Schlagwort: Nikolaus Brender

Nikolaus Brender und die Heuchler

Vor siebeneinhalb Jahren, im Juni 2002, haben Wolfgang Clement und Heide Simonis ihre Sitze im Verwaltungsrat des ZDF niedergelegt. Einen Platz hätten die beiden damaligen SPD-Ministerpräsidenten ohnehin räumen müssen, weil die CDU gerade die Mehrheit im Bundesrat und damit einen zusätzlichen Sitz im obersten ZDF-Gremium erobert hatte — ihn bekam ein Mann namens Roland Koch. Aber Simonis und Clement gaben einen weiteren Sitz auf, um für mehr Staatsferne des Senders zu demonstrieren. „Es kann nicht richtig sein, dass Politiker, namentlich Regierungsmitglieder, die Gegenstand kritischer Berichterstattung sind, gleichzeitig die Entscheidungsgewalt über einen Sender innehaben“, hatte Clement gesagt. Eine unabhängige, politikferne und sachkompetente Persönlichkeit solle den vakanten Platz anstelle des üblichen Ministerpräsidenten übernehmen. Es wurde der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm. Er lehnte es auch ab, in einem der berüchtigten „Freundeskreise“ der beiden früheren Volksparteien Mitglied zu werden.

Es war eine gute Aktion der beiden SPD-Leute, an die in diesen Tagen aus aktuellem Anlass erinnert wird. Leider wird zu selten daran erinnert, was passierte, als Grimm nach fünf Jahren wieder aus dem Verwaltungsrat ausschied: Als seinen Nachfolger bestimmte die SPD eine Person, die weder unabhängig noch politikfern noch sachkompetent war: Matthias Platzeck, den brandenburgischen Ministerpräsidenten.

Soviel zum Willen der Sozialdemokratischen Partei, das ZDF dem direkten Zugriff der Parteien zu entziehen.

Wenn die Medien also wenigstens darauf verzichten könnten, im Fall Brender den Heucheleien eines Klaus Wowereit eine Plattform zu geben — es wär‘ schon viel gewonnen.

Ich hoffe, dass Nikolaus Brender am kommenden Freitag keine Mehrheit im Verwaltungsrat bekommt. Dass die CDU-Schergen für einen Eklat sorgen und den Vorschlag von ZDF-Intendant Markus Schächter für eine weitere Amtszeit des Chefredakteurs ablehnen.

Denn wenn Roland Koch ohne gute Gründe einen Chefredakteur abwählen lässt, nur weil er es kann, ist das schlimm. Der eigentliche Skandal ist es aber, dass er es kann.

Und um daran etwas zu ändern, muss die Sache noch viel mehr eskalieren. Wenn aber durch irgendein Wunder oder späte Einsicht einiger Unionsvertreter Brender doch noch im Amt bestätigt würde, könnten alle wieder zur Tagesordnung zurückkehren. In den vergangenen Wochen und Monaten haben so viele Menschen öffentlich erklärt, dass die Nicht-Wiederwahl Brenders das Ende der Rundfunkfreiheit symbolisieren würde, dass man Brenders Bestätigung fälschlicherweise für den Beweis der Staatsferne des ZDF halten könnte.

„Welt“-Kommentator Eckhard Fuhr, dem ich in fast allen Punkten seiner Analyse dieses Falls widersprechen würde, hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass sich die Frage, ob ein öffentlich-rechtliches Gremium in seiner Zusammensetzung verfassungsgemäß ist, nicht daran messen lässt, welche Beschlüsse es fasst. Auch wenn der ZDF-Verwaltungsrat dem angekündigten Vorschlag des Intendanten zur Besetzung der Chefredaktion folgen sollte, würde es nichts daran ändern, dass es unerträglich ist, dass Regierungsvertreter über diese Frage entscheiden.

Deshalb stimmt auch Christian Bartels ironischer Einwurf im „Altpapier“, dass man sich gut überlegen soll, ob man den offenen Brief von Juristen und Bloggern an den Verwaltungsrat unterschreiben will, der mit dem Aufruf endet, „die Unabhängigkeit des Rundfunks zu bewahren“:

Wer unterschreibt, unterschreibt also sozusagen, dass derzeit, zumindest bis zum Freitag, diese Unabhängigkeit des Rundfunks noch besteht.

All die fast ermüdenden offenen Briefe und Solidaritätsbekundungen sind trotzdem gut, denn sie tragen zu einer Eskalation bei und schneiden Intendant Schächter den Rückzug auf halbgare Kompromisse ab. Schächter ist Meister im Kungeln (oder wie man das freundlicher nennt: im Machtpoker hinter den Kulissen). Vermutlich hätte er sich längst auf einen anderen Kandidaten festgelegt, wenn die Auseinandersetzung nicht von außen zu einer solchen Grundsatzfrage hochstilisiert worden wäre. Schächter beherrscht blendend die Spielregeln solcher Auseinandersetzungen, bei denen das oberste Gebot „Gesicht wahren“ lautet. Es ist schwer zu erkennen, wie ihm das angesichts der zugespitzten Konfrontation gelingen soll, und das ist gut so.

Man darf nicht vergessen, dass Schächter heute nur deshalb Intendant des ZDF ist, weil das ZDF so im Griff der Parteien ist. Nach einem monatelangen Gezerre der Parteipolitiker stellte er sich 2002 als der einzige mehrheitsfähige Kandidat heraus. Mein Kollege Nils Minkmar schrieb damals in der „FAS“:

Es wurde der gewählt, den zwar lange Zeit alle verhindern wollten, der aber als einziger Unions-Kandidat die Stimmen der SPD-Minderheit im Fernsehrat bekommen würde, weil durch seinen Aufstieg ein Posten für einen SPD-Mann frei wird.

Das sollte sich als große Täuschung herausstellen, denn wenige Monate später wurde klar, dass auch der neue Programmdirektor ein CDU-Mann sein müsse, und das Gezerre war einem Ausmaß unwürdig, dass man denken konnte, alle Beteiligten würden aus reiner Scham schon von weiteren Wiederholungen absehen, aber damit würde man den Machthunger der Partien natürlich absurd unterschätzen.

Wenn die SPD so massiv den Chefredakteur Nikolaus Brender verteidigt, der in den vergangenen Monaten zu einem merkwürdig übersteigerten Symbol für journalistische Unabhängigkeit geworden ist, darf man das nicht mit einem Unabhängigkeitskampf verwechseln. Die SPD muss die Pläne der Union auch deshalb so massiv abwehren, weil die Besetzung des Chefredakteursposten beim ZDF traditionell den Sozialdemokraten zusteht. Die politische Geschäftsgrundlage sieht vor, dass die Union Intendant und Programmdirektor bestimmt, die SPD Verwaltungsdirektor und Chefredakteur. Deshalb konnte auch Hans Janke 2002 nicht als Nachfolger Schächters Programmdirektor werden, denn Janke galt zwar (im Gegensatz zu Thomas Bellut, der es dann wurde) als besonders kompetent, aber aus irgendwelchen Gründen auch (ebenfalls im Gegensatz zu Thomas Bellut) als SPD-nah. Wie wenig sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch damals schon für die Besetzung nach Parteipräferenzen genierte, verdeutlichte epd-Medien damals in einem Bericht über die Sitzung des Verwaltungsrates:

Nach epd-Informationen reagierten die Unionsvertreter — namentlich der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel und dessen hessischer Amtskollege Roland Koch — ungehalten auf das Vorgehen der sozialdemokratisch orientierten Seite.

Koch kritisierte dabei u.a. auch den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des ZDF-Verwaltungsrates, Kurt Beck, weil er öffentlich für Janke als neuen Programmdirektor eingetreten sei und damit die vorherige Vereinbarung mit Vogel, dass für diese Position der Union die Präferenz zustehe, aufgekündigt worden sei.

Das Eins-links-eins-rechts-einen-fallenlassen-Spiel wird auch in den Niederungen der Hierarchie fortgesetzt, wie ein weiterer Satz aus derselben Meldung verdeutlicht:

Unter parteipolitischen Gesichtspunkten sei bei den Personalien Ekkehardt Gahntz als neuer Leiter Wirtschaft, Soziales und Umwelt für die „rote“ Seite ein Problem gewesen, umgekehrt habe die „schwarze“ Seite Schwierigkeiten mit dem Vorschlag Bettina Schausten als neue Innenpolitik-Chefin gehabt.

Wenn die SPD so besorgt ist um das Hineinregieren der Politik in das ZDF, warum zieht sie dann nicht einseitig ihre Parteivertreter oder wenigstens die Regierungsvertreter aus den Gremien des Senders zurück — insbesondere Kurt Beck, den Vorsitzenden des Verwaltungsrates und Ministerpräsidenten des Landes, in dem das ZDF seinen Sitz hat, eine besonders enge Verbindung? Was hält sie davon ab, ihre Plätze mit unabhängigen Persönlichkeiten zu besetzen oder gar von unabhängigen Gremien bestimmen zu lassen? Die Sorge, dass die CDU dann durchregieren würde und sich einen peterhahnesken Sender ganz nach dem Geschmack von Roland Koch basteln könnte?

Aber das wäre doch wunderbar, dann wäre für jeden sichtbar, in welchem Maße das ZDF im Griff der Parteipolitik ist — und der unerträgliche Zustand wäre endlich wirklich unerträglich. Wenn hingegen Nikolaus Brender am Freitag gewählt wird, ist wieder Ruhe, und Union und SPD können weitermachen wie bisher, und bei der nächsten Wahl geht alles wieder von vorne los.

Nein, Markus Schächter muss in diese Auseinandersetzung mit den Partei- und Regierungsvertretern gezwungen werden — und zur Aufgabe des traditionellen Konsens mit diesen Leuten. NDR-Justiziar Werner Hahn hat in einem Beitrag für die FAZ mehrere Varianten erklärt, wer gegen die Zusammensetzung des Verwaltungsrates klagen könnte. Keine der Varianten ist sehr realistisch. Ein Drittel der Bundestagsabgeordneten wäre zum Beispiel ausreichend, also etwa SPD plus Grüne: „Mit Blick auf die Machtinteressen auch der SPD in Rundfunkfragen dürfte aber dieses Szenario ebenfalls äußerst unwahrscheinlich sein“, schreibt Hahn. Bliebe, unter bestimmten Voraussetzungen, der ZDF-Intendant, wenn er es wagte, sich offen mit den Politikern anzulegen, was ganz etwas Neues wäre.

Irgendjemand muss den Parteien sagen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht ihnen gehört, sondern uns. Irgendjemand muss ihnen das ZDF wegnehmen. Nicht nur dem Koch, auch dem Beck.

 

Koch & ich

Ich habe heute meinen ersten Ministerpräsidenten interviewt.

Und zum ersten Mal die erste Seite des F.A.Z.-Feuilletons vollgeschrieben.

Jetzt bin ich ein bisschen erschöpft.

Nun würde eigentlich gerne ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, mit was für Aufregung eine solche Geschichte verbunden ist — insbesondere, weil Roland Koch (der eigentlich gerade im Urlaub ist) sich bis zu diesem Interview nicht zu der von ihm betriebenen Demontage des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender geäußert hatte. Aber erstens weiß ich nicht, wie die F.A.Z. das fände, und zweitens fehlt mir die Zeit.

Interessant wäre aber die Frage, ob das eigentlich journalistisch in Ordnung (oder schlichter: nett) ist, die Aussagen eines Interviewpartners in derselben Ausgabe gleich kritisch zu kommentieren.

Und dank der Prozesshanselei des angeblich ersten Journalisten von Burda, Helmut Markwort (der ebenso wie sein früherer „Spiegel“-Kollegen Stefan Aust gerade effektiv für Einschränkungen der Pressefreiheit in Deutschland kämpft), ist da auch noch eine andere Frage: Wenn ich als Interviewer nach Ansicht von Markwort, Aust und Gerichten auch dafür verantwortlich bin, keine falschen Tatsachenbehauptungen des Interviewten zu veröffentlichen — wie gehe ich dann damit um, dass Koch behauptet, dass die „Heute“-Sendung 2008 von weniger Menschen gesehen wurde als „RTL aktuell“ (was nicht stimmt, ich aber erst hinterher nachschlagen konnte). Oder damit, dass er Claus Kleber als den Rädelsführer hinter dem Offenen Brief so vieler leitender und prominenter ZDF-Mitarbeiter darstellt (was anscheinend auch nicht der Wahrheit entspricht)?