„Es gibt nichts, was ihr hättet tun können“

(…) 16 seiner 16 männlichen Klassenkameraden, schätzte am Donnerstag der Gymnasiast Johannes Struzek bei „Hart aber fair“, spielen „Counterstrike“.

(…) Die Obsession aber, mit der immer wieder Computerspiele als Ursache in die Debatte gebracht werden (und neuerdings verstärkt das Internet), ist nicht nur die Folge von Unkenntnis und Kulturpessimismus, sondern letztlich auch nur das Erbe des abendländischen Ursachenfetischismus, der glaubt, man müsse nur lange genug graben, bohren, fragen oder hinhören, um am Ende einen Grund, ein Motiv, einen Ursprung zu finden.

Zu welch grotesken Folgen dieser Aufklärungsfanatismus führt, erkennt man nirgends besser als an der Panne der Ermittler, die nicht warten konnten, der Öffentlichkeit Beweise mit der Chiffre „Internet“ vorzulegen. Dass sich der Hinweis, der Mörder habe seine Tat in einem Internetforum angekündigt, mittlerweile als Falschmeldung herausgestellt hat, ist gar nicht der Skandal: Viel schlimmer ist dabei der verzweifelte Wunsch, dieser Ankündigung überhaupt irgendeine Aussagekraft abzugewinnen. „Das Motiv hängt mit dem Internet zusammen“, orakelte ein Polizeisprecher vor der Präsentation der falschen Beweise, als wäre der Mörder von seiner eigenen Absichtserklärung angestiftet worden, und zwar vor allem deshalb, weil er sich dazu einen virtuellen Darkroom ausgesucht hatte. Man muss sich die dürftige Logik dieser Beweisführung vor Augen halten, weil sie zum Prinzip eines Medienwirkungsgequatsches geworden ist, dessen Popularität erstaunlicherweise kaum unter der Alltäglichkeit der Technik leidet, die sie so hartnäckig verteufelt. Längst müsste man sich allenfalls Sorgen um einen Siebzehnjährigen machen, der keine Spuren „im Internet“ hinterlässt. Und trotzdem schämen sich weder Polizisten noch Journalisten, den trauernden Angehörigen den nichtssagenden Befund der Zeitgenossenschaft des Mörders als Antwort auf all ihre Fragen zu präsentieren. „Das Internet ist schuld“: Von allen Antworten, mit denen die hilflosen Deuter der Tat einen Sinn verleihen wollen, ist dies die erbärmlichste.

Schreibt Harald Staun in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Der Ausgangspunkt seines unbedingt lesenswerten Artikels ist das gerade bei Eichborn erschienene Buch „Ich bin voller Hass — und das liebe ich“, in dem Joachim Gaertner Dokumente, Tagebuch- und Interneteinträge der beiden Schüler zusammengestellt hat, die vor zehn Jahren das Massaker an der Columbine High School verübten. Die Überschrift stammt aus einem der Videos, die die beiden von sich gedreht haben.

Ein Kater wie ein Präsident

Ali (nach dem Boxer) leidet nicht unter Minderwertigkeitskomplexen. Manchmal liegt er in der Sonne und betrachtet bewundernd seine großen Tatzen. Er will überall zugleich sein. Darum erinnert er mich an Sarkozy. Wenn man dessen Homepage Elysee.fr ansteuert, sieht man ihn auf Anhieb sechs Mal. Man glaubt gar nicht, dass es eine offizielle Seite sein könnte, sie ist voller Videokanäle, die über Sarkozy berichten, als lebten in Frankreich nur Analphabeten. Ali würde seine Homepage auch mt Alicontent vollpfropfen und sich davor setzen.

Trotz aller Desillusionierung über Sarkozy gibt es immer wieder diese Momente. Auf Elysée.fr sah man eine Gruppe von Architekten und Stadtplanern aus dem Elysée kommen. Der Präsident hatte sie eingeladen, um über sein urbanistisches Projekt des Grand Paris zu sprechen. Einer von denen, älterer Herr ganz in rot, wurde in der Bauchbinde als Mike Davis vorgestellt. Sollte Sarkozy mein ewiges, linkes Idol, den Soziologen und Autor von „City of Quartz“, eingeladen haben? Kurze Irritation meinerseits. Ich konnte es nicht ganz ausschliessen, weil ich nicht wusste, wie Davis heute ausschaut und Sarko schon öfter mal überraschende Gäste hatte, David Lynch zum Beispiel. Aber Pustekuchen, ist bloß ’n Schreibfehler gewesen. Mike Davies ist ein britischer Architekt. Und überhaupt, Sarkozy wird deren Besuch schon wieder vergessen haben. Und Ali ist längst auf der Heizung eingeschlafen.

Ja, mir san mim Adel da

Die Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“ gewährte ihren Lesern am Freitag unfreiwillig einen kleinen Einblick in ihre Arbeitsweise, als sie folgende Gegendarstellung über den (online inzwischen gelöschten) ersten Artikel ihres neuen „Gesellschafts-Reporters“ Philipp v. Studnitz veröffentlichte:

Gegendarstellung

Auf der Titelseite der B.Z. vom 4. März 2009 schreiben Sie über mich: „Schöneberger heiratet adlig – Das erzählte sie bei einem Dinner in der Wohnung von Vicky Leandros dem neuen B.Z.-Gesellschafts-Reporter Philipp v. Studnitz“.

Hierzu stelle ich fest: Herr von Studnitz hat sich bei dem Gespräch in der Wohnung von Frau Leandros mir nicht als B.Z.-Gesellschafts-Reporter vorgestellt, sondern als persönlicher Freund der Familie meines Lebensgefährten.

Berlin, den 9. März 2009
Rechtsanwalt Dr. Christian Schertz für Barbara Schöneberger

Andererseits: Wer geht auch zum Essen zu Menschen, die „B.Z.“-Gesellschafts-Reporter unvorgestellt an den Tisch setzen und Vicky Leandros sind?

Zielgruppe an arte: Welches Datum ist heute?

Ich habe zwei Pässe, einen deutschen und einen französischen. Meine Mutter ist Französin, mein Vater Deutscher. Ich habe Geistes- und Sozialwissenschaften in Frankreich und Deutschland studiert. Ich arbeite auf dem weiten Feld von Kunst und Kultur. Ich schaue nie arte.

Das sagt sicher viel und nichts Gutes über mich aus, es sagt aber auch etwas über den Sender aus. Anders formuliert: Wenn vierzigjährige deutschfranzösische Feuilletonredakteure nicht diesen Sender schauen — wer dann?

Wir können die Frage noch zuspitzen. Es gibt auf arte eine Magazin mit dem schönen Namen „Paris-Berlin. Die Debatte.“ (Es gibt auch ein Magazin „arte Kultur“, was mich vor das gleiche Rätsel stell wie amerikanische Wochen bei McDonalds oder „Brigitte Woman“, aber lassen wir das.) Schon der Name. Eine Debatte braucht ein Thema und idealerweise eines, das in eine Frage passt: Soll man Rauchen verbieten, ist Kernkraft gesund, macht Buttermilch schön?

Paris-Berlin ist eine Nachtzugverbindung, aber keine Debatte. Ich kenne beide Städte gut und bin da oft, aber ich fasse dieses Magazin ganz einfach nicht. In der gestrigen Sendung ging es um das Thema irgendwie moderne Kunst. Damian Hirst war der Einstieg, und ob es noch mit rechten Dingen zugeht, wenn er so viel kassiert. Anlass war sein mit Diamanten besetzter Schädelabguss „For the Love of God“. Hundert Millionen wurden für den bezahlt — im August 2007!

Ich hielt es für eine Wiederholung. Das Thema ist uralt. Von den Auswirkungen der Krise auf den Kunstmarkt, über die die Zeitungen allerdings nun auch schon vor Wochen schrieben, war in der Sendung kaum was zu hören. Es war eine ewig schöne Sendung, die manweißnichtwann manweißnichtwo aufgezeichnet wurde. Alles sah gut aus. Moderatorin, Gäste, Bildsprache, Musik — alles höchste Qualität. Nur der Inhalt war leider von 2004.

Oh, ich wüsste noch weitere Themen: Die Zukunft des Romans. War Athen besser oder Rom. Macht der Tonfilm das Kino kaputt. Für die folgende Ausgabe ist etwas über das moderne Essen vorgesehen. Auch immer wieder interessant. Aber nie zwingend, nie mutig, nie riskant.

Was mich besonders ärgert: Am selben Tag war zufällig das politische Paris in Berlin, wo ein deutsch-französisches Ministertreffen stattfand. Am selben Tag hatten beide Länder mit dem Amoklauf von Winnenden, der auch in der französischen Öffentlichkeit eine riesige Resonanz hatte, ein gemeinsames soziokulturelles Thema. Nichts davon fand sich in dieser „Debatten“-Sendung. arte muss solche Magazine live senden. Es muss etwas passieren in den Studios.

Die Krise, die so vermieden wurde, ist auch ein Moment der Weichenstellung. Wenn man schon die Möglichkeiten hat, so ein hochwertiges Magazin zu machen, in einer Zeit, in der es um die deutsch-französischen Beziehungen nicht immer zum besten steht, dann hat man aber auch eine Pflicht: Es aufregend zu machen, brisant, unabdingbar. So, dass ich es schauen MUSS. Ich bin in diesem Fall einfach angewandte Soziologie.

„Leider nicht wirklich eine Satire“

Hanno Zulla hat die Amok-Berichterstattung von ARD und ZDF gesehen und hinterher seinen Frust zu einem Blog-Eintrag gerinnen lassen:

Guten Abend, meine Damen und Herren, Sie sehen die Abendnachrichten.

Es hat einen Amoklauf an einer Schule gegeben. Schrecklich, schrecklich. Wir zeigen Ihnen nun grausame Bilder.

Im Anschluss daran eine Live-Schaltung zu unserem Reporter vor Ort. Wie grausam war es denn, Herr Kollege? „Oh, es war schrecklich. Hier ein paar weinende Mitschüler, die ich vor die Kamera gezerrt habe. Und hier spreche ich mit geschockten Eltern. Und jetzt ein Straßeninterview mit verschiedenen Anwohnern, die nichts zum Fall sagen können, aber alle sehr betroffen sind.“

(…)

„Ihre ganz eigene virtuelle Wirklichkeit“

Ich hab’s versucht. Ich wollte etwas schreiben über den gestrigen ARD-„Brennpunkt“ zum Amoklauf in Winnenden und insbesondere den Beitrag, den Moderator Fritz Frey mit den Worten anmoderierte:

Gelernt haben wir, dass das Internet eine wichtige Rolle spielt bei unserem Thema, und das beileibe nicht nur als Plattform für potentielle Täter. Andrea Bähner hat sich heute, am Tag danach, im Netz umgesehen und ist dabei auf eine Art virtuellen Wutausbruch gestoßen. Die, die sich dort ihr ganz eigenes Bild vom gestrigen Wutausbruch machen, können mit der Debatte um Schuld und Verantwortung wenig anfangen.

Und in dem der schöne Satz fiel:

Die Internetcommunity bei YouTube, Twitter oder FlickR baut sich ihre eigene virtuelle Wirklichkeit der Bluttat.

Ich hab’s versucht, aber diese Mischung aus Ahnungslosigkeit und bewusster Desinformation, dieses Konzentrat von Vorurteilen und Scheinheiligkeit, dieser Versuch der ARD-Journalisten, sich ihre ganz eigene virtuelle Wirklichkeit der Bluttat zu bauen, den man natürlich im Kontext mit vielen anderen Sendungen mit der gleichen Stoßrichtung sehen muss — sie macht mich gleichzeitig zu wütend und ratlos.

Lesen Sie also stattdessen bitte den Beitrag von Robin Meyer-Lucht auf Carta.

Was stern.de im Kleinen vorgemacht hat, setzen die professionellen Medien im Großen fort: All das, was man an ihrer Berichterstattung kritisieren muss, auf das Internet zu projizieren.