„Gut, jetzt können Sie sagen, es ist Winter, das ist halt so“: Das Schneechaos der ARD

Wenn es schneit in Deutschland, schaltet die ARD in den Katastrophenmodus: Kurzfristig wird das reguläre Programm geändert, um in Sondersendungen unter Einsatz der geballten föderalen Infrastruktur des Senderverbundes und in erschütternden Live-Schaltungen ein umfassendes Bild davon zu zeichnen, wie das Leben im Lande zum Erliegen kommt. Das Erliegen des Lebens im Lande ist dafür keine Voraussetzung, wie die folgende FAZ.net-Fernsehblog-Collage aus einem „ARD-Brennpunkt“, einem „NDR aktuell extra“ und einem „WDR extra“ vom vergangenen Donnerstag und Freitag zeigt:

Flausch am Sonntag (32)



Ich bin ein paar Tage weg und mache die Kommentare solange zu. Bambam hält hier die Stellung.

(Ja, ich weiß, dass heute erst Samstag ist. Aber morgen ja nicht mehr.)

Yvonne Willicks

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Sie ist die Frau, die gerufen wird, wenn Super-Nanny und Peter Zwegat nicht mehr weiter wissen. Wenn es nicht damit getan ist, den Ruin abzuwenden, die Ehe zu retten oder die Kinder von der Straße zu holen, sondern es darum geht, den Ruin abzuwenden, die Ehe zu retten, die Kinder von der Straße zu holen und endlich mal ein Ordnungssystem in den Küchenschrank zu bringen. Wenn sie zu einem Notfall eilt, lässt sie sich zuerst das Innere des Kühlschranks zeigen. Sie ist „Deutschlands bekannteste Hauswirtschaftsmeisterin“.

Es ist nicht ganz leicht, Yvonne Willicks und ihre Sendung „Der große Haushaltscheck“ im WDR-Fernsehen (montags, 20.15) von einer Parodie zu unterscheiden. Im Vorspann läuft sie mit in Zeitlupe wippenden Haaren energischen Schrittes auf die Kamera zu und wirkt dabei so natürlich wie Betongras. Ihre Stärke ist, dass sie weiß, dass Kartoffelbrei nur mit einer Kartoffelpresse so richtig fluffig wird, was sie gleich mal den beiden verzweifelten jungen Leuten zeigt, die Schulden haben und ein krankes Kind und dachten, man könne einfach einen Kartoffelstampfer nehmen.

Nicht so ihre Stärke ist die Simulation menschlicher Wärme. Wenn die Mutter beim Gespräch über die Krankheit ihrer Tochter in Tränen ausbricht, sagt Willicks überrascht: „Och, ist das so belastend, jetzt gerade?“ Wenn sie meint, dass sie kritisch gucken müsste, sagt sie: „Ich guck jetzt mal so’n bisschen kritisch.“ Mit Kindern kann sie nicht so, aber mit Beschriftungszetteln.

Mit einem jungen Paar, das sich gefährlich ungesund ernährt, besucht sie ein Bergwerk und zeigt ihnen tief im Stollen dort zwei Poster von sich als aufgequollene, kranke Alte. „Genau so brauche ich die“, kommentiert sie das Entsetzen. (In die Grube mussten sie fahren, damit der Sprecher zu den Bildern sagen konnte: „Sie sehen kein Licht mehr am Ende des Tunnels.“) Ein älteres Paar setzt die Hauswirtschafts- und Selbstüberschätzungsmeisterin in ein Ruderboot. Der dramatische Effekt, wenn die Ehefrau klagt: „Ich wünsche mir, dass du ernst nimmst, wenn ich Sorgen und Kummer hab“, verliert allerdings ein bisschen dadurch, dass das rostige Ruder dabei fortwährend ironisch quietscht. Willicks fährt schließlich selbst im Tretboot zu ihnen raus und erklärt, dass sie zusammen rudern sollen.

Am Ende kommt es trotzdem zur Trennung, aber nur von Lebensmitteln und Putzutensilien im Keller.

Domino Day im ZDF

Soeben erreicht mich folgende ZDF-Pressemitteilung:

„WISO“-Test Dominosteine: Discounter auf den vorderen Plätzen

Die „Aachener DOMINOS“ von „Lambertz“ haben bei einer Verkostung des ZDF-Wirtschaftsmagazins „WISO“ mit 12,3 Punkten am besten abgeschnitten. (…)

In der Jury saßen Ministerpräsident Kurt Beck, Hermann Bühlbecker, Inhaber von „Lambertz“, und „heute-journal“-Moderatorin Gundula Gause. (…)

Wir über uns

Im August habe ich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ darüber geschrieben, wie Journalisten nach der Love-Parade-Katastrophe in Duisburg plötzlich alle wussten, dass man das doch vorher hätte wissen müssen, dass das nicht gut gehen konnte. Eine größere Nebenrolle in dem Artikel spielte Götz Middeldorf, der Duisburger Lokalchef der „Neuen Ruhr Zeitung“ (NRZ):

Die „International Herald Tribune“ zitierte ihn mit den Worten: „Wir waren die einzige Zeitung, die gesagt hat: Nein. Stoppt das. Die Stadt ist nicht vorbereitet. Wir können nicht mit diesen ganzen Leuten fertigwerden.“

Fragt man Middeldorf nach dem entsprechenden Artikel, faxt er einem tatsächlich einen Kommentar vom 3. Dezember 2009 mit der Überschrift: „Stoppt die Loveparade!“ In dem geht es aber mit keinem Wort um die Frage, ob die Stadt für so viele Besucher gerüstet ist. Es geht ausschließlich ums Geld. „Es ist grotesk, ja geradezu pervers“, empörte sich Middeldorf damals, „den Duisburgern über Jahre millionenschwere Kürzungen im Bildungs- und Kulturbereich zuzumuten und zumeist ortsfremden, feierwütigen Jugendlichen einen Tag zum Abfeiern zu bieten.“

Auf Nachfrage räumt Middeldorf ein, dass Sicherheitsbedenken nicht das Thema waren. „Wir waren immer gegen die Loveparade, aber aus anderen Gründen.“ Dann muss die „International Herald Tribune“ ihn mit seinem Lob für die eigene, einzigartige Weitsichtigkeit wohl falsch verstanden haben? „Das vermute ich mal“, antwortet Middeldorf. „Das ist nicht ganz richtig.“ Er klingt nicht zerknirscht.

Insoweit diese Zeilen als Kritik an der Berichterstattung der Zeitung und dem peinlichen und irreführenden Selbstlob ihres Duisburger Lokalchefs verstanden werden konnten, muss ich das revidieren. In Wahrheit hat Middeldorf besondere journalistische und redaktionelle Leistungen erbracht, schon vor der Love Parade kritische Fragen gestellt und danach die Meinungsführerschaft bei der Berichterstattung erobert.

Das wird dem NRZ-Mann von einer Institution attestiert, die es wissen muss: der NRZ. Wie die NRZ vergangene Woche berichtete, überreichte NRZ-Herausgeber Heinrich Meyer dem NRZ-Lokalchef den nach dem NRZ-Gründer benannten Dietrich-Oppenberg-Preis, der von der NRZ verliehen wird.

Anders als bzw. genau wie bei der Love-Parade-Katastrophe hätte man das vermutlich kommen sehen können.

Exklusiv: „Jan Hofer“ ersetzt „Tagesschau“! Das neue Programmschema des Ersten

Die Intendanten der ARD haben heute eine weitreichende Programmreform beschlossen. Wie der Senderverbund bekannt gab, gibt es vom kommenden Jahr an fast täglich eine Talkshow im Ersten. Neuzugang Günther Jauch kommt am Sonntag, dafür wechselt Anne Will vom Sonntag auf den Donnerstag, Frank Plasberg vom Mittwoch auf den Montag, Reinhold Beckmann vom Montag auf den Donnerstag, „Report“ und „Fakt“ vom Montag auf den Dienstag, „Plusminus“ vom Dienstag auf den Mittwoch. Sandra Maischberger bleibt am Dienstag, und der einzig prominente semipolitische Dokumentationsplatz im Ersten am Montagabend entfällt.

Nach Informationen, die diesem Blog exklusiv vorliegen, ist das jedoch nur der Anfang. Eingeweihte bestätigen, dass die Intendanten beschlossen haben, keine halben Sachen zu machen und auf talkfreie Fremdkörper im Programm zukünftig ganz zu verzichten. Der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust wird mit den Worten zitiert: „In einer Zeit, in der Talkshows bei der kommerziellen Konkurrenz kaum mehr eine Rolle spielen, nicht einmal mehr im Tagesprogramm, setzt die ARD mit der Vereinheitlichung ihres Angebots, mit fast fünfhundert excellenten Talks und festen Sendeplätzen für Gesprächsrunden, Talkshows und Redeformaten ein klares Signal für den Mehrwert öffentlich-rechtlichen Fernsehens.“ Volker Herres, der Programmdirektor des Ersten, sagte offenbar, angesichts der Programmkosten, der Zuschauerakzeptanz und der geradezu sensationellen Optimierung des Audience Flows wäre es geradezu „töricht“, den Sender nicht komplett auf Talkshows umzustellen.

Und so sieht das bislang noch geheime Ergebnis der Programmreform aus:

DuMont: Kommunizieren wie Nordkorea

Jetzt sind sie wirklich verrückt geworden bei M. Dumont Schauberg (MDS), und ich meine damit nicht den Verlegersohn.

Seit Wochen demonstriert das Unternehmen, dass es ein Kommunikationsproblem hat, das viel größer ist als der merkwürdige Mitteilungsdrang von Konstantin Neven DuMont. Im Verlag glaubt man, selbst bestimmen zu können, wie viel in anderen Medien über den Machtkampf, der im Haus tobt, berichtet wird. Zunächst versuchte man es mit Totstellen und Schweigen, dann mit einer politbürohaften Verlautbarung. Weil sich beides als untauglich erwies, die Berichterstattung zu stoppen oder wenigstens im eigenen Sinne zu beeinflussen (was außerhalb des Verlages niemanden überrascht haben wird), greift das Haus nun zum nächsten klassischen Mittel und geht zum propagandistischen Gegenangriff über.

Es ist ein groteskes Zerrbild, das Chefredakteur Peter Pauls am vergangenen Samstag in seinem Kommentar im „Kölner Stadt-Anzeiger“ zeichnet. Einerseits spielt er die spektakuläre Auseinandersetzung zwischen Konstantin Neven DuMont und seinem Vater zu einem „internen Vorgang“ herunter. „Solche Umstände“, wie Pauls sie mit erkennbarem Willen zur Verschleierung nennt, gebe es „täglich in Wirtschaftsbetrieben“. Es handele sich um eine „interne Personalie“. Andererseits tut er so, als würde ausschließlich die Axel-Springer-AG über die Vorgänge im Haus berichten, und vergleicht deren aktuelle Berichterstattung über die Vorgänge im Unternehmen allen Ernstes mit der Hetze von „Bild“ auf die Studenten Ende der sechziger Jahre. „Ununterbrochen und in kampagnenhaft anmutender Weise“ berichte das Blatt und blase die Sache zur „Staatsaffäre“ auf.

Als Motivation für den „Angriff auf Köln“ vermutet Pauls, dass Springer die Konkurrenz ausschalten will. Zu DuMont gehören inzwischen auch die „Bild“-Konkurrenzblätter „Berliner Kurier“ und „Hamburger Morgenpost“; „solcher Wettbewerb“ sei Springer wohl „ein Dorn im Auge“. Dass Springer böse über DuMont Schauberg berichtet, erscheint besonders schäbig angesichts der paradieshaften Zustände, die in dem Kölner Unternehmen zu herrschen scheinen. Es stehe „im Wettbewerb glänzend da“, habe „auch in der jüngeren Vergangenheit mehrfach positiv von sich reden gemacht“, und eine iPad-Anwendung für den „Stadt-Anzeiger“ herausgebracht, die „von Beginn an erfolgreich“ sei, schreibt Pauls, und wer weiß, vielleicht kommt ja dank seines aufopferungsvollsten Einsatzes bald die Bernd-Stromberg-Ehrenmedaille für die peinlichste Selbstglorifizierung eines Mediums hinzu.

Er müsste sich dazu natürlich erst gegen Berndt Thiel durchsetzen, der in einer konzertierten Aktion (lustigerweise exakt das, was Pauls Springer vorwirft) am selben Tag im „Express“ einen Kommentar mit teils wortgleichen Formulierungen veröffentlicht hat. Sein Artikel beginnt mit den Worten: „Ein Vater, ein Sohn, ein Unternehmen, unterschiedliche Ansichten — ein Stoff für Schlagzeilen? Ein Stoff für Häme?“ Das fragt der stellvertretende Chefredakteur eines Blattes, das dieselben Fragen bei ungleich nichtigeren Anlässen entschieden mit „Ja“ beantwortet. Man muss ihn fast bewundern dafür, dass er sich diese Fassungslosigkeit abringen konnte.

Thiel zitiert aus einem Brief, den DuMont-Vorstand Franz Sommerfeld an den Springer-Vorstand Mathias Döpfner geschrieben habe:

Die „Bild“-Zeitung badet sich in den Schwierigkeiten einer Familie, die sich um die deutsche Zeitungslandschaft und um Deutschland verdient gemacht hat … Man kann in den Umbrüchen der Internetzeit über einen allgemeinen Rückgang ethischer Normen klagen, aber in meinem Verständnis gelten gerade im publizistischen Gewerbe die einfachen Regeln menschlichen Anstandes und journalistischer Wahrhaftigkeit. Sie werden in den Blättern Ihres Hauses zurzeit täglich verletzt.

Ohne Frage — aber doch eher weniger in der Berichterstattung darüber, wer in Zukunft dieses prächtige, ehrenwerte Verlagshaus führt.

Die Wortwahl der DuMont-Leute lässt keinen Zweifel, dass sie sich nicht nur an der konkreten Berichterstattung von „Bild“ stören, sondern es für eine Zumutung halten, es überhaupt hinnehmen zu müssen, dass über ihr Haus berichtet wird. Ihre Empörung ist ein gutes Indiz dafür, wie wenig selbstverständlich Medienjournalismus in Deutschland immer noch ist, und in welchem Maße Journalisten es ablehnen, Gegenstand von Journalismus zu werden.

Es mag schon sein, dass die „Bild“-Zeitung die Situation genießt und ausschlachtet. Aber dass der Stoff dafür überhaupt so reichhaltig vorhanden ist, liegt am Kommunikationsverhalten Konstantin Neven DuMonts, der ununterbrochen mit ihr zu reden scheint, und des Verlages, der durch sein Schweigen und unglaubwürdiges Schönreden die Spekulationen befeuert.

Pauls erinnert an die sechziger und siebziger Jahre, als Köln mit „seinem (sic!) ‚Express‘ für Springer das gewesen ist, was das kleine gallische Dorf für die Römer war“. Tatsächlich ist in Köln heute eher Springer in dieser Rolle: MDS beherrscht in dramatischer Weise die Stadt und ihre Publizistik. Ausgerechnet „Bild“ kommt hier die Rolle zu, gelegentlich fast so etwas wie Gegenöffentlichkeit herzustellen – jedenfalls wenn es, wie hier, um den die Stadt dominierenden Verlag selbst geht.

„Das Haus hat die neuen Herausforderungen der digitalen Welt glänzend gemeistert“, schreibt Berndt Thiel, und der Satz wäre schon unter normalen Umständen eine Anmaßung. Aber zu den „Herausforderungen der digitalen Welt“ gehört auch, dass es schwieriger geworden ist für ein Unternehmen, auch ein Beinah-Monopol-Unternehmen, Dinge totzuschweigen. Jemand wie Konstantin Neven DuMont bräuchte gar nicht mehr die „Bild“-Zeitung, um PR-Formulierungen wie das von seiner „Beurlaubung auf eigenen Wunsch“, als Lügen zur Gesichtswahrung zu entlarven. Er kann sich auf Twitter und Facebook äußern und in Blogs kommentieren. Und auf der anderen Seite ist die Unternehmenskommunikation damit beschäftigt, zu schweigen, an dem festzuhalten, was niemand mehr glaubt, und das nicht mehr zu Leugnende weder zu dementieren noch zu bestätigen. Alfred Neven DuMont ist sogar noch stolz darauf und betont in einem Brief an die Mitarbeiter: „Die Firma hat, wie Ihnen bekannt ist, nicht zuletzt auf meine Initiative hin, auf jede Art von Stellungnahmen oder Kommentaren verzichtet.“

Der Verlag lässt Konstantin Neven DuMont als Herausgeber aus dem Impressum der „Frankfurter Rundschau“ streichen, hofft aber einfach mal, dass das niemandem auffällt. Er verschenkt die Chance, selbst aktiv der Öffentlichkeit mitzuteilen, was da passiert, warum es passiert ist und was da noch passieren wird. Er trägt dazu bei, dass die Geschichte in der Öffentlichkeit als eine Seifenoper in vielen Fortsetzungen wahrgenommen wird. An keiner Stelle kommuniziert er transparent oder auch nur vorausschauend.

Bei MDS hat man offenbar geglaubt, man müsse nur hartnäckig genug so tun, als handele es sich nur um „interne Vorgänge“, die niemanden interessiern, damit sie tatsächlich niemanden interessieren. Man muss sich immer wieder gewaltsam in Erinnerung rufen, dass wir es hier mit Leuten zu tun haben, deren Beruf die Kommunikation ist.

Nun, da die eigene Strategie (wenn man das Chaos einmal euphemistisch so nennen will) gescheitert ist, stilisiert man sich als Opfer einer Kampagne und gibt sich vollends der Lächerlichkeit Preis: „Die Mediengruppe M. DuMont Schauberg ruft auch den Deutschen Presserat – das Kontrollorgan der deutschen Medien – an“, verlautbart Berndt Thiel ausgerechnet im „Express“. Gegen die Formulierung von „Welt“-Autor Michael Stürmer, wenn der Verlegerssohn sich seinen Anteil auszahlen lassen wolle, könnte das „in der gegenwärtigen Lage für das Verlagshaus zu einer ernsten Krise führen, für deren Bewältigung das Geld fehlt“ will MDS sogar juristisch vorgehen. Der Satz ist aus der Online-Version des Artikels gelöscht worden.

Der „Express“ zitiert Alfred Neven DuMont mit dem Satz: „Ich bin überzeugt, dass die Kölner wissen, wo die Wahrheit liegt.“ Woher die Kölner die „Wahrheit“ kennen sollen, lässt er offen. Aus seinen Zeitungen haben sie sie nicht.

Elmar Theveßen

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Der Innenminister sagt, es bestehe kein Grund zur Hysterie. Das wäre eine beruhigendere Formulierung, wenn man sich vorstellen könnte, wann Hysterie die angemessene Reaktion auf eine Bedrohung sein könnte und unter welchen Voraussetzungen die Bundesregierung der Bevölkerung das mitteilen würde.

Nun ist aber schon die normale Betriebstemperatur des Medienbetriebs höchstens ein Zehntelgrad von Hysterie entfernt, weshalb der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen, der in diesen Tagen wieder seinen „Terrorismusexperten“-Hut aufhat, bei seinen Auftritten nicht nur gegen eine vermutete Panikbereitschaft im Lande ankämpft, sondern auch gegen die konkrete Schnappatmung der ZDF-Moderatoren. Als er Nadine Krüger am Freitag im „Volle Kanne“-Magazin erklärt hatte, dass amerikanische Sicherheitsbeamte bei der Frage nach den Hintergründen einer Bombenattrappe „mit dem Finger nach Deutschland zeigen“, übernahm die: „Und da sind wir mitten im Markt, sozusagen, wo wir hinzeigen, und zwar auf Deutschland. Es heißt ja, Weihnachtsmärkte seien besonders gefährdet.“ Dass Theveßen die 24 Stunden zuvor damit verbracht hatte, ungefähr ununterbrochen darauf hinzuweisen, dass der Vorfall in Namibia (und die Paketbombe im Kanzleramt) wohl nichts mit den aktuellen Terrordrohungen zu tun haben, hatte Frau Krüger irgendwie verpasst. Andererseits, wie soll das der flüchtige Zuschauer auch trennen, wo doch jedesmal der Terrorismusexperte Theveßen zuständig war, der mit seinen Appellen an Ruhe und Besonnenheit ein ganz gutes Indiz ist, wann es Zeit sein könnte, in Panik zu geraten.

Mit der Aura des Experten, der sich rund um die Uhr – wenn er nicht gerade bei „Volle Kanne“ zugeschaltet ist – mit Fachleuten aus aller Welt austauscht, gibt Theveßen auch praktische Alltags-Tipps zur Terror-Bekämpfung. Wenn der Nachbar überstürzt abreist, größere Mengen Chemikalien kauft oder sich Waffen beschafft, sagt Theveßen, dann könnte das ein guter Anlass sein, sich zu überlegen, ob man nicht vielleicht die Polizei benachrichtigen sollte, nur so vorsorglich, manweißjanie. Und wenn wir es alle schafften, schön gelassen zu bleiben, könnte man die Terroristen nach so einer Terror-Warnung auch daran erkennen, dass sie ganz aufgeregt sind.

Früher hätte an Theveßens Stelle Peter Scholl-Latour gestanden. Der neigte zwar auch nicht zur Hysterie. Aber seine Ruhe war die von einem, der die baldige Apokalypse ohnehin für unausweichlich hält.

Schlag den Raab

Irgendwann, spätestens nach dem Grand-Prix-Erfolg in diesem Jahr, ist aus Stefan Raab, dem Schmuddelkind, in den Medien Stefan Raab, der geniale Entertainer geworden. Der Pro-Sieben-Moderator wird mit Lob und Preis überschüttet, und da ist es ein normaler und gesunder journalistischer Reflex, wenn eine Zeitschrift beschließt, gegen den Gleichklang anzuschreiben.

Aus jedem Absatz des Artikels, den der „Focus“ vor drei Wochen veröffentlichte, spricht der Wille, etwas Negatives über Stefan Raab zu schreiben und die Naivität und Dummheit all der Stefan-Raab-Gutfinder zu entlarven. Der Mann ist offenbar gefährlich, denn er verflucht im eigentlichen Sinne des Wortes sein Publikum. Von der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises berichten die „Focus“-Autoren:

„Ihr kommt alle in die Hölle“, sagt Raab in seiner Dankesrede (…).

Wer weiß, wie sehr er im katholischen Glauben erzogen ist und wie tief diese Wurzel seines Lebens bis heute greift, hält diese Bemerkung für allenfalls halb komisch.

Raab sagt den Fernsehschaffenden halbernst voraus, dass ihnen die ewige Verdammnis droht? Das ist tatsächlich, was ja nicht das Schlechteste ist, das man über einen Artikel sagen kann: originell.

Es ist eigentlich ziemlich leicht, Stefan Raab blöd zu finden, aber im „Focus“ liest es sich sehr angestrengt. Sein Lachen nennen die Autoren „jene praktizierte Satire am eigenen Körper“. Die Produktionsfirma Brainpool nennen sie „diese Gehirn-Badeanstalt, in der Stefan Raab als Anteilseigner und Kreativer der ganz große Bademeister ist“. Den Moderator nennen sie immer wieder „Metzgerssohn“ und schöpfen daraus die Pointen wie die, er betreibe „Humor wie eine Fleischerei“ („Grundsatz: Es darf immer noch ein bisschen mehr sein“) und sei „unersättlich“.

Fassungslos schildern sie detailliert, wie sich Lena, die ihm den Fernsehpreis überreichte, dabei vor ihm niedergekniet hat – was offenbar nicht als Scherz oder Geschenk für die Fotografen zu deuten ist, sondern als „vollkommene Demutsgeste“, die vom Publikum dann auch noch durch stehenden Applaus „zur Unterwerfung vollendet“ worden sei.

Der „Focus“ weist auf die Brüche in Raabs Leben und Karriere hin; darauf zum Beispiel, dass er Dieter Bohlen übel nehme, private Fotos von sich an die „Bild“-Zeitung zu schicken, obwohl er selbst doch vor sieben Jahren noch eine Kolumne für das Blatt geschrieben habe. Ja, der Vergleich ist schief, aber das hat er mit ungefähr allen Vergleichen in dieser Geschichte gemein. Es sei bei Raab schwer, „die Grenze zu ziehen zwischen dem Gebrauch und dem Missbrauch des Privaten“, stellen die „Focus“-Leute fest und machen dann folgenden Widerspruch auf:

Einerseits ist er der Mann, der alles riskiert für die Quote. Der sich von der Box-Weltmeisterin Regina Halmich für eine gute Show das Nasenbein einschlagen lässt. (…)

Andererseits ist Stefan Raab der Mann, der Europas Fernsehen verändern wird.

Kann mir jemand erklären, inwieweit das etwas über ein gespaltenes Verhältnis zur Privatheit aussagt oder überhaupt ein Widerspruch ist?

Der „Focus“ stellt fest, dass Details über Raabs Privatleben „privat“ seien und „niemand wissen muss“, um dann in großer Akribie Details über Raabs Privatleben zusammenzutragen. So richtig aufregende Sachen haben die drei Redakteure nicht herausgefunden, aber wie zum Ausgleich dafür dokumentieren sie auch noch das unaufregendste Detail. Wir erfahren, aus das Garagentor am Haus seiner Eltern aus „schwerem Holz“ sei und sich „per Elektromotor und Fernbedienung öffnen“ lasse. Dass der Belag in der Straße, in der er wohne, „extraglatt“ sei. Dass er im Abi-Heft 1986 keine Berufsziele angegeben habe.

Dann doch eine erhellende Enthüllung: Schon als Kind soll sich Raab in der Schule über einen kleingewachsenen Lehrer lustig gemacht haben!

Keine Frage: Es gibt einen großen Widerspruch in der Person Stefan Raabs, sogar in der öffentlichen Person. Er ist heute zu einem Symbol für Qualitätsunterhaltung geworden und sogar für einen menschenwürdigen Umgang mit Kandidaten im Fernsehen, obwohl seine Karriere nicht zuletzt auf der Bloßstellung von Nichtprominenten beruht. Der Widerspruch lässt sich teilweise dadurch erklären, dass Raab sich verändert hat — auch die Beispiele, die der „Focus“ nennt (Lisa Loch, Bimmel-Bingo, die Frau vom Maschendrahtzaun) sind Jahre alt. Doch auch wenn Raabs Grenzen heute vielleicht woanders liegen — Schadenfreude und pubertärer Humor machen immer noch einen großen Anteil seines Schaffens aus.

Doch das war dem „Focus“ in seinem unter dem Chefredakteur Wolfram Weimer neu erweckten Drang, wichtig und anders zu sein, offenbar nicht brisant genug. Und gerade die Tatsache, dass Raab sein Privatleben äußerst konsequent vor den Blicken der Öffentlichkeit schützt, nahmen die Autoren als Ansporn, möglichst tief darin zu wühlen. Und prahlen damit, wie mutig und revolutionär das ist:

Wer über den Mann spricht, der auf dem Bildschirm so konsequent das Bild vollendeter Öffentlichkeit vermittelt, riskiert Strafe.

Die Gefahr ist glaubhaft.

Schon am ersten Tag der FOCUS-Recherche trifft die Drohung ein, Stefan Raab werde von dieser Minute an nie wieder für ein Interview zur Verfügung stehen.

Nun mag es legitim sein, im privaten Umfeld von Raab zu recherchieren. Es ist aber auch für jemanden wie Raab, der sein Privatleben nie in die Öffentlichkeit getragen hat, legitim, aus dieser Recherche die Konsequenz zu ziehen und jede Mitarbeit an dem Werk abzulehnen …

… und hinterher jedes Wort auf die Waage zu legen (machen Sie sich Ihr eigenes „Focus“-artiges Wortspiel hier bitte selbst). Zwanzig Punkte umfasst die Gegendarstellung von Raab, die der „Focus“ heute veröffentlicht. Die Illustrierte drucke sie „sehr gern“, schreibt sie dazu, „mit Blick auf den Informationsgehalt“. Raab hatte offensichtlich Spaß daran, nicht nur gravierende Fehler, sondern auch die kleinsten Details zu korrigieren:

6. Weiter heißt es: „Der Metzgerssohn, der heute noch das Mettbrötchen mit Zwiebeln, Gurkenscheibe dazu, ganz hinten in seiner Stammkneipe schätzt (…).“
Hierzu stelle ich fest, dass ich nie Mettbrötchen mit Gurkenscheiben dazu esse und auch keine Stammkneipe habe. (…)

20. In der Bildunterzeile des Fotos auf S. 166, das ein Mettbrötchen zeigt, heißt es: „Sein Brötchen – in der Kölschkneipe“.
Hierzu stelle ich fest, dass es sich nicht um mein Mettbrötchen handelt.

Der „Focus“ empfiehlt unter anderem diese Punkte seinen Lesern, „die sich ein eigenes Bild [mutmaßlich über den Wahrheitsgehalt der Gegendarstellung] machen möchten“. Wie heuchlerisch.

Natürlich ist es lächerlich, ein solches Quatschdetail zu korrigieren. Aber noch lächerlicher ist es doch, ein solches Quatschdetail überhaupt erst für berichtenswert zu halten. Und am allerlächerlichsten, das erste für lächerlich zu halten und das zweite nicht und sich über den mangelnden „Informationsgehalt“ der Gegendarstellung lustig zu machen.

„Den Wahrheitsgehalt der Gegendarstellung wollen wir nicht kommentieren“, schreibt „Focus“. Schade, denn bei einigen durchaus relevanten Punkten liegt die Illustrierte falsch. Zum Beispiel, wenn sie den Eindruck erweckt, Raab verdiene auch noch an Oliver Pocher und Mario Barth mit – die beide längst bei anderen Unternehmen unter Vertrag sind. Auch von regelmäßigen Strafen, die Pro Sieben laut „Focus“ für Schleichwerbung in Raab-Sendungen zahlen musste, ist nichts bekannt.

„Focus“ hat die Gegendarstellung einfach gedruckt, nachdem das Magazin von Raabs Anwalt dazu aufgefordert wurde — die Redaktion verzichtete auf die übliche juristische Gegenwehr. Natürlich ist es einerseits ganz schön, dass es, wie es aussieht, keine juristische Auseinandersetzung um den Artikel geben wird, bei der dann womöglich auch Fragen zu klären wären wie die, ob Raabs Haus von einer Hecke oder von Bäumen umgeben ist und womöglich der Gärtner als Zeuge geladen würde. Andererseits ist es auch sensationell billig, sich als Medium einfach achselzuckend hinzustellen und zu suggerieren, dass es ja auch nicht darauf ankommt, was nun die Wahrheit ist.