Cindy aus Marzahn

Ich muss jetzt doch mal fragen, ob mir jemand Cindy aus Marzahn erklären kann. Das schien bislang keine Dringlichkeit zu haben, denn wie lange soll sich eine Comedyfigur halten, an der das Witzigste schon der Name und die Art Schlafanzug ist, die sie trägt, wenn sie sich nicht gerade in hautenge pinkfarbene Leggins zwängt? Cindy ist prollig und ostig und eine Mischung aus den Hartz-IV-Empfängerinnen, die man im „Frauentausch“ auf RTL 2 trifft, und den jungen Möchtegern-Schlampen, die sich für Oliver Geissen auf RTL herausputzen. Cindy ist das Projekt, mit dem sich Ilka Bessin selbständig gemacht hat, um aus dem Elend der Langzeitarbeitslosigkeit herauszukommen, und natürlich muss man ihr dazu von Herzen gratulieren.

Aber das ist nun auch schon vier Jahre her. Ihr Witz trägt fünf Minuten, zusammen mit ein bisschen Publikumsbeschimpfung vielleicht zehn, aber selbst wenn man für Warhol noch fünf draufgibt, müssten die längst abgelaufen sein.

Doch der Erfolg reißt nicht ab. Bessin hat schon vor fast zwei Jahren öffentlich gegrübelt, dass diese Cindy nicht ewig als Figur funktionieren werde, aber da hat sie die Anspruchslosigkeit des deutschen Comedypublikums unterschätzt. Sie sehen sich nicht satt an den auftoupierten Haaren, hören sich nicht satt an dem Witz über ihre Alzheimer-Bulimie (erst fressen, dann das Kotzen vergessen), lassen sich nicht sattbeschimpfen von der ebenso doofen wie aggressiven Frau auf der Bühne. Sie lebt jetzt praktisch im Fernsehen (heute in „World of Comedy“, 14.15 Uhr, RTL; Freitag in den „Hit-Giganten“, 20.15 Uhr, Sat.1) und wird vermutlich nie wieder weggehen.

Und das ist vielleicht das Schlimmste an der Fernsehcomedy von heute: dass jedes One-Hit-Wonder gleich zum Evergreen wird.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung