Hans-Ulrich Jörges

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Vermutlich arbeitet die ARD schon daran, die Kritik an der Flut der Talkshows dort zu behandeln, wo sie hingehört: in den Talkshows. Das Erste könnte zum Start von „Günther Jauch“ im Herbst eine ganze Themenwoche mit täglichen Gegen-den-Talk-Talks veranstalten und dem prominenten Talkshow-Kritiker Hans-Ulrich Jörges darin einen festen Platz geben.

Jörges hatte Ende vergangenen Jahres in seiner Kolumne im „Stern“ bemängelt, dass „die Talks wie ihre Diskutanten durch kollektiven Verschleiß und Übersättigung des Publikums gefährdet sind“. Eingeladen würden, formulierte er salopp, nur noch Gäste, die salopp formulieren und „auf den Pudding hauen“. Die überdrehte Zuspitzung, der Zwang zu „noch griffigeren, populäreren, quotenbaggernden Fragestellungen“, sei dabei eine Gefahr für die Politik, weil sie dem „Gelingen keine Chance mehr gibt“, schrieb Jörges — vermutlich aus dem Taxi auf dem Weg vom „Presseclub“ zu „Anne Will“ — unter der Überschrift „Oraler Overkill“.

In dieser Woche war er wieder einmal zu Gast bei „Hart aber fair“ und sagte, dass der noch nicht einmal gewählte FDP-Vorsitzende Philipp Rösler wohl keine Chance hat. Er fragte puddingverachtend, ob „die FDP nur auf Standby ist oder sich ausgeschaltet hat“. In seinen jüngsten Kolumnen hatte er schon nüchtern resümiert: „Alles scheint sich aufzulösen.“ Dies könnte „das Ende des Parteiensystems sein, das wir kennen“. Die Stimmenthaltung Deutschlands im Weltsicherheitsrat zur Libyen-Resolution sei der „erste Schritt in den Neutralismus“ und „politische Selbstzerstörung“. Über seinem jüngsten „Stern“-Text steht: „In ihren Armen das Kind war tot“, wobei die Arme Angela Merkel gehören und das Kind die FDP ist.

Man ahnt, warum Menschen, die glauben, dass „Guido über Bord, Boygroup an Deck“ ein guter Titel für eine politische Gesprächssendung ist, auch glauben, dass Hans-Ulrich Jörges ein guter Gesprächspartner ist. Am Mittwoch erklärte er — mit dieser Aura von jemandem, der ganz genau weiß, wie der Betrieb in Berlin funktioniert — dass die Vorgänge in der FDP zeigten, wie brutal es in der Politik zugeht. Das verwunderte den ebenfalls anwesenden Generalsekretär Christian Lindner, der sich keine Minute zuvor für das vermeintlich „Kuschelige“ an dem „Putsch“ in seiner Partei rechtfertigen musste und nicht ganz zu unrecht fragte, ob man sich nicht vielleicht für einen der beiden Vorwürfe entscheiden müsse.

Die Frage brachte Jörges nicht einmal für eine Nanosekunde aus dem Konzept. Aber wer weiß, vielleicht schreibt er schon an seiner nächsten Kolumne, in der er die Betriebsblindheit deutscher Kolumnisten anprangert.

Riekelhaft

Als langjährige „Bunte“-Chefredakteurin weiß Patricia Riekel sicher, dass sie bei der Berichterstattung über den Prozess gegen Jörg Kachelmann den Wahnsinn von Alice Schwarzer nicht übertreffen kann, so sehr sie sich bemüht. Schwarzer könnte inzwischen selbst in der Farbe der Kniestrümpfe des Moderators einen Beleg für seine Frauenverachtung finden (und zwar unabhängig von der Farbe).

Diese Woche warf Schwarzer ihm vor, geheiratet zu haben. Die Eheschließung „ausgerechnet jetzt“ sei:

eine weitere Ohrfeige für die zahlreichen Frauen, die Kachelmann über Jahre miteinander betrogen hat. Und die nun auch noch öffentlich gedemütigt sind. Denn trotz alledem hatte sich die eine oder andere noch immer Hoffnungen gemacht …

So gemein ist dieser Kachelmann. Macht den Frauen nicht einmal mehr falsche Hoffnungen.

Eines, schließt Schwarzer am Ende ihrer „Bild“-Kolumne, sei klar:

Diese erneute Heirat macht den der Vergewaltigung Angeklagten noch lange nicht zum Biedermann.

Nein, noch lange nicht. Dazu müsste er mindestens noch drei, vier, fünfmal heiraten.

An Beklopptheit, weiß Patricia Riekel sicher, kann sie ihre Konkurrentin bei der Jagd auf Jörg Kachelmann nicht schlagen. Aber vielleicht an Perfidie. In ihrem Editorial in der aktuellen Ausgabe der „Bunte“ legt sie sicherheitshalber schon mal weit vor.

Ihr Text beginnt so:

Von Männern im Gefängnis weiß man, dass sie auf einen bestimmten Typus Frau eine seltsame Anziehungskraft ausüben. Psychologen erklären dieses Phänomen mit der Faszination des Bösen und einem weiblichen Helfersyndrom. Jörg Kachelmann ist nicht verurteilt, nicht in Haft, aber angeklagt, eine Freundin vergewaltigt zu haben – was er bestreitet. Überraschend viele Frauen sympathisieren mit ihm (…).

Die Abfolge dieser Sätze ist faszinierend. Ich dachte erst, das liegt daran, dass sie Kachelmann so subtil als bösen Straftäter darstellen. Aber in Wahrheit liegt die Faszination, ganz im Gegenteil, in der Effektivität und Brachialität ihrer Unlogik.

Es klingt etwa wie die unlösbare Textaufgabe einer Klassenarbeit:

Kinderschänder haben oft einen Bart. Günther ist kein Kinderschänder, hat aber einen Bart. Was können wir aus dem, was wir über Kinderschänder wissen, über Günther sagen?

Riekel weiter:

Überraschend viele Frauen sympathisieren mit ihm, obwohl im Prozess bekannt wurde, dass er über Jahre hinweg Frauen täuschte, mehrere Beziehungen gleichzeitig unterhielt, ohne dass die Betroffenen dies wussten. Das ist zwar strafrechtlich nicht relevant, lässt ihn aber auch nicht in angenehmem Licht erscheinen.

Ich weiß nicht, wie viele Frauen mit Jörg Kachelmann „sympathisieren“, und ich weiß nicht, woher Frau Riekel es weiß. Aber kann es sein, dass diese Sympathie, oder sagen wir besser: ein gewisses Mitgefühl, daher kommen könnte, dass man nicht weiß, ob dieser Mann vielleicht unschuldig ist, aber trotzdem jedes Detail seines Liebeslebens öffentlich durchleuchtet wird? Dass viele Frauen, anders als Frau Riekel, noch ein Gefühl für Anstand haben, das Mitgefühl auch mit jemandem erlaubt, der vielleicht ein menschliches Arschloch ist? Die nicht mal eben so in einer läppischen Zwar-Aber-Konstruktion einen Zusammenhang herstellen zwischen dem, was einen Mann unsympathisch macht, und dem Vorwurf, er sei ein Vergewaltiger?

Nun hat der 52-jährige Wetterexperte eine Studentin geheiratet, halb so alt wie er. Eine Hochzeit, die zu Spekulationen verleitet. Der Zeitpunkt wirkt klug gewählt, das Urteil im Vergewaltigungsprozess soll demnächst gefällt werden. Könnte es nicht sein, dass Kachelmann einen Hintergedanken hatte? Er dem Gericht beweisen wollte, dass er sich geändert hat, dass er sehr wohl einer Frau treu sein kann?

Wirklich? Deutsche Gerichte glauben: Ui, der Mann hat geheiratet, dann wird er ja wohl treu sein? Gut, ich kann das nicht ausschließen.

Als Prozessbeteiligte

Äh, nein, Verzeihung.

Als Prozessbeobachter fragt man sich auch, warum sie ihn geheiratet hat? Einen Mann, der Frauen belog und betrog. Der bizarre Sexpraktiken schätzte, wie einige seiner Geliebten vor Gericht aussagten. Dem es offenbar um Dominanz und Unterwerfung ging.

Nun mag es sein, dass die junge Frau Jörg Kachelmann mag, obwohl er bizarre Sexpraktiken schätzt. Die Möglichkeit, dass sie gerade das auch an ihm schätzt, ist in der kleinen Gedankenwelt der „Bunte“-Chefredakteurin offenbar nicht vorgesehen. Würde aber auch der beabsichtigten Dämonisierung Kachelmanns im Weg stehen, denn Riekel schreibt weiter:

Aber böse Buben haben nun mal ihren eigenen Charme. Und zu dieser Gattung Mann gehört für mich auch Kachelmann.

Das ist auf eine plumpe Art fast schon elegant. Oder wissen Sie jetzt, warum Kachelmann für Riekel ein „böser Bube“ ist? Weil er Dinge im Bett macht, die ich mir bei Frau Riekel nicht vorstellen möchte? Weil er Frauen betrogen hat? Oder weil er nach ihrer Überzeugung doch ein Vergewaltiger ist?

Gefängniswärter nennen übrigens Frauen, die sich zu Inhaftierten hingezogen fühlen, „Rotkäppchen“! Weil sie auf den „bösen Wolf“ hereinfallen und an seine Unschuld glauben. Dahinter steckt der Wunsch, „gebraucht“ zu werden, einen gefährlichen Mann „zähmen“ zu können, und der Kick der Gefahr, der von solchen Typen ausgeht.

„Hereinfallen“, „ein gefährlicher Mann“, „der Kick der Gefahr“… Spricht Riekel hier noch vom „bösen Wolf“ (der bekanntermaßen tatsächlich die Großmutter gefressen hat), von einem archetypischen inhaftierten Straftäter oder schon wieder vom nicht inhaftierten, nicht verurteilten Jörg Kachelmann? Man weiß es nicht, man soll es auch nicht wissen. Es verschwimmt alles. Und die Frage, ob der Moderator nun tatsächlich eine Frau vergewaltigt hat, wird in der üblen Melange, die Patricia Riekel anrührt, zum nebensächliches Detail: Der Mann ist unsympathisch, böse, pervers — dass so einer mit Gewalt eine Frau zum Sex zwingen würde, scheint einerseits naheliegend, andererseits aber auch fast schon egal.

Selbst wenn wir im Fall Kachelmann von wahrer Liebe ausgehen – es mag der jungen Frau Kachelmann ein gewisses Hochgefühl verliehen haben, dass unter all den Frauen, denen bisher seine Zuneigung galt, sie diejenige ist, die am Ende auserwählt wurde. Ach, ich wünsche ihr aufrichtig, dass sie von ihm nie enttäuscht wird wie einige andere, die vor Gericht unter Tränen aussagten …

… oder die, die von der „Bunten“ 50.000 Euro dafür bekam, vorher noch in einer schmierigen Illustrierten ihre Geschichte zu erzählen, möglicherweise — was vor Gericht gerade diskutiert wird, aber natürlich nicht in Patricias Riekels „Bunten“ — ein bisschen aufgepeppt für das viele Geld.

Die „Bunte“ ist ein Beleg dafür, dass Printjournalismus dem Internet überlegen ist. Man wüsste sonst nicht, wohinein man sich übergeben sollte.

Was ich beim „Echo“ gelernt habe

Ich wollte eigentlich nur den Screenshot vom Abspann der „Echo“-Verleihung zeigen, in dem mein Name ((neben denen von Lukas Heinser sowie Sven Schrader, der mir sicher eines Tages die Goldene K.-Lauer-Gedächtnismedaille für sein Lebenswerk im Dienst schlechter Witze wegschnappen wird)) unter „Buch“ oder „Autor“ gestanden hätte, um zu erklären, warum hier die vergangenen Wochen so wenig los war. Aber dann gab es — aus Gründen — gar keinen Abspann.


Fotos: ARD

Dann kann ich stattdessen auch noch ein paar Zeilen schreiben. Aus dem Nähkästchen kann ich aus naheliegenden Gründen natürlich nicht plaudern, aber man lernt bei der Mitarbeit an so einer Show eine Menge darüber, warum das Fernsehen so ist, wie es ist. Auf zwei Leute, die sich Ideen ausdenken, kommen gefühlt zweihundert, die dafür zuständig sind, sie zu verhindern. Es ist eine gewaltige Kreativitätsvernichtungsmaschine. Ideen sind die Wasserschildkrötenbabys der Showproduktion.

Aus dem, was bei dieser Produktion weggeworfen wurde, könnte man mindestens zwei komplette Sendungen machen.

Das liegt teilweise in der Natur der Sache: Künstler, für die man etwas vorbereitet hatte, sagen kurzfristig ab, Umstände ändern sich, der Ablauf ändert sich fast bis zur letzten Sekunde. Es stellt sich heraus, dass Menschen die Ideen, die man für sie hatte, dann doch nicht so lustig fanden wie man selbst. (Weshalb ich zum Beispiel eine ungebrauchte, total lustige, selbstironische und vor Alliterationen strotzende Laudatio für eine als Koppelkupplerin im Fernsehen auftretende Moderatorin kostengünstig abzugeben hätte.)

Es regieren aber auch die Bedenkenträger. Was im Fernsehen zu sehen ist, wird vor allem dadurch bestimmt, was nicht im Fernsehen zu sehen sein soll. Bei einer Veranstaltung wie dem „Echo“ ist das besonders krass, weil es hier gleich zwei Auftraggeber mit Sorgen, Wünschen und Empfindlichkeiten gibt: den Fernsehsender und den Bundesverband Musikindustrie.

Erstaunlicherweise haben die meisten Menschen, mit denen man diskutieren muss, aber gar nicht selbst Bedenken, sondern antizipieren nur mögliche Bedenken anderer, die sie dann vorsorglich potenzieren. Wenn man das einmal erlebt hat, hat man plötzlich als Zuschauer oder Kritiker doppelt so viel Respekt für jede Idee, die es trotzdem tatsächlich auf den Fernsehschirm schafft.

Eine der besonders heiklen Fragen war, ob und wie wir mit den aktuellen Ereignissen in Japan oder auch Libyen umgehen sollten. Nach langem Hin und Her stand eine Fassung, mit der alle irgendwie leben konnten, und deren zentrale Sätze lauteten: „Musik tröstet. Und Musik verbindet. Lasst uns heute Abend tolle Musik feiern – aber die Welt dabei nicht vergessen.“ Und man hat die Goldwaage noch nicht ganz im Schrank verstaut, da kann man lesen, dass die „Berliner Morgenpost“ glaubt, Ina Müller hätte gesagt: „Musik lässt uns den Rest der Welt für einen Moment vergessen.“ Journalisten.

Es waren aufregende, anstrengende, frustrierende, produktive, unproduktive, lustige Tage. Dass ich am Ende mit der ausgestrahlten Show in einem viel größeren Maße zufrieden bin, als ich vorher gedacht hätte, liegt vor allem an Ina Müller. Sie sprengt das ganze von Bedenken und Sicherheitsstreben geprägte System und schafft es, in das starre Korsett der Fernsehübertragung einer Preisverleihung – noch dazu eines Preises mit schwerem Geburtsfehler – genau das zu bringen, was darin eigentlich nicht vorgesehen ist: Leben.

Wenn etwas Ungeplantes passiert, versucht Ina nicht, das zu überspielen, sondern macht es zum Thema. Sie hat in der Show ungefähr all das getan, was sie nicht hätte tun sollen. Sie hat Gerd Gebhardt, den Vater des „Echo“, sogar live darauf angesprochen, was er im Vorfeld verhindert hat. Sie hat sich gegen jede Floskel, jede Standardmoderation, jede 08/15-Situation gewehrt. Sie hat den „Echo“ ohne Rücksicht auf Verluste moderiert, in dem Gedanken, dass es eh der einzige sein werde, den sie moderiert, und sie dann aus der Gelegenheit das meiste machen kann und soll. (Das ist eigentlich kein schlechtes Motto: Moderiere jede Show, als wäre es deine letzte.)

Natürlich muss man Ina Müller und ihre Art nicht mögen. (Ich mag sie.) Man kann sogar den Spagat schaffen, als Klatschreporterin beim Berliner Schmuddelblatt „B.Z.“ zu arbeiten und trotzdem schon bei der harmlosen Frage an den Plattenboss, ob man sich auch als 45-jährige Frau noch „hochschlafen“ kann, pikiert zu sein.

Aber man muss feststellen, dass Ina Müller dafür sorgt, dass etwas passiert. Und das passiert im Fernsehen nicht oft. Im Talk mit Take That ist etwas passiert. Im Gespräch mit den Amigos ist etwas passiert. Im Radio-„Echo“-Interview mit Grönemeyer ist etwas passiert. Und in dem Medley zur Eröffnung, in dem sie mit so unterschiedlichen Leuten wie H.P. Baxxter, Peter Maffay und Stefanie Heinzmann gesungen hat, ist sogar das passiert, was in ihrer kleinen Kiezshow „Inas Nacht“ regelmäßig passiert: Während die Künstler sich angesungen haben, schlug die Magie der Musik Funken zwischen ihnen.

Natürlich wäre die Nummer perfekter gewesen, wenn man sie vorher als Playback aufgenommen hätte. Oder wenn die Sänger nicht aus den unterschiedlichsten Ecken der Bühne gekommen wären, sondern einfach nebeneinander gestanden hätten. Aber das ist der Preis der Magie des Live-Auftritts. Ina ist niemand, der auf Nummer Sicher geht. Zum Risiko gehört, dass eine Sache, die schiefgehen kann, auch mal schiefgeht. Ich finde, es lohnt sich, für die Chance auf eine spontane große Situation die Gefahr eines peinliches Augenblicks in Kauf zu nehmen.

So gesehen habe ich habe zweierlei gelernt in den letzten Wochen bei der Arbeit am „Echo“: Was alles nicht geht beim Fernsehen. Und was geht.

  • Die „Echo“-Verleihung in der Mediathek: Teil 1, Teil 2.

Oliver Bierhoff

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Eine Möglichkeit ist, dass Oliver Bierhoff den „Tatort“ nicht gesehen hat, über den er sich in der „Bild“-Zeitung beschwert. Eine andere, dass er ihn nicht verstanden hat.

In diesem „Tatort“ am letzten Sonntag ging es um einen fiktiven schwulen Bundesliga-Spieler. Tatsächlich sagt der an einer Stelle: „Wissen Sie, die halbe Nationalmannschaft ist angeblich schwul, einschließlich Trainerstab. Das ist doch schon so eine Art Volkssport, das zu verbreiten.“ Bierhoff sieht in diesen Sätzen einen Beweis für sinkende moralische Werte; einen Angriff auf sich und seine Familie, „die Familie der Nationalelf“; einen Missbrauch der Prominenz der Mannschaft.

Dabei sind die Sätze erstens unbestreitbar wahr und zweitens ganz anders gemeint. Gibt man „Jogi Löw“ oder „Hansi Flick“ ein, schlägt Google jeweils als ersten passenden Suchbegriff „schwul“ vor. Das funktioniert auch bei „Oliver Bierhoff“ und vielen Spielern. Google tut das, weil die Menschen massenhaft nach diesen Wortkombinationen suchen. Das heißt nicht, dass die halbe Nationalmannschaft schwul ist. Es heißt, dass es ein Volkssport ist, dieses Gerücht zu verbreiten und zu diskutieren.

Im „Tatort“ aber sagt der fiktive Spieler die Sätze nicht, um ein Gerücht zu verbreiten, sondern um seine Haltlosigkeit zu betonen. Er selbst wurde gerade von der Kommissarin mit dem Verdacht konfrontiert, schwul zu sein, und sagt abwinkend: Uns Profi-Fußballern wird doch allen vorgeworfen, heimlich homosexuell zu sein, das hat doch nichts zu sagen. Ist der Gedanke aussichtslos, einem Oliver Bierhoff diesen Kontext in einer Nachhilfestunde „Filme richtig verstehen“ zu erklären?

Bierhoff hat nur gehört, dass da jemand gesagt habe, die seien alle schwul. Dass er darauf so heftig reagiert und das Wort „Familie“ als Kontrast und vermeintlichen Gegensatz zur Homosexualität benutzt, ist entlarvend.

Man kann lange darüber diskutieren, wie groß die positive Wirkung ist, die ein gut gemeinter „Tatort“ haben kann. Eine Antwort aber ist leicht: Sicher nicht so groß wie die negative, die ein „Bild“-Interview von Bierhoff hat. Immerhin ist deutlich geworden, dass das Problem nicht nur irgendwelche Schwulenhasser in den Fankurven sind, sondern auch die sich für aufgeklärt haltenden Verantwortlichen ganz oben im Verband. Oliver Bierhoff hat der Homophobie im Fußball ein Gesicht gegeben.

Ein Dogma muss kein Dogma sein

Heute verrät Chefredakteur Ulrich Reitz den Lesern der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ exklusiv den Beginn des Journalistengesetzbuchs. Er tut das, weil sich offenbar Leute darüber beschwert haben, dass die WAZ am Mittwoch — ausgerechnet vor einem wichtigen Champions-League-Spiel — gemeldet hatte, der FC Schalke 04 werde sich von Trainer Felix Magath trennen. Dadurch hätte die Zeitung den Erfolg der Mannschaft gefährdet.

Reitz hätte es dabei belassen können, einfach zu antworten, dass eine Zeitung keine „Fan-Postille“ sei und kein „Wohlfühl-Blatt“. Aber er nutzte die Gelegenheit, ein ganz großes Fass aufzumachen:

Für uns Medienleute gibt es einen Paragrafen eins, der lautet: Eine Nachricht ist eine Nachricht ist eine Nachricht. Paragraf zwei heißt: Du darfst die Veröffentlichung einer Nachricht nie abhängig machen von den Folgen dieser Veröffentlichung, zumal du die ja auch gar nicht kennst.

Für Leser, die vielleicht unterschätzen, wie ernst Reitz das meint, wie absolut und unverhandelbar dieses Dogma seiner Meinung nach ist, fügte er hinzu:

(…) eine Nachricht bewusst zurück zu halten, ist für eine Zeitung, die sich allen ihren Lesern verpflichtet fühlt, geradezu eine Todsünde. Redakteure, die so handeln würden, könnten, dürften in diesem Job nicht mehr arbeiten.

All das gelte umso mehr bei Exklusiv-Nachrichten, die ja dazu führen, dass selbst ein Blatt wie die WAZ von „Zeitungen von Rang“ zitiert wird. (Medienethik ist für Reitz nur eine Unterdisziplin der Betriebswirtschaft.)

Es ist das zweite Mal innerhalb weniger Monate, dass sich Reitz mit dem Grundsatzthema beschäftigt. Ende November allerdings war das, was er heute als heilige Pflicht beschreibt, ein „übler Verrat“. Im Zusammenhang mit der Enthüllung amerikanischer Diplomaten-Depeschen kommentierte er:

Weder der Verräter noch die Internet-Plattform Wikileaks können die Folgen ihrer Veröffentlichung auch nur annähernd abschätzen. Diese können aber tödlich sein, etwa, wenn Informanten der Amerikaner in diktatorischen Staaten hochgehen. Deshalb ist diese Art von Veröffentlichung unverantwortlich, auf jeden Fall: größenwahnsinnig. Vor allem, wenn dieser Größenwahn auch noch mit Informationsfreiheit gleichgesetzt wird.

(…) Dieser Verrat stiftet keinen Frieden, er gefährdet ihn.

(…) Die Wikileaks-Veröffentlichung ist nichts anderes als eine Illusion. Glaubt jemand, diese Mischung aus Einschätzungen und Einzelbeobachtungen sei „Wahrheit“? Was hat man davon, zu wissen, dass ein führendes Mitglied einer Denkfabrik von Premier Erdogans türkischer AKP-Partei Andalusien zurück haben und sich rächen will für die Belagerung Wiens 1683???

Erstaunlicherweise scheinen weder der erste, noch der zweite Paragraph des Reitzschen Medienleutegesetzes in diesem Fall zu gelten. Plötzlich folgt aus der Unwägbarkeit der Folgen einer Veröffentlichung keine Pflicht zur Berichterstattung, sondern ihr Verbot.

Nun kann man natürlich (wenn man das Dogmahafte an Reitz‘ Paragraphen ignoriert und also das Risiko eines Berufsverbotes oder ewiger Verdammnis in Kauf nimmt) einwenden, dass sich die potentiellen Folgen in beiden Fällen nicht vergleichen lassen: Dort geht es um den spielerischen und wirtschaftlichen Erfolg eines Fußballvereines, hier womöglich um Menschenleben.

Ich fürchte nur, dass das nicht der Grund für die unterschiedliche Wertung von Reitz ist. Dort geht es um richtige Journalisten, hier um wildfremde Leute, die das Enthüllungs- und Enthüllungs-Entscheidungs-Monopol dieser Journalisten zerstört haben.

Schon in der Präambel von Reitz‘ Grundgesetz heißt es nämlich: Gut und richtig ist, was Dir nützt; schlecht und falsch, was Dir schadet.

(Mit den fatalen Folgen des Postulats, Journalismus dürfe sich nicht um seine Folgen scheren, habe ich mich hier auseinandergesetzt. In Sachen Schalke hat Reitz natürlich grundsätzlich recht.)

[Mit Dank an Martin Liebig!]

Was die RTL-Chefin bei Klaus Boldt hervorwölben lässt

Der verlogenste Artikel zum Weltfrauentag stand dann aber doch nicht in „Bild“, sondern im Online-Auftritt des „Manager Magazins“. Der Medienredakteur Klaus Boldt, dessen Artikel berühmt dafür sind, dass man mit den in ihnen geflochtenen Girlanden eineinhalb mal sämtliche Karnevalsfeiern des südlichen Rheinlandes ausstatten könnte, hat Anke Schäferkordt getroffen, die erfolgreiche Geschäftsführerin von RTL, eine Frau.

Boldt hat sich in Schäferkordt verliebt. Ich weiß nicht, ob es etwas Erotisches ist, ihre Ausstrahlung, ihre Bilanzen oder auch nur ein gemeinsames Desinteresse am Medium Fernsehen. Ich fürchte, mit einmal kalt Duschen wird es nicht getan sein, aber ein Eimer Wasser über den Kopf könnte sicher nicht schaden.

Boldt ist ganz entrückt angesichts der Tatsache, dass diese Frau so erfolgreich ist und dieser erfolgreiche Manager eine Frau. Er lässt sich nicht davon beeindrucken, dass Schäferkordt die schöne Formulierung benutzt, sie sei „durchgängig gelangweilt“ von dem Thema, dass sie als Frau ein Milliardenunternehmen leite. Er versucht manchmal, seine Ungläubigkeit hinter Uneigentlichkeit zu verstecken, so als seien es nur die anderen, die staunten über diese Kombination von Geschlecht und Gewinn. Es gelingt ihm nicht.

Er schreibt, sie gelte als „Wonder Woman der deutschen Wirtschaft“, aber das hat er sich sicher nur ausgedacht. Sie ist seine Wonder Woman. Sie bringt ihn dazu, den üppigen Platz, den ihm die Zeitschrift eingeräumt hat, nicht nur mit verwegenen Ortsbeschreibungen zu füllen, sondern auch mit etwas, das er selbst „Weibergeschwätz“ nennt:

Wonder Woman kehrt vom Fenster an den Besprechungstisch zurück. Sie trägt einen Hosenanzug, der, wenn nicht alles täuscht, von der Farbe dunkler Alpenveilchen ist. Die Sekretärin liefert einen Cappuccino, Wonder Woman bleibt lieber beim Wasser: Sie ist erkältet und hustet, wofür sie sich höflicherweise jedes Mal entschuldigt.

Schäferkordt wurde, was womöglich Anlass seiner Liebeserklärung ist, in den Aufsichtsrat von BASF berufen, was laut Boldt einerseits eine Versammlung ist, in der sich „Wirtschaft und Weisheit so verdichten“ wie in wenigen anderen, andererseits womöglich übertrieben. Über den BASF-Aufsichtsratschef Eggert Voscherau schreibt er:

Dass Schäferkordt eine Frau sei, habe bei ihrer Berufung überhaupt keine Rolle gespielt. Geschadet hat es aber auch nicht: Man müsse ja „nicht gegen den Trend laufen, wenn man jemanden findet, der passt“, sagt Diplomat Voscherau.

Und so fragt Boldt:

Wer ist diese Frau, deren Aufstieg sich im Reich der Bertelsmann AG vollzog, die zu den Hochburgen des Machismo in diesem Lande gezählt werden darf?

Das „Manager Magazin“, muss man wissen, gehört auch zum Reich der Bertelsmann AG, weshalb man diesen Satz natürlich auch als eine Art augenzwinkernde Entschuldigung für den Chauvinismus des Artikels, in dem er steht, lesen kann, was ungefähr so gut gelingt wie der Versuch, eine Dauererektion unter einer Papierserviette zu verstecken.

Jedenfalls, also, wer ist nun diese Frau?

Wonder Woman ist eine gewandte, mittelgroße Frau; sie hat ein angenehmes Äußeres, ein nicht minder angenehmes Wesen und die sanfte Altstimme einer Schnulzensängerin. Sie ist kinderlos und unverheiratet, aber seit 20 Jahren mit dem Dr. Abteilungsdirektor Biermann vom Haus der Geschichte zu Bonn aufs Glücklichste liiert. Sie ist 48 und sieht aus wie 35.

Sie sah aus wie 35, und er war wieder 16. (War allerdings Winter.)

Das Gestelzte einer Business-School-Amazone geht ihr völlig ab, ihr Blick ist scharf und klar mit etwas Ehrlichem und Unschuldigem und Unverdorbenem darin, was man in dieser Branche nicht allzu oft zu sehen bekommt. Sie ist freundlich, aber auch nicht so vertraulich, als wollte sie einem einen Tipp fürs nächste Pferderennen geben.

Das ist ein Fluch. Wenn andere davon träumen, Pferde zu stehlen, wollen Wirtschaftsmagazinredakteure nur Tipps, wie man mit ihnen Geld verdienen kann.

Vielleicht liegt es nur an mir, aber in diesem Kontext lesen sich selbst Boldts gespreizte Verben fast pornographisch:

Im ersten Halbjahr 2010 wölbte sich der Umsatz (2009: 1,7 Milliarden Euro) um 5 Prozent auf 864 Millionen Euro vor, das Ebita dehnte sich um knapp 63 Prozent auf 257 Millionen Euro aus.

Jedenfalls:

Die Herren des Hauses Bertelsmann, dessen Betriebskapital von RTL in wünschenswertester Weise gestärkt wird, nicken einander zu und lassen die angenehmsten Scherze einfließen, der Art, dass man von außen nicht sagen könne, ob RTL nun von einem Weibe oder einem Manne geführt würde oder nicht.

Mein Draht zu Frau Schäferkordt ist nicht gut genug, um das herauskriegen zu können, aber ich wüsste gerne, ob es ihr beim Lesen dieser Stelle so ging wie mir und die Langeweile kurz von dem Geruch von Erbrochenen überlagert wurde. Aufs angenehmste, natürlich.

Tatsächlich ist bei Schäferkordt schon an dieser Stelle unbedingt die Intuition anzuführen, die den Damen bekanntlich im Übermaß zur Verfügung steht: Ihre Fähigkeit, den Publikumsgeschmack zu erraten, prägte sich bereits aus, als sie noch bei Vox die Sendeleitung innegehabt hatte.

Doch, Bauchgefühl, das haben sie, die Frauen.

In ihrer Amtszeit hat sie dem Senderrepertoire strategische Konturen verliehen und ein loses Ensemble zum soliden Ganzen zusammengeführt. Das Angebot leistet sich kaum Blößen: „Deutschland sucht den Superstar“, „Wer wird Millionär“, „Das Supertalent“, „Bauer sucht Frau“, dazu Boxen und die Rennen der Formel 1 – die Marktanteile der Konkurrenz lösen sich auf wie Brausetabletten.

Was immer „strategische Konturen“ sein mögen: Vier der sechs genannten Sendungen waren lange vor dem Amtsantritt von Schäferkordt tragende Säulen des RTL-Programms und Boxen ist es heute vermutlich weniger denn je. Aber Boldt ist längst zum englischen Patienten geworden:

Es kommt selten vor, dass jemand, nach seiner Arbeit gefragt, so freundlich, ja geradezu hingebungsvoll von seinem „Team“ spricht wie die RTL-Intendantin. Sie hat so eine gewisse Art, die einen an Lazarettschwestern denken lässt, die Verwundeten Erste Hilfe leisten.

„Fernsehen – und das ist wirklich schön und macht mir deswegen so viel Spaß – ist Teamarbeit. Den Programmerfolg würde ich nie für mich persönlich in Anspruch nehmen. Ich muss letztendlich nur alles zusammenhalten und ein wenig die Richtung weisen.“ Sie bringt diese Sätze mit Frische und Aufrichtigkeit vor, aber auch nicht so, als würde sie sie extra in ihr Tagebuch eintragen wollen.

Neinnein, ins Tagebuch nicht. Nur ins „Manager Magazin“.

Schäferkordt ist zwar ideologiefeste Bertelsfrau, und ihre unbeschwerte Arbeitsweise hat einiges damit zu tun, dass sie ihr gesamtes Berufsleben in diesem Unternehmen verbracht hat. Aber nicht nur BASF betrachtet sie mit Augen, in denen sowohl Neid liegt als auch Verlangen.

Verlangen! Sicherheitshalber hat Boldt hinzugefügt:

So eine wie die Schäferkordt hätten auch andere Unternehmen gern.

(Hervorhebung von mir.)

A.J.A.I.

Als sich der Zeitungsredakteur Magnus Z. bei der Arbeit an einem großen Artikel über Graffiti wunderte, dass er an Wänden und Stromkästen immer wieder auf die rätselhafte Buchstabenkombination „ACAB“ stieß, da wusste er, wie er der Sache auf den Grund gehen könnte: Er fragte eine ihm bekannte Lehrerin, die er zufällig beim Hundespaziergang traf.

Die sagte ihm, dass das ein türkischer Vorname sei. Und so schrieb Z. in seinem Artikel, dass viele Sprayer…

noch nicht einmal den so genannten Tag beherrschen, also den schwungvollen Namenszug, sondern einfach nur ihren Namen hinschreiben, Acab beispielsweise, einen türkischen Vornamen. Offensichtlich ist es einigen türkischen Jugendlichen ein Bedürfnis, nur ja die Vorurteile zu verstärken und Öl in das von Sarrazin entfachte Feuer zu gießen.

Nun steht „A.C.A.B.“ allerdings für „All cops are bastards“, weshalb es der Artikel von Z. ins BILDblog schaffte und der Autor in seinem Blog auf der Homepage der „Nürnberger Zeitung“ viele hässliche Kommentare bekam.

Z. nahm das zum Anlass, sich für den blöden Fehler zu entschuldigen den Kritikern Verblendung, Gehässigkeit und Gutmenschentum vorzuwerfen. Er beschrieb die Sache mit der Lehrerin, die er gefragt hatte und deren Antwort ihm angesichts ihres Berufes und seiner fehlenden Türkisch-Kenntnisse schlüssig erschien, und fügte hinzu:

„Eine Recherche startet man schließlich erst dann, wenn eine Aussage unplausibel erscheint.“

Nun könnte man erwidern, dass es eigentlich schon genügen könnte, etwas nicht zu wissen, um als Journalist eine Recherche zu „starten“, aber Z. ist längst zum Gegenangriff übergegangen. Den Kritikern, die ihm mit einem Link kommen, ruft er zu: „Eine Recherche, die sich auf Wikipedia beschränkt, ist keine, meine lieben Besserwisser!“

Immerhin weiß ich, dass „Milli Vanilli“ nicht “Positive Energie” heißt — und dass das bei meiner letzten diesbezüglichen Recherche bei Wikipedia aber immer noch so behauptet wurde.

Diese Recherche müsste vor knapp einem Jahr stattgefunden haben, als Z. einen Artikel über einen der Musiker hinter Milli Vanilli schrieb und darin schon die Wikipedia-Sache behauptete. Aber vermutlich hat ihm das auch damals nur ein zufällig vorbeikommender Hund im Stadtpark berichtet. Der „Positive Energie“-Fehler im Wikipedia-Eintrag zu Milli Vanilli wurde bereits am 26. Januar 2005 korrigiert.

Z. weiter:

Tauschan heißt Hase und Cöpek Hund — damit erschöpfen sich meine Türkischkenntnisse.

Hase heißt auf türkisch Tavşan. Hund heisst Köpek.

Schließlich findet er es ungerecht, ihm nur den einen Fehler vorzuwerfen anstatt zu würdigen, dass sein Artikel sonst doch positiv sei. Wenn er betrunken am Steuer erwischt wird, erzählt er den Polizisten sicher, dass es aber doch ein total guter Wein gewesen sei.

Im „Bild“-Blog (die haben’s nötig) war aber nur der Absatz mit dem Fehler zu sehen.

Aus dem Einschub in Klammern würde ich mal schließen, dass er uns für das Blog der „Bild“-Zeitung hält. Ist ja auch plausibel. (Dass man nicht den ganzen Artikel lesen kann, liegt natürlich weniger an uns als daran, dass die „Nürnberger Zeitung“ ihn, statt zu korrigieren, einfach gelöscht… Ach, was red ich.)

Am dümmsten ist eigentlich seine Argumentation, man könne doch jemandem, dessen Nachname — wie seiner — einen Migrationshintergrund habe, nicht ernsthaft vorwerfen, fremdenfeindlich zu sein. Dabei ist das fast das Schlimmste an seinem NZ-Artikel: Dass er einem von ihm herbeifantasierten türkischen Sprayer vorwirft, für Vorurteile gegenüber Türken insgesamt verantwortlich zu sein. Wenn Deutsche sprayen (oder prügeln oder klauen) wäre das nach dieser Logik nicht so schlimm, weil es wenigstens nicht auf eine ganze Bevölkerungsgruppe zurückfällt.

Womit wir bei der Frage wären, ob man aus der Geschichte irgendwelche Rückschlüsse auf Journalisten als Ganzes ziehen darf, sprich: ob Z. und sein zerrüttetes Verhältnis zur Recherche und seine Unfähigkeit, einfach einen Fehler zuzugeben, repräsentativ sind. Wenn es mir nur nicht so schwer fiele, darauf überzeugend mit Nein zu antworten.

Nachtrag, 15.48 Uhr. Die „Nürnberger Zeitung“ hat sich (bereits kurz vor diesem Blogeintrag) für den Fehler entschuldigt. Sie hat außerdem den Original-Artikel (mit gestrichenem ersten Absatz) wieder veröffentlicht.

Guttenbergs Affäre

Na toll. Da fährt man ein mal in Urlaub und verpasst die dollste Affäre um einen Bundesminister seit Jahren. Zum Glück kann man das ja alles nachlesen.

Auch das noch! Karl-Theodor zu Guttenberg. Die Affäre. Wer ist diese Frau? Ihr Vorwurf. Ihre Enttäuschung

(„Diese Frau“ ist übrigens, wie der „Aktuellen“ im Heftinneren wieder einfällt, „Zaneta, Rock-Pop-Sängerin aus Bad Mergentheim“, und „ihr Vorwurf“ bzw. „ihre Enttäuschung“: „Eine Unverschämtheit, was er uns zumutet. Einmal Betrüger, immer Betrüger. Solche Leute braucht das Land nicht. Er ist kein Vorbild.“)

„Die aktuelle“ ist ein Qualitätsprodukt aus dem Hause WAZ. Zaneta ist, nun ja.

[mit Dank an Peer Brockhöfer!]

Jörg Pilawa

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

So weit ist es gekommen: Ich habe Mitleid mit Jörg Pilawa.

Das ist etwas unangenehm, sehr ungewöhnlich und vermutlich völlig unnötig. Man kann schließlich davon ausgehen, dass der Mann sich, als er im vergangenen Jahr zum ZDF wechselte, zusichern ließ, dort alles wegmoderieren zu dürfen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Neben dem Ratespiel „Rette die Million“, das er schon hat, der „Terra X Show“ und der „Logo-Show“, die schon bekannt sind, also mutmaßlich auch eine „Landarzt-Show“, eine „Auslandsjournal-Show“ und eine „Aktenzeichen-XY-Show“, den bunten „heute journal“-Abend, das Wissensformat „Frag doch mal das Mainzelmännchen“, ein Promi-Kartenspiel „Frontal 17 + 4“, das „heute-Quiz“, das „Mona-Lisa-Quiz“, das „Aspekte-Quiz“, „Pilawas Quiz-Quiz“, „Pilawas Pilawa-Quiz“ und eine Ratesendung mit Fragen.

Und eben, anscheinend, womöglich, „Wetten dass“. In der öffentlichen Diskussion, wer am besten als Nachfolger von Gottschalk geeignet wäre, fallen viele Namen, aber darauf, dass der wahrscheinlichste, Pilawa, es nicht werden sollte, können sich ungefähr alle verständigen. Er würde es vermutlich nicht einmal schaffen, so bemerkenswert schrecklich zu sein wie Wolfgang Lippert damals. Er wäre einfach nur Pilawa. Der Name ist zum Synonym für den farblosen, austauschbaren, allgegenwärtigen Fernsehmoderator geworden, und ich mag mir nicht ausmalen, wie das ist, wenn der mutmaßliche Karrieretraum zum Greifen nah ist und man dutzendfach nachlesen muss, wie wenig Euphorie das auslöst. (Auch wenn Pilawa sich damit trösten mag, dass es womöglich eine schweigende, einschaltende Mehrheit gibt, die es zumindest nicht aktiv stört, wenn er moderiert, oder das nach Jahren der Konditionierung als ARD-Zuschauer einfach für eine Art Naturgesetz hält.)

Da rackert sich einer ab, und je mehr er schafft, umso weniger Begeisterung löst er aus. Dabei ist Pilawa doch nur so, wie er sein soll; wie es sich die Fernsehmacher wünschen. In dieser Woche musste er in seinem großen ZDF-Quiz der Spannung wegen bei der Finalfrage endlos vorgeben, dass das, was bei einem Bruch unter dem Strich steht, womöglich gar nicht der Nenner ist. Das brauchte Gottschalk, der Glückliche, nie zu tun.

Aber letztens hatte Pilawa mal kurz die Haare ein bisschen anders.