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Es ist ja nicht alles schlecht an so einem Mord. Gut an der Art, wie ein Mann in Füssen seine Freundin umgebracht und zerstückelt haben soll, war zum Beispiel, dass er sich das Werkzeug dafür im örtlichen „V-Markt“ gekauft hat und damit dem Online-Angebot des Kölner „Express“ folgende attraktive Bonus-Content-Möglichkeit eröffnete:









Bonusfrage: Was ist ein „Gipskarton (Schutzbrille)“?

[eingesandt von Martin Pittelkow]

Eine Zeitung sagt Sorry!

Der „Evening Standard“, die einzige kostenpflichtige Londoner Lokalzeitung, hat seit Anfang des Jahres einen neuen Besitzer: den russischen Milliardär Alexander Lebedew. Der engagierte einen neuen Chefredakteur, der erst einmal eine Marktforschung über das Blatt in Auftrag gab.

Das Ergebnis war wohl einigermaßen verheerend, und so entschloss sich das Blatt zu einer einzigartigen Werbekampagne, in der es sich in der U-Bahn und auf Bussen bei den Londonern entschuldigt:





Nun hat es der „Evening Standard“ mit seiner penetranten, gehässigen Parteilichkeit zweifelsohne ganz besonders nötig, sich bei seinen Lesern und Nicht-Lesern zu entschuldigen. (Die Heftigkeit der Kommentare im „Guardian“-Blog von Roy Greenslade, der auch für den „Evening Standard“ schreibt, spricht Bände.) Aber der spanische Medienberater Juan Antonio Giner hat schon recht, wenn er meint, dass diese Werbebotschaft vielen Zeitungen gut zu Gesicht stünde, und er in ihr einen „Fünf-Punkte-Plan“ sieht, um Zeitungen zu verändern und zu retten.

Warum habe ich das Gefühl, dass viele deutsche Zeitungen im Zweifel umgekehrt von den Menschen eine Entschuldigung dafür fordern würden, dass sie sie nicht lesen?

Stell dir vor, es ist Grand-Prix, und ich seh nicht hin

Hätten Sie’s gedacht? In neun Tagen ist Eurovision Song Contest. In Moskau haben längst die Proben begonnen. Und mich lässt das alles schrecklich kalt.

Gut, werden Sie sagen, das geht den meisten Leuten immer schon so, aber für mich war der Grand-Prix ein prägendes Fernseherlebnis. Als Kind war es der einzige Abend (außer Silvester), an dem ich bis Mitternacht aufbleiben durfte – vorausgesetzt, ich hatte am Mittag brav „vorgeschlafen“. Es war die perfekte Kombination der beiden großen, tragischen Lieben meiner Jugend: Schlager und Statistik.

Ich fieberte mit Katja Ebstein, Hoffmann & Hoffmann, Ingrid Peters und Mary Roos (die Gruppe Wind fand ich zum Glück damals schon furchtbar) und trug die Punkte in die dafür vorgesehene Tabelle der „Hörzu“ ein. Während der neunziger Jahre mit den schrecklichsten deutschen Teilnehmern verlor sich mein Interesse ein bisschen, aber im Revolutionsjahr 1998 war ich in Bremen dabei, als Guildo Horn und seine Fans alles überrannten (und mir mit ihrer aggressiven Party- und Eroberungsstimmung Angst machten). Ich durfte Stefan Raab nach Stockholm begleiten (und mein einziges Seite-3-Stück in der „Süddeutschen Zeitung“ schreiben), verfasste aus Kopenhagen meinen ersten Quasi-BILDblog-Eintrag, verbrachte dank des Wettbewerbs einen Urlaub im Baltikum und erlebte in Tallinn Ralph Siegel und Bernd Meinunger so hautnah, dass daraus zwei Texte entstanden, auf die ich heute noch ein bisschen stolz bin.

In den letzten Jahren ging ich dann wieder ein bisschen auf Abstand, konnte es dann aber doch nicht lassen, den Wettbewerb ausführlich zu begleiten – und insbesondere, ihn immer wieder gegen ungerechte Kritik in Schutz zu nehmen.

Und eh jetzt jemand ankommt und sagt, dass es abwegig sei, sich überhaupt so viel mit einer solchen Quatschveranstaltung zu beschäftigen: Der Grand-Prix ist exakt so wichtig, wie man ihn nimmt. Das hat er zum Beispiel mit der Fußball-Bundesliga gemein, nur dass deren Fans sich nicht so oft dafür rechtfertigen müssen.

Ich glaube auch nicht, dass sich der Grand-Prix nur ironisch gebrochen genießen lässt, mit der Konträrfaszination angesichts all der Demonstrationen schlechten Geschmacks, die da geboten werden. Natürlich ist es eine bizarre Veranstaltung, aber eigentlich reizvolle Bizarre daran ist schon die Idee, Nationen um die Wette singen zu lassen. Und die Inszenierung ist seit einigen Jahren state-of-the-art – man kann den Eurovision Song Contest inzwischen auch als eine Leistungsschau der Fernsehshow-Produktion sehen, insbesondere was die Bühnenbilder angeht.


Aufbau der Bühne in Moskau. Foto: eurovision.tv

Normalerweise hätte ich zu diesem Zeitpunkt schon damit angefangen, meine Umgebung mit ausgewählten Video-Höhe- und Tiefpunkten der Teilnehmer zu nerven. Aber in diesem Jahr – nichts.

Es kann natürlich sein, dass das an mir liegt. Aber der Wettbewerb macht es mir in diesem Jahr auch leicht, mich nicht für ihn zu begeistern. Vor allem mit seinen Entdemokratisierungs-Tendenzen. Weil die Zuschauer sich hartnäckig weigern, ihre Punkte so zu verteilen, wie es die Veranstalter wollen, schrauben die Veranstalter jetzt Jahr für Jahr am Reglement. Dabei sollte man beim Blick auf die Gewinner nicht glauben, dass es ein Problem gäbe: In den vergangenen fünf Jahren gewannen: die Ukraine, Griechenland, Finnland, Serbien und Russland – eine Mischung, wie sie bunter kaum sein könnte. Die Sieger waren: eine pompöse Feuer-Tanz-Performance, eine Gruppe Monsterrocker, eine Mainstream-Popnummer, die schlichte Ballade einer einzelnen Sängerin und eine mit einem Eisläufer aufgepeppte und mit Gimmicks überladene Show-Nummer. Das Votum des europäischen Publikums scheint so unvorhersehbar wie eh und je, aber weil sich der Schwerpunkt der Teilnehmerländer dramatisch nach Osten verlagert hat, haben es Titel leichter, die dem dortigen Geschmack entsprechen.

Und natürlich gibt es Sympathie-, Freundschafts- und Nachbarschaftspunkte, die es zum Beispiel den Ländern Ex-Jugoslawiens oder der früheren Sowjetunion leichter machen, weit nach vorne zu kommen. Das ist auch nicht schlimm: Griechenland und Zypern haben einander immer schon fast immer zwölf Punkte gegeben. Deshalb kann es Zypern – im Gegensatz zu Deutschland – kaum passieren, auf dem letzten Platz zu landen. Andererseits hat Zypern trotzdem – im Gegensatz zu Deutschland – noch nie gewonnen.

Länder wie die Türkei werden immer davon profitieren, dass in Westeuropa viele Türken leben. Aber verfälscht deren (vielleicht patriotisch motivierte, vielleicht auch nur geschmacklich geprägte) Stimmabgabe das Votum aus Deutschland? Oder ist das nur eine angemessene Repräsentation der sonst gern verdrängten Tatsache, dass in der Bundesrepublik viele Türken leben, die andere Musik hören, einen anderen Geschmack haben als „wir“?

Natürlich ist das ungerecht. Es ist alles ungerecht. Auch dass die 84.000 Andorraner zusammen genau so viel Einfluss auf den Sieger haben wie die 142.000.000 Russen, was jedem Einwohner des Pyrenäenstaates fast 1700-mal so viel Macht gibt. Auch dass die Briten einfach in ihrer Landessprache singen können und trotzdem von allen verstanden werden. Auch dass die Skandinavier einander mögen, aber keiner uns. Auch dass den Osteuropäern immer diese Show-Nummern so gefallen, obwohl wir Westeuropäer beschlossen haben, dass es gefälligst nur auf das Lied ankommen soll (jedenfalls wenn wir keine gute Show machen), und wir waren schließlich zuerst da.

Noch bekloppter als der Wettbewerb an sich ist der Glaube, dass in ihm auf eine irgendwie halbwegs objektive Weise das beste Lied gewählt würde. Oder werden sollte. Oder werden könnte.

Es gab Jahre, in denen sich zum Beispiel Großbritannien gefragt hat, ob das Land für seine Unterstützung des Irak-Krieges von den Grand-Prix-Zuschauern abgestraft wurde. Vermutlich hätte man in der Qualität des eigenen Beitrags überzeugendere Gründe finden können, aber ganz abwegig ist der Gedanke nicht. Der Song-Contest ist auch ein Sympathie-Wettbewerb der Nationen, und das trägt erheblich zu seinem Reiz bei.

Andererseits war es immer wieder faszinierend zu sehen, wie einzelne Titel in ganz Fernseheuropa einen Nerv trafen – auch solche, bei denen man das nicht unbedingt vorhersehen konnte, wie der estnisch-amerikanischen Funk-Nummer vor ein paar Jahren.

Aber nun haben die Leute so oft nicht so abgestimmt wie sie sollten, und anders als damals, als Irland in zehn Jahren fünfmal den Wettbewerb gewannt, ist das heute ein Problem. Deshalb zählt das Urteil des Publikums, dem offenkundig nicht zu trauen ist, in diesem Jahr nur noch zur Hälfte – die andere Hälfte jedes Landesvotums bestimmt eine Jury. In der für Deutschland sitzen H. P. Baxxter (Scooter), Jeanette Biedermann, Guildo Horn, Sylvia Kollek und Tobias Künzel (Die Prinzen), und damit hat man die lästigen Türken mit ihren komischen Vorlieben schon mal aus dem Rennen.

Es ist nicht ganz klar, inwiefern es diesen Wettbewerb aufwertet, wenn man das erratische Votum von vielen durch das erratische Votum von wenigen ersetzt – es sei denn, man geht davon aus, dass Frau Biedermann, „Bild“-Schlagerkönigin 1998 und und 1999 trotz der Unterstützung eben dieser Zeitung im Vorentscheid zum Grand-Prix nur vierte, eine Expertin sei, die besser als wir normalen Fernsehzuschauer weiß, was gute Musik und damit siegeswürdig ist.

Natürlich, früher gab es auch schon das Jury-Votum, und es hatte einen gewissen Unterhaltungswert, darüber zu spekulieren, warum die deutsche ungefähr nie für Österreich gestimmt hat, und zu registrieren, wie die griechische Jury die verfeindete Türkei mit Punktentzug strafte. Dem fehlt aber erheblich die Fallhöhe im Vergleich zur Grand-Prix-Begleitfolklore der vergangenen Jahre, die das Abstimmverhalten ganzer Länder zu analysieren versucht und sogar dazu taugt, sich als Nation auf die Couch zu legen, und hysterisch zu fragen, warum uns eigentlich keiner mag (und damit womöglich schon eine halbe Antwort gibt).

Es ist das demokratische Element, das den besonderen Reiz solcher Abstimmungen ausmacht. „Deutschland sucht den Superstar“ demonstriert das gerade eindrucksvoll und zeigt auch das gute Gespür des Publikums, das sein Unterhaltungsbedürfnis dadurch befriedigte, dass es die Skandalnudel Annemarie viel länger im Rennen ließ, als es der Jury gefiel, sie am Ende im Finale aber doch lieber nicht dabei haben wolle. Das schlimmste an der Entmachtung des Publikums aber ist das Misstrauen seiner Urteilskraft, das daraus spricht, und die Bereitschaft, die Regeln so lange anzupassen, bis das gewünschte Ergebnis dabei herauskommt. Wenn sich in diesem Jahr herausstellt, dass sogar trotz Wiedereinführung der Jurys Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Spanien ganz hinten liegen sollte, hat der Grand-Prix ein echtes Problem. Aber vielleicht können Punkte für die großen Geldgeberländer ja doppelt zählen. Oder es werden Punkte für Nachbarländer verboten. Oder man legt gleich eine Reihenfolge fest, bei der am wenigsten wichtige Länder hinterher unglücklich sind.

In Deutschland hat man das Publikum aus der Auswahl des Kandidaten, der „für Deutschland“ singen soll, wie es so schön heißt, in diesem Jahr sicherheitshalber ganz herausgehalten. Die Begründung, man wolle so etablierte Künstler rekrutieren, die sich nicht dem Risiko einer Niederlage in der Vorentscheidung aussetzen wollen, wurde spätestens durch die Kür des Siegers ad absurdum geführt: Es gewann der peinliche Erfolgsproduzent Alex Christensen, mit einem Projekt, dem man schon am Namen anmerkt, dass es nicht von Dauer sein soll: „Alex swings, Oscar sings“. Es wirkt wie ein Rückfall in Zeiten, als Ralph Siegel für diesen Zweck Retortengruppen zusammencastete und zum Beispiel „MeKaDo“ nannte.


Alex (links) swings, Oscar (rechts) sings. Foto: NDR

Nun wäre nichts dagegen zu sagen, den Autor so schlimmer Werke wie „Du hast den schönsten Arsch der Welt“, „Du bist so Porno“ oder „Liebe zu Dritt“ nach Moskau zu schicken, wenn das der Wille des Publikums gewesen wäre – so wie es zum Beispiel sein Wille war, mit Stefan Raab und Guildo Horn der Welt gewaltsam zu demonstrieren, dass man Humor hat. Die Auswahl durch das Publikum hat auch den Vorteil, dass bei einem Debakel wie mit den No Angels im vergangenen Jahr, scheinbar „wir alle“ verloren haben – und dass man lange Nächte diskutieren kann (aber nicht muss), ob Carolin Fortenbacher mit ihrem modernen Schlager erfolgreicher gewesen wäre.

Jürgen Meier-Beer, der für den NDR die Wiederbelebung des Song Contest ab 1998 maßgeblich betrieben hat, griff gerne in die Kiste mit den ganz großen Wörtern, um die Bedeutung des demokratischen Vorentscheids zu beschreiben: „Das deutsche Volk entscheidet, was Ausdruck unseres Nationalstolzes ist“, sagte er 2001 und formulierte: „Die nationale Vorentscheidung ist auf die Verbindung zwischen Popmusik und nationaler Ehre auszurichten. Diese Verbindung ist einmalig: im Fernsehen, in der Popmusik und im Nationalbewusstsein“.

Man darf es ruhig eine Nummer kleiner hängen, aber dass ein Vorentscheid eine wichtige Voraussetzung ist, um eine Identifikation mit dem deutschen Vertreter zu produzieren, steht außer Frage. Nach Ansicht von Meier-Beer schafft der „identitätsstiftende Vorlauf“ überhaupt erst das Interesse am Finale, das „per se nicht interessant genug ist“. Mein Tipp ist, dass die Quote in diesem Jahr entsprechend mies sein wird.

Vielleicht täuscht meine Wahrnehmung, aber kann es sein, dass es noch überhaupt keinen Hype um den deutschen Beitrag gibt? „Miss Kiss Kiss Bang“, diese peinlich betitelte, schrecklich eingängige, irgendwie professionelle, aber furchtbar seelenlose Nummer, ist immerhin bis auf Platz 27 in die deutschen Singlecharts gekommen, aber präsent ist sie in keiner Weise. Beim Echo sind A.S.O.S. (um es jetzt mal abzukürzen) aufgetreten, im ARD-Oma-Programm „Buffet“ waren sie vorgestern, im Sat.1-Frühstücksfernsehen und im RBB-Programmfüllsel „Zibb“ gestern. Ja. In der „Bild“-Zeitung hat die öffentlich-rechtliche ARD einen Medienpartner, der sich nach Kräften und Fähigkeiten abrödelt, den Act interessant zu machen, inklusive Homestory über den Sänger und seine Homosexualität, die vielleicht für ein bisschen mehr Aufsehen gesorgt hätte, wenn man nicht gerade erst zum ersten Mal von ihm gehört hätte und nicht sicher wäre, ihn spätestens am Tag nach dem Grand-Prix schon wieder vergessen zu haben.

Man sieht, wie da mühsam jemand schraubt, um Aufmerksamkeit zu produzieren: Die Edelstripperin Dita von Teese wird auf der Bühne in Moskau tanzen, und angeblich ist die amerikanische Talkmasterin Oprah so begeistert von dem Stück, dass sie es unbedingt in ihrer Show haben wollte. Toll! Dass die deutschen Fernsehzuschauer es unbedingt in ihrer eigenen Show haben wollen, dass sie wollen, dass es gewinnt in Moskau oder ihm den letzten Platz wünschen, ist nicht zu erkennen. Warum auch? Sie haben mit diesem Beitrag ja nichts zu tun.

Natürlich werde ich mir die Show nächste Woche trotzdem angucken, schon aus alter Verbundenheit, und weil der nette hr3-Moderator Tim Frühling als Vertretung oder Nachfolger von Peter Urban moderieren darf und diese Erfüllung seines Jugendtraums schon deshalb verdient hat, weil er der einzige ist, den ich kenne, der auf längeren Autofahrten Mitreisende dazu zwingt, Best-Of-Grand-Prix-CDs zu hören. (Außer mir natürlich.)

Schöner sterben mit dem „SZ-Magazin“

Das „Süddeutsche Zeitung Magazin“ hat ein Themenheft über die „größte Sinnkrise der klassischen Medien“ produziert, meint mit „klassischen Medien“ aber, wie sich herausstellt, nur die Zeitung. Als vertrauensbildende Maßnahme haben die Kollegen nun die komplette, morgen erscheinende Ausgabe namens „Wozu Zeitung?“ online gestellt (und verlosen sogar 1 Jahresabo der „Süddeutschen Zeitung“ an einen Nicht-Zeitungs-Leser unter zwanzig, damit er damit, wenn ich die Ausschreibung richtig verstehe, den Boden der Bio-Tonne auslegen kann).

Verschiedenen Leuten und Institutionen hat das „SZ-Magazin“ außerdem angeboten, Artikel aus der Sonderausgabe auf ihren Internetseiten zu veröffentlichen und mit ihren Lesern darüber zu diskutieren. Die interessantesten „(natürlich auch kritischen)“ Leserkommentare sollen dann wiederum auf der „SZ-Magazin“-Seite veröffentlicht und verlinkt werden.

Ich hätte hier deshalb einen Beitrag von Felix Salmon veröffentlichen dürfen, einen Mann, den das „SZ-Magazin“ so vorstellt:

Felix Salmon, 37, betreibt mit portfolio.com einen der erfolgreichsten
amerikanischen Blogs, der sich mit Wirtschaft und Finanzen auseinandersetzt.

Das trifft es fast ((hier in der Bedeutung von „gar nicht“)). portfolio.com ist kein Blog, sondern der Online-Ableger von „Portfolio“, einem monatlichen Wirtschaftsmagazin von Condé Nast. „Portfolio“ und portfolio.com werden gerade mangels Werbeerlösen eingestellt. Felix Salmon bloggt da aber eh schon seit Ende März nicht mehr, sondern für Reuters.

Okay, das sind nur „Fakten“. Und es hätte auch eine gewisse Ironie gehabt, seinen Beitrag „Zehn Gründe, warum Blogs in Deutschland nicht funktionieren“ hier zu veröffentlichen. Aber Salmons Gründe sind so doof, dass mir selbst der unendliche Platz, den das Internet bietet, dafür zu schade ist. Sie beruhen auf Aussagen wie: „Ansehen ist etwas, wonach fast alle Deutschen streben“, „Die Deutschen nehmen ihre Ferien extrem ernst“ und „Deutschland hat (…) andere Universitäten“.

Sie können sich den Beitrag natürlich trotzdem gern auf den Seiten des „SZ-Magazins“ durchlesen und dort oder hier oder woauchimmer darüber diskutieren. Die anderen Artikel habe ich noch nicht gelesen, aber Journalistik-Professor Klaus Meier hat es getan.

Nachtrag, 14.35 Uhr. Im englischen Original des Artikels bei Reuters (!) schreibt Salmon übrigens keineswegs darüber, „warum Blogs in Deutschland nicht funktionieren“, sondern warum es keine deutschen Wirtschaftsblogger („econobloggers“) gebe. Aber das war dem „SZ-Magazin“ wohl nicht sexy genug.

Nachtrag, 8. Mail. Klaus Jarchow hat eine schöne Parodie auf Salmons Thesen verfasst.

Twitter macht Journalisten stumm

Vor zwei Wochen ging die Falschmeldung um die Welt, amerikanische Wissenschaftler hätten herausgefunden, dass Facebook und Twitter ihre Nutzer unmoralisch machen. In Wahrheit behauptete die Studie nichts dergleichen; soziale Netzwerke waren nicht einmal ihr Thema. Wir berichteten auf BILDblog.

Doch die fast systematische Verbreitung solchen Unsinns ist nur die halbe Geschichte. Die andere ist die, wie Medien reagieren, wenn man sie auf ihre Fehler aufmerksam macht.

„Focus Online“ vermied eine Berichtigung, ergänzte die Meldung aber um eine „Anmerkung der Redaktion“, der Artikel sei „in die Kritik“ geraten. Plötzlich erfuhren die Leser auch, dass es sich nicht um einen Eigenbericht, sondern eine „Meldung der Fachagentur Medical Press“ handelte. Komischerweise finden manche Medien das nur erwähnenswert, wenn ein Fehler passiert ist.

Aber es stimmt ja: Die Meldung stammt von Medical Press, einem Angebot der Global Press Nachrichten-Agentur und Informationsdienste GmbH (glp). Ich schrieb der Autorin des Stücks eine Mail und fragte sie, ob sie den Fehler berichtigen könne. Die Redakteurin bedankte sich für den Hinweis und versprach, die Sache zu prüfen.

Danach passierte: nichts. Wenn Sie wollen, können Sie die Meldung immer noch von Medical Press beziehen, zum Einzelpreis von 99 Cent, was ich relativ viel Geld finde für eine Meldung, die erstens überall kostenlos zu lesen ist und zweitens falsch.

Ein andere Agentur, die dafür verantwortlich ist, dass der Facebook-macht-unmoralisch-Mythos weite Verbreitung in den Medien fand, heißt Pressetext (pte). Ich schrieb dem angegebenen Redakteur. Als ich keine Antwort bekam, fragte ich beim Chef vom Dienst nach. Der antwortete mir, dass Pressetext „im Normalfall“ äußerst sorgfältig arbeite und — „in dem Maße, wie es das Internetzeitalter aufgrund der Schnelligkeit der Branche eben erlaubt“ –, immer nachrecherchiere. Der Redakteur sei zur Zeit nicht da, sobald er wieder im Büro sei, werde er der Sache aber nachgehen.

Das ist zwei Wochen her. Die Pressetext-Meldung ist unverändert online.

Aber die beiden Agenturen haben den Fehler vermutlich nur irgendwo abgeschrieben und bloß fahrlässig verbreitet. Was der Online-Auftritt des „Tagesanzeiger“ gemacht hat, hat eine andere Qualität. Er scheint damals die Begriffe „Facebook“ und „Twitter“ einfach in das Zitat einer Wissenschaftlerin eingefügt zu haben, damit es zur (falschen) Meldung über ihre Studie passt (näheres im BILDblog-Eintrag).

Ich habe Reto Knobel, dem Autor des Artikels, eine Mail geschickt und gefragt, ob er mir eine Quelle für sein Zitat nennen kann. Ich habe keine Antwort bekommen. Allerdings verschwanden die Begriffe „Facebook“ und „Twitter“ aus dem wörtlichen Zitat. Die falsche Gesamtaussage des Artikels blieb unverändert. Ich habe daraufhin bei Chefredakteur Peter Wälty nachgefragt, ob es Politik von tagesanzeiger.ch sei, solche Fehler nicht zu korrigieren. Ich habe keine Antwort bekommen. Schließlich versuchte ich es noch unter angegebenen allgemeinen Kontaktadresse von tagesanzeiger.ch. Ohne Erfolg.

Der Online-Auftritt der überregionalen Zürcher Zeitung „Tagesanzeiger“ hält an seiner falschen Darstellung fest und sieht keine Notwendigkeit, sich zum Vorwurf der Zitatfälschung zu äußern.

[Ich weiß, dass ich aufhören muss, Leute mit solchen E-Mails zu verfolgen, bevor das stalkerhafte Züge annimmt. Ich kann nur immer noch nicht glauben, wie egal es manchen Journalisten zu sein scheint, ob das stimmt, was sie schreiben. Und wie unfähig viele Medien sind, mit der schlichten und unvermeidlichen Tatsache umzugehen, dass ihnen Fehler passieren.]

Susanne Gaschkes Himmel & Hölle

Vielleicht haben Sie neulich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ oder auf FAZ.net das Pamphlet „Die Netzanbeter“ von Susanne Gaschke gelesen, in dem sie schreibt:

Seine Anhänger sehen das Netz als gesellschaftsverändernde Kraft. In der vollendeten Netzgesellschaft, von der sie träumen, sind alle gleich, gut, hilfsbereit und zugewandt. Von einer „himmlischen Stadt“ schwärmt ein Netzprophet, und zahllosen Aufsätzen und Interviews merkt man die Ungeduld und die Vorfreude auf die neuen himmlischen Zustände an.

Und vielleicht haben Sie sich gefragt, wer der anonyme „Netzprophet“ sein mag, von dem das Zitat stammt.

Nun. Wenn ich es richtig sehe (und ich habe das natürlich nur in diesem Internet nachgeguckt), handelt es sich um Michael Benedikt, einen amerikanischen Architekten und Erforscher virtueller Realitäten. Anscheinend stammt der Begriff aus seinem Vorwort zu dem Buch „Cyberspace: First Steps“ [pdf]. Es ist vor 18 Jahren erschienen, 1991, im selben Jahr also, in dem das World Wide Web überhaupt erst das Licht der Welt erblickte.

Wir können uns natürlich jetzt den Spaß machen und den „Zeitungsanbetern“ dieser Tage irgendwelche heute absurd klingenden Heilsversprechen aus jener Zeit entgegen halten, als die Menschen erstmals entdeckten, dass man Nachrichten in größerer Auflage auf Papier drucken kann, aber ich hatte jetzt keinen Nerv, ewig im Mittelalter herumzuwühlen.

Und ist es nicht lustig, dass Frau Gaschke nicht nur Namen und Jahreszahl verschweigt, sondern sicherheitshalber sogar das Schwärmen grammatisch in die Gegenwart verlegt hat?

Falls Sie sich trotzdem noch weiter mit den wilden Verwünschungen der „Zeit“-Redakteurin auseinandersetzen wollen (und sie womöglich gar, wie der Rezensent der „Süddeutschen Zeitung“, für eine „pragmatische Netznutzerin“ halten), möchte ich Ihnen diese Replik ans Herz legen: „Die Netzignoranten“.

Das Zeitungs-Präteritum II

„Futur II“ nennt der Linguist die Verbform, die anzeigt, dass in der Zukunft etwas Vergangenheit ist („er wird gelesen haben“).

Zeitungsjournalisten kennen noch Aufregenderes: Formulierungen, die anzeigen, dass in der Vergangenheit etwas Zukunft ist. Das ist für ein Medium, bei dem Produktion und Rezeption relativ weit auseinanderliegen, gelegentlich notwendig, um über Dinge zu schreiben, die erst nach Redaktionsschluss stattfinden, aber zum Zeitpunkt des Lesens schon passiert sind.

Wie schillernd diese Form sein kann, demonstriert uns heute die „Berliner Morgenpost“ mit einem Artikel über Annemarie Eilfeld:


Mal abgesehen von der erstaunlichen Lust am Detail (das geht noch einige Zeilen so weiter): Der Artikel richtet sich also an Menschen, die kein Internet, kein Radio, keinen Fernseher und keine Freunde haben, sich aber so sehr für die Fernsehshow „Deutschland sucht den Superstar“ interessieren, dass sie genau wissen wollen, was die Kandidaten am Samstagabend im Halbfinale getragen haben, und zwar so dringend, dass sie nicht bis Montag abwarten wollen, wenn ihnen ihre Lieblingszeitung verraten könnte, wie es war, sondern schon am Sonntag erfahren wollen, wie es hätte werden können?

Das nenn ich mal Leserservice.

Katja Burkard

Die eine Möglichkeit ist, dass Katja Burkard irgendein dunkles Geheimnis über RTL kennt, das niemals an die Öffentlichkeit kommen darf und mit dem sie die Verantwortlichen erpresst. Es wäre eine vergleichsweise plausible Erklärung, warum sie seit dreihundert Jahren das Mittagsmagazin „Punkt 12“ moderieren darf.

Sie steht als eine Art Rauschgoldengelroboter in der Kulisse einer Nachrichtensendung und meldet mit großer Ernsthaftigkeit über Britney Spears: „Die 27-Jährige ist ziemlich mopsig geworden.“ Das würde allein schon für eine „Punkt 12“-Reportage samt Straßenumfrage reichen, aber diesmal kommt hinzu, dass während eines Auftrittes der Sängerin ihr Tamponbändchen zu sehen war. „Punkt 12“ dokumentiert das in Großaufnahme, Zeitlupe und mit rotem Pfeil, und Katja Burkard sagt: „peinlich, peinlich, peinlich“.

Wenn ein Beitrag läuft wie der über schlimme Vorwürfe gegen eine Kita, nimmt sie sich hinterher eine Sekunde Zeit, um fassungslos auf den Monitor zu schauen, bevor sie fassungslos den Kopf schüttelt und sicherheitshalber hinzufügt: „Man fasst es nicht.“ Nach süßen Tierfilmen sagt sie: „süß“, und das ist süß, weil sie einen Sprachfehler hat und S-Laute immer so sehr verzischt, dass man denkt, sie könne alles werden außer Fernsehmoderatorin.

Gelegentlich passieren allerdings Sachen, die noch krasser sind, als dass Prinz Charles zu spät zu einer Ausstellungseröffnung kommt. Amokläufe zum Beispiel. Dann muss Katja Burkard – trotz Sprachfehler und allem – Dinge tun, für die sie gar nicht programmiert ist. Bei Winnenden führte sie mehrere traumatische Gespräche mit einer hoffnungslos überforderten RTL-Reporterin vor Ort; am Donnerstag musste sie ahnungslos Bilder kommentieren, wie ein Autofahrer in den Niederlanden in eine Menschenmenge raste, und plapperte: „Hier sehen wir, wie einer durch die Luft flog, regelrecht . . . Auf jeden Fall ist hier ein großes Tohuwabohu . . .“

In den Nachrichten am Abend moderierte Peter Kloeppel einen Beitrag zum Thema mit den Worten an: „Mein Kollege hat die schlimmsten Bilder herausgeschnitten, dennoch bleiben viele Szenen verstörend.“ Wie nett. Zur Mittagszeit hatte RTL die schlimmsten Bilder von blutenden Körpern und über die Straße schleudernden Menschen weder herausgeschnitten noch vor ihnen gewarnt. Direkt zuvor informierte der Sender seine jungen Zuschauer über Neues von den „DSDS“-Kandidaten, direkt danach lockte Katja Burkard goldig mit tausend Euro, wenn jemand wisse, ob der Mai der „Wonne-“ oder der „Wannemonat“ sei.

Die andere Möglichkeit ist, dass man bei RTL irgendein dunkles Geheimnis über Katja Burkard kennt, das niemals an die Öffentlichkeit kommen darf und mit dem man sie zwingt, diese Sendung zu moderieren.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung