Schlagwort: Killerspiele

Medien im Blutrausch (2)

Zugegeben: Die Hoffnung, dass Politiker wie der bayerische Innenminister Joachim Herrmann oder Journalisten wie der „Tagesspiegel“-Krawallkommentator Malte Lehming für die im folgenden genannten Argumente zugänglich sein könnten, stellt selbst meinen Glauben an die Kraft der Aufklärung auf eine harte Probe.

Trotzdem.

Matthias Dittmayer schreibt mir:

Ich hatte vor etwas längerer Zeit frustriert von der sogenannten Berichterstattung über „Killerspiele“ ein Youtube-Video veröffentlicht, das durch den Blogeintrag „Medien im Blutrausch“ ein voller Erfolg wurde. 1,5 Millionen Zugriffe, Artikel in der „Welt“, dem „Tagesspiegel“ und sogar eine kleine Meldung in der „FAZ“. Dachte ich mir zumindest. Jetzt nach Winnenden ist alles schlimmer als zuvor. Journalisten, Polizisten, Politiker und Wissenschaftler geben mehr Schwachsinn von sich als je zuvor. Und ihnen wird geglaubt. So sprang der „Focus“ mit dem Artikel „Killt die Killerspiele“ und viele anderen Formate auf die allgemeine Hetze an. Was haben z.B. diese Aussagen gemeinsam:

— Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Hessen, Heini Schmitt:

„Es ist bekannt, dass in allen Fällen, in denen es zu Amokläufen kam, die Täter einen ausgeprägten Hang zu sogenannten Killerspielen hatten. […] Die Welt wird nicht ärmer, wenn es keine Killerspiele mehr gibt.“

„Tagesspiegel“, Malte Lehming:

„Es ist kein Zufall, dass Killerspiele ursprünglich in Militärkreisen entwickelt wurden, um Soldaten emotionsloser, sprich: effektiver, zu machen.“

Sie sind in jeglicher Hinsicht falsch. Das interessiert aber niemanden. Die Bahn stellt Werbung für „Killerspiele“ ein, Galeria Kaufhof hat Spiele mit einer höheren Freigabe als „ab 16“ aus dem Sortiment genommen, Media Markt aus den Regalen, und die „ab 16“ zum Teil gleich mit. Vor dem Kauf eines Killerspieles werden nun Name und Anschrift der wohl potentiellen Amokläufer erfasst, ohne rechtlich wohl erforderliche Einwilligung. In Stuttgart und Nürnberg wurden Veranstaltungen der ESL (quasi die Bundesliga der Videospiele) untersagt, da dort CounterStrike gespielt wird. Die Medien zeigen ihre Macht, die Wahrheit ist dabei unerheblich.

Ich habe ein neues Video gemacht, das Aussagen wie die obigen als das entlarvt, was sie sind. Schlichtweg falsch. Ich finde es übrigens bedauerlich, dass man sowas kaum in den etablierten Medien findet. Schließlich studiere ich Rechtswissenschaften, und verständlich, geschweige denn ansprechend zu schreiben, ist nun wahrlich keine Qualifikation eines Juristen.

Hier ist seine neue „Gegendarstellung“:

Finale Journalisten-Fantasien

Die Jugendlichen, die ein Ehepaar in Tessin auf brutale Art getötet haben sollen, haben sich also vor der Tat anscheinend den Film „Final Fantasy VII — Advent Children“ angesehen.

Einen Trailer kann man sich hier (.mov) ansehen. [Nachtrag: Die Filmfreunde haben eine ausführliche Kritik.] Es scheint alles andere als ein friedlich-harmonischer Film zu sein. Andererseits schreiben uns BILDblog-Leser, die ihn gesehen haben, dass kein Blut fließe, niemand mit einem Schwert niedergemetzelt werde und die Gesamtzahl der Toten etwa vier betrage. Der Film ist in Deutschland ab 12 Jahren freigegeben, in den USA (wegen „intensiver Science-Fiction-Action-Gewalt“) ab 13, in Großbritannien (wegen „milder Fantasy-Gewalt“) de facto ab 8.

Das ist doch interessant: Wenn ein Film, der harmlos genug ist, um von Zwölfjährigen gesehen zu werden, dazu taugt, zwei Jugendlichen irgendwie als Vorlage für eine grauenhafte Gewalttat zu dienen — deutet das nicht darauf hin, dass nicht die Filme Menschen gewalttätig machen, sondern gewalttätige Menschen sich irgendwo die Vorlagen für ihre Gewalt suchen? Und sie sogar dort finden, wo andere Menschen nur mehr oder weniger harmlose Inhalte sehen?

Ohne den naheliegenden Fehler zu begehen, von diesem Einzelfall auf alle zu schließen, scheint er doch ein interessantes Beispiel zu sein, um die Debatte um die Wirkung von Gewaltdarstellungen in Filmen und Computerspielen zu versachlichen. Und von den simplen, falschen Kausalitäten wegzukommen.

Aber was machen die Medien? Sie verhindern diese Versachlichung der Diskussion schon dadurch, dass sie diesen Film nun reflexartig einen „Gewaltfilm“ nennen, so wie sie vorher das Computer-Rollenspiel „Final Fantasy VII“ (ebenfalls frei ab 12) als „Killerspiel“ bezeichneten. Die Nachrichtenagentur dpa schreibt:

Den seit Tagen diskutierten Zusammenhang der Tat mit Gewaltfilmen und Computerspielen bekräftigte die 15-jährige Geisel, die in „Stern TV“ von den Geschehnissen am Tatabend berichtete: Die beiden Jungen hätten zunächst im Haus von Felix den Gewaltfilm „Final Fantasy“ angesehen. Sie seien auch von dem dazugehörenden Computerspiel begeistert gewesen.

Die Nachrichtenagentur AP berichtet unter der Überschrift:

Jugendliche sahen vor Tessiner Bluttat Gewaltvideo

Und am Mittwoch abend behauptet dpa:

Die Hinweise verdichten sich den Erkenntnissen nach, dass sich die beiden 17-Jährigen bei ihrer Tat von „Final Fantasy“ leiten ließen, von dem es auch eine Computerspiel-Variante gibt.

Bei n-tv.de scheint immerhin jemand noch soviel Verstand gehabt zu haben, die Überschrift „Gewaltvideo ‚Final Fantasy‘ wird Wirklichkeit“ nachträglich abzuschwächen.

Wenn schon keiner der Kollegen in die Videothek geht, um sich diesen verdammten Film einmal selbst anzusehen (ich ja auch nicht) — könnten sie nicht wenigstens stutzen, wenn sie die Überschrift „Schüler sahen vor Tötung Gewalt-Video an“ über einen Artikel setzen, in dem es heißt: „Das Video ist bereits für Zwölfjährige freigegeben“?

Manchmal denke ich wirklich, es ist hoffnungslos mit den Journalisten.

Killer-AGs

Das Journalisten-Rennen darum, wer größten Unsinn über die medialen Ursachen für die Gewaltat von Tessin schreibt, ist noch im vollen Gange. Aber der Kollege vom „Tagesspiegel“ liegt seit gestern uneinholbar in Führung, als er im Rahmen seiner Motivsuche über die Täter schrieb:

„Aus der Tatsache, dass die beiden die Computer-AG der Schule leiteten, will [Schulleiter] Stern keinen Grund ableiten.“

[via blargh]