Schlagwort: Echo

Was ich beim „Echo“ gelernt habe

Ich wollte eigentlich nur den Screenshot vom Abspann der „Echo“-Verleihung zeigen, in dem mein Name ((neben denen von Lukas Heinser sowie Sven Schrader, der mir sicher eines Tages die Goldene K.-Lauer-Gedächtnismedaille für sein Lebenswerk im Dienst schlechter Witze wegschnappen wird)) unter „Buch“ oder „Autor“ gestanden hätte, um zu erklären, warum hier die vergangenen Wochen so wenig los war. Aber dann gab es — aus Gründen — gar keinen Abspann.


Fotos: ARD

Dann kann ich stattdessen auch noch ein paar Zeilen schreiben. Aus dem Nähkästchen kann ich aus naheliegenden Gründen natürlich nicht plaudern, aber man lernt bei der Mitarbeit an so einer Show eine Menge darüber, warum das Fernsehen so ist, wie es ist. Auf zwei Leute, die sich Ideen ausdenken, kommen gefühlt zweihundert, die dafür zuständig sind, sie zu verhindern. Es ist eine gewaltige Kreativitätsvernichtungsmaschine. Ideen sind die Wasserschildkrötenbabys der Showproduktion.

Aus dem, was bei dieser Produktion weggeworfen wurde, könnte man mindestens zwei komplette Sendungen machen.

Das liegt teilweise in der Natur der Sache: Künstler, für die man etwas vorbereitet hatte, sagen kurzfristig ab, Umstände ändern sich, der Ablauf ändert sich fast bis zur letzten Sekunde. Es stellt sich heraus, dass Menschen die Ideen, die man für sie hatte, dann doch nicht so lustig fanden wie man selbst. (Weshalb ich zum Beispiel eine ungebrauchte, total lustige, selbstironische und vor Alliterationen strotzende Laudatio für eine als Koppelkupplerin im Fernsehen auftretende Moderatorin kostengünstig abzugeben hätte.)

Es regieren aber auch die Bedenkenträger. Was im Fernsehen zu sehen ist, wird vor allem dadurch bestimmt, was nicht im Fernsehen zu sehen sein soll. Bei einer Veranstaltung wie dem „Echo“ ist das besonders krass, weil es hier gleich zwei Auftraggeber mit Sorgen, Wünschen und Empfindlichkeiten gibt: den Fernsehsender und den Bundesverband Musikindustrie.

Erstaunlicherweise haben die meisten Menschen, mit denen man diskutieren muss, aber gar nicht selbst Bedenken, sondern antizipieren nur mögliche Bedenken anderer, die sie dann vorsorglich potenzieren. Wenn man das einmal erlebt hat, hat man plötzlich als Zuschauer oder Kritiker doppelt so viel Respekt für jede Idee, die es trotzdem tatsächlich auf den Fernsehschirm schafft.

Eine der besonders heiklen Fragen war, ob und wie wir mit den aktuellen Ereignissen in Japan oder auch Libyen umgehen sollten. Nach langem Hin und Her stand eine Fassung, mit der alle irgendwie leben konnten, und deren zentrale Sätze lauteten: „Musik tröstet. Und Musik verbindet. Lasst uns heute Abend tolle Musik feiern – aber die Welt dabei nicht vergessen.“ Und man hat die Goldwaage noch nicht ganz im Schrank verstaut, da kann man lesen, dass die „Berliner Morgenpost“ glaubt, Ina Müller hätte gesagt: „Musik lässt uns den Rest der Welt für einen Moment vergessen.“ Journalisten.

Es waren aufregende, anstrengende, frustrierende, produktive, unproduktive, lustige Tage. Dass ich am Ende mit der ausgestrahlten Show in einem viel größeren Maße zufrieden bin, als ich vorher gedacht hätte, liegt vor allem an Ina Müller. Sie sprengt das ganze von Bedenken und Sicherheitsstreben geprägte System und schafft es, in das starre Korsett der Fernsehübertragung einer Preisverleihung – noch dazu eines Preises mit schwerem Geburtsfehler – genau das zu bringen, was darin eigentlich nicht vorgesehen ist: Leben.

Wenn etwas Ungeplantes passiert, versucht Ina nicht, das zu überspielen, sondern macht es zum Thema. Sie hat in der Show ungefähr all das getan, was sie nicht hätte tun sollen. Sie hat Gerd Gebhardt, den Vater des „Echo“, sogar live darauf angesprochen, was er im Vorfeld verhindert hat. Sie hat sich gegen jede Floskel, jede Standardmoderation, jede 08/15-Situation gewehrt. Sie hat den „Echo“ ohne Rücksicht auf Verluste moderiert, in dem Gedanken, dass es eh der einzige sein werde, den sie moderiert, und sie dann aus der Gelegenheit das meiste machen kann und soll. (Das ist eigentlich kein schlechtes Motto: Moderiere jede Show, als wäre es deine letzte.)

Natürlich muss man Ina Müller und ihre Art nicht mögen. (Ich mag sie.) Man kann sogar den Spagat schaffen, als Klatschreporterin beim Berliner Schmuddelblatt „B.Z.“ zu arbeiten und trotzdem schon bei der harmlosen Frage an den Plattenboss, ob man sich auch als 45-jährige Frau noch „hochschlafen“ kann, pikiert zu sein.

Aber man muss feststellen, dass Ina Müller dafür sorgt, dass etwas passiert. Und das passiert im Fernsehen nicht oft. Im Talk mit Take That ist etwas passiert. Im Gespräch mit den Amigos ist etwas passiert. Im Radio-„Echo“-Interview mit Grönemeyer ist etwas passiert. Und in dem Medley zur Eröffnung, in dem sie mit so unterschiedlichen Leuten wie H.P. Baxxter, Peter Maffay und Stefanie Heinzmann gesungen hat, ist sogar das passiert, was in ihrer kleinen Kiezshow „Inas Nacht“ regelmäßig passiert: Während die Künstler sich angesungen haben, schlug die Magie der Musik Funken zwischen ihnen.

Natürlich wäre die Nummer perfekter gewesen, wenn man sie vorher als Playback aufgenommen hätte. Oder wenn die Sänger nicht aus den unterschiedlichsten Ecken der Bühne gekommen wären, sondern einfach nebeneinander gestanden hätten. Aber das ist der Preis der Magie des Live-Auftritts. Ina ist niemand, der auf Nummer Sicher geht. Zum Risiko gehört, dass eine Sache, die schiefgehen kann, auch mal schiefgeht. Ich finde, es lohnt sich, für die Chance auf eine spontane große Situation die Gefahr eines peinliches Augenblicks in Kauf zu nehmen.

So gesehen habe ich habe zweierlei gelernt in den letzten Wochen bei der Arbeit am „Echo“: Was alles nicht geht beim Fernsehen. Und was geht.

  • Die „Echo“-Verleihung in der Mediathek: Teil 1, Teil 2.

Echo, live on tape

Frage: Was bedeutet das Wort „LIVE“, das RTL in die Aufzeichnung der Echo-Verleihung einblendet?

Zusatzfrage: Ist denen das nicht zu doof, wenn das, was mit über zwei Stunden Verzögerung „live“ auf RTL zu sehen ist, lange vorher schon woanders zu sehen war? (Okay, ich ziehe die Zusatzfrage zurück.)

Konsequent allerdings, dass RTL.de als Aufmacher auf seiner Seite zum Echo auch jetzt, hinterher, noch Karten für die Veranstaltung verlost: