Eintrag von Stefan Niggemeier

Ich wollte da keine unnötige Verwirrung stiften. Ich dachte, ich hänge einfach oben an das grüne Logo meines Blogs ein rotes Schild, auf das ich den Namen von Nils Minkmar schreibe, solange er hier mitbloggt. Und dann kriegen seine Blog-Einträge rote Überschriften und meine bleiben grün. Zusätzlich, dachte ich, schreibe ich über die Einträge von Nils Minkmar „von Nils Minkmar“.

Ich hatte das für narrensicher gehalten. Aber Bernd Graff, der Chef-Internetschlechtfinder von sueddeutsche.de, hat für die morgige „Süddeutsche Zeitung“ einen Artikel über Twitter und den Amoklauf geschrieben, in dem es heißt:

(…) Nils Minkmar, Feuilletonist der Fankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und derzeit Vertretungsblogger von Stefan Niggemeier, griff die Frage nach der Verwerflichkeit auf und antwortete: Ja, das sei „in jeder Hinsicht unangemessen.“ Er, Minkmar, finde es falsch, „die Aufmerksamkeit vom Gegenstand der Berichterstattung auf den Berichterstatter zu lenken.“ Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. (…)

Ich habe jetzt ein bisschen Angst, dass ich Schuld bin, wenn Graff mitbekommt, dass der entsprechende Eintrag gar nicht von Nils Minkmar ist, und er daraus einen weiteren Beleg für die Schlechtigkeit des Internet macht.

(Andererseits muss ich mich so wenigstens nicht fragen, was ich falsch gemacht habe, dass mir Graff zustimmt, weil er ja Nils Minkmar zustimmt.)

Nachtrag, 22.25 Uhr. sueddeutsche.de hat den Fehler kurz, (mutmaßlich) schmerzlos und transparent korrigiert.

Nachtrag, 13. März. Ich habe es jetzt so eingerichtet, dass — solange Nils hier mitbloggt — auch über meinen Einträgen eine eigene Autorenzeile angezeigt wird.

Gnade für den Schuhwerfer

Es ist nicht die feine Art, Schuhe auf ausländische Staatsgäste zu schleudern.

Bei dem verklemmten und verdrucksten Ton, der bei Bush-Pressekonferenzen herrschte, und der wohl aus einer Mixtur aus Fremdschämen und Ehrfurcht herrührte, hätte es sicher gereicht, wenn Muntasar al-Saidi etwas gerufen hätte. Jede kleine Geste kommt in diesem durchchoreografierten Event als grosser Protest rüber.

Ich war mal bei so einer Pressekonferenz von Bush, in Stralsund. Es waren gespenstische Veranstaltungen. Vorher wurde man durchsucht, durchsucht und dann nochmal durchsucht. Das BKA sagte an, wann die letzte Gelegenheit zum Toilettenbesuch sei. Man ging dann eingerahmt von Sicherheitsbeamten zum Klo.

Bush hatte Spaß daran, so oft wie möglich das Wort pig auszusprechen, das es am Abend in Trinwilershagen für ihn geben sollte. Als ein Kollege ihn auf den beginnenden Krieg Israels gegen Hezbollah ansprach, konterte er: „I thought you’d gonna ask me about the pig“, und dann kam sein berüchtigtes keckerndes Lachen. Irgendwann rollte selbst Angela Merkel bei der Erwähnung des Schweins nur noch genervt die Augen.

Ich hatte mir auch eine Frage überlegt: „As someone who’s been to Bagdad a few times, could you help us understand the problem by explaining the shism between Shia and Sunni?“

Nahm mich aber keiner dran.

Und doch verdiente dieser Wurf keine solch hohe Strafe. Drei Jahre Haft sind zuviel. Der Irak wurde nicht von Saddam befreit, der den Personenkult bis zum Exzess betrieben hat, damit solch ein drakonisches Urteil gegen symbolischen Protest gefällt wird.

Das macht doch den Eros des Westens aus: Du kannst, anders als in allen arabischen Ländern, den Präsidenten beschimpfen, und dir geschieht nichts.

Und es ist nicht so, dass Protest ungerechtfertigt wäre. Bush trifft eine persönliche Schuld an der mangelnden Planung der Post-Invasionsphase, die durch bürgerkriegähnliches Chaos und Bandenkriege geprägt war. Irakische Kulturgüter, Museen, Bildungseinrichtungen blieben völlig ungeschützt. Viele unschuldige Menschen haben diese Nachlässigkeit das Leben gekostet. Wenigstens die Akten hätte der amerikanische Oberbefehlshaber lesen müssen. Dass er es nicht tat, wissen wir von vielen Büchern seiner ehemaligen Mitarbeiter, die dieses Verhalten entsetzt hat. Vielleicht hätten sie auch mal mit dem Schuh auf den Tisch klopfen sollen, wie Chruschtschow. Eine Mitarbeiterin hat es immerhin mal getan, verbal jedenfalls. Auf die Frage, wie es denn das Leben in Bagdad so sei, antwortete sie ihm — es war der Höhepunkt der Bürgerkriege: Es ist die Hölle, Mr President.

Aber keine Nachfrage von Bush. Gegen diese willkürliche Ignoranz einen Schuh zu schleudern ist kein Verbrechen, das mit einer so hohen Freiheitsstrafe belegt werden sollte.

Pöbeljournalismus

Gerd Blank ist Profi. Er arbeitet als Redakteur im Ressort „Digital“ bei stern.de. Da weiß er natürlich besser als andere, wie man angemessen mit sowas wie Twitter umgeht. Als gestern die ersten Meldungen von einem Amoklauf einliefen, fand er gleich die richtigen Worte:

Mist, Amoklauf an einer Schule im baden-württembergischen Winnenden. Es gab wohl Tote.

Ja, Mist.

Nun dürfen bei Twitter leider nicht nur Profis wie Gerd Blank Kurznachrichten veröffentlichen, sondern jedermann. Sogar Nicht-Journalisten. Oder, wie Gerd Blank diese Leute nennt: der „Pöbel“. In einem Artikel auf stern.de klagt er:

Wenn der Pöbel gleichzeitig zum Nachrichtenempfänger und Versender wird, bleibt häufig viel auf der Strecke.

Und konkret:

Schnell wird klar, man weiß nichts und will darüber reden. Wo für so ein Geschwätz früher nur Hausflur oder Supermarkt blieben, erlaubt das Internet nun die ungefilterte Verbreitung. Natürlich stecken zwischen den unzähligen Informationen häufig auch Falsch- und Spaßmeldungen, es fällt schwer, den Unterschied zwischen echter Nachricht und Unsinn zu bemerken.

Selten ist stern.de so treffend beschrieben worden. Leider ist Twitter gemeint.

Blank weiter:

Doch das Problem ist häufig nicht alleine die Nachricht, sondern wie mit ihr umgegangen wird. Während ausgebildete Journalisten eigentlich wissen, wie mit Namen, Adressen und Bildern umgegangen werden darf, erfährt man bei Twitter schnell, wie der mutmaßliche Täter heißt. Das Elternhaus wird in aller Pracht gezeigt, und damit man es auch findet, gibt es den Link zur Adresse dazu. Der Pressekodex gilt halt für die Presse, und nicht für ein Medium, welches von vielen fälschlicherweise als die Zukunft des Journalismus betrachtet wird.

Ach: Der Pöbel zeigt im Internet einfach das Elternhaus des Amokschützen? Dieses Haus?

Und der Pöbel verrät im Internet gleich die Adresse dazu? Dieselbe Adresse, die heute unter anderem in der „Berliner Zeitung“ steht, in einem Artikel, der mit der Ortsmarke „Weiler zum Stein“ und den Worten beginnt: „Das Einfamilienhaus an der         straße 3 hat rote Dachziegel, beige Wände, schmutzige Dachfenster“?

Und der Pöbel nennt direkt den ganzen Namen des Amokläufers? Jenen Namen, der heute auf den Seiten eins, zwei und drei der „Süddeutschen Zeitung“ steht?

Immerhin schaffte es die Realität, für einen winzigen Moment ein Schlupfloch in die Wahrnehmung von Gerd Blanks ansonst vollständig mit der Verarbeitung der kognitiven Dissonanz beschäftigtem Gehirn zu finden und schmuggelte ein „eigentlich“ in den Satz: „Während ausgebildete Journalisten eigentlich wissen, wie mit Namen, Adressen und Bildern umgegangen werden darf … .“ Natürlich hätte er „wissen müssten“ schreiben müssen, aber dann wäre zu offensichtlich geworden, dass sein ganzer Text über den „Pöbel“ und wie die verfluchten Amateure unsere schöne Informationswelt kaputt machen und das „Jeder-kann-mitmachen-Internet seine Fratze zeigt“, eine einzige Heuchelei ist.

PS: Falls Sie zufällig auf der Suche nach der dümmsten Fotostrecke zum Thema sind, urteilen sie nicht, bevor Sie diese Galerie auf stern.de gesehen haben. Und wenn Sie sich fragen, ob stern.de sich wohl die Rechte an diesen Fotos besorgt hat — seien Sie unbesorgt: Für stern.de gilt ja eigentlich das Presserecht.

[via Spreeblick]

Tag der Trauer

Als ich das Haus verließ, war die Welt noch in Ordnung. Ich kann mich schon gar nicht mehr an die Netznachrichten von heute morgen erinnern. Unter vielen anderen Terminen war ich über Mittag auch bei einer Grundschule, deren friedliche, weltvergessene Offenheit nach allen Seiten mir jetzt unheimlich vorkommt.

Ein Amoklauf ist die Art von Nachricht, zu der mir keine Haltung gelingen will.

Unionsvize Werner Bosbach mutmaßt, die Sache werde „ein parlamentarisches Nachspiel“ haben, sogar der Europarat — dass es den noch gibt! — hat eine Erklärung abgegeben. Und auch noch das Europaparlament. An solchen Tagen wird der rituelle Charakter des öffentlichen Lebens deutlich. Die Kanzlerin sagt etwas. Der Bundespräsident. Was soll Ministerpräsident Oettinger an so einem Tatort, an dem noch die Leichen ungeborgen liegen? Und welcher Skandal, wenn er nicht gekommen wäre.

Der auch bei mir so brennende Wunsch nach einer präzisen politischen Äußerung, nach weiteren Details, nach Hinweisen zum Elternhaus, zum Freundeskreis, kommt mir immer vor wie ein sublimierter Hütehundimpuls: Man will das ausreißende Geschehen irgendwie rational oder moralisch einholen. Die Tat soll eine Botschaft, eine Lehre enthalten. Sie muss Gründe gehabt haben, jemand muss rote Ampeln überfahren haben — und wenn wir gedanklich an diese Weggabelung zurückkehren, dann ist es, als hätten wir es halb verhindert. Als könnte die Welt repariert werden.

In Wahrheit geht das nicht. Man kann nicht jedem seltsamen Teenager mit dem Amokpräventionskatalog begegnen. Man kann nicht jeden Ballerspieler und Soziopathen unter Beobachtung halten. Und mit welchem Recht? Die meisten sind völlig harmlose Zeitgenossen.

Amok ist ein sadistisches Verbrechen: Der Schütze maßt sich absolute Macht an, demütigt seine Opfer und indirekt seine Eltern. Sadisten kann man mit Regeln, Kontrollen und Gesetzen nicht fassen, sie freuen sich an ihrer Fähigkeit, in Systemen zu funktionieren und sie gleichzeitig auszutricksen.

Gegen Tragik von einer gewissen Dimension ist keine Vorkehrung zu treffen. Ein Politiker hat darauf hingewiesen, dass nach dem Erfurter Amoklauf doch das Jugendmedien- und das Waffengesetz verschärft worden sei. Das klingt für mich deplatziert. Und doch kann man solche Gesetzesnovellen auch nicht unterlassen. Im Colmar des frühen 16. Jahrhunderts gab es immer mal wieder Beschwerden wegen Seuchen und allerlei unerklärlichen Begebenheiten. Prompt hat der Rat der Stadt — übrigens lebenskluge, gebildete Männer — Zauberei und solche Sachen bei Strafe verboten. So ist es nach Amokläufen, nach Babymorden, nach den unvorstellbaren Fritzl- oder Kampuschfällen auch, hinterher. Man macht sich einen Reim: verschärft was, stockt vielleicht die Ämter auf, sucht eine Einhegung der wütenden Wirklichkeit.

In Wahrheit können wir mit einem permanenten Gefahrenbewusstsein gar nicht funktionieren. Wir müssen alltäglich davon ausgehen, dass der nette Nachbar kein Massenmörder ist. Hinterher stehen wir natürlich dumm da und auch das ist Teil jenes Vergnügens, das der Sadist sucht.

Amok twittern

„Focus Online“ hatte heute vormittag die Idee, seine Kurzmitteilungen auf Twitter zum Amoklauf unter einer Adresse zusammenzufassen, und legte dazu einen Benutzer namens „Amoklauf“ an. Da war aber was los im Twitterland. Der „Netzeitungs“-Twitterer erregte sich als erstes:

Wie pervers ist das denn? Focus Online twittert unter @amoklauf! Die schrecken ja vor nichts mehr zurück

Und legte später an den Focus-Online-Chefredakteur adressiert nach:

Schämt Euch!!!

Viele anderer Twitterer fanden das auch „pervers“ und machten das, was bei Twitter das Gegenstück zum zustimmenden Nicken ist: Sie wiederholten den Tweet der Netzeitung alle als Retweet. Vielleicht war die kleine Welle, die dadurch entstand groß genug — jedenfalls wurde der „Amoklauf“-Account wieder gelöscht.

Nun ist mir persönlich nicht ganz klar, was daran „pervers“ und ein Grund zum Schämen ist, einen eigenen Benutzernamen für die gesammelten Kurzmitteilungen zum Thema anzulegen. Es wirkt vielleicht etwas verzweifelt aufmerksamkeitsheischend, und in einem jungen Medium, dessen Benutzer einen nicht unerheblichen Teil ihrer Aufmerksamkeit darauf verwenden, zu diskutieren, ob hinter den angeblichen Accounts von Stefan Raab oder dem Dalai Lama die echten Menschen verbergen, mag so ein Name für eine Sekunde der Verstörung führen: Twittert da der echte Amokläufer? Oder gibt sich gar jemand anders als er aus und kokettiert mit der Tat? Aber beides war ja offenkundig nicht der Fall.

Ist es eigentlich auch pervers, dass Zeit.de sofort Anzeigen bei Google geschaltet hat, die eingeblendet werden, wenn man nach „Amoklauf“ oder „Winnenden“ sucht? Wäre es pervers, wenn sich ein Online-Medium die Adresse amoklauf.de gesichert und von dort aus in sein entsprechendes Ressort umgeleitet hätte? Und wie fiele das Urteil bei irakkrieg.de, weltwirtschaftskrise.de, kindsentfuehrung.de aus?

Am Inhalt der Kurzmitteilungen von „Focus Online“ scheint sich dagegen kein größerer Protest entzündet zu haben. Sie werden jetzt unter dem Benutzernamen FOCUSlive veröffentlicht, und sie lesen sich so:

FOCUS Online hat zwei Reporter nach Winnenden entsandt

FOCUS Online Team fliegt Heber A8.Polizeiwagen blockiert Auffahrt Richtung Muenchen Nähe Dorn

Nahe dornstadt

Offenbr verwirrende Lage in #Winnenden. FOCUS-Reporter fast am Ziel, um sich selbst ein Bild zu machen.

Hubschrauber kreist über Kreuz Wendlingen auf der A8

Großaufgebot der Polizei vor #Winnenden. FOCUS-Reporter passieren erste Straßenkontrolle

Bilanz des Irrsinns: Neun Schüler, drei Lehrerinnen, drei Passanten. Tot. Und der Täter. Tot. #winnenden

Mehrere Einsatzwagen schießen an FOCUS-Online-Reportern vorbei. #Amokläufer in #Wendlingen getötet. Drehen ab nach Wendlingen!

FOCUS-Online-Reporter unterwegs vom Tatort in #Wendlingen zum Tatort in nach #Winnenden. Erster Text entsteht im Auto.

Zum Anfang hatte FOCUSlive gefragt:

Ist es verwerflich über Amokläufe zu twittern? #amoklauf #winnenden #moral 2.0

Und falls das nicht ohnehin eine rhetorische Frage war, möchte ich antworten: So? Ja.

Man muss es nicht gleich „pervers“ nennen, aber es ist in jeder Hinsicht unangemessen. Es geht um Pietät, Prioritäten und Perspektive. Ich finde es falsch, angesichts des Unglücks so vieler Menschen über die eigene Anreise zu schreiben. Ich finde es falsch, in der Hektik dieser Berichterstattung noch über die Hektik dieser Berichterstattung zu berichten, auch wenn es nur zehn Sekunden dauert. Und ich finde es falsch, die Aufmerksamkeit vom Gegenstand der Berichterstattung auf den Berichterstatter zu lenken.

Guten Tag, liebe Leser, hier ist wieder Ihr Focus-Online-Live-Team. Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Die schlechte: Es gibt zwei weitere Todesopfer. Die gute: Unsere Reporter sind auf dem Weg zum Tatort, der Verkehr läuft flüssig, und die Frisur sitzt.

Ich weiß schon, was jetzt das Gegenargument ist: „Focus Online“ berichtet das doch gar nicht auf seiner Nachrichtenseite, sondern nur auf Twitter. Und die Existenz von Twitter ist natürlich auch der Grund dafür, warum die Leute von „Focus Online“ diese Nichtigkeiten veröffentlichen: Weil sie es können. Weil es jetzt ein Medium dafür gibt.

Auf die Gefahr hin, mich anzuhören wie mein eigener Großvater: Ich möchte das nicht. Ich möchte nicht, dass die Reporter auf dem Weg zum Ort des Dramas denken, dies sei ein guter Zeitpunkt, schnell noch ihre persönlichen Befindlichkeiten zu veröffentlichen. Dieser Gebrauch von Twitter mischt für mich auf das Unangenehmste die Beiläufigkeit dieses Mediums mit der Bedeutung des Ereignisses.

Angesichts der Kurzatmigkeit, die solche Breaking News ohnehin schon bei den Medien auslösen, sind Journalisten, die ihre ADS auch noch auf Twitter ausleben und in den drei Sekunden, in denen keine neue Statusmeldung hereinkommt, gleich selbst eine herausschicken müssen, ungefähr das letzte, das wir brauchen.

Nachtrag, 18.50 Uhr. Breaking News:

(„@jochenjochen“ ist Focus-Online-Chefredakteur Jochen Wegner)

Nachtrag, 20.25 Uhr. Jochen Wegner antwortet in den Kommentaren:

FOCUS Online publiziert seit langem seine Nachrichten-Feeds bei Twitter. Obwohl auch viele unserer Redakteure twittern, haben wir mit dem Einsatz als Kommunikationsmittel der Redaktion lange gezögert – eben weil wir es nicht angemessen fanden, wie manche Kollegen das aktuelle Kantinenessen zu vermelden oder den Gemütszustand des CvD.

Heute haben wir uns entschlossen, neben den bestehenden einen neuen Account zu starten, um den Fortgang der Ereignisse dokumentieren zu können – und auch Details unserer Arbeit vor Ort. (Wir haben uns für @FOCUSlive entschieden, mehrere andere Accounts wurden eingerichtet und wieder gelöscht – darunter @amoklauf.)

Die in meinen Augen sehr harsche Kritik ist angekommen und wir werden in der Redaktion darüber diskutieren – Journalisten, die sich selbst und ihre Arbeit zum Gegenstand der Berichterstattung machen, wandeln auf einem schmalen Grat. Wir werden einen Weg finden, Twitter und andere soziale Netzwerke so zu nutzen, dass sie beidem gerecht werden – den Netzwerken selbst und den journalistischen Standards. Ironischerweise wurden wir bisher ebenso harsch dafür kritisiert, dass wir über Twitter nicht kommuniziert, sondern lediglich Links auf unsere Beiträge publiziert haben.

(Der oben zitierte Beitrag zur „Zahnbürste“ fiel definitiv in die Kategorie „Kantinenessen“, wir haben ihn gelöscht.)

Lesenswert zum Thema:

Halt den Bonus!

Riesige Probleme geben winzige Zeichen. Ich hab als Student mal in einer sehr schönen, halbwegs billigen, leider nicht modernisierten Altbauwohnung gewohnt — voller Komfortstandard des Jahres 1906. Kurz nach unserem Einzug klopfte es vormittags an der Tür, und als ich öffnete, standen Polizisten im Halbkreis um die Wohnungstür. Sie sagten gar nichts, sondern lächelten nur vielsagend. Ich sagte in meiner geistesgegenwärtigen Art Häh? Dann fiel mir ein, dass in der Wohnung gegenüber eine kleine illegale Fixergemeinde ein- und ausging. Ich fragte höflich, zu wem sie wollten und ob sie möglicherweise jemanden anderen als mich sprechen wollten? Namensschilder gab es keine. Die Herren schauten sich an, drehten sich, immer noch wortlos, um, und klopften an die Tür der Wohnung gegenüber. Wenn ich wirklich der Gesuchte gewesen wäre, hätte ich diese Pause übrigens gut zur Flucht nutzen können. Jedenfalls war der gesuchte Drogenhändler nicht anwesend oder hat in weiser Voraussicht gar nicht erst geöffnet. Die Polizei zog ab und schärfte mir ein, anzurufen, wenn der Herr Nachbar, er hieß Tom, sich noch mal blicken lassen würde. Ja ja.

Jedenfalls. Eines Nachts fuhr ich aus tiefem Schlaf hoch, weil ich ein Geräusch hörte. Es war ein Klopfen. Ein höfliches, leicht zögerliches Klopfen wie von einem, der zwar klopfen, aber nicht wirklich stören möchte. Problem war: Dieses leise Klopfen kam von der Schlafzimmertür, und die war am Ende der Diele und in der Wohnung. Jemand stand also um drei Uhr morgens an meiner Tür und klopfte. Obwohl sie akustisch und sozial überhaupt nichts Bedrohliches hatte, diese sanfte Geste, versetze sie mir den größten anzunehmenden Schrecken.

Eine verkehrte Welt kommt nicht mit großer Fanfare. Es reicht, wenn die Boni von Bankchefs plötzlich ein politisches Ärgernis darstellen — für die CSU wohlgemerkt, nicht für attac. Wer sich an Strauß noch erinnert, den wird das nicht weniger Staunen machen als einen Ende des 19. Jahrhunderts geborenen, frommen alten Landwirt Armstrongs Gang über die Oberfläche des Mondes.

Nur um das nach zutragen: Vor lauter Schreck sprang ich auf, öffnete schwungvoll die Tür, um da den polizeilich gesuchten Nachbarn vorzufinden. Irgendwie war unsere Wohnungstür offen gewesen — die Toilette war im Treppenhaus, da passierte das schon mal — und er hatte sich, spät nach Hause kommend, Sorgen gemacht, ob mit mir was nicht stimmt. Ausserdem sei es doch sehr gefährlich, die Tür so nachlässig unverschlossen zu lassen, scholt er mich. Konnte ich ihm nur zustimmen, bedankte mich für seine Umsicht und wünschte ihm noch eine schöne Nacht.

Und wer klopft bei uns? Noch ist ja alles ruhig. Phil Bronstein, der nicht nur eine Waran Attacke, sondern auch Ehe und Scheidung mit Sharon Stone überstanden hat, jedenfalls geht davon aus, dass uns (beziehungsweise Typen wie dem Postbankvorstand) Fackel- und Mistgabel-Aufstände ins Haus stehen. Nur weil Obama so beliebt sei, blieben Aufstände in den USA aus.

Wir haben keinen Obama, in ganz Europa nicht.

Ein Letztes: Früher hätte jeder Paternalist alten Schlages die Gelegenheit genutzt, so einen „Haltebonus“ mit großer Geste wieder in seine Firma zu stecken oder als Weihnachtsgeld für die Angestellten auszuteilen, notfalls in bar am Werkstor. Dass die Manager von heute sich die Kohle derart eichhörnchenmässig wegstecken und lieber die öffentliche Schande vorziehen, gibt einem zu denken. Geld statt Ehre wählen — oft kommt das, entgegen dem Klischee, nicht vor, in der Geschichte der Menschheit. Auch so ein leises Zeichen, ein Anklopfen.

Rach rettet Deutschland

Da der Montag mein Sonntag ist, sehe ich auch den Montagabend als politischen Fernsehtermin. Ich halte Christian Rachs Restauranttester nicht für eine Reality-Show, sondern für eine politische Sendung. Es ist Krisengebietsprogramm: Rach lehrt, wie man den Weg aus einer auf vielfältige Art und schon ziemlich lange verfahrenen Situation herausfindet. Er besucht überschuldete, entvölkerte Lokale, in denen die Stimmung mies und die Arbeit rar und schlecht entlohnt ist. Jedes dieser Lokale kommt einem bekannt vor. Das Set an Problemen ebenfalls. Die Misere des ganzen Landes wird in diesen renovierungsbedürftigen, von Depression heimgesuchten Restaurants deutlich.

Rach kommt nicht als Spitzenkoch, der lange Vorträge über das Wesen des Schaumsüppchens hält. Er beschäftigt sich mit der Currywurstbude wie mit der Tapasbar gleichermaßen, meist aber kommt es gar nicht erst so weit. Meist winkt er längst ab, bevor es an die Debatte der Ingredienzen und Rezepte geht, meist sind es die Probleme der Leute, die seiner Zuwendung bedürfen.

Da sind immer drei Gruppen: Rach kommt stets etwas früher, als er erwartet wird. Daher fällt er direkt dem Servicepersonal in die Arme. Manche von denen sind erschrocken, wenige unfreundlich, die meisten aber freuen sich über die Hilfe von außen. Die Kellnerinnen und Kellner haben nur begrenzten Einfluß auf den Gang eines Lokals, sind aber als erste von schlechten Zeiten betroffen und den Anfeindungen unzufriedener Gäste ausgesetzt. Und trotzdem sind ihre Begeisterung und Einsatz für eine Reform des Ladens meistens unübertroffen und rührend: Sie haben die Misere nicht verursacht, verdienen am wenigsten an einer Gesundung und geben den vollen Einsatz, auch an Charme, auch an Nachdenken.

Dann sind da die Köche. Hier trifft Rach auf eine völlig heterogene Kollegenschaft, bei denen, wegen des breiten Spektrums der besuchten Lokale, keine einheitlichen Standards gelten. Selten trifft er welche, denen Kochen Spaß macht. Meist sind sie beleidigt und ratlos, kommen aber im Laufe der Woche aus dem Quark. Irgendein Funke zündet immer.

Christian Rach ist Saarländer. Er hat daher einen guten Draht zu Leuten auf jedem Level. Da gibt es keine Attitüde, aber auch keine bemühte Leutseligkeit. Es geht um die Sache, ohne die Personen dabei gering zu schätzen. Rach verliert bei solchen Besuchen zwar oft die Fassung, aber er brüllt und tobt nie, wie sein britischer Kollege Gordon Ramsay, sondern findet für seine Empörung deutliche, aber nie demütigende oder herabsetzende Worte.

In der gestrigen Folge kannte ein angeblicher Tapaskoch den Unterschied zwischen Thymian und Rosmarin nicht. Rach bekam einen Lachanfall und ernannte den Mann zum Mitarbeiter der Stunde. Ganz offenkundig hatte der aber in einer Küche nichts zu suchen.

Schließlich stellt sich als härtester Brocken stets die dritte soziale Gruppe heraus: die Pächter oder Chefs der Restaurants. Sie sind fast alle extrem narzistisch. Es fällt ihnen schwer, die Hilfe von außen anzunehmen. Es fällt ihnen schwer, ihre Vorstellungen in Worte zu fassen und ihren Beschäftigten mitzuteilen. Es fällt ihnen schwer, Vorstellungen überhaupt zu entwickeln.

Leider sind die grössten Problemtiere im Krisengebiet die Männer im mittleren Alter.

In einer Folge musste Rach einem Herrn, dessen Ehefrau als Pächterin eines Ladens in großen Schwierigkeiten war und die bei der Betriebsversammlung zu weinen begann, den brandheißen Tip geben, mal das Bierglas abzustellen und seine Ehefrau in den Arm zu nehmen. Autistisches Management, das ist der häufigste Befund bei diesen Sendungen.

Rachs Kriterien sind, wie die eines jeden guten Kritikers, klar und für jeden nachvollziehbar: Einrichtung übersichtlich halten, viel selber kochen, viel sparen und allgemeine Sauberkeit und Umsicht walten lassen. Es sind Kriterien, die sich auf nahezu alle Branchen übertragen lassen.

Ich sehe die Sendung nie, ohne an alle möglichen analogen Beispiele aus dem Alltag zu denken. Vielen von Rach besuchten Restaurantbesitzern reicht das Erwärmen von Fertiggerichten, es ist Ausdruck eines lauwarmen Kalküls von Aufwand und Ertrag, alles auf kleinstem Nenner. Schon beim Anblick der gezeigten Speisen entweicht jede Lebenslust, das kann nur von deprimierten Menschen zubereitet worden sein, die jeden auch noch so kleinen überflüssigen oder umständlichen Extrahandgriff scheuen. So macht ja auch Dieter Bohlen sein Zeug: Irgendwie kalkuliert, damit ja genug Kohle übrig bleibt, ohne Liebe zur Sache. Die Kunst rächt sich natürlich: Kann sich irgendjemand auf nicht ironische Weise an einen Bohlen Song erinnern?

Eben. Ich finde, so arbeiten in Deutschland zu viele Handwerker, zu viele Einzelhändler, zu viele Selbstständige.

Foto: RTL

Weltkrisengebiet

Montags haben wir von der Sonntagszeitung frei. Während also die politische Woche mit dem so genannten „politischen Betrieb“ beginnt, alle im Bundestag die Nachrichtenmagazine durchblättern, ob was über sie drinsteht und die Börsen wieder zu zittern beginnen (mit TGIF Thank God It’s Friday beendete die Huffington Post Ende der letzten Woche ihre WallStreet-Berichterstattung), während also die gesamte Finanz-, Polit- und Medienmaschine wieder hochgefahren wird, räume ich auf, kaufe ein und koche Mittagessen.

An dramatischen Situationen mangelt es dabei nicht: Während ich die Badewanne saubergemacht habe, ist Ali im Bad einem Haargummi hinterher gejagt. Das Haargummi rutschte in die Wanne, in der noch etwas Wasser war. Ali setzte hinterher, rutschte in die Pfütze und schaffte es dann nicht mehr hoch. Mit wachsender Panik versuchte er es: Erst schnell, dann langsam, dann mit einem Sprung, dann einem Satz — nichts davon half. Er ist es aber nicht gewöhnt, dass die Dinge nicht nach seinem Willen geschehen, also wurde er zunehmend unwirsch und dann richtig sauer! Ich hob ihn heraus, trocknete ihn ab, aber die Laune des nassen Katers war dahin. Kurze Zeit später bearbeitete er mit heftigen Pfotenhieben den Cursor meines iMacs — zum Glück sind diese Bildschirme unverwüstlich. Mehr denn je wirkte er wie die Reinkarnation des französischen Staatspräsidenten: Erst aus dem Umfragetief nicht mehr raus können und dann wahllos auf die Medien eindreschen.

Über Nacht ist die Immobilienkrise zur Finanzkrise zur Wirtschaftskrise nun endlich, mit dem Cover des heutigen „Spiegel“, schlicht zur Weltkrise promoviert worden. Obwohl ich nicht religiös bin, halte ich nichts von den Abwieglern sondern es eher mit Stimmen wie dieser.

Ab heute leben wir alle offiziell im Krisengebiet. In meinem Studium habe ich im Nebenfach etwas Philosophie gemacht. Es war sehr seltsam. Viele Leute mit persönlichen Problemen haben das gewählt. Es gab einen genialen Afghanen, der nach Deutschland gekommen war, um Heidegger zu studieren. Er war sehr gut, machte aber nie einen Schein, geschweige denn einen Abschluss. Ernährt wurde er durch seine Frau, einer Ärztin in Köln. Später studierte er Edmund Husserl und nach weiteren vier oder fünf Semestern las er nur noch Hegel. Ich fragte mich, ob er irgendwo den Restbestand einer alten Bibliothek aufgekauft hatte — aber nur alle Bücher, deren Verfasser mit H beginnen?

Jedenfalls war es ein lockeres Studium. Wenn man einmal nicht konnte oder das Referat nicht pünktlich fertig hatte, musste man nur angeben, man habe eine „Lebensweltkrise“. Lebenswelt war damals ein sehr angesagter Begriff: Die Welt, wie sie sich uns darstellt, nicht die objektiv messbare oder sprachlich analysierbare, mehr so die Gesamtheit der alltäglichen Wahrnehmungen. Und wenn die in die Krise geriet — gut Nacht. Bei Liebeskummer oder Wohnungskrisen bot sich das als ebenso umfassender wie verhüllender Entschuldigungsbegriff an. Und heute wieder. Eine Lebensweltkrise ist, wenn der industrielle Kern wegschmilzt und das Geld der Welt nicht mehr ausreicht, den Schuldenkrater zu füllen. Eine Rückkehr zum Status Quo Ante kann es gar nicht geben. Wäre auch nicht wünschenswert. Wir erleben Geschichte.

Jeder würde einen anderen Zeitpunkt benennen, an dem ihm die Dimension der Sache klar wurde. Bei mir war es, als die Republikaner anfingen, von Verstaatlichung zu reden.

Es war, als würde Wasser plötzlich aufwärts fließen. Eine Nachricht, die nicht nur Siamkater mit großer Sorge vernehmen.

Nils Minkmar bloggt

Der kleine Siamkater hier heißt Ali — nach dem Boxer. Ähnliches Ego. Und die gefleckte ist die Alice — griechische Straßenkatze mit traumatischer Vergangenheit. Früh die Mutter verloren, dann die Schwester. Isst Weißbrot.


Alice ist klassisch sozialdemokratisch. Ali hingegen steht auf Nicolas Sarkozy und hält sich für ihn. Er könnte auch Frankreich ähnlich gut regieren.

Das politische Interesse dieser Katzen ist kein Zufall: Sie leben mit Nils Minkmar zusammen, dem politischen Redakteur im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Nils ist ein guter Kollege und Freund. Ihm vor allem ist es zu verdanken, dass ich zur FAS gekommen bin, was ich nie bereut habe.

Ich kenne niemanden, der so über Politik schreibt wie er: klug, lustig und persönlich zugleich. In kleinen Anekdoten und Beobachtungen kann er einem das große Ganze erklären, er ist ungemein belesen und scharfsinnig, und er schafft es, gleichzeitig wütend und analytisch zu sein und seine Verzweiflung über die Verhältnisse (und insbesondere den Zustand der Sozialdemokratie, die theoretisch seine politische Heimat darstellen sollte), in beißenden Humor zu verpacken.

Er ist Saarländer und Halbfranzose, promovierte über „stadtbürgerlichen Ehrbegriff, Ehrenkonflikte und Habitus im Colmar des 16. Jahrhunderts in historisch-anthropologischer Perspektive“, und hat ein Chef-Versteher-Gen, das mir völlig abgeht und das er vermutlich entwickelt hat, als er für Roger Willemsen bei dessen ZDF-Talkshow gearbeitet hat, aber das tut hier gar nichts zur Sache. Wenn er eine journalistische Schwäche hat, dann die einer ausgeprägten Gleichgültigkeit gegenüber lästigen Details wie Punkt und Komma.

Er geht — wie ich — gerne in den Zoo und bringt — anders als ich — daraus kluge Miniaturen mit wie diese (die ich mir aus der FAZ ausgeliehen habe):

Unlängst wurde im Frankfurter Zoo ein Menschenaffenhaus eingeweiht. Die Szenen, die sich dort abspielen, sind in einer Familienzeitung kaum zu beschreiben. Die Bonobos scheinen mit dem gesammelten und projizierten Anthropomorphismus der Besucher derart überlastet zu sein, dass sie schlicht den Verstand verloren haben.

Ein schmales Männchen schmeißt Holzwolle auf einen großen gelben Gummiball. Dann besteigt er ihn mit irrem Blick. Kinder schauen umso besorgter, je verständnisvoller die Erklärungen der sie begleitenden Erwachsenen ausfallen: „Siehst du: der Affe macht jetzt Sex mit dem Ball.“ Es ist alles zu viel. Man möchte bitte aus dem Gattungszweig der Primaten austreten, sucht den Notausgang und wird erlöst: Völlig abseits rostet ein kleines Gehege mit einem einzelnen Lemuren vor sich hin.

Das ist ganz offenkundig nicht mehr der VIP-Bereich der Primaten, sondern eine Art Wartesaal zweiter Klasse der Evolution. Und wie leise und lustig geht es hier zu! Es gibt kaum anmutigere Tiere als Lemuren, diese Mischwesen mit ihren Hundeköpfen, Eulenaugen und schlanken Affenkörpern. Vom Totengeistdarsteller bis zum Comedystar neben John Cleese haben sie in der menschlichen Imagination kaum eine Rolle ausgelassen. Neugierig tauschen der einsame Katta und der von zu viel Affentheater genervte Zoobesucher freundliche Blicke.

Leider hat Charles Darwin nie einen lebend gesehen, dennoch hat er ihnen einen Platz eingeräumt, und zwar keinen Klappstuhl: In der „Abstammung des Menschen“ schreibt er 1871, es sei wahrscheinlich, „dass die Simiaden sich ursprünglich aus den Vorfahren der jetzt noch lebenden Lemuriden entwickelt haben“. Obwohl er ihren Charme nicht kennen konnte, hielt er diesen paar Halbaffen einen so wichtigen Platz frei. Das ist der Charme Darwins.

Wer Nils Minkmars Texte nicht kennt, könnte als Einstiegsdroge diesen Artikel über das Rätsel George W. Bush lesen oder diesen über die SPD nach dem Rücktritt Kurt Becks.

Und jetzt hat er ein Buch geschrieben. Es erscheint am kommenden Mittwoch, heißt „Mit dem Kopf durch die Welt“, und in der heutigen FAS stand ein vielversprechender Vorabdruck daraus, der so begann:

Es war am ersten Tag der Sommerferien 2006. Beim Einräumen meiner Sachen in den Wandschrank unseres Ferienhauses entdeckte ich zwischen alten Turnschuhen einen kleinen Karton, den jemand auf dem Fußboden abgestellt hatte. Auf diesem Karton stand mit dickem Filzstift der Vor- und Nachname meines Großvaters. Post für ihn war es nicht, er bekam kaum noch Post, schließlich war er schon drei Jahre tot.

Auf der Pappe klebte ein grüner Aufkleber, ein Firmenname, zusammengezogen aus Funerarium und Europa. Das Päckchen ging nicht an meinen Opa, das Paket enthielt meinen Opa.

Jahre nach seinem Tod hatte sich mein Cousin ein Herz gefasst, die Urne von Marseille, wo mein Opa während der Hitzewelle 2003 gestorben war, an die Atlantikküste zu dessen geliebtem Ferienhaus zu fahren. Der Mut hatte dann aber nicht mehr dafür gereicht, sich auch eine definitive Lagerstätte auszudenken.

Mein Großvater war, nach einer Kindheit im dunklen Schatten der Kirche, immer antiklerikal gewesen. In der Familie war man an Ritualen und Symbolen nur dann interessiert, wenn sie das Essen oder die Schulbildung betrafen, und selbst dann nur schwach. Der Tod fiel in keine dieser Kategorien, der eigene schon gar nicht.

(…)

Ich habe leider sonst noch nichts aus dem Buch gelesen, bin aber sicher, dass jetzt.de (ausnahmsweise) recht hat, wenn dort ein Rezensent dafür schwärmt.

In der nächsten Zeit wird Nils Minkmar hier ein bisschen gastbloggen, was mir eine große Freude und Ehre ist — nicht nur, weil ich jetzt endlich mal Katzencontent bieten kann.

Jon Stewart vernichtet CNBC

(Und ein Kommentar dazu in der „Columbia Journalism Review“.)