Das Dschungelcamp und das Sich-Ekel-Fernsehen von „Spiegel-TV“

Es ist immer wieder ein Kulturschock, wenn im RTL-Programm „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ an das Magazin von Spiegel-TV stößt. Auf der einen Seite diese läppische Sendung mit ihren albernen Witzen und schlechten Kalauern, die fast nur von Häme lebt. Und auf der anderen Seite das Dschungelcamp.

Dabei haben sich die Spiegel-TV-Leute viel Mühe gegeben in den vergangenen beiden Wochen, von der Aufmerksamkeit für die Dschungelshow zu profitieren. Sie haben einen Bericht gemacht über Rainer Langhans und einen über „Promis in der Schuldenfalle“. Sie haben berichtet über den „Dschungel unter deutschen Dächern“, über „Neues aus der Ekel-Forschung“ und, natürlich, über Hitler. Hitler war nämlich, genau wie Sarah Dingens im Camp, Vegetarier! „Die vegetarische Fangemeinde lässt es gern unter den Tisch fallen, doch es ist wahr: Adolf Hitler aß zu Lebzeiten kaum Fleisch.“

Und nun das Finale. Keine Werbepause, kein Sponsor, unmittelbar nach der letzten Szene aus dem australischen Dschungel wird die Temperatur auf Frösteln heruntergedreht:

Maria Gresz steht da und sagt:

„Jetzt ist es also soweit: Des Deutschen liebstes Hassobjekt ist am Ende und seine Hauptdarsteller irgendwie auch. Ab morgen können wir nur hoffen, dass im Kanzlercamp wieder die Post abgeht. Dass Angela mit Guido rumknutscht. Dass Claudia rot sieht und ausplaudert, dass die Regierungsarbeit nur Show ist und dass die Abgeordneten nur mitspielen, weil sie dafür Geld vom Privaternsehen bekommne. Ich weiß, das wird nicht passieren. Wär aber lustig. Derartige Unterhaltung gibt es eben nur im Dschungel. Dort wo die Zivilisation freiwillig ihre Hüllen fallen ließ und damit Millionen Zuschauer zu glücklichen Voyeuren machte.“

In zwei Wochen im Dschungel wird den Kandidaten, den Tieren und der Menschenwürde nicht so viel Gewalt angetan wie der deutschen Sprache in einer einzigen Spiegel-TV-Anmoderation. Wer danach nicht sofort abschaltet, steckt sofort knietief in einem Metaphernschlammbad, gefüllt mit gammeligen Teekesselchen. „Die vermeintliche Machtausübung“ der abstimmenden Zuschauer, sagt der Sprecher, „sorgt für besonderes Kribbeln – auch am Körper des Altkommunarden Rainer Langhans.“ Das Bild dazu:

Später heißt es: „Ehemalige Camp-Bewohner können ein Lied davon singen“ – bitte schön: Werner Böhm tut es.

Spiegel-TV-Leute leiden unter einer schlimmen Synonymzwangsstörung. Über Rainer Langhans darf nicht berichtet werden, ohne ihn mindestens einmal den „Apo-Opa“ zu nennen. Mit der Alternative „Gleichmut-Guru“ gibt es später noch Alliterations-Bonuspunkte. Und überhaupt, was ist der Dschungel? „Das Guantanamo der Z-Prominenz.“

Auf den ersten Blick ungewöhnlich ist es, dass Spiegel-TV ausgerechnet das Berliner Rumpelblatt „B.Z.“ als Beleg dafür zeigt, dass „das deutsche Feuilleton – ganz im Geiste Brechts – eine reflektorische Metaebene beim Miteinander von Mensch und Made“ entdeckt habe. Vermutlich bringt aber der Autor des entsprechenden Beitrags selbst die fehlende behauptete Fallhöhe mit:

Ross Antony, der die Show vor drei Jahren gewann und dabei auf sympathisch-schockierend-lustige Weise seine eigenen Phobien überwand, wird im Spiegel-TV-Deutsch zum „bekennenden Homosexuellen“, der „etwas Gutes für seine Community tun wollte“.

Und fast jeder Satz trieft von Herablassung. Es ist Sich-Ekel-Fernsehen bis hin zur Anmaßung, den Teilnehmern pauschal „verunglückte Lebensentwürfe“ zu unterstellen. Dann ist der Dschungelbeitrag vorbei (oder wie Spiegel-TV sagen würde: am Ende), und die Moderatorin leitet wie folgt zum nächsten Thema über:

„Es soll in dieser Welt noch Menschen geben, die weniger scharf auf Kameras sind. Waffenhändler zum Beispiel.“

Den Beitrag auf spiegel.de ansehen

Im Internet das Gute im Fernsehen finden

Gestern sind die Nominierungen für den den Grimme-Preis 2011 bekanntgegeben worden. Das ist eine gute Gelegenheit, für die Seite tittelbach.tv zu werben.

Rainer Tittelbach ist freier Journalist und TV-Kritiker. Er schreibt über Fernsehfilme und Krimi-Reihen und sieht sie im Zweifelsfall alle. Auf seiner Internetseite, die er seit Herbst 2009 betreibt, sammelt er nicht einfach nur seine Texte. Er verlinkt und sortiert, er empfiehlt und analysiert, es ist eine gewaltige Datenbank, eine ideale Kombination aus Service und Feuilleton.

Zum Beispiel jetzt zu Grimme. Ich wüsste nicht, an welcher Stelle man so umfassend, zugänglich und zuverlässig informiert würde über die nominierten Filme wie hier. Tittelbach analysiert kurz die Entscheidung und nennt seine eigenen Favoriten. Er hat zu jedem nominierten Film eine Kurzkritik verfasst, die zur Langfassung verlinkt. Dort finden sich, wie zu jedem der Hunderte besprochenen Filme, Inhaltsangabe und Kritik, ein Urteil in Form von bis zu sechs Sternen, Angaben zu Besetzung und Stab, Sendetermin, Einschaltquote, manchmal Verweise auf YouTube-Clips. Hinter vielen Namen in der Übersicht liegen Links zu Interviews und Portraits.

Als Bonusmaterial sammelt Tittelbach Informationen zu Soundtracks in Fernsehfilmen. Man kann sich die Filme eines Tages anzeigen lassen und in den besten Premieren und Wiederholungen der nächsten Tage stöbern.

Rainer Tittelbach sucht und findet (anders als ich) das Gute und Wertvolle im Fernsehen. Er schreibt über das Selbstverständnis seiner Seite:

Die Spitzenproduktionen innerhalb des Fernsehfilms und TV-Reihen wie „Tatort“, „Bloch“ oder „Bella Block“ sind im internationalen Vergleich seit Jahren Weltspitze.

In den Medien aber fristen diese oft außergewöhnlichen Filme ein Schattendasein. Mit der Medienkrise schrumpfen die Fernsehseiten vieler Tageszeitungen, Agenturen übernehmen die Rolle der TV-Kritik. Das Zufallsprinzip und der Zwang zum Populären bestimmen die Auswahl der Themen. (…)

tittelbach.tv richtet sich an Zuschauer, die gute Fernsehfilme zu schätzen wissen und sich auf einen „Tatort“ genau so freuen können wie auf einen gelobten Kinofilm. Auf der Seite befinden sich pro Monat bis zu 100 Vorbesprechungen von TV-Premieren und sehenswerten Wiederholungen — kompetent, knapp, klar, vorurteilsfrei, vergleichend, verlässlich, bei einem Vorlauf von zwei bis drei Wochen. Die so entstehende Fernsehfilm-Datenbank wird nach und nach aufgestockt um einige Kritiken der besten Fernsehfilme der letzten zehn Jahre.

Schwer zu glauben, dass ein einziger Journalist all das stemmt. Es imponiert mir, wie konsequent er die Möglichkeiten des Mediums Internet nutzt. Eine „hochwertige, systematische Fernsehfilmkritik-Datenbank“ soll tittelbach.tv werden, und Rainer Tittelbach hofft natürlich, dass sich damit einmal auch Geld verdienen lässt. Vom Print-Journalismus verspricht er sich nicht mehr viel.

Ich wünsche ihm, dass tittelbach.tv sein Publikum findet. Nur über die fünfeinhalb Sterne für die ZDF-Klimakterium-Klamotte „Klimawechsel“ müssten wir vielleicht nochmal reden.

Langsam brauche ich ein Meta-Maß

Vorsicht Hyperselbstreferentialität. In diesem Eintrag schreibe ich darüber, was „Welt Online“ darüber schreibt, was ich darüber geschrieben habe, was „Welt Online“ über das RTL-Dschungelcamp schreibt. Wenn Sie jetzt schon Kopfschmerzen haben, lesen Sie bitte nicht weiter.
 

Jedenfalls steht auf „Welt Online“, dass die RTL-Show „Ich bin ein Star — holt mich hier raus“ „auf verschiedenen Ebenen den Zustand von Fernsehen und Gesellschaft“ zeigt. Der Artikel nennt zehn Stichpunkte, „was man deshalb wissen sollte“. Einer davon heißt „MEDIENKRITIK“:

Der Blogger und Medienjournalist Stefan Niggemeier wirft vielen Medien Heuchelei vor. Was er meint? „Die Doppelmoral, sich über die Ekligkeit der Show zu empören und gleichzeitig möglichst stark von ihr profitieren zu wollen“. Für viel Geld produziere der Privatsender RTL eine Show und alle betreiben „Zweitverwertung“, schrieb Niggemeier in seinem Blog. Genervt ist er von der „Inflation der Fernsehsendungsnacherzählung“ und sogenannten Besinnungsaufsätzen, die scheinbar humorvoll Distanz suggerieren.

Die Information, wen ich damit konkret gemeint habe, wollte „Welt Online“ seinen Lesern wohl nicht zumuten.

Nachtrag/Korrektur, 16:15 Uhr. Der „Welt Online“-Artikel ist eine dpa-Meldung. Das macht, zugegeben, meine Pointe ein bisschen kaputt.

Dieter Nuhr

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Vielleicht funktioniert Dieter Nuhr auf RTL so gut, weil die Zuschauer ihn für ein neues Modell von Oliver Geißen halten, in dem der Kumpel-Simulator gegen einen dezenten Intelligenz-Ausstrahler ausgetauscht wurde. Er hat eine ähnliche Art, unterwältigt zu wirken von dem, was er da macht. Das wäre ein angenehmer Kontrast zu den Schreylhälsen, die das Medium sonst dominieren, würde nicht dieser leere Blick, diese monotone Stimme, dieses ganze körperliche Beiläufigkeit regelmäßig einen Ausschaltreflex bei mir auslösen, in der Fernbedienung, manchmal im Gehirn.

Dieter Nuhr hat es geschafft, die Welten des Kabaretts und des Klamauks miteinander zu versöhnen: Er wirkt — wenn man es schafft, die Augen offen zu halten — wie ein Komiker, nur klüger, oder ein Kabarettist, nur lustiger. In dieser Woche hatte er passenderweise zwei Premieren: Auf RTL moderiert er die Show „Typisch Frau – typisch Mann“, die tatsächlich noch egaler ist als ihm. (Eigentlich müsste man klagen, wie schlimm sie zusammengeschnitten war, andererseits möchte man sich die nicht-zusammengeschnittene Version nicht vorstellen.)

Und im Ersten ist er der neue Gastgeber im doppelt irreführend benannten „Satire Gipfel“, einer Sendung, in der Matze Knop auftritt und grundlos erzählt, dass bei der Nationalmannschaft Kondome fehlen, weil Philip Lahm sie als Schlafsack benutzt. Nuhr versuchte immerhin, zwischen viel routinierter Langeweile, einen interessanten Spagat: Er machte sich über die Reflexe des klassischen Kabaretts und seines Publikums lustig. „Kunstjammern“ nannte er das und sagte, nicht offenkundig ironisch: „Wir haben die positive Weltsicht den Geisteskranken und volkstümlichen Musikanten überlassen.“

Nuhr hatte eine Botschaft, aber eine andere, als das Studiopublikum hören wollte. „Natürlich gibt es immer Alternativen“, sagte er. „Rette ich die Banken? Oder sollte man von dem Geld nicht lieber Kindergärten bauen?“ Demonstrativer Endlich-sagt’s-mal-einer-Applaus. Nuhrs Argumentation ging aber weiter: „Das Problem ist: Ohne Euro gäb’s auch keine Kindergärten mehr.“ Die Bankenrettung sei tatsächlich „alternativlos“ gewesen. „Aber man kann doch trotzdem darüber empört sein!“ Beim rituellen Beschimpfen der Politiker gehe es nur darum, sich gut zu fühlen.

Das wäre fast entlarvend gewesen. Wenn es jemand bemerkt hätte.

Wider die sprachliche Kleingärtnerei!

Es lässt sich viel gegen den Verein Deutsche Sprache und seine Aktivitäten sagen, und zum Glück tut der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch das in seinem Sprachlog regelmäßig. In den Mitteilungen des Vereins, dessen Mitglieder er liebevoll „Dortmunder Sprachnarren“ oder „sprachliche Kleingärtner“ nennt, findet er statt Sprachpflege immer nur „Sprachnörgeleien, die in ihrer humorbefreiten Blödhaftigkeit zum Verzweifeln sind“. Das Niveau der Diskussionsbeiträge des VDS wird ganz gut durch die ältere Äußerung ihres Vorsitzenden Walter Krämer markiert, Deutsch verkomme zur „Schimpansensprache“.

Ende vergangenen Jahres fand der Verein einen passenden Medienpartner für seine langjährige Forderung, die deutsche Sprache ins Grundgesetz aufzunehmen: die „Bild“-Zeitung. Die machte daraus eine irre Petition, die groben Unfug mit billigen Ressentiments verband, etwa:

Ich will keine Politiker, die sich in Parteiprogrammen für mehr „street worker“, für „gender mainstreaming“ oder „social networks“ einsetzen.

UND: Ich will keine Zuwandererfamilien, die sich bis in die dritte Generation weigern, die Sprache des Landes korrekt zu lernen, in dem sie leben!

Es fanden sich anscheinend 46.000 Menschen, die das unterschrieben; bei einer Online-Petition kamen noch ein paar Tausend hinzu.

Anatol Stefanowitsch nimmt das zum Anlass, eine Gegenaktion zu starten. Er argumentiert:

  • Es besteht keine Notwendigkeit einer Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz. Das Deutsche ist im Bund und in allen Bundesländern Amtssprache und es ist unzweifelhaft die Hauptsprache des öffentlichen Lebens.
  • Da keine Notwendigkeit zu einer Aufnahme ins Grundgesetz besteht, wäre eine solche ein rein symbolischer Akt, dessen Symbolgehalt nur die Ausgrenzung von sprachlicher und kultureller Vielfalt sein kann.
  • Eine Aufnahme in das Grundgesetz könnte unvorhersehbare sprachpolitische Konsequenzen nach sich ziehen; es ist anzunehmen, dass die Sprachpuristen auf dieser Grundlage eine Verfassungsklage nach der anderen einreichen würden — gegen Englisch in Werbung, Bildung, Wissenschaft, Wirtschaft, gegen Migrantensprachen auf Schulhöfen, vielleicht sogar gegen Minderheitensprachen wie das Friesische und Sorbische.

Er lädt „alle Menschen, denen kulturelle und sprachliche Vielfalt am Herzen liegt und die der deutschen Sprache zutrauen, ihr Ausdrucksstärke und Schönheit auch im Miteinander mit anderen Sprachen weiterhin ohne grundgesetzliche Hilfe zu entfalten,“ dazu ein, diese Petition zu zeichnen.

Ich schließe mich dem gerne an.

Nachtrag, 27. Januar. Stefanowitsch antwortet auf Kritik an seiner Initiative: Warum die Petition „Keine Aufnahme der deutschen Spache ins Grundgesetz“ sinnvoll ist“

Medienaufsicht gesucht

Ein Zuschauer hat sich formell über eine Folge der RTL-Show „Schwiegertochter gesucht“ beschwert. Er findet, dass die partnersuchenden Kandidaten in einer Art als Volltrottel präsentiert würden, die nicht mehr akzeptabel sei.

Der Anwalt Udo Vetter dokumentiert in seinem Blog Auszüge der Antwort, die der Zuschauer von der Programmreferentin der zuständigen Niedersächsischen Landesmedienanstalt bekommen hat und die ihn fragen lässt, wie ernst die NLM ihren Job nimmt. (Udo Vetter hat offensichtlich nicht so viel mit Landesmedienanstalten zu tun, sonst würde er sich das längst nicht mehr fragen.)

Die NLM teilte dem Zuschauer mit, sie habe „die Sendung und die von Ihnen angesprochenen Szenen gesichtet und vorab bewertet“ und keinen „Anfangsverdacht für einen Verstoß gegen die Bestimmungen des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien“ feststellen können.

Drei Monate ließ sich die NLM Zeit mit dieser Antwort. Udo Vetter vermutet, dass das womöglich daran lag, dass sie „erkennbar an originellen Formulierungen feilte“. Das kann man ausschließen.

Die originellen Formulierungen stammen aus einem „Welt Online“-Artikel.

 

NLM, 14.12.2010 „Welt Online“, 8.10.2010
Die Sendung „Schwiegertochter gesucht“ steht für Partnervermittlung à la RTL. Partnervermittlung, à la RTL.
Moderatorin Vera Int-Veen versucht hier für allein stehende Männer das große Liebesglück zu finden. Und deren Mütter wünschen sich nicht nur einen glücklich verliebten Sohn, sondern auch, dass dieser endlich zu Hause auszieht. Vera-Int Veen versucht für alleinstehende Männer das große Liebesglück zu finden. Und die Mütter der Jungs wünschen sich nicht nur einen glücklich verliebten Sohn, sondern auch, dass dieser endlich zu Hause auszieht.
Nach drei Staffeln jedoch, so scheint es, ist das Reservoir an vorzeigefähigen Junggesellen, die noch zu Hause wohnen, nahezu erschöpft. Nach drei Staffeln jedoch, so scheint es, ist das Reservoir an vorzeigefähigen Junggesellen, die noch zu Hause bei Mutti wohnen, nahezu erschöpft.
Die auch als die „Mutter Theresa“ apostrophierte Int-Veen muss also in der aktuellen Staffel arg benachteiligte männliche „Restposten“ an die Frau bringen. Die Mutter Teresa unter den privaten TV-Sendern hilft sogar schwer verbeulten Töpfen bei der Suche nach einem passenden Deckel. (…) Das fragen sich besorgte Zuschauer, seit RTL im September wieder neue Restposten auf den Markt gebracht hat, um im Jargon der Branche zu bleiben.
Zum Angebot gehört dabei unter anderem auch der von Ihnen angesprochene schüchterne „Kratzbild-Fan“ Peer, dessen unfreiwillig komische Kuppelmanöver ein Millionenpublikum verfolgte. Am vergangenen Sonntag verfolgten insgesamt 4,84 Millionen Zuschauer die unfreiwillig komischen Kuppelmanöver
In medienrechtlicher Hinsicht ist dabei zu beachten, dass in der Sendung zwar eine gewisse Zurschaustellung von Menschen mit körperlichem und seelischem Handicap nicht von der Hand zu weisen ist, dass aber auf Grund der Dramaturgie und Inszenierung der Sendung keine Lächerlichmachung bzw. Diffamierung der Protagonisten mit denunziatorischer Absicht erkennbar ist. Um seinen überdurchschnittlichen Marktanteil von 20,9 Prozent zu halten, ist dem Sender offenbar beinahe jedes Mittel recht — sogar die Zurschaustellung von Menschen mit körperlichem und seelischem Handicap.
Dass die gezeigten männlichen Kandidaten vielleicht etwas beschränkt oder schüchtern wirken heißt ja nicht, dass sie geistig behindert sind. Sie sind auch nicht etwa entmündigt, sondern es ist davon auszugehen, dass sie sehr genau wissen, was sie tun und dass sie die Show als große (und vielleicht einzige) Chance auf eine Beziehung sehen. RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer kann die Empörung nicht nachvollziehen. In einer schriftlichen Antwort auf eine Anfrage von WELT ONLINE heißt es: „Alle Kandidaten wissen sehr genau, was sie da tun und sehen die Show als große Chance auf eine Beziehung.“

Dass diese Männer vielleicht etwas unbeholfen oder schüchtern seien, heiße nicht, dass sie geistig behindert seien.

Das letzte Beispiel ist besonders bemerkenswert, weil die NLM sich hier Argumentation und Formulierung des Senders zu eigen macht, den sie (theoretisch) beaufsichtigt.

Nun wäre es ungerecht, der NLM-Programmreferentin vorzuwerfen, sie habe ihre ganze Antwort bei „Welt Online“ abgeschrieben. Manche Formulierungen scheint sie auch woanders abgeschrieben zu haben:

 

NLM, 14.12.2010 tv blog, 30.3.2010
Es sind Kandidaten mit vielerlei Marotten, die man sich wohl angewöhnt, wenn man es mit „Mutti“ über die übliche Halbwertzeit eines solchen Arrangements hinaus ausgehalten hat. „Schwiegertochter gesucht“ wird auch in der neuen Staffel wieder etliche Junggesellen präsentieren, die es bislang noch der Bequemlichkeit halber in der mütterlichen Wohngemeinschaft weit über die übliche Halbwertzeit eines solchen Arrangements ausgehalten haben. Dazu werden Kandidatinnen für die Jungs gesucht, die sich mit den alteingesessenen Marotten und oftmals überprotektiven Müttern konfrontiert sehen.

Die zuständige Programmreferentin hat Udo Vetter die Veröffentlichung ihrer Antwort untersagt. Ich kann das gut verstehen.

[via Kommentar bei Udo Vetter]

Im Dschungel des Leistungsschutzrechtes

Die Logik klingt spontan einleuchtend: Man darf nicht sich einfach an fremden Inhalten bedienen, um daraus ein eigenes Geschäft machen.

Das ist ein Argument der Verlage im Kampf für ein Leistungsschutzrecht, und es ist ein besonders wichtiges, weil es in der komplexen Materie ungewöhnlich anschaulich und überzeugend ist. Es richtet sich vor allem gegen Suchmaschinenbetreiber wie Google und liest sich zum Beispiel in den Worten von Hubert Burda, dem Präsidenten des Verbandes der Zeitschriftenverleger, so:

Suchmaschinen, aber auch Provider und andere Anbieter profitieren überproportional von unseren teuer erstellten Inhalten. Doch wer die Leistung anderer kommerziell nutzt, muss dafür bezahlen. Dieses ökonomische Grundprinzip muss auch im digitalen Zeitalter mit seiner „Link-Ökonomie“ gelten. Sonst sehen wir der schleichenden Enteignung der Inhalte-Produzenten tatenlos zu.

Es gibt vermutlich kaum eine Branche, in der so systematisch gegen dieses vermeintliche „ökonomische Grundprinzip“ verstoßen wird, wie die Medienbranche. Zeitungen und Zeitschriften leben zu einem erheblichen Teil davon, die Leistungen anderer kommerziell zu nutzen. Allein das Feuilleton! Es lebt davon, über Filme zu schreiben, die jemand anders gedreht hat, über Bücher, die jemand anders verfasst hat, über Gerichte, die jemand anders gekocht hat.

Nun kann man natürlich erwidern: Journalismus ist eine Dienstleistung für den Leser, ihn zum Beispiel über die gerade anlaufenden Kinofilme und ihre Qualität zu informieren — und letztlich profitieren doch die Filmproduzenten davon! Aber auch Suchmaschinen erbringen eine Dienstleistung für ihre Nutzer, und auch von ihr profitieren letztlich die Inhalteproduzenten, die dadurch ein größeres Publikum finden.

Man könnte auch erwidern: Journalismus schafft auf der Grundlage dessen, was jemand anders gemacht hat, etwas Neues. Aber auch das gilt für Suchmaschinen, nur dass der Schöpfungsprozess technologisch ist und nicht kreativ.

„‚Dein Inhalt, mein Geschäftsmodell‘ — diese Devise ist nicht akzeptabel“, formuliert der FDP-Bundestagsabgeordnete Stephan Thomae. Das ist auch so ein Satz, den man spontan unterschreiben möchte, obwohl er womöglich gar nicht stimmt. Jedenfalls gilt er offenkundig nicht für die ehrwürdigen Verlage, die der Satz argumentativ unterstützen soll.

Das wird in diesen Tagen ganz besonders deutlich anhand der Inhalte, die der Privatsender RTL für viel Geld im australischen Dschungel produziert. Aus diesem fremden Inhalt und dem gewaltigen öffentlichen Interesse daran versuchen die Online-Angebote der Zeitschriften und Zeitungen möglichst viel eigenen Profit zu schlagen. Um Journalismus, selbst im weitesten Sinne, handelt es sich dabei nicht zwingend. Der Begriff „Zweitverwertung“ trifft es besser.

Nehmen wir das Online-Angebot der „Welt“. Es bietet seinen Lesern ein eigenes „Dschungelcamp-Special“. Der Inhalt jeder Folge wird darin mindestens viermal nacherzählt:

  • unmittelbar nach der Ausstrahlung nachrichtlich, also: auf der Grundlage einer RTL-Pressemitteilung
  • am nächsten Morgen als Besinnungsaufsatz unter ungelenkem Einsatz verschiedener Stilelemente, die Humor, Intelligenz und Distanz zum Berichtgegenstand suggerieren sollen
  • in Form einer vielteiligen Bildergalerie
  • und schließlich in einem Video unter dem Label „Welt TV“, das das Fotomaterial noch einmal als Diashow aufbereitet, mit Offkommentar einer Sprecherin („Doch es gibt auch Grund zum Ärger im Dschungelcamp: Immer wieder ist das Klopapier alle“)

In einer umfangreichen Klickstrecke werden die „besten Sprüche der ‚Dschungelcamp‘-Moderatoren“ aufgelistet.

Für jeden der elf Teilnehmer der „RTL-Ekelshow“ hat „Welt Online“ einen eigenen Artikel angelegt, in den meisten Fällen ergänzt um eine eigene Bildergalerie, teilweise auch in Form von zu einem Film montierten Standbildern und im Fall von Indira Weis natürlich einer zusätzlichen eigenen, extra großen Klickstrecke mit Fotos aus dem „Playboy“.

Darüber, wie das „Dschungelcamp“ „funktioniert“, informiert einer Klickstrecke in 13 Teilen, auf die die Journalisten von „Welt Online“ eine entsprechende RTL-Pressemitteilung im Wortlaut verteilt haben. Zudem sollen die Leser abstimmen, wer die besten Chancen hat, das „Dschungelcamp 2011“ zu gewinnen.

All das ist durchsetzt mit Werbung, und jetzt wüsste ich gerne, was das anderes ist als die kommerzielle Nutzung der Leistung anderer.

(Hinzu kommt noch die Doppelmoral, sicher über die Ekligkeit der Show zu empören und gleichzeitig möglichst stark von ihr profitieren zu wollen. Überhaupt vermisse ich in den rituellen Aufzählungen, was das Internet der Menschheit Schlechtes gebracht hat, regelmäßig die Erfindung und Inflation der Fernsehsendungsnacherzählung: Nach jeder „Anne Will“-Sendung, nach jeder „Deutschland sucht den Superstar“-Folge setzt sich ein Heer von traurigen Schreibern hin, um minutiös, ausufernd und einfallslos für Medien wie „Welt Online“ aufzuschreiben, was geschehen ist, unabhängig davon, ob etwas geschehen ist, aber ich schweife ab.)

Medien nutzen ununterbrochen die Leistung anderer zu eigenen kommerziellen Zwecken, und im Fall von „Ich bin ein Star — holt mich hier raus“ in besonders schamloser Weise und mit besonders wenig eigener Leistung. Ich bin Gegner eines Leistungsschutzrechtes, wie es die Verlage fordern, um ihre fehlenden Online-Werbeerlöse auszugleichen. Aber wenn es eines gäbe, wenn wir die kommerzielle Nutzung der Leistung anderer kostenpflichtig machten — sollten die Verlage dann nicht auch selbst für das bezahlen müssen, wofür sie von anderen bezahlt werden wollen? Wäre dann nicht vielleicht für jede Fernsehkritik, aber ganz sicher für jedes Dschungelshow-Special eine Lizenzabgabe an RTL fällig?

Würden wir das wollen?

Das „ökonomische Grundprinzip“, von dem Hubert Burda spricht, dass bezahlen muss, wer die Leistung anderer kommerziell nutzt: Es klingt so plausibel, aber es ist nur eine weitere Erfindung, um mit Gewalt eine Sonderabgabe zur Subvention der Verlage zu legitimieren.

Der Tom-Kummer-Kasten der HNA

Weil der Bürgermeister von Hofgeismar nicht bereit war, ihre Fragen zum gescheiterten Projekt eines gigantischen Ferienresorts zu beantworten, hatten die Redakteure der „Hessischen/Niedersächsichen Allgemeinen“ (HNA) eine richtig schlechte Idee: Sie dachten sich seine Antworten einfach aus.

Sie schrieben:

Alle Bemühungen [um ein Gespräch] waren wieder einmal erfolglos. Daraufhin hat sich die Redaktion die Mühe gemacht, die an Sattler gerichteten Fragen selbst zu beantworten.

Wir legten bekannte Tatsachen zugrunde und nutzten frühere Aussagen Sattlers. Manche Antworten in unserem fiktiven Interview ergeben sich indes aus einem logischen Sinnzusammenhang.

Schon die erste Antwort lässt erahnen, wieviel Spaß sie an der Retourkutsche hatten:

Herr Sattler, warum haben Sie in der Stadtverordnetensitzung am 17. Dezember, als Sie das Aus für das Beberbeck-Projekt erklärten, fluchtartig den Saal verlassen?

Sattler: Das war keine Flucht. Ich konnte mich nur in dieser für mich hoch emotionalen Situation nicht auch noch den lästigen und penetranten Fragen der Opposition aussetzen.

Nicht alle waren amüsiert. Und am nächsten Tag entschuldigte sich der Chefredakteur:

Der Artikel hätte so nie erscheinen dürfen. (…)

Eine Dokumentation von Antworten, die nie gegeben wurden, ist nicht nur unlogisch, sondern schlechtes journalistisches Handwerk. Wir entschuldigen uns in aller Form für diese Fehlleistung.

Beides — das fiktive Interview und die klare Entschuldigung — ist bemerkenswert. Aber fast am erstaunlichsten ist, wie souverän die Zeitung in ihrem Online-Auftritt mit dem Thema umging. Anstatt das ausgedachte Gespräch einfach kommentarlos zu löschen, wie es schätzungsweise 207 Prozent aller deutschen Online-Medien getan hätten, verlinkte sie an dieser Stelle auf die Entschuldigung des Chefredakteurs und behielt die Kommentare der ursprünglichen, sehr kontroversen Leserdiskussion. Das fiktive Interview verschwand nicht ganz, sondern blieb als PDF online, was die Distanzierung von dem Text deutlich machte, aber gleichzeitig jedem die Möglichkeit gab, sich ein eigenes Bild über den journalistischen Fehltritt zu machen.

Ich habe keinen Schimmer, wie gut oder schlecht die Berichterstattung der HNA in Hofgeismar ist (einem Ort, von dem ich gerade zum ersten Mal gehört habe). Aber dieser Umgang mit erkannter eigener Beklopptheit ist vorbildlich.

[mit Dank an Silke L.!]