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Voll krass: Der WDR macht einen auf YouTube

Der WDR macht jetzt auch YouTube-Videos – oder jedenfalls das, was er dafür hält: Kurze, halbwegs schnell geschnittene Filme, in denen junge Menschen mit aufgerissenen Augen, größeren Armrudereien und Stimmen, gegen die Verona Feldbusch wie Elmar Gunsch wirkt, in voll krasser Jugendsprache irgendwelches Zeug in die Kamera sagen.

Damit Sie sich einen Eindruck davon machen können, ohne sich zuviel davon ansehen zu müssen, habe ich das bisher veröffentlichte Material mal zu einer kaum sinnentstellenden Version verdichtet:

Ich fürchte, da liegen mehrere Missverständnisse vor. Eines der größeren scheint der Glaube zu sein, dass der Erfolg von YouTubern wie LeFloid darauf beruht, dass sie eine bestimmte Art zu reden, zu gestikulieren und zu schneiden haben, und man das bloß kopieren müsse. Ich glaube, dass der Erfolg von LeFloid darauf beruht, dass er wie LeFloid ist. Und wenn man Leute vor die Kamera stellt, die mit aufgesetzten Gesten, Blicken und Formulierungen offenkundig versuchen, YouTuber zu spielen, ist das ziemlich exakt das Gegenteil von dem, was den Reiz von YouTubern ausmacht.

Aber das neue WDR-Angebot, das unter dem Namen #3sechzich junge Leute zwischen 20 und 30 erreichen soll, ist nicht nur rätselhaft, unfreiwillig komisch und ein bisschen affig. Es ist ernsthaft ärgerlich. Und das liegt nicht an der Art der Präsentation, sondern an dem, was der WDR da präsentiert.

In der ersten Folge geht es um Pegida in Duisburg. „Denn dort wurde heute eine Demonstration anberaumt“, kiekst Moderatorin „m3lly“, „und wir gucken doch am besten noch mal nach, was die da eigentlich wollen.“ Es folgt ein Ausschnitt, bei dem eine Rednerin auf der Demonstration beklagt, dass in London angeblich der meistbenutzte Baby-Name Mohammed ist. Kleiner Haken: Anders als die WDR-YouTuber suggerieren, stammt die Szene gar nicht von jener Demonstration. Sie stammt, wie sich auf Nachfrage von verärgerten Teilnehmern herausstellte, nicht mal aus Duisburg. Kommt wohl nicht so drauf an.

Jonas Wixforth, der das Projekt mitentwickelt hat, sagt auf wdr.de:

„Der Presenter darf und soll seine eigene Meinung einbringen, denn wir wollen mit der Community ins Gespräch kommen. Natürlich liefern wir dazu recherchierte Fakten, es steht schließlich immer noch WDR oben drüber.“

Der Text erzählt dann, was das in der Praxis für YouTuber-Darsteller Tim Schrankel und Autorin Susanna Zdrzalek bedeutet:

15:30 Uhr: Tim und Susanna haben inzwischen schon viele Informationen und Fakten gesammelt. Zum Beispiel, dass die 2.500 Gäste des Weltwirtschaftsforums mit 1.700 Privatfjets einfliegen. „Da könntest du einen Papierflieger werfen“, schlägt Susanna vor. Tim ergänzt die Idee: „Und dann erzähle ich, dass es dort auch um den Klimawandel gehen soll.“

Jahaha, Papierflieger, Klimawandel. Die vermeintliche Ironie mit den 1700 Privatjets stand an jenem Tag ungefähr überall – stellte sich allerdings als grobe Übertreibung heraus. (Nachtrag, 20:55 Uhr. WDR#3sechzich hatte den Fehler allerdings „zeitnah“ in der „Infobox“ korrigiert.)

Der Tim fand die ganze Idee mit dem Weltwirtschaftsforum aber eh Quatsch, weil sich die kompletten Probleme der Welt eh nicht in so kurzer Zeit lösen ließen:

Meiner Meinung nach kann da innerhalb von vier Tagen überhaupt nichts bei rumkommen.

Ach so, gut, na dann.

Den vorläufigen Tiefpunkt öffentlich-rechtlicher YouTube-Unterhaltung bildet allerdings die Folge mit dem Titel „Super Mario vs deutsche Spar-Streber / Die Geldschwemme der EZB“. Mit atemberaubender Denkfaulheit schimpft YouTuber-Darstellerin und 1Live-Moderatorin Freddie Schürheck darin über die trägen Südländer, die es sich auf unsere Kosten gutgehen lassen.

Alles daran ist furchtbar. Der gescheiterte Versuch, das Problem der Deflation zu erklären. Die Idee, Arbeitslosigkeit durch Smarties dazustellen. Die Forderung, die Krisenländer sollten doch „einfach mal Reformen starten“. Das Bild, dass „wir“ Deutschen uns „abrackern“, während die faulen Südeuropäer Rotwein saufend in der Sonne sitzen und uns auslachen.

Das Ressentimentgegurgel mündet in folgende, äh, Argumentation:

Lieber EZB-Präsident Mario Draghi. Nur weil du einen auf Super-Mario machst, heißt das noch lange nicht, dass du das Spiel auch gewinnst. Wer weiß schon, ob deine Strategie funktioniert. Nur weil auf einmal wieder Geld in den Krisenländern ist, heißt das noch lange nicht, dass dann auch wieder in Utnernehmen und Fabriken investiert wird. Und jetzt mal unter uns: Haben wir jetzt dank der EZB-Aktion auf einmal zwei Lager in Europa? Wir sind die Nerds mit dem Sparkurs. Und die Krisenländer, das sind die Abschreiber aus der letzten Reihe. So nach dem Motto: Läuft schon irgendwie….

Wir sind die Nerds mit dem Sparkurs, und in Griechenland leben die Menschen jetzt aus Daffke massenhaft ohne Strom, ohne Krankenversicherung, in bitterer Armut. Unbedingt in der ganzen affektierten Arroganz im Original ansehen:

Klar, das alles soll ein „Experiment“ sein, und es ist auch richtig, dass man beim Ausprobieren Fehler machen darf, aber — gleich so viele?

Das kann ja lustig werden mit dem öffentlich-rechtlichen Jugendkanal im Internet.

Nachtrag, 20:25 Uhr. Jonas Wixforth antwortet auf seiner Facebookseite.