Kurz verlinkt (43)

Der November ist wenigstens ehrlich und macht seinen Job: Er reißt die letzten bunten Blätter von den Bäumen, schiebt regelmäßig seine dunklen Wolken vor die Sonne, lässt kalten Regen auf die graue Stadt fallen und sagt: Meint Ihr mir macht das Spaß? Als die Feiertage verteilt wurden, sagte er, O.K. Leute, ich nehme den Volkstrauertag und den Totensonntag, muss man nicht drumrum reden, passt halt ganz gut mir und irgendwer muss es ja machen. Ja, ich weiß, ist Dunkel, mach halt Licht an.

Christian Gottschalk rechnet mit dem ollen Dezember ab — und verrät als praktischen Service, was im nächsten Monat in den Zeitungen stehen wird.

Bausch am Sonntag

Zehn Tage ist die Verleihung des Hans-Bausch-Mediapreises jetzt schon her, und so merkwürdig mir die Aufmerksamkeit erscheint, die mir da entgegengebracht wurde (am Bahnhof in Stuttgart stand ein SWR-Kamerateam, um zu filmen, wie ich aus dem Zug stieg!), und so schwindelerregend mir das Podest vorkommt, auf das man mich da gestellt hat — es war eine besondere Anerkennung und ein toller Abend. (Ich hatte erst überlegt, darüber einen längeren Erlebnisaufsatz zu schreiben, kam mir dabei aber auch seltsam vor. Deshalb stattdessen nur dieser späte, kurze Hinweis.)

Wer mag, kann sich hier die Fernsehsendung ansehen und hier einige Fotos von Mario Sixtus.

Das Grauen im Zeichen des goldenen Rehs: Die Bambi-Verleihung 2009

27. November 2009, 09:30 Uhr
Das Gute an dieser Bambi-Verleihung (und glauben Sie mir, es ist nicht einfach, einen Eintrag über diese Bambi-Verleihung mit den Worten „Das Gute an dieser Bambi-Verleihung“ zu beginnen), jedenfalls: Das Gute an dieser Bambi-Verleihung war, dass man als Zuschauer vor dem Fernseher das Gefühl hatte, mit seinem Grausen nicht allein zu sein. Auch das Publikum im Saal schien von einer lähmenden Fassungslosigkeit ergriffen zu sein und reagierte auf das, was es sich da ansehen und anhören musste, indem es sich über weite Strecken totstellte. Zwischenzeitlich hatte ich das Gefühl, dass sich auch Regisseur und Aufnahmeleiter entweder erhängt oder ins Ausland abgesetzt hatten – vielleicht waren sie aber auch nur damit beschäftigt, hinter der Bühne Autoren und Verantwortliche zu würgen.

Nun soll man ja mit Superlativen vorsichtig sein, und die Reihe misslungener Preisverleihungen ist lang, aber dieser Abend war in seiner Furchtbarkeit etwas besonderes.

Anstelle von Moderatoren führten die DDR-Eiskunstläuferin Katarina Witt und der Sportkommentator Tom Bartels mit der Geschmeidigkeit sehr großer Eisberge durch den Abend. Die Pointen (oder besser: „Pointen“), die ihnen die Autoren geschrieben hatten, legten sie jeweils vor sich auf den Boden, um dann unter ohrenbetäubendem Schweigen des Publikums darüber zu stolpern. Für einen winzigen Moment immerhin hatte Witt meine Sympathien: Peter Maffay hatte gerade mit einer Schar traumatisiert wirkender „Kinder der Einheit“, die aussahen, als hätte man sie mit der Androhung lebenslangen Eis- und Computerentzuges zu diesem Auftritt genötigt, „Über sieben Brücken musst Du gehen“ gesäuselt, als Witt versehentlich treffend kommentierte: „Immer wieder zum Weinen schön.“ Dann fügte sie allerdings hinzu: „Die einfühlsame Interpretation unseres Karat-Songs“, und das klang auf eine Art schnippisch, dass man sich man sich fast wünschte, es gäbe noch ein Drüben, wohin man sie zurückschicken könnte.

Zuvor hatte Helmut Kohl für die deutsche Einheit, die anscheinend ganz allein sein Werk ist, einen „Millenniums-Bambi“ erhalten. Theo Waigel überreichte ihn dem geschwächten Altkanzler zuhause. Offenbar per Videobotschaft ins Wohnzimmer gratulierte dann José Manuel Barroso auf deutsch, was vielleicht für Kohl ein bewegender Moment war, für die Zuschauer in der Potsdamer Halle und zuhause aber doch eine eher abwegige Idee. Über Helmut Kohl hieß es in dem Film, der ihn preisen sollte: „Den Mächtigen der Welt begegnete Kohl auf Augenhöhe“, was nur einer von vielen merkwürdigen Sätzen an diesem Abend war, die aber meist innerhalb von Sekunden durch eine weitere verunglückte Situation selig in Vergessenheit gerieten. In diesem Fall konkret durch die Worte, die Tom Bartels an den Kanzler in die Ferne richtete:

„Wir haben auch noch eine ganz besondere Überraschung für Sie. Denn ohne deutsche Einheit ständen diese beiden Kinder heute nicht hier. Sie haben einen entscheidenden Anteil zur deutschen Einheit beigetragen. Denn diese beiden Kinder haben Eltern aus Ost- und aus Westdeutschland.“

Und dann standen da zwei eingeschüchterte Kinder, die zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer wie Naturwunder präsentiert wurden und aufzählen mussten, woher ihre Eltern stammen.

Maximilian Schell bekam noch einmal einen Lebenswerk-Bambi, Kate Winslet wurde als „Schauspielerin International“ ausgezeichnet, Giorgia Armani für Kreativität und die Klitschko-Brüder für Sport, Wolfgang Joop wurde von seiner Tochter Jette mit einem Sonder-Bambi überrascht („Der einzige wirkliche Superstar: Mein Papi!“), und Jürgen Schulz für sein Engement für Familien mit schwerst- und unheilbar kranken Kindern gewürdigt.

Die Zuschauer konnten live per Telefon das „TV-Ereignis des Jahres“ bestimmen („Krupp – eine deutsche Familie“), leider aber weder die Moderatoren, noch die Autoren aus der Sendung wählen, die fast jede Beschreibung der Preisträger und Nominierten aus der Grabbelkiste mit den Standardfloskeln gefischt hatten: Edgar Selge? „In jeder Sekunde verschmolzen mit seiner Filmfigur.“ Christian Ulmen? „Erobert die Herzen der Kinobesucher.“ Florian-David Fitz? „Verkörpert genial den modernen Mann zwischen Perfektion und Chaos.“ Simone Thomalla? „Eine Powerfrau, die sich jeder Herausforderung stellt.“

Doch, bei Christoph Waltz war ihnen etwas Besonderes eingefallen: „Wer mit Brad Pitt in einer Liga spielt, macht sich einen Namen in der ganzen Welt.“ Ja. Naja.

Ein seltener Lichtblick an diesem Abend, der sonst zwischen Roboterhaftigkeit und Peinlichkeit pendelte, war der Auftritt von Stephanie zu Guttenberg, der Frau des Verteidigungsministers, der wegen der aktuellen Diskussionen über den deutschen Angriff in Afghanistan kurzfristig abgesagt hatte. Sie sagte:

„Mein unmöglicher Mann hat mir vor anderthalb Stunden dieses Redemanuskript zugesteckt, auf die politische Gemengelage verwiesen und irgendwie so ein ‚Ich liebe Dich‘ gemurmelt und betont, dass er die Rede im Zweifel frei gehalten hätte. Denken Sie sich einfach bei den nächsten Worten den Verteidigungsminister in dieses Abendkleid.“

Sie verlas dann sehr sympathisch eine Laudatio auf Uli Hoeneß, die viel zu lang war (was aber ja nicht ihre Schuld war) und die sie mit den Worten beendete: „Sie haben ihn wirklich verdient, den Bambi, aber nicht verdient haben sie meine holprige Rede, die ich gerade zum ersten Mal gelesen habe.“

Dass es trotzdem vergleichsweise angenehm war, ihr zuzuhören, lag auch daran, dass sie einfach vom Zettel ablas und nicht wie fast alle anderen vom Teleprompter. Beim Ablesen klangen die meisten der vermeintlichen Profis wie Kinder in der vierten Klasse, die sich so sehr auf das richtige Erfassen der Wörter konzentrieren, dass sie das, was sie da sagen, nicht gleichzeitig auch noch verstehen können. Besonder bizarr wirkte das bei den Scorpions, die zu dritt haarscharf an der Kamera vorbei auf die ihnen offenkundig fremden Buchstaben schauten und aussahen, als würden sie am liebsten ihre Finger über die Zeilen gleiten lassen, während sie schon damit überfordert waren, noch wie respektable Hardrocker auszusehen und dabei Shakira zu loben.

Christoph Wonneberger, der Pfarrer, der in der Leipziger Nikolaikirche die Friedensgebete koordiniert hatte, aus denen sich die die Montagsdemonstrationen entwickelten, wurde dafür mit einem „Stille Helden“-Bambi belohnt. Er nutzte die Bühne für einen holprigen, aber von Herzen kommenden Appell zur radikalen Abrüstung und zog aus seinem Anzug eine Fahne „Schwerter zu Pflugscharen“. Er bekam dafür zu Recht deutlich mehr Applaus als Moderator Tom Bartels, der unmittelbar danach gönnerhaft herablassend hinzufügte: „Meine Damen und Herren, wir können heute abend alle frei unsere Meinung äußern, und darauf können wir sehr stolz sein.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber das Publikum ohnehin längst gegen sich.

Außer der Ersatzfrau für den Verteidigungsminister blieben noch Laudator Michael Mittermaier, der das Publikum im Saal aufweckte, und Roland Emmerich positiv in Erinnerung: Der Katastrophenfilm-Regisseur, weil er erzählte, dass er so ein Bambi immer schon gerne haben wollte und sich erinnerte, wie er als Teenager vor dem Fernseher saß und sah, wie ihn so Leute wie Uschi Obermaier bekamen — nein: Uschi Glas!, naja, ist ja auch schon zwanzig Jahre her. Schnitt auf Uschi Glas im Publikum. Wenn sie klug ist, bleibt sie nächstes Jahr zuhause. Und die anderen auch.

Hajo Schumacher rächt seinen Prometheus

Der Kolumnist, Buchautor und N24-Kommentator Hajo Schumacher ist ein Mann, der dafür plädiert, Verantwortung zu übernehmen. Sich zum Beispiel nicht darüber zu beklagen, wenn Verlage ihre Mitarbeiter mit einem lächerlichen Hungerlohn abspeisen, sondern einfach die Fesseln der Abhängigkeit abwerfen, sich selbständig machen, und — wie ich — mit Haltung, Fleiß und Leidenschaft Arbeitsplätze schaffen.

Nun gut, ich finde die Formulierung mit den „Arbeitsplätzen“, was mich betrifft, ziemlich abwegig, und wenn ich ehrlich bin, erleichtert es mein Leben ganz enorm, dass ich nicht vom Bloggen allein leben muss, sondern auch für eine Zeitung wie die FAZ arbeiten kann, die mich ordentlich bezahlt. Aber irgendwie bin ich zu einem Positivbeispiel in einem Text des Kollegen Hajo Schumacher geworden, und das ist unangenehm genug.

Jedenfalls plädiert dieser Hajo Dampf in allen Gassen dafür, dass Menschen Verantwortung für ihr Leben übernehmen anstatt nur jammern und andere für das eigene Elend verantwortlich machen. Das gilt aber nicht für ihn selbst. Daran, dass der von ihm ins Leben gerufene Preis „Goldener Prometheus“ das Zeitliche segnete, ist jedenfalls nicht Hajo Schumacher Schuld — sondern der freie Journalist und Autor Tom Schimmeck.

Als Schumacher in seinem PDF „V.i.S.d.P.“, einem Überbleibsel des gleichnamigen gleichfalls verblichenen Vorgängermagazins, vor ein paar Wochen das Ableben bekannt gab, blieb er noch vage und schrieb:

Nun wird dem Goldenen Prometheus das Licht ausgeblasen, denn selbst mit der bisher praktizierten Selbstausbeutung ist die Party nicht mehr finanzierbar. Zudem nervt das bisweilen bösartige Gemäkel einer notorisch schlechtlaunigen Branche.

Gegenüber der Seite journalistenpreise.de aber sprach er jetzt etwas, das man für Klartext halten könnte:

„Ungerecht in die Fresse“

„Heftig touchiert“ habe ihn 2009 außerdem ein Beitrag in der Süddeutschen Zeitung. „Der Artikel hat mir zuerst die Laune versaut und uns dann die Sponsoren vertrieben. Autor Tom Schimmeck, der früher mal für ordentliche Recherche bekannt war, hat es nicht für nötig gehalten, mit uns zu reden. Aber vorher hat er die ganze alte Stereotypen-Soße ausgekippt, weil man es doch tatsächlich gewagt hat, Sponsoren aufzutreiben. Das soll im Preis-Gewerbe allerdings relativ normal sein, weil so ein Abend um die 200 000 Euro kostet. In Frankfurt beim Deutschen Journalisten Preis holen sich die feinsten Kollegen Kohle ab, die von der Derivate-Branche spendiert wird. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand aus ethischen Gründen auf 10 000 Euro verzichtet hätte“, so Dr. Schumacher.

Seit der Veröffentlichung habe er großes Verständnis für Politiker und anderen Personen, die sich heftig zur Wehr setzen gegen recherchefreien Totschläger-Feuilletonismus. „Es gibt kaum Chance zur Gegenwehr. Fakt ist: So ein Artikel, mag er noch so dünn sein, steht auf ewig in den Archiven. Dass potentielle Sponsoren sich solche Kritiken anschauen und dann abwinken, das ist doch normal. Und am nächsten Tag wird in derselben Süddeutschen Zeitung mit viel Timbre im Text von den Machenschaften böswilliger Kollegen berichtet – dieses Empörungsgeheuchel ist widerwärtig.“

Schimmecks Artikel, den er meint, kann man hier nachlesen, und es überrascht mich nicht, dass Hajo Schumacher zwar kein Problem mit PR-treibenden Journalisten hat, aber mit kritischem Journalismus.

Der Text auf journalistenpreise.de lässt nur vermuten, dass die beunruhigende Formulierung vom „recherchefreien Totschläger-Feuilletonismus“ auch von Schumacher stammt, aber auch den Vorwurf, dass Schimmeck mit „uns“ nicht geredet hat, widerlegt der SZ-Artikel selbst: Offenkundig hat der Autor mit Rudolf Hetzel gesprochen, dem Eigentümer des rührigen PR-Verlages Helios und früheren Geldgeber von Schumachers Projekten. Hetzel kommt mit vielen Zitaten zu Wort. Schimmeck sagt, dass er für den Artikel zwei Interviews mit Hetzel geführt habe.

Das muss die „Recherchefreiheit“ sein, die Schumacher meint. Wenigstens ist jetzt klar, warum er neulich, als es um die Verantwortung von Verlegern und Journalisten ging, so besinnungslos auf Schimmeck eingeschlagen hat, sein Denken „zutiefst menschenfeindlich“ nannte und ihn mit dem „Fossil“ Margot Honecker verglich. Weil er glaubt, dass Schimmeck seinem Prometheus das Feuer ausgepustet hat.

(Dass ich der Meinung bin, dass es um diesen komischen Preis nicht schade ist, ist keine Überraschung.)

Nikolaus Brender und die Heuchler

Vor siebeneinhalb Jahren, im Juni 2002, haben Wolfgang Clement und Heide Simonis ihre Sitze im Verwaltungsrat des ZDF niedergelegt. Einen Platz hätten die beiden damaligen SPD-Ministerpräsidenten ohnehin räumen müssen, weil die CDU gerade die Mehrheit im Bundesrat und damit einen zusätzlichen Sitz im obersten ZDF-Gremium erobert hatte — ihn bekam ein Mann namens Roland Koch. Aber Simonis und Clement gaben einen weiteren Sitz auf, um für mehr Staatsferne des Senders zu demonstrieren. „Es kann nicht richtig sein, dass Politiker, namentlich Regierungsmitglieder, die Gegenstand kritischer Berichterstattung sind, gleichzeitig die Entscheidungsgewalt über einen Sender innehaben“, hatte Clement gesagt. Eine unabhängige, politikferne und sachkompetente Persönlichkeit solle den vakanten Platz anstelle des üblichen Ministerpräsidenten übernehmen. Es wurde der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm. Er lehnte es auch ab, in einem der berüchtigten „Freundeskreise“ der beiden früheren Volksparteien Mitglied zu werden.

Es war eine gute Aktion der beiden SPD-Leute, an die in diesen Tagen aus aktuellem Anlass erinnert wird. Leider wird zu selten daran erinnert, was passierte, als Grimm nach fünf Jahren wieder aus dem Verwaltungsrat ausschied: Als seinen Nachfolger bestimmte die SPD eine Person, die weder unabhängig noch politikfern noch sachkompetent war: Matthias Platzeck, den brandenburgischen Ministerpräsidenten.

Soviel zum Willen der Sozialdemokratischen Partei, das ZDF dem direkten Zugriff der Parteien zu entziehen.

Wenn die Medien also wenigstens darauf verzichten könnten, im Fall Brender den Heucheleien eines Klaus Wowereit eine Plattform zu geben — es wär‘ schon viel gewonnen.

Ich hoffe, dass Nikolaus Brender am kommenden Freitag keine Mehrheit im Verwaltungsrat bekommt. Dass die CDU-Schergen für einen Eklat sorgen und den Vorschlag von ZDF-Intendant Markus Schächter für eine weitere Amtszeit des Chefredakteurs ablehnen.

Denn wenn Roland Koch ohne gute Gründe einen Chefredakteur abwählen lässt, nur weil er es kann, ist das schlimm. Der eigentliche Skandal ist es aber, dass er es kann.

Und um daran etwas zu ändern, muss die Sache noch viel mehr eskalieren. Wenn aber durch irgendein Wunder oder späte Einsicht einiger Unionsvertreter Brender doch noch im Amt bestätigt würde, könnten alle wieder zur Tagesordnung zurückkehren. In den vergangenen Wochen und Monaten haben so viele Menschen öffentlich erklärt, dass die Nicht-Wiederwahl Brenders das Ende der Rundfunkfreiheit symbolisieren würde, dass man Brenders Bestätigung fälschlicherweise für den Beweis der Staatsferne des ZDF halten könnte.

„Welt“-Kommentator Eckhard Fuhr, dem ich in fast allen Punkten seiner Analyse dieses Falls widersprechen würde, hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass sich die Frage, ob ein öffentlich-rechtliches Gremium in seiner Zusammensetzung verfassungsgemäß ist, nicht daran messen lässt, welche Beschlüsse es fasst. Auch wenn der ZDF-Verwaltungsrat dem angekündigten Vorschlag des Intendanten zur Besetzung der Chefredaktion folgen sollte, würde es nichts daran ändern, dass es unerträglich ist, dass Regierungsvertreter über diese Frage entscheiden.

Deshalb stimmt auch Christian Bartels ironischer Einwurf im „Altpapier“, dass man sich gut überlegen soll, ob man den offenen Brief von Juristen und Bloggern an den Verwaltungsrat unterschreiben will, der mit dem Aufruf endet, „die Unabhängigkeit des Rundfunks zu bewahren“:

Wer unterschreibt, unterschreibt also sozusagen, dass derzeit, zumindest bis zum Freitag, diese Unabhängigkeit des Rundfunks noch besteht.

All die fast ermüdenden offenen Briefe und Solidaritätsbekundungen sind trotzdem gut, denn sie tragen zu einer Eskalation bei und schneiden Intendant Schächter den Rückzug auf halbgare Kompromisse ab. Schächter ist Meister im Kungeln (oder wie man das freundlicher nennt: im Machtpoker hinter den Kulissen). Vermutlich hätte er sich längst auf einen anderen Kandidaten festgelegt, wenn die Auseinandersetzung nicht von außen zu einer solchen Grundsatzfrage hochstilisiert worden wäre. Schächter beherrscht blendend die Spielregeln solcher Auseinandersetzungen, bei denen das oberste Gebot „Gesicht wahren“ lautet. Es ist schwer zu erkennen, wie ihm das angesichts der zugespitzten Konfrontation gelingen soll, und das ist gut so.

Man darf nicht vergessen, dass Schächter heute nur deshalb Intendant des ZDF ist, weil das ZDF so im Griff der Parteien ist. Nach einem monatelangen Gezerre der Parteipolitiker stellte er sich 2002 als der einzige mehrheitsfähige Kandidat heraus. Mein Kollege Nils Minkmar schrieb damals in der „FAS“:

Es wurde der gewählt, den zwar lange Zeit alle verhindern wollten, der aber als einziger Unions-Kandidat die Stimmen der SPD-Minderheit im Fernsehrat bekommen würde, weil durch seinen Aufstieg ein Posten für einen SPD-Mann frei wird.

Das sollte sich als große Täuschung herausstellen, denn wenige Monate später wurde klar, dass auch der neue Programmdirektor ein CDU-Mann sein müsse, und das Gezerre war einem Ausmaß unwürdig, dass man denken konnte, alle Beteiligten würden aus reiner Scham schon von weiteren Wiederholungen absehen, aber damit würde man den Machthunger der Partien natürlich absurd unterschätzen.

Wenn die SPD so massiv den Chefredakteur Nikolaus Brender verteidigt, der in den vergangenen Monaten zu einem merkwürdig übersteigerten Symbol für journalistische Unabhängigkeit geworden ist, darf man das nicht mit einem Unabhängigkeitskampf verwechseln. Die SPD muss die Pläne der Union auch deshalb so massiv abwehren, weil die Besetzung des Chefredakteursposten beim ZDF traditionell den Sozialdemokraten zusteht. Die politische Geschäftsgrundlage sieht vor, dass die Union Intendant und Programmdirektor bestimmt, die SPD Verwaltungsdirektor und Chefredakteur. Deshalb konnte auch Hans Janke 2002 nicht als Nachfolger Schächters Programmdirektor werden, denn Janke galt zwar (im Gegensatz zu Thomas Bellut, der es dann wurde) als besonders kompetent, aber aus irgendwelchen Gründen auch (ebenfalls im Gegensatz zu Thomas Bellut) als SPD-nah. Wie wenig sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch damals schon für die Besetzung nach Parteipräferenzen genierte, verdeutlichte epd-Medien damals in einem Bericht über die Sitzung des Verwaltungsrates:

Nach epd-Informationen reagierten die Unionsvertreter — namentlich der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel und dessen hessischer Amtskollege Roland Koch — ungehalten auf das Vorgehen der sozialdemokratisch orientierten Seite.

Koch kritisierte dabei u.a. auch den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des ZDF-Verwaltungsrates, Kurt Beck, weil er öffentlich für Janke als neuen Programmdirektor eingetreten sei und damit die vorherige Vereinbarung mit Vogel, dass für diese Position der Union die Präferenz zustehe, aufgekündigt worden sei.

Das Eins-links-eins-rechts-einen-fallenlassen-Spiel wird auch in den Niederungen der Hierarchie fortgesetzt, wie ein weiterer Satz aus derselben Meldung verdeutlicht:

Unter parteipolitischen Gesichtspunkten sei bei den Personalien Ekkehardt Gahntz als neuer Leiter Wirtschaft, Soziales und Umwelt für die „rote“ Seite ein Problem gewesen, umgekehrt habe die „schwarze“ Seite Schwierigkeiten mit dem Vorschlag Bettina Schausten als neue Innenpolitik-Chefin gehabt.

Wenn die SPD so besorgt ist um das Hineinregieren der Politik in das ZDF, warum zieht sie dann nicht einseitig ihre Parteivertreter oder wenigstens die Regierungsvertreter aus den Gremien des Senders zurück — insbesondere Kurt Beck, den Vorsitzenden des Verwaltungsrates und Ministerpräsidenten des Landes, in dem das ZDF seinen Sitz hat, eine besonders enge Verbindung? Was hält sie davon ab, ihre Plätze mit unabhängigen Persönlichkeiten zu besetzen oder gar von unabhängigen Gremien bestimmen zu lassen? Die Sorge, dass die CDU dann durchregieren würde und sich einen peterhahnesken Sender ganz nach dem Geschmack von Roland Koch basteln könnte?

Aber das wäre doch wunderbar, dann wäre für jeden sichtbar, in welchem Maße das ZDF im Griff der Parteipolitik ist — und der unerträgliche Zustand wäre endlich wirklich unerträglich. Wenn hingegen Nikolaus Brender am Freitag gewählt wird, ist wieder Ruhe, und Union und SPD können weitermachen wie bisher, und bei der nächsten Wahl geht alles wieder von vorne los.

Nein, Markus Schächter muss in diese Auseinandersetzung mit den Partei- und Regierungsvertretern gezwungen werden — und zur Aufgabe des traditionellen Konsens mit diesen Leuten. NDR-Justiziar Werner Hahn hat in einem Beitrag für die FAZ mehrere Varianten erklärt, wer gegen die Zusammensetzung des Verwaltungsrates klagen könnte. Keine der Varianten ist sehr realistisch. Ein Drittel der Bundestagsabgeordneten wäre zum Beispiel ausreichend, also etwa SPD plus Grüne: „Mit Blick auf die Machtinteressen auch der SPD in Rundfunkfragen dürfte aber dieses Szenario ebenfalls äußerst unwahrscheinlich sein“, schreibt Hahn. Bliebe, unter bestimmten Voraussetzungen, der ZDF-Intendant, wenn er es wagte, sich offen mit den Politikern anzulegen, was ganz etwas Neues wäre.

Irgendjemand muss den Parteien sagen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht ihnen gehört, sondern uns. Irgendjemand muss ihnen das ZDF wegnehmen. Nicht nur dem Koch, auch dem Beck.

 

Ein Synonym für Roland Koch

Der Mediendienst „Meedia“ bringt die Diskussion um Nikolaus Brender auf ein neues Niveau:

Nachtrag, 13.17 Uhr. „Meedia“-Chef Georg Altrogge kommentiert:

Bei der „Ente“ handelt es sich um einen nicht zur Veröffentlichung frei gegebenen Text, der durch einen internen Fehler für wenige Minuten online war. MEEDIA distanziert sich von der Formulierung im Zusammenhang mit Roland Koch. [Wir] überprüfen derzeit den Vorgang und werden dafür sorgen, dass sich Derartiges nicht wiederholt.

Doof wie RP-Online (8)

„Kein Text wird ohne Gegenlesen und Check von Zahlen und Namen ins Netz gestellt.“

(Chefredakteur Rainer Kurlemann im „Journalist“ 7/2009 über „Qualitätssicherung“ bei „RP-Online“)

Heute stand schon wieder so ein lustiger nebensatzophober Artikel im Online-Angebot der „Rheinischen Post“:

Die neue Staffel von „DSDS“ beginnt am 6. Januar um 20.15 Uhr. Zunächst können die Zuschauer von RTL immer mittwochs und samstags Ausschnitte aus den Vorsingen sehen. Die Castings werden gezeigt. Nach sieben Folgen gibt es dann den so genannten Recall, indem die Kandidaten erneut vorsingen dürfen, die am besten waren. Der Recall wird in der neuen Staffel unter anderem in der Karibik gemacht. In der ersten großen Liveshow „Jetzt oder Nie“ treten dann die besten 15 Sänger gegeneinander an, um in die Mottowshows zu kommen. In den Mottoshows bestimmen die Zuschauer über das Telefon, wer das nächste Mal noch dabei ist. (…)

Diesmal habe ich direkt bei „RP-Online“ nachgefragt, ob es sich möglicherweise wieder um eine Meldung aus dem Kindernachrichtendienst von ddp handelt, woraufhin der Artikel schnell verschwand. Kurlemann bestätigte dann das Versehen.

Ich kann mir nicht helfen: Ich find’s keinen Zufall, dass ausgerechnet die Mitarbeiter von „RP-Online“ Probleme haben, Kindernachrichten von richtigen Meldungen zu unterscheiden.

N24 mit Problemen im Lebensbereich

Der „Spiegel“ berichtet heute über Pläne der Sendergruppe ProSiebenSat.1, bei N24 zu sparen und die Zahl der Nachrichtensendungen noch weiter zu reduzieren. Falls es dabei auch zu Kündigungen käme, wäre das besonders bitter. Schließlich ist nicht jeder N24-Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt leicht vermittelbar…

[gefunden von Andrea Kleemann]

Bei Helmut Markworts Ehre

Wenn ich es richtig verstehe, geht es Helmut Markwort bei seinem juristischen Kampf gegen ein Zitat von Roger Willemsen um zweierlei: seine journalistische Ehre. Und die Wahrheit. Ich fürchte, beide Kämpfe sind hoffnungslos.

Fangen wir mit der Wahrheit an und schauen, wie der Mediendienst „Meedia“ über den Fall berichtet. „Meedia“ hat sich darauf spezialisiert, Meldungen aus fremden Quellen abzuschreiben, ist aber leider nicht gut darin, Meldungen richtig aus fremden Quellen abzuschreiben. Als Markwort am vergangenen Dienstag vor dem Bundesgerichtshof unterlag, schrieb „Meedia“:

Es ging um ein Gespräch, das Markwort Anfang der 90er-Jahre mit dem Schriftsteller Ernst Jünger geführt hatte und vom [sic!] dem Willemsen nun behauptete: „Das ‚Focus‘-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der ‚Bunten‘ erschienen.“

Und als Markwort am nächsten Tag bekannt gab, dass er prüfen wolle, ob er gegen das Urteil vors Bundesverfassungsgericht ziehen wolle, schrieb „Meedia“:

Es ging um ein Gespräch, das Markwort Anfang der 90er-Jahre mit dem Schriftsteller Ernst Jünger geführt hatte und vom [wiederum sic!] dem Willemsen nun behauptete: „Das ‚Focus‘-Interview, das Markwort mit Ernst Jünger geführt haben will, war schon zwei Jahre zuvor in der ‚Bunten‘ erschienen.“

Nur hat Markwort gar kein Interview mit Ernst Jünger geführt und dies auch nicht behauptet. Genau das ist der erschütternd banale sachliche Kern des jahrelangen Rechtsstreits. Willemsens Aussage ist falsch, weil das Interview nicht Markwort, sondern Axel Thorer geführt hat. Ist es nicht eine schöne Ironie, dass „Meedia“ diesen Fehler jetzt wiederholt? (Die Kommentare liest dort übrigens auch niemand.)

Markwort beharrt außerdem darauf, dass die Interviews in „Bunte“ und „Focus“ nicht identisch gewesen seien. Das ist aber eine bloße Nebelkerze. Tatsache ist, dass der „Focus“ nicht nur viele alte Zitate wiederholte, sondern an mehreren Stellen den falschen Eindruck erweckte, das zweieinhalb Jahre alte Interview sei aktuell entstanden. Der „Spiegel“ berichtete damals über seinen neuen Möchtegernkonkurrenten:

Nun streiten sich Thorer und Focus-Chef Markwort, „wer wen über den Tisch gezogen hat“ (Markwort). Thorer sagt, das Magazin habe das alte Interview ohne sein Zutun neu verpackt. Markwort spielt den Geleimten: Thorer habe das vergilbte Stück als frische Ware verkauft.

Handelt es sich um dasselbe Interview, wie Willemsen behauptet? Entscheiden Sie anhand einiger Ausschnitte selbst:

„Bunte“, 14.03.1991 „Focus“, 13.09.1993
Kam die Wiedervereinigung zu schnell — und ist sie zu teuer?

Wenn dein Bruder vor der Tür steht, lässt du ihn rein und fragst nicht, was er dich kosten wird.

Kam die Wiedervereinigung zu schnell, wurde sie zu teuer? Jünger schüttelt sein Cäsarenhaupt: „Ich war beglückt über die Wiedervereinigung, ich hatte sie nicht erwartet. Selbstverständlich gibt es Schwierigkeiten. Aber wenn ein Bruder vor der Tür steht, laß ich ihn erst einmal rein und seh‘ dann, wie ich zurechtkomme.“
Ist die Angst des Auslands vor einem neuen Großdeutschland berechtigt?

Ich glaube nicht. Wir haben genug vom Nationalismus! Das neue Deutschland ist ja nur ein beschränktes Deutschland, ohne Schlesien, Pommern. Die DDR — das sind 16 Millionen Deutsche, die zu 60 Millionen hinzukommen: eine bessere Provinz.

Aber da ist die Angst des Auslandes vor einem neuen Großdeutschland.

Jünger: „Ich glaube nicht. Wir haben genug vom Nationalismus! Das neue Deutschland ist ja auch nur ein beschränktes Deutschland, ohne Schlesien, Pommern. 17 Millionen Deutsche sind zu 60 Millionen hinzugekommen. Eine bessere Provinz.“

Hat der gefährlichste Moment Ihres Lebens mit Hitler zu tun?

Ja. Es war der Tag, an dem Hitler mich treffen wollte. Durch ein Wunder hinderte ihn eine Änderung des Reiseplans in letzter Minute daran. Stellen Sie sich vor: Fotos, die um die ganze Welt gegangen wären! Eine einzigartige Gelegenheit für gewisse Leute, meinen Ruf nach dem Krieg noch ein wenig mehr zugrunde zu richten.

Kurz zuvor kam es zum „gefährlichsten Moment seines Lebens“. Es war der Tag, an dem Hitler sich bei ihm zu Hause angesagt hatte.

Jünger: „Wenn der Sie sehen wollte, konnten Sie einfach nichts machen. Aber durch ein Wunder hinderte ihn eine Änderung des Reiseplans in letzter Minute daran. Stellen Sie sich die Fotos vor, die um die Welt gegangen wären! Eine einzigartige Gelegenheit für gewisse Leute, meinen Ruf nach dem Krieg noch ein wenig mehr zugrunde zu richten.“

Nazi waren Sie jedoch nie. Warum nicht?

Das war für mich eine Frage des Geschmacks, des Stils. Hitler war eine minderwertige Persönlichkeit, gegen die ich von Anfang an Mißtrauen und Abneigung empfand. Die Brutalität, Vulgarität und Ignoranz der Parteiführung war augenfällig. Hitler war ein historischer Ladenhüter. Der Angriff auf die Juden sein Kardinalfehler. Die Zukunft, der Weltstaat, wird keine Rassen mehr kennen.

Wieso diese Distanz zu Hitler? frage ich.

Jünger: „Das war für mich eine Frage des Geschmacks und des Stils. Hitler war eine minderwertige Persönlichkeit, gegen die ich von Anfang an Mißtrauen und Abneigung empfand. Die Brutalität, Vulgarität und Ignoranz waren augenfällig. Hitler war historisch ein Ladenhüter. Der Angriff auf die Juden sein Kardinalfehler. Die Zukunft, der Weltstaat, wird keine Rassen mehr kennen.“

Wer waren die größten Persönlichkeiten, die Sie in Ihrem Leben getroffen haben?

Ich bin nur zwei Menschen begegnet, die einen magischen Eindruck auf mich gemacht haben — dem Maler Pablo Picasso und dem Philosophen Martin Heidegger. Da spielte sich wirklich etwas ab.

Gab es in seinem langen Leben Menschen, die ihn nachhaltig beeindruckt haben?

Jünger: „Nur zwei. Der Maler Pablo Picasso und der Philosoph Martin Heidegger. Da spielte sich etwas ab.“

Worauf sind Sie stolz?

Dass ich in den Handbüchern der Entomologie neun Schmetterlinge und Käfer gesehen habe, die meinen Namen tragen.

Und worauf ist er stolz?

„Auf die Insekten, die meinen Namen tragen. Nicht auf die Bücher.“

Man ahnt: Es ist weniger Willemsens ungenaue Darstellung als die Episode selbst, die an Markworts gutem journalistischem Ruf kratzt (von dessen Existenz wir jetzt einfach mal hypothetisch ausgehen). Insofern ist es erstaunlich, dass Markwort glaubte, dass es eine gute Idee wäre, ausgerechnet an diesem Fall ein Exempel zu statuieren — und nicht gegen Willemsen, sondern die „Saarbrücker Zeitung“ vorzugehen, weil die unter der Überschrift „Heute wird offen gelogen“ ein Interview mit Willemsen veröffentlicht hatte, in dem der halbfalsche Satz Willemsens stand.

Und die Jünger-Geschichte war, wie man so schön sagt, kein Einzelfall. Im Juli 1994 veröffentlichte die Illustrierte ein „Focus-Interview“, das vier Mitarbeiter der Zeitschrift „L’Express“ vor dem französischen Nationalfeiertag mit dem damaligen Staatspräsidenten François Mitterrand geführt hatten, tat aber so, als hätte es erst danach stattgefunden. Das Staatspräsidium bezeichnete die Verfälschungen als „absolut unzulässig“. Und 1995 musste der „Focus“ einräumen, dass ein Interview mit der bangladeschischen Schriftstellerin Taslima Nasrin gar nicht stattgefunden hatte — Markwort erklärte damals, er und seine Redaktion seien von einem freien Mitarbeiter „hereingelegt“ worden.

Ja, das alles ist lange her. Und vielleicht sollte man über die Ehre Helmut Markworts doch eher auf der Grundlage neuerer Befunde urteilen. Es bietet sich unter anderem diese Geschichte an, bei der sich ein interessanter Kontrast zeigt zwischen der Bereitschaft, andere zu diffamieren, und der fehlenden Bereitschaft, kritische Berichte darüber hinzunehmen.

Oder natürlich die aktuelle Berichterstattung im „Focus“ über die angebliche Affäre zwischen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht. Der „Spiegel“ hatte seinen Bericht darüber ja mit dem Hinweis begründet, dass das Private politische Folgen habe. Der „Focus“ veröffentlicht heute genaue Details, wann und unter welchen Umständen sich die beiden Linken-Politiker angeblich vor zwei Jahren in Lafontaines Wohnung getroffen haben. Journalistisch scheingerechtfertigt wird die Enthüllung dieser privaten Details mit der Nachricht, dass beide bespitzelt worden seien.

Das ist der Gipfel der Heuchelei: Man berichtet darüber, dass Lafontaine bespitzelt wurde, spricht von einem „neuen Wirbel um Oskar Lafontaine“, den man selbst erst produziert, und legitimiert so die Veröffentlichung der angeblichen Ergebnisse der Spitzelei.

Aber damit der klagefreudige Herr Markwort nicht wieder seinen Anwalt losschicken muss, um seine Ehre zu verteidigen, stelle ich sicherheitshalber klar: Der verlogene „Focus“-Artikel stammt nicht von ihm, sondern von „Focus“-Korrespondent Armin Fuhrer. Markwort ist für ihn nur verantwortlich.