise des Journalismus, der nicht nur den Journalismus beschädigt, sondern auch unsere Fähigkeit, uns kritisch mit uns selbst auseinander zu setzen? Führt die Entwicklung des Internets zu einer größeren kritischen Distanz und partizipativer Lebendigkeit der Diskussion oder nur zu einer Fragmentisierung und Individualisierung der Gesellschaft? Was ist der Ort für soziales Lernen oder politische Bildung – das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das Internet, das Klassenzimmer? Wieviel Selbstkritik ertragen die Medien selbst?

Sonntagsredner telefonieren billiger

Im vergangenen Jahr sprach Bodo Hombach, der Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, bei einer Veranstaltung namens „Bayreuther Dialog“ zum Thema „Die Moral der Medien — Im Zwiespalt zwischen Qualität und Profit“ [pdf]. Den Untertitel, der ihm offenbar vom Veranstalter vorgegeben war, wies er aber in einer Sprache, die vage an Deutsch erinnert, gleich zurück:

Wer einen solchen Zwiespalt propagiert, oder Verleger die sich da hineintreiben lassen, verspielen die Zukunft ihrer Qualitätsmedien und ihren Markt [äh… sic!]. Sie beschleunigen den Trend zum Gratisjournalismus, der keine andere Funktion hat, als den Zwischenraum zwischen Anzeigen zu füllen, und der über kurz oder lang selber zur Werbung werden wird, also auch gekauft werden kann. (…)

Qualität und vernünftiger Profit sind unter diesen Umständen kein Gegensatz, sondern bedingen einander.

Beim Verlag der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ sei man da schon total weit, sagte Hombach, der den Zuhörern zum Beweis ein Papier mitgebracht hatte, in dem die Verantwortlichen seiner Zeitung 2007 ein paar journalistische Selbstverständlichkeiten aufgeschrieben und zum „Ehrenkodex“ verklärten hatten, dessen historische Unterzeichnung sie in einem dem Anlass angemessenen Foto festhielten und der sie zu großem Selbstbehudel animierte.

Hombach sagte bei dieser Gelegenheit (wiederum offenbar unredigiert): „Wenn von Qualitätszeitungen die Rede ist, sollen unsere Titel genannt werden, was heißt: Wenn unser Leser sagt, ‚das habe ich in der Zeitung gelesen‘, dann muss das bedeuten, dass es wahr ist.“ Er fügte hinzu: Gerade die Regionalzeitungen müssten ein deutliches Signal gegen die Vermischung von Werbung und redaktionellen Inhalten setzen. Der Verhaltenskodex der „WAZ“-Mediengruppe sei ein „Element in der Kette einer Qualitätsoffensive, die wir noch steigern wollen“.

Wenn man so naiv wäre anzunehmen, dass all das Gerede ernst gemeint war, hätte man sich nun fragen können, wie die Kollegen von der „WAZ“-Gruppe angesichts der superstrengen Vorgaben über die eindeutige Trennung von reaktionellen und werblichen Inhalten ihren neuen Telefontarif bewerben würden, den sie seit heute in Zusammenarbeit mit E-Plus ihren Lesern verkaufen wollen. Als Anzeige gekennzeichnet? In einer Extra-Rubrik „In eigener Sache“? Jedenfalls gestalterisch abgesetzt von den journalistischen Inhalten, wegen des Vertrauens und so?

Ja. Oder so:

Das ist die Titelseite der „Neuen Ruhr-Zeitung“ von gestern. Und sicherheitshalber schwärmte die Redaktion auf Seite 3 gleich noch weiter:

In anderen Blättern der „WAZ“-Gruppe sah es offenbar ähnlich aus.

Nun kann man natürlich sagen, dass es sich dabei nicht um Schleichwerbung handelt, weil die Redaktion ja nicht für ein fremdes Unternehmen wirbt, sondern für ein Produkt, an dem das eigene Haus zumindest mitverdient. Das ändert aber nichts daran, dass es sich nicht um journalistische Texte, sondern Werbetexte handelt, die hier als redaktionelle Inhalte präsentiert werden:

An Rhein und Ruhr. Fast 80 Prozent der Bundesbürger verfügen über mindestens ein Handy. Ob privat oder beruflich – für die meisten von uns ist das Mobiltelefon im Alltag unverzichtbar. Seine Einsatzmöglichkeiten nehmen immer mehr zu: Fotografieren, Musik hören, spielen, im Netz surfen. Doch das Wichtigste ist natürlich das Telefonieren, denn das bringt die Menschen zusammen.

Dafür macht jetzt die WAZ Mediengruppe, zu der auch die NRZ gehört, mit ihrem Mobilfunktarif „wir mobil“ ein besonders günstiges und übersichtliches Prepaid-Angebot: Unschlagbar günstig ist „wir mobil“ mit 3 Cent pro Minute für Anrufe in das deutsche Festnetz. (…)

Selbstverständlich können unsere Leserinnen und Leser als Kunden von „wir mobil“ nicht nur im Inland günstig telefonieren. In mehr als 110 Ländern ist man wie gewohnt erreichbar und aus über 70 Ländern kann normal telefoniert werden. (…)

Aber nur telefonieren war gestern, jetzt kommt das Internet aufs Handy (…).

usw. usf.

Unter Fotos, auf denen Menschen sich vor Symbolen für das Einzugsgebiet der „WAZ“-Gruppe glücklich Telefone ans Ohr halten, stehen Sätze wie:

Plaudern ohne versteckte Kosten kann man mit dem neuen Tarif „wir mobil“.

Ich weiß nicht, ob das stimmt. Das Wort „Kleingedrucktes“ haben die Handyvertragskäufer der „WAZ“ jedenfalls wörtlich genommen und es auf der Homepage sicherheitshalber auch nur in Eierschalenhellgrau auf Weiß gedruckt:

Aber natürlich darf man die Formulierungen aus dem Artikel nicht auf die Goldwaage legen, schließlich handelt es sich bei ihm um Werbung, die bloß deshalb von der „NRZ“ und ihren Schwesterblättern wie ein journalistischer Artikel aufgemacht wurde, damit der Handyvertragsverkäufer WAZ vom Vertrauen profitiert, das die Leser der scheinbar unabhängigen Redaktion ihrer Regionalzeitung entgegenbringt.

Wie hatte „WAZ“-Kommentator Bodo Zapp im Mai 2008 zum einjährigen Bestehen des tollen Kodex noch geschrieben?

Gesellschafter, Geschäftsführer, Chefredakteure, Anzeigenleitung und Betriebsräte stellten sich mit ihren Unterschriften voll hinter den WAZ-Kodex, der unter dem Leitgedanken „Die Redaktion ist nicht käuflich“ klare Vorgaben gibt. Der sagt, wie die Grenzen zwischen Anzeigen und Redaktion zu ziehen sind.

American Flausch

Mir geht’s wie der Freundin von Herrn Beetlebum: Ich kann nicht aufhören, Eichhörnchen zu fotografieren — obwohl spätestens nach zwei Wochen im Südwesten und Nordosten der USA klar war, dass die Tiere in diesem Land viel zu allgegenwärtig sind (und zwar unabhängig von der Klimazone und Stadt oder Land), als dass sie bei jedem Auftauchen solche Verzückung rechtfertigen würden. Aber, andererseits, ich meine…

…awwwwww. Und außer den großen Grauhörnchen zwieseln da ja auch noch die kleineren, weniger buschigen und etwas skeptischer dreinblickenden Erdhörnchen durch die Gegend:

In den Wüstenlandschaften und Canyons Utahs wächst außerdem etwas, das man wohl — angesichts der Illustration auf den Warnschildern — als Kryptoflausch bezeichnen muss:

Im nächsten Bild geht es ausnahmsweise nicht so sehr um die Kühe, als um das Verkehrsschild: Der Staat Utah kennzeichnet seine Landesstraßen mit einem Bienenstocksymbol — was deutlich charmanter war, als wir noch nicht wussten, dass der Bienenstock nur deshalb ein Wahrzeichen des Landes ist, weil er für die Emsigkeit und den Fleiß seiner (mormonischen) Einwohner steht. Nun ja.

Und ich mag mich täuschen, aber kann es sein, dass in Amerika selbst die Hasenohren größer sind als bei uns?

Mit Schafcontent kann ich leider gar nicht dienen — obwohl sich in den berühmten Nationalparks im Süden Utahs und Norden Arizonas eigentlich reichlich Dickhornschafe rumtreiben sollten. Die Indianer haben das Tier freundlicherweise mal auf etwas, das man heute „Zeitungsfelsen“ nennt, skizziert:

(Aber mit solchen Perspektiven wie denen hier hätte ich ohnehin nicht mithalten können.)

Die folgenden sympathischen Maultiere nehmen gerade ersten Kontakt auf mit Menschen, die sich gleich in den Grand Canyon heruntertragen werden, machen das aber nicht mit jedem. Pffft. Lasttiere sind auch nicht mehr das, was sie mal waren…

Dieser etwas überrascht aussehende Geselle ist ein Elch aus der Nähe vom Moosehead Lake im Nordosten Neuenglands, der vermutlich etwas frustriert ist, weil gerade Paarungszeit ist und angesichts der Auswahl wohl kaum eine Elchdame verzweifelt genug ist, sich auf ein Techtelmechtel mit einem Bullen mit halbem Geweih einzulassen:

Und schließlich hätte ich da noch eine besondere Kuhsorte, die sich leider in der Dämmerung mit der kleinen Digitalkamera und ohne Stativ nicht mehr richtig gut fotografieren ließ:

Wer errät, welchen typisch amerikanischen Spitznamen man den so gezeichneten Tieren gegeben hat?

Urlaubsvertretungsvertretung

Liebe Leserschaft, ich höre ein Rumpeln im Hausflur, der Hausherr ist zurück. Zeit für mich, meine Urlaubsvertretung zu beenden und meine Strandmuschel im Vorgarten wieder abzubauen. Die letzten Wochen haben mir hier wirklich großen Spaß bereitet und ich verabschiede mich nun mit passender Musik (mit meiner künftigen Ehefrau am Gesang) und bedanke mich rechthermzlich für ihre Aufmerksamkeit.

Wer Gefallen an meiner Schreiberei gefunden hat, kann dies auch gerne weiterhin tun. Zum Beispiel auf elektrischem Holz, in Twitter-Kurzform oder hier im Kollegium. Kowabunga!

Super-Bildunterschriften (5-9)

Die Luft auf Deutschlands Flohmärkten ist rauher geworden. Da kann es schonmal vorkommen, dass man sich schon kurz nach dem Versuch ein Gewürzregal um wenige Cents herunter zu handeln mit Betonschuhwerk in einem naheliegenden Gewässer wiederfindet:

Der ein oder andere Zuschauer des einstigen (und mittlerweile in anderer Form wiederbelebten) ran Sat1 Sportmagazins mag sich an den folgenden Herren in anderem Zusammenhang erinnern:

Vielleicht wurde das ein oder andere Wiesn-Bier ja auch von Werner Lorant ausgeschenkt.

Journalist Mike Sacks sammelt übrigens auch Schnappschüsse vom US-Fernsehen mit unterhaltsamen Untertiteln. Hier 3 Beispiele aus seiner Sammlung.

Im Würgegriff des Internets

Während das Internet beständig weiter wächst, immer wieder Neuerungen hervor bringt und täglich etwa 31902 neue Startups (deren Namen entweder auf [fehlender Vokal]r enden oder mit Tw anfangen) um die Aufmerksamkeit der Nutzer/innen buhlen, wird gerne mal vergessen, was nebenbei hinten runter fällt. Deshalb folgen nun: 10 Dinge die durch das Internet getötet wurden oder auf dem Weg dorthin sind.
(Basierend auf und inspiriert von diesem Artikel von Matthew Moore.)

  • Konzentrationsvermögen

    Man kann … Text … nebenbei …. checken … Internet … da war … ach ja. Wo ist … noch mal gucken. Das Internet bietet so wunderbar viele Möglichkeiten sich nebenbei zu betätigen, dass es schlichtweg gar nicht mehr möglich ist, sich auf seine eigentliche Arbeit zu konzentrieren. Die bisherige Krone der Schöpfung, der menschlichen De-Evolution bezüglich Konzentration, dürfte wohl Twitter sein.

    Der folgende XKCD Comic beschreibt ganz fabelhaft, wie sich der regelmäßige Gebrauch von Internet auf die allgemeine Konzentrationsfähigkeit auswirkt:

  • Das Vertrauen in Ärzte

    Immer häufiger müssen sich Mediziner gegenüber Patienten die sich während ihrer ersten Schritte im Internet vorsichtshalber bereits selbst diagnostiziert haben, behaupten. Dabei wird forsch argumentiert und mit einem Zettel mit allen wichtigen Fakten gewunken: Ein Ausdruck, Comic Sans in lila, Schriftgröße 16 auf roséfarbenem Untergrund. Die nötige Würze erhält die Diskussion von Vornherein dadurch, dass 99,5% aller Internet-Selbstdiagnosen per Suchmaschine früher oder später zum Ergebnis kommen, dass man an einer tödlichen Krankheit leidet.

  • Brieffreundschaften
    Auch Linus van Pelt zieht mittlerweile Emails vor
    Keine knittrigen Polaroids mehr, die jahrelang Teil des stetig gedeihenden Bürobedarfskefirs auf dem Schreibtisch sind, gelegentlich auftauchen und an die einstige Brieffreundschaft in einem Land, dessen man Namen nur bedingt aussprechen kann, erinnern.

    Andererseits genießen Brieffreundschaften in jungen Jahren eine sehr viel bessere Reputation als Internetbekanntschaften. Erklärt man seiner Mutter ein Brieffreund käme zu Besuch, ist die Freude groß. Gedeckter Tisch mit Suppe mit extragroßen Klößchen und dem Geschirr mit Goldrand. Ist hingegen die Rede von einer Internetbekanntschaft, wird auf Abbruch der Operation hingearbeitet, garniert mit Informationen aus Fernsehmagazinen am Nachmittag.

  • Die Reputation nigerianischer Geschäftsmänner und Prinzen

    „Lieber Freund,
    Ich vermute das diese E-Mail eine Überraschung für Sie sein wird, aber es ist wahr.“

    Trotz all der angepriesenen Wahrheit dürfte der warme Geldregen aus dem Westen Afrikas stets ausgeblieben sein. Vielleicht der wahre Grund für die Wirtschaftskrise? Aber irgendwas muss wohl am Mythos dieser Spam-Mails dran sein. Hin und wieder scheint sich bei Beantwortung da doch etwas ergeben zu haben.

  • Ironie

    Diese Form des Humors ist natürlich nicht wirklich gestorben und (hoffentlich) auch nicht auf dem Weg dahin, nur scheint sie im Internet schlichtweg nicht zu funktionieren. Einmal angewandt, gibt es in der Auffassung 4 verschiedene Lager:

  1. Leute verstehen Ironie auch in geschriebener Form dank des entsprechenden Zusammenhangs. Alle freuen sich.
  2. Leute verstehen die Ironie halbwegs, sind aber der Meinung den Spaß daran noch einmal erklären zu müssen. Besinnen sich während des Erklärens aber darauf, alles doch nicht lustig zu finden und müssen dies eindeutig klar stellen. Mehrmals.
  3. Leute verstehen die Ironie nicht, gehen aber derart auf den betroffenen Teil des Inhalts ein, dass es fast schon unangeneehm ist, sie auf die ironischen Umstände hinzuweisen.
  4. Blanke Empörung.
  • Der Mythos über die Intelligenz von Katzen

    Die einst so eigenwilligen, charakterstarken und dadurch so intelligenten Haustiger haben einen, bezüglich ihrer Intelligenz, herben Imageschlag erlitten. Lolcats. Katzenbilder kombiniert mit knappen, lustigen, orthographisch und grammatikalisch eigenwilligen Sätzen. Natürlich besitzen sie noch immer die zuvor erwähnten Eigenschaften, nur macht man sich eben keine Gedanken mehr darüber, was wohl gerade Mysteriöses im Kopf der Katze vorgeht, da sie womöglich sowieso nur an Cheezburger denkt.

  • Die kribbelnde Ungewissheit bevor man jemanden nach langer Zeit wieder sieht

    Welche kribbelnde Ungewissheit, zum Beispiel über das Aussehen, soll denn auch bei einem ersten Treffen nach fünf Jahren existieren, wenn man sich eh die vergangenen 5 Jahre auf Facebook, StudiVZ und Ähnlichem gegenseitig gestalked hat?

  • Der Gedanke, der Tod eines C-Promis würde einem als Einzige/r nahe gehen

    Die Träne im Knopfloch für Anna Nicole Smith fühlt sich plötzlich doch nicht mehr so befremdlich an, hat man erstmal realisiert, dass es tausenden Menschen rund um den Globus genauso geht. Mit dieser Gewissheit kann man sich dann voll und ganz diversen Tribute Videos auf YouTube (Irgendwas von Enya + die ersten 100 Bildersuchergebnisse für die betroffene Person + alle verfügbaren Überblendeffekte) und Dergleichen hingeben.

  • Unentdeckte Talente
    For Those About To Rock ... We Salute You
    [Foto: Anton Kawasaki]

    Unentdeckt ist vielleicht das falsche Wort dafür, denn das können sie schließlich auch für den Rest des Lebens bleiben. Aber dennoch war es noch nie so einfach für junge schaffende Künstler, welcher Richtung auch immer, trotz Abgeschiedenheit in irgendeinem Dorf mitten im Wald fernab jeglicher Popkultur, sich der Welt mitzuteilen.

    Allerdings gibt es hier noch eine weitere Ebene. Folgendes Szenario: Man entdeckt durch Zufall eine dieser kleinen Bands weit weg vom Schuss. Die Musik gefällt so sehr, dass sie in den auserwählten Kreis der Lieblingsbands aufgenommen wird. Nur hat diese Band aber die Besonderheit, dass man sie selbst entdeckt hat und sie sonst noch absolut Niemand kennt. Und genau an diesem Punkt kommt die Ernüchterung. Tippt man einmal den Bandnamen in eine Suchmaschine ein, gibt es gleich mehrere Tausend Suchergebnisse: Musikblogs, geführt von Herren mit schmalen Schnauzbärten und noch schmaleren Hosen, die diesen besonderen Coolnessbonus der Entdeckung für sich beanspruchen, da sie die meisten Bands eh schon hören, bevor sie überhaupt existieren.

  • Videotext

    Sport auf der 200, Programm auf der 300 und Nachrichten auf der 110. 3 Ziffern als Schlüssel zu sämtlichem Weltgeschehen, gekürzt auf wenige Zeilen in pixeligen Buchstaben. Mit dem langsamen Aussterben des Videotexts bricht womöglich auch einer der am meisten unterschätzen, kreativen Arbeitszweige weg. Oder habt ihr euch jemals gefragt, wer eigentlich versucht, nackte Frauen aus wenigen Bildpunkten zu kreieren, welche potentielle Kundschaft derart erregen sollen, dass sie tatsächlich bei einer Telefonsex-Hotline anrufen.

    Des Weiteren dürfte der Videotext auch die mitunter bedeutendsten Horte der Einsamkeit bieten: SMS-Chats. Vielleicht entwickelt sich ja auch eines Tages mal eine Art Sport daraus, Bewerbungsgespräche ausschließlich mit Videotext-Werbesprüchen von Faxabruf-Beratungen zu führen. Und noch so eine Frage, die sich mir bis Heute noch nicht erschlossen hat: Wer ruft eigentlich bei Videotext-Telefonvotings an und stimmt (bei einem Preis von 49 Cent pro Anruf) für „Mir egal“? Und überhaupt: Entstehen Wurmlöcher oder Dergleichen, wenn man Videotext im Internet bedient?

    Aber aufgepasst! RTL und Philips arbeiten an einer neuen Form des Teletexts. Ein neuer, schnellerer, besserer, bunterer Videotext – der erste Sargnagel für das Internet?

Wolkig

Neben dem heimlichen Versuch, zu sehen wie lange es wohl dauert bis der Blog eines renommierten Medienjournalisten aufgrund von Kommafehlern und Grammatikschwächen implodiert, wurde ich hier ja eigentlich zur Bearbeitung des Karma-Kontos dieses Blogs engagiert. Bitteschön:

[Aufgrund rechtlicher Bedenken wurde das ursprüngliche Video durch ein anderes, besseres ersetzt. Marshmallows werden bekanntermaßen ja auch aus Wolken hergestellt, von daher passt der Titel auch weiterhin.]