Schlagwort: Google Street View

A Street View Named Desire

Die Leute glauben alles.

Zuerst ging heute die Meldung um die Welt, dass eine Frau die Scheidung eingereicht habe, weil sie auf „Google Street View“ den Wagen ihres Mannes entdeckte. Der stand vor dem Haus seiner Geliebten, während er eigentlich auf Geschäftsreise sein sollte.

Die „Sun“ berichtete unter der Überschrift „Google Cheat View“ — und diverse Medien schrieben die Geschichte unter Berufung auf die notorisch unzuverlässige britische Boulevardzeitung ab: „Golem“, „20 Minuten“, „Tagesanzeiger“, „Fox News“, „Österreich“.

Dann meldete sich ein Blogger, der sich „Idiot Forever“ nennt, und behauptete, alles nur erfunden zu haben. Er habe die „Sun“ reingelegt und ihr zwei E-Mails geschrieben. Eine, in der er sich als Bekannter der betrogenen Frau ausgab, und eine, in der er sich „Mark Stephens“ nannte und ihre Geschichte bestätigte. Zufällig sei der von ihm willkürlich gewählte Name „Mark Stephens“ auch der Name eines bekannten britischen Medienanwaltes, deshalb habe die „Sun“ den Fall begeistert aufgegriffen.

Und so macht sich neben der „Wie Google Street View eine Scheidung verursachte“-Geschichte jetzt auch die „Wie ein Blogger die ‚Sun‘ reinlegte“-Geschichte auf den Weg um die Welt, letztere naturgemäß noch mit geringerer Aufmerksamkeit („Anorak News“, „Golem“), dafür aber begeistert weitererzählt von Bloggern, die wissen, dass Medien ohnehin jeden Unsinn ungeprüft abschreiben.

Der Witz ist nur: Die zweite Geschichte ist falsch. Die „Sun“ verdankt ihre Meldung nämlich nicht irgendeinem gefälschten E-Mail-Hinweis; sie hat sie aus der „Times“. Dort erschien sie schon am vergangenen Donnerstag und verfasst hat sie tatsächlich: Der Anwalt Mark Stephens von der Kanzlei „Finers Stephens Innocent“.

Seine Erzählung erscheint mir zwar auch zweifelhaft, weil unklar bleibt, woher die Ehefrau wusste, vor wessen Haus sie gucken musste und wann das Foto gemacht wurde. Aber diese Ungereimtheiten müssten all die Medien, die diesen Fall irgendwie relevant für ihre Leser fanden, mit der „Times“ und Mr. Stephens ausmachen (wenn es ihnen nicht eh völlig egal wäre). Die „Sun“ jedenfalls ist nicht von einem Blogger reingelegt worden, ihre Meldung kein Fake.

Die traurigste Rolle in dieser ganzen Geschichte aber spielen die Leute von „Golem“, die ihre Nachrichten „IT-News für Profis“ nennen und erst die „Sun“-Geschichte brachten und dann als Update hinzufügten:

Nachtrag vom 31. März 2009, 14:07 Uhr
Inzwischen ist ein Blogger namens Idiot Forever aufgetaucht, der behauptet , er habe die Geschichte erfunden, um der Sun einen Streich zu spielen. Nachprüfen lässt sich für uns weder die eine, noch die andere Version.

Diese armen Journalisten sind gezwungen, Nachrichten zu veröffentlichen, von denen sie überhaupt nicht wissen, ob sie stimmen. Denn was sollen sie tun? Recherchieren?

Nachtrag, 0:40 Uhr. Oh je. Bei „Gulli“ hat man die eigene „Ehemann erwischt“-Meldung zum Thema um den Nachtrag ergänzt:

Offenbar sind wir mit dieser Story neben Golem und vielen anderen Medien auf einen hübschen Hoax reingefallen. Ein Blogger mit dem Namen „Idiot Forever“ soll angegeben haben, die Zeitung „The Sun“ verulkt zu haben, indem er den Redakteuren der Sun zwei gefakte E-Mails schickte. (…) Tja, eigentlich ist die Geschichte, so falsch wie sie ist, noch viel älter – die Times hat sie noch früher gebracht. Und obwohl erst morgen der April beginnt, fielen zahlreiche Newsticker auf die hybsche Zeitungs-Ente rein – unsere Gratulation an den findigen Blogger! Und vielen Dank an Mario Sixtus für den Hinweis!! (via Stefan Niggemeier, thx!)

Daran ist nun alles falsch. Noch einmal zum Mitlesen: Die Meldung aus der „Sun“ ist vermutlich keine Ente. Der Blogger, der behauptet, die „Sun“ reingelegt zu haben, sagt nachweislich die Unwahrheit. Anders gesagt: Der Hoax ist die Behauptung vom Hoax.