Wie die „WAZ“ ohne dpa auskommt

Auf die Nachrichtenagentur dpa könne man super verzichten, hat Ulrich Reitz, Chefredakteur der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“, gesagt. Im Sparwahn hat er dafür gesorgt, dass die „WAZ“ und ihre Schwesterblätter sowie der Online-Ableger DerWesten dpa gekündigt haben. Im Zweifelsfall könne man dpa-Informationen ja einfach irgendwo anders im Netz abschreiben, deutete Reitz relativ unverhohlen an und fügte hinzu: „Vielleicht ist das ein Stück weit die neue Welt.“

Wie das konkret geht, kann man an diesem Abend bei der Nachricht sehen, dass das Kaufhaus Hertie 19 Filialen schließen will. dpa meldete das um 18.10 Uhr und nannte wenige Minuten später bereits die betroffenen Städte, von denen die meisten im Einzugsbereich der „WAZ“ liegen.

Wer den Fehler machte, sich darüber bei DerWesten informieren zu wollen, fand dort aber zunächst nur eine dürre Meldung ohne Details, die die französische Nachrichtenagentur AFP um 18.39 Uhr herausgegeben hatte. Um 19.27 Uhr schob AFP eine längere Fassung nach, die aber immer noch nicht die für Lokal- und Regionalmedien entscheidende Information enthielt, um welche Städte es geht.

DerWesten veröffentlichte nun um kurz vor acht einen Artikel, der wie folgt beginnt:

Die Essener Warenhauskette Hertie will 19 ihrer 73 Filialen in Deutschland schließen. Zudem sollen Stellen in der Unternehmenszentrale in Essen gestrichen werden, wie das Unternehmen am Dienstag mitteilte. Insgesamt seien etwa 520 Arbeitsplätze betroffen. In NRW sollen nach Medienberichten folgende Filialen aufgegeben werden: Bocholt, Duisburg-Walsum, Erkrath, Eschweiler, Essen-Altenessen, Essen-Borbeck, Herdecke, Herne, Köln-Chorweiler, Lünen, Marl und Mettmann. Die Filialen sollten geschlossen werden, sobald mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleich erreicht worden sei, sagte ein Unternehmenssprecher. Nach Angaben des Unternehmens befinden sich zwölf der 19 von der Schließung betroffenen Kaufhäuser in Nordrhein-Westfalen. Die Mitarbeiter und die Belegschaftsvertreter wurden am Dienstag informiert. (...)

Es handelt sich wörtlich um die AFP-Meldung — mit Ausnahme des von mir markierten zweiten Absatzes. Der fehlt bei AFP; DerWesten hat ihn eingefügt. „Nach Medienberichten“ ist dabei die Formulierung, die verbrämen soll, dass man diesen Teil bei dpa geklaut hat, beziehungsweise bei anderen Medien, die dpa für ihre Meldungen noch bezahlen.

So einfach funktioniert das neue Sparmodell von Ulrich Reitz. Er nennt es „Qualitätsjournalismus“.

PS: Mit der dpa-Kündigung hat DerWesten auch nachträglich sein Archiv kastriert. Eine Suche nach „dpa“ fördert hunderte, wenn nicht Tausende Artikel zutage, die nachträglich gelöscht wurden: Fast jeder Klick führt auf eine Seite, die es nicht mehr gibt.

Die Blogger von DerWesten wurden derweil aufgefordert, „umgehend alle dpa-Photos und alle dpa-Texte“ aus ihren Texten zu entfernen. Vermutlich würde es allerdings im Zweifelsfall reichen, die Quelle zu verschleiern. So genau nimmt’s der Herr Reitz da ja nicht.

Nachtrag, 0:35 Uhr. DerWesten-Chefin Katharina Borchert weist den Vorwurf des Contentklaus in den Kommentaren zurück.

Nachtrag, 28. Januar. Daniel Bouhs hat das grundsätzliche Problem der dpa-Kündigung in der „Frankfurter Rundschau“ beschrieben.

Werbeondulierung in der „Bunten“

Nazan Eckes, die bei RTL Boulevardmagazine moderiert, wirbt seit kurzem für ein Shampoo, das „gesund aussehendes“ Haar in zehn Tagen verspricht. Die „Bunte“ nahm das zum Anlass, in ihrer vorletzten Ausgabe im sogenannten redaktionellen Teil mal eine doppelseitige Geschichte über das Haar von Nazan Eckes zu bringen:

„Wie bekomme ich solche Traumhaare?“, lautet die Überschrift des „Bunte“-Artikels, und wer die Antwort nicht schon aus der Fernsehwerbung kennt, erfährt sie aus dem ersten Frage des „Bunte“-Interviewers:

Sie sind das Gesicht der Haarpflegeserie ’10 Tage Challenge‘ von Pantene Pro-V. Glauben Sie eigentlich, dass viele Frauen mit ihren Haaren unzufrieden sind?

Ich glaube schon, dass die meisten Frauen Probleme mit ihren Haaren haben. Ich kenne das auch von vielen Freundinnen. Oft liegt es aber einfach daran, dass sie nicht genau wissen, welche Produkte für sie persönlich die richtigen sind. Mir ging es ja bis vor Kurzem auch so.

„Bunte“ fügt dann später dezent noch den Satz ein: „Ihre Haare sehen immer perfekt aus“, schreibt neben das große Foto von ihr: „TV-Moderatorion Nazan Eckes ist stolz auf ihr gesundes Haar“ und fragt sicherheitshalber noch: „Wie sieht Ihr Pflegeprogramm für zu Hause aus?“ (Die Antwort beginnt natürlich mit den Worten: „Neben den Produkten von Pantene Pro-V…“)

Die Zeitschrift nimmt in einem Extra-Kasten dann noch einmal das Werbeversprechen auf („Schönes Haar in 10 Tagen?“), lässt Eckes u.a. das Haarspray „Volumen Pur“ von „Pantene Pro-V“ empfehlen und entkräftet letzte Zweifel mit einem Beweisfoto:

Auf der ganzen Doppelseite ist übrigens kein Autor angegeben. Vielleicht wollte die „Bunte“ dem betroffenen Journalisten wenigstens die Schmach ersparen, mit diesem „Artikel“ identifiziert zu werden. Wahrscheinlicher ist natürlich, dass gar kein Journalist an seiner Produktion beteiligt war.

Der Strunzer

Toll, der Claus Strunz. Ist erst seit 15. Oktober Chefredakteur des „Hamburger Abendblatts“, hat dessen Niedergang aber schon messbar beschleunigt. Im vierten Quartal ging die verkaufte Auflage um über vier Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück — schneller als in den zehn Quartalen zuvor. Gleichzeitig ist die Heiße-Luft-Produktion in den vergangenen Wochen explodiert.

Zur Zeit ist er auf Medienseitentournee mit seinem aktuellen Schlager vom „Abendblatt 3.0“. Die Zahl steht für dreierlei Dreien: Erstens „Abendblatt 3000“, zweitens die drei Säulen Lokales, Regionales und Bundesweites und drittens das Weiterzählen von 2.0, „die konsequente Umsetzung von ‚Journalismus first'“.

Ich kenne keinen Chefredakteur, der im gleichen Maße bereit ist, sich für Eigen-PR lächerlich zu machen oder die Unwahrheit zu sagen, wie Claus Strunz. Während seiner Amtszeit als „Bild am Sonntag“-Chefredakteur ist die Auflage der Zeitung um rund 30 Prozent gesunken — noch schneller als die der werktäglichen „Bild“. Als er sich von seinen Lesern verabschiedete, tat er dies mit den Worten: „Man soll gehen, wenn es am schönsten ist“. Gegenüber dem „Spiegel“ überraschte er mit der Aussage, das „Abendblatt“ gehöre „journalistisch in den Kreis der Top vier neben ‚FAZ‘, ‚Süddeutsche‘ und ‚Welt'“.

Aber vielleicht ist das eine Kernkompetenz für den Chefredakteur einer Zeitung in diesen Zeiten: die Fähigkeit, sich die Wirklichkeit zurecht zu lügen. Dies ist die Entwicklung von Abonnements und Einzelverkäufen des „Abendblatts“ in den vergangenen elf Jahren:

Es ist nicht so leicht, darin einen Beleg dafür zu finden, dass „nach wie vor auch eine Menge für die Zeitung auf Papier spricht“, wie Strunz gegenüber dem Mediendienst „Meedia“ sagte. Aber Strunz fand ihn:

„Jedenfalls haben wir 2008 fast zehn Prozent mehr Abonnements verkauft als im Vorjahr.“

Flüchtig gelesen, könnte man glauben, dass die Zahl der Abonnenten des „Abendblattes“ zugenommen hat. Hat sie natürlich nicht: Sie ist um fast 6000 rund 4700 zurückgegangen. Strunz spricht davon, mehr neue Abonnenten gewonnen zu haben als im Vorjahr. Das würde aber bedeuten, dass sich die Geschwindigkeit, mit der das „Abendblatt“ alte Abonnenten verliert, ebenfalls beschleunigt hat.

Auf Nachfrage erklärt ein Springer-Sprecher, dass das „Abendblatt“ 2008 sogar 15 Prozent mehr Abonnenten gewonnen habe als im Vorjahr, und nur 5 Prozent mehr Abonnenten verloren als im Vorjahr. Weil die absolute Zahl der Kündigungen aber höher ist als die der Neuabschlüsse, entspricht das einem Netto-Verlust.

Der Sprecher will in den Zahlen dennoch eine Trendwende erkennen, was erstaunlich ist, denn das Tempo, in dem das „Abendblatt“ Abonnenten verliert, hat sich nicht verlangsamt: Es liegt relativ konstant bei rund 2,5 Prozent pro Jahr.

Das sind natürlich immer noch lächerlich kleine Zahlen, verglichen mit dem Auflagenschwund, den Strunz bei der „Bild am Sonntag“ produziert hat. Aber die guten Zeiten für das „Abendblatt“ fangen ja auch gerade erst an.

Guten Morgen aus Tralien: Dirk Bach am Dschungeltelefon

Heute Abend geht sie zu Ende, die vierte Staffel von „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ Kurz vor dem großen Finale spricht Moderator Dirk Bach über das Phänomen Peter Bond, das Improvisieren im Dschungel, den erstaunlichen Abstand von Fremd- und Selbstbild bei den Kandidaten und Giulia Siegel, die nicht so gerne „der vierunddreißigjährige Krieg“ genannt werden möchte.


Dirk Bach mit Co-Moderatorin Sonja Zietlow. Fotos: RTL

Das Fernsehblog: Herr Bach, es ist kurz nach Mitternacht in Deutschland, die Show ist gerade vorbei. Wo sind Sie gerade? Ist da hinter dem Baumhaus gleich ein großer Studiokomplex angebaut?

Dirk Bach: Nein, das Baumhaus ist schon mittendrin im Dschungel. Von da aus muss man ganz oben auf den Berg fahren, da ist zwar immer noch Dschungel um uns herum, aber der fällt nach unten ab. Da ist unsere Technikzentrale. Da ist die Redaktion, die Schneideräume und da steht ein großer Wagen, in dem Sonja und ich wohnen.

Sie hatten gerade die heikle Aufgabe, mit Gulia Siegel zu plaudern, die nach ihrem Auszug erfahren musste, dass ihre Außenwirkung nicht ganz die war, die sie sich erhofft hatte. Haben Sie vorher schon Kontakt gehabt zu ihr?

Nein, wir sind von den Kandidaten komplett getrennt. Das vor der Kamera jetzt war unser erstes Interview mit Giulia Siegel. Wir lassen die Kandidaten dabei immer so lange warten, wie es geht, um es alles ganz frisch zu halten, und nicht vorher schon all die Sachen besprochen werden.

Sind sind also nicht im selben Hotel wie die ausgeschiedenen Kandidaten? Das ist vermutlich auch ein Schutz für Sie.

Deren Hotel ist richtig, richtig weit weg, aber gar nicht um uns zu schützen – bislang wollte uns noch keiner schlagen. Die müssen einfach weit weg sein. Wir wollen das nicht vermischen. Wir wohnen viel näher am Camp, obwohl wir auch schon ganz schön weit weg sind.

Giulia Siegel hat sich jedenfalls nicht wiedererkannt und meinte, dass Sie ihre Erlebnisse bösartig einseitig zusammengeschnitten haben.

Natürlich überhöhen wir die Dinge, die passieren, in den Filmen und auch in unseren Moderationen. Ich glaube aber nicht, dass das so weit ist von der Realität. Es ist keine Dokumentation, und es ist auch kein großes Experiment, wie „Big Brother“ vorgibt zu sein. Es ist einfach eine Unterhaltungssendung mit Prominenten, die ausprobieren: Wie gut halte ich es zwei Wochen dort aus, wo es nicht so ist wie zuhause. Ein bisschen, denke ich immer, liegt es an einem selbst, was man da macht. Ich glaube, dieses: „Hätte man doch nur alle 24 Stunden gezeigt, dann hätte man gesehen, was für ein guter Mensch ich bin“, das stimmt nicht. Vielleicht wird Giulia Siegel das auch mal erkennen. Sie ist ja ein ganz verständiger und kluger junger Mensch.


Dschungelprüfung mit Peter Bond.

Das ist ja ein roter Faden der Show, insbesondere in diesem Jahr, die Diskrepanz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung. Bei Peter Bond, der sich die Welt und seinen Platz darin zurechtdenkt, war es besonders krass. Ist das ein spezielles Phänomen bei Prominenten?

Nein, das haben wir alle. Wir erleben ja selbst, wieviele Missverständnisse man produziert, wenn man etwas sagt und das von anderen ganz anders aufgenommen wird. Vielleicht hat man hier zwei Exemplare gefunden, die dann doch besonders weit auseinanderliegen, in dem, wie sie denken zu sein, und wie sie dann erscheinen.

Mit den beiden sind Sie und Sonja Zietlow in den Moderationen aber auch besonders gnadenlos umgegangen. Peter Bond hatte von der ersten Sekunde keine Sympathien bei Ihnen, oder?

Beim Peter kam aber noch einiges dazu, was man uns erzählte, was im Flug passiert ist. Und beim Einzug ins Hotel. Das nimmt man natürlich dankbar auf und setzt daraus dieses Bild von ihm zusammen. Und er hat wirklich nicht viel getan, dieses Bild zu verändern, auch jetzt, wo er nicht mehr da ist, hört man immer noch Dinge… Ich glaube, er ist da ganz mit sich im Reinen, dass es so ist mit ihm. Er ist, glaube ich, glücklich so. Aber wir haben hier nicht zehn wehrlose Hartz-IV-Empfänger eingeschlossen, sondern zehn Prominente, deren Beruf es ist, in diesem Medium zu leben, und die Sendung inzwischen gut kennen. Sie halten sich alle für Experten für das, was sie im Camp zu tun haben und wie man sich zu verhalten hätte. Denen ist schon klar, was sie hier tun, und wenn sie da so sind, wie sie sind, dann sind sie das durchaus auch im Einklang mit sich selbst.

Ist es heikel, wenn Sie nach all ihren hämischen Pointen später die Kandidaten treffen? Sie spielen ja dabei nicht nur eine Rolle und sagen Texte auf, sondern genießen es sichtlich, auf deren Kosten zu improvisieren.

Ja, wir haben nicht immer das Glück, alle Einspieler komplett gesehen zu haben, und sind oft selber verblüfft, was wir da hören. Dann müssen wir einfach noch nachsetzen, und klar, da entstehen ein paar Dinge. Wobei Giulia eben im Weggehen noch zu mir sagte: „Also, mich ‚der vierunddreißigjährige Krieg‘ zu nennen, war hart“, und ich dachte, mein Gott, das ist doch eine so süße Bemerkung, dass man der vierunddreißigjährige Krieg genannt wird, das hat mir gefallen. Nein, die Menschen hier wussten, worauf sie sich einlassen, das ist ja durchaus bekannt im vierten Jahr. Und in diesem Business ist es ja auch gut, wenn eine Pointe über einen gemacht wird, auch eine böse.


Lorielle London vor Ihrer Dschungelprüfung.

Beunruhigend ist, wie viele der Kandidaten zu glauben scheinen, dass sie im Camp ganz Deutschland etwas beweisen müssen. Bei Ross Antony war das so, bei Lorielle London noch mehr. Woher kommt das?

Bei Ross war es einfach schön, weil er diese beiden Seiten hat. Er zeigte, dass die Tunte, die immer nur quiekt, auch tough sein kann, auch wenn sie dabei quiekt. Das war ganz süß, weil er genau wusste, was er da machte – das war für mich der bewussteste Kandidat von allen. Bei Lorielle habe ich auch immer ein bisschen Angst, weil die, glaube ich, alles tun würde, nur um zu beweisen, dass sie liebenswert ist, was sie gar nicht müsste. Ich bin kein großer Fan der Dschungelprüfungen, meinetwegen könnte da jeder sagen: nee, mach ich nicht, wie komm ich dazu, ‘nen Hoden zu essen? Vielleicht ist das was Deutsches. Die Briten machen diese Prüfungen zwar auch alle, aber mit soviel Geschrei, dass klar ist: Es ist wirklich nur „Spiel ohne Grenzen“. Bei uns ist das sehr ernst, da fürchte ich mich auch immer ein bisschen vor.

Überhaupt, Lorielle und ihre Transsexualität. Sie ist damit ein Opfer vieler Pointen. Denken Sie darüber nach, welche Grenzen Sie nicht überschreiten wollen, welche Vorurteile nicht bedienen?

Ja, das ist für mich ganz wichtig. Sie ist selber an einem Punkt, wo sie sich ganz viel erfüllt, was sie nie haben konnte. Sie lebt gerade ihre Jungmädchenträume aus, das geht alles durch eine große Öffentlichkeit. Das können wir nicht verhindern, das hat sie selber alles schon angeleiert. Aber wir können versuchen, damit ganz gut umzugehen, und ich glaube, das ist uns gelungen. Sie zum Beispiel als Frau zu nehmen, die sie ja ist, egal, ob da noch was nicht perfekt ist.

Verfolgen Sie das Getöse der Berichterstattung über die Show?

Nicht so gerne. Ich bin natürlich, wie wir alle, quotenabhängig…

Die sind natürlich bei dieser Show eine seltene Freude.

Ja, was ich ja sonst nicht so erlebe. Aber der Rest: nicht so. Ich muss nicht auseinandersetzen mit der Berichterstattung vom „Stern“ oder von der „Bild“.

Müssten Sie sich nicht die gleiche Frage stellen wie die Kandidaten, ob es wirklich eine gute Idee ist, für die Karriere, in den Dschungel zu gehen – auch als Moderator der Show?

Ob es eine gute Idee ist, hängt davon ab, wo man hinmuss. Als homosexueller, dicker Mann in diesem Business hatte ich nie einen großen Plan, was mit mir passiert. Ich habe nur mal das englische Original gezeigt bekommen, und fand das sehr lustig und unterhaltsam, und war dann verwundert über die Reaktionen, die das hervorrief und wie man dann auf einmal als unappetitlich ausgegrenzt wurde. Aber das hat mich nie verunsichert. Für mich ist Fernsehen immer eine große Vielfalt von Dingen. Und in zwei Monaten fange ich an, in Bern an der Oper für den Sommernachtstraum von Benjamin Britten zu proben, und ich glaube, da wird mir das auch nicht so sehr schaden, was ich hier jetzt mache.

Warum wirkt „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ so anders als andere Fernsehsendungen? Es scheint den Machern selbst mehr Spaß zu machen.

Es hilft, dass wir weiter weg sind von den großen Zentralen. Auch von der Umgebung her. Wir sitzen nicht in den deprimierenden, großen Unterhaltungskasernen, sondern wirklich im Dschungel. Die Entscheidungen werden hier viel kurzfristiger getroffen, wir produzieren viel mehr Material in kürzerer Zeit. Und das Team besteht fast vollständig aus Leuten, die seit der ersten Staffel dabei sind.

Aber Sie sind der Marco Schreyl des Dschungel, weil sie Ihre Texte dauernd von den Moderationskarten ablesen.

Wir müssen die haben. Wir machen ja noch nicht einmal einen richtigen Durchlauf, sondern nur Stellproben. Während die Einspielfilme laufen, versuchen wir uns zu erinnern, was wir uns ausgedacht hatten.

Es gibt keine Probe, in der Sie alles einmal durchspielen?

Nee, dafür ist keine Zeit. Es gibt eine Stellprobe für die Kameras, bei der wir aber nur ablesen, weil wir die Texte selber noch nicht kennen. Das ist alles ziemlich live rausgehauen.

Die endlosen Pausen, bis nach Ihren Moderationen endlich der nächste Beitrag kommt, während Sie noch irgendwie weiterplaudern, sind inzwischen fast stilprägend.

Da sind wir auch selbst immer unsicher: Sind wir durch? Und der Regisseur weiß auch nicht: Reden die da noch was Wichtiges? Und dann möchte er auch immer ausführlich mit den Kameras durch den Dschungel fliegen, um zu zeigen, wo wir sind. Um endlich Schluss zu machen mit diesen Aachener Gewächshausgerüchten.

Und wer gewinnt heute abend? Wer soll gewinnen?

Sonja und ich waren traurig, dass Gundis rausgewählt wurde, weil wir sie sehr geschätzt haben. Wir hätten eigentlich gerne drei Frauen am Schluss gehabt. Aber für mich ist es egal, wer jetzt welchen Platz macht: Es sind Königin Mutter, eine Prinzessin und der Prinz.

Programmhinweis (26)

Für alle Freunde von „Ich bin ein Star — holt mich hier raus!“ (und vielleicht auch für diejenigen, die nach wie vor meine Faszination mit der Show nicht verstehen oder glauben, es gehe darin vor allem um Ekel) habe ich im Fernsehblog von FAZ.net mit Markus Küttner, dem RTL-Verantwortlichen, über die außergewöhnliche und erstaunlich hintergründige Musikauswahl in der Sendung gesprochen: „Ich bin ein Star — legt vernünftige Musik unter mich!“

(Ach so, und wer nicht weiß, wie die Musikauswahl in aktuellen Fernsehproduktionen sonst funktioniert: Michael Reufsteck hat es neulich im Fernsehlexikon wunderbar parodiert.)

Weitere Klick-Empfehlung in eigener Sache: Die traurige Geschichte von den Sat.1-Mitarbeitern, die bei einem Sender arbeiten, bei dessen Programm es längst nicht mehr auffällt, wenn da gar keiner mehr arbeitet. Und zum Lesen und Esnichtfassenkönnen: Peer Schader dokumentiert, wie am Abend der Hessenwahl Michel Friedman, Claus Strunz und Michaela May auf N24 die SPD abschafften.

Schöne Blogs (2): „bullshit science“

Ich konnte mich gar nicht entscheiden, welches bizarre Beispiel moderner pseudowissenschaftlicher Produktverpackungsbeschriftungskultur ich dem Frank aus seinem neuen albern-klugen blogähnlichen Dings namens „bullshit science“ klauen sollte, um dafür zu werben. Ich habe mich dann für dieses entschieden:

neulich in der entwicklungsabteilung bei pantene.

“so, chef, sollen wir diesmal wieder diese scheißteuren delay-partikel reinmischen, damit das neue shampoo erst ab dem sechsten mal zu wirken beginnt, und den leuten erklären, das gehöre so?”

“nee, zu teuer. laßt’s, wie es ist, und verkauft’s irgendwie als feature. ‘funktioniert direkt bei benutzung’, oder sowas in der art.”

Und dies hier funktioniert eigentlich sogar ohne Kommentar:

Lesen!: bullshit science.

[via ix]

„Ich bin ein Star – legt vernünftige Musik unter mich!“

Ein Fluch liegt auf dem deutschen Fernsehen, der Terror der naheliegendsten musikalischen Untermalung. Egal ob ein Bauer seine Frau sucht, ein Restaurant seinen Rach oder ein Auswanderer sein Glück – unter jeder Szene liegt ein Musiktitel, der das Geschehen oder die aktuelle Stimmung doppelt. Die Auswahl scheint sich auf eine Doppel-CD mit den größten Hits der 80er und 90er zu beschränken (plus „Viva la Vida“ von Coldplay). Fast immer handelt es sich um die naheliegendste Idee oder den ersten Treffer bei der Titelsuche. Keine Kornfeld-Szene ohne Jürgen Drews; wenn jemand sagt, dass ihm etwas egal ist, kommt Shakespeare’s Sister mit „I Don’t Care“, und wenn Hilfe naht, naht sie nicht ohne die Beatles und „Help!“ Manchmal ist die Textzeile, die das Gesehene exakt wiederholt, sogar nur für drei Sekunden zu hören.

Zu den unterschätzten Qualitäten von „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ gehört es, anders mit Musik umzugehen. Zum Abschluss der letzten Staffel, als die Kandidaten das Camp verließen, in der vagen Hoffnung, ihrer Karriere neues Leben eingehaucht zu haben, und mit der realistischen Aussicht, ihr den endgültigen Todesstoß versetzt zu haben, war „Vielleicht“ von den deutschen Indierockern Madsen zu hören: „Vielleicht ist das der Anfang / Vielleicht ist das das Ende…“

Wenn Giulia Siegel Peter Bond zärtlich im Teich wäscht, liegt „Underwater Love“ von Smoke City darunter. Und das intime Gespräch zweier Männer am Lagerfeuer wird vom Soundtrack zu „Brokeback Mountain“ begleitet.

Die Titel sind oft hintergründige Kommentare zum Gezeigten – und die Interpretenliste kann sich sehen lassen: Am Dienstag untermalten die Smashing Pumpkins, The Verve, Sigur Rós, Feist, Babyshambles, Justin Timberlake, Air, Amy MacDonald und die Dust Brothers das Geschehen im Dschungel.

Anlass für einen Anruf in Australien: bei Markus Küttner, 37, dem Ressortleiter Comedyshow bei RTL.

Das Fernsehblog: Sind Sie der Mann, der die Musik für die Dschungelshow aussucht?

Markus Küttner: Nicht jede Musik für jede Sendung, das sind ja hundert Titel. Aber ich sorge schon dafür, dass wir nicht zu jedem Sonnenaufgang „Morning has broken“ spielen, dass nicht immer „Money“ von Pink Floyd zu hören ist, wenn über Geld geredet wird, und nicht die Miss-Marple-Musik kommt, wenn eine alte Frau durchs Bild geht.

Das heißt, es gibt eine bewusste Vorgabe von RTL, es anders zu machen als in der typischen Doku-Soap?

Das ist eine Vorgabe von mir.

Manchmal entscheiden Sie sich aber auch für die naheliegendste musikalische Illustration. Wenn die Österreicherin „Mausi“ Lugner ins Bild kommt, erklingt zum Beispiel „Der dritte Mann“ oder Falcos „Vienna Calling“.

Die Producer, die den Film geschnitten haben, als Mausi auf der Dachterasse im Hotel erscheint, hatten ursprünglich Wiener Walzer darunter gelegt – das war mir doch eine Nummer zu hart. „Vienna Calling“ war dann der kurzfristige Ersatz – das fand ich noch ganz okay.

Wie läuft das ab bei der Produktion?

Die Producer sitzen hier in Australien ganz normal an Schnittprogrammen wie sonst auch – nur wenn man hier vor die Tür geht, ist nicht ein trauriges Industriegebiet, sondern Dschungel. Die Producer arbeiten dann ziemlich unabhängig und legen unter den Rohschnitt schon Musikvorschläge. Inzwischen wissen alle, in welche Richtung wir da gehen wollen – da schlägt keiner mehr „Money“ vor.

Haben Sie eine ganze Digital-Bibliothek dabei? Oder haben Sie Hundert CDs in den Dschungel mitgenommen?

Das haben wir tatsächlich bei den ersten beiden Staffeln gemacht. Das Internet hier war damals noch sehr langsam, und wenn man morgens um sechs eine Livesendung hat und um vier anfängt, bei iTunes einen Song runterzuladen und es nur millimeterweise vorwärts geht – dann wird man wahnsinnig. Ich habe mein iTunes komplett mitgenommen, was schon mal ganz gut ist, und viele Producer haben ihre Sammlungen mitgebracht. Wir kaufen aber auch viel spontan. Gerade für die Eröffnungssequenz, vor der Begrüßung durch Sonja und Dirk, da liegen ziemlich bombastische Titel drunter. Da ist oft auch Filmmusik drauf, die man nicht unbedingt parat hat.

Zum Einzug, als alle sich zum ersten Mal in dem Lageplatz mit dem Teich umsahen, war Peter Fox zu hören mit „Haus am See“ – allerdings nur der Instrumentalteil. Solche Anspielungen funktionieren also nur für Leute, die das Lied kennen. Was ist die Idee dahinter?

Zunächst einmal hat die Musik gut zu der Szene gepasst. Selbst wenn das Stück einen ganz anderen Text gehabt hätte, hätte die Musik alleine trotzdem gepasst. Das ist natürlich die Hauptsache. Aber wenn man noch einen kleinen Insider-Gruß für, ich weiß nicht, fünfzehn Prozent unserer Zuschauer mit hineinpacken kann, die es erkennen und sich freuen: um so besser. Die ganze Show ist vielschichtiger als ein Großteil derer, die darüber berichten, überhaupt erkennen. Es steckt viel mehr drin.

Als Giulia Siegel klagte, dass sie ohne eine aufgestockte Zigarettenration nicht im Dschungel bleiben könnte, lief „Better Living Through Chemistry“ von Queens Of The Stone Age.

Ja. Und in der letzten Staffel hatten wir Julia Biedermann, die gleichzeitig im „Playboy“ mit Hochglanzbildern war und im Camp aussah wie Rod Stewart nach einer durchsoffenen Nacht. Darunter haben wir von den Sternen „Was hat dich bloß so ruiniert“ gelegt – lustigerweise auch erst nur das Intro, ohne Text. Wir haben auch gerne mal schöne Intros von Radiohead, allerdings eher die älteren Sachen. Die neuen sind selbst für abgefahrenere Shows ein bisschen zu hart.

Ist es eine bewusste Entscheidung, so stark auf für RTL untypische Musikfarben zu setzen?

Ich weiß nicht, ob die Musikfarben wirklich so untypisch für RTL sind. Ich bin zum Beispiel auch für die Doku-Soap „Teenager außer Kontrolle“ zuständig. Da nehme ich nicht so viel Einfluss und wir haben mehr Filmmusiken, aber das geht in eine ähnliche Richtung. Auch bei der „Super-Nanny“. Ich bin seit Jahren großer Radiohead-Fan, und immer wenn Radiohead in der Show zu hören ist, bekomme ich innerhalb von drei Minuten 15 SMS von Freunden, die sagen: Du Idiot, was spielt ihr Radiohead im RTL-Programm?!

Schöne Situation: Sie müssen sich vor RTL rechtfertigen, dass sie Radiohead spielen, und vor den Radiohead-Fans, dass sie es bei RTL spielen? Sie machen beiden das Programm kaputt!

Vielleicht bringe ich da Welten zusammen, die in Wahrheit zusammen gehören… Nein, das macht einfach Spaß, und am Ende geht es immer um die Sendung.

Haben Sie, so weit weg von der Zentrale, mehr Freiheiten als sonst?

Freiheit habe ich sonst auch. Aber hier im Dschungel gibt es nur wenige Stellen mit Handyempfang. Da ist man nicht immer erreichbar, das kann schon mal praktisch sein. Wir haben uns in früheren Staffeln zum Beispiel über die wunderbaren Dschungelsongs lustig gemacht. Soviel Selbstironie muss erlaubt sein, schließlich machen Sonja und Dirk bei ihren Sprüchen auch vor sich selbst nicht halt.

Und trotzdem hatten sie den schrecklichen aktuellen Song, die Zipfelbuben mit „Hier im Dschungel“ neulich in die Sendung eingebaut.

Ach, das passiert.

Dann ist RTL Enterprises glücklich?

Ja. Aber der eigentliche Kampf als Programmverantwortlicher beginnt eher jetzt, wenn die Single im Handel erhältlich ist und Promo dafür gemacht wird. Ich wehre mich natürlich nicht grundsätzlich dagegen, aber so, wie Sonja und Dirk die Sendung moderieren, würde es nicht passen, das in der üblichen Manier zu tun.

Warum ist es so schwer, in anderen Shows auch so ambitioniert und überraschend bei der Musikauswahl zu sein? Ist es wirklich so, dass die Zuschauer eigentlich nur den Wiedererkennungseffekt wollen, dass in jeder Szene genau die Textzeile kommt, die sie kennen und die das Geschehen eins-zu-eins illustriert?

Tatsache ist, dass beides funktioniert. Es funktioniert der typische Doku-Soap-Stil genauso wie unser eher abwechselungsreiches Konzept. Es gibt eine Berechtigung für beides.

Darf ich mir noch was wünschen?

Klar.

Echt?

Na, ich habe ja nicht gesagt, dass ich Ihren Wunsch erfülle.

(Aber was läuft am Abend, in Folge 7, nach 14 Minuten, wenn sich die Kandidaten auf ein unerwartetes Belohnungsfrühstück mit Toast und Marmelade stürzen? „When Will I Ever Get Home“ von den Kilians!)

(Nichts) Neues von Kalle Schwensen

Seit vergangenem Freitag gehöre ich zu der stetig wachsenden Zahl von Menschen, die von Karl-Heinz Schwensen abgemahnt wurden. Karl-Heinz Schwensen ist bekannter als Kalle Schwensen und noch bekannter unter seinem Rufnamen, den er vor Jahren als Größe des Hamburger Rotlichtmilieus bekam. Inzwischen scheint ihm dieser Spitzname unangenehm zu sein oder ihn bei seinen neuen Geschäften zu behindern, und so begann er vor ein paar Jahren damit, juristisch gegen Menschen vorzugehen, die ihn bei diesem Namen nennen.

Im Juli 2007 traf es eine Reihe von Blogs, die sich plötzlich mit der Forderung, den Namen zu entfernen, und Kosten von jeweils vielen Hundert Euro konfrontiert sahen. Ich nahm das zum Anlass, in einem Eintrag ausführlich den Sinneswandel von Schwensen zu dokumentieren. Wenige Jahre zuvor noch hatte er zum Beispiel dem „Stern“ einen „Neger“-Witz erzählt, 1998 sogar selbst in einem Musikvideo mitgewirkt, in dem er bei dem Namen genannt wird, unter dem er bundesweite Berühmtheit erlangte.

Nun ist es aber so, dass Schwensen nicht nur verhindern will, dass er heute noch mit dem Namen angesprochen wird, den er inzwischen als rassistisch und diskriminierend empfindet. Es versucht auch, den alten Namen quasi rückwirkend zu tilgen, als hätte es ihn nie gegeben, und er hat bei diesem Versuch starke Verbündete: die Hamburger Pressekammern, die in ihren Urteilen regelmäßig im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit entscheiden.

Erfolgreich zwang Schwensen zum Beispiel die Tageszeitung „taz“, alte Artikel aus ihrem Online-Archiv zu löschen, in denen sein alter, ihm damals offenbar noch genehmer Spitzname genannt wurde. Die „taz“ unterlag mit ihrem Widerspruch in zwei Instanzen vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Hamburg.

Am Freitag nun traf es also mich. In einem „Blogger-Beitrag“ werde er „in rassistischer und diskriminierender Weise als            bezeichnet“, schrieb er per Mail. Er habe den Anspruch, bei seinem richtigen Namen genannt zu werden, gerichtlich durchgesetzt („HansOLG, Az: 7 U 120/05, und LG Hamburg, Az. 324 O 400/05“, „HansOLG, Az: 7 U 53/07, und LG Hamburg, Az. 324 O 395/06“) und verlange „von jedermann“, also auch von mir, „die Unterlassung der Verwendung des diskriminierenden, meine Persönlichkeitsrechte ebenso wie mein Namensrecht verletzenden Pseudonyms“.

Ich habe Schwensen zwar nicht selbst so genannt, aber gestern eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben.

Die Rechtslage ist nämlich dank des unermüdlichen Wirkens der Hamburger Richter einigermaßen unübersichtlich. Es spricht zwar vieles dafür, dass ich den Eintrag damals veröffentlichen durfte: Es muss eigentlich erlaubt sein, anlässlich einer juristischen Auseinandersetzung die Hintergründe zu schildern. Nicht so eindeutig ist aber, ob mein Eintrag mit der Nennung des Spitznamens nach dem Rechtsverständnis der Hamburger Gerichte auch heute, eineinhalb Jahre später, noch öffentlich sein darf. Es ist möglich, die Richter das in meinem Fall ähnlich verneinen würden wie bei den Archiveinträgen der „taz“.

Nach und nach radiert Schwensen seine Vergangenheit aus den Archiven.

Am 23. Mai 2005 erschien im „Spiegel“ zum Beispiel ein Artikel „Guck mal, ob da was geht!“ über den Berliner Wettkönig Ante Sapina. Er ist allerdings nicht identisch mit der Fassung, die im Online-Archiv zu finden ist. Sie wurde — ohne jeden Hinweis auf eine nachträgliche Zensur — um den von Schwensen nicht mehr akzeptierten Rufnamen bereinigt. Die „Spiegel“-Titelgeschichte „Der Fall Reeperbahn“ aus dem Jahr 1997, in der Schwensen ebenfalls samt Spitznamen vorkam, scheint ganz verschwunden zu sein. In anderen Archiven das gleiche Bild. Artikel, in denen Schwensen unter seinem geläufigen Namen vorkam, fehlen entweder ganz, oder das Wort wurde nachträglich klammheimlich gestrichen — wie in diesem Artikel des „Tagesspiegels“ aus dem Jahr 2000.

Ich habe angesichts der zweifelhaften Erfolgsaussichten darauf verzichtet, mich auf einen Rechtsstreit mit Karl-Heinz Schwensen einzulassen, und deshalb die Unterlassungserklärung abgegeben und die entsprechenden Passagen in meinem Eintrag geschwärzt. Ich hoffe, dass die „taz“ ihre Archive am Ende doch noch erfolgreich vor den Zugriffen Schwensens und möglicher Nachahmer schützt. Sie hat am 14. November 2007 Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Bis das entscheidet, kann es dauern.

Kabeljau, Büroklammer & Co.

Da sind sie bestimmt ganz schön ins Rödeln gekommen, die Leute von der stern.de-Infografik, als sie erfuhren, dass der „Stern“ schon wieder einen Bespitzelungsskandal aufgedeckt hat, diesmal bei der Deutschen Bahn, und sie sich an eine angemessene Aufbereitung für Online machen sollten. Glücklicherweise war die Bahn so nett, jeder ihrer Ausspähaktionen einen anderen Namen zu geben, dann lohnt sich das auch bei den Klickzahlen.

Und so präsentiert Ihnen stern.de: „Die Codenamen der Spitzel-Aktionen.“ Als superinformative 16-teilige Bildergalerie zum Durchklicken.

etc.

Und als wär das nicht schon genug Arbeit gewesen, mussten die stern.de-Infografiker dann in den vergangenen Minuten auch noch Bild für Bild das Gesicht des armen Lokführers auf dem Symbolfoto, der da mal als „Kabeljau“, mal als „Büroklammer“ herhalten muss, unkenntlich machen. Als ich die Screenshots gemacht habe, waren sie bis Bild 4 gekommen, inzwischen scheinen sie durch zu sein.

(Mal abgesehen von dem Klickschinderwahn und der Sinnlosigkeit des Ganzen: Was mag wohl ein Leser denken, der zufällig auf der Seite mit der Bildergalerie landet, die nicht einmal einen erklärenden Satz, geschweige denn einen Link zum zugehörigen Artikel bereithält?)

[mit Dank an Jan-Claude Bischoff]