Spiegel-TV findet geiles YouTube-Video

So begann am Sonntag auf RTL das „Spiegel TV Magazin“:

Und mal abgesehen von dem etwas beunruhigenden Ansagermodell; abgesehen von der ungewollten „Spiegel“-Selbst-Parodie „Was Nazis, Russen und der Sozialismus nicht schafften: Die Berliner S-Bahn steht“; abgesehen von der B-moviesken Formulierung „Als sich am vergangenen Sonntag um 18.37 Uhr die Sonne über der Autobahn A2 durch die dichten Regenwolken kämpfte, war das Schicksal vieler Autofahrer besiegelt“ und abgesehen davon, dass es den „Spiegel TV“-Leuten schon reicht, Clipfish zu imitieren und geile Aufnahmeschnipsel zu zeigen, ohne sie in irgendeinen journalistischen Kontext zu stellen —

— abgesehen von alldem ist interessant, wie Spiegel-TV an diese Bilder von einem Polizeieinsatz auf St. Pauli gekommen ist. Das Magazin aus der Spiegel-Gruppe, die Seite an Seite mit den Herausgebern von „Coupé“ und „Bild“ gegen „rechtsfreie Zonen“ im Internet kämpft und gegen die „zahlreichen Anbieter“, die die Arbeit von anderen verwenden, „ohne dafür zu bezahlen“, hat sie auf YouTube gefunden und sich einfach bedient.

Dabei wäre der Urheber des Videos leicht ausfindig zu machen gewesen: Die Profilseite des YouTube-Nutzers verlinkt direkt auf das Blog von Matt Wagner, der darin auch über seine Aufnahmen von dem Polizeieinsatz berichtet. [Korrektur, 15:45 Uhr: Das ist falsch. Der Link stand ursprünglich nicht im Profil. Die Redaktion hätte aber über die Kommentarfunktion Kontakt zu Wagner aufnehmen können.]

Doch der wurde nicht gefragt, erfuhr nur zufällig von der Verwendung seines Materials und staunte:

Spiegel TV sucht sich im Internet fremde Inhalte, um u. a. damit Sendungen zu gestalten, mit denen Werbeeinnahmen generiert werden. Die Urheber der fremden Inhalte werden vorher nicht gefragt, und man bietet ihnen auch kein Honorar an.

(…) wenn ein kommerzieller Fernsehsender das tut, dann muss er a) fragen und b) zahlen.

Wagners Kontaktversuche mit Spiegel-TV blieben zunächst ohne Erfolg, bis er einen Anwalt einschaltete. Nun antwortete das Magazin, erklärte, man habe es leider am Sonntag versäumt, den Urheber ausfindig zu machen, entschuldigte sich und bot nachträglich Lizenzgebühren an.

Geht doch. Und wir lernen und staunen: Nicht einmal Spiegel-TV ist eine rechtsfreie Zone.

[mit Dank an Bastian!]

The Age of Aquarium

Alles andere als Flausch-Content, aber macht trotzdem warm ums Herz, das Video, das der Filmemacher Jon Rawlinson im Okinawa Churaumi Aquarium in Japan aufgenommen hat:

Kuroshio Sea on Vimeo.

Ich habe das Video über das Blog von Benjamin Nickel entdeckt, und er und ich sind nicht die einzigen, denen es gefällt: Über eine Million Mal ist es inzwischen auf verschiedenen Plattformen angesehen worden.

Einen wesentlichen Reiz des Filmes macht allerdings die Musik aus, und die hätte Jon Rawlinson eigentlich gar nicht verwenden dürfen. Auch wenn er brav die Quelle nennt und sogar auf den Titel bei iTunes verlinkt — um Erlaubnis gefragt hat er die Gruppe Barcelona, von der das Stück stammt, nicht. Er hat sich einfach genommen, was ihm nicht gehört.

Was passierte nun?

Viele Menschen, denen das Stück gefiel (und die es sich jederzeit bei YouTube kostenlos anhören oder sogar runterladen könnten), kauften sich bei iTunes den Track. Und das Album stieg, obwohl es schon fast zwei Jahre alt ist, plötzlich in die Rock-Charts des amerikanischen iTunes-Stores; gestern zum Beispiel war es auf Platz 53.

Und die Band selbst meldete sich zu Wort und lud ein Antwortvideo auf YouTube hoch. Sie sagen darin, wie sehr sie sich geschmeichelt fühlen, dass Rawlinson ihre Musik ausgewählt hat, stellen sich vor, bedanken sich und werben für ihre Tour, bei der sie schon Leute getroffen hätten, die über das Aquariums-Video auf sie aufmerksam wurden:

Ist das nicht eine wunderschöne Geschichte?

Und, nein, ihre Moral lautet nicht, dass jeder einfach die Urheberrechte eines anderen ignorieren darf und dass jeder sich gefälligst freuen soll, wenn seine Urheberrechte verletzt wurden.

Die Moral dieser Geschichte lautet, dass nicht jede unerlaubte Nutzung eines Werkes dem Künstler schadet. Und dass die Welt komplizierter ist, als es all diejenigen wahrhaben wollen, die glauben, man müsse jede unerlaubte Nutzung eines Werkes bestrafen. Und dass man manchmal Geld damit verdienen kann, dass jemand etwas kostenlos zur Verfügung stellt.

Und natürlich: Ist es nicht schön? Mit den Fischen, dem Film, der Musik?

[Im deutschen iTunes-Store ist die Platte übrigens anscheinend nicht zu bekommen. Aber bei Amazon.]

Ein Rechtsanspruch auf Profit?

„Wir können doch redlich feststellen, dass die Zeitungen im Internet vor allem mit dem Textangebot qualitativ hochwertig und vielfältig aufgestellt sind. Für eine negative Veränderung dieser Situation gibt es keine Anzeichen. Das Gegenteil dennoch zu behaupten oder als zukünftig möglich hinzustellen ist schlichtweg unredlich.“

Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, 18.10.2008 in „Promedia“

„Das Internet ist für den Journalismus eine große Chance. Aber nur, wenn die wirtschaftliche Basis auch in den digitalen Vertriebskanälen gesichert bleibt. Das ist derzeit nicht der Fall.“

„Hamburger Erklärung“ deutscher Presseverlage, 08.06.2009

Irgendetwas muss passiert sein zwischen diesen beiden Zitaten. Zwischen dem Sommer 2008, als den Verlegern und Privaten Rundfunkanbietern nichts wichtiger war als zu betonen, dass sie es ganz wunderbar hinbekommen, in diesem Internet genau die hochwertigen Inhalte zu produzieren, die so eine Demokratie braucht, und schon die Behauptung eines möglichen zukünftigen Marktversagens als eine Art Blasphemie zu tadeln. Und der Gegenwart, in der die Verlage nicht müde werden zu betonen, dass sie unter den gegenwärtigen Umständen eigentlich wirklich nicht in der Lage sind, genau die hochwertigen Inhalte zu produzieren, die so eine Demokratie braucht.

Sicher, zwischendurch ist eine Weltwirtschaftskrise passiert und eine dramatische Werbekrise, aber das ist es nicht.

Im vergangenen Sommer ging es darum, ARD und ZDF im Internet klein zu halten. Zur Debatte stand ein neuer Rundfunkstaatsvertrag und dabei vor allem die Frage, welche Rolle dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Internet zugestanden wird. Nun gibt es viele bessere und schlechtere, theoretische und praktische Argumente gegen solche gebührenfinanzierte Internetangebote, aber eines, das von den Lobbyisten der privaten Medien besonders gern benutzt wurde, weil es so anschaulich ist, lautete: Es gibt im Internet (anders als im Fernsehen) überhaupt keine Notwendigkeit, gebührenfinanzierten Journalismus zuzulassen, weil der privatwirtschaftlich finanzierte Journalismus hier doch nichts zu wünschen übrig lässt.

Tatsächlich haben sich die Verleger mit vielen ihrer Forderungen durchgesetzt — und teils groteske und dem Wesen des Mediums widersprechende Einschränkungen im Angebot der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz erreicht, was das Geldverdienen langfristig ein bisschen einfacher machen sollte.

Um nun weitere Forderungen vor allem an die Politik zu stellen, war eine klitzekleine Änderung in der Strategie nötig. Plötzlich war es den Verlagen nicht mehr ein Leichtes, für publizistische Qualität und Vielfalt im Netz zu sorgen, sondern angesichts einer Welt voller Räuber, Wegelagerer und Gebenichtse quasi unmöglich. So wird nun begründet, weshalb zum Beispiel neue Rechte und Vergünstigungen für die Verlage hermüssen.

Das gipfelt in der, sagen wir: Anregung, die Hubert Burda, Präsident der Zeitschriftenlobby VDZ, im aktuellen „Manager Magazin“ aufgreift, die Presse von der Mehrwertsteuer zu befreien. Schon jetzt gilt für Zeitungen und Zeitschriften wie für Lebensmittel und viele Kulturgüter der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent — nach der Logik, dass es sich um Dinge handelt, die lebensnotwendig oder gesellschaftlich förderungswürdig sind. Da bin ich sehr gespannt, wie die Verleger das begründen wollen, dass „privatwirtschaftlich verfasste Zeitungen und Zeitschriften“ in einer Demokratie nicht nur unverzichtbar sind, wie sie schon im vergangenen Jahr in ihrer „Münchner Erklärung“ verkündet haben, sondern sogar noch lebenswichtiger als das tägliche Brot, das ihnen gegenüber dann ja steuerlich benachteiligt würde.

Um es deutlich zu sagen: Ich habe ein großes Interesse daran, dass für die Presseverlage Rahmenbedingungen herrschen, die es ihnen ermöglichen, guten Journalismus zu machen. Das ist gut für mich und gut für uns alle (von mir aus auch in umgekehrter Reihenfolge). Aber die Art, wie die Verleger die Monstranz der Unersetzbarkeit und Gemeinnützigkeit vor sich hertragen und mit wechselnden selbstgebauten Popanzen ein Recht auf Profit unter allen Bedingungen einfordern, ist abstoßend.

Wider den Fluch der Durchhörbarkeit

Anders als ihre Kollegen vom Fernsehen bekommen Radiomacher (zum Glück) keine Kurve, die ihnen exakt zeigt, an welcher Stelle im Programm das Publikum am Tag zuvor zu- oder weggeschaltet hat. Aber es wäre interessant zu wissen, was heute Mittag um 12.13 Uhr mit den Hörerzahlen von You FM, der Jugendwelle des Hessischen Rundfunks, passiert ist. Im flauschigen Tagesprogramm zwischen Green Day und T.I. feat. Justin Timberlake verstieß der Sender nämlich gegen das erste Gebot modernen Radiomachens: die Durchhörbarkeit.

Es lief die erste Folge von „All Inclusive“, einer 30-teiligen Mystery-Serie. Es geht um vier Freunde, die ihren Urlaub in der Dominikanischen Republik verbringen. Das Grauen beginnt, als plötzlich eine von ihnen unter verstörenden Umständen stirbt.

Das Hörspiel steht offenbar in der Tradition des Films „Blair Witch Project“ und erzählt seine Geschichte teils nicht-linear in vielen kurzen Audiofetzen — und mit Cliffhanger am Ende jeder Folge. Es ist ein Experiment, ob man ein Hörspiel im Erzählstil von „Lost“ ins Tagesprogramm eines populären Radiosenders bringen kann.

Es sind zweieinhalb Minuten Irritation in einem Umfeld, das sonst peinlich genau darauf achtet, nicht zu irritieren. Mit etwas Pech ist es auch das, was die Radioleute einen „Abschaltimpuls“ nennen — das Elend vieler moderner Hörfunkwellen lässt sich nicht zuletzt dadurch erklären, dass sie seit vielen Jahren daraufhin optimiert werden, solche Abschaltimpulse zu vermeiden, anstatt sich darüber Gedanken zu machen, was ein Einschaltimpuls sein kann.

„All Inclusive“ wird sicher einen Teil der Hörer zum reflexartigen Umschalten bringen. Ein Erfolg wäre es dann, wenn für einen anderen Teil der Hörer ein Grund zum Einschalten oder zum Abonnieren des Podcasts ist und dazu beiträgt, den Sender unverwechselbar zu machen. Wenn es, kurz gesagt: Fans produziert.

Ich kann schlecht beurteilen, wie die Zielgruppe auf eine solche Störung reagiert und ob sie bereit ist, sich auf ein sechs Wochen laufendes, 30-teiliges Hörspiel-Abenteuer von jeweils zweieinhalb Minute einzulassen. Aber so etwas auszuprobieren, steht öffentlich-rechtlichen Sendern gut an — und die Produktion der Berliner Firma „Raumstation“ kann sich, nach den ersten beiden Folgen zu urteilen, hören lassen.

Folge 1: [audio:http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wp-content/allinclusive3.mp3]

Folge 2: [audio:http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wp-content/allinclusive4.mp3]

„All Inclusive“ läuft werktags um kurz nach 12 und kurz nach 18 Uhr auf You FM und um 18.15 Uhr auf Das Ding. Fritz wird die Serie vom Herbst an ausstrahlen.

Felipe Massas Krankenschwester fürs Leben

In der mehrdutzendteiligen Bildergalerie von RTL.de, die den Unfall von Felipe Massa beim Qualifying zum Großen Preis von Ungarn als eine Art Daumenkino aufbereitet, folgt auf dieses Bild:

Dieses:

(Sie finden die Unfallfotos übrigens selbstverständlich in der Rubrik „Die schönsten Bilder vom Ungarn-GP“, und zwar unter der RTL.de-typischen Überschrift „Horror: Massa von brutal abgeschossen“:

Und wenn Sie mich fragen, ob bei RTL.de überhaupt jemand arbeitet, der noch was merkt: Aber ja! Schauen Sie nur auf den Teaser unten rechts.)

PS (via Christian in den Kommentaren):

[eingesandt von Jan]

„Journalisten“ im Auftrag der INSM

Wenn Redaktionen Journalisten nicht vernünftig bezahlen, tun es andere.

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), eine von Arbeitgeberverbänden finanzierte Organisation, die Stimmung für neoliberale Ideen und Konzepte macht, hat drei Jounalisten angeheuert, um kritischen Journalismus zu simulieren. Unter dem Namen „Deutschland 24/30“ sollen sie einen Monat lang durchs Land fahren, wichtige Menschen wie Anne Will, die Bundeskanzlerin und „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann treffen und Sachverhalte „durchaus auch kritisch“ hinterfragen. Rekrutiert wurden offenbar gezielt Journalisten, die „der sozialen Marktwirtschaft gegenüber positiv eingestellt und einem unternehmernahen Auftraggeber gegenüber aufgeschlossen sind“. Die drei zu Propagandisten mutierten Kollegen haben durchaus namhafte Medien im Lebenslauf.

Nach Informationen des Vereins „LobbyControl“ sollen diverse Medien über die Protagonisten und die Aktion berichten; aus den einzelnen Reiseberichten solle schließlich eine Fernseh-Reportage produziert werden. Der Berufsverband freier Journalisten, „Freischreiber“, berichtet, dass das Honorar für jeden der drei Journalisten zwischen 6000 und 7000 Euro betragen soll.

Es ist eine Win-Win-Win-Situation: Die freien Journalisten kriegen ein schönes Thema und werden endlich mal ordentlich bezahlt. Die INSM kriegen schöne Berichte, die ihre Ideologie transportieren. Und die Medien kriegen günstige Inhalte, um ihre Seiten und Sendeminuten zu füllen.

Ein echtes Zukunftsmodell.

[Ich bin „Freischreiber“-Mitglied.]

Nachtrag, 27. Juli. Gegenüber dem „Spiegel“ hat die INSM eingeräumt, Fehler gemacht zu haben. Dass „Anne Will“ oder die „Zeit“ über die Aktion berichten würden und Personen wie Angela Merkel als Gesprächspartner zur Verfügung stünden, wie es in einem Arbeitspapier hieß, mit dem die Journalisten angeworben wurden, seien nur „erste Vorüberlegungen“ gewesen, „wen man ansprechen könnte“. In Wahrheit hätten diese Prominenten abgesagt. Einer der beteiligten Journalisten sagte, er habe gegenüber der INSM auf journalistischer Freiheit bestanden. Die merkwürdigen PR-Praktiken der Lobbyorganisation seien ihm nicht bekannt gewesen.

Kurz verlinkt (39)

Langsam und sehr, sehr würdevoll schwebte die Fee aus dem Pressehaus am Schiffbauerdamm in den Berliner Abendhimmel. „Ein bisschen wie Mary Poppins“, flüsterte einer der Herren, die eben noch rund um den DJV-Konferenztisch versammelt saßen und jetzt aus dem offenen Fenster starrten. Es dauerte einen Moment, bis sich einer an den Laptop setzte und „news.google.de“ eintippte — Server nicht gefunden. Die Fee hatte es tatsächlich getan: Google News war verschwunden.

Weiterlesen bei Alexander Svensson im „Wortfeld“.

Ich habe das „Manager Magazin“ gekauft

Im aktuellen „Manager Magazin“ steht ein Interview mit dem Verleger und Zeitschriftenlobbyisten Hubert Burda. Die Frage aus dem Vorspann wird darin zwar nicht beantwortet. Das Gespräch endet aber so:

Herr Burda, was sagen Sie: Sollen wir dieses Interview im Internet verschenken? BURDA: Mir wäre es auch recht, wenn Sie es verkauften.

Verrückte Idee.

Ich wollte das „Manager Magazin“ schon am Mittwoch kaufen. Am Mittwoch veröffentlichten nämlich „Spiegel Online“ und „manager-magazin.de“ gleichlautende Artikel, in denen die interessant klingende Aussagen aus dem Interview zitiert wurden; Fachmedien wie „Meedia“ machten aus Burdas Äußerungen Meldungen (bzw. nutzten die teuer produzierten Qualitätsinhalte bedenkenlos kommerziell, wie es neuverlegerisch korrekt natürlich heißen muss).

Jedenfalls war ich schon halb aus der Tür raus, als mich mein Bürokollege darauf hinwies, dass es das Heft noch gar nicht gibt: Es erscheine erst in zwei Tagen. Richtig. Das hatte ich vergessen.

Das ist natürlich eine originelle Vermarktungsstrategie mit Cliffhanger: Das Interesse an dem Produkt zu einem Zeitpunkt schüren, an dem es noch gar nicht erhältlich ist, und hoffen, dass sich die Leute später, wenn es erhältlich ist, noch daran erinnern, dass sie es eigentlich haben wollten.

Erstaunlicherweise habe ich mich heute morgen aber noch daran erinnert und auf dem Weg zur Arbeit versucht, ein „Manager Magazin“ zu kaufen. Das gestaltete sich ein bisschen schwierig, weil es weder der eine Kiosk noch der andere Kiosk noch der Supermarkt hatten. Das hängt vermutlich mit der Dichte (oder besser: Dünne) von Managern in dem Bereich von Kreuzberg-Friedrichshain zusammen, in dem ich wohne und arbeite, aber zum Glück gibt es ja das Internet.

Ich habe also versucht, den Artikel online zu kaufen. Ich wäre bereit gewesen, das ganze „Manager Magazin“ zu kaufen, als PDF oder E-Paper, selbst zum Print-Verkaufspreis von 7 Euro (obwohl darin ja eigentlich auch die Druck- und Vertriebskosten enthalten sind). Ich hätte sogar einen absurd überteuerten Preis für den einzelnen Artikel gezahlt, wie es zum Beispiel die „FAZ“ bei ihren Texten anbietet. Aber das „Manager Magazin“ lässt mich einen Artikel aus dem heute erschienenen Heft nicht online kaufen, egal wieviel Geld ich dafür auszugeben bereit bin. (Das Angebot, das meinem Wunsch am nächsten käme, ist die Online-Bestellung des gedruckten Heftes, das mir dann per Post zugestellt wird. Vielen Dank.)

Zum Glück hatte ich heute Mittag einen Termin in der Nähe der Friedrichstraße, wo Kioske tatsächlich das „Manager Magazin“ anbieten, griff zu, zahlte und konnte so jetzt doch das Interview lesen und das Ende nicht glauben. Sie erinnern sich:

Herr Burda, was sagen Sie: Sollen wir dieses Interview im Internet verschenken? BURDA: Mir wäre es auch recht, wenn Sie es verkauften.

Ja, wenn.

Wir schreiben das Jahr 2009, und das „Manager Magazin“ ist stolz darauf, seine Inhalte im Internet nicht nur nicht zu verschenken, sondern auch nicht zu verkaufen.

Alle jammern über die „Kostenlos-Kultur“ im Internet, aber das „Manager Magazin“ zwingt mich dazu, nicht nur für den einzelnen Artikel zu zahlen (wozu ich gerne bereit bin), sondern das ganze Heft zu kaufen (was zu einem für mich sehr schlechten Preis-Leistungsverhältnis führt), und zwar ausschließlich als Zeitschrift auf Papier (vermutlich wegen der höheren Qualität). Das kann man natürlich machen, wenn es einem (zu) gut geht, erscheint mir aber im gegenwärtigen Medienumbruch doch eine gewagte Zukunftsstrategie.

Vor allem, wenn ich, nachdem ich endlich mühsam meine 7 Euro losgeworden bin, feststelle, dass sie es nicht wert waren. Weil das Interview ungefähr nichts von Belang enthält, das das Magazin nicht schon kostenlos online gestellt hat — außer dem unfreiwillig selbstironischen Schluss und einem, zugegeben, erhellenden Blick in die Seele eines „Manager Magazin“-Redakteurs. Einmal, ein einziges Mal bricht es aus Klaus Boldt, der Hubert Burda sonst nüchtern-routiniert frageähnliche Vorlagen serviert, nämlich heraus:

Immer mehr Journalisten und Freizeitschreiber fühlen sich bemüßigt, ihre Aha-Erlebnisse in Netztagebüchern zu verbreiten und ihren Senf unter den Meinungsbrei zu quirlen, der schon jetzt Digitaldurchfall hervorruft.

Vielleicht braucht man weniger einen Medienexperten als einen Psychologen, um zu erklären, was da passiert ist.

Ulrich Deppendorfs Schweißausbruch am Ufer des Sommerlochs

Man kann diese Geschichte natürlich als Sommerloch-Thema abtun (schon weil das Sommerloch ihr Thema ist), aber das wäre schade, denn man kann etwas aus ihr lernen, und zwar über das publizistische Selbstverständnis von Ulrich Deppendorf, dem Leiter des Hauptstadtstudios der ARD.

Deppendorf hat sich über seinen Kollegen Kai Gniffke geärgert, der die Redaktion von „ARD aktuell“ leitet und am Dienstag kurz vor Feierabend und Mitternacht im Blog der „Tagesschau“ schnell noch verkündet hatte: „Es ist da!“:

„… heute öffnete das Sommerloch erstmals für diese Saison sein sonnendurchflutetes Maul.“

Es war ein kurzer, launiger Eintrag – einer von dieser Sorte, die Blogs so lesenswert machen, weil sein Inhalt offensichtlich nicht vor der Veröffentlichung vom diensthabenden Bedenkenträger in Abstimmung mit der Stabsabteilung für Kommunikation, Unterabteilung Nichtkommunikation, geprüft wurde. „Wenn wir ehrlich sind“, plauderte Gniffke über die 20-Uhr-Ausgabe der „Tagesschau“ jenes Tages, „hätte man jedes, ja wirklich jedes unserer heutigen Themen auch lassen können.“ Dann scherzte er noch:

„Da schaut man sich gerne mal an, was den Kollegen der anderen Nachrichtensendungen einfällt. Habe schon gewitzelt, ob wir im Erklärraum heute ein 3D-Modell des Sommerlochs sehen.“

Ein „Ulrich Deppendorf“ fand’s nicht so lustig und kommentierte am nächsten Tag lesbar angesäuert:

„Lieber Herr Dr. Gniffke,

wie schön, dass Sie gestern fast jeden Beitrag der Tagesschau um 20 Uhr für entbehrlich hielten. Das hätten Sie uns ja dann auch schon etwas früher mitteilen können. Dann hätten die Kollegen und Kolleginnen aus dem Hauptstadtstudio und in der Republik ja schon eher die Arbeit für die Tagesschau einstellen können. Im Übrigen halte ich keines der Themen gestern für entbehrlich oder dem Sommerloch geschuldet. (…) Nun warten wir jeden Tag auf Ihre Einordnung, was entbehrlich ist. Heute vielleicht Porsche, Opel oder Afghanistan?“

Auch in der tagesschau.de-Redaktion konnten sie es erst nicht glauben, aber dieser „Ulrich Deppendorf“ ist tatsächlich Ulrich Deppendorf. Nun muss man trotz des Tonfalls einen solchen öffentlichen Widerspruch nicht gleich als ARD-internen Zickenkrieg interpretieren – auch dafür sind Blogs ja ein wunderbares Medium, dass sie diese Art von Transparenz herstellen können. Aber Deppendorfs Kommentar ging noch weiter:

„Und warum schielen Sie immer auf das ZDF? Sie sind Chefredakteur von ARD-Aktuell. Bitte mehr Selbstvertrauen. Wir sollten auch nicht mit zu viel Hochmut auf das neue ZDF-Studio schauen. Warten wir erst einmal ab, ob unser neues Studio 2011 der große Hit wird. Ein wenig mehr Solidarität durch Schweigen mit dem anderen öffentlich-rechtlichen System wäre nicht schlecht. Vielleicht benötigen wir dessen Unterstützung ja irgendwann auch einmal.“

Da hört der Spaß aber auf. Ich kenne diese Argumentation aus eigener Erfahrung und der von anderen Medienjournalisten, vor allem aus Zeiten, in denen es den Medien schlecht geht. Berichten wir lieber nicht kritisch über das, was bei den anderen schiefgeht, dann können wir darauf hoffen, dass die anderen auch wattehaft mit uns umgehen. Es ist eine Haltung, die das Gegenteil von Journalismus ist, eine Kombination aus Kumpanei und Kalkül, Duckmäusertum und Angst, von der ich nicht gedacht hätte, dass ein ARD-Hauptstadtstudio-Leiter öffentlich für sie plädieren könnte.

Und nun ist Kai Gniffke wahrlich nicht der Holzer, der mit polemischen Angriffen auf die Konkurrenz im Blog jahrzehntelange Senderdiplomatie zunichte machte. Wenn schon seine harmlosen Frotzeleien über den Virtualitätspomp des ZDF Anlass genug für Deppendorf sind, sich um eine Retourkutsche in zwei Jahren (!) zu sorgen, mag man sich nicht ausmalen, was ernste Kritikversuche für Schweißausbrüche bei ihm auslösten – und wie oft er entsprechende Formen des Journalismus womöglich verhindert.

Gniffke antwortet Deppendorf übrigens im Blog behutsam, dass es „uns vielleicht gut zu Gesicht“ stünde, „etwas weniger breitbeinig durch’s Leben zu gehen“. Als wäre Deppendorfs Problem der breitbeinige Gang. Und nicht der aufrechte.