Ich habe zwei Pässe, einen deutschen und einen französischen. Meine Mutter ist Französin, mein Vater Deutscher. Ich habe Geistes- und Sozialwissenschaften in Frankreich und Deutschland studiert. Ich arbeite auf dem weiten Feld von Kunst und Kultur. Ich schaue nie arte.
Das sagt sicher viel und nichts Gutes über mich aus, es sagt aber auch etwas über den Sender aus. Anders formuliert: Wenn vierzigjährige deutschfranzösische Feuilletonredakteure nicht diesen Sender schauen — wer dann?
Wir können die Frage noch zuspitzen. Es gibt auf arte eine Magazin mit dem schönen Namen „Paris-Berlin. Die Debatte.“ (Es gibt auch ein Magazin „arte Kultur“, was mich vor das gleiche Rätsel stell wie amerikanische Wochen bei McDonalds oder „Brigitte Woman“, aber lassen wir das.) Schon der Name. Eine Debatte braucht ein Thema und idealerweise eines, das in eine Frage passt: Soll man Rauchen verbieten, ist Kernkraft gesund, macht Buttermilch schön?
Paris-Berlin ist eine Nachtzugverbindung, aber keine Debatte. Ich kenne beide Städte gut und bin da oft, aber ich fasse dieses Magazin ganz einfach nicht. In der gestrigen Sendung ging es um das Thema irgendwie moderne Kunst. Damian Hirst war der Einstieg, und ob es noch mit rechten Dingen zugeht, wenn er so viel kassiert. Anlass war sein mit Diamanten besetzter Schädelabguss „For the Love of God“. Hundert Millionen wurden für den bezahlt — im August 2007!
Ich hielt es für eine Wiederholung. Das Thema ist uralt. Von den Auswirkungen der Krise auf den Kunstmarkt, über die die Zeitungen allerdings nun auch schon vor Wochen schrieben, war in der Sendung kaum was zu hören. Es war eine ewig schöne Sendung, die manweißnichtwann manweißnichtwo aufgezeichnet wurde. Alles sah gut aus. Moderatorin, Gäste, Bildsprache, Musik — alles höchste Qualität. Nur der Inhalt war leider von 2004.
Oh, ich wüsste noch weitere Themen: Die Zukunft des Romans. War Athen besser oder Rom. Macht der Tonfilm das Kino kaputt. Für die folgende Ausgabe ist etwas über das moderne Essen vorgesehen. Auch immer wieder interessant. Aber nie zwingend, nie mutig, nie riskant.
Was mich besonders ärgert: Am selben Tag war zufällig das politische Paris in Berlin, wo ein deutsch-französisches Ministertreffen stattfand. Am selben Tag hatten beide Länder mit dem Amoklauf von Winnenden, der auch in der französischen Öffentlichkeit eine riesige Resonanz hatte, ein gemeinsames soziokulturelles Thema. Nichts davon fand sich in dieser „Debatten“-Sendung. arte muss solche Magazine live senden. Es muss etwas passieren in den Studios.
Die Krise, die so vermieden wurde, ist auch ein Moment der Weichenstellung. Wenn man schon die Möglichkeiten hat, so ein hochwertiges Magazin zu machen, in einer Zeit, in der es um die deutsch-französischen Beziehungen nicht immer zum besten steht, dann hat man aber auch eine Pflicht: Es aufregend zu machen, brisant, unabdingbar. So, dass ich es schauen MUSS. Ich bin in diesem Fall einfach angewandte Soziologie.