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Wie die ARD Schleichwerbung recycelt

29-mal pro Woche zeigt die ARD zur Zeit ihre Krankenhausserie „In aller Freundschaft“. Das liegt daran, dass die Sendung gerade EM-Pause macht, sonst sind es natürlich ein paar Ausstrahlungen mehr. Der RBB wiederholt gerade täglich mittelalte, NDR und SWR ganz alte und das HR-Fernsehen relativ neue Folgen.

Es gibt gute Gründe, „In aller Freundschaft“ nicht zu wiederholen. Die Handlungsstränge, Dialoge und schauspielerischen Fähigkeiten sind der offensichtlichste. Die Rolle der Serie in einem der ganz großen Schleichwerbeskandale der letzten Jahre wäre ein weiterer.

Im Juni 2005 enthüllte der Branchendienst „epd Medien“, dass die ARD-Produktionsfirma Saxonia in mindestens neun Fällen bezahlte Pharmawerbung in der im Auftrag des MDR hergestellten Serie unterbringen ließ. Die Industrie gab konkrete Anregungen über gewünschte Geschichten, die Drehbuchautoren machten daraus Dialoge. Bis zu 30.000 Euro pro Folge zahlten die Firmen dafür, dass zu bestimmten Krankheitsbilder passende Medikamente — oder wenigstens ihre Wirkstoffe genannt wurden.

Vor zwei Wochen rügte der Deutsche Rat für Public Relations sieben namhafte Pharmahersteller für diese Praxis. Damit schien die Sache als erledigt.

Nur wiederholt die ARD munter alte Folgen von „In aller Freundschaft“, auch Folgen, in deren Inhaltsangabe auf der offiziellen, vom MDR verantworteten Homepage Sätze wie diese stehen:

„In der Sachsenklinik gibt es eine weitere Neuigkeit: Die Forschungsergebnisse für COX-2-Blocker, die bei Arthrose helfen sollen, sind so vielversprechend, dass das Medikament bald zugelassen werden kann.“
[Folge 82]

„Die Forschungsarbeiten an dem COX-2-Blocker stehen unmittelbar vor dem Abschluss, das Mittel kurz vor der Zulassung. Die Testpatienten vertragen das Mittel hervorragend.“
[Folge 85]

Kein Wunder also, dass das renommierte kritische Pharma-Blog „Stationäre Aufnahme“ vergangene Woche Alarm schlug und titelte: „NDR strahlt Pharma-Schleichwerbung weiter aus“.

Dabei ist die Sache nicht so schlimm, wie sie scheint. Sie ist anders schlimm.

Der NDR teilte mir auf Anfrage mit:

Der NDR sendet überarbeitete Fassungen der Folgen, in denen alle Namensnennungen des Medikaments Vioxx per voice over durch ein fiktives Präparat ersetzt wurden. Die Originalfolgen sind gesperrt.

Nach der heute (zum elften Mal) wiederholten Folge 85 zu urteilen, stimmt das — macht es aber nicht weniger unfassbar, dass die ARD diese Folgen überhaupt noch ausstrahlt.

In der Folge geht es um einen Arthrose-Patienten, der wegen seiner Medikamente unter heftigen Magenschmerzen leidet und darum bettelt, eine neuartige Alternative ausprobieren zu dürfen. Um die Handlung und ihren Werbecharakter im Jahr der Erstausstrahlung 2000 würdigen zu können, muss man wissen, was das Revolutionäre an der Wirkungsweise des (inzwischen wegen dramatischer Nebenwirkungen vom Markt genommenen) Schmerz- und Entzündungshemmers Vioxx war. Herkömmliche Mittel wie Aspirin blockieren nicht nur das Enzym Cox-2, das schmerzvermittelnde Botenstoffe bildet, sondern auch das ganz ähnliche Cox-1, das aber die Magenschleimhaut schützt. Arthrose-Patienten, die dauerhaft Schmerzmittel nehmen mussten, litten daher häufig unter Magenschmerzen. Vioxx dagegen verschonte „das gute“ Enzym Cox-1 und griff nur „das böse“ Cox-2 an.

Und jetzt schauen Sie sich bitte an, wie um diese frohe Werbebotschaft ein ganzer Handlungsstrang in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ gestrickt wurde, Happy-End und allgemeine nette Botschaften über die Pharma-Industrie, die sich um unser aller Wohlergehen sorgt, inklusive.

Link: sevenload.com

Erstaunlich daran ist — abgesehen davon, wie penetrant und plump die Botschaft in der Serie untergebracht wurde und wie willen- oder skrupellos die Fernsehleute gewesen sein müssen — dass Vioxx und die Pharmafirma MSD Sharp & Dohme (Merck & Co., Inc.) bislang noch gar nicht öffentlich im Zusammenhang mit dem ARD-Schleichwerbeskandal genannt wurden (auch nicht in der Rüge des PR-Rates).

Der aktuelle Skandal ist für mich aber ein anderer: Die ARD hat sich also, nachdem die Schleichwerbegeschäfte ihrer Tochtergesellschaften aufgeflogen waren, dafür entschieden, die alten Folgen durchzugucken und mühsam einzelne Sätze mit Markennamen nachzuvertonen? Sie hat sich nicht daran gestört, dass die Dramaturgie ganzer Handlungsstränge nicht durch die inneren Gesetze einer Seifenoper bestimmt sind, sondern allein durch die (überholten) Werbebotschaften Dritter? Sie hat sich nach der notwendigen Ansicht der Folgen nicht dafür entschieden, diesen Schrott einfach nie wieder auszustrahlen, sondern füllt mit ihm die Lücken zwischen „Sturm der Liebe“ und „Meerschweinchen, Nacktnasenwombat & Co.“?

Nachtrag, 12. Juni, 16:30 Uhr. Um Missverständnisse zu vermeiden: In der überarbeiteten Fassung, die der NDR zeigte, ist natürlich nicht nur der Markenname „Vioxx“ ersetzt worden, sondern auch der Begriff „COX-2-Blocker“. Aus dem Enzym „COX-2“ wurde, wie im Video zu sehen, „RAG-2“.

Der NDR hat in seinen Internetseiten vor wenigen Tagen die Hinweise auf „COX-2“ aus den Sendungsbeschreibungen entfernt. Auf der vom MDR verantworteten offiziellen Seite zur Sendung sind jetzt die Inhaltsangaben ganz verschwunden.

[via BooCompany, Stationäre Aufnahme]