Verlorene Ehre

Inken Ramelow, die Geschäftsführerin von „Hamburg On Air“, die für Blätter wie „Stern“ und „Bild“ und Sendungen wie das ZDF-Magazin „Hallo Deutschland“ die Drecksarbeit erledigt, droht dem NDR mit juristischen Schritten, weil das Medienmagazin „Zapp“ in „ehrverletzender, unwahrer und missverständlicher Art und Weise“ über sie berichtet habe.

Obwohl sie bislang keine einstweilige Verfügung gegen den Sender erwirkt hat, ließ der NDR in vorauseilendem Gehorsam den Beitrag von seiner Homepage entfernen. Auch die reguläre Wiederholung der Sendung auf 3sat heute Nachmittag entfällt.

Ramelows Anwalt beschwert sich u.a. darüber, dass das Magazin seine Mandantin in die Öffentlichkeit gezerrt habe. Fast könnte man darüber lachen.

Der „Zapp“-Beitrag:

Nachtrag, 29. April. Das Video ist nun wieder auf der „Zapp“-Homepage zu sehen. Der NDR hat das Unterlassungsbegehren von Frau Ramelow und ihrer Firma zurückgewiesen.

Nachtrag, 28. April 2013. Nach meinem Eindruck hat sich Frau Ramelow jetzt seit einigen Jahren von dieser Form des Journalismus verabschiedet.

Möchtegern-Medienjournalisten gesucht!

Eigentlich müssten sie überrannt werden mit Bewerbungen, aber irgendwie tun sich die Grimme-Akademie und der Deutschlandfunk Jahr für Jahr schwer, genug Nachwuchsjournalisten zu finden für ihr dreitägiges Seminar über Medienberichterstattung in Köln. Dabei gibt es für eine Kostenpauschale von 150 Euro eine geballte Ladung Branchenprominenz: Zu den Referenten gehören Hans Leyendecker („Süddeutsche Zeitung“), Hans-Jürgen Jakobs (sueddeutsche.de), Kuno Haberbusch („Zapp“), Steffen Grimberg („taz“) und Hans Hoff (u.a. „Süddeutsche“). Und die Zahl der Teilnehmer ist auf entspannte zwölf begrenzt.

Ich habe viel Gutes davon gehört (und war einmal selbst Referent). In diesem Jahr findet das Seminar vom 16. bis 19. Juni statt; Bewerbungsschluss ist der 4. Mai.

Siegmund Ehrmann und die Biowaffe HIV

Am Montagnachmittag habe ich eine E-Mail an den SPD-Bundestagsabgeordneten Siegmund Ehrmann geschrieben:

(…) Die „Bild“-Zeitung zitiert Sie im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die [Sängerin], der vorgeworfen wird, vor Jahren trotz HIV-Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, mit dem Satz: „Wenn jemand seinen Körper als Bio-Waffe einsetzt, ist umfassende Berichterstattung ein dringendes öffentliches Anliegen und wichtiger als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.“

Ich möchte Sie gerne fragen:

  • Stimmt das Zitat?
  • Haben Sie Informationen darüber, dass [die Sängerin] absichtlich jemanden mit HIV infiziert hat, wie es die Formulierung von der „Bio-Waffe“ nahelegt? Soweit ich weiß, ist ihr das bislang nicht vorgeworfen wurden, sondern nur, dass sie eine mögliche Infektion durch den ungeschützten Geschlechtsverkehr in Kauf genommen habe.
  • Bislang ist [die Sängerin] nicht angeklagt, geschweige denn verurteilt worden. Offenbar halten Sie die umfassende Berichterstattung dennoch für gerechtfertigt. Heißt das nicht in der Konsequenz, dass nach Ihrer Argumentation jemand auch dann diese Berichterstattung über sein Intimleben hinnehmen muss, wenn er seinen Körper nicht als Bio-Waffe einsetzt?
  • Halten Sie den Körper eines jeden HIV-positiven Menschen für eine Bio-Waffe?

Ich habe keine Antwort bekommen.

Nachtrag, 20:02 Uhr. Plötzlich ging’s ganz schnell. Soeben schreibt mir Herr Ehrmann:

I.

In der BILD-Zeitung vom 17.04.2009 werden meine Ausführungen auf die Frage des Redakteurs

„War es richtig, dass die Staatsanwaltschaft Darmstadt die Ermittlungen gegen [die Sängerin] öffentlich gemacht hat?“

(mit einem wörtlichen Zitat von mir unterlegt) zusammengefasst wieder gegeben:

„Der stellvertretende Vorsitzende des Bundestags-Medienausschusses Siegmund Ehrmann (SPD) lobt die Staatsanwaltschaft ausdrücklich für ihre Informationspolitik: ‚Wenn jemand seinen Körper als Bio-Waffe einsetzt, ist umfassende Berichterstattung ein dringendes öffentliches Bedürfnis und wichtiger als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen'“.

II.

Dieses Zitat hat zum Teil kritische Reaktionen ausgelöst. Zur Klarstellung ist mir deshalb daran gelegen, die wesentlichen Aspekte meiner Argumentation gegenüber dem BILD-Redakteur darzulegen.

a) Ob der Verdacht der gefährlichen Körperverletzung letztendlich gerechtfertigt ist, kann ich nicht beurteilen. Dies aufzuklären, bleibt einem geordneten Verfahren vorbehalten. Bis dahin gilt auch für [Frau B] die Unschuldsvermutung.

b) Gleichwohl erachte ich eine Berichterstattung über die Tatsache eines Vorwurfes für gerechtfertigt:

•   Der verantwortliche Schutz gegen die weitere Verbreitung von HIV-Infektionen droht trotz aller Aufklärungsbemühungen bagatellisiert zu werden.

•   Wenn eine Person des öffentliches Interesses, wie sie [Frau B] ohne Zweifel darstellt, trotz eigener Kenntnis ihrer HIV-Infektion allem Anschein nach leichtfertig durch ungeschützte Intimbeziehungen die körperliche Unversehrtheit Dritter gefährdet, ist dies ein gegebener Anlass, Partner/innen eindringlich an ihre gegenseitigen Verantwortlichkeiten zu erinnern.

c) Die Formulierung „Körper als Bio-Waffe“ habe ich in der Tat benutzt. Ich würde ihn heute so nicht mehr verwenden, weil sich durch ihn die weit überwiegende Zahl der sich verantwortlich verhaltenden HIV-Infizierten diskreditiert fühlen können. Das lag und liegt mir fern.

d) Und schließlich:

Ich habe die Informationspolitik der Staatsanwaltschaft Darmstadt nicht ausdrücklich gelobt, diese aus dargelegten Gründen aber auch nicht beanstandet.

Blutiges Geschäft

Wenn Kinder sterben, schlägt die große Stunde der Inken Ramelow.

Im „Stern“ steht ihr Name über Artikeln wie „Die Mutter, die ihre fünf Söhne tötete“ und dem Stück „Und alle haben es geahnt…“, das von dem elenden Leben und Sterben des zweijährigen Tim handelt und mit einem großen Foto aufgemacht ist. Unter dem Bild, das Ramelow wohl besorgt hat, ist zu lesen:

Tim, nur mit Höschen und Strümpfen bekleidet, versucht, sich ein T-Shirt anzuziehen.Auf seiner linken Wange, dem Ellenbogen und dem Oberarm sind blaue Flecken zu erkennen. Die Aufnahme stammt aus der Kamera des Mannes, der ihn getötet haben soll, sie entstand drei Tage vor Tims Tod.

In „Bild“ erscheint 2005 ein Artikel von ihr: „Verhungerte Jessica — jetzt spricht ihr Bruder (15): Sperrt meine Mutter für immer weg!“. Ein echter Scoop.

Zwei Wochen später formuliert Ramelow, ebenfalls in „Bild“, über den gleichen Fall:

Jessicas Vater hat eine Säuferleber. Das heißt, er kann sich vielleicht damit rausreden, im Dauersuff gewesen zu sein, während das Kind verhungerte. Für Jessicas Mutter wird es schwieriger. Sie trinkt wenig, warum wurde sie zur Horrormutter?

Verdacht: Weil sie selber eine hatte …

Im Rest des Artikels erklärt sie die Mutter der damals Tatverdächtigen dann mithilfe exklusiver Aussagen ihres Ex-Ehemanns öffentlich zur Horrormutter.

Auch der Gerichtsmediziner in diesem Fall sprach zuerst mit Hamburg On Air, der Firma von Inken Ramelow, und dann erst im Gericht. Die „Süddeutsche Zeitung“ zitierte später den Staatsanwalt mit den Worten: „Wenn wir vorher davon gewusst hätten, wäre dieses Gespräch untersagt worden.“

Die „B.Z.“ verdankt Ramelow Artikel wie: „Irrwege der Liebe — In diesem Bad erschlug ihr Freund ihr Baby. Sie will ihn trotzdem heiraten“, für „Bild“ schrieb sie: „Mein Nachbar ist ein riesiges SEX-Ferkel — Gestern wurde er festgenommen“ — und lieferte gleich die Fotos: „Heimlich aufgenommen: So zeigte sich das Sexferkel jeden Sonntag an seinem Wohnzimmerfenster“.

Bilder sind das Hauptgeschäft von Hamburg On Air, und nach eigenen Angaben gehört nicht nur die halbe private Medienszene Deutschlands zu den Abnehmern der Firma, sondern auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen. (Ich würde mich nicht wundern, wenn das ZDF mit seinem Gaffermagazin „Hallo Deutschland“ einer der besten Kunden wäre.)

Natürlich ist es nicht immer ganz leicht, an diese tollen Aufnahmen zu kommen, die alle sehen wollen. Hier zum Beispiel versucht ein rücksichtsloser Pastor (zweiter von rechts) einfach zu verhindern, dass Inken Ramelow (rechts) und ihr Kamermann gegen den Willen der Familie auf den Friedhof gehen, um die Beerdigung der neun Monate alten Lara filmen zu können:

(Inken Ramelow hat „Zapp“ übrigens mitteilen lassen, ihr Job sei das Fragenstellen und nicht das Beantworten von Fragen. Lustig, das sehen ihre Freunde vom „Stern“ genauso.)

Nachtrag, 24. April. Der NDR hat das Video aus dem Netz genommen.

Nachtrag, 28. April 2013. Nach meinem Eindruck hat sich Frau Ramelow jetzt seit einigen Jahren von dieser Form des Journalismus verabschiedet.

Phoenix und die Kinderporno-Expertin

Julia von Weiler ist die Geschäftsführerin der deutschen Sektion von „Innocence in Danger“, einem Verein, der sich dem Kampf gegen Kinderpornographie „insbesondere im [sic] und über die neuen Medien verschrieben hat“. Insofern war es für Phoenix naheliegend, unmittelbar nach der live übertragenen Bundespressekonferenz, auf der die Minister Guttenberg, von der Leyen und Zypries einen Gesetzesentwurf zur „Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen“ vorstellten, mit ihr zu sprechen, um das Gesehene für den Zuschauer einzuordnen.

Vielleicht ein bisschen zu naheliegend.

Ausriss: FacebookJulia von Weiler hatte im vergangenen August gemeinsam mit Jörg Ziercke, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, ein Gesetz gefordert, mit dem der Zugang zu kinderpornographischen Seiten erschwert werden soll. Die „Welt“ deutet an, dass Julia von Weiler auch nicht unbeteiligt daran war, Familienministerin Ursula von der Leyen von der Notwendigkeit eines solchen Gesetzes zu überzeugen. Eilig vorangetrieben wurde es jetzt von Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Ehefrau Stephanie Freifrau zu Guttenberg zufällig Präsidentin des Vereins „Innocence in Danger“ ist, dessen Geschäftsführerin bekanntlich Julia von Weiler ist (die auch Julia Freifrau von und zu Weiler heißt — angesichts des Vorstands schiene „Adelige für Kinder“ auch ein treffender Name für die Organisation).

Irgendwie wünschte ich mir, dass ich mir all das nicht selbst hätte zusammengoogeln müssen, sondern Phoenix das für mich übernommen hätte. Wenn sie schon keinen unabhängigen Experten gefunden haben.

Die gute Nachricht des Jahres

Johannes B. Kerner gibt größere Teile des ZDF wieder frei. Sat.1 nimmt ihn.

Nachtrag. Im Vorspann zu seiner ersten „Johannes B. Kerner Show” 1998 im ZDF ist schon alles Schlimme drin, insbesondere der Ich-frag-ja-nur-Blick bei 0:17:

[Ich habe versehentlich den gleichlautenden Original-Eintrag gelöscht, samt der vielen lustigen Kommentare. Entschuldigung!]

Super-Symbolfoto (59)

Das Online-Angebot der „Ahlener Zeitung“ macht aktuell mit dieser Geschichte auf:

Und natürlich habe ich mich zuerst gefragt, ob das eines dieser berühmten Dschihadisten-Hühner ist. Und dann, ab welcher Sicherheitsstufe in deutschen Gerichtssälen sauerländische Hühner zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden.

Dann habe ich gemerkt, dass das Bild einen versteckten Fotohinweis enthält, der sichtbar wird, wenn man mit der Maus darüber fährt. Dort heißt es:

Auf dieser Wiese vor einer Siedlung in Medebach-Oberschledorn hatten Ermittler einen vermeintlichen Funkmesswagen aufgestellt, um die Verdächtigen zu überwachen.

Ist das nicht toll? Erklärt alles und ändert nichts.

Super-Symbolfotos (58)

Heute sind wir im Finanzressort der „Welt“. Das hier ist die Bildunterschrift:

Und Sie dürfen jetzt raten, was das Foto zeigt.

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, bevor Sie sich die Auflösung ansehen. Als erfahrener Leser dieser Rubrik können Sie fast drauf kommen.

[gefunden von Peter Knetsch]

Haselhörnchen

Flauschiges Frotteefell hin oder her – langsam müsste man diesem Haselhörnchen doch ein paar kritische Fragen stellen. Nach sieben Jahren, in denen es gute schlechte Witze im Kinderprogramm von Super-RTL machte, bekommt es endlich eine Show, die sogar seinen Namen trägt, aber was ist das? Keine große Gala. Keine Showtreppe. Vorerst nur acht Folgen von elf Minuten Länge. Wenn sich die Karriere in diesem Tempo weiterentwickelt, wird es ein sehr graues Haselhorn sein, bis es endlich „Wetten, dass . . .?“ moderieren darf.

Immerhin gibt es ab heute so etwas wie eine Mini-Sitcom mit dem frechen orangenen Muppet und seinem Freund, dem sympathisch farb- und freudlosen Jammerlappen, der bei ihm in der Abstellkammer lebt. Es sind Geschichten, die für Kinder gemacht sind, aber auch von kindgebliebenen Erwachsenen geliebt werden können, manchmal ein bisschen harmlos, aber voller Lust am schönen Detail. In der ersten Folge geht es darum, dass der Jammerlappen gerne ein Haustier hätte wie alle anderen – sogar diese komische Hexe aus der Nachbarschaft hat eine Schlange, mit der sie in den Supermarkt geht, um ihr die, genau: langen Schlangen zu zeigen. Das Zusammenleben mit Riesenmonsterhund Struppili gestaltet sich aber schwierig, und so landet der Jammerlappen bei Mutter Haselhörnchen, die ihn mit einem Putzlumpen verwechselt – Sie merken schon: große Dramen spielen sich ab.

Hinter und in der erstaunlichen Vielzahl von Puppen steckt Martin Reinl, der auch dem Hund Wiwaldi bei „Zimmer frei“ Fell, Hand und Stimme gibt. Ganz so anarchisch ist das Haselhörnchen nicht, aber Claude Schmit, der Geschäftsführer von Super-RTL, sagt, es habe eine „extrem hohe Akzeptanz bei den erwachsenen Zuschauern und bei Leuten, die nicht viel Fernsehen gucken“ – nicht zuletzt bei den Leuten aus den Werbeagenturen. Schmit: „Wir fangen keine Kundengespräche mehr an, ohne dass wir den Jammerlappen auf den Tisch legen.“ Vielleicht war es, nicht nur angesichts der gesamtgesellschaftlichen Lage, ein Fehler, das Haselhörnchen mit seiner dauerguten Laune („Toll!“) in den Mittelpunkt zu rücken. Der Jammerlappen hätte bei konsequenter Förderung sicher längst schon seine Late-Night-Show.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung