Der Kindergarten als rechtsfreier Raum (2)

„Die GEMA ist unverschämt und bekannt als Musikverhinderer und als Quälgeist der Vereine und Konzertveranstalter. Aber dass jetzt sogar Kindertagesstätten zur Kasse gebeten werden für das Singen von Kinderliedern, ist der Gipfel der Frechheit.“

Julia Klöckner, CDU-Wahlkämpferin in Rheinland-Pfalz

Die Empörungskarawane ist inzwischen weiter gezogen, und auch Frau Klöckner wird trotz ihres verlogenen Statements wohl nicht auf einer Welle des Gema-Volkszorns ins Amt des Rheinland-Pfälzischen Ministerpräsidenten gespült werden. Aber ich möchte noch einmal zurückkommen auf die Briefe, die die Gema im Auftrag der VG Musikedition an mehrere zehntausend Kindergärten und Kindertagesstätten geschrieben hat.

Zahlreiche Medien hatten ja nicht nur — wie Frau Klöckner — den Eindruck erweckt, es gehe ums Singen der Lieder, obwohl es um das Kopieren von Notenblättern geht (die Nachrichtenagentur dpa erfand sogar den Begriff der „Kinderlieder-Gebühr“). Seiten wie „Welt Online“ und Stern.de behaupten auch, die Gema habe Kindergärten „abgemahnt“; die „Berliner Morgenpost“ spricht von „bösen Briefen“, ein Blogger empört sich, hier würden „Kitas mit den Methoden von Abmahnanwälten unter Druck“ gesetzt.

Nun. Dies ist nach Angaben der Gema das Schreiben, das die Kindergärten von ihr bekommen haben:

Kopieren von Noten und Liedtexten in Kindergärten, Kindertagesstätten und vorschulischen Einrichtungen

Sehr geehrte Damen und Herren,

der vorschulische Unterricht, und damit verbunden auch das Musizieren und Singen zu den verschiedensten Anlässen, gewinnt in Kindergärten, Kindertagesstätten und sonstigen Vorschuleinrichtungen mehr und mehr an Bedeutung. Die Beschaffung von Liederbüchern oder Notenausgaben für diese Einrichtungen hat in der Vergangenheit einen erheblichen Kostenfaktor dargestellt. Wie schön wäre es daher, auf einem einfachen und zudem legalen Weg Kopien der benötigten Lieder anzufertigen.

Sie haben nun erstmalig die Wahl, wie Sie an Notenblätter und Liedtexte in ausreichender Stückzahl kommen: Entweder Sie kaufen wie bislang mehrere Exemplare einer Publikation oder fertigen mit einer jährlich erneuerbaren GEMA-Lizenz Kopien selbst an, sobald Bedarf entsteht.

Gemäß § 53 Abs. 4a UrhG (Urheberrechtsgesetz) ist die Vervielfältigung grafischer Aufzeichnungen von Werken der Musik – so werden Noten juristisch bezeichnet – stets nur mit Einwilligung des Berechtigten zulässig. Es sei denn, die Noten würden von Hand abgeschrieben oder wären seit mehr als 2 Jahren vergriffen.

Vor diesem Hintergrund wurde die Verwertungsgesellschaft (VG) Musikedition von ihren Mitgliedern, sprich den Verlegern der Liederbücher oder Notenausgaben, beauftragt, Kindergärten den Abschluss eines kostengünstigen Lizenzvertrages anzubieten. Dieser ermöglicht, legale Kopien von Noten oder Liedern für den vorschulischen Unterricht, aber zum Beispiel auch für Musikprojekte oder das Singen in der Gruppe anzufertigen.

Hierfür haben wir der GEMA das Inkassomandat übertragen. Somit liegt die gesamte Administration der Lizenzierung bzw. dem Abschluss von entsprechenden Lizenzverträgen für das Kopieren von Noten- oder Liedkopien in Kindergärten ab dem 1. September 2009 in den Händen der GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte).

Bitte senden Sie den beigefügten Lizenzantrag direkt an Ihre GEMA-Bezirksdirektion. Den für Sie zuständigen Bezirk finden Sie unter http://www.gema.de/plz-suche. Telefonisch stehen Ihre Ansprechpartner jederzeit unter der Service-Hotline 01805-500810 zur Verfügung (14 ct/Minute aus dem dt. Festnetz, Mobilfunkpreise können abweichen).

Mit freundlichen Grüßen
Ihre VG Musikedition

Die Zeitschrift mit dem Frausrufezeichen

Ich habe eine neue Lieblingszeitschrift. Sie heißt „Viel Spaß“, hat „alles, was das Leben schöner macht“ und ist ein Qualitätsprodukt aus dem Hause Hubert Burda.

Die Welt der Prominenten, über die „Viel Spaß“ berichtet, ist angenehm übersichtlich, sowohl was das Personal, als auch die Handlung angeht. Auf dem Titelbild wechseln sich rund ein Dutzend Menschen ab: Simone Thomalla, Florian Silbereisen, Dieter Bohlen, Oliver Geißen, Yvonne Catterfeld und Veronica Ferres, jeweils mit Lebenspartner. Deren Leben ist aber auch aufregend genug.

Nehmen wir Oliver Geißen und Christina „Tini“ Plate. Die haben vielleicht ein Jahr hinter sich! Ich zeig Ihnen das mal:

(Die unbefangene Leserin denkt sich nun vielleicht: Hä? Ist das nicht dreimal dasselbe Foto? Die erfahrene „Viel Spaß“-Käuferin aber erkennt: Keineswegs. Tinis Kleid hat ja jedesmal eine andere Farbe.)

Ähnlich wild war das Jahr für Dieter Bohlen:

Mady Riehl würde hier eine geplatzte Hochzeit, eine Familien-Tragödie und zwei Bohlen-Fotos abziehen, aber bei „Viel Spaß“ sehen sie das nicht so eng.

Es gab im vergangenen Jahr auf dem Titel:

  • zwei gemeine Anfeindungen (Michael Wendler, Veronica Ferres)
  • zwei schlimme Demütigungen (Dieter Bohlen, Simone Thomalla)
  • drei Eifersuchts-Dramen (Oliver Geißen, Oliver Geißen, Yvonne Catterfeld)
  • drei geplatzte Hochzeiten (Dieter Bohlen, Dieter Bohlen, Veronica Ferres)
  • und zwei Baby-Dramen (Sylvie van der Vaart, Yvonne Catterfeld)

Florian Silbereisen machte gleich zweimal ein „Psycho-Drama“ durch:

Die Leser von „Viel Spaß“ müssen eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne haben.

Simone Thomalla und Silvio Heinevetter zeigen auf dem ersten Heft 2011 der Simone-Thomalla-Fachzeitschrift stolz „ihr großes Liebes-Glück“, obwohl sie schon Mitte 2010 das Aus verkündete:

Die Leser von „Viel Spaß“ müssen eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne haben.

Wobei: Hat die Zeitschrift damals wirklich das „Liebes-Aus“ verkündet? Oder nur die Möglichkeit eines Liebes-Auses dezent angedeutet? Das Satzzeichen hinter der Schlagzeile, das auf den ersten Blick wie ein Ausrufezeichen wirkt, hat einen dezenten Schwung, der auch eine Interpretation als Fragezeichen zulässt.

Und es handelt sich weder um ein Interrobang (‽), noch um einen Satzfehler, denn der merkwürdige Geselle taucht seit mindestens 2008 häufig in „Viel Spaß“ auf, prominent auf der Titelseite, aber auch in Schlagzeilen im Heft.

Ist das nicht toll? Der Burda-Verlag hat seiner Zeitschrift ein neues Satzzeichen geschenkt, das für die wöchentlichen Quatsch-, Null- und Lügengeschichten ungemein praktisch ist. Der flüchtige Leser hält es für ein knalliges Ausrufezeichen, und vor Gericht kann man so tun, als wäre es ein alles offen lassendes Fragezeichen. Das Frausrufezeichen.

Nachtrag, 5. Januar. „Viel Spaß“-Chefredakteurin Andrea Richartz teilt mir mit, es handele sich bei dem Satzzeichen „selbstverständlich um ein Fragezeichen“. Meine Frage, warum es so anders aussieht als die anderen Fragezeichen, ließ sie unbeantwortet.

Frau Piel, wir müssen reden

Sehr geehrte Frau Piel,

Sie haben zu Beginn Ihrer zweijährigen Amtszeit als Vorsitzende der ARD eine Flut von Interviews gegeben, in denen sie viele erstaunliche Dinge gesagt haben. Ein Satz aber ist ganz besonders bemerkenswert. Er lautet:

Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.

Ich dachte erst, dass ich mich verlesen hätte. Oder dass die Medien, die diese Stelle zitieren, einen Fehler gemacht haben müssen. Aber genau so scheinen Sie das gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ autorisiert zu haben. Im Zusammenhang:

Man ist offensichtlich von Seiten der Verlage auf dem Holzweg, wenn man journalistische Inhalte kostenlos anbietet. Diese Kostenloskultur kann nicht Ziel führend sein. Das kann für die Verlage nur heißen, man muss dahin kommen, die journalistischen Inhalte zu verkaufen. Da sind kostenpflichtige Apps der richtige Anfang. Bei diesen fühlen sich die Verleger jedoch im Markt behindert. Wenn der Verlegerverband die Apps kostenpflichtig macht, dann werde ich mich auch vehement dafür einsetzten, dass unsere öffentlich-rechtlichen Apps kostenpflichtig sind.

Ich halte diese Äußerung für einen Skandal.

Ich weiß nicht, warum Sie der Meinung sind, dass die Verlage ihre journalistischen Inhalte nicht kostenlos anbieten dürfen. „Spiegel Online“ müsste der Teufel reiten, seine Inhalte nur noch gegen Geld anzubieten. Das Geschäftsmodell, möglichst viele Leser zu erreichen und sich über Werbung zu finanzieren, scheint dort gut zu funktionieren. Es hat den Vorteil, nicht nur lukrativ zu sein, sondern zu einem enormen publizistischen Einfluss zu führen.

In Großbritannien macht gerade der Online-Auftritt der Zeitung „Daily Mail“ Furore. Die Besucherzahlen von „Mail Online“ sind im vergangenen Jahr um rund 50 Prozent gestiegen. Während Rupert Murdoch die Inhalte der „Times“ nur noch zahlenden Kunden zugänglich macht, setzt die „Mail“ (mit durchaus zweifelhaften journalistischen Mitteln) ganz darauf, mit einem kostenlosen Angebot möglichst viele Leser zu erreichen, bricht Besucherrekorde und macht Gewinn.

Ich verstehe nicht, inwiefern „Spiegel Online“, „Mail Online“ und viele andere mit dieser Strategie auf dem „Holzweg“ sind oder welche „Ziele“ sie nicht erreichen können. Ich glaube auch nicht, dass das Ihre Sorge sein müsste, Frau Piel. Aber wenn Sie der Meinung sind, dass es im Internet eine schädliche „Gratiskultur“ gibt und dass es gut ist, wenn die Verlage jetzt über den Umweg des iPads versuchen, ihre fehlenden Werbeerlöse online durch Vertriebserlöse auszugleichen, dann ist das halt so.

Wir bekommen aber ein Problem miteinander, wenn Sie auf meinem Rücken und dem von Millionen Gebührenzahlern den Verlegern bei dieser Strategie helfen wollen. Unter bestimmten Bedingungen wollen Sie öffentlich-rechtliche Inhalte, die für Geräte wie das iPad aufbereitet wurden, nur noch gegen Geld zugänglich machen. Ich habe Neuigkeiten für Sie, Frau Piel: Wir haben diese Inhalte schon bezahlt.

Diese Inhalte gehören uns. Nicht im juristischen Sinne, aber in jedem anderen.

Von 2012 2013 an muss jeder Haushalt Rundfunkgebühren zahlen. Egal, ob er ein Fernsehgerät hat. Egal, ob er Fernsehen guckt. Egal, ob er ARD oder ZDF guckt.

Die Logik dahinter ist die, dass es gut für eine Gesellschaft ist, wenn die Produktion von Inhalten in einem Massenmedium nicht vollständig den Gesetzen des Marktes unterworfen ist. Ich bin ein großer Verteidiger dieser Logik und der Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks — auch in Zeiten, in denen es leichter und günstiger denn je ist, Menschen publizistisch zu erreichen.

Zu dieser Logik gehört es aber auch, dass die von allen bezahlten Inhalte dann auch allen zur Verfügung stehen. Das ist ein Kern der Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und eine große Chance gerade im digitalen Zeitalter. ARD und ZDF müssen sich nicht dagegen wehren, wenn ihre Inhalte auf Plattformen wie YouTube weiter verbreitet werden, denn diese Inhalte sind schon bezahlt. Im Gegenteil ist es in ihrem Interesse, wenn sie so viele Menschen wie möglich erreichen.

Die Verleger sehen in der Präsenz von ARD und ZDF in der digitalen Welt eine Wettbewerbsverzerrung. Es ist eine Wettbewerbsverzerrung, und zwar eine gewollte. Sie bietet die Möglichkeit, frei von den Zwängen, denen kommerzielle Anbieter ausgesetzt sind, gute Inhalte zu produzieren. Öffentlich-rechtliche Anbieter sollen auch dann, wenn es privaten Medien schlecht geht, für Qualität bürgen.

Gerade wenn alle anderen Medien hochwertige journalistische Inhalte nur noch gegen Geld anböten, müsste der öffentlich-rechtliche Rundfunk kostenlos bleiben: damit auch diejenigen Menschen, die sich die kostenpflichtigen Angebote nicht leisten können, gut versorgt werden.

(Das Wort „kostenlos“ im Satz vorhin ist natürlich falsch. Wir alle haben diese Inhalte bereits bezahlt. Ich wiederhole mich.)

Anscheinend ist Ihnen das immerhin nicht völlig unbekannt. Sie haben der „Frankfurter Rundschau“ noch im Zusammenhang mit einer möglicherweise kostenpflichtigen „Sportschau-App“ gesagt:

(…) es gibt hundert kostenlose Sport-Apps in Deutschland. In so einer Situation können wir, die wir gebührenfinanziert sind, nicht sagen, bei den Kommerziellen kriegt ihr das alles kostenlos, bei uns, für die ihr Gebühren gezahlt habt, müsst ihr das noch mal bezahlen. Wir könnten das in dem Augenblick machen, in dem andere Angebote auch kostenpflichtig wären.

Nein. Sie können das auch in dem Augenblick nicht machen. Mal abgesehen davon, dass es eine Illusion ist, dass alle Sportseiten kostenpflichtig werden, und vor allem abgesehen davon, dass es erstaunlich ist, dass eine Vorsitzende der ARD von einem Gerät träumt, auf dem alle Inhalte nur noch gegen Geld zugänglich sind, die eigenen eingeschlossen: Der Eindruck, den Sie hier erwecken, dass unter dem Motto „Kostenpflichtige Apps von allen“ ein fairer Wettbewerb stattfände, ist falsch. Sie können die Inhalte Ihrer „Sportschau-App“ aus den Gebühren finanzieren. Die Privaten können das nicht. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist per se eine Wettbewerbsverzerrung.

Sie meinen, wenn es keine kostenlose Alternative mehr gibt, können Sie die Menschen für die Inhalte der ARD „noch mal“ zur Kasse bitten? Das Wort, das ein solches Verhalten beschreibt, wird inflationär gebraucht, hier stimmt es aber: Abzocke.

Über die „Tagesschau-App“ sagen Sie:

Auch die Tagesschau-App kann nicht funktionieren, wenn gleichzeitig im Netz jede Zeitung auch ein kostenloses Info-Internetangebot hat.

Ich vermute, Sie meinen, dass die „Tagesschau-App“ nicht als kostenpflichtiges Angebot funktionieren könnte. Dieser Satz ist gleich doppelt falsch. Erstens glaube ich, dass die „Tagesschau-App“ auch in einer kostenpflichtigen Variante funktionieren könnte, weil die Marke „Tagesschau“ so stark ist und in einem Maß für Seriösität und Relevanz steht, mit dem nicht viele kostenlose Online-Angebote der Zeitungen mithalten können. Zweitens ist der Gedanke, die „Tagesschau-App“ kostenpflichtig zu machen, wenn nur die kostenlose Konkurrenz nicht wäre, sehr abwegig. Wenn der oft missverstandene Gedanke der „Grundversorgung“ im digitalen Zeitalter noch irgendeine Bedeutung haben soll, dann doch den, solide Inhalte frei verfügbar anzubieten und dafür zu sorgen, dass man nicht gut verdienen muss, um gut informiert zu werden.

Ich bin mir bewusst, dass ich hier mit großer Redundanz denselben Sachverhalt viele Male aufschreibe. Ich habe nur das Gefühl, dass das nötig sein könnte, weil Ihnen offenbar zentrale Gedanken des dualen Systems in Deutschland nicht bekannt sind.

Wenn Sie anfangen, Inhalte wie die „Tagesschau“ kostenpflichtig anzubieten, wird es Ihnen noch schwerer fallen, die Rundfunkgebühren zu legitimieren. Die Forderung von Verlegern und Politikern nach der Privatisierung wenigstens eines Teils des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben Sie dann schon selbst halb erfüllt.

[via Dirk von Gehlen]

Gratiskultur Print

In den zehn Jahren, die Kai Diekmann Chefredakteur der „Bild“-Zeitung ist, ist die Auflage um fast ein Drittel zurückgegangen. Täglich werden heute fast eineinhalb Millionen „Bild“-Exemplare weniger verkauft als 2001; in diesem Winter wird die durchschnittliche Auflage wohl unter drei Millionen sinken.

Kai Diekmann sagt, andere Zeitungen verlören auch an Auflage, bei dem Schnee gingen die Menschen nicht zum Kiosk, andere Medien machten heute viel mehr Boulevard als früher, vor allem aber: Aufgrund des erhöhten Verkaufspreises erlöse „Bild“ auch mit der niedrigeren Auflage mehr Geld als früher.

Und dann erklärt er im großen „Focus“-Interview die Zahl der verkauften Exemplare für weitgehend irrelevant:

Die 3-Millionen-Grenze halte ich aber ohnehin für eine Schimäre. Wichtig für Anzeigenkunden ist vor allem unsere Reichweite, und „Bild“ hat laut Media-Analyse 12,53 Millionen Leser — fast der höchste Wert ihrer Geschichte.

Es stimmt: Während die Zahl der Käufer kontinuierlich sinkt, pendelt die tägliche Leserzahl, wie sie die „Media Analyse“ aufgrund von Umfragen regelmäßig ermittelt, seit Jahren um die zwölf Millionen:

Eine Erklärung für die erstaunliche Schere wäre, dass die Werte der „Media Analyse“ einfach nicht verlässlich die tatsächliche Zahl der Leser eines Mediums angeben. Vielleicht verfälscht die starke Präsenz der Marke „Bild“ im deutschen Alltagsleben die Antworten der Menschen.

Die Daten der „Media Analyse“, die von Medien und Werbewirtschaft als Währung behandelt werden, sind häufiger seltsam. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Onanier-Zeitschrift „Coupé“: Der sind zwischen 2004 und 2008 drei Viertel der Käufer verloren gegangen. Laut „Media Analyse“ schrumpfte die Leserzahl in diesem Zeitraum aber nur um rund ein Viertel. 2008 müsste nach diesen Werten jede Ausgabe von „Coupé“ durch zehn bis 13 Paar Hände gegangen sein, was man sich wirklich nicht vorstellen möchte.

Aber nehmen wir einmal an, die Reichweite, die die „Media Analyse“ ermittelt hat, stimmt, und die „Bild“-Zeitung wird täglich von über 12 Millionen Menschen gelesen. Das würde bedeuten, dass jeder, der sich eine Ausgabe kauft, sie im Schnitt an drei andere Leute weitergibt — was angesichts der in Kantinen oder Zügen herumfliegenden Exemplare nicht völlig undenkbar ist.

Anders gesagt: Jeden Tag lesen neun Millionen Menschen die „Bild“-Zeitung, ohne dafür zu bezahlen, Tendenz seit Jahren steigend. Ihre Zahl ist dreimal so hoch wie die derjenigen, die brav für das Blatt zahlen.

Man muss diese Leute nicht gleich Raubkopierer nennen, um festzustellen: In der Printwelt hat sich eine gewaltige Kostenloskultur entwickelt. Massen von Menschen glauben, für Zeitungen nicht zahlen zu müssen, und nutzen sie skrupellos Tag für Tag umsonst — ohne sich zu fragen, wovon der Bauer denn leben soll, wenn der Supermarkt seine Butter verschenkt.

Und die Verlage stören sich nicht daran, sondern sind auch noch stolz darauf. Je häufiger die „Bild“-Zeitung weitergereicht wird, desto mehr Geld können sie von den Anzeigekunden verlangen.

In Wahrheit haben die Mathias Döpfners dieses Landes trotz des ganzen Geheules, dass Leistung honoriert werden müsse, kein Problem mit Menschen, die ihre Medien nutzen, ohne dafür zu bezahlen. Sie verdienen auch an diesen Menschen, weil sie deren Aufmerksamkeit an die Werbekunden weiterverkaufen können.

Die Mathias Döpfners dieses Landes haben nur im Internet ein Problem mit nicht-zahlenden Lesern, weil die Werbeerlöse dort so niedrig sind, dass sich höhere Leserzahlen nicht entsprechend lohnen. Deshalb sollen an vielen Stellen die Bezahlschranken heruntergelassen werden: Die Leser sollen mit Vertriebserlösen das ausgleichen, was an Werbeerlösen fehlt.

Mit der angeblichen Gratiskultur im Internet hat das ungefähr nichts zu tun.

Der Kindergarten als rechtsfreier Raum

Dass die Gema böse ist, weiß jedes Kind. Und wenn nicht, erfährt es in diesen Tagen davon, wenn ihm seine Zeitung lesenden Eltern die Geschichte erzählen, wie diese fiesen Bürokraten aus München jetzt auch noch dem gemeinsamen Singen von Kinderliedern den Garaus machen wollen. Die Kindergärten sollen dafür zahlen, dass sie Notenblätter kopieren.

Das Land ist erschüttert. Aber nicht überrascht. Die Gema halt.

Die Geschichte ist nicht neu. Das sonst sehenswerte BR-Magazin „Quer“ hatte schon Mitte Oktober unter dem Titel „Gema kassiert bei Kindergärten“ auf die Tränendrüsen gedrückt. Passend zu den Martinsumzügen im November drehte das Thema erneut eine kleine Runde durch die Medien. „Gema will bei Kitas abkassieren“, titelte der „Berliner Kurier“ und sprach vom „Behörden-Irrsinn“. Und nun, in der kuscheligen, nachrichtenarmen Weihnachtszeit, ist die Stimmung genau richtig, um den Volkszorn noch einmal richtig anzuheizen. Die großen Boulevardmedien wie „Bild“ und „Spiegel Online“ sind in das Thema eingestiegen. „Bürokratie-Irrsinn in deutschen Kitas“, schreit „Bild“: „Die Verwertungsgesellschaft GEMA fordert eine Kinderlieder-Gebühr!“

Das ist natürlich Unsinn. Zunächst einmal steckt hinter den Forderungen nicht die Gema, sondern die VG Musikedition. Sie vertritt Komponisten, Texter und Verlage und nimmt deren Rechte in Bezug auf die Vervielfältigung ihrer Werke vor allem in Form von Noten wahr. Die VG Musikedition hat nur das Inkasso an die ungleich größere Gema abgegeben. Von einer „Gema-Gebühr“ zu schreiben, wie es auch halbseriöse Meediendienste tun, ist falsch.

Die Gema hat im Auftrag der VG Musikedition mehrere zehntausend Kindergärten angeschrieben und auf die Gesetzeslage hingewiesen: Das Kopieren von Noten ist in Deutschland streng verboten. Es gibt dafür nur wenige Ausnahmen, und es gibt — anders als beim Vervielfältigen von Tonträgern — auch kein Recht auf eine Privatkopie.

Viele Kindergärten haben die Post der Gema als Mahnung empfunden. Von der Gema war sie dagegen als Angebot gemeint, eine rechtlich zweifellos unzulässige Praxis zu legalisieren: Für 56 Euro jährlich können die Kindergärten eine Lizenz erwerben, die es ihnen erlaubt, bis zu 500 Kopien anzufertigen. Die Gema meint, das sei ein Fortschritt, weil bislang nur der Kauf einer entsprechenden Zahl von Notenbüchern eine legale Lösung gewesen sei.

Das Thema betrifft nur vorschulische Einrichtungen und zum Beispiel keine allgemeinbildenden Schulen, weil die über die Bundesländer einen Pauschalvertrag mit der VG Musikedition abgeschlossen haben, durch den das Kopieren von Noten — in einem engen Rahmen — vergütet wird. Verhandlungen über einen ähnlichen Vertrag auch für die Kindergärten sollen geführt werden, sind aber wegen der Vielzahl unterschiedlicher Träger schwierig.

Man kann das Vorgehen der Gema oder der VG Musikedition unsensibel oder ungeschickt finden. Aber schuld an den Forderungen sind nicht sie, sondern ein 25 Jahre altes Gesetz. Vielleicht könnte das jemand den Politikern sagen, die sich gerade drängeln, noch einen Platz zum Fahneschwenken auf dem Kinderlieder-Rettungszug zu ergattern.

Sibylle Laurischk (FDP), die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag, lässt sich von „Bild“ mit dem Satz zitieren: „Singen in Kitas gehört zur Grundbildung!“ — als wollte die Gema den Kindern das Singen verbieten. Das Familienministerium soll laut „Bild“ gefordert haben, die Probleme mit der Gema so schnell wie möglich zu klären. Die Probleme mit der Gema? Und der saarländische SPD-Vorsitzende Heiko Maas brachte seine Existenz in Erinnerung mit der Formulierung, es handele sich um „Abzocke im Kindergarten“. Gerade das gemeinsame Singen im Kindergarten sei ein Ausdruck unbeschwerter Kindheit, sagte er ohne offenkundigen Zusammenhang. Jahrzentelang habe dies problemlos funktioniert.

Noch einmal: Vielleicht könnte jemand diesen Politikern sagen, dass das deutsche Urheberrecht das Kopieren von Noten verbietet, auch in Schulen und Vorschulen. Und vielleicht könnten es Journalisten sein, die diese Aufgabe übernehmen?

Natürlich nicht. Denn sie sind damit beschäftigt, der ahnungs- und atemlosen Erschütterung der Kita-Mitarbeiter Ausdruck zu verleihen. Offenbar bedeuten 56 Euro Mehrkosten jährlich für die meisten von ihnen den sicheren Ruin. Überhaupt ist es erstaunlich, wie viele Kinder im Vorschulalter anscheinend schon lesen können. „Wir müssen mit den Kindern jetzt (…) mehr proben als früher“, zitieren die „Elmshorner Nachrichten“ die Leiterin der Tagesstätte Krückaupark. „Diese Zeit fehlt für andere Dinge.“ Auch an der Hi-Ha-Hermann-Kita heißt es, neben Erziehern und Eltern müssten auch die Kinder wegen des Kopierverbotes mehr auswendig lernen als früher. Stefan Raab kann keine Noten lesen, aber die versammelten Drei- bis Sechsjährigen Elmshorns haben die Lieder bislang vom Blatt gesungen?

Das „Hamburger Abendblatt“ schließlich lässt die Vorsitzende des Vereins Dago Kinderlobby mit der originellen Einschätzung zu Wort kommen: „Alles, was Kinder nicht verstehen, ist auch sozial nicht verträglich.“ Offenbar ist keine Meinung zu bekloppt.

Die Position der meisten deutschen Medien lässt sich schon aus Überschriften wie „Süßer die Kassen nie klingeln“ und dem regelmäßig benutzten Wort „abkassieren“ leicht erraten.

Bei Stern.de hat man gar nicht verstanden, worum es geht, und schreibt: „Als hätten deutsche Kindergärten nicht schon genug Sorgen. Die Gema fordert Gebühren fürs öffentliche Singen.“ (Es geht, um es noch einmal zu sagen, ums Kopieren von Notenblättern.)

Das „Hamburger Abendblatt“ sieht in einer Glosse gleich das Ende des Gesangs gekommen:

Die Gema schaltet die Kinder stumm. Stille Nacht – endlich einmal wirklich. Gema sei Dank.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ macht sich mit beißender Ironie über das Vorgehen der Gema lustig (der eigentlich entscheidende Name „VG Musikedition“ fällt auch hier nicht):

Kinder können ja gar nicht früh genug lernen, dass es im Leben nun einmal nichts umsonst gibt, nicht einmal Kinderlieder. (…) Natürlich müsste regelmäßig überprüft werden, ob all diese Listen korrekt geführt werden. Außerdem ist unbedingt sicherzustellen, dass die in den Kindergärten erstellten Kopien von Liedtexten ihrerseits kopiergeschützt sind, sonst singen sich die kleinen Verbrecher am Ende noch zu Hause vom raubkopierten Blatt was ins Fäustchen, weil sie glauben, das käme sie billiger.

Dieser Spott ist eine erstaunliche Position für eine Zeitung, die — wie die meisten anderen — bislang mit großem Ernst und großer Einseitigkeit dem radikalen Schutz ihres eigenen sogenannten geistigen Eigentums das Wort geredet hat.

Notenverlage sollen es also — anders als Zeitungsverlage — hinnehmen müssen, dass ihre teuer hergestellten Werke uneingeschränkt und ohne jede Entlohnung vervielfältigt werden?

Es lohnt sich, einen Blick in die Kampfschriften der VG Musikedition zu werfen. Unter der Überschrift „Täter im Frack“ schreibt der Rechtsanwalt Thomas Tietze für die Verwertungsgesellschaft:

Man muss sich (…) vor Augen halten, dass das unerlaubte Kopieren nichts anderes ist als Diebstahl. Immerhin hat der Urheber eine Arbeitsleistung erbracht und damit so genanntes geistiges Eigentum geschaffen. Dieses geistige Eigentum kann genauso wie das materielle Eigentum – ein Auto beispielsweise – gestohlen, der Urheber und die sonstigen Rechtsinhaber (Verlage) so um ihren gesetzlich zugesicherten Lohn gebracht werden. Und dieser Lohn ist die notwendige Grundlage für weitere Arbeit, also die Kompositionen und deren Publikation. Der gesamte Kreislauf des Musiklebens wird gestört (…). Mit dem illegalen Kopieren wird dem gesamten Musikleben nachhaltig geschadet.

Die VG Musikedition fügt dem Text ein großes Stopp-Schild hinzu und erklärt:

Noten-Piraterie ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat.

Die Argumentation mit dem „geistigem Eigentum“, um das Urheber und Verlage gebracht werden, so dass sie nicht mehr in Lage sind, neue Inhalte herzustellen — das ist die Argumentation der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage in ihrem Kampf für ein eigenes Leistungsschutzrecht. Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied: das Kopierverbot für Noten besteht bereits; Gema und VG Musikedition nutzen es nur aus. Die Verlage wollen ein neues Gesetz, das bisher zulässige, kostenlose Nutzungsformen ihrer Inhalte drastisch einschränkt.

Das ist der zweite Grund, weshalb Journalisten nicht auf die Heuchelei der Politiker aufmerksam machen können: Sie sind selbst zu sehr mit Heucheln beschäftigt.

Wenn es um die eigenen Produkte geht, ist der schärfste Schutz gerade gut genug. Wenn es um die Werke anderer geht, handelt es sich bei solchem Schutz plötzlich um „Behörden-Irrsinn“, „Bürokratie-Wahnsinn“ und eine Bedrohung deutschen Kulturgutes. Journalismus kann nur dann entstehen, wenn die Werke nicht kostenlos verbreitet werden, eine Gesangskultur aber nur dann, wenn die Werke kostenlos verbreitet werden?

Nach den Maßstäben der Verleger fordern die Journalisten, die sich über Gema und VG Musikedition empören, nichts weniger als die Etablierung einer Gratiskultur und die Vorschulen als rechtsfreien Raum.

(Die „Rhein-Zeitung“ immerhin hat eine konsequente, in sich stimmige Haltung und kommentiert: „Das Urheberrecht gilt natürlich auch im Kindergarten“.)

Natürlich ist es nicht abwegig, dass Komponisten, Texter und Verlage für ihre Arbeit eine Vergütung erwarten. Das geltende Recht ist allerdings extrem: Schon wer zum Beispiel in einer Musikschule eine Seite aus einem Notenbuch kopiert, um sie nicht während des Spieles umblättern zu müssen, braucht dafür rechtlich gesehen eine kostenpflichtige Lizenz von der VG Musikedition.

Eigentlich ist die Gesetzeslage bei Musiknoten ein gutes abschreckendes Beispiel, wohin ein Recht, das sich radikal einseitig nur an den Interessen der Urheber orientiert und keinen Ausgleich mit denen der Allgemeinheit sucht, führen kann. Und sowas wollen wir für die Inhalte der Zeitungs- und Zeitungsverlage auch?

Das Ganze eine Reederei: Der NDR wieder in Diensten der Aida-Flotte

Sabine Kühn hat noch nie eine Kreuzfahrt mitgemacht. Das allein ist schon ein Wunder, denn es kann nicht mehr viele Moderatoren des NDR-Fernsehens geben, die noch nicht mit einem Schiff und einem Kamerateam um die Welt oder die Ostsee gefahren sind, um den Zuschauern von den fantastischen Angeboten zu berichten, die es da gibt.

Für Sabine Kühn aber war es eine Premiere. Sicherheitshalber hat sie nur eine Fünf-Tages-Tour gebucht, was ganz gut sei, „weil man dann einmal rausfinden kann, ob Kreuzfahrt etwas für einen ist.“ Und bei diesem atemberaubenden Experiment durften wir Fernsehzuschauer dabei sein! „Hanseblick Spezial: See(h)reise in den Norden“ heißt die einstündige Reportage, die am zweiten Weihnachtstag lief.

Sabine Kühn ist natürlich nicht mit irgendeiner Reederei gefahren, sondern mit Aida Cruises. „Die AIDA-Flotte aus Rostock hat die internationale Kreuzfahrt verändert“, teilte der NDR in einer Pressemitteilung zur Sendung fest. Richtig ist jedenfalls, dass die Aida-Flotte aus Rostock das NDR-Fernsehen verändert hat. Mit einer erstaunlichen Unverfrorenheit und Penetranz hat sich der öffentlich-rechtliche Sender zum Dauerwerbeprogramm des Unternehmens gemacht.

Sie machen sich nicht einmal mehr die Mühe, die schwärmerischen Pressemitteilungen neu zu verfassen. Der Text zur Sendung mit Sabine Kühns Jungfernfahrt ist über weite Strecken identisch mit der Ankündigung der Kreuzfahrt-Reportage, die der NDR vor zwei Jahren an Weihnachten sendete und passenderweise am Montag wiederholte.

„Die AIDA-Flotte aus Rostock hat die internationale Kreuzfahrt verändert. Nicht steif und teuer ist angesagt, sondern fröhlich und locker. (…) Ein NDR-Team hat für eine Schnupperreise auf der ‚AIDAblue‘ angeheuert und nimmt Kurs auf Nordeuropa.“ (2010)

„Die AIDA-Flotte hat die Kreuzfahrt verändert. Nicht steif und teuer ist angesagt, sondern locker. Friederike Witthuhn hat auf der ‚AIDAaura‘ angeheuert, mit Kurs auf Nordeuropa.“ (2008)

„Moderatorin Sabine Kühn entdeckt die vielen Angebote an Bord des Kreuzfahrtriesen: jeden Abend eine neue Show im Theatrium, Unterhaltung in den verschiedensten Bars mit dem ersten Brauhaus auf dem Meer, Rundumbetreuung im Kids-Club, Action bei den Fitnessangeboten.“ (2010)

„Moderatorin Friederike Witthuhn entdeckt die vielen Angebote an Bord des Kreuzfahrtriesen: jeden Abend eine neue Show im Theater, Unterhaltung in den Bars, Rundumbetreuung im Kids-Club, Koch-, Mal-, Fotokurse, Entspannung im Wellnessbereich, Action bei den Fitnessangeboten.“ (2008)

„Das Fernsehteam darf auch in Bereiche, die für die Gäste tabu sind. Der Kapitän lädt auf die Brücke ein, der Küchenchef lässt in die Töpfe schauen und die Azubis sorgen bei Wartungsarbeiten im Maschinenraum für eine reibungslose Fahrt.“ (2010)

„Das ‚Hanseblick‘-Team darf auch in Bereiche, die für die Gäste tabu sind: Der Kapitän lädt auf die Brücke ein, der Küchenchef zeigt seinen Bereich und der Proviantmeister seine Lager.“ (2008)

Beide Filme stammen von Elke Bendin, der Redaktionsleiterin des „Hanseblicks“. Ihr Werk von vor zwei Jahren hätte aber auch die Aida-Werbeabteilung produzieren können – außer, dass die sich womöglich um ein bisschen mehr Anschein von Distanz bemüht hätte.

Der Film beginnt damit, dass die Moderatorin vor dem Schiff versucht, mit Lippenstift einen roten Kussmund zu malen, wie ihn die Schiffe der Reederei tragen. Es gibt sogar einen ausführlichen Besuch bei Feliks Büttner, dem Künstler, der dieses Markenzeichen erfunden hat und nun immer neuen Tand für die Kreuzfahrtpassagiere entwerfen darf.

Frau Witthuhn interviewt den Clubdirektor der Aida aura, geht mit dem Küchenchef der Aida aura auf den Fischmarkt, lässt sich vom Entertainment-Manager der Aida aura das Showprogramm erklären, freut sich über die gute Arbeit des Bordfernsehens der Aida aura, trifft den Küchenchef der Aida aura, begleitet den Proviantmeister der Aida aura, befragt den Kapitän der Aida aura, der der jüngste Kapitän der Aida-Flotte sei. Zwischendurch räumt sie mit dem Vorurteil auf, dass eine Kreuzfahrt mit kleinen Kindern undenkbar sei und kauft im Aida-Shop ein Aida-Memory-Spiel, um mit einer beeindruckten jungen Aida-Reisenden ins Gespräch zu kommen.

Schließlich nimmt sie an einem Treffen der Stammpassagiere teil, und es kommt zu einem Dialog, der die Botschaft des ganzen Filmes gut zusammenfasst:

Moderatorin: Sind Sie denn süchtig nach Kreuzfahrtschiffen?

Stammkunde: Nee, nicht nach Kreuzfahrtschiffen. Eigentlich nur nach Aida.

In der diesjährigen Aida-Reisereportage des „Hanseblicks“ ist die Werbung – vergleichsweise – weniger plump. Sie erzichtet sogar weitgehend darauf, das Logo der Reederei bildschirmfüllend ins Bild zu setzen. Das ist aber das einzig Positive, das sich über sie sagen lässt. Warum eine läppische Fahrt mit dem Schiff von Rostock nach Kopenhagen, Oslo und Hamburg ein Thema für ein einstündiges Special sein sollen, ist nach dem Ansehen ein noch größeres Rätsel als vorher.

Wir sehen Menschen, die dank der Welle der Kreuzfahrtschiffe in Warnemünde ein bisschen surfen können. In Skagen – einem Punkt, der, wie die Moderatorin sagt, faszinierend ist, weil hier Nord- und Ostsee zusammenstoßen, den die Aida aber mitten in der Nacht passiert, so dass die Passagiere es „wohl alle verschlafen“ – treffen wir Menschen, die Skagen schön finden und hier Golf spielen. Über Kopenhagen erzählt der Film die längst vielfach toterzählte Geschichte des alternativen Viertels Christiania. In Oslo erfahren wir ein bisschen was über, natürlich, den Nobelpreis und, klar, die schöne Bahnfahrt nach Bergen. Diese Berichte sind offensichtlich, ähnlich wie im 2008er Film, aus anderen Sendungen wiederverwertet, was natürlich immerhin noch besser ist, als wenn der NDR womöglich noch Geld dafür ausgegeben hätte.

Bleibt andererseits die Frage, warum er sich so eine Sendung nicht ganz spart, oder wenigstens das werbliche Rahmenprogramm, in dem Moderatorin Sabine Kühn dümmlich staunend das Schiff und all das, was so ein Schiff hat, besichtigt. (Würde sie das NDR-Fernsehen gucken, kennte sie all das natürlich schon, denn die Vorzüge der Aida blu, auf der sie sich befindet, hat ihr Kollege Peter Kellner aus dem Landesfunkhaus Niedersachsen vor nur gut einem halben Jahr im Programm bereits schamlos werblich beschrieben.)

Einmal muss die Moderatorin sich laut Drehbuch vergeblich einen Platz auf dem Sonnendeck suchen, um dann zur Überleitung sagen zu können: „Das Örtchen Skagen ist auch eine ganz begehrte Lage.“

Sie sagt: „Die kleinen Kreuzfahrer sind im Kids-Club am besten aufgehoben. Abwechslung ohne Ende.“ Sie freut sich: „Ganz neu auf einem Kreuzfahrtschiff: hier wird sogar Bier gebraut!“ Sie lobt: „13 Bars sorgen für gute stimmung. Da findet doch jeder sein Plätzchen!“ Selbst triste Aufnahmen von mittelalten Menschen, die in einer Disco tanzen, muss sie feiern mit Sätzen: „Im Theatrium wird auf Teufel komm raus geschwooft. Kreuzfahrer haben Kondition.“ Oft würden „schon die Neulinge infiziert“, sagt sie, „vom Virus einer Seereise. Knapp fünf Tage, randvoll mit Erlebnissen.“

Am Ende zieht sie folgendes überraschendes Fazit:

„Vielleicht heißt eine solche Reise ja auch Kreuzfahrt, weil es eine Kreuzung ist zwischen Hotellerie und Seefahrt. Und wenn man gerne weit herumkommt, aber immer das Zuhause dabei haben möchte, wenn man sehr gesellig ist und gern mit vielen Menschen gemeinsam etwas unternimmt, dann ist man auf so einem Schiff genau richtig.“

Gut, dass das endlich einmal geklärt ist.

Eul doch!

Das hier war bis vor fünf Minuten der Aufmacher auf der Startseite von daserste.de:

Ja, wirklich. Nein, ich weiß auch nicht: Ist die Seite gehackt, ist das ein Witz, oder ist das EIN ZEICHEN? Und vor allem: Ist der Sack Reis unverletzt geblieben?

Die Gutbürger

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Wolfram Weimers „Focus“ gebärdet sich als einsames Kampfblatt gegen den Mainstream linker Weltenretter. Und läuft orientierungslos jedem Populisten hinterher.

Leidenschaft ist kein schlechter Antrieb für Journalismus. Manchmal jedoch brechen aus einem Artikel unvermittelt Emotionen in einer Weise aus, dass man sich als Leser fühlt wie ein Bewohner Pompejis im Sommer 79.

Beim „Focus“ ist das in dieser Woche wieder passiert. Die Illustrierte hat die „wichtigsten Debatten-Anzettler 2010“ gekürt, darunter Thilo Sarrazin, Hans-Olaf Henkel, der Papst. Dieses Jahr habe den öffentlichen Debatten eine „zumindest punktuelle Berührung mit der Realtät“ beschert, stellt ein ungenannter Autor in einem Begleittextchen fest, und dann kommt’s: „Nach vielen Jahren des wohlfeilen Gutmeinens, Beschwichtigens und Problemezurechtbiegens durch die Vertreter eines linksliberalen, feministischen, sozialstaatsfixierten Multikulti-Wischiwaschi-Mainstreams mag dies ein Fortschritt sein.“

Da hatte sich wohl was aufgestaut.

Sie dürfen das jetzt rauslassen beim „Focus“. Nicht dass er früher der Sympathie für linke Gedanken verdächtig war, nicht einmal in Form einer Servicegeschichte „Die 100 besten Feministen in ihrer Nähe“. Aber seit Wolfram Weimer vor einem halben Jahr die Chefredaktion übernommen hat, ist eine politische Verortung rechts von der Konkurrenz Teil des Versuches, das Blatt wiederzubeleben.

Weimar sagt natürlich nicht „rechts“. In einem Interview mit dem „Medium Magazin“ hat er die „Grundlegitimation“ des „Focus“ beschrieben als seine „Position als bürgerliches Gegenstück zum ‚Spiegel'“. Nun ist es schwer, sich ein treffendes Adjektiv für den heutigen „Spiegel“ vorzustellen, das einen Gegensatz zu „bürgerlich“ bilden würde; allenfalls „wertelos“. Weimar aber sagt, er identifiziere sich mit den „Werten des Kulturkonservatismus in Deutschland, also mit dem Familiären, Heimatliche, der kulturellen Identität bis hin zu religiösen Facetten“.

Das klingt kuschelig vage, und das ist es auch. Die Familie zum Beispiel, hat der „Focus“ festgestellt, feiert gerade „ein wundersames Comeback“. Die Belege dafür sind dünn. Die Vorwerk-Familienstudie, auf die die Autoren sich berufen, sieht jedenfalls nur eine „unverändert hohe Wertschätzung“ von Familie, während der Freundeskreis an Bedeutung gewinnt. Aber es gibt gerade so viele schöne Fotos, die Staatsoberhäupter zu Weihnachten im Kreis ihrer Angehörigen zeigen. Von Angela Merkel gibt es sogar ein zauberhaftes Bild, auf dem sie eine Dose mit roten Kugeln hält. Der „Focus“ hat dazu geschrieben: „Auch Kanzlerin Merkel weiß: Weihnachten braucht Rituale wie die alljährlich glänzenden Kugeln am Christbaum.“

Vielleicht verliert man als bekennender Wertkonservativer ein bisschen das Gefühl für lächerliche Überinterpretationen; vielleicht hat das aber auch nichts mit der politischen Gesinnung zu tun.

In Wahrheit ist diese publizistische Welt gar nicht kuschelig, sondern definiert sich fast ausschließlich aus ihrem Widerspruch zu einem als links wahrgenommenen Mainstream. Der Medientheoretiker Norbert Bolz (auch in der „Focus“-Debatten-Anzettler-Hitliste) stellt klar, dass Patchworkfamilien keine richtigen Familien sind. (Die Kanzlerin ist da wohl eine Ausnahme. Sie brate zu Weihnachten eine Gans, verrät der „Focus“, „natürlich für die ganze Familie“. Wer damit gemeint ist, bleibt offen.)

Bolz behauptet: „Die Sehnsucht gilt der klassischen Familie. Dieses Sehnsuchtsbild darf man sich indes als moderner Mensch nur verdeckt eingestehen.“ Das eigene „fortschrittliche Bewusstsein“ zensiere diese Wünsche; Familie zeige, „dass Menschen eine archaische Erbschaft in sich tragen, die sie immun macht gegen politische Korrektheit.“

Das ist der perfekte Satz: Aggressiv-konservativ, weil er sich gegen die politische Korrektheit richtet, was immer die in diesem Zusammenhang sein mag. Und kuschelig-konservativ, weil wir genetisch immun seien gegen solche linken Gedanken.

Die „bürgerliche“ Publizistik, die der „Focus“ versucht oder auch das geistesverwandte Online-Angebot „The European“, arbeitet sich mit einem erstaunlichen Furor an den Weltverbesserern und Möchtegernweltverbesserern ab. Sie verachtet die engagierten Kämpfer gegen echte oder wahrgenommene Probleme auf der Welt. Sie sieht sich umstellt von Denkverboten und hat daher einen revolutionären Gestus, obwohl sie eigentlich nur möchte, dass alles wieder wird, wie es früher war. Dass nicht alles in Frage gestellt wird. Die gute alte Familie zum Beispiel. Oder auch die Natürlichkeit des Klimawandels. Hat es sowas nicht früher auch immer schon gegeben, und sind die warmen Sommer nicht schön?

Aus dem Dagegensein entsteht eine oft blinde Lust an der Provokation – dafür steht Michael Miersch, der gerade als neuer Wissenschaftschef zum „Focus“ kam. Er schrieb gleich einmal mit typisch filigraner Ironie die „zehn Öko-Gebote“ des „Gutmenschen“ auf, etwa: „Du sollst nicht zweifeln! Die Ökobewegung irrt nie. Wer daran zweifelt, dient den Ungläubigen.“

Manchmal ist es auch nur ein bräsiges Muss-das-denn-sein, wie es Gunnar Schupelius verkörpert, der gerade engagiert wurde, das Berliner „Focus“-Büro zu leiten. Schupelius hat bislang mit großer Treudoofigkeit in der Boulevardzeitung „B.Z.“ versucht, intellektuelle Debatten anzustoßen wie die, warum Autofahrer eigentlich immer die Dummen sind.

Es geht diesen „bürgerlichen“ Publizisten vor allem darum, dass sie Recht haben. Sie kämpfen verbissen Kämpfe, die sie nach eigener Wahrnehmung längst gewonnen haben. Roger Koeppel hat vor kurzem in einem Editorial seiner Schweizer Zeitung „Weltwoche“ gegen „linke Journalisten“ gewettert, die er zu einer Plage hochstilisierte, schlimmer als Hitler und Brustkrebs zusammen. Das Schlimmste an ihnen sei, dass sie nicht nur keine anderen Meinungen respektierten, sondern immer Unrecht hätten: „Sie werden durch die Wirklichkeit ins Unrecht gesetzt.“ Sie blieben ihren falschen Thesen aus Bequemlichkeit treu, „denn natürlich wissen sie: Es ist anstrengender, gegen den Strom zu schwimmen.“

Dass Koeppels „Weltwoche“ und Weimers ungleich harmloserer „Focus“ so uninspiriert und uninspirierend sind, liegt daran, dass sie herausgefunden haben, dass es genau so bequem ist, reflexartig immer gegen den Strom zu schwimmen – oder gegen das, was sie zum Strom erklären. In Wahrheit schwimmen sie natürlich oben auf der Welle, wenn sie etwa hinter Sarrazin hinterherschwappt.

Sie glauben, dass sie für eine schweigende Mehrheit sprechen, wenn die längst laut grölt. Natürlich ist der „Focus“ begeistert von Theodor zu Guttenberg und der Antagonismus, den Weimer beschwört, besteht darin, die allgemeine Begeisterung ins Absurde zu übertreiben. „Er ist wie eine Mischung aus Armani und Konrad Adenauer“, schrieb er über den Verteidigungsminister. „Und im großen Kulturverlust der Formlosigkeit tut es gut, dass er der Sichtbarkeit der Macht auch durch äußere Form ein Stück Würde zurückgibt.“ Natürlich geht es auch um innere Werte, schreibt Weimer, beziehungsweise nicht: „Dabei ist gar nicht so bedeutsam, welche Haltung er gerade hat, sondern dass er eine hat und diese auch offen vertritt.“

Das scheint auch die Strategie zu sein, die der „Focus“ verfolgt. An den Leserzahlen gemessen, ist das Interesse daran eher gering. Dabei war 2010, wie der „Focus“ über seine Zusammenstellung der „wichtigsten Debatten-Anzettler“ schrieb, „ein Jahr der ‚konservativen‘ Themen“. Konservativ in Anführungsstrichen. Wer weiß schon, was das heißt?

Weihnachtsflausch

Das war so nicht geplant. Ich hätte noch so einiges bloggen wollen. Irgendwie bin ich nicht dazu gekommen.

Überhaupt war der Betrieb hier im vergangenen Jahr etwas unregelmäßig. Vielleicht wird das im neuen Jahr besser und ich finde meinen alten Rhythmus wieder oder einen neuen.

Ich bedanke mich für das Interesse, die Aufmerksamkeit und die Mitwirkung, entschuldige mich bei all denen, die vergeblich auf eine Antwort von mir gewartet haben, und wünsche: Frohe Weihnachten!