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Michelles Grand-Prix-Tagebuch

Lustig, lustig, tralalalalaaa. Grand Prix: Michelle wundert sich in Kopenhagen über ihr angeblich eigenes „Bild“-Tagebuch.

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Kein Sänger sollte das Haus ohne seine fleischfarbenen Ohrstöpsel verlassen. Sonst muss er im Fall eines Auftritts vor größeren Menschenmengen in windigen Hallen, wo man nicht einfach Lautsprecher-Monitore für die Interpreten aufstellen kann, fremde Ohrstöpsel benutzen, die nie richtig passen, was im Ausland besonders schlimm ist, weil es die Techniker dort ja nie schaffen, einen vernünftigen Ton draufzulegen. Michelle, deutsche Vertreterin beim Grand Prix in Kopenhagen, auch bekannt als „unsere Schlager-Prinzessin“, hat extra auf einer Tournee mit dieser Technik geübt. Und was hat sie nun zu Hause gelassen? Ihre fleischfarbenen Ohrstöpsel.

So steht sie bei der ersten Probe am Dienstagabend auf der Bühne im Kopenhagener Fußballstadion Parken, quengelt, der Ton sei „total überkoppelt“, erträgt die fremden Stöpsel beim Singen nicht, kann aber ohne sie nicht singen, tut sie rein, tut sie raus, einen rein, anderen rein, kommt gegen ihre Backgroundsänger nicht an, vergisst, dass sie den letzten Refrain auf Englisch singen soll, obwohl es ihr Chor aber tut (was zusammen witzig klingt), ist auch beim vierten Durchgang ahnungslos, welche Kamera auf sie gerichtet ist, weint fast.

Der erste Auftritt war also eine Katastrophe. Mit anderen Worten: „Gestern hatte ich meine erste Probe. Es ist schon ein gigantisches Gefühl, auf einer so großen Bühne zu stehen.“ Schreibt Michelle in ihrem „Tagebuch“, das die Bild-Zeitung täglich unter der Autorenzeile „Von MICHELLE (zur Zeit in Kopenhagen)“ veröffentlicht. Gigantisch? Soso.

Man muss nun daraus nicht schließen, dass es in Wahrheit Freudentränen waren, die in Michelles Augen standen. Es ist eher so, dass speziell dieses Tagebuch durch eine bemerkenswerte Kombination aus Gedankenlesen und Hellsehen entsteht, was — eine lästige Nebenwirkung solch‘ journalistischen Extremsports — nicht immer zu den verlässlichsten Resultaten führt. Der Tagebucheintrag über die Probe jedenfalls („Mein Herz zittert. Meine Knie werden weich.“) entstand, bevor die Probe begonnen hatte. Und auch wenn man auf einem Foto sieht, wie Michelle mit Block und Stift „allein in ihrem Hotelbett“ sitzt -– es ist Bild-Redakteur Mark Pittelkau, der ihre geheimsten Sehnsüchte und Sorgen beschreibt. Er kennt Michelle sozusagen besser als sie sich selbst. Er denkt sie sich aus.

Das ist soweit nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich ist, dass die Schlagerprinzessin „ihr“ Tagebuch am Anfang nicht einmal gelesen hat, bevor es in Druck ging — was, neben der Sache mit den fleischfarbenen Ohrstöpseln, daran zweifeln lässt, ob sie mit ihrem Manager gut beraten ist. Jedenfalls ergibt sich dadurch gleich am ersten Morgen, vor einer gemeinsamen Stadtrundfahrt, die folgende Szene, die Generationen von Studenten der Kommunikationswissenschaft Stoff für Seminare zum Thema Medieninszenierungen und Wirklichkeit geben könnte: Da steht also Michelle in der warmen dänischen Frühlingssonne und bekommt die Bild-Zeitung mit ihrem Tagebuch- Artikel in die Hand gedrückt. Drei deutsche Kamerateams filmen nun, wie Michelle zum ersten Mal „ihr“ Tagebuch liest, über die Schlagzeile „Nachts im Hotel fühle ich mich oft so einsam“ staunt, erschrickt, lacht und dann sagt, das sei ja ein Quatsch.

Der Autor Pittelkau, der ein paar Schritte daneben steht, wird am Nachmittag in Michelles Bild-Tagebuch den Eintrag machen, zum bevorstehenden ersten Geburtstag ihrer Tochter habe sich der Vater des Kindes, der Schlagersänger Matthias Reim, noch nicht gemeldet, was ja wohl mal wieder typisch sei. Am Tag darauf stellt Michelle ihren Ghost-Writer zur Rede.

In Zukunft will sie vorher wissen, was sie in ihr Tagebuch schreiben wird.

(c) Süddeutsche Zeitung

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Hadder da Gummibärchen?

Süddeutsche Zeitung

Stefan Raab und die „Bild“ streiten sich ein wenig.

So viel steht fest: Stefan Raab war in Stockholm. Mark Pittelkau, Klatsch-Nachwuchshoffnung der Bild-Zeitung, auch. Sie haben sich getroffen, um ein Foto zu machen. Doch schon über die Frage, wo genau, gehen die Aussagen auseinander. Und darüber, ob Raab dabei vor dem Schloss mit Waffengewalt abgeführt wurde, ob ihm zwei 16-Jährige mit den Worten „Hadder denn da wat, un wenn ja, was hadder da“ in den Schritt griffen und ob er zum Frühstück Gummibärchen isst – wegen der Potenz. Es ist ein absurder Streit entstanden.

Raab sagt, der Bild-Artikel, der am Tag vor dem Grand Prix erschien, sei frei erfunden. Sein Management hat protestiert, Gegendarstellung und Widerruf gefordert; die Bild bleibt bei ihrer Darstellung, ist aber intern etwas desorientiert. Unterhaltungschef Manfred Meier sagt, man habe eine Unterlassungserklärung abgegeben, das sei Routine: dass man die Fakten nicht wiederhole, heiße nicht, dass sie nicht stimmten. Chefredakteur Udo Röbel widerspricht: Es gebe keine Erklärung; die Rechtsabteilung prüfe. Die Sache ist für beide Seiten keine Petitesse, Röbel hat sich Pittelkaus Darstellung als eidesstattliche Erklärung geben lassen. Dass Details nicht stimmen, muss nichts bedeuten: „Nicht alles, was wir schreiben, ist wahr, aber wir versuchen, wie alle seriösen Zeitungen, der Wahrheit möglichst nah zu kommen“ , sagt Meier. Ach ja.

Pittelkau ist für die Bild ein wichtiger Mann. Er kennt die Schlagerszene — und es gibt nicht viele Journalisten, die bereit sind, Nächte mit Jürgen Drews zu verbringen. Am Samstag bekommt er von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Schlager einen Preis dafür, dass er versuche, „immer das Positive am deutschen Schlager herauszustellen“ . Manche sagen ihm Allmachtsphantasien nach. Nach einem geplatzten Termin bei Raab in Stockholm soll er gesagt haben: „Die Jagd auf Raab ist eröffnet; ich werde ihn in Grund und Boden schreiben.“ Pittelkau, sagt das Raab-Lager, leide darunter, dass nicht Corinna May zum Grand Prix durfte. Raab, sagt das Bild-Lager, leide darunter, dass er nicht so groß ins Blatt kam wie Guildo Horn. Und er gehöre offenbar zu einer neuen Generation von Stars, die selbst bestimmen wollen, wer wie über sie berichte. Jedenfalls sei er nicht halb so gut im Einstecken wie im Austeilen.

„Raab macht sich gegenüber Journalisten oft rar. Wir wollen nicht zulassen, dass die dann einfach Sachen erfinden“, sagt seine Managerin Gaby Allendorf. „Auf der Höhe, auf der sich Stefan jetzt befindet, müssen wir aufpassen, dass Leute ihn nicht für ihre Zwecke einspannen.“ Auf die Spitze treiben will sie den Streit nicht: Wenn Bild nicht nachlege, werde man die Sache auf sich beruhen lassen. Raab besteht nicht einmal mehr auf der Gegendarstellung. Im Herbst will er eine eigene Programmzeitschrift TV Total herausbringen — im Springer-Verlag. Und das ist halt der, in dem Bild erscheint.